Die Ochsen
Der Samstagnachmittag war eine gesegnete Zeit auf der Farm. Vor allem war einmal bis Montagnachmittag keine Post zu erwarten, keine ablenkenden Geschäftsbriefe konnten uns erreichen; diese Gewißheit allein umfriedete schon unseren ganzen Bereich wie ein Bollwerk. Und dann sah alles dem Sonntag entgegen, an dem man den ganzen Tag ruhen oder spielen durfte, an dem der Squatter sein eigenes Land bebauen konnte. Der Gedanke an die Ochsen freute mich am Samstag mehr als alles andere. Ich ging gewöhnlich gegen sechs Uhr an ihre Hürde, wenn sie sich nach der Tagesmühe einfanden, um einige Stunden geruhsam zu grasen. Morgen, sagte ich mir, brauchen sie den ganzen Tag nichts zu tun, als zu grasen.
Wir hatten hundertzweiunddreißig Ochsen auf der Farm, also acht Arbeitsgespanne und etliche Reserveochsen. Da kamen sie nun im goldenen Dunst der Abendröte in einer langen Reihe über die Steppe gewandert, geruhsam wie alles, was sie taten, indes ich geruhsam auf dem Zaun der Hürde saß, friedlich eine Zigarette rauchte und ihnen zuschaute. Da kamen Nyose, Saa-Sita und Faru und Mzungu, was soviel heißt wie »weißer Mann«. Die Treiber geben ihren Zugtieren oft Namen von Weißen; Delamere ist ein gebräuchlicher Name für Ochsen. Und da kam Malinda, der große gelbe Ochse, den ich von der ganzen Schar am liebsten hatte; sein Fell war seltsam gezeichnet mit einem Schattenmuster wie ein Seestern; davon hatte er wohl auch seinen Namen, denn Malinda ist ein Weiberrock.
So wie in kultivierten Ländern alle Menschen ein chronisches schlechtes Gewissen gegen die Armen haben und sich unbehaglich fühlen, sowie sie an sie denken, so hat man in Afrika ein schlechtes Gewissen und fühlt einen Stich, wenn man an die Ochsen denkt. Aber für die Ochsen auf der Farm hatte ich ein Gefühl, wie es wohl ein König für seine Armen haben mag: Ihr seid ich, und ich bin ihr.
Die Ochsen haben in Afrika die schwere Last des Fortschritts der europäischen Kultur geschleppt. Überall, wo Urland aufgebrochen wurde, haben sie es aufgebrochen, keuchend und knietief im Boden vor den Pflügen stampfend, über sich die langen Peitschen in der Luft. Überall, wo eine Straße gebaut wurde, haben sie sie gebaut, unterm Kreischen und Brüllen der Treiber, Fährten folgend im Staub und langen Gras der Steppen, wo vordem niemals Straßen waren. Vor Tagesanbruch sind sie ins Joch gespannt worden, haben hügelauf und -ab geschwitzt, durch Dungas und durchs Geröll der Flußbetten, die glühenden Stunden des Tages lang. Die Peitschen haben sich ihren Flanken eingeprägt, und oft sieht man Ochsen, denen ein Auge oder beide von den langen schneidenden Peitschenriemen ausgeschlagen sind. Die Zugochsen vieler indischer und weißer Unternehmer arbeiteten Tag für Tag ihr Leben lang und kannten keinen Sabbat.
Seltsam ist die Verwandlung, die sich an einem Ochsen vollzieht. Der Bulle ist in einer beständigen Wallung des Zornes, er rollt die Augen, wühlt die Erde auf, wütet über alles, was in seinen Gesichtskreis tritt – aber er hat ein Eigenleben, Feuer quillt aus seinen Nüstern und Fruchtbarkeit aus seinen Lenden, seine Tage sind erfüllt von Lebensgier und -Sättigung. All dies haben wir dem Ochsen geraubt und sein Dasein in unseren Dienst gezwungen. Die Ochsen ziehen mit uns durchs tägliche Leben, immerfort mühsam schleppend, sie sind Geschöpfe ohne Leben, Dinge, die unserem Nutzen dienen. Sie haben feuchte, zaghafte, violette Augen, weiche Muskeln, seidige Ohren, sie sind geduldig und stur in ihrem ganzen Gehaben, zuweilen schauen sie aus, als dächten sie über etwas nach.
Es gab zu meiner Zeit ein Gesetz, wonach auf keiner Straße ein Wagen oder Karren ohne Bremse gefahren werden durfte; die Wagenführer sollten auf all den langen Bergstrecken abwärts die Bremsen anziehen. Aber das Gesetz wurde nicht befolgt, die Hälfte der Wagen und Karren auf den Landstraßen hatte keine Bremsen, und an den übrigen wurden die Bremsen nur selten gebraucht. Das machte den Ochsen die Talfahrt zur Qual. Sie mußten die schwerbeladenen Wagen mit ihrer Leibeskraft aufhalten, sie legten unter der Schwere der Last ihre Köpfe zurück, daß die Hörner den Buckel auf dem Rücken berührten, ihre Flanken flogen wie Blasebälge. Ich habe oft die Fuhren der Holzhändler auf der Ngongstraße nach Nairobi in langer Kette, wie eine kriechende Riesenraupe, im Schritt durchs Waldreservat bergab fahren sehen, die Ochsen im Zickzack taumelnd voran. Ich habe die Ochsen auch straucheln und am Fuß des Berges unter der Last der Fuhren hinstürzen sehen.
So ist das Leben, dachten die Ochsen, so unvollkommen ist nun einmal die Welt. Hart ist es, sehr hart. Man muß es tragen, es hilft nichts. Es ist eine schrecklich mühsame Sache, einen Wagen bergab zu fahren, da geht es um Leben und Tod. Es gibt keine Rettung.
Hätten die feisten Inder von Nairobi, denen die Wagen gehörten, sich bequemt, zwei Rupien zu opfern und ihre Bremsen richten zu lassen, oder hätten die faulen, jungen schwarzen Treiber, die auf den beladenen Fuhren thronten, sich dazu verstanden, abzusteigen und die Bremsen anzulegen, ja, dann hätte es Rettung gegeben, dann wären die Ochsen ruhig den Berg hinabgegangen. Aber die Ochsen wußten das nicht und kämpften Tag für Tag ihren heldenhaften, verzweifelten Kampf gegen die Unzulänglichkeiten der Welt.