ÖSTERREICH UND BAYERN  Juli 1298

Nicht ahnend, dass Ludwig und Karl denselben Weg genommen hatten, zogen die drei Frauen in Begleitung Ditgurds erst südlich und anschließend westwärts Richtung Reichsmitte. Nach wenigen Tagen erreichten sie Passau. Das reiche Fürstbistum mit seinem fast fertig gestellten Dom, dem Bischofspalast und den steingepflasterten Straßen beeindruckte sie, doch erschien ihnen die Stadt für ihren Plan zu klein, reichspolitisch zu unbedeutend.

Sie einigten sich, nach Regensburg und Nürnberg weiterzureisen. Ditgurd brummte sein Einverständnis, sie weiter zu begleiten, und erklärte ihnen, dass beide Städte zwar reich und bedeutend, ihre Zünfte jedoch sehr ihren alten Regeln verhaftet waren.
 

Regensburg war enttäuschend. Als alleinstehende Frauen wurden sie von der Zunft nicht einmal angehört. So setzten sie ihre Reise fort, nachdem Ditgurd seine Geschäfte in der Stadt abgeschlossen hatte.
 

Nürnberg gefiel ihnen vom ersten Augenblick an. Die Stadt war größer und traditioneller als das kleine und provinzielle Budweis. Seit vielen Generationen lebten hier Adel und gehobenes Bürgertum. Die wichtigen Straßen waren mit Holz und teilweise sogar mit Stein gepflastert und wurden von eleganten Fachwerkhäusern gesäumt. Die Häuser der inneren Stadt hatten allesamt zwei und mehr Stockwerke, und die Fenster vieler Häuser ließen ihr Licht nicht durch einfache Schweinsblasen, sondern durch teures Glas fluten. Eine große Kirche, die gerade im Begriff zu entstehen war, ließ ihre beeindruckenden Formen bereits gut erkennen, und die drei Frauen besahen ehrfürchtig den enormen Grundriss des ganz aus Stein gebauten Gebäudes.

Nachdem sie die Stadt besichtigt und sich in einer Herberge einquartiert hatten, suchten Nele und die beiden Mädchen das Haus der hiesigen Schneiderszunft auf. Nele schilderte dem immerhin gesprächsbereiten Zunftmeister ihre langjährige Meisterschaft und das gut gehende Geschäft, das sie viele Jahre als Witwe ihres Mannes geführt hatte. Mit Stolz erzählte sie, dass ihre Tochter gerade erst die jüngste Schneidermeisterin von Böhmen geworden war. Die bedeutendsten Persönlichkeiten der Stadt Budweis hatten bereits bei ihr fertigen lassen.

»Nun, wir Nürnberger kennen die Bräuche in Böhmen nicht so gut«, erwiderte der Mann mit höflicher Zurückhaltung, »aber Budweis ist meines Wissens eine sehr junge Stadt, vor kaum mehr als dreißig Jahren gegründet, wie man sagt. Deshalb ist es wohl auch nicht verwunderlich, dass dort andere und mit Verlaub eigenartige Sitten herrschen. Hierzulande ist es jedenfalls nicht üblich, dass Frauen Geschäfte eröffnen, die der Zunft und ihren Meistern vorbehalten sind. Natürlich gibt es die Möglichkeit, für einen begrenzten Zeitraum und nach Entscheid der Meisterschaft einen Witwenbetrieb zu führen, aber die Voraussetzung dafür liegt ja auch bei wohlwollender Betrachtung nicht vor. Und eine so junge Meisterin …« Er sah Franziska in die Augen, hob bedauernd die Schultern und schüttelte schließlich den Kopf. »Beim besten Willen, ich kann Euer Vorhaben so nicht befürworten, so leid es mir auch tut. Aber ich will Euch einen väterlichen Rat geben, junge Frau: Sucht Euch einen Meister, der Euch heiratet oder seinen Sohn gibt, so könnt Ihr auf diesem Weg als Meisterin Eurem Beruf weiterhin nachgehen. Einer unserer angesehensten Schneider ist Witwer, und ich könnte mir vorstellen, dass …« Er sprach nicht weiter, als er sah, wie Franziska die Zornesröte ins Gesicht stieg. »Ich meine es nur gut mit Euch, Jungfer. Denkt darüber nach!«
 

Tröstend legte Nele ihrer Tochter eine Hand auf den Arm, als sie das Haus des Meisters verließen. Ditgurd hatte sie ja schon bei der Abreise gewarnt, und die Haltung der Zünfte war voraussehbar gewesen. An keinem der vielen Orte, die der Fuhrmann schon bereist hatte, hatte er Geschäfte gesehen, die von Frauen betrieben wurden, abgesehen von Witwen.

»Ich gebe trotzdem nicht auf. Vielleicht kann man ja mit einem der Schneider vor Ort verhandeln«, schlug Franziska vor. »Er bleibt Meister, und wir fertigen unsere Kleider nach unseren Vorstellungen.«
 

Es gab fünf große und namhafte Schneiderwerkstätten mit zahlungskräftiger Kundschaft in der Stadt sowie einige kleinere, in denen einfache Kleider für das gemeine Volk hergestellt wurden. Die ersten beiden, die sie aufsuchten, konnten sich nicht dazu entschließen, drei Frauen gleichzeitig einzustellen, obwohl Bedarf an einem oder zwei Gesellen gewesen wäre. Der Dritte war der besagte Witwer, ein hutzeliges Männchen, das hundert Jahre alt zu sein schien und lüsterne Blicke auf die drei Frauen warf. Auch die vierte Werkstatt kam nicht in Frage kam, diesmal weil des Meisters eifersüchtiges Weib keine weiteren Frauen im Geschäft duldete. Entmutigt suchten sie gegen Ende des Tages schließlich noch die fünfte Schneiderei auf. Das Geschäft lag ein wenig abseits der besten Straßen und war in einem deutlich kleineren und bescheideneren Haus als die vorigen untergebracht. Dennoch schien der Inhaber gut betuchte Kundschaft zu bedienen. Gerade probierte eine sehr hübsche Frau, offensichtlich von Stand und in Begleitung einer Zofe, ein festliches dunkles Kleid, verziert mit Brokat und mit Silber durchwirkter Seide. Der matt schimmernde Wollstoff passte gut zum dunklen Haar und den Augen der Frau, sodass das Gewand auf den ersten Blick gelungen wirkte. Die Kundin drehte sich vor einem Spiegel in den Hüften, machte kleine Schritte vor und zurück und hob abwechselnd die Arme. Sie schien mit der Arbeit nicht unzufrieden zu sein, aber zeigte auch keine rechte Begeisterung. Der Schneider stand neben ihr und schwieg demütig.
 

»Dieses Kleid passt Euch nicht«, platzte Franziska heraus. Der Schneider, ein zaundürrer, nicht mehr junger Mann, fuhr erschreckt herum und starrte die drei Frauen an, die ungebeten sein Geschäft heimsuchten. »Wie könnt Ihr es wagen!«, herrschte er sie an, doch die Kundin lächelte neugierig und gebot ihm mit einem Wink zu schweigen. »Wie meint Ihr? Es passt nicht? Und wie sollte es Eurer kundigen Meinung nach gefertigt sein? Ich habe extra den Brokat und die Seide einarbeiten lassen. Nur wenige Damen können solche Kleider tragen«, meinte sie selbstsicher.

»Es liegt nicht an den Stoffen, mit Verlaub«, sagte Franziska. »Es ist mehr … Wartet, ich zeige es Euch!« Sie schritt auf die Frau zu und hob das Kleid ein wenig an den Schultern an. »Seht ihr? Die Taille sitzt mindestens zwei Finger zu tief. Und das Mieder bauscht hier zu sehr. Wir müssen an der Seite noch ein wenig straffen, damit Eure Büste besser zur Geltung kommt.« Sie warf der Kundin einen gespielt sittsamen Blick zu. »Die Länge ist ebenfalls nicht richtig. Wenn es vorn kürzer als hinten ist, sieht man Eure Schuhe besser und es wirkt von hinten wie eine Schleppe. Es ist doch für feierliche Anlässe, oder? Und mit diesen altmodischen Haken und Ösen sitzt es sowieso nicht, da gibt es Besseres. Maria, komm mal her und halte hier und hier.« Maria hielt den Stoff so, wie Franziska es sagte, die ebenfalls an mehreren Stellen das Kleid straffte. »Seht nun!«, wies sie die Dame an, die überrascht in den Spiegel blickte. Kritisch besah sie sich von oben bis unten und studierte die Festtagsrobe ausgiebig. Schließlich huschte ein Lächeln über ihre Lippen. »Meister«, sagte sie, »genauso möchte ich es haben. Und wie vereinbart muss es übermorgen fertig sein. Kann ich mich darauf verlassen?« Die Hände des Mannes kneteten unruhig die Aufschläge seines Rockes. »Nun … in so kurzer Zeit? Ich weiß nicht …«

»Natürlich ist das Kleid übermorgen fertig, wenn wir uns gleich daransetzen«, unterbrach Franziska. »Lasst es am Nachmittag abholen oder bemüht Euch selbst hierher. Wir können es Euch auch gern bringen, wo wohnt Ihr?« Die Kundin wandte sich dem Mädchen zu und musterte es von oben bis unten. Auch Nele und Maria betrachtete sie kurz. »Habt Ihr Eure Kleider selbst genäht?«, fragte sie, als sie die guten Stücke sah, die die Frauen angelegt hatten, um bei der Zunft und den Meistern vorzusprechen. »Natürlich«, antwortete Franziska, »in unserer Werkstatt in Böhmen.«

Die Kundin sah den Schneider an. Ihr Blick duldete keinen Widerspruch. »Lasst sie das Kleid ändern. Bis übermorgen! Haben wir uns verstanden?«

Gesenkten Hauptes murmelte der Mann irgendetwas, das wie eine Zustimmung klang, während die Frau bereits mit ihrer Zofe im Hinterraum verschwand, um ihr eigenes Gewand wieder anzulegen. Wenig später verließ sie den Laden, nicht ohne Franziska noch einen aufmunternden Blick zuzuwerfen.

»Was habt Ihr mir da nur eingebrockt?«, sagte der Schneider. »Ihr wisst ja nicht, wie schwierig diese Frau werden kann. Wenn es um die Ausführung ihrer Bestellungen geht, kann sie sehr kleinlich und halsstarrig werden, aber sobald es an der Zeit für die Begleichung ihrer Rechnungen ist, lässt ihr Gedächtnis plötzlich nach. Doch nun zu Euch: Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr?«

In kurzen Worten schilderte Franziskas Mutter die Situation. Der Mann hörte aufmerksam zu. Schließlich ergriff er das Wort: »Diese Kundin, sie heißt Elsbeth von Falckenstein, ist nicht das, wofür man sie halten könnte. Ihr Ruf ist … zweifelhaft. Bei mir lässt sie fertigen, weil ich nicht so teuer bin wie die anderen Meister und außerdem verschwiegen. Von den guten Werkstätten ist meine die kleinste und bescheidenste, aber meine Kunden sind zufrieden, und ich möchte, dass das so bleibt.«

Verständnisvoll nickten die Frauen, denn ihre Achtung vor dem Lebenswerk eines braven Handwerkers war groß. Schließlich sprach Nele: »Warum lasst Ihr es nicht auf den Versuch ankommen: Lasst uns dieses Kleid ändern. Wenn Euch unsere Arbeit gefällt, finden wir vielleicht gemeinsam neue Kunden. Falls nicht, habt Ihr nichts verloren.« Der Mann schien noch immer zu zögern.

»Natürlich braucht Ihr uns nicht dafür zu bezahlen, falls Ihr Euch darüber sorgt«, fügte Franziska nun hinzu. »Aber lasst uns gleich beginnen, solange noch genug Tageslicht ist. Wir brauchen ein Stück Kreide und eine Tafel, bevor wir die Stellen vergessen, die geändert werden müssen. Und lasst umgehend Nadeln zum Abstecken bringen!«
 

Zu dritt arbeiteten sie den ganzen folgenden Tag an dem Kleid, neugierig beäugt von den beiden Gesellen und den Näherinnen des Schneiders. Walram, wie der Meister hieß, ließ sich kaum noch in der Werkstatt blicken, nachdem er seinen Arbeitern die Anweisungen für den Tag gegeben hatte. Nur gegen Mittag sah er wie zufällig vorbei. Franziska war aufgefallen, dass die Gesellen an mehreren Beinlingen arbeiteten, und fragte, für wen diese seien. »Ein Paar ist für den Meister selbst. Er ist gern gut angezogen und lässt des Öfteren neue Sachen anfertigen, auch wenn die Alten noch gut sind. Die beiden anderen sind für die Söhne eines Schreinermeisters. Der älteste heiratet und die ganze Familie staffiert sich neu aus, um den Eltern der Braut zu zeigen, welch Glück die Tochter hat.« Bei den letzten Worten rieb er Daumen und Zeigefinger aneinander.

»Sie wollen ein bisschen protzen?«, fragte Franziska, »und Euer Herr hat es auch gern modern?« Sie warf Maria einen schelmischen Blick zu, und beide dachten an die Hosen Karls und Hermanns. Was für eine Gelegenheit!

»Jetzt passt einmal auf«, sagte sie nun zu den beiden Gesellen und begann, auf die Burschen einzureden.
 

Das Kleid war am übernächsten Vormittag fertig. Franziska bügelte es sorgfältig mit dem heißen Eisen. Nele und Maria waren erschöpft von den vielen Knopflöchern, die sie zu nähen hatten, doch das Ergebnis ihrer Mühen war ein Meisterwerk geworden. Das Oberteil ließ sich vom Ausschnitt bis zur Taille aufknöpfen. Die Knopfleiste war geschickt verdeckt, und die Trägerin konnte es geschlossener oder freizügiger tragen, ganz wie es ihr beliebte. Der Rock war ebenfalls mit Knöpfen zu schließen. Zwei kurze Schlitze mit mehreren Knöpfen machten ihn bequem zum Anziehen und zum Entkleiden. Obendrein war er in der Weite etwas verstellbar, je nachdem, ob die Trägerin gerade etwas schlanker oder etwas üppiger war. Elsbeth von Falckenstein hatte eine reizvoll schmale Taille und äußerst wohlgeformte Brüste, die in diesem Kleid besonders gut zur Geltung kommen würden.
 

Am vereinbarten Nachmittag erschien Elsbeth mit ihrer Zofe in der Werkstatt und ließ sich vom Meister gebührend begrüßen. Walram führte sie in das Hinterzimmer, in dem die drei Frauen sie erwarteten. Sie erklärten der erstaunten Herrin und der Zofe die neuartigen Verschlüsse und priesen ihre Vorzüge. »Falls es einmal nötig sein sollte, kann das Kleid auch ohne Hilfe einer Kammerzofe angelegt werden«, sagte Nele und senkte schüchtern die Augen.

»Ich will es probieren. Hilf mir aus diesem Kittel«, wies Elsbeth ihre Begleitung an, die sich sofort daranmachte, Verschnürungen und Haken zu lösen, um ihre Herrin aus dem Kleidungsstück zu befreien. Das neue Kleid anzulegen war ungewohnt, doch erkannten Herrin und Dienerin sofort, wie zweckdienlich und ausgeklügelt die Knöpfe und die damit verbundenen Verstellmöglichkeiten waren. Das Kleid passte bestens und verschaffte seiner Trägerin einen eleganteren Auftritt und eine schlankere Silhouette. Ihre Büste war fest in den Stoff gepackt und rundete sich reizvoll. Schnell erkannte Elsbeth die Wirkung, wenn sie den verdeckten obersten Knopf des Ausschnitts öffnete. Sie konnte die Augen nicht von ihrem Spiegelbild lassen, drehte und wendete sich, nahm ihre Haube ab und hielt ihr volles dunkles Haar mal so und mal anders um ihr Gesicht.

Die drei Scheiderinnen hielten sich im Hintergrund des Zimmers und warteten, bis Elsbeth sie ansprach.

»Ist das wirklich dasselbe Kleid? Ich habe das Gefühl, vorgestern in einem Sack gesteckt zu haben. Heute hingegen …« Wieder sah sie in den Spiegel und holte tief Luft und bestaunte selbstverliebt ihr Dekolleté. »Ich fühle mich wie eine Königin. All diese neuen Ideen! Sagt, wo habt Ihr Euch bisher versteckt? Wie kann ich Eure Dienste weiterhin in Anspruch nehmen?«

Der Schneider räusperte sich. »Die drei Frauen sind, äh, also, äh, sind meine … meine Gäste. Sie kommen aus Böhmen und entstammen einer bekannten Meisterfamilie. Ich habe sie … sie eingeladen, jawohl, eingeladen. Wir wollen, also wir haben vor, vielleicht in Zukunft den einen oder anderen Auftrag gemeinsam … also, solange die Damen abkömmlich sind und nicht wieder abreisen müssen. Mein Weib und ich hielten es für eine gute Idee, wo wir doch kinderlos sind und an der Stufe zum Alter stehen, also, wir dachten, es wäre fortschrittlich, sich mit den Angehörigen alter Meisterkollegen und lieben Freunden aus anderen Städten auszutauschen, wo doch das Reich immer weiter wächst, Ihr versteht … und mein Geschäft ausgebaut werden soll …« Belustigt verfolgte Elsbeth sein verlegenes Stottern.

»Ihr arbeitet jetzt dauerhaft in dieser Werkstatt?«, fragte sie nun Nele. »Ich wohl nicht. Ich werde bald wieder zu meinem Gatten reisen, an dessen Seite mein Platz ist. Die beiden Jungfern, meine Tochter und meine Schutzbefohlene, die Tochter eines Edelmannes und Klosterschülerin, sollen in Nürnberg dienen und schaffen. So wünschen es ihr Vormund und mein Gemahl und haben sie deshalb zu unserem ehrbaren Freund hierhergesandt.«

»Was könnt Ihr noch nähen? Umhänge? Mäntel? Unterkleider?«

»Wir nähen alles. Ihr könnt Euch und Euren Hausstand auf das Modernste von uns ausstatten lassen. Die Knopfmode ist, mit Verlaub, eine Erfindung meiner Tochter und ihrer Freundin. In Böhmen trägt man nichts anderes mehr!« Franziska und Maria nickten eifrig, um Neles Worte zu unterstreichen.

»Wir haben auch Kleider für Herren gefertigt. Seht sie Euch an! Wenn Euer Gemahl vielleicht …«

»Ich bin Witwe, seit längerem schon. Aber ich habe einen Kurator, falls Ihr das meint.«

»Gewiss, wie dumm von mir. Doch seht her. Mädchen, bringt die Beinlinge!«

Franziska und Maria sprangen in den Schneiderraum und holten die Hosen, die am selben Tag fertig geworden waren. Die Handwerkersöhne sollten blaue und grüne Beinkleider tragen, passend zu Wämsern, die bereits in Auftrag gegeben worden waren. Interessiert beäugte die Edelfrau die ungewöhnlichen Kleidungsstücke und hielt sich die Beinlinge vor die Hüften. Sie kicherte, als sie einen Zeigefinger zwischen zwei Knöpfen des Hosenschlitzes durchsteckte und aufrichtete. »Ihr seid mir ja ein ganz Raffinierter, Meister Walram. Neue Moden für Damen und Herren. Nicht nur kleidsam, sondern auch praktisch!«
 

Elsbeth reichte Franziska die Hosen und schien zu überlegen. »Ich werde heute mit einigen wichtigen Persönlichkeiten speisen«, sagte sie nachdenklich. »Zu diesem Anlass musste auch mein Kleid unbedingt fertig werden. Versprecht mir, diese Hosen in den nächsten Tagen niemandem zu zeigen, ich schicke Euch einen hohen Herrn, der Kleider bestellen wird. Lasst ihn den Ersten sein, der diese Hosen und ein passendes Wams trägt, und es soll Euer Schaden nicht sein. Vermögt Ihr das?«

Der Meister stand mit unbewegtem Gesicht vor ihr. Die Zimmermannshochzeit war erst in mehr als zwei Wochen. Er hatte die Arbeit nur deshalb schon beginnen lassen, weil er zurzeit nicht eben mit Aufträgen überschüttet war. Er nickte. »Ich kann Euch das nur für ganz kurze Zeit versprechen. Lasst den Herrn kommen, Wams und Hosen können in wenigen Tagen fertig sein.«

»So soll es geschehen. Ihr werdet schon morgen von ihm hören!«

Franziska gab Maria einen leichten Stoß in die Rippen und lächelte ihr zu. Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf: »Das Kleid wird Euch gewiss einen würdigen Auftritt verleihen, Frau Elsbeth. Doch eine Kleinigkeit fehlt noch dazu. Was für Schuhe gedenkt Ihr zu der Feierlichkeit zu tragen?« Elsbeth sah die junge Frau fragend an. »Nun, falls sie Euch passen, nehmt dieses Paar, das ich Euch gleich bringe. Es scheint wie für Euch und Euer Kleid gemacht. Einen kleinen Augenblick bitte.« Sie verwahrte ein Paar der Sandalen, die Hoimar ihnen angefertigt hatte, in ihrem Schneiderkorb, in dem sie Nähmaterial, Knöpfe und sonstige Kleinteile mit sich führte. Sie zog sie hervor und reichte sie der Kundin.

»Französische Schuhe!«, entfuhr es Elsbeth, und ihre Augen glänzten. »Wo habt Ihr die her? Erst ein einziges Mal habe ich solches Schuhwerk gesehen, weit weg von hier und an einer Herzogin, wohlgemerkt! Lasst sie mich probieren!«

Franziska reichte das Paar der Zofe, die sich sogleich daranmachte, der Herrin aus den alten in die neuen Schuhe zu helfen.

»Habt Ihr dünnes Strumpfwerk? Ansonsten finden wir bestimmt …« Elsbeth winkte ab.

»Diese Schuhe! Ihr seid mir ein paar durchtriebene Frauenzimmer, Meisterin!« Sie gurrte beinahe, als sie wie betört auf die zierlichen Kunstwerke aus Leder blickte. Sie ließ sich aufhelfen. »Den Spiegel, rasch!«, rief Franziska, und Walram rückte das Möbel zurecht. Selbstverliebt betrachtete Elsbeth ihre wohlgeformten Füße mit den schlanken Fesseln und malte sich aus, welch großes Aufsehen sie erregen würde.

Schließlich riss sie sich von ihrem Spiegelbild los, streifte die Schuhe ab und ließ sich aus dem neuen Kleid helfen. Die Mädchen und die Zofe legten es sorgfältig zusammen und wickelten es in ein Leinentuch, das die Zofe vorsichtig auf den Armen trug. Über die Bezahlung des Stückes verlor die edle Dame kein Wort. »Morgen, Ihr werdet sehen!« Mit den Worten verließ sie die Werkstatt.
 

Walram seufzte. »Ich bin ein schlechter Lügner, aber sie hat es nicht bemerkt, hat zum Glück nur Augen für ihre Schönheit gehabt, die in dem Kleid erschreckend zur Geltung kam. Ich hätte es nicht gewagt, ein solches Kleid zu fertigen … und auch nicht vermocht, das muss ich gestehen. Ich habe Euch heimlich beobachtet, meine Damen. Ihr versteht Euer Fach, nein, Ihr beherrscht es. Und die Idee mit dem ausgefallenen Schuhwerk war die Meisterleistung einer wahren Kleiderkünstlerin. Sprecht, wie steht Ihr zu dem Vorschlag, für eine Weile meine Gäste zu sein?« Die Mädchen strahlten, und Nele seufzte erleichtert. Ein Anfang war gemacht.
 

Walram lud sie zum Nachtmahl in seine Wohnung ein, zu dem sie in Begleitung von Ditgurd erschienen, der sie nicht alleine des Abends durch die fremde Stadt hatte gehen lassen wollen. Das Mahl war gut und reichlich, wenn auch bescheiden. Nachdem ein Krug Wein geleert war, an dem die Frauen nur nippten, begann Walram aus seinem Leben zu plaudern. Er wurde bald fünfzig Jahre alt, und sein Augenlicht war nicht mehr das Beste. Außerdem schmerzten seine Gelenke und er konnte nicht mehr den ganzen Tag in der Werkstatt sitzen und arbeiten. Seine Frau lag seit einigen Wochen im Hospital des nahen Nonnenklosters. Ihr Leib schien nur noch aus harten Knoten zu bestehen, und sie konnte schon seit Monaten nicht mehr arbeiten, geschweige denn den Haushalt führen. Er hatte sie am Nachmittag besucht und von den geschickten und begabten, aber heimat- und mannslosen Schneiderinnen erzählt, die aus einem Kleid, das ihm und seinen Gehilfen nur mäßig gelungen war, ein unvorstellbares Prachtstück gemacht hatten. Die hochwohlgeborene und eitle Kundin würde bestimmt damit prahlen und weitere Edelleute senden, die sich einkleiden ließen. Mit Glück konnte er so den stetigen Rückgang des Geschäfts aufhalten, der ihm seit einigen Jahren Sorgen bereitete. Vielleicht wären die Frauen ja die langersehnte Rettung vor der drohenden Verarmung, gestand er schließlich hoffnungsvoll.

Die Gäste hörten ihm ruhig und respektvoll zu. Schließlich sprach Nele: »Guter Meister Walram, Euer Angebot ist überaus großzügig, und offen gestanden genau das, was meine Tochter jetzt benötigt. Ich denke, ich kann sie und Maria mit ruhigem Gewissen in Eure Obhut übergeben. Gewiss werden die beiden Mädchen Eurer Werkstatt zu neuem Aufschwung verhelfen und Euch reiche Früchte bescheren. Überlasst Franziska die Entwürfe der Kleider und Maria die Organisation des laufenden Betriebes. Die beiden werden Euch nur Freude bereiten. Ich selbst werde nicht bei Euch verweilen, so verlockend diese Aussicht auch ist. Ich werde mit Ditgurd schon bald abreisen. Mein Gemahl musste Budweis vor einiger Zeit ebenfalls überraschend verlassen, und wir sind auf der Suche nach ihm. Es wird eine weite Reise, doch unser Freund hier ist der Vetter meines Gatten und weiß, wo wir ihn zu suchen haben.« Sie blickte Ditgurd an, der zuversichtlich nickte.

Franziska wurde bange. Ihre Mutter und sie waren noch nie getrennt gewesen, waren durch die zurückliegenden Schicksalsschläge immer mehr zusammengewachsen und jetzt, da sie gemeinsam ein neues Leben aufbauen konnten, wollte Nele sie einfach allein lassen? In den nächsten Tagen schon? Sie gab sich alle Mühe, die Tränen zu unterdrücken. Ihre Mutter schien ihre Gedanken zu erraten.

»Irgendwann wäre es ohnehin an der Zeit gewesen«, sagte sie sanft. »Irgendwann heißt es immer Abschied nehmen.«

Maria sah von einer zur anderen und dachte an den Tag vor vielen Jahren, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, in einem fremden Land, als ihre Mutter sie ein letztes Mal geküsst und sie ermahnt hatte, schön brav zu sein und Rochus und die Brüder nicht zu ärgern, bis sie am Abend wiederkäme. Sie hatten damals nicht ahnen können, dass diese kleine Szene voller Liebe und Zärtlichkeit ein Abschied für immer sein sollte. Tröstend legte sie ihre Hand auf Franziskas und sah Nele an. »Ihr seht Euch bestimmt bald wieder. Ein so großer Bär wie Hermann kann doch nicht so schwer zu finden sein«, sagte sie leise. Franziska schluckte. »Wann werdet Ihr fahren?«, fragte sie die Mutter.

»Ich übernehme eine Bestellung nach Regensburg. Morgen sollte ich eigentlich los«, sagte der Fuhrmann, und Nele nickte.

»Dann … dann will ich Euren Abschied nicht stören«, sprach Walram. Er sah auf die beiden Mädchen. »Ich habe ein Hinterhaus, in dem Ihr zwei Kammern und eine Stube und natürlich eine Küche findet. Wenn es Euch nicht unschicklich erscheint …« »Danke«, sagte Nele. »Das ist großzügig. Ich vertraue sie Euch an und freue mich auf ein Wiedersehen.«

*

Karl hatte es nicht besonders eilig gehabt, nach Nürnberg zu gelangen. Zunächst hatte er in Passau nach einem Zug von Kaufleuten Ausschau gehalten, dem er sich anschließen konnte, um bereits so vor seiner Ankunft das Wichtigste über die Stadt und ihre einflussreichsten Bewohner zu erfahren. Es hatte fast zwei Wochen gedauert, bis er Reisende gefunden hatte, die ihn bereitwillig mitziehen ließen und ihm die nötigen Auskünfte erteilten. Weitere zwei Wochen wandte er auf, um das Umland der Stadt kennenzulernen und zu erfahren, mit wem aus dem Landstrich man sich gut stellen und mit wem man sich besser nicht anlegen sollte. Als er befand, sich ausreichend vorbereitet zu haben, ritt er in die Stadt und suchte Zacharias' Vetter Isaak auf.

Der jüdische Kaufmann kannte den jungen Mann von einem Besuch in Budweis vor etwa zwei Jahren und hatte sich damals von seiner Tüchtigkeit und seiner Klugheit überzeugen können. Ruhig hörte er jetzt zu, wie Karl ihm in knappen Worten den Grund seiner Reise schilderte und ihm Zacharias' Wunsch mitteilte, ihn vorerst in der Gemeinde hier aufzunehmen und ihm möglicherweise eine Stellung zu vermitteln. »Euch unterzubringen ist ein Leichtes. Das Häuschen gegenüber steht leer. Ihr könnt umgehend einziehen. Es ist klein, aber in ordentlichem Zustand. Könntet Ihr Euch vorstellen, mir ebenso zu Diensten zu sein wie meinem werten Vetter?« Karl lächelte zustimmend, und so erklärte Isaak ihm die nächsten Schritte. »Meine Familie und ich machen diskrete Geschäfte bis in die höchsten Kreise, doch müssen wir uns als Juden natürlich im Hintergrund halten. Wir sind ein Volk ohne Land und hier wie andernorts selten willkommen, meist nur geduldet.«

Karl nickte. »Ich weiß. Ich habe für Euren Vetter eine Reihe von Geschäften getätigt, die er deshalb nicht ausüben konnte.«

»Und eben das sollt Ihr auch für mich tun. Es ist wichtig, dass Ihr rasch mit den bedeutendsten Persönlichkeiten der Stadt ins Gespräch kommt. Macht daher umgehend dem Bischof Eure Aufwartung. Am besten noch heute!«

Karl dachte kurz über den Vorschlag des Kaufmanns nach, das Bindeglied zwischen ihm und den christlichen Machthabern zu bilden. Er konnte an der Idee auf den ersten Blick nichts Schädliches erkennen und stimmte zu.

Bischof Arnold von Solms entstammte einem angesehenen Grafengeschlecht. Er galt als fortschrittliche Persönlichkeit und war bestrebt, als Vergrößerer seines Bistums in die Geschichte einzugehen. Obwohl sein Sitz eigentlich Bamberg war, hielt er sich lieber an seinem Nürnberger Hof auf, um die ständige Nähe zu Politik und Geld zu pflegen. Auch zu Isaak und seiner Familie bestand eine langjährige diskrete Beziehung, aus der ein Teil der laufenden Finanzierung des aufwändigen Kirchbaus der Stadt entsprang. Bischof Arnold war der jüdischen Gemeinde stets wohlgesinnt.

Karl wurde nach der Mittagsstunde im Bischofspalast vorstellig und zu seiner eigenen Überraschung nach einer kurzen Wartezeit zu Seiner Exzellenz vorgelassen.

»Euer Name ist Euch vorausgeeilt«, sagte der Kirchenfürst, noch bevor Karl seinen Gruß aussprechen konnte. »Der Hauptmann meiner Leibwache, Ihr seht ihn hinter Euch, ist ein Veteran aus Akkon.« Karl drehte sich um und stand einem vierschrötigen, von zahllosen Gesichtsnarben gezeichneten Mann gegenüber, der ein leichtes Nicken des Erkennens zeigte.

»Ihr seid also der Sohn Henri de Montardiers?«

»Er war mein Adoptivvater«, erwiderte Karl.

»So wurde mir bereits berichtet. Der Hauptmann diente unmittelbar unter ihm und kannte Euch als Kind, als ihr schwer verwundet von dem Ritter und seiner Gemahlin aufgenommen und als Zweitgeborener adoptiert wurdet. Euer Vater genoss in allen Kreisen höchste Anerkennung.«

Der Bischof ließ Wein und Süßgebäck bringen und forderte den jungen Man auf, von seinen Erlebnissen zu erzählen.
 

Eine Woche später war Karl zu einer privaten Abendgesellschaft eingeladen. Neben dem Bischof waren ein Graf, der ein entfernter Vetter des Bischofs war, und zwei weitere feine Herren mit ihren Damen anwesend. Der Graf wurde von einer sinnlichen Schönheit mit grünen Augen begleitet, die ein atemberaubendes Kleid trug, wie es die Nürnberger Gesellschaft bislang noch nicht gesehen hatte. Dazu ließ sie geschickt ihr höchst raffiniertes Schuhwerk sehen. Die beiden anderen Frauen waren ebenfalls jung und reizvoll, doch alle Blicke richteten sich auf die geheimnisvolle Schöne. Karl fielen sofort die vielen Knöpfe an ihrem Kleid auf, und er gab sich Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken.

Irgendwann im Laufe des Abends sprach der Bischof Elsbeth auf ihr außergewöhnliches Gewand und die eleganten Schuhe an. Es schien, als hätte sie auf das Stichwort gewartet.

»Stellt Euch vor, Exzellenz, ich habe vor einigen Monaten von diesen beiden jungen Meisterinnen aus Böhmen gehört, angeblich wahre Zauberinnen mit Nadel und Faden! Es hieß, ihre Kleider seien einmalig und allesamt mit diesen neuartigen Verschlüssen versehen, die Ihr auch hier an diesem Stück seht.« Sie hielt ihm einen ihrer Ärmel hin, der mit eng geknöpften Manschetten versehen war, gewährte dem Kirchenfürsten jedoch gleichzeitig einen Blick aus nächster Nähe auf ihre stramm verpackten Rundungen. »Diese Kleider sind teuer, gewiss, die Preise wage ich gar nicht laut auszusprechen, doch hieß es, sie seien jeden Gulden mehrfach wert. Das sind Handarbeit, Kunstfertigkeit und Erfindungsreichtum, wie sie in Bayern noch nicht gesehen wurden. Ich habe sofort diskrete Nachforschungen angestellt, wo diese sagenhaften Näherinnen denn zu finden wären. Oder war ich etwa einem Gerücht auf den Leim gegangen? Wollte jemand Scherze mit mir treiben? Meine Neugierde war entfacht. Schließlich ist es mir tatsächlich gelungen, die Frauen zu finden und sie mit der Verheißung auf Kundschaft, die ihrer Schöpfungen würdig ist, hierher nach Nürnberg zu locken! Und nun stellt Euch vor: Seit wenigen Tagen gehen sie hier in Eurer Stadt bei einem eingesessenen, doch zurückhaltenden Meister ihrer Kunst nach. Aus Wertschätzung und Dankbarkeit für meinen Einsatz und meine Hartnäckigkeit haben die Frauen mir das allererste Kleidungsstück ihrer hiesigen Karriere überlassen. Es ist dieses Kleid, das ich heute Euch zu Ehren und Gefallen angelegt habe.«  

So sprach sie zuckersüß und sonnte sich in der Bewunderung, die die anderen Gäste und der Bischof ihr zollten. Irgendwann legte sie eine Hand auf die Schulter des Grafen und schwärmte von Beinkleidern, Wämsern und Röcken aus der Werkstatt Walrams, nach denen sich bald jedermann umdrehen würde, und forderte ihren Galan auf, er müsse dort einfach seine Kleider für seinen bevorstehenden Besuch beim König fertigen lassen, wolle er nicht wie ein altmodisches Landei wirken. Der Ärmste, der den ganzen Abend hindurch wie ein zahmes Hündchen seiner Begleitung gewirkt hatte, nickte nur ergeben. Die beiden anderen Damen bemühten sich, freundliche Gesichter zu machen und Elsbeth zu beglückwünschen, doch Karl entging nicht, wie sie ihre Gatten heimlich anzischten. Gegen Ende des Abends machte Karl sich das Vergnügen, von erlesenen Stoffen zu berichten, die in Venedig und Triest umgeschlagen wurden, und deren Pracht und Kostbarkeit nur noch von den Damen übertroffen werden konnten, die sie trugen. Zufällig kannte er auch einen Handelsmann vor Ort, der die besten Beziehungen zu den Anbietern pflegte

Gleich am nächsten Morgen suchte Karl Meister Walram auf und fragte ihn keck nach den beiden Mädchen. Schließlich sandte der Schneider ihn in die Herberge, nachdem Karl ihn überzeugt hatte, der Bruder Marias zu sein.

»Es war zum Totlachen, ihr könnt es euch nicht vorstellen«, sprudelte er prustend hervor, und die beiden Mädchen starrten ihn ungläubig an. Sie waren gerade beim Frühstück in der Schänke, als Karl völlig unbekümmert und wie selbstverständlich dort erschien. Er setzte sich schwungvoll an ihren Tisch, bestellte einen Krug Dünnbier und erzählte von seiner Reise und dem gestrigen denkwürdigen Abend.

Zufrieden grinste er die überraschten Mädchen an, die erst jetzt ihre Worte wiederfanden und ihn mit Fragen überschütteten. Wo Ludwig sei, wann er ihn zuletzt gesehen habe, ob es ihm wohl gut ginge, ob die Leute von dem Fest wirklich Interesse an den Kleidern hätten? Geduldig antwortete Karl auf alle Fragen, doch viel wichtiger erschienen ihm die geschäftlichen Möglichkeiten, die sich ihnen nun auftaten. Die Mädchen sollten keine Zeit verlieren und sich rasch bei Walram einfinden.
 

Es war Samstag, für die meisten Handwerker ein gewöhnlicher Arbeitstag. Am morgigen Sonntag würden alle Betriebe stillstehen, also war es wahrscheinlich, dass Elsbeth mit ihrem Verehrer heute noch die Schneiderei aufsuchte. Die Mädchen sollten auf jeden Fall gerüstet sein. In ihrem Gepäck hatten sie ein Kästchen mit Knöpfen mit sich geführt, von dem sie einen Teil bereits für das Kleid und die Hosen verbraucht hatten. Sollten Bestellungen eintreffen, würden sie Nachschub benötigen. Maria erbot sich, Handwerker ausfindig zu machen, die sie für sie fertigten.

Als sie bei Walram eintrafen, wartete der Schneidermeister bereits auf sie. Seine Gesellen saßen an den Nähtischen und arbeiteten an den Wämsern der Zimmerleute. Franziska prüfte die bisherige Arbeit, sie war solide, wenn auch nicht außergewöhnlich. Die verwendeten Stoffe waren gute, haltbare Ware. Walram war ein ehrlicher Kaufmann. Sie besprach mit den Burschen, welche Partien sie noch nicht bearbeiten sollten, da sie daran selbst gern die eine oder andere Änderung vornehmen wollte. Die beiden gehorchten ohne Widerrede.

Karl sah sich alles ganz genau an. Die Werkstatt, den Hinterhof mit dem zweiten Häuschen, einen ehemaligen Stall mit Scheune, die derzeit nicht benutzt wurden, aber geräumig und trocken waren, und den Speicher oberhalb Walrams Wohnung. Er schrieb in ein kleines Buch und schien Berechnungen durchzuführen, die er aber für sich behielt. Maria sah, wie er kaum sichtbar lächelte.
 

Es war noch nicht einmal Mittag, als Elsbeth mit ihrem Galan eintraf. Als Elsbeth Karl sah, der augenscheinlich vor ihr das Geschäft entdeckt hatte und ihr und ihrem Grafen mit der neuen Mode zuvorgekommen war, schreckte sie kurz zusammen. Höflich stellte Karl Maria als seine Schwester vor, was die Dame mit einem erleichterten Blick quittierte. Der Graf begrüßte Karl mit einem freundlichen Handschlag, doch schien er nicht an belanglosem Gespräch interessiert, sondern vielmehr neugierig, die Künste dieser Schneiderwerkstatt kennenzulernen.

»Ihr wünscht, Hochwohlgeboren?«, fragte Walram, der sich diskret in den Blickwinkel des Grafen geschoben hatte.

»Ihr stellt seltsame Fragen, Meister Walram. Graf Meynhard von Aarnkreutz hat sich bereit erklärt, die Künste Eurer Werkstatt zu erproben. Kleidet ihn ein!«

Franziska und Maria traten hinzu zu und nahmen Maß. Der Graf war von mittlerem Alter, etwas mehr als durchschnittlicher Größe, nicht dick, aber kräftig und stämmig. Franziska besah ihn lange, dann begann sie zu sprechen, ohne auf den Standesunterschied zu dem Grafen zu achten. »Benötigt Ihr zunächst Festtagskleider? Einen Rock mit Umhang oder Mantel vielleicht? Dazu Beinlinge natürlich, die sind unsere Spezialität. Ihr seid ein starker Mann, sie werden Euch ausgezeichnet kleiden. Zeigt dem Grafen die Muster!« Die beiden Gesellen brachten eilends die neuen Hosen Walrams. »Dieser Schnitt ist allerdings nicht ganz der richtige für Euch. Wir hatten an dem Meister Maß genommen, der viel zierlicher ist als Ihr, die Ihr wohl vom Reiten und der Jagd erstarkt seid. Wir nehmen den Bund der Hose lieber etwas höher. Dann machen wir die Oberschenkel ein wenig weiter, damit Ihr bequem sitzt. Gefällt Euch die Idee mit den zugeknöpften Waden? Sportlich, nicht wahr? Und nun das Beste.« Sie erklärte ihm den Verschluss und wie man den Hosenbund mit Hilfe der Knöpfe verstellen konnte. Der Graf nickte anerkennend.

»Die Farbe steht Euch allerdings weniger. Viel zu düster für ein festliches Gewand. Etwas Kräftiges würde zu Euch passen. Dunkelgrün? Nein, zu alltäglich. Blau? Ich weiß nicht. Rot … oder noch besser, Dunkelrot! Das ist es! Wir nehmen Dunkelrot für die Hosen, und dazu solltet Ihr einen etwas kürzeren Rock tragen. So etwa!« Sie hob den Rock des hohen Herrn hoch, bis er kaum noch über die Hüfte hing. »Oder so? Nein? Lieber doch so.« Sie spielte mit der Länge des Kleidungsstückes, und der Graf ließ alles ohne Widerrede über sich ergehen. »Wisst Ihr, wir haben die burgundische und die venezianische Mode übernommen und verfeinert, das bedeutet: ein kurzer Rock aus bestem und schönstem Material und darüber einen Umhang, der das Überkleid ersetzt, alles geknöpft, um es Euch bequem zu machen. Die Farben müssen natürlich zusammenpassen, lasst mich nachdenken … auf jeden Fall muss auch Dunkelrot enthalten sein. Und jetzt das Wichtigste: Euer Wappen! Ich sticke es vorne an die Brust, genau über Euer Herz, wenn Euch das so recht ist. Gefiele Euch das? Lasst einmal sehen …« Sie besah sich das Wappen, das der Herr auf seinem alten Umhang trug. »Ein vornehmes Wappen: Ein Adler und ein Kreuz, sehr schön. Ich denke, wir sticken es auch an den Umhang, den ich mir in Dunkelrot und Schwarz vorstelle. Was meint Ihr dazu?«

Meynhard sah zu Elsbeth, die gefällig nickte, dann sah er die junge Schneiderin an. »Wenn mir die Sachen gefallen, bestelle ich noch mehr. Frau von Falckenstein hat mir den Zustand meiner Garderobe vor Augen geführt. Ich bin ein Mann vom Lande, wisst Ihr, ich trage nur praktische Kleider, aber der Mann, der, so Gott will, unser neuer König sein wird, hat nach mir geschickt. Ich soll ihn in Fragen der Bodenkultur beraten, und angesichts einer so wichtigen Aufgabe sollte ich doch ein anständiges Bild abgeben.«

»Das werdet Ihr, Hoheit«, sagte Franziska, nicht ganz sicher, ob sie die korrekte Anrede verwendet hatte.

»Eine letzte Frage noch«, der Graf wandte sich dem Meister und Franziska zu. »Welchen Lohn stellt Ihr Euch vor? Ich habe den Eindruck, dass die vorgegebenen Preise der Nürnberger Zunft Eurer Kunst nicht ganz gerecht werden.«

Karl räusperte sich im Hintergrund. Mit einer kaum merklichen Geste gab er Franziska ein Zeichen, ihm die Preisverhandlungen zu überlassen. Sie zögerte, da der junge Mann von der Kleiderherstellung ja nicht allzu viel verstand, aber sie war doch neugierig, was ihr Freund ausheckte. »Für alle kaufmännischen Belange ist Herr von Montardier der rechte Mann«, sagte Franziska nun bescheiden und wies etwas tollpatschig und hilfesuchend in Karls Richtung. »Ich bin nur eine Schneiderin und verstehe nicht viel davon. Und das Rechnen, ich gestehe es, zählte noch nie zu meinen Stärken.« Schnell senkte sie den Blick. Der Graf lächelte nachsichtig, als er sich dem jungen Mann zuwandte.

»Also«, setzte Karl nun an. »Ihr seid der Erste seit der Ankunft der Meisterin, der die neue Mode tragen wird. Von Frau Elsbeth abgesehen natürlich, die Euch zur Seite steht. Der Zuschnitt ist neu, die Knopftechnik ebenfalls, und es werden nur die erlesensten Materialien verwendet. Für die Beinkleider feinste Wolle aus den Niederlanden, würde ich vorschlagen, böhmisches Leinen für das Untergewand und natürlich Seide für den Leibrock, es sei denn, er soll nur aus Wolle gefertigt sein, was aber wenig kleidsam ist. Das Gleiche gilt für den Überrock, den Umhang. Für die Kragen beider Stücke dann noch eine Verbrämung … Marder vielleicht? Oder kennt Ihr Zobel? Ein Fell, das von weither am Schwarzen Meer kommt. Unvergleichbar schön und angenehm leicht. Mit Brokat gehen wir besser sparsam um. Viel zu auffällig und zu warm für den Sommer. Das ist etwas für düstere Winterabende, um die Räume zu erhellen. Also mit diesen Materialien … ich rechne am liebsten in Florin, Ihr vielleicht lieber in Mark oder Gulden? Einerlei, Gold ist Gold, nicht wahr? Ich denke, für achtzehn Goldflorin sollte die Arbeit zu erstellen sein. Was denkt Ihr, Meisterin?«

Franziska gab sich große Mühe, nicht vor Schreck zu erröten. Schließlich nickte sie. Der Graf holte sichtbar Luft, doch Elsbeth lächelte ihm süß zu und spielte mit dem Bändchen an ihrem Ausschnitt. »Achtzehn Florin, gewiss. Doch dafür erwarte ich vollendete Arbeit. Ein Meisterwerk!«

»Das dürft Ihr, Herr Graf. Und die Hosen erhaltet Ihr für zwei Florin, als Dank für die Ehre, die Ihr dem Haus erweist.« Der Graf hustete. Zwei Florin für Hosen! Mit dieser Summe hatte er vor wenigen Wochen die gesamte Dienerschaft seines Stadthauses großzügig und vollständig eingekleidet, immerhin sieben Personen, die Küchenmagd und den Burschen nicht mitgezählt.

»Nun, es sei so. Ist die Lieferung in zwei Wochen abholbereit? Ich muss nach Frankfurt reisen, der König …«

»In zehn Tagen, weil Ihr es seid. Doch sagt es nicht weiter, wir müssen andere Arbeiten deshalb zurückstellen. Die Ankunft der Meisterinnen ließ sich nicht ganz geheim halten, und die Nürnberger scheinen ein eitles Völkchen zu sein. Und behaltet auch den Preis für Euch, schließlich wollen wir gerade Euch weiter entgegenkommen!«, sagte Karl mit einer höflichen Verbeugung. Der Graf nickte und bot Elsbeth seinen Arm, die die jungen Leute und den verdutzten Meister huldvoll anlächelte und sich von ihrem Gönner aus dem Laden und zurück zur Kutsche geleiten ließ.
 

Walram musste sich erst einmal setzen. Ihm schwirrte der Kopf, als er an die schwindelerregenden Zahlen dachte, die Karl eben genannt hatte. Zwanzig Florin! Seit langem hatte er keinen mehr in Händen gehalten, zuletzt, als er von einem reichen Kaufmann einen großen Auftrag erhalten hatte und dieser ihm den Preis für das Material und einen Teil der Arbeit im Voraus bezahlt hatte.

Maria hatte seit ihrer Abreise aus dem Kloster schon so einiges über weltliche Dinge gelernt, doch jetzt konnte sie ihren fröhlich strahlenden Bruder nur staunend bewundern. Mit wie viel Charme er den Grafen um diese horrende Summe erleichtert hatte! Franziska stöhnte und setzte sich neben den alten Schneider auf die Bank. »Wie viel schuldete Euch Elsbeth denn?«, fragte sie ihn.

»Also, wenn ich alles zusammenrechne, normalerweise erhalte ich Silber, aber Ihr scheint Gold zu bevorzugen … ich denke, eine Goldmark, höchstens zwei, wenn ich Euch für Eure Arbeit auch noch entlohnen würde.«

»Die Mark sollt Ihr erhalten, mein Guter«, sagte Karl. Lässig zog er seine Börse, die er versteckt im Ärmel über der Holzhand trug, fischte eine Goldmünze heraus und schnippte sie dem Mann zu, der sie vor Schreck fallen ließ.

»So, jetzt aber an die Arbeit. Was brauchen wir alles?« Erwartungsvoll sah Karl die Mädchen an. Franziska und Maria steckten die Köpfe zusammen und tuschelten.

»Falls es das alles hier zu kaufen gibt, fangen wir noch heute an«, sagte Franziska. »Aber woher nehmen wir bloß diesen Zobel?«, fragte Maria.

»Isaak hat günstig ein paar teure Pelze erstanden und weiß nicht so recht, was er nun damit anfangen soll. Deshalb habe ich den Pelz auch empfohlen«, sagte Karl. »Marder wäre zur Not auch noch da gewesen«, fügte er beruhigend hinzu.

Franziska stand auf und trat lächelnd an ihn heran. »Aber bevor wir beginnen, versprichst du mir eine Sache, mein Freund. Wie man Preise verhandelt – das bringst du mir bei!«
 

Das Einkaufen der Stoffe wollte Franziska umgehend selbst übernehmen, doch Walram überzeugte sie, dass sie als unbekannte junge Frau hier in Nürnberg nur schlechte Geschäfte machen würde, falls man überhaupt mit ihr Handel trieb. Er bot an, sie bei den guten Stoffhändlern einzuführen. Wenn sie als Schneiderin erst einmal bekannt wäre und die Händler wüssten, dass sie im Voraus und mit klingender Münze bezahlte, würden sie ihr schnell entgegenkommen. Karl wollte unbedingt mitkommen, um alles Wichtige über den Tuchhandel zu erlernen. Er hatte Feuer gefangen und plante in einem fort, wie er aus der beschaulichen Schneiderei ein gewinnträchtiges Großunternehmen machen konnte.

Gerade wollten sie aufbrechen, als sich die Ladentüre erneut öffnete. Walram stockte der Atem, als er den Herrn sah, dem ein Diener die Türe aufhielt. Er schluckte. Der Besucher war vornehm gekleidet, trug einen langen dunklen Rock und eine silberne Kette, die ihn trotz seiner höchstens dreißig Jahre als Würdenträger der Stadt auswies. Er war nicht groß und ziemlich hager. Er nickte den Anwesenden zu. Nachdem die Frauen ihren Knicks und Karl seine Verbeugung vorgeführt hatten, begann der Mann zu sprechen:

»Montardier, welch Überraschung! Schön, Euch so bald wiederzusehen.« Er wandte sich dem Schneidermeister zu. »Meine Gemahlin wünscht ein Kleid von der böhmischen Meisterin, prächtiger noch als das von dieser Witwe Elsbeth. Ein Festtagsgewand für eine Frau von Stand. Was könnt Ihr anbieten?«

»Nun … was Ihr wünscht«, sagte Walram zögernd und fragte nach einem Räuspern: »Wann dürfen wir Euch unsere Aufwartung machen?«

»Unverzüglich. Das heißt, nachdem ich meine Geschäfte erledigt habe. Ich werde im Stadtrat erwartet, darum komme ich auch persönlich zu Euch, ist schließlich ein Weg. Findet Euch am Nachmittag bei mir ein, alles Weitere wird dann besprochen.« Er nickte den Frauen kaum merklich zu und verließ das Geschäft so rasch, wie er gekommen war. Walram war blass geworden.

»Ihr seht ja aus, als wäre Euch der Leibhaftige begegnet«, sagte Franziska. »Hat der Mann Euch erschreckt? Wer war das überhaupt?«

Karl antwortete für ihn. »Er heißt Schürstab. Er und sein Vetter waren gestern auch beim Bischof zu Gast. Der Bischof scheint sich das Wohlwollen des großen Geldes zu sichern. Die Schürstab sind Kaufleute und Bankiers und haben ihre Finger in allerlei Geschäften, angeblich von Spanien bis Asien und von Nord bis Süd. Angeblich hat sich der alte König Rudolf schon Rat bei ihnen geholt. Im Geheimen natürlich. Zacharias und Isaak haben schon oft Geschäfte mit ihnen gemacht. Ich habe mich ihnen gegenüber aber nicht als Geldverleiher zu erkennen gegeben. Schlau, nicht wahr?«

»Kommt sein Vetter jetzt am Ende auch noch?«, fragte Franziska.

»Nein«, antwortete Karl, der gerade das Geräusch einer Kutsche und aus dem Fenster gesehen hatte. »Er ist schon da.«
 

Franziska vermochte es kaum zu fassen. Ohne den Preisen allzu viel Bedeutung beizumessen, hatte die Familie Schürstab Festtagskleider, Kleider für den Kirchgang und für die kommende kühlere Jahreszeit bestellt. Der Auftrag würde die Schneiderei für mehrere Wochen vollständig auslasten, falls nicht rasch neue und gute Arbeitskräfte gefunden wurden. Die beiden ersten Kleider sollten besonders zügig geliefert werden, da eine hohe Einladung bevorstand, der Rest der Garderobe bis Ende August.
 

In kürzester Zeit war die neue Mode in aller Munde. Ein bekannter Adeliger und die Schürstab ließen seit Neuestem bei der böhmischen Meisterin in Walrams Geschäft arbeiten, wurde auf den zahlreichen Gesellschaften getuschelt, und noch ehe die ersten Kleider geschneidert waren, gingen Bestellungen ein.

Bald musste die Werkstatt vergrößert werden. Genäht wurde nun im Hinterhaus und in der ehemaligen Scheune. Der alte Stall musste kurzfristig als Stofflager dienen, bis ein entsprechender Anbau fertig gestellt war. Karl hatte Walram überredet, Franziska, Maria und ihn als Teilhaber aufzunehmen, die das nötige Kapital zur Führung des neuen Betriebs beisteuern sollten. Dringend benötigte die Schneiderei nun noch weitere Arbeitskräfte, vor allem Näherinnen. Maria fragte die beiden Gesellen, ob sie nicht Frauen oder Mädchen kannten, die gute Arbeit suchten und mit Nadel und Faden umzugehen wussten. Der Ältere von ihnen, ein nicht viel mehr als dreißigjähriger Mann mit Namen Josef sprach gleich von seinem Weib, das derzeit niedere Dienste bei einem Fleischer verübte, und von seiner Tochter, die auf ihre Mitgift sparte. Schon am nächsten Tag saßen zwei frisch geschrubbte, ärmlich, aber ordentlich gekleidete und viel zu magere Frauen in der Werkstatt. Die Jüngere von ihnen war höchstens zwölf Jahre alt. Der andere Geselle, noch jung und unverheiratet, hatte einen kleinen Bruder, um den er sich sorgte. Die Eltern waren schon lange tot, und die beiden Söhne konnten von seinem bisher kargen Lohn zwar einigermaßen leben, doch Lehrgeld für den Jungen aufzubringen war der Geselle nicht imstande. Der kleine Trudbert war elf Jahre alt, spindeldürr und immer ein wenig schmutzig. Er hatte noch nie eine Schule und selten eine Kirche von innen gesehen und verbrachte die meiste Zeit auf der Straße. Gelegentlich half er bei einem Gerber oder dem Abdecker und verrichtete die Arbeiten, für die sich kaum jemand fand. Sein Bruder musste ihn ziemlich ins Gebet genommen haben, da der Bengel sich gegenüber Franziska und Maria von seiner besten Seite zeigte. Karl gefiel er sofort, und da er geschickte Finger hatte, bekam er einen Platz an einem der Nähtische.

Sie fanden noch einige junge Mädchen, denen der Beruf der Näherin gefiel und die froh waren, im Trockenen und winters sogar im Warmen arbeiten zu können. Walram übernahm die Ausbildung der neuen Näherinnen.

Täglich besuchte er seine todkranke Frau und erzählte ihr von den Wundern, die plötzlich in der Schneiderei geschahen. An dem Tag, als er ihr von den Neueinstellungen der Näherinnen und des kleinen Burschen erzählte, von den neu gekauften Stoffen und den vielen schönen Knöpfen, die von einem Silberschmied und einem Hornschnitzer geliefert wurden, lächelte sie trotz ihrer Schmerzen und freute sich von ganzem Herzen mit ihm. Am selben Abend schloss sie die Augen und öffnete sie nie wieder.
 

Graf Meynhard war nach zehn Tagen zur Anprobe erschienen, wieder in Begleitung der schönen Elsbeth. Die Hosen passten wie angegossen, der Rock war ein Meisterwerk. Die Kombination der Farben des Oberkleides war auffällig und außergewöhnlich. Der kräftige dunkelrote Wollstoff war von spitz zulaufenden Streifen von ockerfarbener Seide durchbrochen, die in einen glänzend schwarzen Kragen, verbrämt mit dem Fell zweier Zobel, mündeten, das sich bis in die Aufschläge des Rockes fortsetzte. Wenige Goldfäden betonten die Neuheiten des Kleidungsstückes, die verdeckte Knopfleiste und die Umrandung des gräflichen Wappens. Ein Kleidungsstück, das eines Königs oder Papstes würdig war. Der Graf war mehr als zufrieden. Umgehend gab er weitere Beinlinge und einen Jagdrock in Auftrag, unbedingt mit Knöpfen und so geschnitten, dass er zu Pferde und zu Fuß Eindruck machte. Nach einem diskreten Hinweis Elsbeths bestellte er noch ein dezentes dunkles Kleid für ernste kirchliche Feiern oder politische Anlässe für sie.

Meynhard war an diesem Tag in Geberlaune. Er hatte Nachricht vom Sieg des Habsburgers und vom Tod Adolfs erhalten, und seine Einladung zum königlichen Rat war erneuert worden. Er sollte sogar an der feierlichen Ernennung Albrechts zum gesamtdeutschen König sowie der Krönungszeremonie teilnehmen, was ihn mit tiefstem Stolz erfüllte. Um seine Freude zu teilen, lud er Karl, den jungen Edelmann zu einem abendlichen Mahl im Kreise enger Freunde ein.

Üblicherweise lebte Meynhard in einer befestigten Anlage, etwa ein Dutzend Meilen von Nürnberg entfernt. Für seine längeren Aufenthalte in der Stadt hatte er das leerstehende Haus eines ohne Familie verstorbenen Ratsherrn erstanden, eine Wohnstatt, in der schon die höchsten Herren genächtigt hatten, wenn der König in Nürnberg Hof hielt. Die Halle des Hauses war beeindruckend. Polierte Waffen und Wandteppiche zierten die Mauern, das Licht des frühen Abends schien durch die geöffneten Fenster, die Tafel war prachtvoll gedeckt. An jenem Abend standen auf der Gästeliste ein jüngerer Verwandter, drei Edelmänner auf der Weiterreise nach Frankfurt und ein gutaussehender junger Geistlicher, der eine elegante schwarze Robe und ein schön gearbeitetes Brustkreuz trug. Er war wohl nur wenige Jahre älter als Karl und schien sich eher auf eine politische als eine seelsorgerische Laufbahn vorzubereiten.

Zwei der Edelmänner waren in Begleitung ihrer Gemahlinnen, von denen eine dem Priester immer wieder begehrliche Blicke zuwarf. Beide Damen gaben sich Mühe, nicht neidisch zu wirken, wann immer ihr Auge auf das Kleid Elsbeths fiel, die zwar nicht unmittelbar neben dem Grafen, aber dennoch auf einem Ehrenplatz saß. Karl hatte das Vergnügen, neben ihr zu sitzen.

Meynhard betonte mehrmals, dass er dem gesunden Landleben gegenüber den Stadtaufenthalten den Vorzug gab und dass er, wann immer er bei Hof sei, sich auf den Tag freue, an dem er wieder über seine Felder reiten konnte. Er hielt wenig von allzu extravaganten Speisen und hatte deshalb nur Fisch aus den nahen Auen, Enten und Fasane sowie einen herzhaften Braten auftragen lassen. Dazu gab es einen kräftigen Wein.
 

»Montardier«, sagte einer der Edelmänner während des Mahles zu Karl, »seid Ihr ein Verwandter dieses wagemutigen Burschen, der sich zu Fuß und ohne Rüstung dem heranstürmenden Adolf entgegengestellt und ihn aus dem Sattel gehoben hat? In den letzten Tagen ist viel darüber gesprochen worden.«

»Verzeiht, ich habe von dieser Heldentat noch nichts vernommen, aber ich habe einen Bruder, Ludwig von Montardier, der unter einem österreichischen Grafen zu Albrechts Heer gezogen ist. Ich würde ihm eine solche Tat zutrauen. Wisst Ihr noch mehr darüber?«

Der Mann erzählte, was er über den Verlauf der Schlacht erfahren hatte, und am Ende des Gesprächs stimmten alle Anwesenden überein, dass es sich bei dem heldenhaften Königsbesieger nur um Ludwig gehandelt haben konnte. Man trank auf ihn und beglückwünschte Karl zu seinem tapferen Verwandten. Karl war aufgefallen, dass Elsbeth wie auch schon bei der vergangenen Einladung zwar voller Genuss in der Bewunderung ihrer Schönheit badete, aber dennoch aufmerksam die Gespräche der Männer verfolgte. Sie selbst sprach wenig mehr als das, was die Höflichkeit gebot. Sie erzählte Karl, dass sie bereits ein Jahr nach ihrer Eheschließung Witwe geworden war und seitdem hauptsächlich in Nürnberg lebte. Ursprünglich stammte sie aus der Gegend um Strassburg. Der derzeitige Fürstbischof dieser Stadt war sogar ihr Oheim.

»Ihr habt doch die blonde junge Dame in dem Schneidergeschäft kennengelernt, meine Stiefschwester Maria«, sagte Karl schließlich zu ihr. »Sie ist ebenfalls eine Montardier, im Gegensatz zu mir sogar eine gebürtige.«

»Tatsächlich? Wie ungewöhnlich. Eine Dame von Stand in einer Schneiderei? Wie konntet Ihr Derartiges gestatten?«, antwortete statt ihrer der Priester. Karl erzählte die ganze Geschichte seiner Schwester und wie froh er darüber war, sie in guten Händen zu wissen.

»Aber Montardier, habt Ihr nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, sie an einem Fürstenhof unterzubringen? Zumindest bis zu ihrer Heirat solltet Ihr das so einrichten. Ein passender Ehemann ließe sich auf diese Weise viel leichter finden, denkt Ihr nicht?«

Ein bisher nicht gekanntes Gefühl wallte in Karl auf, als er den Mann von einer Heirat Marias sprechen hörte. Ihm wurde heiß und kalt bei dem Gedanken, seine kleine Schwester einem Gatten zu übergeben.

»Gewiss werden die Kandidaten schnell Schlange stehen – das Mädchen ist eine Schönheit!«, gab der Graf von sich, um auch etwas zu der Sache beizutragen. Elsbeth straffte ihren Rücken kaum merklich und atmete tief ein, sodass der Priester und der Graf gar nicht anders konnten, als den Blick auf ihrem prachtvollen Dekolleté ruhen zu lassen.

»Ich … ich werde darüber nachdenken, es ist gewiss eine gute Idee. Mein Bruder wird bestimmt viel davon halten. Als Oberhaupt der Familie muss natürlich er die Entscheidungen für Maria treffen und auch den passenden Mann aussuchen. Ich werde mit ihm sprechen, sobald ich ihn wiedersehe.«

Die Gesellschaft nickte beifällig; das Thema war beendet. Eine der Damen flüsterte ihrem Mann unhörbar für die restliche Runde etwas zu.

»Man spricht schon überall von den böhmischen Kleidern«, sagte dieser nun und wandte seinen Blick Elsbeth zu, »und heute sehe ich zum ersten Mal eines. Es wird Eurer Anmut gerecht, Frau Elsbeth, auch wenn diese keiner Unterstützung durch einen Schneider bedarf. Wie seid Ihr darangekommen?«

»Also«, sie sah wohlgefällig an sich herunter und anschließend ihrem Gesprächspartner in die Augen, »ich darf behaupten, die Schneiderin entdeckt zu haben, die diese Wunder vollbringt, und mir ist es zu verdanken, dass sie sich in Nürnberg niedergelassen hat. Diese Frau vollbringt kleine Wunder! Seht Euch nur Rock und Beinlinge unseres Grafen an, dann wisst Ihr, was ich meine.«

Lachend erhob sich der Gastgeber, drehte sich einmal in gespielter Grazie um die eigene Achse und ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder.

»Ihr kennt diese junge Meisterin aus Budweis doch etwas näher, nicht wahr?«, fragte der Edelmann Karl. »O ja. Ihre Eltern waren bedeutende Händler und Schneider. Der leibliche Vater starb bei einem Raubüberfall. Die Mutter hat sich später mit dem Pferdezüchter vermählt, von dem ich meine Fathma habe. Ein einmaliges Pferd und auf meine besonderen Bedürfnisse hin trainiert.«

Die Runde blickte interessiert auf ihn, und Karl spürte, welche Absichten zumindest die beiden Ehefrauen hegten, wenn nicht auch die Männer der Runde, die allesamt der Eitelkeit nicht abhold waren.

»Wie lange, denkt Ihr, wird diese Werkstatt brauchen, um mir ein Festtagskleid zu nähen?«, fragte die eine Frau plötzlich. »Der Preis ist von untergeordneter Bedeutung, wie ich festhalten darf.« Ihr Mann verschluckte sich bei ihren Worten beinahe an seinem Wein, doch hielt er tapfer den Mund. Karl vermutete, dass seine Gattin das Geld in die Ehe gebracht hatte, wie dies ja oft der Fall war.

»Ich kann mit der Meisterin sprechen und mich für Euch einsetzen. Das will ich gern tun. Ich lasse Euch benachrichtigen, sobald ich Auskunft für Euch habe.«

Der andere Edelmann meldete sich nun ebenfalls zu Wort. »Nun, wenn diese neue Mode so begehrt ist, will ich sie meiner Gattin nicht vorenthalten. Bringt auch uns Kunde, wann die Frau für uns arbeiten kann.«

Elsbeth warf Karl einen triumphierenden Blick und ein kaum merkliches Lächeln zu. Ihr nächstes Kleid hatte sie sich redlich verdient.
 

Natürlich ließ Karl den Damen gleich am nächsten Vormittag die Nachricht bringen, dass sie jederzeit zum Maßnehmen in die Schneiderei kommen könnten. Ihre Aufträge würden dank Karls Fürsprache vorgezogen werden.

Als die beiden erschienen, konnte Franziska mit einer besonderen Überraschung aufwarten. Sie hatte vornehme Kleider für Maria nähen lassen, die diese den Edelfrauen nun vorführte. Natürlich waren es Meisterwerke, bei denen an keinem Detail gespart worden war. Mindestens ebenso viel Seide wie Wollstoff umhüllte die Trägerin, und die sichtbaren Knöpfe waren aus fein ziseliertem Silber. Für eines der Kleider hatten sie sogar Halbedelsteine in die Knöpfe einarbeiten lassen. Die wie angegossen sitzenden Gewänder verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Mieder waren so raffiniert gearbeitet, dass sie trotz aller gebotenen Sittsamkeit jeden Mann zur Sünde aufzufordern schienen, und die Röcke mit ihren unterfütterten Falten schmiegten sich an die Hüften der Trägerin. »Ihr solltet wahrhaft an einem Fürstenhof leben«, meinte eine der Damen. »Mit Euren Kleidern und Eurer Anmut aber eher als Fürstin denn als Hofdame.« Höflich lächelte Maria und senkte artig den Blick.
 

Franziska übernahm die Beratung der Damen und verhandelte den Preis. Genau genommen nannte sie einen Preis von fünfzehn Goldflorin pro Stück, den die Frauen ohne Widerrede akzeptierten. Die Mädchen und der alte Meister hatten einen langen Abend hindurch besprochen, ob sie die Kleider weiterhin so teuer anbieten oder nicht doch lieber zu etwas günstigeren Preisen fertigen sollten. Franziska konnte Walram überzeugen, bei den hohen Preisen zu bleiben. Solange die Reichen und Mächtigen mit der neuen Mode prahlen wollten, musste der Preis so hoch sein, dass jeder Käufer, der ihn bezahlen konnte, sich einer äußerst erlesenen Gruppe zugehörig fühlte und aufgrund seines Vermögens Respekt und Achtung einheimste. Für Franziska war der hohe Preis ein besonderes Merkmal ihrer Kleider, so wie es die Knöpfe waren.

»Hast du keine Angst, dass die anderen Schneider uns nachmachen und wir das Geschäft bald wieder los sind?«, hatte Maria sie besorgt gefragt.

»Irgendwann vielleicht. Aber bis dahin wird jeder Meister seine Kunden glauben machen wollen, dass die neue Mode eine vorübergehende Laune sei und so schnell wieder überholt sein wird, dass es sich gar nicht lohnt, ihr nachzulaufen.«

»Und wenn irgendwann doch?«

»Dann sind wir das Original und die anderen nur die Nachahmer, außerdem haben wir bis dahin jede Menge wohlhabender Käufer als Stammkunden. Wir müssen nur ihre Erwartungen erfüllen und uns bei jeder Bestellung die eine oder andere Überraschung einfallen lassen, so wie es derzeit die Schuhe für die Damen sind. Dann bin ich sicher, dass uns die vornehmen Kunden treu bleiben.«

*

Der kleine Trudbert verstand es bald, sich überall in der Schneiderei nützlich zu machen. Er war ein schlaues Kerlchen und dank der guten Ernährung im Hause Walrams nicht mehr so blass und mager wie in den ersten Tagen. Mit seinem spitzen Gesicht, den grünbraunen Augen und den stets strubbeligen Haaren erinnerte er an einen kleinen Kobold und war der Liebling der Näherinnen.

Franziska hatte eine kleine Pagenlivree für ihn nähen lassen, in der er drollig aussah, und wann immer es nötig war, setzte sie ihn zu Botengängen ein, die der Kleine spannend fand und gern übernahm. Als er diesmal von den beiden feinen Damen zurückkehrte, denen er die Lieferzeit der Kleider mitgeteilt hatte, trug er einen Brief für Karl bei sich, den er ihm heimlich zusteckte.

Eine sittsam zu Boden blickende junge Zofe empfing Karl am Hintereingang einer außerhalb der Stadttore gelegenen Herberge und führte ihn schweigend eine Treppe hoch in eine Kammer. Kaum hatte er diese betreten, zog das Mädchen sich zurück und schloss die Tür. Auf einem Tisch standen ein Krug Wein und zwei Becher, von denen ihm einer gereicht wurde. Sie tranken einen Schluck und mit einem tiefen Lächeln und glänzenden Augen öffnete die Edelfrau die Schleife ihres Hemdes oberhalb des Mieders. Sie trat nahe an den jungen Mann heran, und er fühlte, wie ein Finger wie spielerisch die Innenseite seines Oberschenkels emporfuhr. Gleich darauf fühlte er ihre Brüste an seinem Oberkörper. Ihre Lippen näherten sich seiner Wange. Während seine Arme sie umschlossen, küsste sie seinen Hals und flüsterte: »Ich bin ganz Euer.«

*

Über all der Arbeit war der Herbst ins Land gegangen, und die Schneiderei wurde immer erfolgreicher. Einige der wichtigsten Familien der Nürnberger Gesellschaft trugen Franziskas Kleider, Männer wie Frauen schmückten sich mit den elegant gefertigten Stücken. Mit immer neuen Details und Raffinesse machte Franziska ihre Entwürfe noch phantasievoller und begehrenswerter. Ihre neueste Idee war es, zu dem von ihr erfundenen abknöpfbaren Oberteil ein zweites oder drittes zu nähen, sodass die Trägerin bis zu drei Kleider statt nur eins besaß. In Verbindung mit einem zweiten oder dritten Rock konnte eine Dame von Stand so mit wenigen Stücken eine außergewöhnlich umfangreiche und abwechslungsreiche Garderobe aufbauen. In dieser Jahreszeit wurden wärmere Kleider gewünscht, und der in dieser Gegend sehr kalte und feuchte Winter, in dem die zugigen und meist schlecht beheizten Gemäuer nur selten Behaglichkeit boten, würde noch dickere Stücke erfordern. Franziska und Maria hatten sich schon im August darüber Gedanken gemacht, wie sie hübsche und zugleich wärmende Kleider zaubern konnten. Isaak freute sich über den Verkauf seiner Pelze und hatte weitere Quellen aufgetan, diese zu günstigen Einkaufspreisen zu besorgen.

Der Kaufmann ließ sich nur selten persönlich sehen, zumeist bediente er sich Karls als Mittelsmann. Isaak hatte in seiner Jugend häufig erleben müssen, wie man mit Angehörigen seines Volkes umging, wenn man ihnen Erfolg und Vermögen neidete, und zog es daher vor, im Hintergrund zu wirken.

Mittlerweile arbeiteten vierzehn Näherinnen für Franziska. Dazu die beiden Gesellen, denen sich ein Dritter angeschlossen hatte und der kleine Trudbert. Walram genoss die Achtung, die ihm nun entgegengebracht wurde, und dass er bei den entscheidenden unternehmerischen Fragen nur wenig mitzureden hatte, machte ihm nichts aus.

Karl, der neben den Geschäften, die er mit Isaak betrieb, immer ein Auge auf die Schneiderei und vor allen Dingen auf seine Schwester hatte, sah, wie glücklich Maria war. Aus dem Nesthäkchen der Familie und der behüteten Klosterschülerin war eine selbstbewusste junge Frau geworden, die Herausforderungen suchte und Belastungen nicht scheute. Ihre Aufgaben in der Schneiderei meisterte sie mit Eifer und Begeisterung. Karl war stolz auf sie, er gönnte ihr ihre Erfüllung. Aus diesen Gründen hatte er es bisher auch unterlassen, mit ihr über ein Leben an einem Adelshof und eine spätere Heirat zu sprechen. Ihr Vermögen wuchs dank des Erfolgs der Werkstatt stetig, und sie würde sich ohnedies nicht mehr mit einem Nachgeborenen oder einer sonstigen zweiten Wahl zufriedengeben müssen, also bestand seiner Ansicht nach auch kein Grund zu besonderer Eile, sie unter die Haube zu bringen. Wie Franziska würde sie eine der wenigen Frauen sein, die ihr zukünftiges Glück durch eigene Arbeit und eigenes Vermögen selbst aufbauen konnten. Karl wusste, dass dies ein großes Geschenk war und dass eigentlich alles um ihre Zukunft zum Besten stand, doch im Gegensatz zu der Leichtigkeit, mit der er sich sonst schweren Aufgaben stellte, fiel es ihm ungewohnt schwer, die Schwester beiseitezunehmen und Zukunftspläne mit ihr zu schmieden. Trotzdem, man konnte das Thema nicht ewig aufschieben, das wusste er und hoffte, bald mit Ludwig über diese Frage sprechen zu können.

Die Dame, die Karl in der Herberge so offenherzig empfangen hatte, war mit ihrem Gemahl bald nach dem Schäferstündchen weitergereist, jedoch nicht, ohne zuvor zur Anprobe bei Franziska zu erscheinen. Das Kleid passte mit nur geringen Änderungen sofort. Ihren Liebhaber, der zu dem Zeitpunkt ebenfalls in der Schneiderei weilte, würdigte sie bei ihrem Abschiedsbesuch keines Blickes und auch Karl spielte den Ahnungslosen und gab sich durch nichts zu erkennen.

Dennoch musste die Frau in einer schwachen Stunde ihr kleines Geheimnis mit jemandem geteilt haben, denn einige Tage nach der Abreise der Gespielin steckte Trudbert Karl überraschend wieder ein Briefchen zu.
 

»Jetzt seid Ihr aber überrascht, mein Bester!«, sagte Elsbeth lachend, als er in der Türe erschien und sie verdutzt ansah. »Frauen und ihre Geheimnisse!« Mit einer fragend in die Höhe gezogenen Braue trat Karl in den Raum. »Setzt Euch und schenkt uns ein. Wir haben Geschäftliches zu besprechen.« Karl nahm auf einem der beiden Stühle an dem einfachen Tisch Platz und goss verdünnten Wein in zwei Becher.

»Ihr werdet mich besser verstehen, wenn Ihr meine Geschichte kennt, also hört mir zunächst bitte zu. Ich war einer von vielen unnützen Essern im Haus meiner Eltern. Obendrein fühlte mein Vater sich verpflichtet, für eine standesgemäße Mitgift seiner Töchter aufzukommen, was ihn sehr belastete und oft an seinem Schicksal hadern ließ. Sein leiblicher Bruder Johann hingegen ist Priester, genau genommen mehr als das: er ist der Fürstbischof von Strassburg und Eichstätt. Seit kurzem ist er zum Kanzler von König Albrecht aufgestiegen und hat einen großen Teil der Reichsverwaltung übernommen – ein überaus einflussreicher Mann also. Als ich gerade vierzehn Jahre zählte, erkannte mein Oheim, dass ich gut gewachsen und hübsch war, und setzte meinem Vater die Idee in den Kopf, mich möglichst rasch zu verheiraten und sich nicht in den Mühen und Kosten einer allfälligen späteren guten Partie zu verlaufen. Er kannte einen wohlhabenden Titulargrafen, der ihm einen Gefallen schuldete und sich deshalb mit einer kleinen symbolischen Mitgift zufriedengab. Ich sah meinen Verlobten, Gero Graf von Falckenstein, vor der Hochzeitszeremonie nur ein einziges Mal. Er tafelte und zechte mit meinem Vater und meinem Onkel in unserer Halle, und ich wurde ihm zur Begutachtung vorgeführt. Er war älter als mein Vater. Schon wenige Tage später wurde die Trauungszeremonie von meinem Onkel persönlich durchgeführt.

Meine Ehe währte nur wenige Monate. Mein Gatte starb auf einer seiner Reisen, und mein Oheim brachte mich als Hofdame beim Grafen von Württemberg unter, eine große Ehre wohlgemerkt! Da er wusste, dass es bei mir als Witwe keine Unschuld zu schützen galt, und da die Aussichten auf einen neuen Gemahl mangels Mitgift gering waren, ließ er mich wissen, dass ich dem einen oder anderen hohen Herrn zu Gefallen sein sollte, um diese ihm gewogen zu stimmen. Ich tat wie geheißen und verbrachte die kommenden Jahre am Grafenhof. Ich muss gestehen, dass es mir gefiel, die Männer um den Finger zu wickeln. Als ich neunzehn Jahre alt geworden war, entließ mich der Graf, um mich einem anderen Fürsten anzuvertrauen, dem Herzog Rudolf von Bayern. Dieser gab mich an einen älteren Edelmann weiter, der seiner Geschäfte wegen häufig in Nürnberg war. Dort ersetzte ein wohlhabender Kaufmann ihn und danach der eine oder andere weitere diskrete Herr, bis zum heutigen Tag.«

Karl sah sie ermunternd an. Er war überzeugt, dass sie mehr vorhatte, als ihre Lebensgeschichte zum Besten zu geben. »Graf Meynhard?«, fragte er. Der Graf weilte seit einiger Zeit wieder auf seinen Gütern und ließ sich auch hin und wieder in der Stadt sehen.

»Ein ganz lieber Mann, einer der Besten! Übrigens ist er nicht mein Geliebter, falls Ihr das meint.« Erstaunt sah Karl sie an.

»Ich denke, ich kann Euch vertrauen, also hört zu: Der Graf wirkt stark und männlich. Ein Mann in den besten Jahren und durchaus begehrenswert für wohl jedes Weib. Natürlich habe ich mich bemüht, seine Freundschaft zu erlangen und mir seine Gunst zu sichern. Als ich das erste Mal mit ihm alleine war und dachte, er würde ohnedies gleich nach mir gieren, machte ich mir den Spaß, den Spieß umzudrehen, und griff forsch nach ihm. Was ich fand, konnte ich kaum für möglich halten: Wo ich einen Speer vermutet hatte, hing nur eine Quaste, die auch hängen blieb, egal, was ich unternahm. Es war unbeschreiblich peinlich. Verlegen lächelte er mich an und teilte schließlich sein Geheimnis mit mir, von dem niemand, aber auch niemand je erfahren darf, das werdet Ihr mir doch versprechen, oder?« Karl war das gräfliche Geheimnis ziemlich einerlei, er nickte. Elsbeth sprach weiter, mit einem Blick auf die Türe jedoch etwas leiser. »Sein Fleisch gerät durchaus in Versuchung und sein Blut in Wallung, doch vermag meinesgleichen dies nicht bei ihm hervorzurufen. Dennoch, oder vielleicht auch gerade deshalb, ist er sehr auf seinen Ruf bedacht, und der Schein, ein Draufgänger und Schürzenjäger zu sein, ist ihm wichtig. Darum bezahlt er mich gut und würde mich wohl auch noch viele Jahre aushalten und danach mit einer Rente versorgen. Angeboten hat er dies schon. Ich musste ihn jedoch enttäuschen, denn ich habe ein anderes Ziel.«

Karl war neugierig geworden. Gespannt lehnte er sich nach vorne und sah der ungehemmt erzählenden Schönheit in die Augen. »In wenigen Tagen kommt der König mit dem gesamten Hof hierher, der Graf wurde davon unterrichtet. Übrigens ist Euer Bruder auch in seinem Gefolge.« Karls Herz tat einen Sprung. Wie sehr hatte Ludwig ihm in den letzten Monaten gefehlt, und wie brannte er darauf, ihm all die Neuigkeiten über Franziskas Geschäft und neue Heimat zu erzählen!

»Ich sehe, Ihr freut Euch, sehr schön. Nun hört meinen Wunsch: Ich will am Hof Albrechts königliche Hofdame werden. Ich dachte, vielleicht könnte man mit Eurem Bruder …«

»Der wird sich kaum für eine andere Frau verwenden. Mein Bruder ist mit Haut und Haar Franziska verfallen und sie ihm. Sie stürzt sich in ihre Arbeit, um ihr Schmachten zu betäuben, aber sie gehört ihm und er ihr. Ich werde auf keinen Fall eine andere Frau ins Spiel bringen, nicht einmal Euch. Tut mir leid.«

»Beruhigt Euch wieder, mein lieber Freund. Es war nur so ein Gedanke … Ich habe allerdings noch eine andere, wahrscheinlich bessere Idee: Der Graf wird mich zu einer Feierlichkeit an den Hof mitnehmen, offiziell als seinen Schützling, da mein Gatte ja verschieden ist. Überredet Franziska, dass sie mir ein Kleid näht, das so prächtig und auffallend ist, dass es den engsten Kreis des Königs auf mich aufmerksam macht und mich in diese Runde einführt. Alles andere liegt dann in meinen Händen. Den Rest wird mein Oheim für mich arrangieren. Er wird alles tun, um dem König zu Gefallen zu sein.«

»Ihr habt doch schon zwei sehr schöne Kleider, für die Euch nie eine Rechnung vorgelegt wurde. Nehmt doch eines davon!«

»Gewiss, die Kleider sind herrlich, aber ich habe auch die Kleider gesehen, die Franziska für reiche Edelfrauen gefertigt hat. Verschwenderisch und prunkvoll! Genau so eines möchte ich. Das schönste, das sie machen kann!«

»Und warum sollte Franziska dieses Kleid für Euch nähen? Überhaupt – warum verhandelt Ihr mit mir und nicht gleich mit ihr selbst?«

»Franziska soll ihren Lohn bekommen: Sie wird im Gegenzug für mein Kleid die Aussicht erhalten, für den Hof zu fertigen, wer weiß, vielleicht sogar für die königliche Familie. Dafür sorge ich schon, verlasst Euch darauf. Nicht schlecht für ein junges Mädchen, das noch vor drei Monaten mittellos eine Stellung bei einem wenig erfolgreichen Schneidermeister gesucht hat, nicht wahr?«

Karl machte sich nicht die Mühe, ihr zu erzählen, dass Franziska beileibe weder notleidend noch von einer schlechten Stellung abhängig gewesen war. Aber Elsbeth hatte Recht, sie waren ihr viel mehr schuldig, als die bisherigen zwei Kleider. Ihre geschickte Werbung und ihre kokette Prahlerei hatten das Geschäft aus der Taufe gehoben und den Erfolg der Knopfkleider eingeläutet. Dennoch wunderte Karl sich, wieso Elsbeth nicht gleich mit Franziska gesprochen hatte, und fragte nochmals direkt danach.

»Franziska ist eine, wie mir scheint, unschuldige und sehr tugendhafte junge Dame«, antwortete Elsbeth. »Wenn jemand wie ich, eine Frau mit Vergangenheit mit einer solchen Bitte … Ihr versteht schon. Ich könnte es verstehen, wenn sie mich abwiese. Ihr seid ein Mann aus dem Leben, wie ich glaube, und hattet selbst bestimmt kein einfaches Los.« Sie sah während dieser Worte auf seine rechte Hand. »Außerdem seid ihr diskret, wie Ihr bereits bewiesen habt.« Ihr Blick schweifte durch das Zimmer, das Karl bereits kannte. »Ich dachte, ich unternehme den Versuch, mit Euch als Vertrautem mein Glück zu wagen. Ich hätte Euch gern zum Freund, Karl von Montardier, und meine Freundschaft ist Gold wert.«

Karl war sich noch nicht sicher, ob die Frau es ehrlich meinte. Doch welches Risiko gingen Franziska oder er schon ein, wenn sie sie etwas herausputzten? Schlimmeres, als neue wohlhabende Kunden zu gewinnen, konnte ihnen nicht passieren.

»Ihr ehrt mich, Elsbeth, und Euer Plan ist gewagt, aber auch verlockend. Ich werde Franziska davon erzählen und Euch ihre Antwort mitteilen.« Er erhob sich und schickte sich an, sich zu verabschieden, doch Elsbeth stand ebenfalls auf und schnitt ihm den Weg zur Tür ab. Mit einem liebreizenden Lächeln fragte sie: »Und Ihr wollt gar nicht wissen, was Ihr von dem Handel haben sollt, mein schöner junger Freund?«

*

Der königliche Tross traf am folgenden Samstag ein. Graf Meynhard, der wieder in der Stadt weilte, erbot sich nach sanftem Drängeln Elsbeths, Ludwig ausfindig zu machen und ihn zu Franziska zu schicken. Als Walram und die beiden Mädchen am Montag nach einem anstrengenden Arbeitstag die Werkstatt abschlossen, stand der junge Edelknappe plötzlich vor ihnen.

Verlegen lächelten er und Franziska sich an. Maria fiel ihrem Bruder um den Hals und küsste ihn auf beide Wangen. Dann zog sie sich zurück und scheuchte auch die neugierig schielenden Näherinnen und die Gesellen aus dem Haus.

Schließlich trat Ludwig einen Schritt auf Franziska zu und griff zögernd nach ihren Händen. Zärtlich drückte er sie an sich, fühlte ihren weichen Körper, roch ihr Haar und spürte ihren warmen Atem. Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen. Vorsichtig näherten seine Lippen sich den ihren. Der Kuss war lang und sanft. Franziska wünschte, dieser Augenblick würde nicht vergehen. Für immer wollte sie den Geliebten in ihren Armen halten. Die wenigen Monate hatten ihn verändert. Sein Gesicht sah markanter aus, das Kinn energischer. Muskulös war er früher auch schon gewesen, doch jetzt fühlte sich sein Körper noch fester und stärker an. Ein sorgfältig gestutzter dünner Bart ließ ihn erwachsener und würdiger erscheinen. Aus dem jungen Burschen, der sie vor dem grässlichen Bero gerettet hatte, war ein Mann geworden.
 

Stolz erzählte er von der Schlacht gegen Adolf, schwärmte ihr vom Stab des Königs vor, dem die klügsten und wichtigsten Köpfe des Reiches angehörten und deren Bekanntschaft er machen durfte. Er selbst gehörte dem Tross an und bekam immer wieder Aufgaben wie Heroldsdienste oder die Beaufsichtigung der Soldatenausbildung durch die königlichen Offiziere. Der König hatte sich mit ihm sogar einmal über sein Pferd unterhalten, das dem Fürsten anscheinend Achtung abgerungen hatte. Er war überzeugt, dass Albrecht niemals vergessen würde, was er für ihn getan hatte, und spürte, dass der König durchaus ein Auge auf ihn geworfen hatte. Bestimmt würde er eines Tages den Ritterschlag erhalten, und wenn er sich lange genug bewährte, wer weiß, würde er möglicherweise eines Tages ein eigenes Lehen zugesprochen bekommen. Er malte sich sein Leben zwischen Adeligen, Kirchenfürsten und Höflingen aus und merkte dabei nicht, dass Franziskas Blick, trotz aller Verliebtheit und Bewunderung, von Traurigkeit umwölkt war. Schmerzhaft wurde ihr bewusst, dass sie trotz ihrer Tüchtigkeit und ihres Erfolgs letztendlich nur eine einfache Schneiderin war und auch nie etwas anderes sein würde. Ihr Vater und ihr Stiefvater waren durch harte Arbeit und etwas Glück in den Bürgerstand aufgestiegen, und wenn sie sich anstrengte, dann würde ihr das Gleiche gelingen, sie könnte in einer bedeutenden Stadt wie Nürnberg vielleicht eines Tages Zunftmeisterin werden. Aber hatte sie Platz im Leben und an der Seite eines Adeligen, der in die obersten Kreise gelangen wollte? Ludwig, so klug er sonst war, schien so weit noch nicht gedacht zu haben.

Doch als sie wieder seinen verliebten Blick und das Leuchten seiner Augen sah, verscheuchte sie die bitteren Gedanken. Jetzt war Ludwig hier, hier bei ihr, und das war es, was im Augenblick zählte. Sie drückte ihn fester an sich und genoss den nächsten Kuss. Sie würde niemals einen anderen Mann lieben, dessen war sie sicher.
 

Ludwig musste am Abend wieder in der Burg sein, in der der König und seine wichtigsten Männer sich einquartiert hatten. Er hatte einige Dinge zu erledigen, unter anderem sollte er mit dem Majordomus der Burg Einzelheiten für das Fest besprechen, das am kommenden Samstag für die Herren des Rats und ausgesuchte Bürger gegeben werden sollte. Der König legte Wert darauf, sich so vielen Menschen wie möglich zu zeigen und seine Untertanen ihm zugetan zu stimmen.
 

Am kommenden Tag erschien Ludwig wieder im Haus Walrams und verlangte aufgeregt, Franziska, Karl und Maria zu sprechen. Karl brütete bei Isaak über Geschäftsbüchern und musste erst herbeigeholt werden.

»Es ist ganz unglaublich! Ihr wisst gar nicht, was für mächtige Fürsprecher ihr habt. Dieser Graf Meynhard, ich hatte ihn schon mehrmals in der Nähe des Königs gesehen, hat sich für euch eingesetzt. Ihr seid alle zu dem Fest auf der Burg geladen! Ihr beide«, er sprach zu Maria und Karl, »seid als meine Geschwister Gäste an einer der Haupttafeln, ganz in der Nähe des Königs, und du«, strahlend sah er Franziska an, »sollst unter den Zunftmeistern sitzen, stell dir das vor! Ihr geht zum König, schon diese Woche!«

Franziska war sich nicht sicher, ob sie sich freuen sollte. Natürlich war es ein Zeichen von Anerkennung, dass auch das Handwerk und nicht nur die Ratsherren und die reichen Kaufleute zu dem Fest geladen waren, und dass sie sich zu seinen Vertretern setzen durfte, ehrte sie, aber sie wusste dennoch nicht so recht, was sie dort sollte. Sie fragte vorsichtig, ob Walram auch eingeladen war. »Als Zunftmeister wird sogar von ihm erwartet, dass er erscheint. Du bist seine Begleitung, so hat Meynhard das mit dem Truchsess abgesprochen. Freue dich, wir gehen auf ein Fest!«

Maria riss die Freundin aus ihren Gedanken. »Ich habe drei Kleider zur Auswahl, und ich glaube, ich werde das himmelblaue tragen, das gefällt mir am besten. Und du, Franziska, solltest über deine Garderobe nachdenken!«

»Wieso?«, entfuhr es Franziska, ehe sie sich erschreckt eine Hand vor den Mund hielt. Sie hatte für sich selbst bisher nur Alltagskleider gefertigt und im Leben nicht daran gedacht, dass sie je ein Festtagskleid für eine königliche Feier benötigen würde. Die Werkstatt erstickte in Aufträgen. Sie hatte tatsächlich keine Zeit, um für sich selbst ein Kleid zu schneidern, doch mit einem Mal lachte sie hell auf. »Wie der Schuster Hoimar in Budweis, der im Sommer stets barfuß lief. Ich habe ihn einmal gefragt, warum er das tat, und er hat geantwortet, dass seine Schuhe so beliebt seien, dass er nie dazu kommt, für sich selbst auch welche zu nähen. Jetzt ergeht es mir genauso!«
 

Wieder hatte Ludwig nur wenig Zeit und wurde nach einer Stunde schon wieder auf der Burg erwartet. Einerseits traurig, weil der Geliebte wieder fort war, andererseits froh, nicht von der Arbeit abgehalten zu werden, ging Franziska ans Werk. Sie entschied sich, Marias dunkelrotes Kleid für sich umzuarbeiten. Die Farbe schmeichelte ihr, und außer einer knappen Spanne an Rocklänge und ein paar Änderungen am Mieder war wirklich nicht viel daran zu tun.
 

Elsbeths neues Kleid hingegen bereitete deutlich mehr Mühe. Franziska hatte vorgeschlagen, es nicht ganz so kostbar wie die Roben der Ratsherrenfrauen oder der Frauen der Stadtadeligen zu machen, die schließlich ihre wichtigste Kundschaft waren, aber dafür am Schnitt neue Dinge zu wagen, die nur eine junge, schöne Frau tragen konnte. Elsbeth hingegen war anderer Ansicht gewesen: Experimente am Zuschnitt waren ihr recht, solange sie ihr zur Zierde gereichten, doch sollte das Kleid die Gewänder aller anderen Frauen übertreffen. Diesmal war es Maria, die den rettenden Einfall hatte, und Karl sollte für seine Durchführung sorgen: Er verbreitete wie beiläufig bei dem einen oder anderen Kaufmann das Gerücht, der Graf hätte eine für ein Gewand unvorstellbare Summe geboten, um seinen Schützling bei Hofe so strahlend wie möglich zu präsentieren. Ebenso lässig ließ er die eine oder andere Bemerkung darüber fallen, dass der Edelmann wohl seiner Hetäre überdrüssig sei und sie am Königshof verschachern wolle. »Wenn ein Mann wie Meynhard erst einmal seinen Spaß gehabt und sein Mütchen gekühlt hat, Ihr versteht …«

*

Die Feierlichkeit sollte am Nachmittag des Samstags beginnen. Da nicht alle Gäste in der großen Halle untergebracht werden konnten, waren auch einige Räume der Burg dafür vorbereitet worden. Die Ratsherren und die niederen Adligen saßen an den unteren Enden der halbrunden Tafel, mit freiem Blick auf den König und seine Gemahlin. Dann folgten der höhere Adel und die Geistlichkeit und am oberen Ende der Bischof, die königlichen Ratgeber und der engste Kreis des Hochadels. Die übrigen Gäste, die in Nebenräumen bewirtet wurden, hatten die Ehre, an den Majestäten und ihrem engsten Kreis vorbeizudefilieren und ihren Knicks oder ihre Verbeugung zu machen. Eine strenge Reihenfolge wurde eingehalten; ein Junker las den Namen eines jeden Einzelnen aus einer Schriftrolle.

Elsbeth saß neben Meynhard sehr weit oben an der Tafel, obwohl man dem Grafen ursprünglich einen Sitzplatz etwa an der Mitte zugeteilt hatte. Als Elsbeth angesichts des Reichskanzlers ein zufälliges, doch weithin zu hörendes »Oheim? Ihr hier? Welch eine Freude!« entfuhr, wurden ihr und ihrem Begleiter rasch bessere Plätze zugewiesen. Der König schien sehr interessiert an der Nichte seines Kanzlers zu sein, wie ein langer huldvoller Blick vermuten ließ. Ihr Kleid hatte das Seinige dazu beigetragen. Es war ein Meisterwerk aus kostbarer Seide in verschiedenen Pastelltönen; die matt schimmernden Knöpfe aus feinsten Materialien.
 

Schließlich war die Reihe an Ludwig und seinen Geschwistern, vor den König zu treten. Ludwig sah den Monarchen ja regelmäßig, doch für Karl und Maria war es das erste Mal. Der König strahlte eine besondere Autorität aus, die durch seine aufrechte Haltung und Körpergröße noch unterstrichen wurde. Er trug eine Binde über dem zerstörten Auge, die aber teilweise von seinen dunkelbraunen Locken verdeckt wurde. Die Königin, Elisabeth von Kärnten, Görz und Tirol, die schon seit etwa zwanzig Jahren an Albrechts Seite war, stand einen halben Schritt hinter ihm.

»Ah, mein guter Montardier, schön, Euch heute Abend bei uns zu haben. Sagt, wer sind Eure jungen Begleiter?« Der König war bester Laune.

»Mein Bruder Karl und meine Schwester Maria, Majestät«, sagte Ludwig, während sie alle ehrerbietig ihre Knie beugten.

»Eure Geschwister, seht an. Wo lebt Ihr? Ich hörte, Ihr seid Waisen?«

Ludwig antwortete für sie. »Mein Bruder gibt sich der Mathematik und dem Bankwesen hin und lebt neuerdings hier in Nürnberg. Meine Schwester Maria wurde in einem bedeutenden böhmischen Kloster erzogen, doch sieht es die Familie nicht für richtig an, sie den Schleier nehmen zu lassen. Derzeit lebt sie im Hause eines bekannten Zunftmeisters. Eines sehr ehrenwerten Mannes, versteht sich.«

»Eine junge Dame von Stand unter dem Dach eines Handwerkers? Ihr scherzt, Montardier! Gewiss wollt Ihr sie nur dem Hofe vorenthalten, bis Ihr sie gut verheiratet habt. Wir sprechen noch darüber, gleich in den nächsten Tagen. Doch jetzt mischt Euch unter die jungen Leute und genießt das Fest!«

Ludwig strahlte. Welch ein Erfolg! Ohne dass er selbst etwas dazu hatte tun müssen, hatte er bereits für das weitere Wohlergehen Marias gesorgt. Wie stolz sein Vater jetzt auf ihn wäre!

Maria hingegen schien gar nicht begriffen zu haben, was die Worte des Königs für sie bedeuteten. Sie sollte Hofdame werden! Eine größere Ehre konnte einer Jungfrau nicht widerfahren, und vor allem konnte sie keine bessere Chance für ihre Zukunft erhalten. Die Königin hatte schon als Herzogin von Österreich in dem Ruf gestanden, für jede ihrer Damen den passenden Ehemann gefunden zu haben, und jetzt als Frau des Herrschers war ihre Auswahl an geeigneten Kandidaten wohl noch ungleich größer.
 

Franziska war in der letzten Gruppe und schritt am Arm Walrams langsam voran. Ob ihrer Jugend und ihrer Anmut erhielt sie das eine oder andere Lächeln, als sie die mächtigen Herren passierte, doch nahm man weder von ihr noch von den anderen Zunftvertretern besondere Notiz. Die bloße Tatsache, an einer königlichen Feier teilnehmen zu dürfen, musste Ehre genug für diese einfachen Leute sein.

Wenig später saß sie artig neben ihrem fürsorglichen Meister, nahm ein wenig von den außergewöhnlichen Speisen und nippte an ihrem Weinbecher. Die anderen Zunftmitglieder waren weniger zart besaitet. Franziska nahm belustigt zur Kenntnis, dass die Männer allesamt, von der Ehre der Einladung euphorisch gestimmt, kräftig zechten. Die Frauen verhielten sich still, wie es sich geziemte. Gelegentlich tuschelten sie miteinander oder zischten ihren Gatten kaum hörbar ein paar Worte zu, wenn deren Benehmen oder Wortwahl ihnen missfiel. Allerdings fiel der jungen Schneiderin auch auf, wie die anderen Schneider und ihre Frauen sie musterten. Einige Blicke waren offen und freundlich, vor allem die der Männer, die der Frauen jedoch meist neidisch oder feindlich. Der frische Wind und die Aufbruchstimmung, die in Walrams Werkstatt herrschten, hatten sich rasch herumgesprochen. Franziska hätte zu gern nach Ludwig gesehen oder vielleicht später, wenn das Essen vorbei war und die Musikanten zum Tanz aufspielten, mit ihm ein Rondo gewagt, doch wahrscheinlich hatte er keine Möglichkeit, sich in die Nebenräume zu begeben. Sie raunte Walram zu, dass sie nach Hause gehen würden, sobald dies ohne aufzufallen möglich war. Der alte Meister nickte ihr dankbar lächelnd zu.
 

Albrecht war weiterhin in heiterer Stimmung, wie seine Gemahlin und sein direktes Gefolge erleichtert feststellten. Er nahm von den üppigen Speisen, ließ sich den Pokal mehrmals füllen und prostete den Gästen fröhlich zu.

Elsbeth saß in seiner Sichtweite, und im Laufe des Abends sprach der Regent sie an. »Ihr tragt ein außergewöhnliches Kleid, Frau von Falckenstein. Es ziert Euch in höchstem Maß. Wie kamt Ihr zu der Mode?«

Elsbeth präsentierte sich ihm in voller Breite und schilderte erneut und ohne falsche Zurückhaltung, wie sie durch Zufall auf eine Schneidermeisterin gestoßen war, die nicht nur Damenkleider auf diese neue Art schloss, sondern diese Technik zum Verbessern eines jedweden Kleidungsstückes anwandte und über unerschöpfliche Phantasie verfügte. »Ihre Kleider und Wämser würden jeden König zieren«, führte sie unter leichtem Erröten aus. »Und jeden Bischof«, sagte sie mit Blick auf ihren Oheim, der dem Gespräch mit Interesse gefolgt war.

Nachdem die Königin ihrem Gemahl einen dezenten Hinweis gegeben hatte, meinte dieser: »Ihr habt wohl Recht. Der Truchsess möge sich ein Bild von der Kunst der Frau machen und uns berichten. Und der Königin ebenfalls.« Er lobte Elsbeth wegen ihres Geschicks, das sie bewiesen hatte, um der Reichsstadt auch in diesem Bereich Vorsprung vor anderen Städten zu verschaffen.

»Wo haltet Ihr Eure Frau Nichte üblicherweise denn versteckt, mein lieber Johann?«, fragte er seinen Kanzler, den Fürstbischof von Strassburg, der sich beinahe an einem Stück Geflügel verschluckte. »Sollte eine Dame wie sie nicht bei Hof und in der Nähe der Königin leben?« »Gewiss, Majestät«, beeilte der Kirchenmann sich zu sagen. »Frau Elsbeth war gewissermaßen mein Mündel, als ich sie einem verdienten Edelmann zur Frau gab. Leider starb er früh, und seitdem haben wir uns zu meinem Bedauern aus den Augen verloren. Graf von Aarnkreutz war so großzügig, Schutz für sie zu übernehmen, sehr zu meiner Erleichterung. Natürlich steht sie weiterhin unter meiner persönlichen Verantwortung, Ihr habt daher recht getan, mich darauf hinzuweisen. Wie so oft, stehe ich in Eurer Schuld! Ich würde mich glücklich schätzen, falls es mir gelänge, Frau Elsbeth für ein Leben bei Hofe zu gewinnen.«

»Wendet Euch dazu an meine Gemahlin. Und natürlich an Euch, Frau Elsbeth.«

Elsbeth senkte sittsam den Blick und gab sich Mühe, ihre Freude nicht allzu offen zu zeigen. Gleich in den nächsten Tagen musste ihr Onkel sie der Königin anvertrauen, es blieb ihm gar keine andere Wahl, nachdem Albrecht ihn dazu aufgefordert hatte. Ob es das atemberaubende Kleid war, das ihr dazu verholfen hatte oder ihre Frechheit, einfach den Onkel in Gegenwart des Königs anzusprechen? Egal, vorerst war sie am Ziel.
 

Die Musikanten spielten auf und der König und seine Gemahlin schritten als Erste im Takt der Musik durch den Saal. Der hohe Adel schloss sich an, dann folgte der niedere, nachdem ein Junker ein Zeichen gegeben hatte. Ludwig tanzte mit seiner Schwester. Nach dem Tanz übergab er Maria an Karl und machte sich auf die Suche nach Franziska. Auch in den Nebenräumen wurde mittlerweile aufgespielt und getanzt. Als er sich endlich zur richtigen Tafel durchgefragt hatte, hatte Meister Walram mit seiner Begleitung die Burg bereits verlassen.
 

Als die Königin sich erhob, folgten ihr die anderen Frauen des Hofes und der Übernachtungsgäste. Die übrigen ließen sich von ihren Ehemännern, Vätern oder Brüdern nach Hause begleiten.

Elsbeth wurde von Meynhard galant aus dem Saal geführt. Draußen trennten sie sich, und Elsbeth suchte die Kammer auf, deren Zugang ihr Oheim ihr in einem diskreten Augenblick beschrieben hatte. Ein schweigsamer Diener Seiner Majestät nahm sie dort in Empfang und hieß sie mit einer vielsagenden Handbewegung warten, während er sich sofort zurückzog.

*

Als Franziska und Maria tags darauf vom sonntäglichen Kirchgang zurückkamen, wartete Ludwig bereits vor Walrams Haus auf sie. Er konnte gar nicht an sich halten, allen die guten Neuigkeiten über Maria und ihre Zukunft zu berichten. Es würde bestimmt nur ein paar Tage dauern, bis die Königin nach ihr schickte.

Maria schluckte. Natürlich wusste sie, welche Ehre ihr geschah und welch großen Aufstieg dies für sie bedeutete, doch war sie jetzt in ihrer neuen Familie so glücklich wie seit ihrer Kindheit nicht mehr. Sie hatte ihre Aufgaben in der Werkstatt, die sie ausfüllten, und sie war überzeugt, dass sie gemeinsam mit Franziska noch Großes erreichen konnte. Jetzt sollte sie plötzlich dieses schöne und freie Leben gegen den goldenen Käfig des langweiligen Königshofs eintauschen, an dem sie zum Warten verurteilt war, bis irgendein Edelmann schließlich um sie anhielt? Am liebsten hätte sie ihren Bruder gebeten, der Königin doch einfach abzusagen und sie weiterhin mit Franziska Kleider fertigen zu lassen.

Aber Maria von Montardier war kein Mädchen, das sich nur von seinen Gefühlen leiten ließ. Trotz des Rufs ihres Herzens arbeitete ihr Geist so, wie er erzogen worden war. Sie dachte an ihre Mutter und ihren Vater. Auch sie waren Edelleute gewesen und hatten sich den Pflichten ihres Standes gefügt. Wäre es nicht auch ihr Wunsch gewesen, sie gut an den Mann zu bringen? Und würde sie durch ein Leben bei Hof nicht auch immer in der Nähe ihres einzigen echten Verwandten sein? Hilfesuchend sah sie Franziska an, deren Gesicht wie versteinert wirkte, während Ludwig vor Stolz und Freude strahlte.

Sie blickte sich nach Karl um, der hinter ihr stand und ihr freundlich zulächelte. Er schien erkannt zu haben, was in ihr vorging. »Angst?«, fragte er. »Die Leute bei Hof sind auch nur Menschen, habe ich mir sagen lassen, und so wie heute der Adel nach Franziska und euren Kleidern gegiert hat, wird die Werkstatt in nächster Zeit einiges mit den Wichtigen und Mächtigen zu tun haben. Ich werde also auch immer wieder in deiner Nähe sein, und bestimmt erhältst du die Erlaubnis, uns alle oft zu sehen. Der Hof ist kein Kloster und kein Gefängnis, sagt man.«

Maria nickte. Bestimmt hatte er Recht, wie meistens.