Mörder oder Beschützer?
Wenn es nicht ausgerechnet Jacob wäre, dachte ich kopfschüttelnd, als ich die waldgesäumte Straße nach La Push fuhr.
Ich wusste noch immer nicht genau, ob ich das Richtige tat, aber ich hatte einen Kompromiss mit mir geschlossen.
Ich würde Jacob und seinen Freunden nicht verzeihen, was sie taten. Jetzt verstand ich seine Worte der letzten Nacht – dass ich ihn vielleicht nicht wiedersehen wollte –, und ich hätte ihn auch anrufen können, wie er vorgeschlagen hatte, aber das wäre mir feige vorgekommen. Ich wollte wenigstens persönlich mit ihm sprechen, das war ich ihm schuldig. Ich musste ihm ins Gesicht sagen, dass ich nicht einfach über das hinwegsehen konnte, was da passierte. Ich konnte nicht mit einem Mörder befreundet sein und schweigen, während das Töten weiterging … Damit würde ich selbst zum Monster werden. Aber es war auch undenkbar, ihn nicht zu warnen. Ich musste alles tun, um ihn zu schützen.
Ich hielt vor dem Haus der Blacks, die Lippen fest zusammengepresst. Es war schlimm genug, dass mein bester Freund ein Werwolf war. Musste er auch noch ein Monster sein?
Das Haus war dunkel, kein Licht hinter den Fenstern, aber es war mir egal, ob ich sie weckte. Mit voller Wucht hämmerte ich mit der Faust an die Tür, das Geräusch hallte von den Wänden zurück.
»Herein«, rief Billy kurz darauf, und ein Licht ging an.
Ich drehte den Türknauf, die Tür war unverschlossen. Billy lehnte in der Tür neben der kleinen Küche. Er hatte sich einen Bademantel über die Schultern gelegt, aber er saß noch nicht in seinem Rollstuhl. Als er mich sah, weiteten sich seine Augen kurz, dann wurde seine Miene wieder gleichmütig.
»Guten Morgen, Bella. Was treibt dich so früh her?«
»Hallo, Billy. Ich muss mit Jake reden. Wo ist er?«
»Ähm … ich weiß nicht genau«, log er mit unbewegter Miene.
»Weißt du, was Charlie heute Morgen macht?«, fragte ich. Ich konnte diese ständigen Ausreden nicht mehr hören.
»Müsste ich das wissen?«
»Er und die Hälfte aller Männer aus der Stadt sind im Wald und machen Jagd auf riesige Wölfe.«
In Billys Gesicht zuckte es, dann guckte er mich wieder unbewegt an.
»Darüber wollte ich mit Jake reden, falls du nichts dagegen hast«, fuhr ich fort.
Billy schürzte die Lippen. »Ich wette, der schläft noch«, sagte er schließlich mit einer Kopfbewegung in Richtung Flur. »Er geht in letzter Zeit immer lange aus. Der Junge muss sich mal ausruhen – ich glaub, du lässt ihn besser schlafen.«
»Überlass das mal mir«, murmelte ich leise, als ich in den Flur ging. Billy seufzte.
Der Flur war nur einen Meter lang, und die einzige Tür führte in Jacobs winzige Kammer. Ohne anzuklopfen, stieß ich die Tür auf, sie knallte gegen die Wand.
Jacob, der immer noch dieselben schwarzen Shorts trug wie bei seinem nächtlichen Besuch bei mir, lag auf dem Doppelbett, das bis auf wenige Zentimeter an den Seiten den ganzen Raum einnahm. Obwohl er diagonal lag, war es nicht lang genug, seine Füße ragten am einen Ende über den Rand und sein Kopf am anderen. Er schlief tief und fest und schnarchte leise. Bei dem lauten Knall der Tür hatte er noch nicht mal gezuckt.
Im Schlaf war sein Gesicht friedlich und weich, die Wut der letzten Zeit war wie weggewischt. Unter den Augen hatte er Ringe, die mir noch nie aufgefallen waren. Trotz seiner absurden Größe sah er jetzt sehr jung aus und sehr müde. Plötzlich tat er mir leid.
Ich ging wieder aus dem Zimmer und zog die Tür leise hinter mir zu.
Billy starrte mich neugierig und misstrauisch an, als ich langsam wieder ins Wohnzimmer kam.
»Ich glaub, ich lass ihn lieber schlafen.«
Billy nickte, und wir schauten uns einen Augenblick an. Ich hätte ihn liebend gern gefragt, was für eine Rolle er bei der ganzen Geschichte spielte. Wie fand er das, was aus seinem Sohn geworden war? Aber er hatte ja von Anfang an auf Sams Seite gestanden, also nahm er an den Morden wohl keinen großen Anstoß. Ich hatte keine Ahnung, wie er das vor sich selbst rechtfertigte.
In seinen dunklen Augen sah ich, dass auch er viele Fragen an mich hatte, doch auch er sprach sie nicht aus.
»Also«, sagte ich und brach das laute Schweigen, »ich geh für eine Weile runter zum Strand. Wenn Jacob aufwacht, sag ihm, dass ich da auf ihn warte, ja?«
»Ja, klar«, sagte Billy.
Ich wusste nicht, ob er das wirklich tun würde. Aber wenn nicht, hatte ich es immerhin versucht.
Ich fuhr zum First Beach und parkte auf dem leeren unbefestigten Parkplatz. Kein anderer Wagen stand dort. Es war immer noch dunkel – die trübe Zeit vor dem Sonnenaufgang an einem bewölkten Tag –, und als ich die Scheinwerfer ausschaltete, konnte man kaum etwas sehen. Ich musste warten, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erst dann fand ich den Weg zum Strand. Es war kälter hier, der Wind pfiff vom schwarzen Wasser, und ich vergrub die Hände tief in den Taschen meiner Winterjacke. Wenigstens regnete es nicht mehr.
Ich ging am Uferdamm entlang hinunter zum Strand. Weder St. James noch die anderen Inseln waren zu sehen, nur die verschwommene Küstenlinie. Vorsichtig ging ich über die Steine und achtete darauf, nicht über das Treibholz zu stolpern.
Ich fand, was ich suchte, bevor ich überhaupt wusste, dass ich danach gesucht hatte. Es erhob sich aus der Dämmerung, als ich nur noch ein paar Meter entfernt war: ein langer, kalkweißer Treibholzbaum, der weit auf den Felsen gestrandet war. Wie die hageren Beine einer riesenhaften, bleichen Spinne streckten sich die Wurzeln zum Wasser hin. Ich war mir nicht sicher, ob es derselbe Baum war, auf dem Jacob und ich gesessen hatten, als wir uns zum ersten Mal unterhielten – ein Gespräch, das den Ausgangspunkt für so viele verwickelte Fäden meines Lebens darstellte –, er befand sich jedenfalls ungefähr an derselben Stelle. Ich setzte mich dorthin, wo ich damals gesessen hatte, und starrte hinaus auf das unsichtbare Meer.
Als ich Jacob gesehen hatte, wie er schlief, so unschuldig und verletzlich, waren meine Abscheu und meine Wut verflogen. Ich konnte immer noch nicht über das hinwegsehen, was da passierte, wie Billy es offenbar tat, aber ich konnte Jacob auch nicht verurteilen. So funktioniert die Liebe nicht, dachte ich. Wenn man jemanden erst mal gernhatte, konnte man ihn nicht mehr nüchtern betrachten. Jacob war mein Freund, ob er nun Menschen umbrachte oder nicht. Und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.
Als ich daran dachte, wie friedlich er geschlafen hatte, verspürte ich einen überwältigenden Drang, ihn zu beschützen. Völlig absurd.
Absurd oder nicht, ich grübelte über sein friedliches Gesicht nach und versuchte eine Antwort zu finden, eine Möglichkeit, ihn zu beschützen, während der Himmel langsam etwas heller wurde.
»Hi, Bella.«
Jacobs Stimme kam aus der Dämmerung, und ich zuckte zusammen. Sie hatte leise, fast schüchtern geklungen, aber ich erschrak trotzdem, weil ich damit gerechnet hatte, dass seine Schritte auf den Steinen mich warnen würden. Ich sah seine Silhouette vor dem nahenden Sonnenaufgang – er sah riesig aus.
»Jake?«
Er stand mehrere Schritte von mir entfernt und trat unsicher von einem Fuß auf den anderen.
»Billy hat mir gesagt, dass du vorbeigekommen bist. Du hast nicht sehr lange gebraucht, was? Ich wusste, dass du es rauskriegst.«
»Ja, jetzt erinnere ich mich wieder an die richtige Geschichte«, flüsterte ich.
Eine lange Weile blieb es still, und obwohl es immer noch zu dunkel war, um gut zu sehen, kribbelte es auf meiner Haut, so als ob er mich prüfend anschaute. Offenbar konnte er meinen Gesichtsausdruck besser erkennen, denn als er wieder sprach, lag plötzlich Wut in seiner Stimme.
»Du hättest auch anrufen können«, sagte er schroff.
Ich nickte. »Ich weiß.«
Jacob begann auf den Steinen auf und ab zu gehen. Wenn ich ganz angestrengt lauschte, konnte ich durch das Geräusch der Wellen hindurch hören, wie seine Füße ganz leise die Steine streiften. Meine Schuhe hatten auf den Steinen geklappert wie Kastagnetten.
»Wieso bist du hergekommen?«, fragte er, ohne in seinem wütenden Schritt zu verharren.
»Ich dachte, es wäre besser, wenn wir uns gegenüberstehen.«
Er schnaubte. »O ja, viel besser.«
»Jacob, ich muss dich warnen …«
»Vor den Rangern und den Jägern? Keine Sorge, das wissen wir schon.«
»Keine Sorge?«, sagte ich ungläubig. »Jake, die sind bewaffnet! Sie stellen Fallen auf und es sind Belohnungen ausgesetzt und …«
»Wir können schon auf uns aufpassen«, knurrte er. Er ging weiter hin und her. »Die kriegen keinen von uns. Sie machen es nur noch schwieriger – sie werden auch bald verschwinden.«
»Jake!«, zischte ich.
»Wieso? Das wird so kommen.«
Meine Stimme war schwach vor Abscheu. »Wie kannst du … das sagen? Du kennst die Leute doch. Charlie ist auch dabei!« Bei dem Gedanken drehte sich mir der Magen um.
Er blieb unvermittelt stehen. »Was sollen wir denn noch tun?«, sagte er.
Die Sonne färbte die Wolken über uns silbrig rosa. Jetzt sah ich seinen Gesichtsausdruck. Zorn lag darin, Enttäuschung und das Gefühl, verraten worden zu sein.
»Kannst du … also, kannst du nicht versuchen, kein … Werwolf zu sein?«, flüsterte ich.
Er hob die Hände. »Als ob ich eine Wahl hätte!«, rief er. »Und was würde das auch ändern – wenn du dir Sorgen darum machst, dass Leute verschwinden.«
»Ich verstehe dich nicht.«
Er sah mich wütend an, die Augen schmal, den Mund zu einem Knurren verzerrt. »Weißt du, was mich so sauer macht, dass ich kotzen könnte?«
Ich zuckte vor seiner Feindseligkeit zurück. Er schien eine Antwort zu erwarten, deshalb schüttelte ich den Kopf.
»Du bist so eine Heuchlerin, Bella – da sitzt du und hast Angst vor mir! Ist das etwa gerecht?« Seine Hände bebten vor Zorn.
»Heuchlerin? Was hat es mit Heuchelei zu tun, wenn ich Angst vor einem Monster hab?«
»Bah!« Er stöhnte, presste die zitternden Hände an die Schläfen und kniff die Augen zu. »Weißt du überhaupt, was du da sagst?«
»Wieso?«
Er kam zwei Schritte auf mich zu und beugte sich wutentbrannt über mich. »Tja, tut mir leid, dass ich nicht das richtige Monster für dich bin, Bella. Ich bin wohl einfach nicht so cool wie dein Blutsauger, was?«
Ich sprang auf die Füße und starrte wütend zurück. »Nein, bist du nicht!«, rief ich. »Es geht nicht darum, was du bist, du Idiot, es geht darum, was du tust!«
»Was willst du damit sagen?«, brüllte er, und sein ganzer Körper bebte vor Zorn.
Ich war völlig perplex, als Edwards Stimme mich warnte. »Ganz vorsichtig, Bella«, hörte ich seine Samtstimme sagen. »Provozier ihn nicht zu sehr. Du musst ihn beruhigen.«
Selbst die Stimme in meinem Kopf verstand ich heute nicht.
Ich hörte trotzdem auf sie. Für diese Stimme würde ich alles tun.
»Jacob«, bat ich und versuchte sanft und ruhig zu sprechen. »Musst du denn unbedingt morden, Jacob? Gibt es keinen anderen Weg? Ich meine, wenn Vampire existieren können, ohne Menschen umzubringen, kannst du das dann nicht auch versuchen?«
Mit einem Ruck richtete er sich auf, als hätten meine Worte ihm einen elektrischen Schlag versetzt. Seine Augenbrauen zuckten hoch und seine Augen waren plötzlich weit aufgerissen.
»Menschen umbringen?«, fragte er.
»Was hast du denn gedacht, worüber wir hier reden?«
Jetzt zitterte er nicht mehr. Er schaute mich ungläubig und halb hoffnungsvoll an. »Ich dachte, wir reden über deine Abscheu vor Werwölfen.«
»Nein, Jake, nein. Es geht mir nicht darum, dass du ein … Wolf bist. Damit hab ich kein Problem.« In dem Moment, als ich das sagte, wusste ich, dass es stimmte. Es machte mir wirklich nichts aus, dass er sich in einen großen Wolf verwandelte – er war ja trotzdem Jacob. »Wenn du nur einen Weg finden könntest, niemanden zu verletzen … das macht mich so fertig. Das sind unschuldige Leute, Jake, Leute wie Charlie, und ich kann nicht einfach wegsehen, wenn du …«
»Das ist alles? Wirklich?«, unterbrach er mich und strahlte übers ganze Gesicht. »Du hast bloß Angst, weil ich ein Mörder bin? Das ist der einzige Grund?«
»Ist das nicht Grund genug?«
Er fing an zu lachen.
»Jacob Black, das ist absolut nicht witzig!«
»Ja klar«, sagte er, immer noch glucksend.
Mit einem großen Schritt kam er auf mich zu und umarmte mich so fest, dass ich mir vorkam wie in einem Schraubstock.
»Es macht dir wirklich und wahrhaftig nichts aus, dass ich mich in einen riesigen Hund verwandele?«, jubelte er mir ins Ohr.
»Nein«, keuchte ich. »Keine … Luft … Jake!«
Er ließ mich los und nahm meine Hände. »Ich bin kein Mörder, Bella.«
Ich schaute ihm ins Gesicht, und ich sah, dass er die Wahrheit sagte. Erleichterung durchströmte mich.
»Ehrlich nicht?«, fragte ich.
»Ehrlich nicht«, versprach er feierlich.
Ich schlang die Arme um ihn. Das erinnerte mich an den ersten Tag mit den Motorrädern – aber jetzt war er noch größer und ich kam mir noch mehr wie ein Kind vor.
Genau wie damals strich er mir übers Haar.
»Tut mir leid, dass ich dich Heuchlerin genannt hab«, sagte er.
»Tut mir leid, dass ich dich Mörder genannt hab.«
Er lachte.
Da fiel mir etwas ein, und ich trat einen Schritt zurück, damit ich ihm ins Gesicht sehen konnte. Ängstlich zog ich die Augenbrauen zusammen. »Und was ist mit Sam? Und den anderen?«
Er schüttelte den Kopf und lächelte, als wäre ihm eine große Last von den Schultern genommen. »Natürlich nicht. Weißt du nicht mehr, wie wir uns nennen?«
Das wusste ich noch sehr gut – gerade heute hatte ich noch daran gedacht. »Beschützer?«
»Genau.«
»Aber das verstehe ich nicht. Was geht da im Wald vor? Die verschwundenen Wanderer, das Blut?«
Sofort wurde sein Gesicht ernst und besorgt. »Wir versuchen unsere Arbeit zu tun, Bella. Wir versuchen sie zu beschützen, aber wir kommen immer ein bisschen zu spät.«
»Beschützen wovor? Läuft da im Wald wirklich ein Bär rum?«
»Bella, Schatz, wir beschützen die Menschen nur vor einem – unserem einzigen Feind. Nur deshalb gibt es uns – weil es sie gibt.«
Ich starrte ihn einen Moment verständnislos an, ehe ich plötzlich begriff. Das Blut wich mir aus dem Gesicht, und ein dünner, stummer Schreckensschrei kam mir über die Lippen.
Er nickte. »Ich hätte gedacht, wenigstens du würdest kapieren, was da wirklich abgeht.«
»Laurent«, flüsterte ich. »Er ist immer noch da.«
Jacob blinzelte zweimal, dann legte er den Kopf schief. »Wer ist Laurent?«
Ich versuchte, das Durcheinander in meinem Kopf zu sortieren, bevor ich antwortete. »Du weißt doch – du hast ihn auf der Lichtung gesehen. Du warst da …« Langsam wurde mir alles klar. »Du warst da und hast verhindert, dass er mich umbrachte …«
»Ach, der schwarzhaarige Blutsauger?« Er grinste, ein schmales, wütendes Grinsen. »So hieß er also?«
Ich schauderte. »Was hast du dir dabei gedacht?«, flüsterte ich. »Er hätte dich umbringen können! Jake, du weißt gar nicht, wie gefährlich …«
Er unterbrach mich mit einem erneuten Lachen. »Bella, ein einsamer Vampir ist kein großes Problem für ein Rudel so groß wie unseres. Es war ein Kinderspiel, es hat noch nicht mal richtig Spaß gemacht!«
»Was war ein Kinderspiel?«
»Den Blutsauger zu töten, der dich umbringen wollte. Na ja, das zählt nicht als Mord«, fügte er schnell hinzu. »Vampire zählen nicht als Menschen.«
Ich konnte die Worte nur hauchen. »Du … hast … Laurent … getötet?«
Er nickte. »Wir haben es zusammen gemacht«, korrigierte er.
»Laurent ist tot?«, flüsterte ich.
Seine Miene veränderte sich. »Du bist doch nicht sauer deswegen, oder? Er wollte dich umbringen, er war auf der Jagd, Bella, da waren wir uns sicher, bevor wir zuschlugen. Das weißt du doch, oder?«
»Natürlich. Nein, ich bin nicht sauer, ich bin …« Ich musste mich setzen. Ich taumelte einen Schritt zurück, bis ich den Treibholzbaum an den Waden spürte, dann ließ ich mich darauf nieder. »Laurent ist tot. Er kommt nicht mehr wieder.«
»Du bist nicht wütend? Er war kein Freund von dir oder so?«
»Ein Freund?« Ich starrte ihn an, verwirrt und schwindelig vor Erleichterung. Jetzt sprudelte es aus mir heraus, meine Augen wurden feucht. »Nein, Jake. Ich bin so … so erleichtert. Ich dachte, er würde mich finden – jede Nacht hab ich auf ihn gewartet und gehofft, dass er sich mit mir zufriedengeben und Charlie in Ruhe lassen würde. Ich hatte solche Panik, Jacob … Aber wie? Er war doch ein Vampir! Wie habt ihr ihn umgebracht? Er war so stark, so hart, wie Granit …«
Er setzte sich neben mich und legte mir tröstend einen Arm um die Schultern. »Dafür sind wir ja gemacht, Bella. Wir sind auch stark. Hättest du mir doch bloß gesagt, dass du solche Angst hattest. Das war ganz unnötig.«
»Du warst ja nicht da«, murmelte ich gedankenverloren.
»Ach ja, stimmt.«
»Moment mal, Jake – aber ich dachte, du wüsstest Bescheid. Gestern Nacht hast du gesagt, es wär zu gefährlich für dich, in meinem Zimmer zu sein. Da dachte ich, du wüsstest, dass ein Vampir kommen könnte. Hast du das nicht gemeint?«
Einen Augenblick lang sah er verwirrt aus, dann senkte er den Kopf. »Nein, das hab ich nicht gemeint.«
»Was denn dann?«
Er schaute mich schuldbewusst an. »Ich hab nicht gesagt, dass es für mich zu gefährlich wäre. Ich dachte an dich.«
»Wie meinst du das?«
Er schaute zu Boden und trat gegen einen Stein. »Es gibt mehr als einen Grund, weshalb ich nicht in deiner Nähe sein sollte, Bella. Zum einen sollte ich dir unser Geheimnis nicht verraten, aber es gibt noch einen anderen Grund. Es könnte gefährlich für dich sein. Wenn ich zu wütend werde … mich zu sehr aufrege … dann kann es passieren, dass ich dir wehtue.«
Ich dachte lange darüber nach. »Als du vorhin wütend warst … als ich dich angeschrien hab … und du gezittert hast …?«
»Ja.« Er ließ den Kopf noch mehr hängen. »Das war ziemlich blöd von mir. Ich muss lernen, mich besser zu beherrschen. Ich hatte mir geschworen, nicht wütend zu werden, egal, was du sagst. Aber … es hat mich so aus der Fassung gebracht, dass ich dich verlieren könnte … dass du es nicht erträgst, was ich bin …«
»Was würde passieren … wenn du zu wütend wirst?«, flüsterte ich.
»Dann würde ich mich in einen Wolf verwandeln«, flüsterte er zurück.
»Brauchst du dafür keinen Vollmond?«
Er verdrehte die Augen. »An den Hollywoodfilmen ist nicht viel Wahres dran.« Dann seufzte er und wurde wieder ernst. »Wegen der verschwundenen Leute brauchst du nicht so panisch zu sein, Bella. Wir kümmern uns darum. Und auf Charlie und die anderen passen wir besonders auf – es wird ihnen nichts passieren. Vertrau mir.«
Erst jetzt begriff ich das, was doch auf der Hand lag, was ich sofort hätte kapieren müssen. Aber die Tatsache, dass Jacob und seine Freunde mit Laurent gekämpft hatten, hatte mich so aufgewühlt, dass ich es ganz übersehen hatte. Erst jetzt wurde mir klar, dass er wieder in der Gegenwart sprach.
Wir kümmern uns darum.
Es war nicht vorbei.
»Laurent ist tot«, stieß ich hervor, und mein ganzer Körper wurde eiskalt.
»Bella?«, sagte Jacob erschrocken und berührte meine aschfahle Wange.
»Wenn Laurent seit einer Woche tot ist … dann läuft jetzt jemand anders herum und mordet.«
Jacob nickte und sprach mit zusammengebissenen Zähnen. »Es waren zwei. Wir dachten, seine Gefährtin würde mit uns kämpfen – in unseren Legenden heißt es, dass sie stocksauer werden, wenn man ihre Gefährten umbringt –, aber sie rennt immer weg und kommt dann wieder. Wenn wir rauskriegen könnten, worauf sie aus ist, könnten wir sie uns leichter schnappen. Aber wir werden aus ihr nicht schlau. Sie kommt mal von der einen, mal von der anderen Seite, als ob sie unsere Verteidigung auf die Probe stellen will und nach dem richtigen Weg sucht – aber nach dem richtigen Weg wohin? Was ist ihr Ziel? Sam glaubt, dass sie uns auseinandertreiben will, um ihre Chancen zu verbessern …«
Seine Stimme wurde leiser, bis es sich anhörte, als käme sie durch einen langen Tunnel; ich konnte die einzelnen Wörter nicht mehr verstehen. Meine Stirn wurde schweißnass und mir drehte sich der Magen um.
Schnell wandte ich mich ab und beugte mich über den Baumstamm. Ich würgte vergeblich, mein leerer Magen zog sich vor Angst und Übelkeit zusammen, obwohl nichts darin war, was er hätte hergeben können.
Victoria war hier. Und sie suchte mich. Sie tötete Fremde im Wald. In dem Wald, wo Charlie auf der Jagd war …
In meinem Kopf drehte sich alles.
Hätte Jacob mich nicht bei den Schultern gefasst, wäre ich nach vorn auf die Steine gerutscht. Ich spürte seinen heißen Atem an der Wange. »Bella! Was ist los?«
»Victoria«, stieß ich hervor, sobald die Übelkeitskrämpfe sich so weit gelegt hatten, dass ich wieder sprechen konnte.
In meinem Kopf knurrte Edward wutentbrannt bei dem Namen.
Ich spürte, wie Jacob mich hochhob. Er nahm mich unbeholfen auf seinen Schoß, mein Kopf lag schlaff an seiner Schulter. Er versuchte mich so zu halten, dass ich nicht seitlich wegsackte, und strich mir das schweißnasse Haar aus dem Gesicht.
»Wer?«, fragte Jacob. »Bella, hörst du mich? Bella?«
»Sie war nicht Laurents Gefährtin«, stöhnte ich an seiner Schulter. »Sie waren nur alte Freunde …«
»Brauchst du Wasser? Einen Arzt? Sag mir, was ich machen soll«, sagte er verzweifelt.
»Ich bin nicht krank – ich hab nur Angst«, flüsterte ich. Angst war gar kein Ausdruck für das, was ich empfand.
Jacob tätschelte mir den Rücken. »Angst vor dieser Victoria?«
Ich nickte schaudernd.
»Victoria ist die Rothaarige?«
Ich zitterte wieder und wimmerte: »Ja.«
»Woher weißt du, dass sie nicht seine Gefährtin war?«
»Laurent hat mir gesagt, dass sie mit James zusammen war«, erklärte ich und spannte automatisch die Hand mit der Narbe an.
Jacob drehte meinen Kopf zu sich herum und hielt mein Gesicht in seiner großen Hand. Er schaute mich eindringlich an. »Hat er dir noch irgendwas anderes erzählt, Bella? Das ist wichtig. Weißt du, was sie will?«
»Natürlich«, flüsterte ich. »Sie will mich.«
Er riss die Augen weit auf und verengte sie dann zu schmalen Schlitzen. »Warum?«, fragte er.
»Edward hat James getötet«, flüsterte ich. Jacob hielt mich so fest, dass mich das Loch nicht zerriss – er sorgte dafür, dass ich ganz blieb. »Sie wurde … stocksauer. Aber Laurent hat gesagt, sie fände es gerechter, mich umzubringen als Edward. Ein Gefährte für den anderen. Sie wusste nicht – und ich schätze, sie weiß immer noch nicht –, dass … dass …« Ich schluckte schwer. »Dass es zwischen uns nicht mehr so ist. Jedenfalls nicht für Edward.«
Das lenkte Jacob einen Moment ab, sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen den verschiedensten Empfindungen. »Das war es also? Deshalb sind die Cullens weggezogen?«
»Ich bin ja nur ein Mensch. Nichts Besonderes«, erklärte ich mit einem schwachen Achselzucken.
In Jacobs Brust ertönte so etwas wie ein Knurren – kein echtes Knurren, nur die menschliche Entsprechung. »Wenn der bescheuerte Blutsauger echt so dämlich ist …«
»Bitte«, stöhnte ich. »Bitte nicht.«
Jacob zögerte, dann nickte er.
»Darum geht es ihr also«, sagte er, und seine Miene war jetzt ganz geschäftsmäßig. »Genau das mussten wir wissen. Wir müssen es den anderen sofort sagen.«
Er stand auf und zog mich hoch. Er hielt meine Taille mit beiden Händen umfasst, bis er sicher war, dass ich nicht umkippen würde.
»Mir geht’s gut«, log ich.
Er nahm meine Hand. »Komm«, sagte er und zog mich zu meinem Transporter.
»Wo fahren wir hin?«, fragte ich.
»Ich weiß noch nicht genau«, gestand er. »Ich berufe ein Treffen ein. Warte einen Moment hier, ja?« Er lehnte mich an die Seite des Transporters und ließ meine Hand los.
»Wo willst du hin?«
»Bin gleich wieder da«, versprach er. Dann drehte er sich um und rannte über den Parkplatz, über die Straße und in den angrenzenden Wald. Schnell und geschmeidig wie ein Reh sprang er zwischen den Bäumen hindurch.
»Jacob!«, rief ich ihm mit heiserer Stimme nach, aber da war er schon weg.
Es war kein günstiger Moment, um allein gelassen zu werden. Kaum war Jacob außer Sicht, bekam ich auch schon keine Luft mehr. Ich hievte mich in den Wagen und verriegelte ihn sofort von innen. Trotzdem ging es mir nicht besser.
Victoria machte also schon Jagd auf mich. Nur reinem Glück war es zu verdanken, dass sie mich noch nicht gefunden hatte – Glück und fünf jungen Werwölfen. Ich atmete scharf aus. Jacob mochte sagen, was er wollte, die Vorstellung, dass er in Victorias Nähe kam, war entsetzlich. Es war mir egal, worin er sich verwandelte, wenn er wütend wurde. Ich sah sie im Geiste vor mir, mit zornigem Gesicht, flammendem Haar, tödlich, unbesiegbar …
Aber wenn es stimmte, was Jacob sagte, gab es Laurent nicht mehr. Konnte das sein? Edward – ich umschlang automatisch meine Brust – hatte mir erklärt, wie schwierig es war, einen Vampir zu töten. Nur einem anderen Vampir konnte das gelingen. Aber Jake hatte gesagt, Werwölfe seien dafür gemacht …
Er hatte gesagt, sie würden auf Charlie aufpassen – ich sollte darauf vertrauen, dass die Werwölfe meinen Vater beschützten. Aber wie konnte ich mich darauf verlassen? Keiner von uns war in Sicherheit! Am allerwenigsten Jacob, wenn er versuchte, sich zwischen Victoria und Charlie zu stellen … zwischen Victoria und mich …
Ich hatte das Gefühl, als könnte ich mich schon wieder übergeben.
Als es laut an die Scheibe klopfte, schrie ich erschrocken auf – aber es war nur Jacob, der schon zurück war. Erleichtert, mit zitternden Fingern öffnete ich die Tür.
»Du hast wirklich Angst, was?«, sagte er, als er einstieg.
Ich nickte.
»Brauchst du aber nicht. Wir passen auf dich auf – und auf Charlie auch. Versprochen.«
»Die Vorstellung, du könntest Victoria finden, ist noch schrecklicher als die Vorstellung, dass sie mich finden könnte«, flüsterte ich.
Er lachte. »Ein bisschen mehr Vertrauen musst du schon in uns haben. Das ist ja eine Beleidigung.«
Ich schüttelte nur den Kopf. Ich hatte schon zu viele Vampire in Aktion gesehen.
»Wo warst du denn gerade?«, fragte ich.
Er schob die Lippen vor und sagte nichts.
»Ist es ein Geheimnis?«
Er runzelte die Stirn. »Eigentlich nicht. Es ist aber ziemlich schräg. Ich will dir keine Angst einjagen.«
»Ach, weißt du, ich bin inzwischen einiges Schräge gewohnt.« Ich versuchte zu lächeln, aber es wollte nicht recht gelingen.
Jacob grinste ohne Anstrengung zurück. »Ja, das kann ich mir vorstellen. Also gut. Weißt du, wenn wir Werwölfe sind, dann können wir … einander hören.«
Ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.
»Keine Geräusche«, fuhr er fort. »Wir hören … Gedanken, die Gedanken der anderen Werwölfe, egal, wie weit wir voneinander entfernt sind. Bei der Jagd ist das sehr praktisch, aber ansonsten ist es total lästig. Es ist peinlich – man hat überhaupt keine Geheimnisse. Abgefahren, oder?«
»Hast du das gestern Nacht gemeint, als du gesagt hast, du würdest ihnen erzählen, dass du dich mit mir getroffen hast, auch wenn du das gar nicht willst?«
»Du kapierst aber schnell.«
»Danke.«
»Und es macht dir nichts aus?«
»Es ist nicht … na ja, du bist nicht der Erste, den ich kenne, der das kann. So schräg kommt es mir also gar nicht vor.«
»Echt? Warte mal – redest du von deinen Blutsaugern?«
»Ich kann es nicht leiden, wenn du sie so nennst.«
Er lachte. »Na gut. Dann also die Cullens?«
»Nur … nur Edward.« Ich legte mir heimlich einen Arm um die Brust.
Jacob sah überrascht aus – unangenehm überrascht. »Ich dachte, das wären bloß Legenden. Ich hab Geschichten über Vampire gehört, die … besondere Fähigkeiten hatten, aber ich dachte, das wären nur Märchen.«
»Gibt es überhaupt noch irgendwas, das nur ein Märchen ist?«, fragte ich bitter.
Seine Miene verfinsterte sich. »Wahrscheinlich nicht. Okay, wir treffen uns jetzt mit Sam und den anderen an der Stelle, wo wir immer Motorrad fahren.«
Ich ließ den Transporter an und fuhr wieder auf die Straße.
»Hast du dich denn gerade in einen Wolf verwandelt, um mit Sam zu reden?«, fragte ich neugierig.
Jacob nickte, es schien ihm peinlich zu sein. »Ich hab es ganz kurz gemacht – ich hab versucht, nicht an dich zu denken, damit sie nicht wissen, was los ist. Ich hatte Angst, Sam würde mir verbieten, dich mitzubringen.«
»Das hätte mich nicht zurückgehalten.« Für mich war Sam immer noch der Böse. Sobald ich seinen Namen hörte, biss ich die Zähne zusammen.
»Aber mich hätte es zurückgehalten«, sagte Jacob jetzt missmutig. »Weißt du noch, wie ich gestern die Sätze nicht beenden konnte? Wie ich die Geschichte nicht zu Ende erzählen konnte?«
»Ja. Du sahst aus, als müsstest du würgen.«
Er lachte finster in sich hinein. »Ja. So ungefähr. Sam hatte mir verboten, es dir zu erzählen. Er ist … der Anführer des Rudels, weißt du. Er ist das Alphatier. Wenn er uns etwas befiehlt oder verbietet und es ihm ernst damit ist, dann müssen wir auf ihn hören.«
»Schräg«, murmelte ich.
»Und wie«, sagte er. »Das ist eben typisch für Wölfe.«
»Hm«, machte ich, mehr fiel mir dazu nicht ein.
»Ja, da gibt es eine ganze Menge, was man als Wolf lernen muss. Ich weiß noch lange nicht alles. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für Sam gewesen sein muss, als er ganz allein damit dastand. Es ist schon schlimm genug, wenn man das durchmacht und dabei ein ganzes Rudel als Unterstützung hat.«
»Sam war allein?«
»Ja.« Jacob senkte die Stimme. »Als ich mich … verwandelt habe, war es das Schrecklichste, das Entsetzlichste, was ich je erlebt hatte – schlimmer als alles, was ich mir hätte vorstellen können. Aber ich war nicht allein – da waren die Stimmen in meinem Kopf, die mir sagten, was passiert war und was ich tun sollte. Sonst hätte ich bestimmt den Verstand verloren. Sam dagegen …« Er schüttelte den Kopf. »Sam hatte keine Hilfe.«
Das änderte einiges. Wenn Jacob die Sache so erklärte, war es schwer, kein Mitleid mit Sam zu empfinden. Ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass es keinen Grund mehr gab, ihn zu hassen.
»Sind die wohl sauer, wenn du mich mitbringst?«, fragte ich.
Er schnitt eine Grimasse. »Wahrscheinlich.«
»Vielleicht ist es besser, wenn ich nicht …«
»Nein, das geht in Ordnung«, versicherte er mir. »Du weißt zig Sachen, die uns helfen können. Du bist ja nicht irgendein ahnungsloser Mensch. Du bist so eine Art … ich weiß nicht, eine Spionin oder so. Du warst hinter den feindlichen Linien.«
Ich runzelte die Stirn. Das wollte Jacob von mir? Sollte ich ihnen Insiderinformationen liefern, damit sie ihre Feinde vernichten konnten? Doch ich war keine Spionin. Ich hatte die Informationen nicht gezielt gesammelt. Nach seinen Worten kam ich mir jetzt schon vor wie eine Verräterin.
Aber ich wollte doch, dass er Victoria das Handwerk legte, oder?
Nein.
Natürlich wollte ich, dass ihr das Handwerk gelegt wurde, vorzugsweise bevor sie mich zu Tode folterte oder Charlie in die Klauen bekam oder einen weiteren Wanderer. Aber ich wollte nicht, dass Jacob derjenige war, der ihr das Handwerk legte oder es auch nur versuchte. Jacob sollte nicht mal auf hundert Kilometer in ihre Nähe kommen.
»Wie das mit dem Blutsauger, der Gedanken lesen kann«, sagte er in meine Überlegungen hinein. »So was müssen wir wissen. So ein Mist, dass an diesen Geschichten was dran ist. Das verkompliziert die Sache. Sag mal, glaubst du, diese Victoria hat auch irgendwelche besonderen Fähigkeiten?«
»Ich glaube nicht.« Ich zögerte, dann seufzte ich. »Das hätte er bestimmt erwähnt.«
»Er? Ach so, du meinst Edward – oh, entschuldige. Das hatte ich vergessen. Du sagst seinen Namen ja nicht gern. Und hörst ihn auch nicht gern.«
Ich schlang die Arme um die Brust und versuchte, das Pochen in der Wunde zu ignorieren. »Ja, stimmt.«
»Tut mir leid.«
»Woher kennst du mich so gut, Jacob? Manchmal ist es, als könntest du meine Gedanken lesen.«
»Nein. Ich bin nur aufmerksam.«
Jetzt waren wir auf der kleinen unbefestigten Straße, wo Jacob mir damals das Motorradfahren beigebracht hatte.
»Aber so aufmerksam?«
»Ja, klar.«
Ich fuhr an den Straßenrand und schaltete den Motor aus.
»Du bist immer noch ziemlich unglücklich, oder?«, sagte er leise.
Ich nickte und starrte in den finsteren Wald, ohne etwas zu sehen.
»Hast du nie gedacht, dass du so vielleicht … besser dran bist?«
Ich atmete langsam ein und ließ den Atem dann herausströmen. »Nein.«
»Denn er war ja nicht der beste …«
»Bitte, Jacob«, flüsterte ich. »Können wir bitte aufhören, darüber zu reden? Ich halte das nicht aus.«
»Okay.« Er holte tief Luft. »Tut mir leid, dass ich davon angefangen hab.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Wenn die Dinge anders lägen, wäre es schön, endlich mal mit jemandem darüber zu sprechen.«
Er nickte. »Ja, ich fand es schon schwer, mein Geheimnis zwei Wochen vor dir zu bewahren. Es muss die Hölle sein, wenn man mit gar keinem reden kann.«
»Ja, es ist die Hölle«, sagte ich.
Jacob atmete scharf ein. »Sie sind hier. Komm.«
»Soll ich wirklich?«, fragte ich, während er seine Tür öffnete. »Vielleicht ist es besser, wenn ich nicht dabei bin.«
»Damit kommen die schon klar«, sagte er und grinste. »Wer hat Angst vorm bösen Wolf?«
»Ha, ha«, sagte ich. Aber dann stieg ich aus und lief schnell vorn um den Wagen herum, um nah bei Jacob zu sein. Ich erinnerte mich nur zu gut an die riesigen Monster auf der Wiese. Meine Hände zitterten wie zuvor Jacobs, aber nicht vor Wut, sondern vor Angst.
Jake nahm meine Hand und drückte sie. »Auf geht’s.«