Nach langen Monaten des Ausbildens durfte Ludwig sich ein paar Tage Ruhe gönnen. Er verbrachte sie in Henris Wohnung, die im weitläufigen Areal des Palastes lag, fern vom Lärm der Stadt.
Ludwig las den Brief, den der Bote vor knapp einer Stunde gebracht hatte, bereits mindestens zum zehnten Mal. Er sah Franziska vor sich, wie sie mit geschickter und leichter Hand die gleichmäßigen Buchstaben auf die Tierhaut setzte. Das Schreiben war so nüchtern verfasst, dass er kaum glauben konnte, dass es Franziskas Worte waren, die er las. Hatte sie die Zeilen womöglich unter Druck verfasst? Sollte sie ihn unter Vorwänden wieder ins Reich locken? Er vermochte es nicht zu sagen, doch dass er reisen musste, stand außer Zweifel. Franziskas Eltern sollten kein zweites Mal seinetwegen unschuldig bestraft werden.
Irgendwann wäre der Tag ohnehin gekommen, gestand
er sich ein, an dem er zurück nach Hause gegangen wäre, sich dem
König vor die Füße geworfen und ihm in der Hoffnung auf Verständnis
und Gnade die Wahrheit geschildert hätte. Nüchtern betrachtet war
ein Leben im Exil eines Ritters unwürdig, und allein seine Ehre
gebot, den König persönlich um Aufhebung der Acht zu bitten. Doch
ungünstiger als jetzt konnte der Augenblick dafür nicht gewählt
sein. Er hatte die vergangenen Monate so verbissen dem Sultan und
seiner schweren Aufgabe gedient und war der Ansicht, noch nie in
seinem Leben so hart und zielgerichtet gearbeitet zu haben. Sein Vater und Chalil waren viel
herumgereist und hatten Männer angeworben. Henri hatte sie mit
Worten, Chalil mit Gold überzeugt. Zuletzt hatten sich ihnen sogar
Verbände aus Beduinen angeschlossen, die waghalsige und
hervorragende Reiter waren und seinen Männern und auch ihm noch so
manchen Trick im Kampf zu Pferde beibringen konnten. In
Gebirgstälern fernab von Kairo hatte er die Soldaten geschliffen
und zu einer Streitmacht geformt. Aus dem bunt zusammengewürfelten
Haufen war weit mehr als eine gefährliche Söldnertruppe geworden.
Er hatte eine schlagkräftige kleine Armee unter seinem Kommando,
und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie zuschlagen und
An-Nasir seine Macht wieder verschaffen würden. Und gerade jetzt
sollte er weggehen und Ägypten verlassen? Er musste umgehend mit
seinem Vater sprechen und gemeinsam mit ihm und dem Sultan nach
einer Lösung suchen. Keinesfalls wollte er allein reisen und sich
womöglich gleich nach seiner Ankunft verhaften lassen.
Ein zweiter Brief wurde ihm bereits an einem der folgenden Tage ausgehändigt. Wieder hatte sie geschrieben, und war das erste Schreiben fast ein halbes Jahr unterwegs gewesen, so traf dieses bereits wenige Wochen nach seiner Niederschrift ein. Wieder bat Franziska ihn zu kommen, doch weder zu Albrecht noch zu Rudolf sollte er reisen, sondern zu ihr nach Nürnberg. Natürlich sollte er sich so bald wie möglich auf den Weg machen, doch falls wichtige Aufgaben ihn festhielten, würden seine Tochter und Franziska warten. Und auf keinen Fall solle er sich weiter um Nele und Hermann sorgen.