»Ihr könnt euch nicht vorstellen, was hier seit eurer Abreise los war. Alle Welt scheint zu wissen, dass wir die Königshochzeit ausgestattet haben. Ich weiß nicht, an wie vielen Leuten ich Maß genommen habe. Seht selbst, ich habe alles notiert.« Walram brachte ein Buch, in das er mit seiner ungelenken und krakeligen Handschrift die Namen, die Art der gewünschten Kleider und das Datum des Auftrags geschrieben hatte. Die Maße der Kunden und die gewünschten Materialien hatte er in ein anderes Buch eingetragen, hatte die Stoffe bei den Tuchhändlern besorgt und mit den vor Ort gebliebenen Gesellen und Näherinnen begonnen, die vorbereitenden Tätigkeiten auszuführen. Franziska stürzte sich noch am Tag ihrer Heimkehr in die Arbeit. Nele konnte es kaum fassen, welch große Werkstatt ihre Tochter aufgebaut hatte, und suchte sofort, wie sie sich nützlich machen konnte. Ihre Augen waren nicht mehr ganz so scharf wie früher und so übernahm sie die Aufgaben, die Maria einst erfüllt hatte, plante und organisierte alle Schritte zur Fertigstellung der vielen Gewänder und arbeitete Hand in Hand mit Walram.
Franziska entwarf weiterhin die meisten Stücke selbst oder nahm Änderungen an älteren Entwürfen vor und schuf so wunderbare neue Kreationen. Ihre größte Freude war nach wie vor die persönliche Beratung der Kundinnen und Kunden, und dank ihres geübten Blicks und ihres Geschmacks vertrauten die Damen ihr auch dann, wenn sie moderne oder gewagte Lösungen vorschlug. Die Tuchhändler rissen sich darum, erlesene Ware an ihre Werkstatt liefern zu dürfen. Mittlerweile unterhielt sie Geschäftsbeziehungen zu den bedeutendsten Großhändlern Europas. Feinste englische und niederländische Wolle wurde ebenso verarbeitet wie Leinen aus Flandern, Seide aus Italien und Brokat aus Spanien und dem Orient. Zuletzt hatte sie einige Ballen eines sündhaft teuren Stoffes aus Indien eingekauft, den man, glaubte man den Worten des venezianischen Händlers, schon seit über zweitausend Jahren in Asien und Ägypten kannte und der im alten Babylon als Weißes Gold bezeichnet wurde. Er wurde angeblich aus den Früchten eines Gewächses gewonnen. Der Fernreisende Marco Polo hatte in seinen Berichten erwähnt, dass der Kaiser von China ganze Felder von der Größe europäischer Fürstentümer mit den Sträuchern bepflanzen ließ und dass Abertausende von Arbeitern damit beschäftigt wären, die reifen Früchte zu ernten und deren feine Fasern zu sammeln. Viele Arbeitsschritte und hohe Kunstfertigkeit waren vonnöten, um aus den watteartigen Fasern den feinen Stoff zu weben. Franziska hatte ihn für ein eigenes Hemd ausprobiert und war begeistert. Das makellose blühende Weiß würde wundervolle Kragen und Hemden für die wohlhabenden Kunden abgeben, davon war sie überzeugt und rechnete die Ausgaben für das wertvolle Material in die entsprechenden Entwürfe ein.
Die fremdländischen Pelze, die Isaak einkaufte und die dem ansässigen Kürschner anständige Aufträge verschafften, waren wie seit Beginn ihrer Arbeit begehrte Aufwertungen ihrer Handwerkskunst und wurden neben den Knöpfen ein weiteres Markenzeichen ihrer Schöpfungen.
Trudbert war ein geschickter Rechner und sogar
Schreiber geworden, sodass er zu Franziskas Entlastung einen Teil
ihrer strengen Buchführung übernehmen konnte. Sie war ihm sehr
dankbar dafür, auch wenn sie sich selbst die Kontrolle über ihre
Geschäftszahlen und die Kontoabschlüsse vorbehielt.
Waren in den beiden letzten Jahren die anderen
Zunftmeister bereits hellhörig ob des Erfolgs von Walrams Werkstatt
geworden, so begannen sie sich nun ernsthafte Sorgen um ihr
weiteres eigenes Fortkommen zu machen. Insbesondere die Tatsache,
dass Franziska selbst keine Zunftmeisterin war, begann die
Konkurrenten von Walrams Werkstatt mehr und mehr zu erbosen. Da
Franziskas noble Kunden weit über das Reich verstreut lebten,
beschwerten sich bereits die Meister anderer Städte bei der
Nürnberger Zunft darüber, dass eine einfache Gesellin sie ihrer
Kundschaft beraubte.
Walram hatte in seinem Berufsleben schon alle
Phasen des Erfolgs und Misserfolgs am eigenen Leibe erfahren und
wusste, was in einem Meister vor sich ging, wenn die Aufträge
spärlicher wurden und gute Geschäfte ausblieben, auch wenn er
selbst anderen Menschen gegenüber nie zu Neid und Missgunst geneigt
hatte. Er würde bald mit den Frauen über die Situation in der Zunft
sprechen müssen.
Franziskas Ruf verbreitete sich sogar über die
Grenzen des Reichs hinaus, was vor ihr noch keinem deutschen
Schneider gelungen war. Einige französische Edelleute, darunter
der zur Hochzeit mitgereiste
Bischof, ließen sich bei der Rückreise aus Wien vermessen und
bestellten Stücke, die nachgeliefert werden sollten,
selbstverständlich großzügig mit Knöpfen und Pelzbesatz versehen.
Ein hoher Hofbeamter legte ihr die Maße eines nicht genannten
Mannes vor und erteilte den Auftrag für ein graues Seidenwams nebst
Umhang für hohe Anlässe. Die Kleider sollten nach ihrer
Fertigstellung nach Paris gesandt werden, die Endanprobe würde ein
kundiger Meister bei Hofe vornehmen. Franziska nannte einen
außerordentlich hohen Preis für diese Arbeit, den der Beamte nach
kurzem Zögern akzeptierte. Im Gegenzug fragte Franziska nicht nach,
wer der auszustaffierende Herr sei, doch versprach, das Stück wie
das Gewand eines Königs zu behandeln.
Seit einigen Tagen nahm Nele Veränderungen an ihrer Tochter wahr. Franziskas Züge waren weicher geworden, der Ausdruck ihres Gesichts hatte sich verändert. Sie schien sich vorsichtiger zu bewegen als sonst. Nele schien auch, als sei ihre schlanke Gestalt ein wenig rundlicher geworden, obwohl sie bescheiden aß und den ganzen Tag in Bewegung war. Als sie Franziska eines Tages behutsam darauf ansprach, sah diese sie verwundert an. Plötzlich schlug sie beide Hände vor den Mund und riss die Augen auf. »Du meinst doch nicht etwa …?«
Ihre Mutter lächelte und nickte. Dann zog sie ihr kleines Mädchen an sich und umarmte es. Lange hielt sie die Tochter fest und spürte, wie deren Tränen den Wollstoff ihres Kleides durchtränkten.
»Was … was soll ich jetzt nur machen?«, schluchzte Franziska. »Was soll nun geschehen?« »Mach dir keine Sorgen«, murmelte ihre Mutter, doch hatte sie selbst keine Vorstellung, wie Franziskas Leben weitergehen sollte.
Die nächsten Tage wirkte Franziska bekümmert, und
ihre Mutter sorgte sich sehr um sie. Wahrscheinlich wäre es das
Beste, sie ginge mit ihr zu Hermann ins ferne Meran und ließe sie
erst zurückkehren, wenn das Kind längst geboren war. In der Fremde
könnte man Franziska als junge Witwe ausgeben und später nach ihrer
Rückkehr auch wieder hier in Nürnberg. Auch wenn dies vielleicht
nicht jedermann glauben würde und es bestimmt Gerede gäbe, war doch
nicht das Gegenteil zu beweisen, Ruf und Schein wären gewahrt und
Franziska könnte noch immer einen anderen Mann heiraten. Eine
rasche Abreise wäre wohl das Beste, auch wenn ihnen beiden das Herz
bluten würde, das Geschäft zurückzulassen und womöglich ganz
aufgeben zu müssen.
Auch Walrams Sorge wuchs. Die Zunft hatte ihn heute zum wiederholten Mal zu einer Versammlung geladen, in der er erklären musste, wieso er eine Gesellin alleine hohe Herrschaften einkleiden ließ. Dies sei gegen die Zunftordnung und gegen jedes handwerkliche Selbstverständnis. Obendrein verhöhnte und schmähte er die anderen Meister durch dieses Vorgehen. Die Einrichtung der Meisterschaft in allen Handwerken hatte schließlich ihre guten Gründe und hatte sich über Jahrhunderte bewährt. Walram wurde sogar an seinen Zunfteid erinnert, den er bei seiner Eintragung in die Meisterrolle abgelegt hatte. Man stellte ihn schließlich vor die Wahl, entweder diese Geschäfte selbst zu tätigen oder die Frauen zu entlassen.
Als am selben Abend das Licht schwand und Nele die Näharbeiten einstellen und die Werkstatt aufräumen ließ, bat Walram sie in seine Stube.
»Die Zunft hat lange beide Augen zugedrückt und Franziska gewähren lassen. Die anderen Meister waren stets der Ansicht, dass sich die neue Mode ohnehin bald wieder legen würde und meine Werkstatt wieder in die Bedeutungslosigkeit absänke, nicht zuletzt, weil ich nicht mehr der Jüngste bin und meine Augen und Hände immer weniger zum Schneiderhandwerk taugen. Doch jetzt mussten sie zugeben, dass sie sich geirrt hatten, dank Franziskas Fleiß und unbeschreiblichen Talents. Die Mode verbreitet sich über die Grenzen des Landes hinaus und der Neid der anderen wird offensichtlich. Längst hat sich auch unser neuer Wohlstand herumgesprochen, obwohl ich weiß, dass weder Karl noch Isaak indiskret waren, was unsere Finanzen angeht, aber die Preise unserer Stücke sprechen alleine schon eine deutliche Sprache, besonders wenn man die Menge der Aufträge betrachtet, die wir erhalten und ausführen. Man will, dass entweder ich selbst wieder als Auftragnehmer tätig bin, dann würde man Euch gestatten, im Hintergrund zu werken, was man ja nicht verbieten kann, oder dass ich Euch entlasse. Beides geschieht in dem Wissen, dass ich weder die Kunden so überzeugend um den Finger wickeln noch diese erlesenen Stücke, für die die Werkstatt heute berühmt ist, anfertigen kann. Außerdem bin ich bereits zu alt für den Beruf, das wissen die Zunftherren ebenfalls. Ich kann mich also nur in Ehren zurückziehen, die Werkstatt schließen und euch beiden anderswo viel Glück wünschen. Ich habe keine andere Idee, wie es weitergehen könnte.«
Nele sah den Freund lange an. »Franziska und ich könnten in eine andere Stadt ziehen, vielleicht sogar in ein anderes Land. Ich habe Isaak um Auskunft über Franziskas Vermögen ersucht. Es reicht aus, um an jedem anderen Ort der Welt ein neues Geschäft aufzubauen, einschließlich einer großzügigen Zahlung an die jeweilige Zunft und des Kaufes eines ordentlichen Hauses. Wir könnten einen Neubeginn wagen.«
Walram seufzte und nickte. »Dann wird es so wohl das Beste sein.« Der alte Meister schien in sich zusammenzusinken, und über sein Gesicht legte sich ein Schatten. Trotzdem lächelte er sie tapfer an.
Nele atmete hörbar durch. »Es gäbe allerdings noch eine andere Lösung«, sagte sie schließlich.
*
»Hole einen Krug Wein und bring Franziska zu uns«, wies Walram Trudbert an, der im Hof herumlungerte. Wenig später erschien Franziska, und ihr Blick wanderte verwundert zwischen ihrer aufgeregten Mutter und dem schüchtern, aber verschmitzt lächelnden Walram hin und her.
»Wenn du willst, kannst du schon in Kürze Meisterin sein«, eröffnete ihre Mutter ihr.
»Wie soll das gehen? Die Zunft …«
Nele zögerte ein wenig.
»Die Zunft muss sich an ihre Regeln halten und kann sich nicht einfach nach Gutdünken darüber hinwegsetzen«, begann sie schließlich. »Aus diesem Grund denkt man in der Meistergilde nicht anders als bisher. Aber eine wichtige Zunftregel ist: Eine Meisterfrau ist einem Meister in der Berufsausübung gleichgestellt.«
»Ach, eine Meisterfrau? Soll ich heiraten? Und wen, bitte schön?«
Wieder zögerte Nele. Blieb ihrem Kind denn nichts erspart? Schließlich erklärte sie: »Es gibt da eine ganz einfache Lösung: Ein ehrbarer Witwer, dessen Geschäft eine Meisterin fehlt …« Walram hüstelte diskret im Hintergrund. »… würde eine sofortige Einheirat in sein gut gehendes Geschäft bieten.« Franziska war einen kleinen Moment sprachlos, dann entfuhr ihr ein kleiner Schrei, als sie sah, dass Nele das Gesagte tatsächlich ernst meinte.
»Mutter! Wie konntest du nur so etwas aushecken? Oder war es deine Idee?« Sie sah Walram scharf an, der sofort entrüstet den Kopf schüttelte.
»Hör doch erst einmal zu, mein Kind! Die Zunft wird es schon sehr bald und notfalls mit gerichtlicher Hilfe unterbinden, dass du als scheinbare Meisterin Kunden bedienst und ausstattest. Walram wurde heute zum wiederholten Mal vor die Meisterschaft berufen und vor vollendete Tatsachen gestellt. Entweder wirkst du in Zukunft nur im Hintergrund als Gesellin oder Walram wird genötigt, das Geschäft hier zu schließen, und wir müssen unser Glück anderswo versuchen. Aber wohin wir auch gehen, wir werden überall die gleichen Schwierigkeiten haben. Erinnere dich, wie es war, als wir hierherkamen. Ich habe, bitte verzeih, Walram von deiner Lage erzählt und dass du wohl oder übel Nürnberg ohnehin verlassen und das Geschäft hier aufgeben müsstest. Wenn du Walram heiratest, natürlich nur zum Schein, wie wir vereinbart haben, könntest du hierbleiben, als Meisterin in Erscheinung treten, wir könnten das Geschäft weiterführen, Walram hätte einen Erben …«
»Und ich erfahre es als Letzte, natürlich!« Mit
zusammengezogenen Brauen betrachtete sie Nele und den alten
Schneider. Eigentlich hätten die beiden jetzt ein wenig Zorn verdient, schoss es ihr durch den
Kopf, doch der Gedanke mit der Heirat war nüchtern betrachtet gar
nicht dumm. »Ich glaube, ich setze mich erst einmal. Gib mir einen
Becher von deinem Wein, mein Freier.«
Franziska nahm einen tiefen Schluck. Dann noch einen und plötzlich hatte sie den ganzen Becher geleert. Sie hielt ihn Walram hin, der ihn zögernd nochmals füllte. Sie trank, dachte nach. Plötzlich fing sie an zu kichern, kicherte lauter und lachte plötzlich schallend. Ihre Mutter sah sie verwundert an. »Aber das Hochzeitskleid nähe ich nicht selber, damit ihr das nur wisst! Außerdem sollten wir nicht zu viel Zeit mit Warten verplempern, sonst kann ich den dicken Bauch nicht mehr verstecken.«
»Du sagst also Ja?«, fragte Nele sie unsicher.
»Habe ich eine Wahl? Nachdem unser wilder und stürmischer Walram mich arme Jungfer in solche Verlegenheit gebracht hat, ist es doch das Mindeste, dass ich die Ehe von ihm verlange, findet ihr nicht? Komm her, mein Bräutigam, lass dich umarmen!« Zögernd näherte Walram sich ihr und besah misstrauisch den Becher, den Franziska zum zweiten Mal geleert hatte.
Franziska konnte sich das Lachen wieder nicht verkneifen, als sie den alten dürren Meister schüchtern heranschleichen sah. Fragend sah der Mann von einer Frau zur anderen. Schließlich räusperte Franziska sich. Mit geröteten Wangen sah sie beide an. »Ich werde die erfolgreichste Schneiderin des Reiches«, sprach sie mit fester Stimme, und in ihren Augen war ein eigentümlicher Glanz. »Diese Hochzeit ist das vollkommene Mittel dazu. Geh sobald wie möglich zum Pfarrer und sag in der Zunft Bescheid, Walram. In ein paar Wochen sollte es so weit sein. Wir laden sie alle ein und werden dann schon sehen, wie wir die anderen Meister auf unsere Seite ziehen. Und jetzt lasst uns feiern! Schenk nochmals ein, mein zukünftiger Herr und Gebieter!«
*
Die Kirche hatte erwartungsgemäß keinerlei Schwierigkeiten gemacht, von einigen Ermahnungen abgesehen, dass man mit dem Genuss mancher Freuden doch bis nach dem Trauspruch warten solle. Walram hatte das Gespräch mit dem Stellvertreter des Bischofs alleine geführt, und die Aussicht auf eine nicht unbeträchtliche Zuwendung zum Bau der neuen Kirche versetzte die Kirchenmänner in eine nachsichtige Stimmung, wie Walram den Frauen mit unverhohlener Belustigung mitteilen konnte. In der Zunft wurde getuschelt und getratscht, jedoch der Umstand, dass die schöne, junge Schneiderin die Männlichkeit des erfahrenen Mannes herausgefordert hatte, was alsbald schon Folgen zeigte, brachte dem Bräutigam durchaus eine gewisse Anerkennung ein, wie der eine oder andere Seitenblick ihm offenbarte.
Das Brautpaar verhielt sich wie bisher natürlich
und unbedarft. Man arbeitete in der Schneiderei und benahm sich wie
stets. Die Auftragslage war gleichbleibend gut und begann sich
jetzt im Frühling sogar noch besser zu entwickeln.
Die Hochzeit wurde in gebührlichem Rahmen gefeiert. Franziska hatte Wert darauf gelegt, dass alle Schneider, Tuchhändler, Weber, Färber, Schuhmacher und wer immer sonst noch im Entferntesten mit Kleidern zu tun hatte, mitsamt Anhang zum Fest kamen. Sie wollte auch Isaak dabeihaben, der jedoch höflich ablehnte.
So gut wie alle Geladenen waren erschienen. Sogar Graf Meynhard beehrte das Fest kurz, brachte ein Fässchen teuren Rebensafts als Geschenk und ließ das Paar hochleben. Bier und Wein flossen reichlich, und die Speisen, für die Walram gesorgt hatte, waren üppiger als bei allen Feiern zuvor. Die Gäste schmausten und zechten ausgiebig, und es herrschte eine ausgelassene Stimmung.
Bevor es dämmerte und die Damen sich zurückziehen würden, erhob Walram sich, um eine kleine Ansprache zu halten:
»Werte Gäste! Ihr, die ihr mich schon seit vielen Jahren kennt, wisst um mein Los. Mein erstes Weib verschied und ließ mich kinderlos zurück. Mein Geschäft war bescheiden, und mein weiteres Schicksal schien unabwendbar zu sein. Doch der Herr meinte es gut mit mir und sandte mir einen seiner Engel. Durch die Jungfer Franziska erstarkte meine Werkstatt wieder, und trotz meiner Jahre darf ich heute das Glück einer neuen Eheschließung erfahren und mir vielleicht sogar Hoffnung auf einen Erben machen.« Er machte eine kleine Pause. Einige der Gäste kicherten.
»Ich hatte und habe Erfolg mit den Erzeugnissen meines Geschäfts. Die neue Knopfmode und die Güte unserer Ware haben uns in den letzten drei Jahren Ruhm und Wohlstand gebracht, wofür ich Gott dankbar bin. Doch ich glaube, nun ist es an der Zeit, etwas davon zurückzugeben und euch alle an meinem Glück teilhaben zu lassen.« Wieder schwieg er einen kurzen Moment.
»Ich möchte euch, Meister und Meisterinnen, eure Nachfolger und Erben sowie alle, die ihr mit der Schneiderkunst zu tun habt, einladen, unsere Technik und unsere Mode ausgiebig zu studieren und für eure Werkstätten zu verwenden. Wir wollen uns zusammentun und das ganze Land einkleiden. Die Nürnberger Knopfkleider sollen die Mode des gesamten Reiches werden!«
Mit diesen Worten hob er seinen Becher, um auf
das Wohl der Gäste zu trinken. Es dauerte ein wenig, bis die
Anerkennung und das Lob einsetzten, bis schließlich ein Meister
namens Guntram, der einst der Wohlhabendste am Platze gewesen war,
dem Redner lauthals zuprostete. »Mit meinem Besuch kannst du schon
morgen rechnen – aber ich will solche Hosen, wie du sie
hast!«, rief er und machte eine unmissverständliche Bewegung
Richtung Hosenlatz, die die anderen Gäste mit lautem Gelächter
quittierten. Alle riefen nun durcheinander, hoben ihre Becher und
ließen den Bräutigam hochleben. Walram prostete ihnen nach
Herzenslust zu und genoss die ungewohnte Aufmerksamkeit. Franziska
blieb still und versuchte, in ihrem eleganten Kleid und unter der
sittsamen Haube einen ehrenwerten und zurückhaltenden Eindruck zu
erwecken. Sie hatte in den vergangenen Wochen einen Plan
geschmiedet, und all die fröhlichen Gäste würden ihren Teil dazu
beitragen, ihn in Erfüllung gehen zu lassen. Zufrieden ließ sie
sich von den anderen Frauen in Walrams Haus führen, nahm die
Schlüssel an sich und den Haushalt in Besitz.
Franziska nähte Guntrams Frau eigenhändig ein gediegenes Mieder aus feinem Leinen, das sich an verschiedene Röcke knöpfen ließ. War die Frau zunächst noch skeptisch gewesen, so war sie bald beeindruckt vom Ideenreichtum der hochwertigen Schneiderkunst. Schließlich schlug Franziska ihr vor, ebenfalls Knopfmieder dieser Art anzufertigen. Sicher wären ihre Kunden auch an den modernen Beinlingen und geknöpften Wämsern und Umhängen interessiert. Bestimmt würden die sich unter den Stammkunden Guntrams gut verkaufen. Die Frau überlegte nicht lange. Sie und ihr Mann würden das eingesessene Bürgertum bedienen, weniger die vornehmen Ratsherren oder den Adel, wie sie leicht spitz hinzufügte. Franziska nickte ergeben. »Selbstverständlich, ganz wie Ihr es für richtig haltet. Die Stadt Nürnberg hat ja so viele Bürgerhäuser! Ihr werdet reichlich zu schaffen haben.«
Ein noch junger Meister, der ein verschuldetes Geschäft geerbt hatte, fragte, wie er seine Kunden am besten versorgen konnte, die zwar einigermaßen zahlreich, aber leider nicht so gut bei Kasse waren. Franziska riet ihm, einfache Knöpfe aus Holz, Leder oder Filz zu verwenden.
Die Hochzeit lag erste wenige Tage zurück, fast
alle Meister waren schon in Walrams Werkstatt zu Besuch gewesen,
alle hatten sie mit neuem Tatendrang und ohne Feindseligkeit wieder
verlassen. Franziska würde ihre Stammkundschaft, die gut zahlenden,
aber auch schwierigen und anspruchsvollen Reichen und Mächtigen
weiter versorgen. Die anderen Betriebe würden sie in Zukunft jedoch
nicht mehr als Konkurrenz sehen, sondern sich ihre Technik zunutze
machen und schnell wieder bessere Geschäfte machen. Darüber hinaus
würde die Knopfmode sich weiter verbreiten, aber Franziskas Betrieb
würde immer das Original und der Maßstab bleiben, an dem sich der
Markt orientierte.
Noch vor der Hochzeit hatte sie mit Isaak die Idee besprochen, das Herstellen der Knöpfe nicht ausschließlich fremden Handwerkern zu überlassen, die ansonsten mit ganz anderen Aufgaben beschäftigt waren und die Knopfherstellung nur am Rande betreiben konnten. So simpel ein Knopf auch wirken mochte, es gehörte schon eine gewisse Fertigkeit dazu, Mantel-, Hemd- oder Hosenknöpfe in gleichbleibender Güte und von solcher Gefälligkeit herzustellen, dass sie auch das Gewand eines Fürsten oder Bischofs zieren konnten. Die Handwerker der Stadt arbeiteten ihrer Ansicht nach weder schnell noch preiswert genug, zudem benötigte man für die Knopfherstellung unterschiedliche Handwerker. Die einfachsten Knöpfe waren aus Holz, jedoch arbeitete Franziska nicht gern damit, obwohl das Material bei großen Knöpfen, wie man sie für Mäntel brauchte, seine Vorteile hatte. Schöner, aber auch wesentlich teurer waren Knöpfe aus Horn, die man fein schleifen und kunstvoll bearbeiten konnte. Abwurfstangen von Hirschen oder Geweihe von Rehböcken waren besonders edel, doch schwer einzukaufen, da die Jagd und die Verfügung über die Trophäen den Grundherren vorbehalten war. Am schönsten waren Knöpfe aus Edelmetall. Silber war mittlerweile sehr beliebt, auch Gold wurde bisweilen verwendet, war jedoch selbst den Reichen meist zu teuer.
Franziska hatte Erkundigungen angestellt, welche Handwerker und Arbeitskräfte vor Ort verfügbar wären, und sich lange mit Walram und Nele beraten. Keinesfalls wollte sie in Nürnberg produzieren, zu groß war die Gefahr, wieder Neid und Missgunst zu erregen, doch allzu weit durfte der Betrieb auch nicht entfernt sein.
Schließlich kam Franziska der Zufall zu Hilfe. Graf Meynhard beehrte sie wieder, diesmal um sich einen eleganten Jagdrock fertigen zu lassen. Er klagte ein wenig über die Landwirtschaft und die Abhängigkeit vom Wetter, die ihm Sorgen bereitete, zumal der König es sich mehr und mehr zur Gewohnheit machte, seine Vasallen in immer kürzeren Abständen zur Kasse zu bitten. Dazu kam, dass Meynhards Lebenswandel nach wie vor höchst kostspielig war.
»Auf Euren Ländereien findet sich doch eigentlich alles, was ich zur Herstellung von Knöpfen brauche«, setzte Franziska schließlich an. Der Graf schien zunächst nicht zu verstehen. »Ich möchte Euch einen Vorschlag unterbreiten, der Eure Sorgen und meine Bedürfnisse gleichermaßen stillen könnte. Ich möchte Knöpfe herstellen. Knöpfe, die wir Schneider hier in Nürnberg selbst verarbeiten, die aber auch über fahrende Händler landauf und landab verkauft werden. Überall im Reich und darüber hinaus sollen Nürnberger Knöpfe verwendet werden.« Der Graf sah die junge Frau fragend an. »Zu Beginn benötigen wir nur ein großes, helles Gebäude und Unterkünfte für die Arbeiter. Und ein bisschen Material, für das Ihr sorgen könntet.«
Der Graf zögerte. Er verfügte nicht über die gewiss notwendige Barschaft zur Bereitstellung des Gewünschten. Franziska erahnte seine Gedanken und enthob ihn der Peinlichkeit, indem sie ihm erklärte, dass sämtliche Geldmittel zur Betriebsgründung von ihr selbst und ihren eventuellen Teilhabern kommen sollten. Nachdem sie ihm ihre weitere Planung und den Umfang seiner möglichen Beteiligung erläutert hatte, stimmte Meynhard dem Vorhaben schließlich zu, und Franziska sah die Erleichterung in seinem Blick, als er ihr erklärte, dass er sich nun wohl nicht mehr zu Isaak begeben müsste, mit dem er sich in aller Diskretion wegen eines möglicherweise demnächst nötigen Darlehens für seinen Gutsbetrieb und vor allem für die königlichen Abgaben verabredet hatte.
»Zu Isaak müsst Ihr dennoch in Kürze – er verwahrt die Unterlagen und Dokumente zur Gründung des Unternehmens und die Vollmachten von Maria und Karl, die sich ebenfalls beteiligen wollen. Er wird Euch in die Einzelheiten unseres Unternehmens einweihen. Herzlich willkommen in unserer kleinen Gesellschaft, Herr Graf!«
*
Die Schwangerschaft verlief ohne Schwierigkeiten. Franziska war kerngesund. Sie strahlte Kraft und Lebensfreude aus. Die Schneiderwerkstatt lief erfolgreich und wuchs noch immer stetig. Um die zwanzig Männer und Frauen arbeiteten in dem Betrieb. Die anderen Schneider der Stadt sorgten dafür, dass geknöpfte Kleider für Arm und Reich und Jung und Alt zur Selbstverständlichkeit wurden.
Franziskas Schützling, der ehemals kleine
Trudbert, hatte seine Gesellenprüfung abgelegt und war zum
wichtigsten Mann des Betriebs geworden. Das Unternehmertum schien
dem Burschen im Blut zu liegen, er kümmerte sich um alle Belange
der Schneiderei wie um seine eigenen, und Franziska, Nele und der
alte Meister beobachteten seinen Einsatz und sein Wesen mit
wachsendem Wohlwollen. Walram nahm weiterhin seine Aufgaben in der
Überwachung der Produktion und der Ausbildung der Arbeiter wahr.
Nebenher baute Franziska die Knopfmanufaktur auf den gräflichen
Gütern auf. Sie fuhr zweimal wöchentlich persönlich auf den
ehemaligen Pachthof Meynhards, den dieser als Standort ausgewählt hatte und überwachte jeden
wichtigen Schritt des Umbaus und der Einrichtung der Gebäude.
Wernher, der ältere Bruder Trudberts, hatte sich als ihre rechte
Hand und Stellvertreter angeboten und Franziska nahm sein Angebot
gern an. Der Mann war bereits mit seinen Siebensachen und seiner
jungen Frau auf den Hof gezogen und legte größten Ehrgeiz daran,
Franziskas Planungen in die Tat umzusetzen.
Die Manufaktur sollte so erfolgversprechend wie nur möglich arbeiten, deshalb hatte Franziska auch den Plan entwickelt, nicht in der Stadt unter dem strengen Blick der Zunft tätig zu werden, die ihnen bei jeder Gelegenheit einen ihrer Meister vor die Nase setzen konnte, sondern in der weitgehenden Autonomie eines gräflichen Großbetriebs und entsprechender räumlicher Entfernung zu Nürnberg. Wenn alles gut ging, würde sich aus der angeworbenen Arbeiterschaft, die zunächst noch in einer Scheune wohnte, rasch eine kleine Siedlungsgemeinde entwickeln, was Meynhard mit Interesse und großem Wohlwollen betrachtete.
In dem Betrieb sollten verschiedene Gruppen arbeiten, die sich selbst kontrollierten und ihre Ziele und Arbeitsschritte mit Wernher absprachen, der die Aufsicht übernehmen sollte. Franziska überlegte sehr genau, welche Fähigkeiten die ersten Arbeiter, die sie anstellen wollte, mitbringen mussten. Sie benötigte einige starke und zuverlässige Männer zum Transport der Materialien, die von allen Ecken und Enden des Lehens herangeschafft werden sollten. Diese waren recht leicht zu finden, es gab genug Knechte oder ungelernte Tagelöhner, die sich nach einer festen Stellung sehnten und sich Mühe gaben, einem guten Dienstherrn zu gefallen. Zu Franziskas Erleichterung gab es zudem zahlreiche Männer, die mit großem Geschick Holz schnitzen konnten, und mit etwas Übung lernten einige von ihnen rasch, Horn zu bearbeiten, das spröder und härter war. Junge Frauen mit ihren geschickten flinken Händen saßen in einem eigenen Raum und bohrten die kleinen Löcher und schliffen und färbten die Rohlinge. Bereits nach wenigen Tagen waren die ersten Knöpfe fertig, und nach nur zwei Wochen produzierten die angelernten Kräfte in hoher Geschwindigkeit und der von Franziska geforderten Güte. Wernher verstand sich auf die Führung der Menschen, und der Start der Manufaktur verlief zu aller Freude erfolgreich.
Die meisten Knöpfe wurden von den Nürnberger Schneidern benötigt. Wollte Franziska ihren großen Plan tatsächlich verwirklichen, musste sie noch mehr Leute anstellen und das Arbeitstempo steigern. Viele Menschen zogen auf der Suche nach Arbeit durchs Land und wurden auch bei Franziska vorstellig. Sie war erschreckt, wie viele kleine und beängstigend magere Kinder darunter waren. Nicht alle von ihnen waren mit ihren Eltern unterwegs, sondern kamen aus den Findelhäusern, die stets überfüllt waren und in denen nicht nur Waisenkinder, sondern auch die Neugeborenen armer Frauen notdürftige Unterkunft für die ersten Lebensjahre fanden. Nach diesen Jahren gab es in den Häusern keinen Platz mehr für sie, und den armen Würmern blieb oft nichts anderes übrig, als sich herumziehenden Gruppen anzuschließen. Wenn sie Glück hatten, gerieten sie an ehrliche Männer und Frauen und wurden nicht von Gaunerbanden zu Diebstahl oder Prostitution missbraucht. Franziska hatte um das Elend der Elternlosen gewusst, doch selten solche Kinder aus nächster Nähe und mit eigenen Augen gesehen. So mancher kleine Vagabund, der plötzlich auf dem Hof stand, war schon mit fünf oder sechs Jahren auf sich selbst gestellt. Auch diese Kinder erhielten leichte Arbeit und ein wenig Lohn, doch was noch viel wichtiger war, ein Zuhause, ausreichende Ernährung und Menschen, die sich um sie sorgten und denen ihr Wohlergehen am Herzen lag.
Meynhard witterte die Chance, durch den
Knopfbetrieb anhaltenden Erfolg in seine gräfliche Wirtschaft zu
bringen, und überlegte, wie er diesen auf den neu angekommenen und
aufgrund ihrer guten Beschäftigung zufriedenen Menschen aufbauen
konnte. Er ließ noch vor dem Herbst ein rundes Dutzend winterfeste
Hütten mit ausreichend Platz und ordentlichen Herden errichten, und
die Aussicht, auch in der kalten Jahreszeit Beschäftigung und ein
warmes Plätzchen zu haben, ließ die Menschen noch gewissenhafter
und fleißiger arbeiten.
Als Franziskas Bauch sich schon deutlich wölbte, kam Ditgurd mit mehreren Fuhrwerken in die Stadt und machte wie bei all seinen Besuchen Franziska seine Aufwartung. Er brachte Neuigkeiten. Karl und Maria hatte es nicht lange in Meran gehalten. Sie waren weiter nach Italien gezogen, um den dortigen Markt zu studieren, wie Karl es ausgedrückt hatte. Ditgurd wollte später im Jahr in Venedig nach ihnen fragen, falls nicht ohnehin schon bei Hermann eine Nachricht wartete.
Hermann hatte sich mit seinem Ochsen- und
Rosshandel weiter situiert. Karl hatte ihm etwas Geld zur Verfügung
gestellt, und Hermann hatte einige Zuchttiere erworben und Land
gepachtet. Eigentlich sollte Ditgurd ihm ja die Gemahlin
mitbringen, doch Nele wollte nicht vor dem Herbst zu ihm reisen, zu groß war die Neugierde auf
das Enkelchen.
»Ich benötige deine Dienste«, sagte Franziska eines Abends zu ihm. Ditgurd hob neugierig die Augenbraue.
»Seit kurzer Zeit stelle ich Knöpfe her. Viele Knöpfe, um ehrlich zu sein. Einen großen Teil davon benötigen die Schneider hierzulande, denen ich die Knopftechnik im letzten halben Jahr vermittelt habe. Sie fertigen und verkaufen fleißig, und kaum ein Kleidungsstück, das eine Nürnberger Schneiderei verlässt, wird noch ohne Knöpfe geschlossen. Meine Erfindung hat sich endgültig durchgesetzt. Jetzt möchte ich auch andere Städte erobern und den Schneidern die Mode nahebringen. Und damit sie sie gleich anwenden können, musst du ihnen zum Vorteil deines Säckels meine Knöpfe verkaufen. Ganz einfach!«
Ditgurd ließ sich die Sache mit dem Knopfhandel
genau erklären. Anerkennend nickte er mit dem dicken Schädel, als
er die Möglichkeiten erkannte. Die Ware als solche war für einen
Fuhrmann und fahrenden Händler ideal. Knöpfe konnten nicht
verderben, waren einfach zu verpacken und zu transportieren und
fanden auch auf gefüllten Karren immer noch ein passendes
Plätzchen. Außerdem waren sie nicht so kostbar, dass sich Räuber
und Diebe von ihnen anlocken ließen. Gern war er bereit, einige
Säckchen mitzunehmen und auf den Märkten anzubieten, doch ohne
passende Schneider, die sich auf ihre Verwendung verstanden, und
ohne sichtbare Kleidungsstücke rechnete er der Mode in der Fremde
nicht allzu viele Chancen aus. Fremdes wurde zwar oft interessiert
betrachtet und staunend bewundert, aber nicht gekauft, wusste er
aus Erfahrung. Es gelang Franziska dennoch, ihn zu überreden, die Ware mitzunehmen und
damit gen Süden zu fahren. Dazu sollte er einige Kleidungsstücke
mit sich führen, die sie in Marias, Karls, Hermanns und seiner
eigenen Größe hatte fertigen lassen. Maria und Karl hatten bestimmt
Ideen, wie man die Knopfmode auch südlich der Alpen bekannt machen
konnte.
Allmählich begannen Franziskas Pläne aufzugehen. Herrschte zunächst noch geringe Nachfrage, so steigerte diese sich allmählich. Und im Lauf der Zeit brachten Fuhrleute, denen Ditgurd vom profitablen Knopfvertrieb vorgeschwärmt hatte, Anfragen von Schneidern aus dem ganzen Reich.
Schon als die ersten Erfolge der Knopfmanufaktur
eintraten, fühlte Franziska sich nicht mehr in der Lage, den Weg
zum Gutshof in einem schaukelnden Pferdewagen zurückzulegen, und
überließ es Wernher, im Betrieb nach dem Rechten zu sehen und ihr
laufend zu berichten. Sein kleiner Bruder Trudbert begleitete ihn
nun immer öfter, und wie in der Schneiderei fand er bald einiges,
das man verbessern konnte, und machte sich so auch in der
Manufaktur nützlich. Ein bisschen musste man allerdings auf ihn
achtgeben – er war in einem gefährlichen Alter und machte gern
den jungen Mädchen schöne Augen.
Ditgurd, der sich den Knaben bei seinem letzten Besuch angesehen hatte, bot Franziska an, ihn auf seiner nächsten Fahrt mitzunehmen, um ihn das Wichtigste über Handel und Transportwesen zu lehren. Gleichzeitig könnte der junge Geselle in den fremden Städten die Knopfkleider ganz anders präsentieren als ein grobschlächtiger alter Fuhrmann. Obwohl der Junge im Betrieb schwer zu ersetzen war, gefiel Franziska die Idee, und schon wenige Tage später saß Trudbert auf Ditgurds Kutschbock.
*
Nele stand in der Schneiderstube und kontrollierte gerade ein paar feine Hemden, als eine blasse Franziska in der Tür erschien: »Mutter, ich glaube …« Sofort ließ Nele nach der Hebamme schicken und brachte ihre Tochter in ihre Wohnung. Sie bereitete saubere Tücher vor und hieß eine Magd, Wasser zu erhitzen. Natürlich hatte sie Angst. Sie wusste, dass fast jedes zweite Kind die Geburt oder die ersten Lebenstage nicht überlebte, ja dass auch der Tod einer Mutter im Kindsbett eine traurige Normalität war.
Die Hebamme, Bewohnerin des nahe gelegenen Frauenklosters, war eine warmherzige und kluge Frau in abgetragener, aber blitzsauberer Nonnentracht. Sie brachte sogar noch eine Gehilfin mit und einen Korb mit zahlreichen Arzneikräutern, teurem Olivenöl und einem kleinen Nähkästchen, »auch wenn Nähzeug in diesem Haushalt gewiss zu finden ist«, wie sie fröhlich lachend meinte. Jetzt war die Ordensfrau mit ihrer Schülerin in dem Schlafgemach, in dem Franziska aufgerichtet und gegen Kissen gestützt auf ihrem Bett lag, nur von einem dünnen Laken zugedeckt.
»Öffnet den Mund, mein Kind«, forderte sie Franziska auf. »Keinen Zahn verloren, das ist ein gutes Zeichen!« Die Schülerin nickte Franziska aufmunternd zu. Franziska lehnte sich zurück und wartete auf die nächste der Wehen, die jetzt in kurzen Abständen kamen.
Die Hebamme schickte nach warmem Wasser für die
kupferne Wanne, die schon in dem Zimmer wartete.
Walram wartete vor der geschlossenen Tür des Schlafgemachs. Er überlegte, ob er mit seinen dreiundfünfzig Jahren nicht eher der Großvater des Kindes sein sollte. Vom Alter her konnte er auch der Urgroßvater sein, machte er sich bewusst und lachte leise auf. Ein lautes Schreien riss ihn schließlich aus seinen Gedanken. Zuerst erschrak er, doch nach wenigen Minuten öffnete Nele die Tür einen Spalt, damit er einen Blick in das Zimmer werfen konnte. Die Sonne schien durch das kleine Fenster. Er sah die erschöpfte Franziska, die ein kleines in Tücher gewickeltes Bündel an sich drückte. Er sah nur eine winzige rote Hand hervorstehen, die sich ein wenig bewegte, als Nele ihm schon wieder die Tür vor der Nase zuschlug.