Farah und der Kaufmann von Venedig

Einmal schrieb mir ein Freund aus der Heimat und schilderte mir eine Neuinszenierung des »Kaufmanns von Venedig«. Abends, als ich den Brief nochmals überlas, wurde mir das Stück lebendig, seine Gestalten erfüllten das Haus, so daß ich Farah hereinrief, um mit ihm davon zu reden, und ihm die Handlung der Komödie erzählte.

Farah liebte, wie alle Menschen arabischen Geblütes, Geschichten zu hören; aber nur, wenn er sicher wußte, daß er und ich allein im Hause waren, ließ er sich herbei, mir zuzuhören. Erst wenn die Hausboys sich in ihre Hütten verzogen hatten und ein Vorübergehender, der etwa ins Fenster schaute, hätte meinen können, er und ich besprächen Fragen des Haushalts, erst dann konnte ich erzählen; er stand reglos am Ende des Tisches, seine ernsten Augen auf mein Gesicht gerichtet, und hörte zu. Farah verfolgte mit höchster Aufmerksamkeit den Handel zwischen Antonio, Bassanio und Shylock. Das war ein verwickeltes Geschäft, etwas aus dem Randgebiet des Rechts, so ganz etwas nach dem Herzen eines Somali. Er fragte mich Genaueres über die Klausel von dem einen Pfund Fleisch, sie erschien ihm freilich etwas ungewöhnlich, aber nicht unmöglich, nichts, worauf Menschen nicht verfallen konnten. Als die Geschichte nach Blut zu riechen begann, stieg sein Interesse. Als Portia die Bühne betrat, spitzte er die Ohren, ich kann mir denken, wie er sich eine Frau seines Stammes vorstellte, eine aufgetakelte Fatima, kundig und bestrickend, gerüstet, den Mann zu übermannen. Kein Farbiger ergreift Partei in einer Geschichte, sein Interesse richtet sich auf das kunstreiche Gewebe der Handlung, und der Somali, der im wirklichen Leben über feinen Sinn für Werte und über die Gabe der Entrüstung verfügt, entschlägt sich ihrer für die Dauer einer Erzählung. Aber hier war Farah mit all seiner Sympathie auf selten Shylocks, der seinen Schein präsentiert, seine Niederlage empörte ihn.

»Was«, sagte er, »der Jude gab seinen Anspruch auf? Das hätte er nicht tun sollen. Das Fleisch gebührte ihm, es war wenig genug, was er für sein vieles Geld bekam.« – »Was blieb ihm denn anderes übrig«, warf ich ein, »er durfte doch keinen Tropfen Blut vergießen.« – »Memsahib«, sagte Farah, »er hätte ein rotglühendes Messer nehmen können. Da fließt kein Blut.« – »Aber er durfte doch auch nicht mehr und nicht weniger als ein Pfund Fleisch nehmen«, erwiderte ich. »Wen hätte das geschreckt?« meinte Farah. »Ausgerechnet einen Juden? Er hätte doch Scheibchen für Scheibchen abschneiden können, mit einer feinen Waage in der Hand, bis es genau ein Pfund war. Ja, hatte denn der Jude keine Freunde, die ihm rieten?« Alle Somali haben etwas ungeheuer Dramatisches in ihren Gebärden. Farah bekam durch eine kleine Änderung der Miene und Haltung etwas Bedrohliches, als stünde er wirklich vor dem Gerichtshof von Venedig, seinem Freund oder Klienten Shylock gegen den Haufen von Antonios Freunden und den Dogen von Venedig selber den Nacken zu steifen. Seine Blicke maßen funkelnd die Gestalt des Kaufmanns vor ihm, der schon die nackte Brust dem Messer bot. »Schau, Memsahib«, sagte er, »feine Scheibchen hätte er schneiden müssen, ganz dünn. Er hätte dem Manne viel Pein bereiten können, bis sein Pfund Fleisch voll war.« Ich sagte: »Aber in der Geschichte gab der Jude auf« – »Das war jammerschade, Memsahib«, sagte Farah.