Schon bald sah Bero mit eigenen Augen, wie
Franziska in ihrem eleganten Wagen in die Stadt einzog und fröhlich
mit ihrer kleinen Tochter plauderte. Wie immer war Franziska
elegant gewandet und auch ihr Kind trug kostbare Reisekleider. Der
Graf nahm die Frau persönlich in Empfang, überließ dem Rossknecht
die Sorge um Kutsche und Pferde und geleitete die Schneiderin mit
ihrer Tochter in die von ihm besorgten Räumlichkeiten. Zum
königlichen Bankett am heutigen Abend würden die beiden ja wohl
nicht eingeladen sein, dachte Bero.
Johann von Schwaben brütete schweigend in seiner Unterkunft vor sich hin. Sechs Männer, allesamt Adelige und Grundherren, hatte er mitgebracht um einen entsprechend gewichtigen Auftritt zu gewährleisten, wenn er dem König seine Forderungen überbrachte. Jeder von ihnen hatte einen oder zwei Männer als Begleitung, aber dennoch hatten sie sich Mühe gegeben, hier vor Ort kein Aufsehen zu erregen und sich unauffällig zu verhalten.
Der Erbanspruch seines zu früh verschiedenen Vaters war im Testament des alten Rudolf genau beschrieben gewesen, und nach Auskunft der Advokaten und Kirchenjuristen auch nicht mit seinem frühen Tod erloschen. Ihm, Johann, stand als Sohn dieses Erbteil zu und nicht bloß die wenigen lächerlichen Ländereien, die er stattdessen erhalten hatte. Er würde heute abermals sein Recht einfordern, aber nicht wie früher, mittels Eingaben irgendwelcher Rechtsgelehrter, die sich anschließend in nicht enden wollenden schriftlichen Disputen mit den Juristen des Königs auseinandersetzten, sondern persönlich, von Mann zu Mann, und dann würde sich schon zeigen, ob der alte und schwache Albrecht noch die Kraft und den Willen besaß, sich weiterhin den Ansprüchen Johanns zu widersetzen. Wenn der König vernünftig wäre, würde er ihm seinen rechtmäßigen Besitz übertragen und ihn obendrein an seine Seite setzen, falls er Wert darauf legte, die Habsburger Herrschaft zu festigen und auszudehnen. Albrechts noch lebende Söhne waren kindsköpfige Schwächlinge, und Johann war sich sicher, dass auch der König dies wusste.
Bero saß unter den Gefolgsmännern Johanns und ließ sich den Becher mit Wein füllen.
»Der König erwartet einen seiner Ritter heute Nachmittag«, sagte er schließlich zu seinem Herrn.
»Na und? Was kümmert mich das?«, fragte dieser schlecht gelaunt.
»Es handelt sich um Montardier. Ihr kennt ihn aus seiner Zeit bei Hofe.«
»Montardier? Wie kann das sein? Über den Mann ist die Acht verhängt, er soll den armen Wenzel erschlagen haben.«
»Anscheinend hat er die Gunst des Königs wiedererlangt. Er scheint besonders gut mit Albrecht zurechtzukommen.«
Wieder umwölkte sich das Gesicht Johanns, als er sich daran erinnerte, wie der blutjunge Knappe unter die Fittiche des Königs genommen wurde, nachdem er angeblich in der Schlacht um die Reichskrone Albrechts Widersacher niedergestreckt hatte. Ihm fiel auch das reiche Lehen unter König Philipp ein, das Albrecht diesem Niemand hatte zukommen lassen, statt wenigstens in diesem Fall auf die Stimme des Blutes zu hören. Ein Habsburger hätte es sich auch nicht ungestraft wieder wegnehmen lassen und das Reich dadurch zum Gespött Europas gemacht.
»Ich denke, der König wird sich wieder mit ihm umgeben, ihm ein stattliches Lehen in Aussicht stellen und ihn zu großen Aufgaben bestimmen. Da Montardier der Stiefbruder dieses ägyptischen Sultansvetters ist, wird Albrecht ihm wahrscheinlich etwas Gutes tun wollen, um sich den Sultan gewogen zu machen. Man spricht davon, dass der Ägypter Albrecht zum König von Jerusalem einsetzen will.« Bero wusste genau, wie er es anfangen musste, um an sein Ziel zu gelangen. Diesen Niemand wieder an der Seite des Königs zu sehen würde dem Schwaben missfallen.
Johann nickte. Davon hatte er auch schon gehört. Jeder bei Hof kannte das Gerücht.
»Am Ende gibt Albrecht diesem Dahergelaufenen zum Dank noch Euren Erbbesitz und lässt Euch abermals leer ausgehen!«
Schon wollte Johann Bero zurechtweisen, dass er nicht solchen Unfug reden sollte, da schoss ihm plötzlich der Gedanke durch den Kopf, dass dies gar nicht so abwegig war. Dieser Montardier war nicht zu unterschätzen, und wenn Albrecht sich wieder für ihn erwärmte, wer weiß, was dem König einfiele. Albrecht konnte bei der Verteilung von Macht und Pfründen unberechenbar sein. Johann sah seinen Ritter scharf an. War der Mann in der Lage, dieses Problem für ihn zu lösen, oder wollte er sich nur wichtig machen? Bei seinen Gefolgsleuten musste man mindestens so vorsichtig sein wie bei seinen Feinden. Diese Lektion hatte er in den Jahren bei Hof gelernt.
»Was ratet ihr mir?«, fragte er nun geradeheraus. »Ihr kennt den Burschen schließlich am besten. Hat nicht Euer Vater ihn ausgebildet?«
»Mein Großvater, genau genommen. Ihm hat er es zu
verdanken, dass er überhaupt in der Lage ist, mit Albrecht und bei
Hof zu verkehren. Aber so schlau und geschickt Montardier im Umgang
mit dem König ist und seinen Kopf immer wieder aus der Schlinge
zieht, er ist nicht unangreifbar. Er hat eine schwache Stelle.«
Aufmerksam hörte Johann zu, wie Bero ihm schilderte, dass die
berühmte Schneiderin aus Nürnberg, deren Kleider sogar die
Königsfamilie trug, die ach so ehrenwerte Witwe eines kreuzbraven
Handwerkers, in Wahrheit jahrelang Montardiers Metze gewesen war
und ihm ein Kind geschenkt hat. Sogar seine vom König gestiftete
Ehe hatte sie gebrochen und ihren Vollzug verhindert. Die Frau war
auf dem Weg hierher, und da lag der Verdacht doch nahe, dass man
wohl gemeinsam an die Güte des Herrschers appellieren und um seine
Zustimmung zur Heirat ersuchen wollte. Außerdem trieb sich auch
Graf Meynhard von Aarnkreutz schon wieder in des Königs Nähe herum.
»Ihr wisst ja, der Mann hat diese königliche Mätresse geheiratet
und damit Albrecht und dem Kanzler die Peinlichkeit erspart, sich
der Frau anderweitig und deutlich kostspieliger zu entledigen. Der
Mann hat in wenigen Jahren seine einfache Grafschaft zu einem
reichen Herrensitz mit florierender Wirtschaft gewandelt.
Möglicherweise holt der König sich Rat bei ihm, wie man aus anderen
Lehen Süddeutschlands ebensolche Goldgruben machen könne. Mir will
scheinen, man will Euren Erbanspruch geschickt unterlaufen und Euch
um Euer Recht bringen. Oder warum denkt Ihr, kommen all diese Leute
an diesem gottverlassenen Flecken zusammen und scharwenzeln hier um
Albrecht herum?«
Restwangen hatte die Befürchtungen, die Johann selbst und seine engsten Freunde seit Tagen mit sich trugen, jedoch nur vage formulieren konnten, rasch und in klaren Worten zusammengefasst. Johann erkannte, dass der Mann mit seinen Schlussfolgerungen Recht haben könnte. Albrecht neigte dazu, Günstlingen überraschend unverständlich hohe Vergütungen für ihre Leistungen anzubieten. Dies tat er weniger aus überschäumender Dankbarkeit, sondern um andere Edle anzuspornen, sich ebenfalls um königliche Gunst verdient zu machen. Es war daher durchaus möglich, dass er diesen Montardier plötzlich wieder emporhob, ihn reich belehnte und Johann abermals mit geheuchelten Worten abspeiste.
»Was schlagt Ihr vor?«, fragte er den Ritter nochmals direkt.
»Montardier muss verschwinden. Wir müssen ihn vom König weglocken. Albrecht will mit seinen Mannen noch einige Tage in der Gegend verweilen. Heute nach dem Mahl wird er nach Winterthur reiten, um in den nächsten Tagen in der Burg zu Gericht zu sitzen und sich Regierungsgeschäften zu widmen. Erst in der kommenden Woche will Albrecht an den Hof zurückkehren. Ich kann Euch Montardier und seine Entourage ein paar Tage vom Leibe halten, er soll Eure Verhandlungen mit Albrecht nicht beeinflussen. Gebt mir zwei oder drei Bewaffnete, und ich erledige das für Euch. Ich …« Johann hob die Hand. »Einzelheiten kümmern mich nicht. Tut, was nötig ist! Doch seid vorsichtig: Der Mann soll seine Audienz beim König ungestört wahrnehmen können, und Ihr müsst, wie alle meine Ritter, am frühen Abend als mein Gefolge beim Bankett erscheinen. Der Rest ist allein Eure Angelegenheit.«
*
Erst am
Nachmittag erreichten Louis und Henri den kleinen Ort. Noch in
Reisekleidern ließ Louis sich dem Monarch daher melden und wurde
nach nur kurzer Wartezeit in der Neftenbacher Burg
empfangen.
Die Audienz ging rasch vonstatten. Albrechts Sekretär fertigte das erforderliche Dokument der Aufhebung der Reichsacht aus, und Louis versicherte den König seiner Treue. Henri und er hatten einen Brief und einige Geschenke an-Nasirs mitgebracht, die den König sichtlich erfreuten. In dem Schreiben wurde erneut die Möglichkeit angesprochen, Jerusalem den Europäern zu übergeben. Albrecht, der sich erkenntlich zeigen wollte, lud Henri und Louis zu dem Gastmahl ein, das an diesem Abend gegeben werden sollte. Prinz Chalil würde ebenfalls anwesend sein.
»Wir müssen Euer weiteres Fortkommen besprechen, Montardier. Gewiss habt Ihr eigene Pläne für Eure Zukunft, doch gebt mir einen oder zwei Tage, um über neue Aufgaben für Euch zu befinden. Lasst uns diese in Ruhe erörtern. Heute ist die Zeit knapp bemessen, und zu viele Mitglieder meines Rats sind nicht anwesend. Morgen oder übermorgen finden wir sicher die nötige Muße. Willkommen zurück!«
Louis spürte, wie ihn eine heiße Woge der Freude durchströmte. Mit leuchtenden Augen beugte er das Haupt. Der König entließ ihn mit einer knappen Handbewegung.
Neue Aufgaben – durch dieses Angebot war Louis mehr als rehabilitiert. Das Reich war noch nicht gefestigt und gute Männer mit politischer Erfahrung konnten an Albrechts Seite Großes vollbringen. Doch war es Albrecht ernst damit gewesen, ihm zu neuen Würden und neuem Rang zu verhelfen? Im Gegensatz zu seiner Zeit bei Hof konnte Louis die Gedanken des Königs heute nur schwer einschätzen, zu sehr hatte der Monarch sich seit ihrem letzten Treffen verändert. Das ehemals kräftige braune Haar war grau geworden und hing in schütteren Locken von seinem Schädel. Tiefe Furchen zogen sich durch das hager und fahl gewordene Gesicht und die ehemals so aufrechte und kraftvolle Haltung, die Ausdruck von Albrechts Autorität gewesen war, konnte er nur für kurze Zeit einnehmen. Bereits inmitten dieses kurzen Gesprächs war Albrecht zwei oder drei Mal sichtbar zusammengesunken. Zudem war er auffallend blass gewesen, hatte fahrig und unkonzentriert gewirkt und sich mehrmals versprochen. Der König war ein alter Mann geworden, und wer konnte vorhersagen, wie lange er das Reich noch lenken würde? Kurz sah Louis sich als Stütze des Monarchen, doch rasch schüttelte er diese Vorstellung wieder von sich ab. So groß die Verlockungen einer neuen Karriere bei Hof auch waren, er wusste, er würde ihnen nicht nachkommen, nicht den gleichen Fehler ein zweites Mal begehen.
*
Da die Räume der kleinen Burg Wart durch die königlichen Begleiter bereits überfüllt waren, hatte Rochus zwei Zimmer in einer Herberge besorgt, um Henri und Louis, sich selbst und zwei mitreisende Gehilfen Henris unterzubringen. Vater und Sohn eilten in ihre Unterkunft, um sich rasch für das Gastmahl zu säubern und umzukleiden.
Albrecht war mit kleinem Gefolge angereist, lediglich ein knappes Dutzend Bewaffneter hatte ihn auf seinem Ritt begleitet. Die Gegend war friedlich, und er hatte keinen Grund gesehen, für eine so kurze Reise einen ganzen Tross mit sich zu führen. Das heutige Gastmahl fand daher auch in kleinerem Rahmen statt. Die hufeisenförmige Tafel in der Burghalle bot Platz für etwa dreißig Gäste. Es waren kaum Damen geladen, und außer Albrechts Rittern, Meynhard und den Montardiers war nur noch eine kleine Gruppe süddeutscher und Schweizer Edelmänner anwesend. Louis und Henri erfuhren von ihren Sitznachbarn, mit wem sie es zu tun hatten.
»Der junge Mann nur wenige Plätze neben dem König ist sein Neffe Johann, Sohn seines verstorbenen Bruders. Es geht das Gerücht, der König hätte den ganzen Vormittag im Streit mit ihm verbracht. Es soll wohl um Johanns Erbe gegangen sein. Der König muss sehr aufgebracht gewesen sein. Seht ihn Euch an, er wirkt erschöpft und belastet.«
Der Mann sprach munter weiter. »Uns gegenüber sitzen einige Edelleute aus der Gegend hier, die mit dem König über Truppentribute und Steuern zu verhandeln haben. Ich kenne die meisten nicht mit Namen. Johanns Begleiter sitzen weiter hinten. Die letzten sind gerade erst eingetreten, seht selbst.« Eine Handvoll Männer hatte am Ende des einen Tafelflügels Platz genommen. Trotz der schlechten Beleuchtung und der Entfernung erkannte Henri den gedrungenen Mann mit der Narbe sofort wieder. Seine Nackenmuskeln verkrampften sich, und er sah aus dem Augenwinkel, wie Louis' Hand wie von selbst an seinen Gürtel fuhr, an dem zur Zierde ein eleganter Dolch baumelte.
»Lass das, Sohn. Unsere Stunde kommt noch«, flüsterte er Louis zu und legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.
Chalil und Meynhard saßen ihnen genau gegenüber, konnten Bero also nicht ausmachen. Meynhards Diener flüsterte seinem Herrn jedoch etwas zu, was dieser schweigend aufnahm. Chalil widmete seine ganze Aufmerksamkeit Johann, an dem ihm etwas zu missfallen schien. Bero, der vom hinteren Ende des Saales aus seinen Blick über die Anwesenden schweifen ließ, tat, als hätte er Louis und Henri nicht wahrgenommen.
Als die Speisen gereicht und die Pokale zum wiederholten Male gefüllt wurden, traten auf einen Wink eines königlichen Begleiters vier adrett herausgeputzte Pagen vor, die einen großen Korb trugen und in der Mitte des Saals abstellten. Ein zarter Duft nach frischen Blüten erfüllte den Raum, als die Knaben den Deckel des Korbes lüfteten.
»Möge das Reich erblühen wie diese Blumen hier«,
sprach der König einen ungewöhnlichen Trinkspruch, während die
Jungen jedem Gast einen üppigen Blütenkranz reichten.
»Mit Blumen wollt ihr mich abspeisen?«, brüllte Johann wütend und sprang auf. Mit zwei raschen Schritten stand er nur eine Armeslänge vor seinem Onkel. Zornesröte stand in seinem Gesicht, und die Adern an seinem Hals traten fingerdick hervor. »Hier, nehmt Eure Blumen«, rief er und schleuderte dem König den Kranz ins Gesicht. Seine Hand fuhr an die linke Hüfte, doch wie alle Gäste war er ungegürtet zu dem Mahl erschienen. Blitzschnell sprangen die Begleiter des Königs auf und umringten schützend ihren Herrn. Johann verharrte einen Moment lang stocksteif und starrte Albrecht hasserfüllt ins Angesicht. Der König schien unter dem Blick zusammenzuzucken wie unter einem Peitschenhieb. Schließlich stampfte Johann auf, machte auf dem Absatz kehrt und eilte aus dem Saal. Seine Gefolgsleute sahen einander erschreckt und fragend an, bis sie schließlich ebenfalls aufsprangen und Johann folgten, während der kreidebleiche Albrecht von seiner Leibwache durch eine Tür auf der anderen Seite des Saales in das Arbeitszimmer geführt wurde. Ein Murmeln erhob sich im Raum, das schließlich zu entsetztem Redegetöse anschwoll.
»Das ist wohl das Ende unseres Gastmahls«, sprach Chalil, erhob sich und ging mit Meynhard zu Henri und Louis. »Kommt, es gibt noch jemand anderen, mit dem wir heute feiern können. Ich glaube, man erwartet uns bereits.«
*
Franziska hatte Giso beauftragt, sich um Wagen und Pferde zu kümmern, und wartete mit Katharina in den Räumen, die Meynhard angemietet hatte. Die Kleine war noch ganz aufgeregt von der langen Reise und den vielen neuen Dingen, die sie gesehen hatte.
Heute hatte Franziska ihr noch mehr von Louis erzählt, der durch seinen Mut als junger Mann dem König zu seinem Thron verholfen hatte, von Marie, mit deren Hilfe sie die Schneiderei so erfolgreich aufgebaut hatte, und von den schlauen Ideen Chalils, der ein Vetter des Königs von Ägypten und somit eine sehr wichtige Persönlichkeit war.
Franziska hatte Katharina das hübsche Kleid angezogen, dass sie eigens für den heutigen Tag mitgenommen hatten, und ihr das blonde Haar geflochten. Wie sehr sie Louis ähnelt, dachte sie und unterdrückte ein Seufzen.
Die vergangenen Tage hatte sie ein wenig Angst vor dem Wiedersehen mit Louis gehabt, doch jetzt, wo die lange Reise hinter ihr lag und der Geliebte so nahe war, fühlte sie sich so unbeschwert und heiter wie schon lange nicht mehr. Fast war es so wie einst, als sie in der Schneiderwerkstatt in Budweis auf ihn wartete.
Sie hatte für diesen Tag ein neues Kleid
angelegt. Ein Tageskleid in warmen Braun- und Bronzetönen, aus
feinstem englischem Wollstoff, hochelegant und aufwändig mit den
prächtigsten Knöpfen versehen. Die sichtbaren bestanden aus
Bernstein und die verdeckten, auch die von Hemd und Untergewand,
aus poliertem Perlmutt. Ob Louis sie heute wohl zu sehen bekommt?
Sie erinnerte sich an das erste Mal, als der junge Ritter ihr aus
einem anderen Kleid geholfen hatte, und mit welcher Leidenschaft
sie einander geliebt hatten. Es war in einem Zimmer wie diesem hier
gewesen. Ein Tisch, eine Bank, Stühle und ein Kamin. Das Feuer
prasselte auch heute bereits … Würde die Leidenschaft sofort
wieder erwachen? Oder wären sie einander fremd geworden? Sie malte
sich das Wiedersehen in allen möglichen Facetten aus und war
besonders auf Louis' Gesicht neugierig, wenn er seine Tochter das
erste Mal sah. Gerade wollte sie Katharina ermahnen, besonders
artig zu sein, als sie hastige Männerschritte über den Flur kommen
hörte und die Zimmertür ungestüm aufgerissen und mit einem lauten
Schlag gegen die Wand geschmettert wurde.
Giso hatte wie befohlen den teuren Wagen in der Scheune des Gebäudes abgestellt und die Pferde versorgt. Nachdem er noch die Hufeisen überprüft und die Tiere auf die Koppel geführt hatte, kehrte er wieder zu dem Haus zurück, dessen Obergeschoss die Herrschaften bewohnten. Es war ihm unangenehm, die feinen Räume zu betreten, daher ließ er sich auf einer Bank neben der Haustür nieder und stützte sich auf seinen Knüppel, den er stets griffbereit an seiner Seite hatte.
Erstaunt hob er den Kopf, als er die Tritte vernahm. Vier Männer näherten sich. Den einen erkannte er, schließlich hatte der in der Vergangenheit schon seine Peitsche zu spüren bekommen. Sie liefen direkt auf die offen stehende Pforte zu. Giso sprang auf und verstellte ihnen den Weg. Drohend hob er den Eichenknüppel.
»Was wollt …«
»Aus dem Weg, Tölpel«, herrschte der Hinkende ihn
an. Offensichtlich erkannte er den Rossknecht nicht wieder. Statt
einer Antwort hob Giso den Knüppel noch höher. Er war ein großer
und vierschrötiger Mann, mit muskulösen Armen und einem energischen
Kinn, das er den Bewaffneten nun entschlossen entgegenreckte.
Gewöhnlich genügte diese drohende Haltung, um hitzige Angreifer
einzuschüchtern. Diese Männer jedoch schienen sich nicht aufhalten
zu lassen, sondern beschleunigten ihren Schritt, als wollten sie
ihn niederrennen. Der Knecht sah sie finster an, verlagerte sein
Gewicht fest auf beide Beine, holte zum Schlag aus und traf den
ersten der Kerle hart am Kopf. Ein Schrei entfuhr dem Getroffenen,
er taumelte und hob die Hand an das zerschmetterte Jochbein. Bevor
Giso ein weiteres Mal ausholen konnte, packten zwei der
Eindringlinge seinen Knüppel und drängten ihn damit rückwärts ins
Haus. Er wehrte sich, so gut er konnte, trat um sich, stieß mit dem
Kopf und versuchte, die Arme frei zu bekommen, während die Männer
ihn hinter die Tür zwängten. Einer der Kerle drückte ihm die Hand
auf den Mund, als der Anführer der Bande an den Schaft seines
Stiefels fasste und einen Dolch zückte. Nicht einen Moment zögerte
er, als er Giso die Klinge in den Leib stieß. Ein geübter Stoß, der
zwischen die Rippen des Rossknechts drang und sein Herz
durchbohrte. Gisos Beine
gaben nach, und seine Arme erschlafften. Die Eindringlinge stießen
den wehrlosen Körper des Sterbenden die Kellertreppe neben dem
Eingang hinab und stürmten in das Obergeschoss.
Franziska stand mit vor Schreck geweiteten Augen vor ihnen. Sie wollte schreien, doch schon traf eine Faust sie in den Magen. Der Schläger fing sie auf und stützte sie einen Moment, bevor er nochmals ausholte. Ein zweiter Hieb traf sie an der Schläfe und sie spürte, wie ihr die Sinne schwanden.
Katharina stand weinend mitten im Zimmer. Einer der Männer packte sie und knebelte sie mit einem schmutzigen Lappen. Ein weiterer Kerl zog ihr einen Sack über den Kopf, hob sie hoch und lief auf die offene Tür zu.
»Kommt es auf die paar Augenblicke an?«, fragte einer der Kerle, der die bewusstlose Franziska betrachtete, deren hochgerutschtes Kleid die hell bestrumpften Beine sehen ließ. Schon kniete er nieder, um sich über sie herzumachen.
»Dummköpfe! Kommt sofort!«, herrschte der Ritter
sie an, und sein verletzter Mann, der das Kind trug, folgte ihm
augenblicklich. »Du weißt, was zu tun ist«, zischte Bero Gerfried
zu, der stumm nickte und mit dem Kind und den beiden anderen
Männern in der Dämmerung verschwand.
Als Franziska erwachte, war es bereits dunkel. Sie wusste zunächst nicht, wo sie sich befand. Erst allmählich kehrte die Erinnerung an die Geschehnisse wieder. Ihr Kopf hämmerte und schmerzte und ihr war speiübel. Sie sah ihr hochgerutschtes Kleid und fürchtete, die Angreifer hätten sich an ihr vergangen, doch ein vorsichtiges Tasten an ihrem Unterleib offenbarte keine verdächtigen Spuren. Ihr Kopf tat so weh, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Ob Katharina ihr wohl aufhelfen und ihr etwas Wasser bringen konnte? Erst jetzt bemerkte sie, wie still es in dem Raum geworden war. War sie allein? Panisch richtete sie sich auf und rief nach ihrer Tochter, so laut sie konnte. »Katharina! Wo bist du?«, rief sie wieder und wieder, während sie sich mit letzter Kraft aufraffte und aus der Tür stürzte. Sie riss die Türen der anderen Räume auf, die jetzt in der Dämmerung dunkel und verlassen waren. Vielleicht hatte die Kleine sich versteckt und wagte nicht hervorzukommen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie öffnete alle Schränke und Kästen. Sie stürmte die Treppe hinunter. Die Räume im Erdgeschoss, ohnehin nicht zu Wohnzwecken gedacht, waren verschlossen. Sie erreichte die schmale Treppe, die in den Keller führte. Sie rannte die steinernen Stufen hinab. Plötzlich stieß ihr Fuß in etwas Weiches. »O mein Gott!«, entfuhr es ihr, und sie sah im Geiste ihre Tochter gemeuchelt auf dem Treppenabsatz liegen. Doch der Körper zu ihren Füßen war viel zu groß. Obwohl sie sich zu Tode fürchtete, bückte sie sich, um den Liegenden abzutasten. Als Erstes spürte sie den offen stehenden Rock aus dicker gewalkter Wolle und fühlte die großen polierten Zinnknöpfe an seiner Vorderseite. Ein trauriges Seufzen entrang sich ihrer Brust. Sie wusste, wessen Leichnam zu ihren Füßen lag. Sie hatte ihrem Bediensteten die gute Jacke selbst zu seinem letzten Namensfest geschenkt, als Dank für die Jahre treuer Dienste.
Giso war tot – doch wo bei allen Heiligen steckte ihr Kind? Wieder rief sie, machte kehrt und hastete die Kellertreppe hinauf. Ohne Licht und ohne Mantel rannte sie aus dem Haus und rief abermals, als sie die Männer sah, die ihr mit verwunderten Blicken entgegentraten. Zwei von ihnen trugen Fackeln.
»Katharina!«, rief Franziska entsetzt, »Katharina ist verschwunden! Sie … ich … wir sind überfallen worden. Der arme Giso …« Sie fühlte, wie ihre Kräfte erneut schwanden. Zwei starke Arme fingen sie auf und stützten sie. Ihr Kopf sank gegen Louis' Brust, und für einen kurzen Moment schien ihre Lebenskraft zurückzukehren. In wenigen Worten erzählte sie, was geschehen war. Ihre Stimme bebte vor Wut, als sie schilderte, dass der Anführer der Männer Bero von Restwangen gewesen war. Nachdem sie geendet hatte, leuchtete Rochus mit seiner Fackel die Umgebung ab und entdeckte frische Blutspuren auf dem Boden.
Meynhard und Chalil rannten zur Scheune und zur Pferdekoppel, um sicherzugehen, dass die Kleine sich nicht dort versteckte, doch außer dem leeren Wagen und den Rössern war nichts zu finden.
»Aber Restwangen? Wie kann das sein?«, fragte Henri nun. »Wir haben ihn doch selbst erst beim königlichen Bankett gesehen, wie er seinem Herrn beistand.«
»Seinem Herrn?«, fragte Franziska, während Louis sie vorsichtig die Treppe emporführte.
»Er steht in den Diensten Johanns von Schwaben, dem Neffen des Königs. Albrecht hat das heutige Gastmahl abgebrochen, nachdem er von Johann beleidigt und beinahe tätlich angegriffen worden war.«
»Aber wieso Katharina?«, fragte Franziska, und
wieder bahnten die Tränen sich ihren Weg, doch keiner der Männer
vermochte ihr die rechte Antwort zu geben.
Die Männer hatten darauf bestanden, dass Franziska sich im Schlafraum etwas ausruhte. Durch die offen stehende Tür konnte sie die Unterhaltung der Männer im Kaminzimmer jedoch verfolgen.
»Ich gehe umgehend zu Johann und stelle ihn zur Rede. Ich werde auf Beros Inhaftierung bestehen und morgen beim König vorsprechen. Diesmal ist Restwangen endgültig zu weit gegangen. Kindesentführung wird mit dem Tod bestraft, da nützt ihm auch sein Ritterstand nichts«, vernahm sie Henris entschlossene Stimme und die Zustimmung des Grafen, der sich als Begleiter anbot und zu sofortigem Aufbruch riet. Sie hörte Mäntel rascheln und die Stiefel der Männer über den hölzernen Boden eilen.
»Aber wieso?«, fragte Louis nun. »Mit dem Kind kann er doch nichts anfangen. Und um Franziska oder mich erpressen zu können, hätte er unerkannt bleiben müssen. Er weiß doch, dass wir alles in Bewegung setzen werden, ihn und seine Spießgesellen zu fassen. Warum war er so töricht?«
Rochus sah ihn ratlos an, doch hinter Chalils Stirn schien es wie rasend zu arbeiten. Schließlich begann er zu sprechen: »Bero steckt offensichtlich in Geldnot und hat sich deshalb einen neuen Herrn gesucht, einen, der bald reich sein möchte, vielleicht sogar König. Und erinnere dich, Bero weiß, wie man einen Mann zum König macht. Vielleicht ahnt Albrecht, dass Johann sich die Krone aufsetzen möchte, und sieht sich gezwungen, sich so rasch er kann mächtige Verbündete zu sichern. Oder was glaubst du, weshalb er dir heute einen neuen Posten angeboten hat?«
»Du meinst, es war wegen an-Nasir?«
»Und wegen Jerusalem. Du bist der Mann, der ihm dazu verhelfen kann, und darüber spricht vermutlich schon der ganze Hof.«
»Und Johann darf keine Zeit mehr verlieren. Als Erstes muss er mich loswerden, doch nachdem ich wieder des Königs Wohlwollen genieße, kann er das nicht offen tun. Er lässt also mein Kind entführen in dem Wissen, dass ich alles in Bewegung setzen werde, es wiederzufinden. Wahrscheinlich will man uns so auf eine falsche Fährte locken, um uns dann hinterrücks den Garaus zu machen.«
»Und in der Zwischenzeit kümmert er sich um Albrecht.«
»O mein Gott! Du meinst, er will den König …«
»Nach den Ereignissen von heute steht das zu befürchten. Entweder wirft er sich eilends vor ihm in den Staub und bettelt um Verzeihung oder er greift zum Schwert. Für eines von beiden wird er sich entscheiden müssen.«
»Ich muss sofort zu Albrecht!«
»Nein, mein Lieber, das lässt du schön bleiben. Du bleibst hier und kümmerst dich um dein Mädchen. Ich werde reiten, und Rochus begleitet mich. Wir brechen sofort auf.« Er nickte dem Langen zu, der sich schon erhoben hatte und nach seinem Umhang griff. Stumm verabschiedeten die Brüder sich voneinander, hoffend, einander unversehrt wiederzusehen.
Unsicher betrat Louis das Nebenzimmer. Franziska
hatte die Augen geschlossen und lag erschöpft auf dem Bett. Er
setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand.
»Alle Vögel waren ausgeflogen«, schilderte Meynhard in knappen Worten, was die beiden Männer in Johanns Quartier vorgefunden hatten. Der Wirt vermochte auch nicht zu sagen, wohin sie gegangen waren, weder die Aussicht auf ein Goldstück noch eine Drohung brachten ihn zum Sprechen. Er wusste nur, dass alle Mann sehr aufgebracht wirkten und Johann erhitzten Gemüts war, so als hätte er kurz zuvor die Beherrschung verloren. »Kurz nach ihrer Ankunft in der Herberge hatten die Männer ihre Pferde bestiegen und waren verschwanden. Bero war unter ihnen.«
»Wir vermuten, sie haben Katharina entführt, um mich in einen Hinterhalt zu locken und zu ermorden«, sagte Louis.
»Das steht zu befürchten. Einen anderen Grund für die Entführung scheint es nicht zu geben. Doch ich glaube, die Lage hat sich gewandelt«, antwortete sein Vater.
»Ihr meint, wegen des Königs?«, fragte Meynhard.
»Ganz recht«, antwortete Louis. »Johann darf jetzt keine Zeit mehr verlieren. Er hat den Kopf verloren und seinen Monarchen schwer beleidigt und bedroht. Er kann nicht mehr in Ruhe mit Albrecht um sein Erbe und seine Stellung im Reich feilschen. Wie Chalil wohl zu Recht vermutet, muss er den König entweder um Verzeihung bitten oder zum Kampf schreiten. Die Zeit, erst mich loszuwerden und sich dann in den Vordergrund zu drängeln, hat er nicht mehr. Falls er den König um Verzeihung bittet, wird er um Schadensbegrenzung bemüht sein und Katharina wird uns rasch und unversehrt wiedergebracht. Ich bete, dass es so sein möge.«
Längst war Franziska aus einem kurzen und unruhigen Schlaf erwacht, der zumindest ihre Schmerzen vertrieben hatte, und sie hörte das Gespräch der Männer mit. Sie glaubte nicht daran, dass Bero das Kind zurückbringen würde. Der Mann hasste sie, hasste Louis, Chalil und Meynhard, und gewiss wusste er, dass Henri seine ermordete Gattin rächen würde, sobald die Zeit dazu gekommen war. Bero hatte Katharinas Großvater schließlich heute Abend beim Bankett gesehen und ihn bestimmt wiedererkannt. Franziska schalt sich eine Närrin, Bero noch vor wenigen Tagen so unterschätzt zu haben. Solange er seine schmutzigen Finger mit im Spiel hatte, würde sie ihre Tochter nicht so ohne weiteres zurückerhalten. Im besten Fall würde er sie als Unterpfand für seine eigene Unversehrtheit einsetzen. Und sie hoffentlich am Leben lassen.
Sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten und betete, dass Gott einen seiner Engel zu Katharinas Schutz entsandte, die nun wahrscheinlich irgendwo gefesselt und geknebelt gefangen gehalten wurde.
Immer wieder kam Louis in das Zimmer, um nach ihr zu sehen. Er hielt sie im Arm, fasste ihre Hände und gab sich solche Mühe, ihr Kraft und Trost zu spenden. Sie spürte das starke Band, das sie beide verband, und war so froh, ihn an ihrer Seite zu haben, auch wenn sie sich das Wiedersehen anders ausgemalt hatte.
Henri bestand darauf, dass die Männer sich etwas ausruhten, da vor dem Morgengrauen ohnedies nicht viel geschehen würde. Etwa zwei Stunden vor Sonnenaufgang stolperte ein erschöpfter und übermüdeter Rochus in die Runde.
»Chalil ist noch am späten Abend bis zu Albrecht vorgedrungen. Sie haben sich unter vier Augen beraten und Albrecht hat sofort eine Entscheidung getroffen: Er wird nicht auf seinen schmählichen Neffen warten, sondern schon im ersten Morgengrauen aufbrechen. Den Vorschlag, erst abzuwarten und aus dem nahen Zürich oder woher sonst immer eine schlagkräftige Truppe als Leibwache zu besorgen, lehnte er rundweg ab. Auch auf die Hilfe der Ordensritter, die sich in seiner Burg ausruhten, wollte er verzichten. Seine Leibgarde genüge ihm, teilte er mit. In kleiner Entourage könne er die Strecke zu seinem Hof viel schneller zurücklegen als in einer großen und auffälligen Karawane. Außerdem schickt er nach Louis, er möge zu ihm eilen und mit ihm kommen. Wegen der Entführung Katharinas wolle er den Burgvogt von Winterthur beauftragen, der neben seinen Schergen gegebenenfalls noch Männer der Reichsstadt Zürich zur Unterstützung bekommen sollte. Sie würden das Kind rasch finden und die Schuldigen fassen, die ab dem heutigen Tag als Gesuchte gelten sollen.« Einen Moment musste Rochus Atem holen, dann sprach er weiter.
»Chalil gefällt die Sache nicht. Er vermutet Verrat bei Hof und sogar einen möglichen Hinterhalt, hat sich aber vorgenommen, auf Louis zu warten und ihn zu begleiten, wenn er mit dem König geht. Ich habe Euch unsere zwei Bewaffneten mitgebracht, mehr war als Eskorte in der Eile nicht aufzutreiben. Am besten, wir brechen gleich auf.«
»Bleib du mit einem der Männer hier und behüte Franziska«, sprach Henri entschieden. Er hatte erkannt, dass Rochus viel zu erschöpft war, um in den nächsten Stunden von Nutzen sein zu können.
»Wir reiten zum König. So wie du die Lage schilderst und wie unsere Befürchtungen liegen, können sich gar nicht genug gute Männer um Albrecht scharen. Du erhältst Nachricht, wann und wo wir uns wiedertreffen.«
Rochus schien seine Rolle nicht zu gefallen, doch er nickte gehorsam zu Henris Worten. Louis trat in Franziskas Zimmer, während die anderen Männer ihre Mäntel überwarfen, die Schwertgurte umschnallten und nach einem kurzen Abschiedsgruß aus dem Haus gingen, um ihre Pferde zu satteln.
Franziska erhob sich von ihrem Bett und sah Louis lange in die Augen. Schließlich trat sie auf ihn zu und umarmte ihn. Kurz drückte Louis sie an sich, bevor er sich sachte von ihr löste, ihr zunickte und dann ebenfalls das Haus verließ. An dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte, baumelte noch ein verzierter Gürtel mit seinem schönen Dolch, den er nicht benötigte, wenn er seinen Schwertgurt mit einer langen und einer kurzen Waffe trug, der am Sattel seines Pferdes hing.
Sie setzte sich an den Tisch, nahm sich einen Becher Dünnbier und trank in kleinen Schlucken. Rochus lächelte sie unsicher an und versuchte auf seine stille und zurückhaltende Art, das Leid der jungen Frau zu lindern. Franziska wusste, sie konnte nichts anderes tun als abzuwarten.
*
Sie hatten den König knapp verpasst, wie Chalil ihnen mitteilte, der im Burghof auf sie wartete. Tatsächlich hatte Albrecht die Unterkunft in aller Frühe und beim ersten Tageslicht verlassen. Er wollte zügig reiten. Sie würden ihn bestimmt rasch einholen.
Nach einer guten Stunde sahen sie den königlichen Trupp erstmals von der Kuppe eines Hügels aus, doch war er in dem angrenzenden Waldstück ihren Blicken wieder entzogen, bis die Bäume sich lichteten und sie die nächste Kuppe überquerten. Der königliche Zug lag nun keine zweihundert Klafter von ihnen entfernt. Die Männer um Albrecht trugen nur leichte Reisekleider und keine Rüstungen, hatten aber ihre Schwerter an den Sätteln hängen. Ein Wagen mit dem Gepäck der kleinen Gruppe sollte erst im Lauf des Tages folgen.
Albrecht führte den Trupp selbst an. Von der
Schwäche, die Louis gestern
an ihm ausgemacht hatte, war zumindest im Augenblick nichts zu
bemerken. Stolz und kraftvoll wirkte der König, wie er in leichtem
Trab vor seinen Männern einherritt.
Plötzlich zügelten Albrecht und seine Begleiter ihre Pferde und brachten sie zum Stillstand. Eine zweite Gruppe von Reitern kam ihnen entgegen. Johann von Schwaben führte den Haufen an, der einige Männer mehr zählte als die Reisegesellschaft Albrechts. Johann ritt ein Schlachtross, ein großes, kräftiges Tier, das sich nun artig im Schritt auf den königlichen Tross zubewegte. Als Zeichen seiner Demut war Johann barhäuptig und hielt sein fürstliches Haupt gesenkt, als er langsam auf seinen Onkel zuritt. Ein Bannerträger, der die königliche Fahne zuoberst auf seiner Stange und erst darunter die Standarte Johanns trug, folgte ihm in kurzem Abstand und vervollständigte das Bild des bußfertigen und unterwürfigen Bittstellers. Erleichtert atmeten die Männer um Louis auf. Ihre Ängste um den König schienen unbegründet gewesen zu sein. Der junge Habsburger musste über Nacht wieder zur Vernunft gekommen sein und schickte sich nun Gottlob an, den königlichen Onkel gnädig zu stimmen und um Verzeihung für sein ungestümes Benehmen zu bitten. Albrecht saß entspannt auf seinem Ross und hielt die Hände auf die Kruppe des Tieres gestützt. Wartend blickte er seinem jungen Verwandten entgegen.
»Da stimmt etwas nicht!«, entfuhr es Louis, als er bemerkte, wie der königliche Sekretär, ohnehin einer der letzten Reiter der Gruppe, still und heimlich sein Pferd aus der Reihe treten ließ und es in langsamem Schritt in den Schutz einer nahen Baumgruppe lenkte.
Nur noch wenige Schritte trennten Johann von Albrecht. Der Neffe zügelte sein Pferd und schickte sich an, aus dem Sattel zu steigen. Unbewegt saß Albrecht auf seinem Pferd und wartete auf seine Geste.
Johann richtete sich kerzengerade im Sattel auf und stand in den Bügeln. Doch statt ein Bein über den Pferderücken zu schwingen, stieß er das Tier plötzlich mit den Hacken in die Weichen, und während es einen Satz nach vorne tat, riss Johann blitzschnell sein Schwert aus der Scheide und holte aus. Verwundert sah Albrecht noch auf, als die schwere und scharfe Klinge schon erbarmungslos niederfuhr und seinen Schädel spaltete.
Johann riss die Waffe zurück und kraftlos sackte der Körper des Königs in sich zusammen, bevor er sich langsam zur Seite neigte und aus dem Sattel glitt. Johanns Begleiter hatten die Umhänge zurückgeschlagen und die vordersten von ihnen, ein halbes Dutzend Männer, hielten gespannte Armbrüste in den Händen. Die ersten Begleiter Albrechts stürzten von ihren Tieren, als sie von den tödlichen Bolzen getroffen wurden.
Bereits als Johann blankzog, hatte Louis seinem Tier die Sporen gegeben und war auf die beiden Gruppen zugesprengt. Die anderen Männer rissen nun ebenfalls die Schwerter aus den Scheiden und folgten ihm.
Drei von Albrechts Männern waren von den Pferden gefallen, ob tot oder verwundet, war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Louis nutzte die kurze Verwirrung, die entstand, als nicht auf den ersten Blick zu erkennen war, welcher Seite er angehörte. Zwei der Männer Johanns sanken wenige Augenblicke später leblos aus ihren Sätteln und gerade fuhr Louis' Klinge in den Nacken eines dritten. Meynhard und Henri stürmten herbei um seine Seiten zu decken, während Chalil einem verwundeten Mann zu Hilfe eilte, den eben ein Berittener niederstrecken wollte.
Eine Handvoll Männer, unter ihnen auch Johann,
löste sich aus dem Knäuel der Kämpfenden und machte sich im
gestreckten Galopp aus dem Staub, ungeachtet der Kameraden, die sie
im Stich ließen. Louis wollte hinterhersetzen, doch stolperte sein
Pferd und war mit einem Mal nicht mehr anzutreiben. Ein Blick über
die Schulter der Falbstute zeigte den Armbrustbolzen, der tief in
ihrer Vorderhand steckte. Chalil sah die Verletzung des Tiers
ebenfalls und reagierte sofort. Er brachte sein Pferd neben dem
Bruder zum Stehen und sprang aus dem Sattel. »Nimm Fathma, sie ist
schneller als Johanns Ross!«, rief er, als Louis bereits in den
Sattel sprang und seine Füße die für ihn etwas zu kurzen Steigbügel
suchten. »Zügel in die Linke!« Kurz bäumte Fathma sich unter dem
ungewohnten Reiter auf, doch als Chalil ihr mit der flachen Klinge
aufs Hinterteil klatschte, schnellte sie voran wie von einer
Bogensehne geschossen.
So schnell wie der Kampf begonnen hatte, war er zu Ende. Die wenigen verbliebenen Männer Johanns waren verwundet, und angesichts der Flucht ihres Herrn ergaben sie sich. Henri und Meynhard überließen die Geschlagenen Chalil und den verbliebenen Königsmännern und setzten Louis hinterher, der bereits in einem nahen Wäldchen verschwand.
Die Verfolgten hatten sich an der ersten Weggabelung geteilt. Louis sah einen einzelnen Mann querfeldein Richtung Neftenbach reiten, die anderen folgten zwei verschiedenen Wegen, die in fast entgegengesetzte Richtungen führten. Louis schlug den Weg ein, der auf den ersten Blick schlechter zu passieren zu sein schien. Genau diesen würde er selbst wählen, würde er vor Verfolgern fliehen, so wie man es als junger Knappe eingebläut bekam, da Verfolger mit dieser Strategie selten rechneten. Er hatte Glück. Bereits nach der ersten Wegbiegung war die Sicht auf ein langes Wiesenstück freigegeben. Er erkannte das mächtige Pferd Johanns sofort. Mit ihm ritt ein zweiter Mann, der große Mühe hatte, sich im Sattel zu halten. Er musste schwer verwundet sein, da der Rücken seines Rocks bereits blutgetränkt war und eine einzige rote Fläche bildete. Louis holte auf, während der schwerverletzte Mann zurückfiel. Er passierte ihn, doch vergeudete er keine Zeit damit, ihm den Todesstoß zu versetzen. Fathma schien über den griffigen Boden zu fliegen, und Louis konnte die Züge Johanns bereits genau ausmachen, als dieser sich mit gehetztem Blick umwandte.
Der Pfad führte in ein Waldstück. Johann trieb sein Ross bis zum Äußersten an und sah sich nach einem geeigneten Platz für einen Zweikampf um. Er würde dem schnellen Verfolger nicht entfliehen können. Louis erkannte angesichts des langsamer werdenden Schlachtrosses, dass Johann es in den nächsten Augenblicken auf den Kampf ankommen lassen musste.
Schon hinter der nächsten Biegung lichtete der Wald sich. Johann parierte sein kräftiges Tier durch und wendete es. Sein Pferd war deutlich größer und schwerer als der Silberschimmel des Verfolgers, und diesen Vorteil würde er nützen. Auch verließ er sich auf seine besonders lange Klinge, deren Knauf er noch immer umfasste.
Louis starrte auf die Spitze eines nur wenige Pferdelängen entfernten Schwerts, als Fathma um die Biegung galoppierte. Der Reiter trieb sein Ross direkt auf ihn zu. Louis riss den Zügel nach rechts, schlug dem Tier den Schenkel in die linke Weiche, und Fathma sprang zur Seite. Johann war Rechtshänder und sein Schwert nun auf der für ihn ungünstigen, äußeren Seite, als die Stute an ihm vorbeischoss. Beide Reiter wendeten eiligst ihre Tiere, um zum zweiten Angriff anzusetzen. Die zwei Männer waren etwa gleich alt und hatten in ihrer Jugend ähnliche Ausbildungen genossen. Den Vorteil, den Johann dank seines ausgebildeten Schlachtrosses hatte, musste Louis durch Wagemut und die größere Kampferfahrung wettmachen. Hätte er nur die klassische ritterliche Kampfkunst erlernt, würde sein Gegner sicher rasch kurzen Prozess mit ihm machen. Louis verfügte jedoch über Techniken, die Johann nicht kannte – schließlich hatte er lange Zeit mit orientalischen Reiterverbänden gekämpft.
Wieder sprengte das riesige Tier des Habsburgers auf ihn zu. Diesmal fiel Johann nicht auf Louis' Ausweichmanöver herein, sondern hielt sich dicht an den vordersten Bäumen des nahen Waldes, sodass er Louis in jedem Fall zu seiner Rechten hatte.
Louis hatte weder Rüstung, Helm noch Schild im Gegensatz zu seinem Gegner, der unter seinem Mantel ein Kettenhemd trug. Nur noch wenige Klafter war Johann von ihm entfernt, als Louis sich zu einer Beduinenfinte entschloss, die waghalsig war, aber einen ungleichen Kampf drehen konnte. Forsch trieb er das gehorsame Pferd seines Bruders direkt gegen das Schlachtross. Kurz bevor er Johann ereichte, lenkte er es nur mit Schenkeldruck nach links und ließ sich selbst zur rechten Seite fallen, sodass er mehr im Sattel hing als saß. Mit den Fersen klammerte er sich an den Pferdekörper und ließ Fathma unvermindert weit ausgreifen. So weit er konnte, duckte er sich unter der Klinge des verdutzten Habsburgers, die sein Gewand durchschnitt und die Haut an seiner Schulter ritzte. Noch tiefer beugte er sich und ließ seinen Schwertarm weit nach unten sinken. Er musste den Habsburger überraschen und beim ersten Versuch aus dem Sattel holen, um den Mörder Albrechts dann im Nahkampf zu besiegen.
Seine Faust klammerte sich um den Knauf seines Schwerts. Das Pferd Johanns trug keine Schabracke, und Louis sah die ungeschützte Stelle hinter dem Sattelgurt. Er riss seine Waffe empor und stieß dem Tier die Klinge tief in den Unterbauch, so zuwider ihm dies auch war. Rasend vor Schmerz bockte das Pferd, stürzte zur Seite und warf seinen überraschten Reiter ab. Louis sprang aus dem Sattel und ließ Fathma außer Reichweite laufen. Mit erhobener Klinge rannte er auf Johann zu. Der Habsburger stand bereits wieder auf den Beinen und sah verwundert auf seinen linken Arm, der seltsam verdreht an seiner Seite hing. Sein Schwert hatte er bei dem Sturz nicht fallen lassen, und schon einen Lidschlag später holte er mit der Rechten aus und stürmte Louis entgegen. Johann war ein nahezu vollendeter Schwertkämpfer, wie Louis sofort erkennen musste. Louis parierte die schnellen Schläge des geübten Fechters mit seiner Klinge. Hell klang Metall auf Metall, und Louis spürte das harte Aufeinanderprallen der Waffen bis in die Schulter. Trotz seiner Verletzung drängte Johann Louis geschickt in die Verteidigung und hieb wütend mit seiner schweren Klinge auf das Schwert seines Gegners. Louis kannte die Strategie, die Johann anwandte: Seine längere und schwerere Klinge bot nicht nur mehr Reichweite und in der Faust eines kräftigen Mannes mehr Schlagkraft, sie konnte das Metall leichterer und schwächer geschmiedeter Schwerter ermüden und schließlich brechen. Sollte Johann dies gelingen, wäre Louis' Tod gewiss. Doch Louis vertraute auf seine eigene Waffe: Das Schwert war ein Abschiedsgeschenk an-Nasirs gewesen, von den besten Handwerkern des Sultans geschmiedet, der persische Stahl ungewöhnlich hart und dennoch elastisch, mehrfach gefaltet und gehämmert, obendrein messerscharf und in Länge und Gewicht exakt an Louis' Körpermaße angepasst. So gut war die Gewichtsverteilung der Klinge, dass Louis die Waffe wesentlicher leichter vorkam, als ihr tatsächliches Gewicht erwarten ließ. Er hoffte, diese Tatsachen zu seinem Vorteil nutzen zu können. Johanns Arm würde ermüden, und er würde ihn durch Ausdauer und Schnelligkeit zu Fall bringen. Doch noch hieb Johann ungebrochen auf ihn ein, trieb ihn vor sich her und versuchte, ihn an den Rand des Waldes zu drängen, um seine Beweglichkeit einzuschränken. Louis spürte Äste an seinem Rücken und er wusste, wenn sie seine Arme und Beine behinderten oder er gar stolperte, würde Johann ihm im nächsten Moment das Lebenslicht ausblasen. Mit raschen Blicken sah Louis sich um. Auf der linken Seite sah er aus dem Augenwinkel Gestrüpp und magere Bäumchen, die im zarten Frühlingsgrün standen, doch zu seiner Rechten war der dicke Stamm einer alten Buche. Ihm schoss ein Trick durch den Kopf, den Siegfried von Restwangen ihm und dem kleinen Horwarth wieder und wieder eingebläut und auf dessen Training er über Jahre hinweg bestanden hatte. Louis wich zurück, bis er sich genau neben dem Baumstand befand. Plötzlich täuschte er ein Stolpern vor und ließ sich blitzschnell nach hinten fallen. Behände wie ein Raubtier rollte er über Rücken und Schulter und war bereits hinter dem Baum verschwunden, bis sein Gegner reagierte. Johann machte, wie Louis erwartet hatte, einen oder zwei Schritte zu viel, als er den stolpernden und am Boden liegenden Mann erschlagen wollte. Sein Schwert fuhr tief in den schweren feuchten Waldboden und Johann musste es herausreißen, sich drehen und ebenfalls um den Baum hasten, um Louis zu erhaschen. Doch mit der Geschwindigkeit einer Wildkatze hatte Louis den Stamm umrundet und sah für einen winzigen Augenblick den ungeschützten Nacken des Gegners. Ohne zu zaudern, hieb er zu. Seine messerscharfe Klinge durchtrennte den kräftigen Hals fast völlig. Louis' Hieb hatte Johanns Genick exakt zwischen zwei Wirbeln getroffen. Der große, kräftige Mann schien für einen Moment zur Statue zu erstarren, bevor sein Kopf schließlich nach vorne kippte. Ein grässliches Geräusch tönte aus der durchtrennten Luftröhre, bevor das Schwert aus seiner Hand glitt und der Habsburger fiel.
Keuchend lehnte Louis an dem Baumstamm, als er schnell näher kommenden Hufschlag hörte. Henri und Meynhard sahen zunächst das auf der Erde liegende, schwer verletzte Tier Johanns. Fathma lief unruhig am Rand der Lichtung auf und ab, erkannte aber das Pferd Meynhards und ließ ein kurzes Schnauben hören. Louis trat aus dem Wäldchen hervor, und ein erleichtertes Lächeln erhellte Henris Züge. Er sprang aus seinem Sattel und umarmte den siegreichen Sohn.
»Johanns Begleiter ist tot. Die anderen Männer sind uns entkommen. Vielleicht hätten wir sie einholen können, doch wollten wir uns nicht zu weit von dir entfernen. Chalil und unser bewaffneter Knecht bewachen die Gefangenen und kümmern sich um die Verwundeten. Einer von Albrechts Männern ist bereits zurück zur Burg geritten, um Hilfe zu holen. Wir werden einen Wagen brauchen, um Johann zurückzubringen.«
»Nein«, sagte Louis plötzlich, und sein Vater sah ihn verwundert an. »Johann geht nirgendwo mehr hin. Wir verscharren ihn. Jetzt sofort. Gleich hier. Soll in der Nacht Getier kommen, sich an ihm zu laben!«
»Ich verstehe deinen Zorn, aber wenigstens ein christliches Begräbnis …«
»Darum geht es nicht. Ich will, dass er einfach vom Erdboden verschwindet, und niemand soll wissen, dass ich damit zu tun habe. Soll er auf ewig als flüchtig gelten, es braucht uns nicht zu kümmern. Aber ich will nicht nochmals Ruhm erheischen, weil ich meinem König blutig gedient habe. Die Sühne eines Königsmordes, noch dazu dem an einem so bedeutenden Herrscher würde meinen Namen wieder bei Hof und im ganzen Reich ins Gerede bringen. Ich würde Teil von Albrechts Legende werden und vielleicht sogar von Dichtern besungen. Auf jeden Fall fände ich mich rasch wieder in vorderster Linie in dem widerwärtigen Spiel um Macht und Einfluss. Ich habe aus diesem Kelch mehr gekostet, als ich vertrage, glaubt mir. Soll die Welt rätseln, was aus Johann geworden ist. Ich brauche den Ruhm nicht. Alles, was ich brauche, ist … o mein Gott!« Der Gedanke an die Geliebte und das Kind schien Louis wie ein Blitz zu durchfahren. Erschreckt sah er den Vater an. Seine Augen waren weit aufgerissen und Henri las die Angst darin. »Bero ist noch auf freiem Fuß! Wenn er nun Franziska … oder Katharina …«
»Dann lasst uns schnell machen«, sprach Meynhard nun. Er lief in das Wäldchen und fand eine flache Mulde mit weicher Erde. Mit Schwertern und bloßen Händen hoben sie eine Grube aus, in die sie den Körper warfen. Sie deckten den Körper mit Erde zu und tarnten das Grab mit Laub und Reisig. Sie arbeiteten hastig. Der Mörder brauchte sein Versteck ohnedies nur für kurze Zeit. Der Wald und seine Bewohner würden rasch das Ihre zu seinem Verschwinden tun.
*
Bero dachte nicht daran, sich gemeinsam mit den
anderen Männern Johanns verfolgen und töten zu lassen. Er hatte die
erste Gelegenheit genutzt, die Gruppe der Flüchtigen zu verlassen.
Die Männer, die ihm gefährlich werden konnten, waren entweder noch
in den Kampf verwickelt oder verfolgten Johann und seine
verbleibenden Verbündeten. Sein Tier war zwar nicht mehr frisch,
doch war es ein gutes und ausdauerndes Reittier aus der
Restwangen'schen Zucht. Die Galle stieg Bero hoch, wenn er daran
dachte, wie die Familie der Schneiderin, die von den Leuten
mittlerweile ehrfürchtig Knopfkönigin genannt wurde, und dieser
Mistkerl Montardier ihm das Leben zur Hölle gemacht hatten, doch
damit sollte es nun aus und vorbei sein. Er würde seine Genugtuung
bekommen, und Franziskas Balg sollte dabei zusehen, bevor er es
ersäufte.
Als Erstes musste er die Schneiderin holen. Dann würde er zu der einsam gelegenen Bauernkate reiten, die Gerfried ausgemacht hatte. Schade um den Mann, dachte er kurz an seinen Diener, der einer der Ersten gewesen war, die Louis' Schwert gefällt hatte.
Er erreichte Neftenbach und überlegte, wie viele Wachen die Schneiderin wohl beschützen. Viele konnten es nicht sein. Er hatte Rochus nicht gesehen, als die kleine Truppe in den Kampf eingriff. Wahrscheinlich tröstete diese traurige Gestalt die arme Mutter in ihrem großen Leid. Jedoch war er sicher, dass Franziska die Räume, in denen sie gestern zu finden war, nicht verlassen hatte. Wie sonst sollte sie Kunde über das Schicksal ihrer Tochter erhalten?
Ungesehen gelangte er an die Rückseite des Hauses und stellte erfreut fest, dass die Pferde an Franziskas Wagen angeschirrt waren. Umsichtiger Rochus, dachte er.
Er sah den Schatten des einzelnen Waffenknechts schon lange, bevor er um die Ecke des Hauses schlich. Anhand seiner Silhouette konnte er die Sitzposition des Mannes genau abschätzen, und es waren nur ein Sprung und ein kurzer, gezielter Stoß nötig, um den Mann zusammensinken zu lassen. Bero zog ihn leise ins Innere des Gebäudes und ließ ihn achtlos neben der Haustür liegen. Lautlos schlich er die Treppe empor. Schon sah er die Tür zu Franziskas Zimmer vor sich, die zu seiner Freude sogar geöffnet war. Wahrscheinlich wollte man hören, ob sich am Eingang oder auf der Straße etwas tat, mutmaßte er.
Er blieb stehen. Auf einem Stuhl sitzend sah er
tatsächlich den Oberkörper dieses Rochus, dieser Witzfigur, sah
auch, dass der Mann den Schwertgurt nicht umgeschnallt hatte und
auch keine Waffe in der Hand hielt. Von Franziska sah er nichts,
auch nicht, ob sich sonst noch jemand in dem Raum befand. Da er nur
zwei Reitpferde auf dem Gelände gesehen hatte, rechnete er jedoch
nicht damit, dass noch ein weiterer Wächter Franziska beschützen
würde.
Mit erhobener Klinge stürzte er in das Zimmer und hörte die Stimme der Frau angstvoll aufkreischen. Ihr Beschützer wollte nach dem Schwert greifen, das in seiner Reichweite an einem Stuhl lehnte, doch Bero war zu schnell für ihn. Der erste Hieb seiner Klinge schnitt tief in Rochus' Schulter, direkt neben dem Hals, und der Mann stürzte mitsamt seinem Stuhl zur Seite. Mit den Worten »Und jetzt stirb, Onkel!«, stieß der Mörder sein Schwert dann in Rochus' Herz.
»Nun zu dir, Weibsstück!«, wandte er sich der fassungslosen Franziska zu, die in eine Ecke des Zimmers zurückgewichen war. Hätte es Sinn, zur Tür zu springen und die Flucht zu wagen? Sie wusste, wenn es sein musste, konnte sie schnell laufen, bestimmt schneller als der Hinkende, doch vielleicht hatte er Verstärkung, die draußen auf ihn wartete? Und außerdem – wer außer Bero konnte sie zu Katharina bringen? Resigniert blieb sie stehen und starrte das Ungeheuer an.
»Du willst doch sicher zu deiner Tochter, nicht wahr?«, stieß Bero hervor.
»Katharina … ist sie …«
»Keine Angst, sie ist am Leben und unversehrt. Willst du zu ihr?«
Franziska wusste, dass ihr keine andere Möglichkeit blieb, als zu tun, was er wollte. Gehorsam nickte sie.
»Gut. Fahren wir zu ihr. Komm!«
Bero hatte sein Schwert in die Scheide geschoben und einen Dolch aus seinem Stiefel hervorgeholt, dessen Spitze er leicht in Franziskas Seite bohrte – so schob er sie vor sich her.
Sie bestiegen den auffälligen Wagen des Grafen,
an den Bero sein Pferd gebunden hatte und fuhren aus dem Dorf.
Franziska wusste nicht, ob sie sich beruhigen oder sorgen sollte, als ihr auffiel, dass Bero
nicht einmal den Versuch unternahm, von anderen Leuten nicht
gesehen oder erkannt zu werden, und auch den Riemen nicht
verdeckte, mit dem er ihre Handgelenke gefesselt hatte.
Die Bäuerin von unbestimmbarem Alter, eine
magere und abgearbeitete Frau, deren Mann im Winter gestorben war
und die damit rechnen musste, dass man andere, jüngere Leibeigene
auf ihre Scholle setzte und sie im Höchstfall als Magd oder im
Ausgedinge den Rest ihres Lebens fristen durfte, war von dem
Bewaffneten, der sie am Vortag erpresst hatte, völlig
eingeschüchtert gewesen und hatte die zwei Silberstücke, die man
ihr auf den wackeligen Tisch gelegt hatte, nicht einmal zur
Kenntnis genommen. Sie wusste, dass sie an etwas Verbotenem
mitwirkte, als man ihr das in einen Sack gewickelte Kind
überreichte, das sie bewachen sollte. Die Männer wollten die Kleine
zunächst im Stall verstecken, doch der war zu eng und zu wackelig,
also hatte man ihr befohlen, das Mädchen mit in die Hütte zu nehmen
und dort auf sie achtzugeben. Sie hatte den Sack entfernt und dafür
gesorgt, dass die Kleine, die das Kind einer feinen Familie sein
musste, wie sie an der kostbaren Kleidung und den guten Schuhen
erkannte, keinen Schaden nahm. Den Knebel hatte sie ihr aus dem
Mund gezogen, einen Teil der Fesseln gelöst und die übrigen nicht
fester als unbedingt nötig gezurrt. Trotzdem hatte das Kind
stundenlang geschluchzt und geheult, bis es schließlich entkräftet
eingeschlafen war. Heute war die Kleine in tiefe Traurigkeit
verfallen und hatte bisher noch keinen Laut von sich gegeben. Die
Bäuerin war voller Angst vor Strafe und Sorge um das Mädchen, das
für sie aussah wie ein kleiner Engel, doch noch mehr fürchtete sie sich vor diesen Männern, die
sie als Mitwisserin bestimmt nicht ungeschoren davonkommen ließen.
Unbeholfen betete sie zur Heiligen Jungfrau und flehte um
Gnade.
Franziska und Bero erreichten den Hof. »Verschwinde, los!«, herrschte Bero die Bauersfrau an, als diese ängstlich aus der Türe trat.
»Mama!«, rief Katharina, als sie Franziska durch die offene Türe erspähte und diese ihr auch schon entgegeneilte. Doch als sie die Fesseln der Mutter sah, verstummte sie plötzlich.
Bero stieß Franziska in das Innere der Hütte und warf die klapprige Tür zu. Der Raum war dämmrig, nur durch ein kleines Fenster, die Dachluke und ein paar Ritzen in den Wänden drang etwas Licht.
»Los«, knurrte Bero, »zieh dich aus«, während er bereits an den Knöpfen seiner Hose nestelte, die Hand hineinschob und an seinem Gemächt rieb.
»Nicht vor dem Kind. Bitte!«, flehte Franziska, doch Bero grinste nur lüstern. »Ein wenig Unterricht wird ihr später nützen, findest du nicht auch. Bei dir habe ich das damals versäumt. Zu schade, denn von deiner Mutter konnte man wirklich einiges lernen!«
»Mit den gefesselten Armen kann ich mich nicht entkleiden«, sagte Franziska nun, und nach kurzem Überlegen nickte Bero, als sie ihm die Arme hinstreckte. »Aber denk an deine Tochter«, sagte er, während er den Knoten des mehrfach gewickelten Riemens löste.
Franziska nickte und begann, die Knöpfe an ihrem Oberteil zu öffnen, es mit geübten Bewegungen vom Rock zu trennen und es sich vom Leibe zu ziehen. Das enge Hemd aus der teuren Baumwolle ließ ihre festen, runden Brüste in all ihrer Pracht vor Bero erscheinen, und er spürte, wie das Blut nun heiß in seine Lenden strömte. Langsam öffnete sie die Knöpfe, die den langen Rock an der Seite und am Bund verschlossen, und ließ ihn fallen. Nur das weiße Unterkleid aus dem dünnen, fast durchsichtigen Stoff, das ihr bis über die Waden reichte, bedeckte die schamhaften Teile ihres Körpers noch, und würde sie dieses abstreifen, stünde sie fast gänzlich entblößt vor Bero, der bereits leise keuchte. Einem gänzlich nackten Weibe beizuwohnen war eine seltene Freude. Mägde und Huren rafften meist nur die Röcke und öffneten die Mieder genauso rasch, wie sie sie danach wieder schnürten. Seine Gattin hielt selbst im Bett ihr Nachtgewand bis zum Halse geschlossen, so dass er sie meist nur durch den Stoff zu fassen bekam, und bei den Frauen, die er sich ohne viel Federlesens einfach genommen hatte, war keine Zeit fürs Ausziehen gewesen. Doch Franziskas Körper würde er sich so gönnen, wie er geschaffen worden war, und er würde jeden Augenblick ihrer Vereinigung genießen. Zweimal hatten andere ihn schon um dieses Vergnügen gebracht, doch heute sollte sich niemand zwischen ihn und das prachtvolle Weib drängen. Prall drängte sein Glied gegen den Stoff seiner Hosen.
Langsam drehte Franziska sich seitwärts und
bückte sich, um zunächst ihren rechten Schuh und den Strumpf
auszuziehen. Bero hielt diese Kleinigkeit zwar für überflüssig,
doch ließ er sich von diesem ungewohnten Schauspiel in weitere
Wallung versetzen. Soll sie mich nur verrückt machen, dachte er, es
wird ihre letzte lüsterne Tat sein.
Der dünne Stoff des Unterkleides spannte sich über Franziskas Gesäß, und Bero sah die Haut durch das Gewebe schimmern. Am besten von der Kehrseite, dachte er nun und sah sich schon hart von hinten in das Weib eindringen und ihre Brüste mit seinen Händen quetschen. Und dann würde er ihr mit einem Schlag das Genick brechen. Den Höhepunkt auch noch durch die Erfüllung seines Rachewunsches krönen. Gleich ist es so weit, dachte er, nur noch wenige Augenblicke, während der Anblick der endlich willigen Schönheit ihn vor Gier und Lust beinahe zerspringen ließ.
Franziska hatte sich von Schuh und Strumpf befreit und fuhr mit der gleichen bedächtigen Geschwindigkeit mit der Rechten ihren anderen Unterschenkel entlang, über das Knie bis an den Saum des zweiten Strumpfs, an genau die Stelle, an der nun der Griff von Louis' Dolch in ihre Hand glitt. Rochus hatte ihr geraten, das Messer unter den Kleidern zu verstecken, am besten am Bein, mit dem Griff nach unten und mit zwei Bändern festgeschnallt, um ein ungewolltes Herausgleiten der Klinge aus der Scheide zu verhindern. Lautlos ließ sich die Waffe aus ihrer ledernen Hülle ziehen. Die schmale spitze Klinge maß eineinhalb Spannen, war auf beiden Seiten geschliffen und scharf. Gerade als Bero sie zur Eile gemahnen wollte, schnellte sie mit der Waffe in der Hand empor und noch mit dem Schwung ihres Aufspringens stieß sie zu.
Sie spürte, wie die Klinge durch Stoff und Fleisch drang und warmes Blut ihr über die Hand strömte. Der erste Stich hatte Bero in den Unterleib getroffen, war in den Leib gedrungen und hatte möglicherweise die Hoden verletzt. Eine schmerzhafte Wunde, doch nicht tödlich, wie sie ahnte. Sie riss die Waffe aus dem Körper des Mannes, der brüllte, dass es ihr durch Mark und Bein drang. Abermals stieß sie zu, diesmal unterhalb des Brustbeins in den Bauch. Der Mann konnte sich nun nicht mehr auf den Beinen halten. Fast wie im Gebet kniete der Verletzte nun vor Franziska. Beros Hände versuchten, die Wunden zuzuhalten und das Blut zu stillen, das zwischen den Fingern hervortrat und bereits eine Lache auf dem Boden bildete. Nochmals drang das Messer in den Körper, diesmal in den Rücken. Bero fiel vornüber. Noch immer aber atmete er, und solange er lebte, fürchtete Franziska um sich und ihre Tochter. Mit aller Kraft trieb Franziska den Dolch zwischen die Rippen des Mannes und versenkte ihn bis zum Heft in seinen Leib. Ein hässliches Röcheln ertönte aus Beros Brust, und endlich hörte sein Körper auf, sich zu bewegen. Leblos und blutgebadet lag er vor ihr.
Obwohl sie am ganzen Leib zitterte und fürchtete,
ihre Beine würden jeden Augenblick nachgeben, drehte sie sich zu
Katharina um, trat ganz nahe an sie heran und drückte das Kind an
sich, dessen Tränen den dünnen Stoff ihres Gewandes
durchtränkten.
Sie hörten Hufschlag, als sie einige Zeit
später in der Sonne sitzend dankbar aus einem Krug der Bäuerin
tranken, und blickten auf. Noch aus dem Galopp sprang Louis aus dem
Sattel, stürzte auf sie beide zu und schloss sie in seine
Arme.