Große Tänze
Viele Gäste haben die Farm besucht. In Pionierländern ist Gastlichkeit eine Lebensnotwendigkeit nicht nur für die Fremden, sondern für den Siedler selbst. Ein Gast ist ein Freund, er bringt Neuigkeiten, gute oder schlimme, und sie sind Brot für das darbende Gemüt des Einsamen. Kommt ein echter Freund ins Haus, so ist er ein Himmelsbote, der einem das Engelsbrot reicht. Wenn Denys Finch-Hatton nach einer langen Expedition zurückkehrte, hungerte er nach einem Gespräch und fand mich auf der Farm nach Gesprächen hungernd; wir saßen am Abendbrottisch bis in die ersten Morgenstunden und redeten von allen Dingen, die uns in den Sinn kamen, und lachten vor Freude, daß wir ihrer noch Herr waren. Weiße, die lange Zeit allein unter Eingeborenen leben, gewöhnen es sich an, zu sagen, was sie meinen; sie haben ja keinen Grund oder Anlaß, sich zu verstellen, und wenn sie einander wieder begegnen, sprechen sie miteinander wie mit den Schwarzen. Wir dachten uns damals aus, daß die wilden Massai in ihren Manyattas am Fuß der Berge unser Haus leuchten sähen wie einen Stern in der Nacht, so wie die Bauern von Umbrien einst das Haus sahen, in dem der heilige Franz und die heilige Klara sich über göttliche Dinge besprachen. Die größten geselligen Ereignisse auf der Farm waren die Ngomas, die großen Tänze der Eingeborenen. Wir bewirteten dabei fünfzehnhundert oder gar zweitausend Gäste. Freilich war das, was das Haus zum Feste beitrug, recht bescheiden. Wir gaben den alten glatzköpfigen Müttern der tanzenden Nditos – der Jungfrauen – Schnupftabak und den Kindern – wenn sie zu den Tanzereien mitgenommen wurden – etwas Zucker zum Lutschen; Kamante verteilte ihn mit einem hölzernen Löffel. Und manchmal erbat ich beim Bezirkskommissar für meine Squatter die Erlaubnis, Tembo Pombe zu brauen, ein mörderisches Getränk aus Zuckerrohr. Aber die eigentlichen Festveranstalter, die unermüdlichen jungen Tänzer, brachten den Glanz und Prunk der Feier selber mit; sie waren immun gegen alles, was von außen herankam, und hielten sich an die Süßigkeit und Glut in ihrem Inneren. Nur eines forderten sie von der Außenwelt: einen ebenen Platz zum Tanzen. Den gab es bei meinem Hause; die Wiese unter den Bäumen war eben, und der freie Platz im Walde zwischen den Hütten der Boys war auch eingeebnet worden. Darum stand die Farm bei der Jugend des Landes hoch in Ehren, und Einladungen zu meinen Tanzfesten waren sehr geschätzt.
Die Ngomas wurden zuweilen bei Tage abgehalten und zuweilen bei Nacht. Am Tage brauchte eine Ngoma mehr Platz, da lockte sie viele Zuschauer an und mußte darum auf der Wiese stattfinden. Bei den meisten Ngomas stellten sich die Tänzer in einem großen Kreis oder mehreren kleinen Kreisen auf und hüpften mit zurückgeworfenem Kopf auf und nieder oder stampften im Rhythmus den Boden und ließen sich vorwärts auf einen Fuß fallen und rückwärts auf den anderen, oder sie schritten langsam und feierlich seitlich im Kreise herum, das Gesicht der Mitte zugewandt, in der die Vortänzer, aus dem Ring sich lösend, mimten, sprangen und liefen. Eine Tagesngoma hinterließ als Spur auf dem Rasen große und kleinere trockene braune Ringe, als wäre das Gras vom Feuer versengt, und nur langsam verschwanden diese Zauberkreise wieder.
Die großen Tagesngomas hatten mehr den Charakter eines Jahrmarkts als eines Balles. Massen von Zuschauern gesellten sich zu den Tänzern und scharten sich unter den Bäumen. Wenn das Gerücht von einer Ngoma sich weit genug verbreitete, konnten wir sogar die Lebedamen von Nairobi – Malaya ist ihr netter Name auf Suaheli – in großem Staat in Ali Khans Maultierwägelchen herbeikutschieren sehen, eingehüllt in Meter und Meter von lustigem großgemustertem Kattun – wenn sie sich niederließen, sahen sie wie Riesenblumen auf dem Grase aus. Die anständigen Mädchen der Farm in ihren traditionellen geölten und gefetteten ledernen Röcken und Mänteln rückten dicht an sie heran und beredeten unbekümmert ihre Kleider und ihr Gehaben, aber die Stadtschönen schlugen die Beine übereinander, blieben ungerührt wie glasäugige Puppen aus schwarzem Holz und pafften ihre kleinen Zigärrchen. Scharen von Kindern rannten, begeistert von der Tanzerei und begierig, alles zu lernen und nachzumachen, von einem Kreise zum anderen oder sammelten sich am Rand der Wiese, bildeten ihre eigenen Tanzkreise und hüpften auf und nieder.
Wenn die Kikuju zu einer Ngoma gehen, reiben sie sich mit einer Art hellem Rötel ein, der sehr begehrt ist und viel gekauft wird; das gibt ihnen ein seltsam »blondes« Aussehen. Die Farbe existiert sonst nicht in der Tier- oder Pflanzenwelt. Die jungen Leute bekommen etwas Versteinertes, wie in Fels gehauene Statuen. Die Mädchen mit ihren sittsamen, perlengestickten, gelbledernen Gewandungen färben sich und die Kleider mit der Erde und sehen aus, als seien sie eins mit ihnen, bekleidete Statuetten, an denen Bausch und Faltenwurf von kundigen Künstlern zierlich gebildet sind. Die jungen Männer sind bei der Ngoma nackt, legen aber um so größeren Wert auf ihre Frisuren; sie streichen den Rötel auf die Mähnen und Zöpfe und tragen stolz ihre steingemeißelten Köpfe. Während meines letzten Jahres in Afrika hat die Regierung verboten, den Kopf mit Rötel zu bestreichen. Bei beiden Geschlechtern ist die Aufmachung höchst wirkungsvoll: Diamanten und hohe Orden können den Trägern nicht eindeutiger das Gepräge von Gala verleihen. Sieht man von ferne in der Landschaft eine Gruppe rötelbemalter Kikuju auf dem Marsch, so schwingt die Luft von Festlichkeit.
Ein Freilufttanz leidet unter der Unbegrenztheit des Raumes, die Bühne ist viel zu weit für ihn – wo beginnt sie, wo ist sie zu Ende? Die kleinen Gestalten der vielen Tänzer mögen noch so leuchtend gefärbt, mit wallendem Gewoge ganzer Straußenschwänze am Kopf und mit kühnen ritterlichen Hahnenspornen aus Colobusaffenfell an den Knöcheln verziert sein – sie verschwinden doch, verstreut und versprengt unter den gewaltigen Bäumen. Auf dem weiten Schauplatz mit seinen großen und kleinen Ringen von Tänzern, verstreuten Zuschauergruppen und hin und her rennenden Kindern wird das Auge des Beschauers bald hier-, bald dorthin gehetzt. Die ganze Szene hat einige Ähnlichkeit mit alten Bildern, die eine Schlacht von weitem zeigen, wo man auf einer Seite die Kavallerie zur Attacke vorgehen, auf der anderen die Geschütze in Stellung gehen und einzelne Figürchen von Ordonnanzoffizieren kreuz und quer übers Feld galoppieren sieht. Eine Tagesngoma war auch eine höchst geräuschvolle Angelegenheit. Die Tanzmusik der Flöten und Trommeln ertrank zuweilen im Gebrüll der Zuschauer, und die Tanzmädchen selber stießen seltsame, langgedehnte, schrille Schreie aus, wenn bei einer bestimmten Tanztour der Männer ein Moran einen Sprung oder einen Speerschwung überm Kopf besonders prächtig vollführte. Ein unablässig plätschernder Strom von Geplauder entquoll den Scharen der Alten auf dem Rasen. Es war lustig, die alten zechenden Kikujuweiber zu beobachten, die, mit einer Kalebasse zwischen sich, in munteren Reden sich ergießend, die alten Tage wieder aufleben ließen, da sie noch selber im Ring der Tänzer mitgehüpft waren; die alten Gesichter wurden im Laufe des Nachmittags immer leuchtender vor Glück, je tiefer die Sonne sank und mit ihr auch die Tembo Pombe in der Kalebasse. Manches Mal, wenn sich zu einer der Gruppen ein alter Ehemann gesellte, wurde eines der Weiber so hingerissen von den Erinnerungen an die Tage der Jugend, daß sie torkelnd sich erhob und händeklatschend ein paar Laufschritte nach alter Ndito-Art vollführte. Die Masse achtete ihrer nicht, nur der kleine Kreis ihrer Zeitgenossen spendete begeistert Beifall.
Die nächtlichen Ngomas dagegen waren auf einen ernsten Ton gestellt. Sie wurden nur im Herbst abgehalten, wenn der Mais geerntet war, und nur bei Vollmond. Ich glaube nicht, daß sie für die Leute eine religiöse Bedeutung hatten; doch mögen sie früher eine solche gehabt haben: das Gehaben der Tänzer und der Zuschauer hatte etwas Geheimnisvolles und Weihevolles. Diese Tänze mögen tausend Jahr alt sein. Einige davon, auf die die Mütter und Großmütter der Tänzer besonderen Wert legten, wurden von den Siedlern für anstößig gehalten und aus diesem Grunde gesetzlich verboten. Einmal, als ich von einer Ferienreise nach Europa zurückkehrte, waren fünfundzwanzig meiner jungen Krieger mitten in der besten Kaffee-Erntezeit von meinem Verwalter ins Gefängnis eingeliefert worden, weil sie bei einer nächtlichen Ngoma auf der Farm einen verbotenen Tanz aufgeführt hatten. Mein Verwalter teilte mir mit, der Tanz sei für seine Frau ein Ärgernis gewesen. Ich schalt die Ältesten der Squatter, daß sie ihre Ngoma bei dem Hause des Verwalters abgehalten hatten, aber sie klärten mich auf, es sei bei Kathegos Manyatta, vier oder fünf Meilen entfernt, getanzt worden. Ich mußte nach Nairobi fahren und die Sache mit unserem Bezirkskommissar besprechen, der die ganze Tanzgesellschaft wieder zum Kaffeepflücken auf die Farm entließ.
Ein nächtlicher Tanz war ein schönes Schauspiel. Da war man nicht im Zweifel über den Umkreis der Bühne, er wurde von den Feuern gebildet und dehnte sich so weit, als das Licht leuchtete, ja, das Feuer selbst war das tragende Element der Ngoma. Es war zum Tanzen an sich nicht erforderlich, denn der Mondschein ist im afrikanischen Hochland wunderbar klar und weiß; es diente dazu, eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Es verwandelte den Tanzplatz eigentlich erst in eine Bühne, es verschmolz alle Farben und Bewegungen zu einer Einheit.
Die Schwarzen übertreiben einen Effekt nur selten. Sie entfachten keine riesigen Scheiterhaufen. Das Brennholz wurde am Tage vorher von den Squatterweibern der Farm zusammengetragen, die sich wohl als die Gastgeberinnen der Veranstaltung fühlten, und wurde auf dem Tanzplatz in der Mitte des Kreises aufgestapelt. Die alten Weiber, die dem Tanzfest die Ehre ihrer Gegenwart erwiesen, nahmen nachts ihre Plätze um den Stapel in der Mitte ein und unterhielten von da aus einen Kreis von kleinen Feuern, wie einen Sternenkranz, die ganze Nacht hindurch. Die Tänzer dagegen sprangen und liefen außen um das Feuer herum, das nächtliche Dunkel des Waldes im Rücken. Der Platz mußte ziemlich groß sein, damit die Hitze und der Rauch den alten Zuschauern nicht in die Augen ging. Aber er war immerhin ein eingefriedeter Raum, wie ein großes Haus für alle, die darinnen waren.
Schwarze haben kein Verständnis für Kontraste, die Nabelschnur zur Natur ist bei ihnen nicht ganz zerschnitten. Sie hielten ihre Ngomas nur bei Vollmond ab. Wenn der Mond sein Bestes hergab, taten sie das Ihre dazu. Indes die Landschaft badete im sanften mächtigen Licht des Himmels, fügten sie zu der großen Illumination über Afrika ihren kleinen rotglühenden Schein.
Die Gäste trafen in kleinen Gruppen ein, zu dreien oder auch zu zwölf oder fünfzehn – wie sich eben die Freunde verabredet oder unterwegs zueinander gesellt hatten. Viele von diesen Tänzern wanderten fünfzehn Meilen weit her, um an der Ngoma teilzunehmen. Wenn sie zu mehreren reisten, brachten sie ihre Flöten und Trommeln mit, so daß in der Nacht eines großen Tanzes alle Straßen und Wege im Lande von Musik erklangen und erdröhnten, als würde vor dem Angesicht des Mondes ein riesiges Schellenspiel gerührt. Am Eingang zum Tanzplatz hielten die wandernden Gruppen inne und warteten, bis ihnen der Ring geöffnet wurde; kamen sie von weit her oder waren es Söhne großer Nachbarhäuptlinge, so wurden sie bisweilen von einem der alten Squatterweiber oder von den führenden Tänzern oder von den Tanzordnern hereingeholt.
Die Ordner der Ngoma waren junge Männer von der Farm, wie die anderen, nur hatten sie für die Einhaltung der Zeremonien des Tanzes Sorge zu tragen und taten sich auf ihre Würde viel zugute. Bevor der Tanz begann, stolzierten sie mit gerunzelten Brauen und strengen Mienen vor den Reihen der Tänzer auf und nieder und rannten, wenn der Kreis in Bewegung geriet, vom einen Ende zum anderen, um darüber zu wachen, daß alles nach Fug geschah. Sie schwangen eine wirksame Waffe, Bündel von Stäben, die sie an einem Ende brennend erhielten, indem sie sie von Zeit zu Zeit ins Feuer steckten. Sie hatten ein scharfes Auge auf die Tänzer, und sowie sie gewahr wurden, daß etwas Ungehöriges geschah, griffen sie sofort ein: mit schrecklichen Mienen und wildem Gebrüll schleuderten sie das ganze Bündel, mit dem brennenden Ende voraus, gegen den Leib des Übeltäters. Man konnte die Opfer unterm Streich zusammenknicken sehen, doch gaben sie nie einen Laut von sich. Es galt wohl nicht als ehrlos, mit Brandwunden von der Ngoma heimzukehren.
Bei einem der Tänze standen die Mädchen in sittsamer Haltung auf den Füßen der jungen Krieger und faßten sie mit den Händen um die Hüften, während die jungen Leute die Arme an dem Kopf der Mädchen vorbei vorstreckten und mit beiden Händen ihren Speer hielten, den sie von Zeit zu Zeit emporhoben und mit aller Wucht in den Boden stießen. Es gab ein hübsches Bild, als hätten die jungen Frauen der Sippe vor irgendeiner großen Gefahr an der Brust ihrer Männer Zuflucht gesucht und als schützten die Männer sie, indem sie sie auf ihren Füßen stehen ließen, vor Schlangen oder sonstigen Gefahren aus der Tiefe. Der Tanz dauerte stundenlang, und die Gesichter der Tänzer nahmen den Ausdruck engelhafter Entrücktheit an, als wären sie wahrhaftig alle bereit, füreinander zu sterben.
Es gab andere Tänze, bei denen die Tänzer zwischen den Feuern hinein- und wieder herausrannten und ein Vortänzer mehrmals sehr hohe Sprünge und Sätze vollführte und viele Speere geschwungen wurden; der Grundgedanke war, glaube ich, eine Löwenjagd.
Bei der Ngoma wirkten außer den Flöten und Trommeln auch Sänger mit. Manche von den Sängern waren weithin im Lande berühmt und wurden von fern hergeholt. Ihr Gesang war mehr ein rhythmisches Rezitieren als ein Singen. Sie waren Improvisatoren und machten ihre Balladen aus dem Stegreif, der Chor der Tänzer war wendig genug, rechtzeitig einzufallen. Es war reizvoll anzuhören, wie die einzelne weiche Stimme sich in den Nachthimmel erhob und ihr in regelmäßiger Folge der rhythmische Ruf der vielen jungen Stimmen antwortete. Aber da der Gesang die ganze Nacht fortging, von Zeit zu Zeit von den einfallenden Trommeln wirksam gesteigert, so wurde er mit der Zeit lähmend eintönig und zugleich seltsam aufreizend, als würde man weder ertragen, ihn noch einen Augenblick länger forttönen, noch, ihn verstummen zu hören.
Der berühmteste Sänger meiner Zeit kam von Dagoretti. Er hatte eine klare starke Stimme und war zudem selbst ein großer Tänzer. Beim Singen ging oder lief er im Inneren des Tanzringes mit langen gleitenden Schritten umher, bei jeder Bewegung halb hinkniend, die eine Handfläche an den Mundwinkel angelegt. Das geschah sicher, um den Schall zu verstärken, aber es wirkte so, als hätte er den Versammelten ein gefährliches Geheimnis anzuvertrauen. Er sah aus wie das leibhaftige Echo von Afrika. Er wußte bei seinen Zuhörern, je nach seinem Willen, eine heitere Stimmung oder kriegerische Begeisterung oder wahre Salven von Gelächter zu wecken. Er kannte ein prachtvolles Lied, einen Kriegsgesang, bei dem der Sänger, gleichsam von Dorf zu Dorf rennend, das Volk zum Kampf aufruft und ihm das Gemetzel und die Beute schildert. Vor hundert Jahren wäre den weißen Einwanderern bei diesem Lied das Blut in den Adern geronnen. Aber meistens gab er sich nicht so schreckenerregend. Eines Nachts sang er drei Lieder, und ich bat Kamante, sie mir zu übersetzen. Das erste war eine Phantasie; die Tanzgesellschaft erbeutete sich ein Schiff, und man segelte zusammen nach Ulaya. Das zweite wurde, wie Kamante mir erklärte, zum Ruhm der alten Weiber gesungen, der Mütter und Großmütter des Sängers und der Tänzer. Dies Lied hatte für mich etwas besonders Rührendes; es war lang und schien aufs genaueste die Weisheit und Güte der zahnlosen glatzköpfigen alten Kikujuweiber zu schildern, die um den Holzstoß in der Mitte des Kreises saßen und mit den Köpfen nickten. Das dritte Lied war kurz, löste aber so laute Lachsalven aus, daß der Sänger seine Stimme schrill erheben mußte, um sie zu übertönen, und selber beim Singen lachte. Die alten Weiber, die nun schon in der besten Laune waren, klatschten sich auf die Schenkel und sperrten die Mäuler auf wie Krokodile. Kamante war außerstande, mir den Text zu sagen; er behauptete, es sei Unsinn, und gab mir nur eine verkürzte Fassung. Das Thema war sehr einfach: Wegen einer Pestepidemie hatte die Regierung einen Preis auf jede tote Ratte ausgesetzt, die dem Bezirkskommissar geliefert wurde; in dem Liede wurde beschrieben, wie die Ratten, von allen Seiten gehetzt, in den Betten der alten und jungen Weiber Zuflucht suchten und was ihnen daselbst passierte. Die Einzelheiten, die mir jedoch vorenthalten wurden, müssen sehr lustig gewesen sein, sogar Kamante konnte sich beim Übersetzen eines säuerlichen Lächelns nicht enthalten.
Bei einer der nächtlichen Ngomas ereignete sich ein dramatischer Vorfall. Die Ngoma war eine Abschiedsfeier, die kurz vor meiner Europareise veranstaltet wurde. Wir hatten ein gutes Jahr hinter uns, und das Fest war groß aufgemacht; an die fünfzehnhundert Kikuju waren gekommen. Der Tanz hatte schon einige Stunden gedauert, als ich aus dem Hause trat, um noch eine Weile zuzuschauen, ehe ich zu Bett ging; man hatte mir einen Sessel vor eine der Gesindehütten gerückt, und ein paar alte Squatter sorgten für meine Unterhaltung.
Plötzlich lief durch den Ring der Tänzer eine Welle der Erregung, eine Überraschung oder Besorgnis, ein seltsames Rauschen, als bliese der Wind durch ein Schilfröhricht. Der Tanz verlangsamte sich mehr und mehr, wurde aber nicht abgebrochen. Ich fragte einen der alten Männer, was los sei. Er antwortete rasch mit leiser Stimme: »Massai wana kuja« – die Massai kommen.
Ein Läufer mußte die Nachricht gebracht haben, denn es verrann eine geraume Weile, ehe etwas Weiteres geschah; wahrscheinlich hatten die Kikuju Botschaft zurückgeschickt, die Gäste würden empfangen werden. Es war den Massai verboten, zu einer Ngoma der Kikuju zu kommen; zu viele Mißhelligkeiten waren schon aus derlei Besuchen erwachsen. Meine Hausboys kamen heran und stellten sich bei meinem Stuhl auf; alles blickte auf den Eingang des Tanzplatzes. Als die Massai hereintraten, hörte der Tanz auf.
Zwölf junge Massaikrieger erschienen im Ring, taten einige Schritte und blieben stehen; sie sahen nicht nach rechts und nicht nach links, blinzelten nur vor sich ins Feuer. Bis auf ihre Waffen und ihren prunkvollen Kopfputz waren sie nackt, einer hatte die Kopfzier aus Löwenfell auf, die der Moran im Kriege trägt. Ein breiter Streifen Scharlachrot zog sich von den Knien bis zum Fuß hinab, als rinne ihnen Blut die Beine entlang. Sie standen aufrecht, steifbeinig, mit zurückgeworfenen Köpfen stumm und todernst da; ihre Gebärden waren zugleich die von Eroberern und von Gefangenen. Man spürte, daß sie wider Willen zu der Ngoma gekommen waren. Das dumpfe Trommelschlagen war bis ins Reservat hinübergedrungen; es hatte fort und fort gedröhnt und die Herzen der jungen Krieger drüben erregt; die zwölf hatten nicht vermocht, dem Ruf zu widerstehen.
Auch die Kikuju waren tief erregt, aber sie nahmen ihre Gäste geziemend auf. Der Vortänzer der Farm führte sie in den Tanzring, wo sie in tiefem Schweigen Platz nahmen, und die Ngoma begann aufs neue. Es war aber nicht mehr die gleiche wie vorher, die Luft war geladen. Die Trommeln dröhnten lauter und in rascherem Takt. Hätte die Ngoma ihren Fortgang genommen, wir hätten gewiß großartige Kunststücke zu sehen bekommen; die Kikuju hätten ihr Bestes hergegeben, den Massai ihre Kraft und Gewandtheit im Tanzen zu zeigen. Aber es kam nicht dazu: es gibt Dinge, die lassen sich nicht erzwingen, wenn auch alles voll des besten Willens ist.
Was geschah, weiß ich nicht. Plötzlich schwankte der Ring und riß entzwei, ein gellender Schrei ertönte, in wenigen Sekunden war der ganze Platz vor uns eine einzige Masse rennender und drängender Menschen. Schläge klatschten, Körper fielen zu Boden, und hoch über den Köpfen blitzte ein Gewoge von Speeren. Wir sprangen alle auf, sogar die weisen Alten in der Mitte krabbelten auf ihren Holzstoß, um zu sehen, was vor sich ging.
Als sich die Bewegung legte und die stürmische Menge sich wieder teilte, fand ich mich im Mittelpunkt des Schwarmes, von einem kleinen freien Raum umhegt. Zwei von den alten Squattern traten auf mich zu und erklärten mir zögernd, was geschehen war – wie die Massai Gesetz und Ordnung gestört hätten und wie die Dinge jetzt lägen: ein Massai und drei Kikuju waren schwer verwundet, »in Stücke gehauen«, wie sie sagten. Ob ich wohl nun, fuhren sie fort, bereit sei, sie wieder zusammenzunähen? Sonst würden sie alle noch viel Verdruß vom Serkali zu gewärtigen haben. Ich fragte den alten Mann, was denn den Kriegern abgehauen worden sei. »Der Kopf«, erwiderte er stolz mit dem Instinkt des Schwarzen, aus einer Katastrophe das Äußerste herauszuholen. Gleichzeitig kam auch schon Kamante über den Platz und brachte eine lang eingefädelte Stopfnadel und meinen Fingerhut. Ich zögerte noch, da kam mir der alte Ereri zuvor. Er hatte sieben Jahre im Gefängnis gesessen und dabei das Schneidern gelernt. Er schien schon gelauert zu haben auf eine Gelegenheit, seine Kunst zu üben und vorzuführen; er übernahm die Operation und wurde sogleich zum Mittelpunkt des Interesses. Es gelang ihm auch, die Wunden zu flicken, die Patienten genasen unter seinen Händen, und er bildete sich später nicht wenig auf seine Leistung ein. Kamante teilte mir allerdings im Vertrauen mit, die Köpfe seien nicht abgeschlagen gewesen.
Da die Anwesenheit der Massai bei dem Tanze gesetzwidrig war, mußten wir lange Zeit den verwundeten Massai in der Gast-Gesindehütte verbergen. Er erholte sich und verschwand schließlich eines Tages, ohne Ereri mit einem Wort zu danken. Es ist, glaube ich, eine harte Zumutung für einen Massai, von einem Kikuju verwundet und geheilt zu werden.
Als die Nacht der Ngoma sich dem Ende zuneigte und ich nochmals hinausging, um nach den Verwundeten zu fragen, sah ich im grauen Morgenschein noch immer die schwelenden Feuer. Einige junge Kikuju machten sich an ihnen zu schaffen, sprangen herum und steckten lange Scheite in die Glut; ein uraltes Squatterweib befehligte sie, die Mutter Wainainas. Sie veranstalteten einen Zauber, der die Massai unfähig machen sollte, bei den Kikujumädchen in der Liebe Erfolg zu haben.