Afrikanische Vögel
Zu Beginn der großen Regenzeit, in der letzten Woche des März oder in den ersten Wochen des April, habe ich in den afrikanischen Wäldern die Nachtigall schlagen hören. Ich hörte nicht ihr ganzes Lied, nur einige Töne, den Einsatz des Konzerts, den sie probierte. Es war, als striche jemand mitten im tropfenden Geäst im Baume ein kleines Cello an. Und doch war es die gleiche Melodie und die gleiche schmelzende Süßigkeit, die bald alle Wälder Europas von Sizilien bis Helsingör füllen sollte.
Wir hatten schwarze und weiße Störche in Afrika, dieselben, die in Nordeuropa ihre Nester auf den Dächern der Bauernhöfe bauen. Sie sahen in Afrika nicht so imposant aus wie dort, denn hier hatten sie den Wettbewerb mit den großen gewichtigen Marabus und Kranichgeiern zu bestehen. Die Störche haben in Afrika andere Sitten als in Europa, wo sie paarweise als Eheleute leben und als Symbol des häuslichen Glücks gelten. Hier leben sie in großen Schwärmen beieinander, als geschlossene Gesellschaft, man nennt sie in Afrika Heuschreckenvögel; sie folgen den Heuschrecken auf ihrem Flug über Land und tun sich gütlich an ihnen. Sie fliegen auch über den Steppen, wenn ein Grasbrand ausbricht, und kreisen hoch in der flimmernden, in allen Regenbogenfarben schillernden Luft und im grauen Rauch der vorschreitenden Kette kleiner, hüpfender Flämmchen und lauern auf die Mäuse und Schlangen, die vor dem Feuer flüchten. Die Störche machen sich in Afrika eine lustige Zeit. Aber ihr eigentliches Leben verbringen sie nicht hier, und wenn der Frühlingswind die Sehnsucht nach Paarung und Nestbau aufs neue weckt, kehren sich ihre Herzen wieder dem Norden zu, alte Zeiten und vertraute Orte tauchen in ihrem Gedächtnis auf, und sie fliegen paarweise auf und davon und stelzen schon nach kurzer Zeit in den kalten Sümpfen ihrer Heimat umher.
Auf den Steppen sieht man zu Beginn der Regenzeit, wenn auf den weiten Brandflächen das frische grüne Gras hervorsprießt, viele Hunderte von Regenpfeifern. Die Steppe hat immer etwas von der Stimmung des Meeres, der offene Horizont erinnert an die See und die weiten Dünen, der frei dahinstreichende Wind ist der gleiche, die verkohlten Gräser strömen einen salzigen Geruch aus, und wenn das Gras hoch ist, läuft es wie Wogen über das ganze Land. Wenn die weißen Nelken in der Steppe blühen, erinnern sie an die schaumgekrönten Wellen, die einen umtanzen, wenn man über den Sund kreuzt. Auch die Regenpfeifer haben draußen auf der Steppe etwas von Seevögeln und benehmen sich wie Seevögel am Strande, sie trippeln eine Weile durchs kurze Gras, so rasch sie können, und steigen dann vor der Nase des Pferdes mit hohem, schrillem Kreischen auf, daß der helle Himmel plötzlich voll ist von Schwingen und Vogelstimmen.
Der Kronenkranich, der auf die frisch geeggten und besäten Maisfelder kommt und sich die Maiskörner aus der Erde pickt, macht seine Diebereien doch auch wieder wett, denn er ist ein glückverheißender Vogel, der den Regen ankündet, und er kann tanzen. Wenn die großen Vögel zahlreich beisammen sind, ist es ein schöner Anblick, sie die Flügel spreizen und tanzen zu sehen. Es ist viel Stil in ihrem Tanz und ein wenig Afferei. Denn warum, wenn sie doch fliegen können, springen sie auf und ab, als wären sie durch Magnetismus an die Erde gebannt? Das Ballett hat ein feierliches Gepräge wie ein ritueller Tanz, vielleicht versuchen die Kraniche, Himmel und Erde miteinander zu verbinden wie die geflügelten Engel, die an Jakobs Leiter auf und nieder steigen? Ihre zarte mattgraue Färbung, das kleine schwarze Sammetkäppchen und der fächerförmige Kopfputz verleihen den Kranichen das Aussehen von lichten lebenden Fresken. Wenn sie sich nach dem Tanz emporschwingen und davonziehen, dann geben sie gleichsam zur Bekräftigung des weihevollen Charakters ihrer Pantomime mit den Flügeln einen hellen, klingenden Ton von sich, als hätten Kirchenglocken Flügel entfaltet und flögen davon. Weithin hört man sie dann noch, wenn die Vögel selbst schon im Himmel verschwunden sind, wie ein Geläut aus den Wolken.
Auch die großen Nashornvögel besuchten die Farm; sie kamen, um die Früchte der Kapkastanien zu verzehren. Sie sind sehr sonderbare Vögel, und es ist eine große Begebenheit und ein Erlebnis, sie zu treffen, obzwar kein ganz freudiges, denn sie sehen unheildrohend aus. Eines Morgens wurde ich vor Sonnenaufgang durch ein lautes Geschnatter vor dem Hause aus dem Schlaf geweckt; als ich auf die Terrasse hinaustrat, sah ich einundvierzig Nashornvögel in den Bäumen auf der Wiese sitzen. Sie sahen eigentlich nicht wie Vögel aus, sondern wie ein phantastisches Spielzeug, das ein Kind auf die Zweige gesetzt hatte. Sie waren vollkommen schwarz, von einem leuchtenden, edlen, afrikanischen Schwarz, einer tiefen, in Jahrhunderten eingesogenen Schwärze, wie alter Ruß, an dem man plötzlich begreift, daß eigentlich an Eleganz und Eindringlichkeit und Kraft keine Farbe sich mit Schwarz messen kann. Die Nashornvögel schwatzten höchst vergnüglich miteinander, aber doch mit einer gewählten Gespreiztheit wie Erben nach einem Begräbnis. Die Morgenluft war klar wie Kristall, die düstere Gesellschaft war gebadet in Frische und Sauberkeit, hinter den Bäumen und den Vögeln stieg die Sonne wie eine mattrote Kugel herauf. Man fragt sich beklommen, was für ein Tag wohl kommen mag nach solch einem Morgen.
Die Flamingos sind die zartgefärbtesten aller afrikanischen Vögel, rosig und rot wie ein fliegender Blütenzweig des Oleanderbuschs. Sie haben unvorstellbar lange Beine und bizarre, gezierte Krümmungen der Hälse und Leiber, als gebiete ihnen eine ausgeklügelte, herkömmliche Etikette, alle Bewegungen und Haltungen so unbequem wie möglich zu gestalten.
Ich reiste einmal von Port Said nach Marseille auf einem Schiff, das eine Ladung von hundertundfünfzig Flamingos an Bord hatte, die für den Jardin d’Acclimatisation in Marseille bestimmt waren. Sie steckten in großen schmutzigen Kästen mit leinenbespannten Wänden, je zehn zusammen, eng aneinandergedrückt. Der Wärter, der die Vögel befördern mußte, erzählte mir, er rechne damit, zwanzig Prozent von ihnen auf der Fahrt zu verlieren. Sie waren nicht geschaffen, solch ein Dasein zu ertragen, bei schwerem Seegang verloren sie das Gleichgewicht, brachen sich die Beine und wurden von den anderen Vögeln im Käfig zertrampelt. Nachts, wenn der Wind im Mittelmeer auffrischte und das Schiff mit großen Stößen gegen die Wogen prallte, hörte ich bei jedem Stoß die Flamingos im Dunkeln schreien. Jeden Morgen sah ich den Wärter ein oder zwei tote Vögel heraustragen und über Bord werfen. Die edlen Wächter des Nils, die Brüder der Lotosblüte, die über die Landschaft dahinsegeln wie ein Wölkchen in der Abendröte, waren nun ein schlaffes Bündel von rosa und roten Federn mit zwei langen, dünnen Stöcken daran. Die toten Vögel schwammen noch eine Weile auf dem Meer, hopsten auf und nieder im Kielwasser des Dampfers und versanken.