GÖLLHEIM  Juli 1298

Die letzten Tage waren zermürbend gewesen. Konrad hatte sich mit seinem Kontingent einem bärenhaften alten Haudegen namens Georg, Oberhaupt des Geschlechts der Raugrafen, angeschlossen, der einen wilden Haufen kampferprobter Männer führte. In eiligen Märschen hatten sie in kurzer Zeit ganz Süddeutschland durchquert, waren bis nah an den Rhein vorgestoßen und hatten sich in das Hauptheer Albrechts eingereiht, das stetig wuchs. Die Kämpfer des Raugrafen hatten sich nützlich gemacht, indem sie Konrads Männer im Umgang mit Spieß und Lanze schulten. Ludwig erntete von allen Seiten Anerkennung, als er mit Übungsschwert und Schild mit den Männern trainierte, und schon bald übten Konrad und Georg den Fechtkampf nur noch mit ihm. Ludwigs Brust war vor Stolz geschwellt, wann immer er verschwitzt und mit ein paar neuen blauen Flecken vom Kampfplatz ging. Er pflegte die Rüstung seines Ritters, rieb jeglichen Rost von den Gliedern des Kettenhemdes und ölte das Eisen vorsichtig ein. Mit Hingabe schliff er Schwerter, Dolche und Lanzenspitzen.

Albrecht hatte sein Heer unermüdlich von einem Ort zum anderen ziehen lassen. Keine Stelle schien ihm geeignet, um den Gegner zu erwarten. Mehrfach hatte er sogar offen das gegnerische Heer umlaufen und war dem Kampf ausgewichen, war tief ins Rheinland gezogen, wo sich schließlich seine gesamten Truppen versammelten. Adolf lagerte nicht weit entfernt, doch noch immer machte Albrecht keine Anstalten, seinen Gegner zu stellen. Hatte er Angst vor der Auseinandersetzung oder schätzte er seine Chancen zu gering ein? Ludwig machte sich keine Gedanken darüber und beteiligte sich auch nicht an den Gesprächen der anderen Männer, die über die angebliche Truppenstärke des Feindes tuschelten.
 

Am dreiundzwanzigsten Juni schließlich erreichte die Truppen die Nachricht, dass die Kurfürsten ohne Zustimmung des Papstes getagt und Adolf als König abgewählt hatten. Der neu ernannte König hieß erwartungsgemäß Albrecht von Habsburg.

Da Adolf als vom Papst gesalbter Herrscher sein Königtum weiterhin für rechtmäßig hielt, wollte er seinen Thron mit dem Schwert verteidigen und drängte auf eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld. Sein Widersacher Albrecht hingegen wusste, dass er seine kirchenrechtlich unbestätigte Wahl schnellstmöglich auf die juristisch unanfechtbare Grundlage eines freien Thrones stützen musste.

Nachdem Albrechts Kundschafter tagelang die günstigste Stelle gesucht hatten, um das noch einige Tagesmärsche entfernte Heer Adolfs anzugreifen, entschied sich Albrecht für einen weitgehend unbekannten und bedeutungslosen Landstrich, an dem er den Nassauer überraschen konnte. Nach nächtelangen Unterredungen mit seinen Offizieren stellte Albrecht einen Teil seiner Truppen auf dem Hasenbühel, einem taktisch günstigen Hügel nahe dem Städtchen Göllheim auf. Ein weiterer Teil bezog auf einem niedrigeren Hügel an der gegenüberliegenden Seite des breiten Tals Stellung.
 

Ludwig hatte seinen Grafen gerüstet und gegürtet und ihm auf sein Schlachtross geholfen. Konrads Rüstung glänzte schwarz und silbern, und ein mächtiges Schwert hing an seinem Sattel. Er hielt eine Lanze mit eiserner Spitze und seinen Schild mit dem Wappen seiner Familie. Der Raugraf hatte ebenfalls seinen Sitz im Sattel eingenommen und stieß ein paar lautstarke Unflätigkeiten aus, die seine Männer mit grölendem Lachen aufnahmen. Er war schwerer und weniger ansehnlich als Konrad, wirkte aber in seiner verbeulten Rüstung und mit seinem Morgenstern am Gürtel ungleich bedrohlicher. Die üblichen Ritterwaffen, Schwert und Lanze, trug er mit unbekümmerter Selbstverständlichkeit. Als er sich den Helm reichen ließ, raunte er Ludwig noch zu: »Wenn du dir deine Sporen verdienen willst, bleib in meiner Nähe!« Ludwig wusste, dass er als Knappe nicht in den eigentlichen Kampf ziehen musste, aber die Worte Georgs stimmten ihn kriegerisch. Er griff sich einen Langschild und einen Speer und fand sogar einen einfachen Kesselhelm unter den Waffen seines Herrn, den er sich zurechtlegte.
 

Es war warm und schwül an diesem Tag Anfang Juli. Die Männer schwitzten unter ihren Panzern und Helmen, und das Fell der Gäule färbte sich unter den Schabracken dunkel. Schwärme von Fliegen und Mücken summten um die Tiere herum und machten auch vor den Gesichtern der Männer nicht halt. Die zuvorderst stehenden Truppenteile konnten das Heer Adolfs bereits ausmachen. In vorderster Linie ritten gerüstete Bannerträger, von denen der erste den Wimpel des Königs und die hinter ihm folgenden die bunte Vielfalt der unter seinem Befehl reitenden Ritter zeigten. Das Heer Albrechts verharrte in fast lautloser Stille.

Endlich schien von irgendwoher ein Befehl zu kommen. Die einzelnen Abteilungen setzten sich in Bewegung. Albrecht wusste die Vorteile des Geländes für seine Pläne zu nutzen. Zusammen mit seinen erfahrensten Offizieren würde er über die zwei sanften Hügel das im Tal langsam heranrückende Heer Adolfs einkreisen und von der Flanke her angreifen. Die Reiterei hatte gute Chancen, dem nassauschen Heer zur selben Zeit in den Rücken zu fallen. Die Windungen des zusehends schmäler werdenden Tals würden der berittenen Truppenspitze Adolfs eine Flucht nach vorne genauso erschweren wie eine Umkehr, um in den mit dem Hauptheer plötzlich entbrannten Kampf einzugreifen. Zahlenmäßig war Adolfs Heer zwar überlegen, doch Albrechts bessere Stellung im Gelände konnte diesen Vorteil wettmachen. Zudem waren seine Männer durch den Gedanken gestärkt, für eine Krone und ewigen Ruhm zu kämpfen.

Die Signale ertönten zum Angriff. Nach einem mäßig wirkungsvollen Pfeilregen durch die Bogenschützen preschten mehrere Reitereien auf die Flanke Adolfs zu und schnitten seine berittene Vorhut vom Hauptverband ab. Fußtruppen folgten. Adolfs vorderste Fußsoldaten fielen, doch die hinter ihnen nachrückenden formierten sich sofort neu. Albrechts Ritter stürzten auf sie zu. Lanzen fanden ihr Ziel. Männer wurden aus den Sätteln gehoben und lagen hilflos auf dem Boden, bevor ihnen Fußkämpfer den Garaus machten. Verwundete Pferde schrien im Todeskampf fast wie Menschen, und Ströme von Blut flossen auf beiden Seiten. Konrad kämpfte in einer der vorderen Linien. Seine Lanze war längst gebrochen, und die Spitze steckte im Schild eines nassauschen Edelmannes. Sein eigener Schild hing in Stücke gehauen nutzlos an seinem linken Arm. Er streifte ihn ab, riss das lange Schwert aus der Scheide und führte es mit beiden Händen. Mehrere Männer fällte die tödliche Klinge, bis der Bolzen einer Armbrust in den Hals des Grafen fuhr und ihn zu Fall brachte. Leblos stürzte er zu Boden. Das Pferd sprengte panisch durch die kämpfenden Männer, bis es endlich den nun leeren Abhang des Hasenbühels erreichte.

Ludwig sah das Tier ohne seinen Reiter auf sich zukommen. Er wusste, was dies zu bedeuten hatte. Rasch eilte er zurück in das Zelt seines Herrn, setzte den schlecht sitzenden Helm auf, fand noch einen ledernen Übungspanzer und rannte mit Schild und Speer in Händen zum Kampfplatz. Er sah den dunkelroten Helmbusch des Raugrafen und drängte sich in seine Nähe. Der Graf und fünf seiner Kämpfer waren von einem nassauschen Fußsoldaten umzingelt. Sie leisteten heftigen Widerstand. Einen nach dem anderen hauten sie die Angreifer nieder, bis plötzlich Hufschläge ertönten und eine Gruppe von fünf oder sechs Reitern auf sie zusprengte. Die gegnerischen Fußsoldaten wichen zurück. Ludwig sah stolze Wappen auf den Schilden der Reiter, konnte jedoch nicht sagen, zu welchen Geschlechtern diese gehörten. Der Graf hielt den Morgenstern in der Rechten und den Schild in der Linken. Seine Kämpfer ließen sich hinter ihm in einer Reihe auf ein Knie niederfallen. Wer einen Spieß oder eine Lanze hatte, richtete diese schräg nach oben, um die heranstürmenden Pferde aufzuhalten. Ludwig fand sich plötzlich in der Mitte eines Halbkreises wieder und kniete ebenfalls. Er rammte das Ende seines Speers in den Boden und hielt den Schaft an sich gedrückt, die Spitze in Richtung der Angreifer.

Der Reiter in der Mitte nahm sich den Raugrafen vor. Mit dem zersplitterten Rest einer langen Lanze legte er auf den Bauch des Gegners an, traf und schaffte es beinahe, den schweren Mann aus dem Sattel zu heben. Noch im Vorbeireiten warf er die nun gänzlich unbrauchbare Lanze von sich und zog das Schwert. Im Zurückreiten würde er es gegen Georg schwingen, der sich nur mühsam im Sattel seines im Kreis wirbelnden Pferdes hielt. Der Gegner hatte sein Ross herumgeworfen und setzte zum neuerlichen Angriff an. Den im Weg stehenden Burschen mit seinem Speer würdigte er kaum eines Blickes, versuchte lediglich, ihn mit seiner Schwertspitze zu erhaschen, um ihn aus dem Weg zu scheuchen. Ludwig wich mit einem Satz zur Seite aus. Er bemühte sich, die Gesamtlage einzuschätzen, wie Siegfried das immer gepredigt hatte, um dann im rechten Augenblick das Richtige zu tun. Mehrere Berittene standen einem Ritter und einer Handvoll Fußvolk gegenüber. Alles ging so rasend schnell. Der Raugraf hatte sein Pferd wieder unter Kontrolle und konnte dem nächsten Angriff des Gegners ausweichen. Mit Schrecken stellte Ludwig fest, dass Georg plötzlich ohne Waffe war. Der Morgenstern war ihm entglitten, das lange Schwert hing an seinem Sattel und hatte sich verhakt. In diesem Moment stürmte sein Gegner mit erhobener Klinge auf ihn zu. Jetzt galt es zu handeln. Ludwig rannte von schräg vorne auf den Angreifer zu. Der Ritter trug einen Helm mit heruntergelassenem Visier, der zur Seite nur eingeschränkte Sicht bot. Ludwig hoffte, möglichst lange unentdeckt zu bleiben, und behielt die ungeschützte Stelle unter dem Arm des Ritters fest im Auge. Als der Mann an ihm vorbeisprengen wollte, hob er seine Waffe und stieß mit beiden Armen zu. Der Mann schrie auf. Sein Schwert fiel zu Boden, und er sank über den Hals des Reittiers. Das Pferd scheute, sprang zur Seite und ließ den schwer gerüsteten Körper mit einem lauten Krach zu Boden fallen. Sofort war einer der Soldaten Georgs zur Stelle und gab dem Mann den Todesstoß. Der Raugraf, der endlich wieder sein Schwert in der Faust hielt, sah sich den Gefallenen genauer an.

»Adolf ist tot«, rief er. Seine Männer stimmten ein Jubelgeschrei an, während die Männer des toten Königs panisch die Flucht ergriffen.
 

Noch am selben Abend wurde der Knappe Ludwig von Montardier in das Zelt des Königs beordert. Dort war eine kleine Gruppe von Männern versammelt. In ihrer Mitte ein großer, hagerer, doch breitschultriger Mann. Langes, lockiges Haar umrahmte ein schmales Gesicht mit ausgeprägtem Profil. Da Albrecht vor einigen Jahren ein Auge verloren hatte, musste er sich drehen, um den jungen Mann am Eingang seines Zelts in Augenschein nehmen zu können.

»Das ist also der Knappe, der Adolf aus dem Sattel geholt hat.« Ludwig senkte den Blick und ließ sich auf ein Knie sinken. »Wieso bist du einfach in den Kampf gezogen? Hatte dein Herr dir nicht andere Befehle erteilt?«

Ludwig sah auf. »Mein Herr war gefallen. Ich wollte, dass die Schlacht gewonnen wird, und habe so gut es ging dazu beigetragen.«

»Nun, das hast du wahrhaftig. Und du hast wohlgetan. Ist es dein Ziel, Edelknappe zu werden und für deinen König zu kämpfen?«

Ludwig nickte und sah den König mit strahlenden Augen an. Albrecht nickte. »So sei es. Da du ohne Herr bist, empfange die Schwertweihe von Uns. Ihr steht ab sofort in Unseren Diensten, Ludwig von Montardier, Sohn des Kreuzritters Heinrich von Montardier. Erhebt Euch und lasst Euch gürten.« Ludwig tat wie ihm geheißen, und einer der Umstehenden hielt ihm einen Schwertgurt mit einer Waffe um den Leib. Ein symbolischer Akt, der Ludwigs Jugend beendete und ihn zu einem Mann des Schwertes machte. Der König wandte sich ab. Der Raugraf Georg grinste Ludwig an und führte ihn rasch aus dem Zelt. Draußen klopfte er ihm auf die Schulter und gratulierte ihm. »Man wollte ja mir den Ruhm lassen, Adolf ins Jenseits befördert zu haben, aber ich konnte nicht umhin, dem König die Wahrheit zu schildern. Deine Tollkühnheit zu verschweigen, hätte ich nicht übers Herz gebracht, auch wenn ich dadurch womöglich eine reiche Belohnung verspielt habe. Aber immerhin waren es meine Männer, die den Alten endgültig erledigt haben, das genügt mir als Lohn.« Ludwig schwieg noch immer.

»Was hast du jetzt vor, Edelknappe?«

»Ich werde meinen Bruder benachrichtigen, er soll mir Geld senden, damit ich mir eine Rüstung und ein Schlachtross besorgen kann. Ich will Albrecht in aller Würde dienen.«

»Eine gute Idee. Bis dahin nimm du die Waffen deines Herrn und seinen Gaul, falls wir ihn noch finden. Lass dir vom Schmied längere Arm- und Beinschienen verpassen, dann sitzt sogar die Rüstung. Der König will sobald wie möglich wieder von hier verschwinden und sich der förmlichen Ernennung durch die Kurfürsten stellen, es kann also dauern, bis du zu deinem Bruder kommst. Jetzt lass uns den armen Konrad begraben, ein Gebet für ihn sprechen und anschließend ein Fass öffnen. Heute ist wahrhaft ein Tag zum Feiern!«