SECHZEHN
Paleo Faliro, Athen
Sie waren alle wieder zurück im Hotel und verzehrten ein Essen, das verdächtig nach Überresten vom Vorabend aussah. Zwar füllten an diesem Abend mehr Gäste den Raum, aber dennoch klafften zwischen den besetzten Tischen so weite Abstände, dass sie einer weit auseinandergezogenen Inselgruppe im leeren Meer des Speisesaals glichen.
«Die Weiße Insel», erläuterte Reed, «war eine Art griechisches Walhalla, ein Ort, an dem Helden nach ihrem Tod ein unbeschwertes Wohlleben führten.»
«Ich dachte, das wären die elysischen Gefilde», warf Grant ein, stolz, auch einmal mit klassischem Wissen glänzen zu können, wenngleich er diesen Begriff nur von einer jungen Französin auf den Champs-Élysées aufgeschnappt hatte, kurz nach der Befreiung von Paris. Gespannt wartete er darauf, dass Reed seinen Beitrag würdigte.
Der Professor aber wirkte nur verärgert. «Ja, schon richtig.» Er rammte seine Gabel so fest in ein Stück Fleisch, dass die Zinken über den Teller klirrten. «Vom Leben nach dem Tod hatten die Griechen, offen gesagt, eine etwas ungenaue Vorstellung. Die uns überlieferte, populäre Version – Hades für die Qualen der Verdammten, Elysium, oder die elysischen Gefilde, für ewiges Glück – stellt eine relativ späte Verfeinerung des Grundschemas dar. Und die hat vermutlich auch viel mit unserem Wunsch zu tun, unsere eigenen Vorstellungen von Himmel und Hölle auf frühere Zeiten zu übertragen. Bei Homer, speziell in der Ilias, ist jedenfalls von einem Leben nach dem Tod nicht die Rede. Unsterblichkeit erlangt man durch die zu Lebzeiten vollbrachten Taten und den Ruhm, den man sich dadurch erworben hat. Wenn man stirbt, lebt nur ein Schatten fort, ein graues Abbild des Menschen, der man einmal war.»
«Und wie passt da jetzt die Weiße Insel hinein?», fragte Muir.
Reed runzelte die Stirn. «Dabei handelt es sich, kosmologisch gesehen, eigentlich um eine Anomalie. Es gibt eine Reihe ähnlicher Vorstellungen: die Inseln der Seligen, die Pindar beschrieben hat, eine Art elysisches Gefilde in Inselform. Auch der Garten der Hesperiden, in dem die goldenen Äpfel des Lebens wuchsen, soll sich alten Vorstellungen nach auf einer Insel am Rande der Welt befunden haben, obwohl das nicht ganz dasselbe ist. Geographisch gesehen aber wurde immer vermutet, dass die Weiße Insel sich irgendwo im Schwarzen Meer befand.»
«Warum dort?»
«Für die Griechen war die Erde eine flache Scheibe, um die herum ein großer, kosmischer Fluss strömte – der Okeanos. Das Mittelmeer bildete die Achse quer durch die Mitte. Durchquerte man die Meerenge von Gibraltar, gelangte man in den westlichen Okeanos; durchsegelte man den Bosporus ins Schwarze Meer, gelangte man in den östlichen Teil.» Er beugte sich vor. «Das Schwarze Meer lag für die Griechen jenseits der Grenzen ihrer Welt. Es war der äußerste Rand, ein Niemandsland, wo das Reich der Menschen und das Reich der Götter ineinander übergingen. Alles, was man in der bekannten Welt nicht zu verorten vermochte, wähnte man naturgemäß dort. Besonders, falls es mythische oder spirituelle Dimensionen hatte.» Beim Blick auf Marinas Gesicht zogen sich seine buschigen Augenbrauen zusammen. «Sie sind anderer Auffassung?»
«Das Schwarze Meer.» Sie blickte in die Runde, als sei sie verblüfft darüber, dass die anderen ihr nicht zu folgen vermochten. «Sehen Sie denn nicht die Verbindung? Vielleicht haben die Griechen die Weiße Insel dort ja nicht nur aus geographischer Verlegenheit vermutet. So viele der Irrfahrten des Odysseus scheinen durchs Schwarze Meer zu führen, dabei hat er gar keinen Grund, dort zu sein. Es liegt nicht auf seinem Heimweg.»
«Wahrscheinlich ist das eine spätere Geschichte, die in den Mythos eingefügt worden ist.»
«Aber was, wenn dem nicht so ist? Was, wenn die Weiße Insel ein wirklicher Ort ist, ein verlorenes Heiligtum oder ein Tempel für tote Helden? Odysseus muss einen Grund gehabt haben, nach Osten zu segeln, obwohl seine Heimat, in die er so dringend zurückkehren wollte, sich im Westen befand. Möglicherweise wollte er ja die Rüstung des Achill in diesen Tempel auf der Weißen Insel bringen.»
Jackson stellte sein Bierglas ab und starrte sie an. «Entschuldigung – wollen Sie damit sagen, Odysseus war ein Mensch aus Fleisch und Blut?»
«Natürlich war er das nicht», sagte Muir. «Mythen und Legenden nachzujagen wird uns nicht weiterbringen.» Er wandte sich an Reed. «Wie weit sind Sie mit der Übersetzung der Tafel gekommen, bevor unsere griechische Sirene anfing, Sie auf Abwege zu locken?»
«Ich habe eine ungefähre Vorstellung von den Zeichen.» Reed faltete ein Blatt Papier auseinander. Es war fast vollständig mit einem großen Netz geheimnisvoller Symbole bedeckt, etwa hundert insgesamt. Manche waren durch Pfeile verbunden; neben andere waren an den Rand Fragezeichen und Anmerkungen notiert. «Einige sind recht mehrdeutig, aber diese tauchen glücklicherweise weniger oft auf.» Er sah Grant an. «Haben Sie Pembertons Foto noch?»
Grant zog es heraus und reichte es über den Tisch. «Die Zeichen sind darauf nicht zu erkennen. Es ist zu verschwommen.»
«M-hm», brummte Reed, der gar nicht richtig zuhörte.
Muir steckte sich eine Zigarette an. «Also – das Alphabet haben Sie so weit. Wie geht’s weiter?»
«Hm?» Reed blickte nicht hoch. «Um ein Alphabet muss es sich nicht unbedingt handeln. Grob gesagt gibt es drei Methoden, Sprache auf Papier wiederzugeben. Die alphabetische ist die genaueste. Jeder Buchstabe steht für einen Laut der Sprache. Damit kann so ungefähr alles ausbuchstabiert werden, was man sprachlich ausdrücken möchte. Ungeheuer leistungsfähig und flexibel – historisch gesehen aber eine relativ junge Erfindung.»
«Wie jung?»
«Ein bisschen über zweieinhalbtausend Jahre, in ihrer endgültigen Form, entwickelt hier in Griechenland. Das altgriechische Alphabet war das erste komplett phonetische Alphabet der Welt. Ohne Frage war es der Schlüssel zu der außerordentlichen kulturellen Blüte, die sich dann in den folgenden vier Jahrhunderten entfaltete. Vorherige Schriftformen waren grobe, unbeholfene Systeme. Wörter waren passive Gefäße, die zum nüchternen Dokumentieren taugten, aber zu wenig anderem. Das griechische Alphabet ging als erstes darüber hinaus und ermöglichte es, die eigenen Gedanken ganz präzise in geschriebenen Worten festzuhalten. So war das Schreiben nicht länger rückwärtsgerichtet und statisch, sondern wurde zu einem wunderbaren Werkzeug zur Erweiterung des Geistes.
Aber all das kam erst später. Davor gab es zwei Arten von Symbologien: Bilderschriften und Silbenschriften. Bei Bilderschriften wie den ägyptischen Hieroglyphen oder der modernen chinesischen Schrift steht jedes Ideogramm, jedes Zeichen also, für ein Wort oder einen Begriff. Es ist eine rein graphische Schrift; zwischen geschriebenem und gesprochenem Wort besteht kein lautlicher Zusammenhang. In einem auf Silben beruhenden Zeichensystem dagegen wird die Sprache in jede nur mögliche Kombination von Konsonant und Vokal zerlegt, die dann durch ein Symbol dargestellt wird. Im Englischen hätte man demnach also jeweils ein Zeichen für ‹ba›, ‹be›, ‹bi›, ‹bo› und ‹bu›, dann für ‹ca›, ‹ce›, ‹ci› und so weiter bis hin zu ‹zu›. Genau dieses System wird im modernen japanischen Hiragana-Alphabet benutzt.» Warum er mit Japanisch so vertraut war, erklärte er nicht – es gab auf der Welt nur ein paar Dutzend Menschen, die befugt waren, diesen Teil der jüngeren Weltgeschichte zu kennen, und nur einer davon saß mit am Tisch.
Grant rechnete es im Kopf rasch aus, fünf Vokale multipliziert mit einundzwanzig Konsonanten. «Das ergäbe am Ende einhundertfünf Zeichen.»
Reed strahlte. «Im Englischen, ja. Was zufällig der Anzahl von Zeichen in Linear B recht nahe kommt, die ich auf der Tafel identifiziert habe. Dreiundneunzig, genau genommen. Zu wenige, um Ideogramme zu sein – obwohl ich vermute, dass es davon einige für besonders gebräuchliche Wörter gibt. Doch es sind zu viele, um rein alphabetisch zu sein.»
«Na prächtig», stellte Muir düster fest. «Wenn das so weitergeht, dürften wir ja in drei Jahren einer Lösung näherkommen.»
«Wobei uns das ohne den Rest dieser gottverdammten Tafel auch nicht wesentlich weiterbringen dürfte.» Jackson schien untypisch gedrückter Stimmung, während er an seinem Hähnchen herumsäbelte. «Wenn dieser dämliche Grieche das Ding gestohlen hat, wer weiß, was dann aus der anderen Hälfte geworden ist?»
«Tatsächlich», sagte Reed, «habe ich da, glaube ich, eine Vermutung.»
Er blickte in die Runde, offenkundig erfreut über die ungläubige Reaktion, die er mit seiner Äußerung erntete.
«Und woher? Sind Sie Sherlock Holmes oder was?», sagte Jackson.
«Ich habe mich eigentlich immer eher in Mycroft wiedererkannt.» Reed hob die Tasche auf, die neben seinem Stuhl am Boden lag, und zog die Tafel heraus, die immer noch in die Serviette gehüllt war, in die er sie am Vorabend eingewickelt hatte. «Fangen wir mit dem an, was wir wissen. Ihrem Schweinehirten zufolge hat Belzig die Tafel in intaktem Zustand gefunden. Dann hat einer seiner Arbeiter sie gestohlen, und sie gelangte irgendwie zu einem Händler in Athen. Als Pemberton sie in dem Laden fand, waren aus der einen Tafel zwei Bruchstücke geworden. Die Tafel ist also irgendwann entzweigebrochen. Oder, noch wahrscheinlicher, jemand hat erkannt, dass die Tafel in zwei Teilen mehr Geld einbringen würde als in einem.»
«Und, was wurde aus der anderen Hälfte?»
Reed legte das Foto direkt neben die Tafel auf den Tisch. «Fällt Ihnen irgendetwas auf?»
Grant, Jackson, Marina und Muir beugten folgsam die Köpfe vor. Das Foto war so verschwommen, dass sich kaum Einzelheiten erkennen ließen.
«Es handelt sich nicht um dasselbe Stück.» Reed ließ die Tragweite seiner Worte kurz wirken. «Das Bruchstück auf dem Foto ist nicht mit dem Stück identisch, das wir in dem Heiligtum auf Kreta gefunden haben.»
«Wie ist es dann …?»
«Beide Stücke müssen sich in dem Laden befunden haben. Das ist jetzt nur eine Vermutung, aber ich würde darauf tippen, dass Pembertons Geld nur für einen Teil reichte. Also hat er den anderen fotografiert.»
«Wieso ist das bisher noch keinem aufgefallen?», fragte Jackson aufgebracht.
Reed zuckte die Achseln. «Es ist ein miserables Foto. Aufgefallen ist mir das bloß, weil ich mich so eingehend mit den Schriftzeichen beschäftigt habe.»
«Bravo.» Jackson und Marina sahen Reed ehrfürchtig an, als wäre er eine Art Zauberer; Muir dagegen schien völlig unbeeindruckt. «Es befanden sich also beide Teile der Tafel in dem Laden, wunderbar. Was uns aber nicht wesentlich weiterbringt, wenn der Inhaber eine Fahrt ohne Wiederkehr nach Auschwitz antreten musste, verdammt. Wer …»
Er verstummte. Ein Kellner in weißer Jacke kam durch das Meer aus Tischen auf sie zugeglitten. Neben Grant neigte er sich hinab und murmelte ihm diskret etwas ins Ohr.
Grant schob seinen Stuhl zurück. «Da verlangt mich offenbar jemand am Telefon zu sprechen.» Er folgte dem Kellner. Vier Blicke – argwöhnisch, neugierig, verwundert, feindselig – folgten ihm hinaus.
Am Empfangstresen stöpselte die diensthabende junge Frau geschickt einen Stecker ins Schaltbrett und reichte ihm den Telefonhörer.
«Mr. Grant?» Die Stimme klang sanft, präzise, dehnte die unvertrauten Silben in die Länge.
«Ja, Grant hier.»
«Hören Sie mir zu. Vor Ihrem Hotel wartet ein Wagen. Ich gebe Ihnen den guten Rat, einzusteigen. Sie haben zwei Minuten.»
«Wer zum Teufel sind Sie?», fragte Grant.
«Jemand, den Sie gerne treffen würden. Als Zeichen meines guten Willens dürfen Sie eine Person mitbringen. Wenn es Sie beruhigt, können Sie auch ruhig Ihre Pistole einstecken, obwohl Sie die nicht brauchen werden. Zwei Minuten», wiederholte die Stimme. Dann klickte es, und die Verbindung war beendet.
Grant winkte einen der Hotelpagen herüber und drückte ihm eine Drachme in die Hand. «Im Speisesaal, ein Tisch mit drei Herren und einer Dame. Richten Sie der Dame aus, sie möchte sofort herkommen.» Für Erklärungen hatte er keine Zeit, schon gar nicht für ein längeres Hin und Her mit Muir und Jackson.
Eine Minute darauf tauchte Marina aus dem Speisesaal auf. Grant musterte sie wohlgefällig. Zum Abendessen hatte sie sich feingemacht – hochhackige Pumps, Nylonstrümpfe, Lippenstift, das volle Programm. Es passte nicht ganz zu ihr, entschied er im Stillen. Während manche Frauen in solcher Aufmachung etwas Unnahbares ausstrahlten, wirkte Marina eher verletzlicher, ein ernsthaftes Mädchen, das darum bemüht war, zu gefallen. Wobei sie aber auf jeden Fall hübsch genug aussah, um lange, sehnsüchtige Blicke von den Anzugträgern und Uniformierten in der Lobby auf sich zu ziehen.
«Worum geht es?»
Grant bot ihr eine Zigarette an, gab ihr Feuer und hakte sich dann bei ihr unter. «Das erkläre ich dir im Wagen.»
«In was für einem Wagen?»
Grant geleitete sie zum Ausgang, wobei er spürte, wie ihnen neugierige Blicke folgten. Der Türsteher öffnete ihnen schwungvoll die Tür, dann gingen sie die Hoteltreppe hinunter. In der Auffahrt, direkt neben einer Zierpalme, stand eine Limousine mit langgezogenem Kühler, schwarz glänzend im Laternenschein und mit leise laufendem Motor.
«So, steigen wir ein.»
Der Wagen war ein Mercedes, besetzt lediglich mit einem Fahrer, der sie wortlos aufforderte, im opulenten Innenraum Platz zu nehmen, und dann die Tür hinter ihnen zuwarf. Als Grant sich auf der Bank zurücklehnte, fühlte er einen Knubbel an der Schulter. Er wandte sich um. Es war ein kleines Loch im Lederbezug, etwa von der Größe einer Kugel Kaliber .38, das wenig sachkundig zugenäht worden war. Grant tastete mit dem Finger darüber. «Sieht aus, als hätte hier schon mal jemand wenig Freude an der Fahrt gehabt.»
Der Wagen trug sie die leere Küstenstraße hinauf. Grant hätte vermutet, dass die Fahrt nach Athen hinein gehen würde, aber der Fahrer folgte stur der Straße, ohne irgendwo abzubiegen. Nach und nach tauchten in der Nacht vor ihnen Lichter auf, sehr weit oben. Erst dachte Grant, es müsse sich um Dörfer an einem Berghang handeln; dann merkte er, dass die Nacht ihm einen Streich gespielt hatte. Sie waren in Piräus angekommen, dem Hafen von Athen, und die an Perlenketten im Himmel erinnernden Lichter gaben die Umrisse von Kränen und gewaltigen Schiffsrümpfen wieder. Grant schaute aus dem Fenster, starrte durch die verriegelten Tore und Stacheldrahtzäune, während sie vorbeifuhren. Es hatte etwas von einer Tour durch ein Museum, mit den Schiffen als Ausstellungsstücken, die grell von Scheinwerfern angestrahlt wurden. Manche lagen still und gespensterhaft da; auf anderen wimmelte es vor Leben, von Hafenarbeitern und Matrosen, die geschäftig wie Ameisen mit dem Löschen der Ladung beschäftigt waren. Vor dem Rumpf eines Frachters hing schlaff ein großes Banner, von Hand in Griechisch und Englisch beschriftet: Lebensmittelhilfe der USA für das patriotische Volk Griechenlands.
Sie bogen von der Hauptstraße ab und fuhren rasant durch eine Folge von Seitenstraßen und Gassen, die immer schmaler wurden, bis der Wagen schließlich anhielt. Grant mutmaßte, dass der Mercedes vielleicht falsch abgebogen war und nicht weiterfahren konnte, doch da war der Fahrer auch schon ausgestiegen und hielt ihnen die Tür auf. Grant hatte gerade noch Zeit, zugenagelte Fenster und an die Mauern gepinselte politische Parolen mit dem Blick zu streifen; dann wurde er auch schon eine feuchtkühle Treppe hinabgeleitet. Die Eingangstür wurde durch ein Metallgitter geschützt – offenbar nicht ohne Grund, den Dellen und Kratzern im Holz nach zu urteilen. Auf einem verwitterten Schild darüber war eine schwarz verhüllte Gestalt zu sehen, die in einer Art Kahn stand. Daneben stand in flackernder Neonschrift das Wort «Xαϱον».
«Charon», übersetzte Marina, obwohl Grant selbst Griechisch lesen konnte. «Der Fährmann in die Unterwelt.»
Eine Welt aus Qualm und Musik prallte Grant entgegen, als er die Tür öffnete. Der Rauch war zum Schneiden dick, eine massive Wolke, die ihnen schwer in die Lunge drang. In dem Rauch war keinerlei Bewegung zu erkennen, wie Nebel hing er unter den Lichtkegeln der niedrig hängenden Lampen. Neben dem beißenden Tabakaroma drang Grant auch der süßliche Duft von Haschisch in die Nase, und als er sich umsah, bemerkte er an fast jedem Tisch im Raum bauchige Wasserpfeifen. Die Gäste, die sich um sie herum drängten, schienen sämtlichen Schichten der griechischen Gesellschaft zu entstammen: feine Damen mit Nerzstolen und Perlenketten, daneben dick mit Rouge geschminkte Mädchen mit billigem Strassschmuck; Männer in Abendgarderobe, in Overalls, in aufgeknöpften Uniformen, in Hemdsärmeln und abgewetzten Westen, sie alle saßen einträchtig um die nargiles herum und ließen den Schlauch der Wasserpfeife von Mund zu Mund wandern. Keiner der Anwesenden schenkte Grant und Marina größere Beachtung.
Auf einer niedrigen Bühne im vorderen Teil des Raumes saß eine fünfköpfige Musikgruppe über ihre Instrumente gebeugt da: ein Geiger, ein Lautenspieler, ein Mann, der eine Trommel unter den Arm geklemmt hatte, und einer, der ein zitherähnliches Instrument auf den Knien hielt wie ein Zigarettentablett. Der Einzige, der das Publikum überhaupt wahrzunehmen schien, war der Sänger, ein schmächtiges Männlein in einem aufgeknöpften schwarzen Hemd, das mit tiefliegenden, tuberkulösen Augen das Mikrophon anstarrte. Den Text konnte Grant nicht verstehen, aber das Lied war sehr melodiös und unglaublich traurig.
Ein Kellner tauchte neben ihnen auf und führte sie in den hinteren Teil des Raums, wo sich an der Wand eine Reihe runder Sitznischen entlangzog. Die meisten waren besetzt mit Gästen, die auf den ledergepolsterten Bänken dicht gedrängt nebeneinandersaßen, eine jedoch, fast am Ende, war nahezu leer. Nur zwei Männer saßen dort: der eine bullig und auffallend muskulös, der andere klein und zierlich, mit streng zurückgekämmten grauen Haaren und penibel gestutztem Bärtchen. Obwohl wesentlich kleiner als sein Begleiter, ging aus seiner Miene und Haltung klar hervor, wer hier wem gehorchte. Er bedeutete Grant und Marina mit einer Handbewegung, gegenüber Platz zu nehmen.
«Mr. Grant.» Er streckte seine rechte Hand über den Tisch; die Linke blieb verborgen, ruhte auf seinem Knie unter dem Tisch. Seine Haut war trocken und wächsern. «Ich bin Elias Molho.»