Freunde zu Gast

Die Besuche von Freunden auf der Farm waren glückliche Ereignisse in meinem Leben, und die Farm wußte das.

Wenn eine von Denys Finch-Hattons langen Safaris sich dem Ende zuneigte, kam es vor, daß morgens ein junger Massai, lässig auf eines seiner langen schlanken Beine gestützt, vor meinem Haus stand. »Bedâr ist auf dem Heimweg«, verkündete er. »Er wird in zwei oder drei Tagen hier sein.« Nachmittags erschien dann ein kleines Squattertoto aus dem Grenzgebiet der Farm, hockte sich auf die Wiese und wartete. Wenn ich hinaustrat, sagte es: »Da ist ein Volk von Perlhühnern unten an der Krümmung des Flusses. Willst du für Bedâr, wenn er kommt, welche schießen, dann komm ich abends, wenn die Sonne untergeht, und zeig dir, wo sie sind.«

Die großen Wanderer unter meinen Freunden sahen, glaub ich, den Reiz der Farm darin, daß sie etwas Beständiges hatte und stets die gleiche war, sooft sie kamen. Sie hatten weite Länder durchstreift und an mancherlei Orten ihre Zelte errichtet und abgebrochen, nun freuten sie sich, in meinen Auffahrtsweg einzubiegen, der unwandelbar war wie die Bahn der Sterne. Es machte ihnen Freude, von vertrauten Gesichtern begrüßt zu werden, denn ich hatte, solange ich in Afrika lebte, immer dieselben Dienstboten. Während ich auf der Farm mich sehnte hinauszukommen, kehrten sie zurück und sehnten sich nach Büchern und frischbezogenen Betten und der schattigen Kühle eines großen abgeschirmten Raumes; sie hatten sich an ihren Lagerfeuern die Freuden des Farmlebens ausgemalt, und wenn sie ankamen, überfielen sie mich mit Fragen: »Hast du deinem Koch beigebracht, omelettes à la chasseur zu backen – und sind die Platten des ›Petruschka‹ mit der letzten Post gekommen?« Sie kamen und blieben im Hause, auch wenn ich fort war, und Denys bewohnte es einmal, solange ich in Europa war. »Mein Waldheim«, nannte es Berkeley Cole.

Zum Dank für die Wohltaten der Zivilisation brachten mir die Abenteurer Trophäen ihrer Jagden mit: Leoparden- und Gepardenfelle, die in Paris zu Pelzmänteln verarbeitet werden wollten, Schlangen- und Eidechsenhäute für Schuhe und Marabufedern.

Um ihnen eine Freude zu machen, probierte ich in ihrer Abwesenheit merkwürdige Rezepte aus alten Kochbüchern aus und mühte mich, in meinem Garten europäische Blumen zu ziehen. Einmal, als ich in meiner Heimat war, schenkte mir eine alte Dame in Dänemark zwölf schöne Pfingstrosenknollen, die ich nicht ohne Schwierigkeiten über die Grenze brachte, denn die Einfuhr von Pflanzen wurde streng überwacht. Als ich sie einsetzte, schossen bald eine Menge dunkelkarmesinroter, gewundener Triebe heraus, an denen sich allmählich viele zarte Blätter und rundliche Knospen bildeten. Die erste Blüte, die sich öffnete, hieß Duchesse de Nemours; es war eine große, einzelne weiße Pfingstrose, sehr edel und üppig, und sie strömte eine Fülle frischen süßen Duftes aus. Als ich sie abschnitt und in meinem Wohnzimmer ins Wasser stellte, blieb jeder Weiße, der eintrat, unwillkürlich verblüfft stehen. Es war eine Prachtpfingstrose! – Aber kurz darauf verwelkten alle übrigen Knospen und fielen ab, und ich bekam nie mehr als die eine Blüte zu sehen. Einige Jahre später sprach ich mit dem Gärtner der Lady MacMillan in Chiromo über Pfingstrosen. »Uns ist es nicht gelungen, in Afrika Pfingstrosen zu ziehen«, sagte er, »und es wird uns nicht gelingen, ehe es uns nicht glückt, eine importierte Knolle zum Blühen zu bringen und von dieser Blüte Samen zu nehmen. Auf die Art allein haben wir Delphinium in der Kolonie eingeführt.« So hätte ich die Pfingstrose in Afrika einführen und so berühmt werden können wie die Herzogin von Nemours selbst, und ich hatte den künftigen Blütenflor vernichtet und meine einzige Blüte abgepflückt und ins Wasser gestellt. Ich habe oft davon geträumt, ich sähe die weiße Pfingstrose wachsen, und mich gefreut, daß ich sie also doch nicht abgeschnitten hätte.

Auch Bekannte von anderen Farmen im Lande und aus der Stadt kamen zu uns. Hugh Martin vom Vermessungsamt kam aus Nairobi heraus, um mich zu unterhalten; er war ein geistreicher Mann, mit der ausgefallensten Literatur der Welt vertraut. Er hatte ein geruhsames Leben als Verwaltungsbeamter im Osten hinter sich und hatte dort unter anderem ein ihm angeborenes Talent entwickelt: auszusehen wie ein maßlos feistes, chinesisches Götzenbild. Er nannte mich »Candide« und war selbst auf der Farm eine Art kurioser Doktor Pangloß, sicher und friedvoll verwurzelt in seinem Glauben an die Gemeinheit und Verächtlichkeit der menschlichen Natur und des Weltalls und zufrieden dabei – denn warum sollte es nicht so sein? Er rührte sich kaum aus dem großen Sessel, wenn er sich einmal darin niedergelassen hatte. Mit seiner Flasche und seinem Glase vor sich strahlte er geruhsam glänzenden Angesichts seine Theorien vom Leben aus, wie ein phosphoreszierendes Gewächs aus Stoff und Geist, ein dicker Mann, im Frieden mit der Welt, im Schoße des Teufels gebettet, ausgezeichnet durch jenen Schimmer von Adrettheit, den die Jünger Satans vor manchen Jüngern des Herrn voraushaben.

Der junge langnasige Gustav Mohr aus Norwegen kam plötzlich abends von der Farm, die er jenseits von Nairobi zu verwalten hatte, ins Haus gestürmt. Er war ein eingefleischter Farmer und hat mir bei meiner Arbeit mit Wort und Tat mehr als irgendein anderer im Lande geholfen, mit einer schlichten tatkräftigen Bereitschaft, als wäre es ganz selbstverständlich, daß Farmer oder Skandinavier einander zu dienen hätten. Da kam er nun angeschossen, hergeschleudert durch die innere Glut seiner Seele wie ein Stein aus einem Vulkan. Er werde verrückt, erklärte er, in einem Lande, in dem man von einem Manne erwarte, daß er von Gesprächen über Ochsen und Sisalhanf sein Leben fristen könne, sein Geist verhungere, und er könne es nicht länger ertragen. Mit dem ersten Schritt ins Haus fing er zu reden an und redete fort bis nach Mitternacht, über Liebe, Kommunismus, Prostitution, Hamsun, die Bibel und vergiftete sich ununterbrochen mit einem scheußlich schlechten Tabak. Er aß kaum, er hörte nicht zu, er schrie, wenn ich versuchte, ein Wort einzuwerfen, glühend von einem inneren Brande, mit seinem hageren wilden Kopf in die leere Luft hämmernd. Viel war in ihm, dessen er sich entledigen mußte, und unterm Sprechen wurde es nur immer mehr. Plötzlich, gegen zwei Uhr nachts, war es aus. Dann saß er eine Weile still da, mit einem demütigen Blick, wie ein Genesender im Garten eines Krankenhauses, sprang auf und raste in erschreckendem Tempo davon, bereit, sein Leben noch einmal eine Zeitlang mit Ochsen und Sisalhanf zu fristen.

Ingrid Lindström kam manchmal zu Besuch, wenn sie für ein oder zwei Tage von ihrer eigenen Farm, ihren Truthähnen und ihrem Gärtnereibetrieb in Njoro freikam. Ingrid hatte eine helle Haut und ein helles Gemüt, ihr Vater und ihr Mann waren schwedische Offiziere. Sie war mit ihrem Gatten und ihren Kindern zu einem fröhlichen Abenteuer nach Afrika ausgezogen, um rasch reich zu werden, und hatte lauter Land für Flachsbau gekauft, weil Flachs damals fünfhundert Pfund Sterling pro Tonne einbrachte; als der Preis bald danach auf vierzig Pfund fiel und Flachsbau und Geräte für Flachsbau gar nichts mehr wert waren, setzte sie ihre ganze Kraft ein, um ihrer Familie die Farm zu retten, sie eröffnete eine Geflügelzucht und eine Handelsgärtnerei und schuftete wie ein Sklave. In diesen Kampfjahren verliebte sie sich in die Farm, in die Kühe und Schweine, die Eingeborenen und das Gemüse, ja, in das Stückchen afrikanischer Erde selber, mit einer so innigen, verbissenen Leidenschaft, daß sie eher ihren Mann und ihre Kinder als ihr Land geopfert hätte. Sie und ich haben uns in den schweren Jahren beieinander ausgeweint, wenn wir fürchteten, unsere Farm aufgeben zu müssen. Es waren immer glückliche Tage, wenn Ingrid bei mir war, denn sie hatte die starke, kühne, überquellende Heiterkeit der alten schwedischen Bäuerinnen, und aus ihrem wettergebräunten Antlitz leuchteten weiß die Zähne einer lachenden Walküre. Darum liebt alle Welt die Schweden, weil sie mitten in eigenem Kummer jeden an ihre Brust reißen und so mutig sein können, daß alles überstrahlt wird.

Ingrid hatte einen alten Kikuju als Koch und Hausboy. Kamosa, so hieß er, versah die verschiedensten Ämter bei ihr und betrachtete alles, was sie unternahm, als seine eigene Aufgabe. Er arbeitete sich ab im Gemüsegarten und Geflügelhof, machte die Kinderwärterin ihrer drei kleinen Mädchen und brachte sie zur Schule und zurück. Als ich sie auf ihrer Farm Njoro besuchte, geriet Kamosa ganz außer sich, ließ alles andere im Stich und krönte seine gewaltigen Vorbereitungen für meine Ankunft, indem er ihre Truthähne schlachtete – alles aus Ehrfurcht vor der Größe Farahs. Er betrachtete seine Bekanntschaft mit Farah, wie Ingrid mir erzählte, als die größte Ehre seines Lebens.

Mrs. Darrell Thompson aus Njoro, die ich kaum kannte, kam zu mir zu Besuch, als die Ärzte ihr eröffnet hatten, daß sie nur noch wenige Monate zu leben habe. Sie erzählte mir, sie habe gerade in Irland ein Pony gekauft, einen preisgekrönten Springer – denn Pferde waren für sie der Gipfel und Glanz des Daseins –, und nun, da sie mit den Ärzten gesprochen habe, sei ihr erster Gedanke gewesen, nach Hause zu kabeln, der Gaul solle nicht herübergeschickt werden, aber dann habe sie sich besonnen und wolle ihn, falls sie sterbe, mir vermachen. Ich dachte nicht wieder daran, bis nach ihrem Tode, ein halbes Jahr später, das Pony »Poor-Box« in Ngong erschien. »Poor-Box« erwies sich, kaum daß er sich eingelebt hatte, als das klügste Geschöpf auf der ganzen Farm. Äußerlich war er recht unansehnlich, gedrungen und über die besten Jahre hinaus; Denys Finch-Hatton ritt ihn gern, ich machte mir nicht eben viel daraus. Aber durch Taktik und Umsicht, dadurch, daß er besser wußte, was er wollte, als alle die jungen ungestümen Pferde, die die reichen Leute der Kolonie starten ließen, gewann er das große Wettspringen in Kabete, das zu Ehren des Prinzen von Wales abgehalten wurde. Mit seiner gewohnten ruhigen, bescheidenen Haltung brachte er eine große Silbermedaille heim, und nach einer Woche gespannter Sorge schlugen in meinem Hause ihm zu Ehren Wellen der Begeisterung und Siegesfreude empor. Er starb sechs Monate später an der Kruppe und wurde nicht weit von seinem Stall unter den Zitronenbäumen begraben und viel beklagt; sein Name lebte noch lange fort.

Der alte Mr. Bulpett, den sie im Klub Onkel Charles nannten, kam heraus und speiste bei mir. Er war mir ein lieber Freund und verkörperte ein Ideal für mich, den englischen Kavalier der Viktorianischen Zeit, der sich auch in der unsrigen wohl fühlte. Er war über den Hellespont geschwommen und hatte das Matterhorn erstiegen und war in seiner Jugend, wohl in den siebziger Jahren, der Liebhaber der schönen Otero gewesen. Man erzählte sich, sie habe ihn völlig ausgeplündert. Mir war, als säße ich zu Tisch mit Armand Duval oder dem berühmten Chevalier des Grieux. Er besaß viele hübsche Bilder der Otero und liebte es, von ihr zu sprechen. Einmal, als wir in Ngong miteinander tafelten, sagte ich zu ihm: »Wie ich höre, sind die Memoiren der schönen Otero jetzt erschienen. Kommen Sie auch darin vor?« – »Ja«, sagte er, »ich komme drin vor. Unter einem anderen Namen zwar, aber doch.« – »Was schreibt sie denn von Ihnen?« fragte ich. »Sie schreibt«, sagte er, »da sei ein junger Mann gewesen, der habe in einem halben Jahr Hunderttausende für sie vertan, aber er sei auf seine Kosten gekommen.« – »Und glauben Sie selbst«, fragte ich lachend, »daß Sie auf Ihre Kosten gekommen sind?« Er dachte eine Weile über meine Frage nach. »Ja«, sagte er, »ja, das bin ich.« Denys Finch-Hatton und ich feierten mit Mr. Bulpett seinen siebenundsiebzigsten Geburtstag mit einem Picknick auf dem Gipfel der Ngongberge. Als wir da oben saßen, kamen wir darauf zu sprechen, ob wir, wenn es uns freigestellt würde, richtige Flügel zu besitzen, die aber nicht wieder abgelegt werden dürften, das Angebot annehmen oder abweisen würden. Der alte Mr. Bulpett blickte über das unermeßlich weite Land zu unseren Füßen, die grünen Hänge des Ngong, das Rifttal im Westen, als bereite er sich vor, sofort auf- und darüberhin zu fliegen. »Ich würde annehmen, ich würde ganz bestimmt annehmen. Es gibt nichts, was ich lieber täte.« Nach einer Pause des Nachdenkens fügte er hinzu: »Aber ich glaube, ich würde es mir überlegen, wenn ich eine Dame wäre.«