Karomenya
Auf der Farm lebte ein Knabe von neun Jahren namens Karomenya, der war taub und stumm. Die anderen Kinder fürchteten ihn und beklagten sich, weil er sie schlug. Ich machte die Bekanntschaft Karomenyas, als seine Spielgefährten ihn mit einem Baumast auf den Kopf geschlagen hatten, so daß seine rechte Backe geschwollen und voller eiternder Splitter war, die man mit einer Nadel herausholen mußte. Das war für Karomenya keine so große Qual, als man meinen möchte; denn wenn es ihm auch weh tat, so brachte es ihn doch in Kontakt mit Menschen.
Karomenya hatte eine sehr dunkle Haut, schöne, glänzende schwarze Augen mit dichten Wimpern und einen ernsten, strengen Ausdruck, den kaum je ein Lächeln erhellte. Er hatte etwas von einem kleinen schwarzen Bullen. Er war ein lebensvolles, tatkräftiges Geschöpf, und da ihn keine Sprache mit der Welt verband, wurde ihm der Kampf zum Ausdruck seines Daseins. Er hatte ein besonderes Geschick im Schleudern von Steinen und konnte mit großer Genauigkeit treffen, was er wollte. Eine Zeitlang hatte er Bogen und Pfeile, mit denen gelang es ihm aber nicht so gut; das Gehör für den Klang der Sehne scheint für die Kunst des Bogenschützen unentbehrlich zu sein. Karomenya war stämmig gebaut und sehr stark für sein Alter. Wahrscheinlich hätte er diese Überlegenheit über die anderen Buben nicht gegen die Gabe der Sprache und des Gehörs vertauscht, auf die er, wie mir schien, nicht eben große Stücke hielt.
Karomenya war bei allem Kampfgeist kein unfreundliches Kind. Wenn er merkte, daß man sich ihm zuwandte, erhellte sich gleich sein Gesicht, nicht zu einem Lächeln zwar, aber zu einer bereiten, entschiedenen Wachheit. Karomenya war diebisch und nahm Zucker und Zigaretten, wo er ihrer habhaft werden konnte, verschenkte aber das gestohlene Gut gleich wieder an die anderen Kinder. Ich kam einmal unvermerkt dazu, als er im Mittelpunkt eines Kreises von Buben Zucker austeilte; das war das einzige Mal, daß ich ihn lachen sah.
Eine Zeitlang versuchte ich, Karomenya in der Küche oder im Haus eine Beschäftigung zu geben. Aber er war für nichts Praktisches zu gebrauchen und fand nach kurzer Zeit das Arbeiten langweilig. Am meisten liebte er, schwere Gegenstände zu bewegen und von einem Platz auf den anderen zu schaffen. Meinen Auffahrtsweg entlang waren weißgekalkte Prellsteine aufgestellt. Eines Tages legte ich mit seiner Hilfe einen von den Steinen um und rollte ihn bis in die Nähe des Hauses, um die Auffahrt symmetrisch zu machen. Am nächsten Tag hatte Karomenya in meiner Anwesenheit sämtliche Steine herausgeholt und beim Hause zu einem großen Haufen aufgeschichtet. Ich hätte nie für möglich gehalten, daß ein Geschöpf seiner Größe einer solchen Kraftleistung fähig wäre. Karomenya kannte seinen Platz in der Welt und ließ ihn sich nicht nehmen. Er war taub und stumm, aber er war stark.
Der größte Wunsch Karomenyas war ein Messer; aber ich wagte nicht, ihm eins zu schenken, denn ich dachte, er würde in seiner Sehnsucht nach Kontakt mit Menschen unschwer eins oder mehrere von den Kindern der Farm damit umbringen. Er wird wohl später im Leben eins bekommen haben, sein Verlangen danach war unbezwinglich, und Gott weiß, was alles er damit angestellt hat.
Den tiefsten Eindruck machte es auf Karomenya, als ich ihm eine Pfeife schenkte. Ich hatte sie selbst eine Zeitlang gebraucht, um die Hunde herbeizurufen. Als ich sie ihm zeigte, interessierte sie ihn wenig, als er sie aber nach meiner Anweisung in den Mund steckte und hineinblies und die Hunde von beiden Seiten auf ihn zustürzten, erschrak er heftig, und sein Gesicht verfärbte sich vor Staunen. Er versuchte es noch einmal, sah, daß die Wirkung die gleiche war, und blickte zu mir auf. Als er sich an die Pfeife gewöhnte, wollte er gern herausbringen, wie sie funktionierte. Zu diesem Zweck prüfte er aber nicht die Pfeife selbst, sondern pfiff die Hunde herbei und fing an, sie mit gerunzelten Brauen zu untersuchen, wie um herauszufinden, wo sie verletzt seien. Seit dieser Zeit faßte Karomenya eine große Liebe zu den Hunden und bekam sie öfters gewissermaßen geliehen, um mit ihnen spazierenzugehen. Wenn er mit ihnen auszog, zeigte ich ihm die Stelle am westlichen Himmel, wo die Sonne stehen mußte, wenn er wieder dasein sollte. Er wies in dieselbe Richtung und war immer sehr pünktlich.
Eines Tages, als ich einen Ritt machte, sah ich Karomenya und die Hunde weit weg vom Hause im Massaireservat. Er sah mich nicht, sondern wähnte sich allein und unbeobachtet. Er ließ die Hunde rennen und pfiff sie wieder zurück; dies Manöver wiederholte er drei- oder viermal, indes ich ihm von meinem Pferde aus zuschaute. Hier draußen in der Steppe, wo er keinen Menschen vermutete, gab er sich dem ungeahnten, neuen Lebensgefühl hin.
Er trug seine Pfeife an einer Schnur um den Hals, aber eines Tages hatte er sie nicht mehr. Ich fragte ihn durch Gebärden, wo sie hin sei, und er antwortete ebenso, sie sei weg, verloren. Er bat nie wieder um eine neue Pfeife. Entweder meinte er, es gebe keine zweite Pfeife, oder er wollte nichts mehr mit dieser Art Leben zu tun haben, die ihm eigentlich nicht gemäß war. Ich bin nicht einmal gewiß, ob er nicht selbst seine Pfeife weggeworfen hat, weil er sie mit seinen sonstigen Vorstellungen vom Dasein nicht in Einklang bringen konnte.
In fünf oder sechs Jahren wird Karomenya entweder schwer zu leiden haben oder plötzlich in den Himmel erhoben werden.