Das Erdbeben
Einmal, um die Weihnachtszeit, hatten wir ein Erdbeben; es war so stark, daß ein paar Eingeborenenhütten einfielen, was etwa der Kraft eines zornigen Elefanten entspricht. Es kam in drei Stößen, jeder dauerte einige Sekunden, mit Pause von einigen Sekunden dazwischen. In den Pausen hatten die Menschen Zeit, sich klarzumachen, was geschah.
Denys Finch-Hatton, der damals auf der Fahrt im Massaireservat war und auf seinem Lastauto schlief, erzählte mir später, als er beim ersten Stoß aufgewacht sei, habe er gedacht: Ein Nashorn ist unter den Wagen geraten.
Ich war in meinem Schlafzimmer und ging zu Bett, als das Erdbeben kam. Bei der ersten Erschütterung dachte ich: Ein Leopard ist aufs Dach gesprungen. Als der zweite Stoß kam, dachte ich: Ich werde sterben, so muß es sein, zu sterben. Aber in der kurzen Stille zwischen dem zweiten und dem dritten Stoß begriff ich, was es war. Es war ein Erdbeben, und ich hatte nicht gedacht, daß ich je eines erleben würde. Einen Augenblick lang meinte ich dann, das Erdbeben sei zu Ende. Aber als der dritte und letzte Stoß kam, überfiel mich ein so mächtiges Gefühl von Freude, daß ich mich nicht erinnern kann, in meinem Leben so plötzlich und vollkommen hingerissen gewesen zu sein.
Die himmlischen Körper besitzen die Macht, den menschlichen Geist auf ungeahnte Höhen des Entzückens zu versetzen. Wir sind uns ihrer nicht jederzeit bewußt, aber wenn sie uns plötzlich an ihr Dasein erinnern und in Erscheinung treten, eröffnen sie uns Vorstellungen von unerhörter Weite. Kepler beschreibt seine Gefühle, als er nach jahrelanger Arbeit das Gesetz der Bewegung der Planeten fand: »Ich gebe mich meiner Wonne hin. Der Würfel ist gefallen. Nichts, was ich je fühlte, ist diesem Augenblick gleich. Ich zittere, mein Blut pocht. Gott hat sechstausend Jahre gewartet, ehe einer da war, sein Werk zu bewundern. Seine Weisheit ist unendlich, alles, was wir nicht wissen, ist darinnen, und das wenige, was wir wissen.«
Solch ein Entzücken war es, das mich befiel und mich erschütterte, als ich das Erdbeben spürte.
Das Übermaß von Freude rührte hauptsächlich daher, daß etwas, was einem für unbeweglich galt, die Macht hatte, sich selbst zu bewegen. Das ist wohl eins der stärksten Erlebnisse von Glück und Hoffnung in der Welt, die sture Kugel, die tote Masse, die Erde selbst hebt und reckt sich unter mir. Sie hat mir eine Botschaft gesandt, nur eine zarte Berührung, aber von unermeßlicher Bedeutung. Sie hat gelacht, daß die Hütten der Eingeborenen einfielen, und gerufen: »E pur si muove.«
Am nächsten Morgen in der Frühe brachte mir Juma meinen Tee und sagte: »Der König von England ist gestorben.« Ich fragte ihn, woher er das wisse. »Hast du nicht gespürt, Memsahib«, sagte er, »wie die Erde gestern abend gebebt und gestoßen hat? Das bedeutet, daß der König von England gestorben ist.« Aber der König von England hat Gott sei Dank noch viele Jahre nach dem Erdbeben gelebt.