Schwingen

Denys Finch-Hatton hatte in Afrika kein Heim außer der Farm; auf ihr lebte er zwischen seinen Safaris, hier hatte er seine Bücher und sein Grammophon. Wenn er zur Farm zurückkehrte, hieß sie ihn in ihrer Sprache willkommen, der Sprache, deren eine Kaffeepflanzung fähig ist, wenn die ersten Regenschauer sie mit Blüten überschütten wie mit einer kreidigen Wolke. Wenn ich Denys zurückerwartete und seinen Wagen den Weg heraufkommen hörte, fingen alle Dinge auf der Farm zu reden an und sagten, wes Wesens sie seien. Er war auf der Farm glücklich; er kam nur zu ihr, wenn er gern kam, und sie liebte an ihm eine Tugend, die die übrige Welt nicht merkte, seine Demut. Er tat nur, was er tun wollte, und nichts Gemeines kam über seine Lippen.

Denys hatte eine Eigenschaft, die viel für mich bedeutete, er liebte, Geschichten erzählen zu hören. Denn ich war immer der Meinung, daß ich in den Tagen der Pest in Florenz eine gute Figur gemacht hätte. Die Mode hat gewechselt, und die Kunst, einem Erzähler zu lauschen, ist in Europa verlorengegangen. Die Eingeborenen in Afrika, die nicht lesen können, haben sie noch bewahrt, und wenn man zu ihnen sagt: »Es war einmal ein Mann, der ging hinaus auf die Steppe und traf dort einen anderen Mann …«, dann hat man sie alle gewonnen, und ihr Geist begibt sich auf den unbekannten Pfad der Männer in der Steppe. Weiße dagegen – auch wenn sie meinen, sie sollten es können – verstehen nicht zuzuhören. Entweder werden sie zappelig, und es fällt ihnen etwas ein, was sofort gemacht werden muß, oder sie schlafen ein. Die gleichen Leute bitten einen dann um Lektüre und können einen ganzen Abend lang vor gedruckten Worten sitzen, sie können sogar eine Rede lesen. So sehr sind sie gewöhnt, ihre Eindrücke mit den Augen aufzunehmen.

Denys, der stark mit dem Ohr lebte, war es lieber, eine Geschichte zu hören als zu lesen, und wenn er auf die Farm kam, fragte er mich: »Weißt du eine Geschichte?« Ich dachte sie mir immer aus, während er fort war. Abends machte er sich’s bequem, breitete Kissen zu einer Lagerstatt am Feuer aus, und indes ich wie Scheherazade kreuzbeinig am Boden saß, horchte er mit leuchtenden Augen vom ersten Wort der Geschichte bis zum Schluß. Er paßte besser auf als ich selbst und konnte mich mitten im dramatischen Auftritt einer Person unterbrechen: »Der Mann ist zwar zu Anfang der Geschichte gestorben, aber das macht nichts.«

Denys brachte mir Latein bei und lehrte mich die Bibel lesen und die griechischen Dichter. Er selbst kannte große Stücke des Alten Testaments auswendig und hatte auf all seinen Fahrten die Bibel bei sich, was ihm bei den Mohammedanern die höchste Achtung eintrug.

Er schenkte mir auch ein Grammophon. Es wurde mir zu einer Wohltat des Herzens, es brachte neues Leben auf die Farm, es wurde die Stimme der Farm, »die Seele des Waldes, Frau Nachtigall«. Zuweilen kam Denys unerwartet ins Haus, wenn ich auf der Kaffeeplantage oder im Maisfeld war, brachte neue Platten mit und stellte das Grammophon an. Wenn ich bei Sonnenuntergang heimritt, strömte die Melodie durch die klare kühle Abendluft auf mich zu und sagte mir an, daß er da war, als hätte er mir von weitem entgegengelacht, wie er’s öfters tat. Die Schwarzen liebten das Grammophon und umstanden lauschend das Haus; einige von meinen Hausboys hatten ihre Lieblingsstücke und baten mich, sie zu spielen, wenn ich allein mit ihnen zu Hause war. Kamantes Vorliebe verharrte seltsamerweise mit unbeirrbarer Hingabe bei Beethovens Adagio aus dem Es-Dur-Klavierkonzert; als er mich das erste Mal darum bat, machte es ihm einige Schwierigkeiten, es mir so zu beschreiben, daß ich begriff, welches Stück er meinte.

Denys und ich dagegen kamen in unserem Geschmack nicht überein. Denn ich liebte die alten Komponisten, während Denys, gleichsam um den Mangel an Übereinstimmung mit der Gegenwart höflich wieder auszugleichen, sich in allen Künsten an das Modernste hielt und auch in der Musik nur das Neueste zu hören liebte. »Ich würde gegen Beethoven nichts sagen«, meinte er, »wenn er nicht so abgeleiert wäre.«

Denys und ich hatten, sooft wir gemeinsam auszogen, großes Glück mit Löwen. Manchmal kam er von einer Jagdsafari von zwei oder drei Monaten verdrossen heim, weil es ihm nicht gelungen war, den Europäern, die er mitgenommen hatte, einen anständigen Löwen vorzuführen. In der gleichen Zeit waren zu mir die Massai gekommen und hatten mich gebeten, einen bestimmten Löwen oder eine Löwin, die ihnen das Vieh raubten, abzuschießen, und Farah und ich waren ausgezogen, hatten in ihren Manyattas kampiert, hatten gepaßt und gelauert, waren in der Morgenfrühe umhergestreift und hatten nicht einmal die Spur eines Löwen entdecken können. Aber wenn Denys und ich ausritten, dann waren die Löwen der Steppe zur Stelle, als erwarteten sie uns, wir trafen sie bei ihrer Mahlzeit oder sahen sie über die trockenen Flußbetten wechseln.

Eines Neujahrsmorgens vor Sonnenaufgang fuhren Denys und ich die Narokstraße entlang, so rasch es der frische Schotter erlaubte.

Denys hatte tags zuvor einem Freunde, der mit einer Jagdgesellschaft nach Süden gezogen war, seine schwere Büchse geliehen. Spätabends war ihm eingefallen, daß er vergessen hatte, ihm einen besonderen Handgriff zu erklären, durch den der Stecher ausgeschaltet werden konnte. Er war nun ernstlich besorgt deswegen, weil er fürchtete, der Jäger könne aus dieser Unkenntnis irgendwie zu Schaden kommen. Uns fiel nichts Besseres ein, als so früh wie möglich aufzubrechen, auf der neugebauten Straße abzuschneiden und die Jagdgesellschaft in Narok abzufangen. Die sechzig Meilen Weges führten durch ein unwirtliches Gelände, aber die Jagdgesellschaft reiste auf der alten Straße und konnte nicht allzu schnell vorwärts kommen, da sie schwerbeladene Lastwagen mit sich führte. Bedenklich war nur, daß wir nicht wußten, ob die neue Straße schon bis nach Narok durchgeführt war.

Die frühe Morgenluft des afrikanischen Hochlandes ist von so eindringlicher Kälte und Härte, daß einen immer wieder die gleiche Vorstellung befällt: man sei nicht auf der Erde, sondern in dunklem, tiefem Wasser und rase auf dem Boden des Meeres dahin. Man weiß nicht einmal gewiß, ob man sich überhaupt bewegt, ob der Kältedruck gegen das Gesicht nicht von einer Tiefseeströmung herrührt und das Auto nicht wie ein träger elektrischer Fisch still am Meeresgrunde ruht und mit den zwei leuchtenden Augen seiner Scheinwerfer vor sich hin starrt und das Leben der Tiefsee an sich vorübergleiten läßt. Die Sterne scheinen so groß, weil es nicht die wirklichen Sterne sind, sondern Spiegelungen, die auf der Oberfläche des Wassers flimmern. Längs des Weges auf dem Meeresgrunde tauchen, dunkler als ihre Umgebung, immerfort lebendige Gebilde auf, springen in die Höhe und tauchen ins lange Gras. Wie wenn Krabben und Strandflöhe im Sande ihrer Fährte zögen. Gegen Sonnenaufgang wird das Licht klarer, der Meeresboden hebt sich zum Wasserspiegel empor, steigt hervor, ein neuerschaffenes Eiland.

Wirbel von Gerüchen fegen rasch vorüber, der herbe, kräftige Duft der Olivenbüsche, der laugige Geruch verbrannten Grases, plötzlich eine stickige Welle Verwesungsgestank. Kamithia, Denys’ Boy, der im Hintersitz des Kastenwagens saß, berührte leicht meine Schulter und wies nach rechts. Seitab der Straße, zwölf oder fünfzehn Schritt entfernt, war ein dunkler Klumpen, wie eine Seekuh, die sich auf dem Sande flezte, und obendrauf hockte etwas und regte sich im dunklen Wasser. Der Klumpen war, wie ich nachher sah, ein großer toter Giraffenbulle, der vor zwei oder drei Tagen geschossen worden war. Es ist nicht erlaubt, Giraffen zu schießen, und Denys und ich hatten uns später gegen den Vorwurf zu wehren, daß wir ihn geschossen hätten; wir konnten aber nachweisen, daß er schon längere Zeit tot war, als wir ihn fanden, und es kam nie heraus, wer ihn getötet hatte. An dem riesigen Aas der Giraffe hielt eine Löwin ihr Mahl und hob Kopf und Schulter über sie hinweg, um nach dem vorbeifahrenden Auto zu spähen. Denys hielt an, und Kamithia löste das Gewehr, das er trug, von der Schulter. Denys fragte mit leiser Stimme: »Darf ich sie schießen?«, denn er betrachtete aus Ritterlichkeit die Ngongberge als mein privates Jagdrevier. Wir passierten eben das Gebiet der Massai, die mich aufgesucht und über den Verlust ihrer Rinder geklagt hatten; war das der Räuber, der ihnen eine Kuh und ein Kalb nach dem andern zerrissen hatte, dann war es Zeit, mit ihm ein Ende zu machen. Ich nickte.

Er sprang vom Wagen und schlich einige Schritte zurück; im selben Augenblick tauchte die Löwin hinter den Giraffenleib, er lief um die Giraffe herum auf Schußweite heran und feuerte. Ich sah die Löwin nicht fallen; als ich ausstieg und herzukam, lag sie tot in einer großen schwarzen Lache.

Wir hatten keine Zeit, sie abzubalgen, wir mußten eilen, wenn wir die Jagdgesellschaft in Narok abfangen wollten. Wir schauten uns um und merkten uns die Stelle, der Gestank der Giraffe war so stark, daß wir sie kaum verfehlen konnten.

Aber als wir noch zwei Meilen gefahren waren, hörte die Straße auf. Das Werkzeug der Straßenarbeiter lag herum, drüben dehnte sich weithin im grauen Frühlicht das steinige Land, unberührt von jeder Menschenhand. Wir blickten auf die Picken und über das Land hin: wir mußten Denys’ Freund mit dem Gewehr seinem Schicksal überlassen. Später, als er zurückkam, erzählte er uns, daß er gar nicht dazu gekommen war, es zu gebrauchen. Wir drehten also wieder um und hatten nun den Osthimmel vor uns, der sich über der Steppe und den Bergen rötete. Wir fuhren auf ihn zu und sprachen immerfort von der Löwin.

Die Giraffe kam in Sicht, und diesmal konnten wir sie genau erkennen und, wo das Licht sie seitlich traf, die dunkleren Flecken auf ihrem Fell unterscheiden. Als wir näher herankamen, sahen wir, daß auf ihr ein Löwe stand. Unser Weg lag von dieser Seite aus etwas tiefer als der Giraffenleib, der Löwe ragte dunkel darüber auf, hinter ihm der Himmel war eine lodernde Glut. So stand er da, ein lebendiges Wappenschild: Löwe auf Goldgrund. Eine Strähne seiner Mähne hob der Wind. Ich sprang im Wagen auf, so gewaltig war der Eindruck, und Denys sagte: »Diesmal schießt du.« Ich schoß nicht gern mit seinem Gewehr; es war zu lang und schwer für mich und hatte einen starken Rückschlag, aber hier war der Schuß ein Liebesbote, mußte da das Gewehr nicht vom stärksten Kaliber sein? Als ich schoß, schien mir’s, als schnellte der Löwe in die Höhe und käme mit angezogenen Pranken wieder zu Boden. Ich stand keuchend im Grase, ergriffen von der Allmacht, die einem ein Schuß verleiht, der ein Wirken in die Ferne ist. Ich ging um den Leib der Giraffe herum. Vor mir lag das Schlußbild einer Tragödie. Da lagen sie nun alle tot. Die Giraffe sah unmäßig groß aus, unheimlich mit ihren vier steifen Beinen und ihrem langen steifen Hals, den Bauch von der Löwin zerfetzt. Die Löwin lag auf dem Rücken, das Gesicht zu gehässigem Fauchen verzerrt, sie war die femme fatale der Tragödie. Der Löwe war nicht weit von ihr hingestreckt – wie war es möglich, daß ihr Schicksal ihn nicht gewarnt hatte? Sein Kopf ruhte auf den zwei Vorderpfoten, die mächtige Mähne legte sich wie ein Königsmantel darüber; auch er lag in einer großen Lache, und das morgendliche Licht war jetzt so hell, daß sie scharlachrot schimmerte.

Denys und Kamithia krempelten ihre Ärmel auf und balgten die Löwen ab, indes die Sonne aufging. Als sie eine Ruhepause machten, holten wir uns eine Flasche Rotwein und Rosinen und Mandeln aus dem Wagen; ich hatte sie für unterwegs zum Naschen mitgenommen, denn es war ja der Neujahrstag. Wir setzten uns aufs kurze Gras und aßen und tranken. Die toten Löwen neben uns waren wunderbar anzuschauen in ihrer Nacktheit, keine Spur von überflüssigem Fett war an ihnen, jeder Muskel eine kühn geschwungene Kurve, sie bedurften keiner Hülle, sie waren durch und durch, was sie sein sollten.

Als wir so saßen, huschte ein Schatten über das Gras und über meine Füße, und aufschauend erblickte ich hoch im hellen Blau des Himmels kreisende Geier. Mein Herz war so beschwingt, daß mir war, ich ließe sie da oben fliegen, wie man an einer Schnur einen Drachen steigen läßt. Ich machte ein Gedicht:

 

»Des Adlers Schatten eilt über die Steppe

zu den fernen, namenlosen, luftigblauen Bergen.

Aber der Schatten der kleinen rundlichen Zebras

liegt tagsüber zwischen ihren zarten Hufen

– wartet auf den Abend, hofft, sich aufzustrecken, bläulich auf der Steppe, die wie Ziegel rot die Sonne malt –

sehnt sich nach dem Wassertümpel.«

 

Denys und ich hatten noch ein anderes dramatisches Erlebnis mit Löwen. Genau gesagt, lag es schon weiter zurück und gehörte in die Anfangszeit unserer Freundschaft. Eines Morgens, in der Frühjahrsregenzeit, kam mein Verwalter, Belknap, ein Südafrikaner, in heller Wut gelaufen und berichtete, zwei Löwen seien nachts auf der Farm gewesen und hätten zwei von unseren Ochsen geschlagen. Sie waren durch den Zaun der Rinderhürde eingebrochen, hatten die toten Ochsen in die Kaffeepflanzung hinausgezerrt und einen von ihnen dort aufgefressen, der andere lag zwischen Kaffeebäumen. Ich möchte ihm doch ein Schreiben mitgeben, damit er in Nairobi Strychnin kaufen könne. Er wolle es gleich in den Kadaver tun, da er überzeugt sei, daß die Löwen abends wiederkommen würden.

Ich überlegte den Fall. Es ging gegen mein Gefühl, Löwen mit Strychnin zu vergiften, und ich sagte ihm, ich sei dazu nicht imstande. Da wandelte sich seine Wut in Verzweiflung. Ließe man den Löwen diesen Raub ungestraft durchgehen, dann würden sie wiederkommen. Die Ochsen, die sie umgebracht hätten, seien unsere besten Arbeitstiere, wir könnten es. uns nicht leisten, noch mehrere einzubüßen. Der Stall meiner Reitpferde, gab er zu bedenken, liege nicht weitab von der Ochsenhürde, ob ich das erwogen hätte? Ich erklärte ihm, es sei nicht meine Absicht, die Löwen auf der Farm gewähren zu lassen, ich sei nur der Ansicht, daß man sie schießen und nicht vergiften sollte.

»Und wer soll sie schießen?« fragte Belknap. »Ich bin kein Feigling, aber ich bin ein verheirateter Mann und habe keine Lust, mein Leben zwecklos aufs Spiel zu setzen.« Es stimmte, ein Feigling war er nicht, er war ein schneidiger kleiner Kerl.

»Das hat doch gar keinen Sinn«, behauptete er. Ich erklärte ihm, ich hätte nicht gemeint, er solle die Löwen schießen. Aber Herr Finch-Hatton sei den Abend zuvor angekommen, wir beide würden es machen. »Oh, das ist was anderes«, sagte Belknap.

Ich ging ins Haus zu Denys. »Komm«, sagte ich zu ihm, »und laß uns unser Leben zwecklos aufs Spiel setzen. Denn wenn es überhaupt einen Wert hat, dann nur den einzigen, daß es keinen hat. ›Frei lebt, wer sterben kann.‹{*}

Wir gingen hinunter und fanden den toten Ochsen in der Kaffeepflanzung, wie Belknap mir’s beschrieben hatte. Er war von den Löwen kaum berührt. Ihre Spuren waren tief und deutlich in den weichen Boden eingedrückt; zwei große Löwen hatten hier nachts ihr Wesen getrieben. Es war nicht schwer, die Spur durch die Plantage zu verfolgen, sie führte zum Walde hinauf, um Belknaps Haus herum; aber bis wir dahin kamen, regnete es so heftig, daß man kaum noch etwas sehen konnte, und im Gras und Strauchwerk am Waldrand verloren wir die Fährte. »Was meinst du, Denys«, fragte ich, »werden sie heute abend wiederkommen?« Denys hatte viel Erfahrung mit Löwen. Er sagte, sie würden am frühen Abend kommen, um ihre Mahlzeit zu beenden, wir sollten ihnen dabei Zeit lassen und gegen neun Uhr aufs Feld gehen. Einer von uns würde die elektrische Blendlaterne, ein Stück seiner Safariausrüstung, tragen müssen, um dem Schützen zu leuchten; er stellte es mir frei, die Rolle zu wählen; mir war es lieber, wenn er schoß, ich wollte die Blendlaterne nehmen.

Um den Weg bis zum Ochsenkadaver im Dunkeln zu finden, schnitten wir uns Papierstreifen und hefteten sie an die beiden Baumreihen, zwischen denen wir anschleichen wollten, so wie Hänsel und Gretel sich ihren Weg mit weißen Steinchen bezeichneten. Er führte uns geradewegs auf den Köder zu. Am Ende, zwanzig Schritt vom Kadaver, banden wir ein großes Stück Papier an den Baum; hier wollten wir halten, das Licht einschalten und schießen. Spätnachmittags, als wir die Blendlaterne hervorholten, um sie zu versuchen, stellte sich heraus, daß die Batterien abgebraucht waren und der Lichtkegel recht schwach war. Wir hatten keine Zeit mehr, in Nairobi Ersatz zu holen, und mußten uns also behelfen, so gut es ging.

Es war der Vorabend von Denys’ Geburtstag, und beim Abendbrot befiel ihn eine trübe Stimmung, er erging sich in Betrachtungen, er habe das Leben noch nicht ausgekostet. Aber irgend etwas, tröstete ich ihn, werde er bis zu seinem Geburtstagsmorgen doch sicher erleben. Ich ließ Juma eine Flasche Wein holen: er solle uns damit erwarten, wenn wir zurückkehrten. Immerfort dachte ich an die Löwen, wo sie wohl in dem Augenblick sein mochten, ob sie langsam, lautlos, einer hinter dem anderen über den Fluß wechselten, Brust und Flanken von der weichen, kühlen Flut umspült? Um neun Uhr brachen wir auf

Es regnete ein wenig, aber der Mond stand am Himmel und steckte zuweilen sein fahles weißes Gesicht hoch oben durch ungezählte Schleier dünner Wolken; dann warf die weißblühende Kaffeepflanzung den Schein matt zurück. Wir gingen von weitem an der Schule vorbei, sie war hell erleuchtet. Eine Welle von Stolz und Freude an meinen Leuten durchflutete mich bei diesem Anblick; ich fühlte wie König Salomo, wenn er sagt: »Der Zaghafte spricht: ein Löwe lauert am Wege, ein Löwe geht um auf den Straßen.« Hier waren zwei Löwen dicht vor ihrer Tür, aber meine Schulkinder waren nicht zaghaft und ließen sich nicht von ihrer Schule verscheuchen. Wir fanden unsere zwei markierten Baumreihen, hielten eine Weile inne und schritten hintereinander zwischen sie hinein. Wir trugen Mokassins und gingen lautlos. Ich begann vor Erregung zu zittern und zu beben und wagte mich nicht zu nah an Denys heran, aus Furcht, er möchte es merken und mich fortschicken; ebensowenig wagte ich, zu weit hinter ihm zurückzubleiben, denn er konnte jeden Augenblick meine Blendlaterne brauchen.

Die Löwen waren, wie wir später feststellten, bei ihrer Beute gewesen. Als sie uns hörten oder witterten, wichen sie ein Stück weit in die Kaffeepflanzung zurück, um uns vorüberzulassen. Wahrscheinlich fanden sie, daß wir zu lange brauchten, denn der eine von ihnen ließ ein ganz leises, heiseres Grollen vernehmen; es kam von rechts vorn. Es war so leise, daß wir nicht einmal sicher waren, ob wir etwas gehört hatten. Denys blieb einen Augenblick stehen; ohne sich umzuwenden, fragte er: »Hast du gehört?« – »Ja«, sagte ich. Wir gingen noch ein Stück weiter, und das tiefe Grollen ertönte noch einmal, diesmal genau zu unserer Rechten. »Licht an«, sagte Denys. Das war nicht ganz einfach, denn er war viel größer als ich, und ich mußte ihm über die Schulter aufs Gewehr und geradeaus nach vorn leuchten. Als ich die Blendlaterne einschaltete, verwandelte sich die ganze Welt in eine blendend erhellte Bühne, die nassen Blätter der Kaffeebäume blinkten, die Schollen am Boden traten überdeutlich hervor.

Der Lichtkegel traf zuerst einen kleinen glotzenden Schakal, nicht größer als ein Fuchs, ich rückte ihn weiter, und da war der Löwe. Er stand uns genau gegenüber und ragte leuchtend hell vor der tiefen Schwärze der afrikanischen Nacht auf. Als der Schuß fiel, dicht vor meinem Ohr, war ich nicht auf ihn gefaßt, ich begriff gar nicht, was er bedeutete, er hätte ein Donnerschlag sein können, mir war, als wäre ich selbst an die Stelle des Löwen versetzt worden. Er fiel um wie ein Stein. »Weiter, weiter«, rief mir Denys zu. Ich wendete die Laterne weiter, aber meine Hand bebte so heftig, daß der Lichtkegel, der die sichtbare Welt in sich faßte und den ich befehligte, einen Tanz tanzte. Ich hörte Denys neben mir im Dunkeln lachen. »Die Beleuchtung beim zweiten Löwen war leicht schwankend«, bemerkte er später. Im Mittelpunkt des tanzenden Kegels stand der zweite Löwe, er wandte sich von uns weg, halb hinter einem Kaffeebaum verborgen. Als ihn das Licht traf, drehte er den Kopf um, und Denys schoß. Er fiel aus dem Hellen hinaus, erhob sich und geriet wieder hinein, er wandte sich mit einem Satz gegen uns und stieß, gerade als der zweite Schuß fiel, ein langes wütendes Brüllen aus.

In diesem Augenblick wurde das Land Afrika unendlich groß, und Denys und ich, die drauf standen, wurden winzig klein. Außerhalb des Lichtkegels war nichts als Finsternis, in der Finsternis waren in zwei verschiedenen Richtungen Löwen, und vom Himmel troff Regen. Aber als das Gebrüll erstarb, regte sich nichts mehr, und der Löwe lag, den Kopf zur Seite gewandt mit einer Miene des Ekels, ruhig hingestreckt. Zwei mächtige tote Tiere waren in der Kaffeepflanzung und ringsum die Stille der Nacht.

Wir gingen zu den Löwen hinüber und schritten die Entfernung ab. Von unserem Standort war der erste Löwe dreißig Schritt entfernt, der andere fünfundzwanzig. Es waren beide ausgewachsene junge, starke, feiste Löwen. Die zwei Freunde aus den Bergen oder dem Grasland hatten gestern gemeinsam ihr großes Abenteuer unternommen und waren ihm heute gemeinsam erlegen.

Jetzt kamen Kinder aus der Schule und strömten auf die Straße; als sie uns sahen, hielten sie inne und riefen uns mit gedämpften Stimmen an: »Msabu, bist du da? Bist du da, Msabu?« Ich setzte mich auf einen Löwen und rief zurück: »Ja, ich bin da.« Lauter und dreister fragten sie weiter: »Hat Bedâr die Löwen geschossen? Alle beide?« Als sie hörten, daß es so sei, waren sie im Nu alle da, wie ein Schwarm von kleinen nächtlichen Springhasen hüpften sie auf und nieder. Sie machten sofort ein Lied auf das Ereignis, das lautete: »Drei Schüsse, zwei Löwen, drei Schüsse, zwei Löwen.« Sie verzierten und umwoben es beim Singen, eine helle Stimme nach der anderen fiel ein: »Drei gute Schüsse. Zwei große, starke, böse Kali-Löwen«, und dann fand sich der ganze Chor in einem wilden Refrain: »A-B-C-D« – denn sie kamen geradewegs aus der Schule und hatten die Köpfe voll Weisheit.

In Kürze sammelte sich eine Menge Menschen auf dem Platz, die Arbeiter aus der Kaffeeaufbewahrung, die Squatter aus den umliegenden Manyattas und meine Hausboys mit Windlichtern. Sie umstanden die Löwen und redeten von ihnen, und dann machten sich Kamithia und Sais, die Messer mitgebracht hatten, daran, sie abzubalgen. Die Haut eines dieser Löwen war es, die ich später dem indischen Hohenpriester schenkte. Sogar Pooran Singh erschien auf der Bildfläche in einem Negligé, das ihm ein unsäglich zartes Aussehen verlieh; sein honigsüßes indisches Lächeln strahlte aus seinem dichten schwarzen Bart hervor, er stotterte vor Freude, als er sprach. Ihm kam es darauf an, sich das Fett der Löwen zu sichern, das nach dem Glauben seines Volkes als Arznei hoch in Ehren stand; nach den Gebärden, mit denen er sich mir verständlich machte, durfte ich annehmen, daß es gut sei gegen Rheuma und Impotenz. So belebte sich die Kaffeeplantage, der Regen setzte aus, und der Mond schien auf alle herab.

Wir gingen zum Hause zurück, und Juma brachte und entkorkte unsere Flasche. Wir waren zu naß und dreckig von Schlamm und Blut, um uns niederzusetzen; wir stellten uns im Eßzimmer vor das flackernde Feuer und tranken in raschen Zügen den belebenden, beglückenden Wein. Wir sprachen kein Wort. Wir hatten unseren Jagdzug als ein einziges Wesen erlebt, wir hatten uns nichts zu sagen.

Unsere Freunde bekamen von dem Abenteuer genug zu hören. Der alte Herr Bulpett wollte, als wir das nächste Mal zum Tanzen im Klub erschienen, den ganzen Abend nichts mehr von uns wissen.

 

Denys Finch-Hatton verdanke ich ein Erlebnis, das mir als das größte, erhebendste Glück meines Lebens auf der Farm erscheint: mit ihm bin ich über Afrika geflogen. Dort, wo es keine oder nur wenige Straßen gibt und wo man überall auf den Steppen landen kann, bekommt das Fliegen eine wirkliche und wichtige Bedeutung für das Leben, es öffnet einem die Welt. Denys hatte seine »Motte« mitgebracht, er konnte mit ihr auf meinem Grasland, nur wenige Minuten vom Hause, landen, und wir stiegen fast jeden Tag auf.

Gewaltige Fernsichten öffnen sich, wenn man sich über das afrikanische Hochland erhebt, überraschende Mischungen und Wechsel von Licht und Farben, Regenbogenbuntheit über grünem, besonntem Land; mächtig aufragende Wolken und wilde, schwarzgeballte Unwetter umkreisen einen tanzend und sich jagend, und gewaltsame Regenschauer klären die Luft. Die Sprache ermangelt der Worte für die Erlebnisse des Fliegens, sie wird bald neue bilden müssen. Wenn man über das Rifttal geflogen ist und über die Vulkane von Suswa und Longonot, dann ist man weit fort gewesen, dann hat man die Länder auf der abgewandten Seite des Mondes gesehen. Zuweilen fliegt man so nahe am Boden, daß man die Tiere auf der Steppe sieht und über ihnen schwebt, wie Gott, als er sie eben erschaffen hatte, ehe er Adam auftrug, ihnen Namen zu geben.

Aber nicht, was man sieht, sondern, was man tut, ist das Beglückende; die Wonne und das Entzücken des Fliegens ist das Fliegen selbst. Es ist eine trübe Not und Sklaverei, die die Menschen in den Städten erdulden, daß sie bei all ihren Bewegungen nur eine Dimension kennen, sie gehen einen Strich entlang, als wären sie auf einem Faden aufgezogen. Der Übertritt aus der Linie in die Fläche beim Wandem über Felder oder durch den Wald ist für die Sklaven eine herrliche Befreiung wie die Französische Revolution. In der Luft aber genießt man die volle Freiheit aller drei Dimensionen, nach Jahrhunderten der Verbannung und der Träume stürzt sich das sehnende Herz in die offenen Arme des Raumes. Die Gesetze der Schwere und der Zeit – beim Spiel im grünen Hain des Lebens wußten wir wie zahme Tiere nichts von ihrer Süßigkeit.

Jedesmal, wenn ich in einem Flugzeug aufstieg und hinabschauend merkte, daß ich vom Boden frei war, trat es mir ins Bewußtsein wie eine große neue Entdeckung: »Ich begreife«, sagte ich mir, »so war’s gemeint, jetzt verstehe ich alles.«

Eines Tages flogen Denys und ich zum Natronsee; er liegt neunzig Meilen südwestlich von der Farm und über zwölfhundert Meter tiefer, achthundert über dem Meere. Am Natronsee wird Soda gewonnen. Der Grund des Sees und seine Ufer scheinen aus einer Art weißlicher Zementmasse zu bestehen, die stark säuerlich und salzig riecht.

Der Himmel war blau, aber als wir von der Hochebene hinausflogen über das steinige, kahle Tiefland, waren alle Farben darin wie ausgebrannt. Die ganze Landschaft unter uns sah aus wie feingezeichnetes Schildpatt. Mitten darin lag plötzlich der See. Der weiß durchschimmernde Grund verleiht dem Wasser, von oben gesehen, eine unwahrscheinlich blendende, azurne Bläue, vor deren Glanz man einen Augenblick die Augen schließen muß. Die Wasserfläche ruht in dem kahlen, braungelben Landstrich wie ein großer, strahlender Aquamarin. Wir waren hoch geflogen, nun glitten wir hinab, und als wir uns herabsenkten, schwamm unser eigener Schatten dunkelblau unter uns auf dem hellblauen See. Tausende von Flamingos leben hier, obwohl ich nicht begreife, wovon sie sich in dem Brackwasser nähren. Denn es gibt sicher keine Fische darin. Als wir näher kamen, wichen sie in weiten Bögen und Flächen auseinander wie Strahlen der untergehenden Sonne, wie ein kunstreiches chinesisches Muster auf Seide oder Porzellan, das sich vor unseren Augen bildete und wandelte.

Wir landeten auf dem weißen Ufer, das glühend war wie ein Ofen, und frühstückten dort, vor der Sonne geschützt, unter einem der Flügel der Maschine. Wenn man seine Hand aus dem Schatten hervorstreckte, war die Sonne so heiß, daß es einem weh tat. Unser Bier, das angenehm gekühlt war, als wir es direkt aus dem Äther herunterbrachten, war, noch ehe wir’s ausgetrunken hatten, nach einer Viertelstunde so heiß wie eine Tasse Tee.

Während wir frühstückten, erschien am Horizont eine Gruppe von Massaikriegern, die rasch näher kam. Sie hatten wohl von weitem die Landung des Flugzeugs beobachtet und beschlossen, es sich näher anzusehen. Ein Marsch von beliebiger Länge ist für einen Massai, sogar in einer solchen Gegend, keine Beschwerde. Sie kamen im Gänsemarsch heran, nackt, groß und schlank mit blitzenden Waffen, schwarz wie Torf auf dem graugelben Sand. Zu ihren Füßen lagen und wanderten mit ihnen kleine Flecken, Schatten; das waren außer unseren eigenen, so weit das Auge reichte, die einzigen Schatten in der ganzen Gegend. Als sie in unsere Nähe kamen, marschierten sie in Reihe auf; es waren ihrer fünf. Sie steckten die Köpfe zusammen und besprachen sich über die Maschine und über uns. Eine Generation früher wäre die Begegnung für uns verhängnisvoll gewesen. Nach einer Weile trat einer von ihnen vor und sprach uns an. Da sie nur Massai sprechen konnten und wir nur wenig von der Sprache verstanden, flaute die Unterhaltung bald ab, er wandte sich wieder zu seinen Kameraden, und nach einigen Minuten drehten sie uns alle den Rücken zu und zogen im Gänsemarsch wieder ab, vor sich die weite glühende Salzebene.

»Hättest du Lust«, fragte Denys, »nach Naivascha zu fliegen? Das zwischenliegende Land ist freilich sehr rauh, wir können unterwegs nirgends landen. Wir müssen also sehr hoch hinauf und uns auf viertausend Metern halten.«

Der Flug vom Natronsee nach Naivascha war »das Ding an sich«{*} Wir nahmen unsern Kurs und blieben die ganze Strecke lang auf viertausend Metern; das ist eine Höhe, in der es unter einem nichts mehr zu sehen gibt. Am Natronsee hatte ich meine Lammfellmütze abgenommen, hier oben zwickte die Luft meine Stirn wie Eiswasser, mein Haar flatterte nach hinten, als müßte mir der Kopf abfliegen. Wir flogen den gleichen Weg, den in entgegengesetzter Richtung allabendlich der Vogel Rock fliegt, wenn er, in jeder Klaue einen Elefanten für seine Jungen, von Uganda heim nach Arabien rauscht. Sitzt man vor dem Piloten, nichts vor sich als den leeren Raum, dann fühlt man sich wie getragen auf den vorgestreckten Flächen seiner Hände, so wie der Dschinn den Prinzen Ali durch die Luft trägt, und man meint, die Flügel, die einen tragen, seien die eigenen Flügel. Wir landeten auf der Farm unserer Bekannten in Naivascha; die wunderlichen kleinen Häuschen und die winzigen Bäume ringsum fielen allesamt vor Schrecken auf den Rücken, als sie uns herabkommen sahen.

Wenn Denys und ich keine Zeit hatten für lange Reisen, machten wir, meist gegen Sonnenuntergang, einen kurzen Flug über die Ngongberge. Diese Berge, wohl die schönsten auf der ganzen Welt, bieten ihr anmutigstes Gesicht dem Beschauer aus der Luft, wenn ihre Hänge, von den vier kahlen Gipfeln überragt, neben dem Flugzeug aufsteigen und vorüberziehen oder plötzlich jäh abfallen und sich zu kleinen grünen Matten weiten.

Hier in den Bergen lebten noch Büffel. Ich hatte sogar in meiner allerersten Zeit, als ich nicht leben konnte, ohne von jeder Gattung afrikanischen Wildes ein Stück geschossen zu haben, hier oben einen Büffel erlegt. Später, als es mir mehr darauf ankam, die wilden Tiere zu beobachten, als sie zu schießen, zog ich aus, um sie wiederzusehen. Ich schlug bei einem Quell, halbwegs unterm Gipfel, ein Lager auf mit meinen Leuten, Zelten und Vorräten. Farah und ich brachen früh auf in den dunklen, eisigkalten Morgen und kletterten und schlichen durch den Busch und das lange Gras, immer hoffend, einer Herde ansichtig zu werden – aber zweimal mußte ich unverrichteter Dinge von der Expedition heimkehren. Daß die Herde dort lebte, mir im Westen getreue Nachbarschaft hielt, gab dem Leben auf der Farm einen besonderen Reiz; aber es waren verschlossene, selbstgenügsame Nachbarn, alte Aristokraten der Berge, wenn auch um manche Rechte verkürzt, sie empfingen keinen Besuch.

Aber eines Nachmittags, als ich mit einigen Freunden von auswärts vor dem Hause beim Tee saß, kam Denys von Nairobi herübergeflogen, zog über unsere Köpfe hinweg nach Westen, drehte nach einer Weile um, kam zurück und landete auf der Farm. Lady Delamere und ich fuhren auf die Steppe hinaus, um ihn zu holen, aber er wollte nicht aus seiner Maschine aussteigen. »Die Büffel sind unterwegs, sie grasen im Gebirge, komm mit und schau sie dir an.« – »Ich kann nicht«, erwiderte ich, »ich habe Teebesuch zu Hause.« – »Wir fliegen hin und schauen sie an und sind in einer Viertelstunde wieder da«, sagte er. Das war ein Vorschlag, wie ihn einem die Menschen zuweilen in Träumen machen. Lady Delamere wollte nicht fliegen, so stieg ich also mit ihm auf. Wir flogen der Sonne zu, aber die Berghänge lagen in einem dämmerigen Schatten, in den wir bald eintauchten. Es dauerte nicht lang, so hatten wir die Büffel aus der Höhe erspäht. Auf einer der langen, krummen, grünen Rippen, die wie geraffte Stoffalten zu jedem der Gipfel aufstreben, graste am Hang der Ngongberge eine Herde von siebenundzwanzig Büffeln. Wir sahen sie erst tief unter uns, wie zierliche Mäuschen krabbelten sie am Boden; dann tauchten wir hinab und strichen kreisend, nur fünfzig Meter hoch, in bequemer Schußweite über ihrem Hang hin und zählten sie, indes sie gemächlich in Gruppen und vereinzelt weitergrasten. Ein ganz alter, schwarzer Bulle war in der Herde, ein oder zwei junge Bullen und einige Kälber. Der freie Rasenstreifen, auf dem sie sich ergingen, war von Gesträuch umschlossen; hätte sich ein Lauscher am Boden angeschlichen, so hätten sie ihn sofort gehört oder gewittert, aber auf einen Angriff aus der Höhe waren sie nicht gefaßt. Wir mußten uns über ihnen beständig in Bewegung halten. Sie hörten das Rattern unserer Maschine und hielten im Grasen inne, aber es lag nicht in ihrer Natur, emporzuschauen. Schließlich begriffen sie, daß etwas Seltsames da war, der alte Bulle trat zuerst heraus an die Spitze der Herde und hob sein zentnerschweres Gehörn, dem fremden Feind die Stirn zu bieten, alle viere fest in den Boden gerammt – plötzlich begann er den Hang hinabzutraben und fiel nach einer Weile in kurzen Galopp. Die ganze Sippe folgte ihm und trampelte blindlings bergab; wo sie krachend und drängend ins Gebüsch brachen, deckten Staub und loses Gestein ihre Fährte. Im Dickicht hielten sie inne und drückten sich dicht zusammen; es sah aus, als wäre eine kleine Blöße am Berg mit dunkelgrünen Fliesen gepflastert. Hier glaubten sie sich gegen Sicht gedeckt, waren es auch gegen jeden, der sich am Boden genähert hätte, aber dem Auge des Vogels in den Lüften waren sie schutzlos preisgegeben. Wir flogen auf und davon. Es war, als wären wir auf einem geheimen, unbekannten Wege in das Herz der Ngongberge eingedrungen.

Als ich zu meiner Teegesellschaft zurückkehrte, war der Teekessel auf dem steinernen Tisch noch heiß. Der Prophet hat einmal das gleiche erlebt, als er einen Krug Wasser umkippte und der Erzengel Gabriel ihn hinwegnahm und mit ihm durch die sieben Himmel flog; als er heimkehrte, war das Wasser noch nicht aus dem Kruge geronnen.

In den Ngongbergen lebte auch ein Adlerpaar. Denys sagte zuweilen nachmittags: »Komm, wir wollen die Adler besuchen.« Ich habe einmal einen von ihnen auf einem Stein unweit des Gipfels sitzen und sich von ihm erheben sehen, aber gewöhnlich verbrachten sie ihr Leben in der Luft. Oftmals haben wir die Adler gehetzt, uns bald auf den einen, bald auf den anderen Flügel krängend und überhängend, und ich glaube, die scharfäugigen Vögel haben mit uns gespielt. Einmal, als wir nebeneinander hinflogen, stoppte Denys den Motor, und ich hörte den Adler kreischen.

Die Schwarzen liebten das Flugzeug, und eine Zeitlang wurde es auf der Farm Mode, die Maschine zu porträtieren; ich fand dann in der Küche auf Papierwischen oder auf der Küchenwand selber Zeichnungen von ihr, die Buchstaben A B A K waren sorgfältig nachgemalt. Aber eigentlich interessierten sie sich weder für den Apparat noch für unsere Fliegerei.

Die Schwarzen lieben keine Eile, so wie wir keinen Lärm lieben; sie finden sie im besten Fall schwer erträglich. Sie sind befreundet mit der Zeit, und der Gedanke, sie zu überlisten oder sie totzuschlagen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Je mehr Zeit man ihnen gewähren kann, desto glücklicher sind sie, und wenn man einem Kikuju aufträgt, das Pferd zu halten, solange man einen Besuch macht, dann sieht man seinem Gesicht an, daß er hofft, man werde recht lange brauchen. Er hat es nicht nötig, sich seine Zeit zu vertreiben, er setzt sich still hin und lebt.

Auch für Maschinen und technische Vorkehrungen aller Art bezeigten die Schwarzen nicht viel Verständnis. Ein Bruchteil der jungen Generation ließ sich von der Begeisterung der Europäer für das Auto anstecken, aber ein alter Kikuju sagte ihnen voraus, sie würden jung sterben, und es mag sein, daß er recht hatte, denn Abtrünnige entstammen dem schwächsten Sproß eines Volkes. Zu den Erfindungen der Kultur, die die Schwarzen bewundern und gelten lassen, gehören Streichhölzer, Fahrräder und Schießgewehre, aber sie sind bereit, sie von sich zu werfen, sobald es sich um eine Kuh handelt. Frank Greswolde Williams aus Kedong Valley nahm einen Massai als Sais mit nach England und erzählte mir, der Mann habe eine Woche nach der Ankunft seine Pferde im Hydepark geritten, als wäre er ein geborener Londoner. Ich fragte diesen Mann, als er nach Afrika zurückkehrte, was ihm in England besonders gefallen habe. Er überlegte sich die Frage mit ernster Miene und sagte nach einer langen Pause höflich, die Weißen hätten sehr schöne Brücken. Ich habe nie einen älteren Eingeborenen Dingen, die sich von selbst ohne ersichtliche Einwirkung des Menschen oder einer Naturkraft bewegten, anders als mit Argwohn und einem gewissen Gefühl von Scham gegenüberstehen sehen. Der Sinn des Menschen wendet sich von der Hexerei ab wie von etwas Unschicklichem. Er kann gezwungen sein, ihre Ergebnisse hinzunehmen, aber er will nichts mit ihrem inneren Getriebe zu tun haben, und noch nie hat ein Mensch versucht, einer Hexe das genaue Rezept ihres Gebräues abzufordern. Einmal, als Denys und ich geflogen waren und auf der Farm landeten, trat ein alter Kikuju herzu und sprach uns an. »Ihr wart sehr hoch heute«, sagte er, »wir konnten euch nicht sehen, wir hörten nur das Flugzeug summen wie eine Biene.« Ich bestätigte, daß wir sehr hoch gewesen seien. »Habt ihr Gott gesehen?« fragte er. »Nein, Ndwetti«, sagte ich, »Gott haben wir nicht gesehen.« – »Aha, dann wart ihr also nicht hoch genug«, sagte er, »aber nun sag mir – glaubst du, daß du hoch genug steigen kannst, um Ihn zu sehen?« – »Ich weiß nicht, Ndwetti«, sagte ich. »Und du, Bedâr«, sagte er, zu Denys gewandt, »was glaubst du? Kannst du in deinem Flugzeug hoch genug steigen, um Gott zu sehen?« – »Das weiß ich wahrhaftig nicht«, sagte Denys. »Dann verstehe ich nicht«, sagte Ndwetti, »wozu ihr beide überhaupt fliegt.«