Alles noch mal auf Anfang?
Ich hatte keine Ahnung, was ich hier tat.
Wollte ich die Zombie-Starre unbedingt zurückhaben? War ich masochistisch geworden – hatte ich plötzlich Spaß daran, mich zu quälen? Ich hätte direkt nach La Push fahren sollen. Bei Jacob fühlte ich mich sehr viel gesünder. Was ich jetzt gerade machte, war auf keinen Fall gesund.
Doch ich fuhr langsam weiter den überwucherten Weg entlang und schlängelte mich zwischen den Bäumen hindurch, die sich wie ein grüner, lebendiger Tunnel über mir wölbten. Meine Hände zitterten, und ich hielt das Lenkrad fester umklammert.
Ich wusste, dass der Albtraum ein Grund für diese Aktion war; jetzt, da ich richtig wach war, zerrte die Nichtigkeit des Traums an meinen Nerven.
Es gab den, nach dem ich suchte. Unerreichbar und verboten, gleichgültig und weit fort … doch irgendwo war er. Das musste ich einfach glauben.
Hinzu kam das merkwürdige Gefühl einer Wiederholung, das ich heute in der Schule gehabt hatte, der Zufall mit dem Datum. Das Gefühl, noch einmal von vorn anzufangen – vielleicht so, wie mein erster Tag verlaufen wäre, wenn ich an jenem Nachmittag wirklich der ungewöhnlichste Mensch in der Cafeteria gewesen wäre.
Wieder hatte ich seine Worte im Kopf, tonlos, eher als würde ich sie lesen:
Es wird so sein, als hätte es mich nie gegeben.
Ich machte mir etwas vor, wenn ich mir nur zwei Gründe für mein Kommen eingestand. Den stärksten Grund wollte ich nicht zugeben. Weil es Irrsinn war.
In Wirklichkeit wollte ich wieder seine Stimme hören, wie bei der merkwürdigen Halluzination an jenem Freitagabend in Port Angeles. Denn an diesen kurzen Moment, als seine Stimme nicht aus meiner bewussten Erinnerung kam, sondern aus einem anderen Teil meiner selbst, als sie honigsüß und vollkommen war und nicht das fade Echo, das mein Gedächtnis sonst immer produzierte, konnte ich mich ohne Schmerz erinnern. Es war nicht von Dauer gewesen; der Schmerz hatte mich wieder eingeholt, wie er mich auch nach dieser idiotischen Aktion todsicher einholen würde. Doch die kostbaren Momente, da ich ihn wieder hören konnte, übten einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus. Es musste mir gelingen, das Erlebnis zu wiederholen … oder vielleicht sollte ich lieber von einer Wahnidee sprechen.
Ich hoffte, dass der Schlüssel im Déjà-vu lag. Deshalb fuhr ich zu seinem Haus, wo ich seit meiner unglückseligen Geburtstagsparty nicht mehr gewesen war.
Dichtes, dschungelartiges Gestrüpp strich an den Scheiben des Transporters entlang. Die Zufahrt nahm kein Ende. Vor lauter Ungeduld fuhr ich schneller. Wie lange war ich schon unterwegs? Müsste ich nicht längst bei dem Haus angekommen sein? Der Weg war so überwuchert, dass ich ihn gar nicht wiedererkannte.
Und wenn ich es nicht fand? Ich zitterte. Wenn es nun gar keinen greifbaren Beweis gab?
Dann kam die Lichtung, nach der ich gesucht hatte, nur war sie nicht so deutlich zu erkennen wie früher. Hier dauerte es nicht lange, bis sich die Natur ein Stück Land, um das sich niemand kümmerte, zurückerobert hatte. Die Wiese um das Haus herum war von hohem Farn durchsetzt; er wuchs bis an die Stämme der Zedern und sogar an die große Veranda. Es sah aus, als wäre der Rasen hüfthoch von grünen, federartigen Wellen überflutet worden.
Und das Haus stand zwar da, aber es war nicht mehr dasselbe. Obwohl sich äußerlich nichts verändert hatte, schrie die Leere aus den nackten Fensterhöhlen. Es war gespenstisch. Zum ersten Mal, seit ich das schöne Haus gesehen hatte, wirkte es als Domizil für Vampire sehr passend.
Ich trat auf die Bremse und wandte den Blick ab. Ich traute mich nicht weiterzufahren.
Doch nichts geschah. Keine Stimme war in meinem Kopf zu hören.
Also ließ ich den Motor laufen und sprang hinaus in das Farnmeer. Vielleicht, wenn ich weiterging, wie Freitagabend …
Langsam näherte ich mich der leblosen, verlassenen Fassade, während der Transporter hinter mir tröstlich vor sich hin röhrte. An der Treppe zur Veranda machte ich Halt, denn hier war nichts. Kein Überbleibsel ihrer Gegenwart … seiner Gegenwart. Das Haus stand da, aber das hatte kaum etwas zu bedeuten. Seine greifbare Realität wirkte dem Nichts meiner Albträume nicht entgegen.
Ich ging nicht weiter. Ich wollte nicht durch die Fenster schauen. Ich wusste nicht, was schwerer zu ertragen wäre. Bestimmt würde es wehtun, wenn die Zimmer kahl wären und vom Boden bis zur Decke leer hallen würden. Unwillkürlich dachte ich an die Beerdigung meiner Großmutter, als meine Mutter nicht zulassen wollte, dass ich sie noch einmal sah. Sie sagte, ich bräuchte Oma so nicht zu sehen, ich sollte sie lieber in Erinnerung behalten, wie sie zu Lebzeiten aussah.
Aber wäre es nicht noch schlimmer, wenn sich nichts verändert hätte? Die Sofas noch wie beim letzten Mal, die Bilder an den Wänden und, noch schlimmer, der Flügel auf dem niedrigen Podest? Nur ein komplettes Verschwinden des Hauses wäre schlimmer, als zu sehen, dass kein materieller Besitz sie halten konnte. Dass alles unberührt und vergessen hinter ihnen zurückblieb.
Genau wie ich.
Ich kehrte der gähnenden Leere den Rücken und ging schnell zurück zu meinem Wagen. Ich rannte fast. Ich wollte so schnell wie möglich weg, zurück in die menschliche Welt. Ich fühlte mich entsetzlich leer, und ich wollte Jacob sehen. Vielleicht entwickelte ich eine neue Krankheit, eine neue Sucht, wie die Taubheit zuvor. Aber das war mir egal. So schnell es mit dem Transporter eben ging, fuhr ich meiner Droge entgegen.
Jacob wartete schon auf mich. Sobald ich ihn sah, entspannte sich meine Brust und ich konnte leichter atmen.
»Hallo, Bella«, rief er.
Ich lächelte erleichtert. »Hallo, Jacob.« Ich winkte Billy zu, der aus dem Fenster schaute.
»Komm, wir machen uns gleich an die Arbeit«, sagte Jacob leise, aber voller Ungeduld.
Irgendwie brachte ich ein Lachen zu Stande. »Hast du mich immer noch nicht über?«, fragte ich. Allmählich musste er doch denken, dass ich ziemlich verzweifelt Anschluss suchte.
Jacob ging mir voraus ums Haus herum zur Werkstatt.
»Nö. Bis jetzt noch nicht.«
»Sag’s mir bitte, wenn ich dir auf den Geist gehe. Ich will keine Nervensäge sein.«
»Okay.« Er lachte ein kehliges Lachen. »Aber ich glaub, da kannst du lange warten.«
Als ich in die Werkstatt kam, fiel ich aus allen Wolken. Da stand das rote Motorrad und sah aus wie ein richtiges Fahrzeug, nicht mehr wie ein Haufen Schrottteile.
»Jake, du bist unglaublich«, flüsterte ich.
Er lachte wieder. »Wenn ich mir einmal etwas vornehme, lässt es mich nicht mehr los.« Er zuckte die Achseln. »Wenn ich schlau wäre, würde ich die Sache ein wenig hinauszögern.«
»Wieso?«
Er schaute zu Boden und schwieg so lange, dass ich überlegte, ob er meine Frage überhaupt gehört hatte. Schließlich fragte er: »Bella, wenn ich dir sagen würde, dass ich die Motorräder nicht hinkriege, was würdest du dann sagen?«
Auch ich ließ mir Zeit mit der Antwort. Er blickte auf und sah mich prüfend an.
»Dann würde ich sagen … schade. Aber ich wette, wir würden was anderes finden, was uns Spaß macht. Wenn wir ganz verzweifelt wären, könnten wir sogar zusammen Hausaufgaben machen.«
Jacob lächelte und seine Schultern entspannten sich. Er setzte sich neben das Motorrad und nahm einen Schraubenschlüssel in die Hand. »Du meinst also, wenn ich fertig bin, kommst du trotzdem noch vorbei?«
»Das meintest du?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaub, ich nutze es tatsächlich aus, dass du deine Fähigkeiten deutlich unter Wert anbietest. Aber solange ich vorbeikommen darf, werd ich das auch tun.«
»In der Hoffnung, Quil noch mal zu treffen?«, neckte er.
»Jetzt hast du mich erwischt.«
Er lachte leise. »Bist du wirklich gern mit mir zusammen?«, fragte er verwundert.
»Na klar. Und das werd ich auch beweisen. Morgen muss ich arbeiten, aber Mittwoch machen wir mal was ohne Werkzeug.«
»Was denn?«
»Weiß ich noch nicht. Wir könnten zu mir fahren, damit du nicht in Versuchung kommst zu basteln. Du könntest deine Hausaufgaben mitbringen – du hängst doch bestimmt genauso hinterher wie ich.«
»Ja, das wär tatsächlich eine gute Idee.« Er verzog das Gesicht, und ich fragte mich, wie viel er wohl liegenließ, um mit mir zusammen zu sein.
»Ja«, sagte ich. »Wir sollten zeigen, dass wir manchmal auch verantwortungsbewusst sind, sonst nehmen Billy und Charlie das bald nicht mehr so locker.« Dass ich uns beide zusammensah, gefiel ihm. Er strahlte.
»Einmal die Woche Hausaufgaben?«, schlug er vor.
»Vielleicht lieber zweimal«, sagte ich und dachte an den Berg, den ich heute aufbekommen hatte.
Er seufzte schwer. Dann langte er über seinen Werkzeugkasten und nahm eine Papiertüte hoch. Er holte zwei Dosen Cola heraus, öffnete eine und reichte sie mir. Dann öffnete er die zweite und hielt sie feierlich hoch. »Auf das Verantwortungsbewusstsein«, sagte er und prostete mir zu. »Zweimal die Woche.«
»Und Waghalsigkeit an allen anderen Tagen«, betonte ich.
Er grinste und wir stießen an.
Ich kam später nach Hause als geplant und sah, dass Charlie Pizza bestellt hatte, anstatt auf mich zu warten. Er wollte keine Entschuldigungen hören.
»Das macht mir gar nichts aus«, versicherte er. »Du brauchst sowieso mal eine Pause von der ständigen Kocherei.«
Natürlich war er bloß erleichtert, dass ich mich immer noch wie ein normaler Mensch benahm, und er wollte das Ganze nicht gefährden.
Bevor ich mich an die Hausaufgaben setzte, rief ich meine Mails ab. Renée hatte mir eine lange Mail zurückgeschrieben und ich antwortete mit einem erschöpfenden Bericht des heutigen Tages. Nur die Motorräder ließ ich aus. Da würden wahrscheinlich selbst bei meiner unbekümmerten Mutter die Alarmglocken schrillen.
Der Dienstagvormittag hatte seine Höhen und Tiefen. Angela und Mike schienen mich mit offenen Armen wieder aufnehmen zu wollen – und dabei über ein paar Monate abnormen Verhaltens großzügig hinwegzusehen. Jess war eine härtere Nuss. Ich fragte mich, ob sie auf eine schriftliche Entschuldigung für die Geschichte in Port Angeles wartete.
Bei der Arbeit war Mike gesprächig und gut aufgelegt. Es kam mir vor, als würden jetzt alle Worte aus ihm heraussprudeln, die sich im letzten halben Jahr angestaut hatten. Ich merkte, dass ich mit ihm lachen konnte, wenn auch nicht so unbekümmert wie mit Jacob. Es war alles ganz harmlos, bis wir Feierabend machten.
Mike hängte das Schild mit der Aufschrift »Geschlossen« ins Schaufenster, während ich meine Weste zusammenfaltete und sie unter den Tresen legte.
»Das war nett heute«, sagte Mike fröhlich.
»Ja«, sagte ich, obwohl ich den Nachmittag viel lieber in Jacobs Werkstatt verbracht hätte.
»Schade, dass du letzte Woche aus dem Film rausgehen musstest.«
Ich verstand nicht so ganz, wie er jetzt darauf kam. Ich zuckte die Achseln. »Ich bin halt ein Weichei.«
»Ich meine, dass du in einen besseren Film gehen solltest, in einen, der dir gefällt«, erklärte er.
»Ach so«, murmelte ich, immer noch verständnislos.
»Zum Beispiel Freitag. Mit mir. Wir könnten uns einen Film ansehen, bei dem du dich nicht gruselst.«
Ich biss mir auf die Lippe.
Ich wollte es mir mit Mike nicht gleich wieder verderben, schließlich war er einer der wenigen, die mir mein absonderliches Benehmen verziehen. Aber wieder kam mir das hier nur allzu bekannt vor. Als hätte es das letzte Jahr gar nicht gegeben. Und diesmal konnte ich mich nicht mit Jess herausreden.
»Du meinst ein Date?«, fragte ich. Wahrscheinlich war es am besten, die Dinge beim Namen zu nennen. Augen zu und durch.
Er versuchte herauszuhören, was ich damit sagen wollte. »Wenn du willst. Aber das muss es nicht sein.«
»Ich mache keine Dates«, sagte ich langsam und merkte, wie sehr das stimmte. Dieses ganze Thema war für mich unendlich weit weg.
»Nur als Freunde?«, schlug er vor. Jetzt schauten seine klaren blauen Augen nicht mehr ganz so begeistert. Hoffentlich glaubte er wirklich daran, dass wir Freunde sein konnten.
»Ja, sehr gern. Aber diesen Freitag hab ich schon was vor, vielleicht nächste Woche?«
»Was machst du denn?«, fragte er. Das sollte wohl beiläufig klingen.
»Hausaufgaben. Ich hab da so eine … Arbeitsgruppe.«
»Ach so. Okay. Dann vielleicht nächste Woche.«
Er begleitete mich zu meinem Wagen, jetzt nicht mehr ganz so überschwänglich. Die Situation erinnerte mich so sehr an meine ersten Monate in Forks. Der Kreis hatte sich geschlossen und jetzt fühlte sich alles an wie ein Echo – ein hohles Echo; der Reiz, den die Dinge damals hatten, war verflogen.
Am nächsten Abend war Charlie kein bisschen überrascht, als er nach Hause kam und Jacob und mich mit unseren ausgebreiteten Büchern auf dem Fußboden im Wohnzimmer vorfand, also nahm ich an, dass Billy und er hinter unserem Rücken über uns redeten.
»Na, ihr zwei«, sagte er und ließ den Blick zur Küche schweifen. Der Duft der Lasagne, die ich am Nachmittag vorbereitet hatte – während Jacob zugeschaut und ab und zu probiert hatte –, wehte durch den Flur. Die Lasagne sollte eine kleine Entschädigung für die vielen Pizzaabende sein.
Jacob blieb zum Essen und nahm noch eine Portion für Billy mit nach Hause. Zähneknirschend zählte er zu meinem Alter ein weiteres Jahr dafür hinzu, dass ich gut kochen konnte.
Den Freitag verbrachten wir in der Werkstatt und Samstag machten wir nach meiner Schicht bei Newton’s wieder zusammen Hausaufgaben. Charlie traute meiner Verfassung so weit, dass er mit Harry fischen ging. Als er zurückkam, hatten wir alles erledigt und kamen uns sehr reif und vernünftig vor. Wir schauten uns Monster Garage auf Discovery an.
»Jetzt muss ich wohl mal los«, sagte Jacob und seufzte. »Es ist später, als ich dachte.«
»Na gut«, grummelte ich. »Ich bring dich nach Hause.«
Er lachte über meinen widerwilligen Gesichtsausdruck – offenbar freute er sich darüber.
»Morgen geht’s wieder an die Arbeit«, sagte ich, als wir in meinem Wagen saßen. »Um wie viel Uhr soll ich kommen?«
Er lächelte und wirkte ein wenig aufgeregt. »Ich rufe dich vorher an, ja?«
»Okay.« Ich runzelte die Stirn und fragte mich, was das sollte. Sein Lächeln wurde noch breiter.
Am nächsten Morgen putzte ich das Haus und wartete darauf, dass Jacob anrief. Ich versuchte den Albtraum der letzten Nacht abzuschütteln. Der Schauplatz meines Traums hatte sich verändert. Ich befand mich in einem weiten Meer aus Farnen, in dem einzelne riesige Hemlocktannen standen. Ansonsten gab es nichts und ich lief ganz allein ziellos herum und suchte nichts. Ich hätte mich ohrfeigen können für den dämlichen Ausflug letzte Woche. Ich schob den Traum beiseite in der Hoffnung, er würde in irgendeinem Winkel steckenbleiben und nicht wieder hervorkommen.
Das Telefon klingelte. Charlie war draußen und wusch den Streifenwagen, also ließ ich die Klobürste fallen und rannte die Treppe hinunter zum Telefon.
»Hallo?«, sagte ich atemlos.
»Bella«, sagte Jacob, und seine Stimme klang eigenartig förmlich.
»Hallo, Jake.«
»Ich glaube … wir haben ein Date«, sagte er bedeutungsvoll.
Es dauerte einen Moment, bis ich schaltete. »Sie sind fertig? Ich glaub’s nicht!« Das kam genau richtig. Ich brauchte etwas, um mich von den Albträumen und der Leere abzulenken.
»Ja, sie fahren.«
»Jacob, du bist mit Abstand der begabteste und tollste Mensch, den ich kenne. Dafür kriegst du zehn Jahre.«
»Cool! Dann hab ich dich weit überrundet.«
Ich lachte. »Aber ich hol dich noch ein!«
Ich warf die Putzsachen unter den Waschtisch und schnappte mir meine Jacke.
»Zu Jake?«, sagte Charlie, als ich an ihm vorbeirannte. Es war keine richtige Frage.
»Ja«, sagte ich und sprang in meinen Transporter.
»Ich bin auf der Wache!«, rief Charlie mir nach.
»Okay!«, rief ich zurück und drehte den Zündschlüssel um.
Charlie sagte noch etwas, aber über den röhrenden Motor hinweg konnte ich ihn nicht richtig verstehen. Es klang wie: »Wo brennt’s denn?«
Ich parkte den Transporter neben dem Haus der Blacks, nah bei den Bäumen, damit es leichter war, die Motorräder heimlich herauszuholen. Als ich ausstieg, sah ich etwas blitzen – zwei glänzende Motorräder, eins rot, eins schwarz, waren so unter einer Fichte versteckt, dass sie vom Haus nicht zu sehen waren. Jacob hatte schon alles vorbereitet.
Um jeden Lenker war eine kleine blaue Schleife gebunden. Ich lachte noch, als Jacob schon aus dem Haus gestürmt kam.
»Bist du bereit?«, fragte er leise. Seine Augen leuchteten.
Ich schaute über seine Schulter – von Billy keine Spur.
»Ja«, sagte ich, aber jetzt war ich schon nicht mehr ganz so begeistert wie vorhin. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich auf dem Motorrad saß.
Mit Leichtigkeit hob Jacob die Motorräder auf die Ladefläche des Transporters und legte sie vorsichtig auf die Seite, damit sie nicht zu sehen waren.
»Dann mal los«, sagte er, und seine Stimme klang vor Aufregung höher. »Ich kenne die perfekte Stelle – da entdeckt uns keiner.«
Wir fuhren in südliche Richtung aus der Stadt heraus. Die unbefestigte Straße führte in den Wald hinein und wieder heraus, manchmal sahen wir nichts als Bäume, und dann erhaschten wir plötzlich einen atemberaubenden Blick auf den Pazifik, der sich unter den Wolken dunkelgrau bis zum Horizont erstreckte. Wir fuhren oberhalb der Klippen, die den Strand hier begrenzten, und die Sicht schien unendlich.
Ich fuhr langsam, damit ich, als sich die Straße näher an die Klippen wand, hin und wieder gefahrlos über den Ozean schauen konnte. Jacob erzählte, wie er die Motorräder fertig gemacht hatte, aber als er zu den technischen Einzelheiten kam, hörte ich nur noch mit halbem Ohr zu.
Da sah ich plötzlich vier Gestalten am Felsrand stehen, viel zu nah am Abgrund. Ich nahm an, dass es Männer waren; ihr Alter konnte ich aus der Entfernung nicht schätzen. Obwohl es ein kühler Tag war, trugen sie nur Shorts.
Während ich hinsah, trat der Größte aus der Gruppe näher an den Abgrund. Automatisch fuhr ich langsamer, mein Fuß schwebte über dem Bremspedal.
Und dann stürzte er sich von der Klippe.
»Nein!«, schrie ich und trat auf die Bremse.
»Was ist?«, rief Jacob erschrocken.
»Der Typ gerade – der ist von der Klippe gesprungen! Wieso haben die anderen ihn nicht zurückgehalten? Wir müssen einen Krankenwagen rufen!« Ich riss die Tür auf und wollte schon aussteigen, was völlig idiotisch war. Um schnellstmöglich zu einem Telefon zu gelangen, hätte ich zurück zu Billy fahren müssen. Aber ich konnte nicht glauben, was ich da gerade gesehen hatte. Vielleicht hoffte ich unbewusst, von draußen etwas anderes zu sehen.
Jacob lachte. Ich fuhr herum und starrte ihn wütend an. Wie konnte er nur so gefühllos, so kaltblütig sein?
»Das ist doch nur ein Freizeitspaß, Bella. Sie springen zum Vergnügen von der Klippe. La Push hat kein Einkaufszentrum, weißt du.« Das war ein Scherz, aber in seiner Stimme lag auch leichte Verärgerung.
»Ein Freizeitspaß?«, wiederholte ich benommen. Fassungslos starrte ich hinüber, als der Zweite an den Rand des Abgrunds trat und dann sehr elegant in die Tiefe sprang. Er fiel eine Ewigkeit, so kam es mir jedenfalls vor, um dann geschmeidig in die dunkelgrauen Wellen einzutauchen.
»Wahnsinn. Wie hoch das ist!« Ich ließ mich wieder in den Sitz sinken und starrte mit großen Augen zu den verbliebenen beiden Figuren. »Das sind doch mindestens dreißig Meter.«
»Ja, die meisten von uns springen von weiter unten, von dem Felsvorsprung da, ungefähr in der Mitte der Klippe.« Er zeigte aus dem Seitenfenster auf eine Stelle, die nicht ganz so schlimm aussah. »Die Jungs da sind echt verrückt. Die wollen wohl zeigen, was für coole Typen sie sind. Es ist doch eiskalt heute. Das Wasser ist bestimmt nicht angenehm.« Er wirkte aufgebracht, als hätten die Jungs ihn persönlich beleidigt. Ich war ein wenig überrascht, ich hätte es kaum für möglich gehalten, dass man Jacob verärgern konnte.
»Du bist auch schon von der Klippe gesprungen?« Das »uns« war mir nicht entgangen.
»Klar.« Er zuckte mit den Schultern und grinste. »Macht Spaß. Ein kleiner Nervenkitzel, eine Art Kick.«
Ich schaute wieder zu den Klippen, wo jetzt der Dritte an den Rand trat. Ich hatte noch nie im Leben so etwas Waghalsiges gesehen. Plötzlich lächelte ich. »Jake, du musst mich auch mal mit auf die Klippe nehmen.«
Er runzelte die Stirn und sah mich missbilligend an. »Bella, gerade wolltest du noch einen Krankenwagen für Sam rufen«, erinnerte er mich. Ich war verblüfft, dass er aus dieser Entfernung erkennen konnte, wer dort stand.
»Ich würde es aber gern mal versuchen«, beharrte ich und wollte schon wieder aussteigen.
Jacob packte mich am Handgelenk. »Nicht heute, okay? Können wir wenigstens warten, bis es etwas wärmer ist?«
»Na gut«, sagte ich. Die Wagentür stand immer noch offen und von dem eisigen Wind bekam ich Gänsehaut am Arm. »Aber bald.«
»Bald.« Er verdrehte die Augen. »Manchmal bist du schon ein bisschen schräg drauf, Bella, weißt du das?«
Ich seufzte. »Ja.«
»Wir springen aber nicht von ganz oben.«
Fasziniert schaute ich zu, wie der dritte Junge Anlauf nahm und sich dann noch weiter in die Luft schwang als die ersten beiden. Er drehte und schraubte sich durch die Luft wie ein Fallschirmspringer. Er sah vollkommen frei aus – losgelöst und völlig waghalsig.
»Na gut«, sagte ich. »Jedenfalls nicht beim ersten Mal.«
Jetzt war es an Jacob zu seufzen.
»Wollen wir jetzt die Motorräder ausprobieren oder nicht?«, sagte er.
»Jaja«, sagte ich und riss meinen Blick von dem letzten Jungen auf der Klippe los. Ich schnallte mich wieder an und zog die Tür zu. Der Motor lief immer noch und röhrte vor sich hin. Wir fuhren weiter.
»Und was waren das nun für Typen – diese Verrückten?«, fragte ich.
Er schnaubte verächtlich. »Die La-Push-Gang.«
»Ihr habt hier eine Gang?«, fragte ich. Ich merkte, dass es beeindruckt klang.
Er lachte kurz über meine Reaktion. »Nicht in dem Sinn. Ich schwöre dir, die sind wie total durchgeknallte Musterknaben. Die fangen keine Prügeleien an, die sorgen für Ordnung.« Er schnaubte. »Da war mal so ein Typ aus dem Makah-Reservat, ein großer Kerl, der einem schon Angst machen konnte. Na, und dann ging das Gerücht um, der würde den Jugendlichen harte Drogen verkaufen, und Sam Uley und seine Jünger haben ihn von unserem Land vertrieben. Sie reden alle von unserem Land und von Stammesstolz und so … einfach lächerlich. Das Schlimmste ist, dass der Rat sie ernst nimmt. Embry sagt, dass sich der Rat sogar mit Sam trifft.« Er schüttelte den Kopf; man sah ihm an, wie sehr ihm das gegen den Strich ging. »Und von Leah Clearwater hat Embry gehört, dass sie sich ›Beschützer‹ oder so nennen.«
Jacob hatte die Hände zu Fäusten geballt, als würde er am liebsten auf irgendwas einschlagen. Von dieser Seite hatte ich ihn noch nicht kennengelernt.
Ich war überrascht, Sam Uleys Namen zu hören. Ich wollte nicht, dass der Name die Bilder des Albtraums wieder heraufbeschwor, deshalb sagte ich schnell: »Du kannst die Typen wohl nicht besonders gut leiden.«
»Ach, merkt man das?«, sagte er sarkastisch.
»Na ja … es klingt aber nicht so, als ob sie irgendwas Schlimmes machten.« Ich wollte ihn besänftigen, damit er wieder fröhlich wurde. »Nur eine ärgerliche Bande von Tugendwächtern.«
»Ja. Ärgerlich ist das richtige Wort. Das sind richtige Angeber – zum Beispiel die Sache auf der Klippe vorhin. Sie benehmen sich wie … ich weiß nicht. Wie knallharte Typen. Vor einigen Monaten war ich mal mit Embry und Quil im Laden, und da kam Sam mit seinen Jüngern vorbei, Jared und Paul. Quil machte irgendeine Bemerkung, du weißt ja, er hat eine große Klappe, und Paul wurde stocksauer. Seine Augen wurden ganz dunkel und er lächelte irgendwie sonderbar – nein, er lächelte nicht, er zeigte nur die Zähne, und er hat vor Wut richtig gezittert. Aber da hat Sam Paul eine Hand auf die Brust gelegt und den Kopf geschüttelt. Paul sah ihn einen Augenblick an, dann hat er sich wieder beruhigt. Im Ernst, es war, als hätte Sam ihn zurückgehalten – als hätte Paul uns sonst in Stücke gerissen.« Er stöhnte. »Wie in einem schlechten Western. Du kennst ja Sam, der ist ziemlich groß und kräftig und immerhin schon zwanzig. Aber Paul ist auch erst sechzehn, kleiner als ich und nicht so bullig wie Quil. Ich glaub, jeder von uns hätte es mit dem aufnehmen können.«
»Knallharte Typen eben«, sagte ich zustimmend. Ich sah die Szene vor mir, die er beschrieb, und fühlte mich an etwas erinnert … drei große, dunkle Männer, die im Wohnzimmer meines Vaters ganz still und nah beieinanderstanden. Das Bild lag auf der Seite, weil ich auf dem Sofa lag, während Dr. Gerandy und Charlie sich über mich beugten … War das Sams Gang gewesen?
Um mich von den düsteren Erinnerungen abzulenken, fragte ich schnell: »Ist Sam für so was nicht schon zu alt?«
»Doch. Eigentlich sollte er längst aufs College gehen, aber er ist hiergeblieben. Und keiner hat ihn deswegen auch nur zur Rede gestellt. Als meine Schwester ein Teilstipendium abgelehnt hat, um stattdessen zu heiraten, sind im Rat alle ausgerastet. Aber nein, Sam Uley ist unfehlbar.«
Eine Empörung, die ich an ihm nicht kannte, spiegelte sich in seinem Gesicht – Empörung und noch etwas anderes, das ich nicht gleich einordnen konnte.
»Das klingt ja alles echt ärgerlich und … merkwürdig. Aber ich versteh nicht, warum du das so persönlich nimmst.« Vorsichtig schaute ich ihn an und hoffte, dass er sich nicht angegriffen fühlte. Er war plötzlich ganz ruhig und starrte zum Fenster hinaus.
»Du hast gerade die Abzweigung verpasst«, sagte er ruhig.
Ich wendete mitten auf der Straße, geriet dabei von der Fahrbahn ab und wäre fast gegen einen Baum gefahren.
»Danke für die Warnung«, murmelte ich, als ich in den Seitenweg einbog.
»’tschuldigung, hab nicht aufgepasst.«
Eine Weile blieb es still.
»Hier kannst du irgendwo halten«, sagte er leise.
Ich fuhr an den Rand und schaltete den Motor aus. Es war so still, dass mir die Ohren klangen. Wir stiegen beide aus und Jacob ging nach hinten, um die Motorräder herunterzuheben. Ich versuchte seine Miene zu deuten. Da war noch etwas, was ihn bedrückte. Ich hatte einen Nerv getroffen.
Als er das rote Motorrad zu mir schob, lächelte er halbherzig. »Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Bist du bereit?«
»Ich glaub schon.« Als mir klarwurde, dass ich gleich auf dem Motorrad sitzen würde, sah es plötzlich ziemlich beeindruckend, geradezu beängstigend aus.
»Wir gehen es langsam an«, versprach er. Behutsam lehnte ich das Motorrad an den Kotflügel des Transporters, während Jacob sein Motorrad herunterhob.
»Jake …« Ich zögerte, als er wiederauftauchte.
»Ja?«
»Was ist das eigentliche Problem? An der Sache mit Sam, meine ich. Da ist doch noch irgendwas.« Ich schaute ihn an. Er verzog das Gesicht, aber er sah nicht wütend aus. Er schaute auf den Boden und trat immer wieder mit dem Fuß gegen das Vorderrad seines Motorrades, als würde er den Takt schlagen.
Er seufzte. »Es ist einfach … wie sie mich behandeln. Das macht mich rasend.« Jetzt sprudelte es aus ihm heraus. »Weißt du, im Rat sind alle gleichberechtigt, aber wenn es einen Anführer gäbe, dann wäre es mein Vater. Ich hab nie genau verstanden, wieso die Leute ihn so behandeln. Wieso seine Meinung immer am meisten zählt. Es hat wohl mit seinem Vater und dem Vater seines Vaters zu tun. Mein Urgroßvater, Ephraim Black, war sozusagen unser letzter Häuptling, und vielleicht hören sie deswegen besonders auf Billy. Aber ich bin genau wie alle anderen. Keiner hat mich je behandelt, als wäre ich etwas Besonderes … bis jetzt.«
Das überraschte mich. »Sam behandelt dich, als wärst du etwas Besonderes?«
»Ja«, sagte er. Er sah beunruhigt aus. »Er guckt mich an, als ob er auf irgendwas wartet … als sollte ich eines Tages bei seiner idiotischen Gang mitmachen. Er beachtet mich mehr als alle anderen. Es ist grässlich.«
»Du brauchst nirgendwo mitzumachen«, sagte ich aufgebracht. Jacob wirkte richtig mitgenommen, und das machte mich wütend. Wofür hielten sich diese »Beschützer«?
»Klar.« Er trat immer noch gegen den Reifen.
»Und was noch?« Ich merkte, dass das nicht alles war.
Er zog die Augenbrauen zusammen, und seine Miene war jetzt eher traurig und sorgenvoll als wütend. »Es ist wegen Embry. Er geht mir in letzter Zeit aus dem Weg.«
Ich fragte mich, was das mit der anderen Sache zu tun hatte. Und dann überlegte ich, ob ich daran schuld war, dass er Probleme mit Embry hatte. »Du warst ziemlich viel mit mir zusammen«, sagte ich und hatte fast ein schlechtes Gewissen deswegen. Ich hatte ihn ganz schön vereinnahmt.
»Das hat damit nichts zu tun. Er meidet nicht nur mich, sondern auch Quil und alle anderen. Embry war eine Woche nicht in der Schule, aber wenn wir ihn zu Hause besuchen wollten, war er nie da. Und als er wiederauftauchte, sah er … total verängstigt aus. Zu Tode erschrocken. Quil und ich haben versucht, aus ihm rauszukriegen, was los ist, aber er wollte nicht mit uns reden.«
Ich starrte Jacob an und biss mir nervös auf die Lippe – er hatte wirklich Angst. Er sah mich nicht an, sondern schaute auf seinen Fuß, der wie von selbst gegen den Reifen trat, als würde er nicht zu ihm gehören. Er trat immer schneller.
»Und diese Woche hing Embry urplötzlich mit Sam und den anderen rum. Die Jungs heute auf der Klippe, da war er dabei.« Jacob sprach leise und angespannt.
Endlich sah er mich an. »Bella, Embry sind die Typen noch mehr auf den Geist gegangen als mir. Er wollte absolut nichts mit denen zu tun haben. Und jetzt folgt er Sam, als wäre er einer Sekte beigetreten. Und genauso war es mit Paul. Genau dasselbe. Er war überhaupt nicht mit Sam befreundet. Dann ist er ein paar Wochen nicht in der Schule aufgetaucht, und als er wiederkam, hatte Sam ihn plötzlich total vereinnahmt. Ich weiß nicht, was das soll. Ich verstehe es nicht, und ich hab das Gefühl, ich müsste es verstehen, weil Embry mein Freund ist und … Sam mich so komisch anguckt … und …« Er verstummte.
»Hast du mal mit Billy darüber geredet?«, fragte ich. Seine Angst übertrug sich langsam auf mich. Meine Nackenhaare hatten sich aufgestellt.
Jetzt sah er wütend aus. »Ja«, schnaubte er. »Der war mir eine große Hilfe.«
»Was hat er gesagt?«
Jacobs Gesicht nahm einen sarkastischen Ausdruck an, und er imitierte die tiefe Stimme seines Vaters, als er sagte: »Mach dir deswegen jetzt keine Sorgen, Jacob. In einigen Jahren vielleicht, wenn du nicht … aber das erkläre ich dir später.« Dann sprach er mit seiner normalen Stimme weiter. »Und was will er mir damit sagen? Dass das Ganze irgendein alberner Initiationsritus ist? Aber es ist was anderes. Was Gefährliches.«
Er biss sich auf die Lippe und ballte die Hände. Er sah aus, als könnte er jeden Moment losheulen.
Unwillkürlich schlang ich die Arme um ihn und drückte mein Gesicht an seine Brust. Er war so groß, dass ich mir vorkam wie ein Kind, das einen Erwachsenen umarmt.
»Ach, Jake, das wird schon wieder!«, sagte ich. »Wenn es schlimmer wird, ziehst du einfach zu Charlie und mir. Hab keine Angst, wir finden bestimmt eine Lösung!«
Einen Augenblick war er wie erstarrt, dann erwiderte er zögernd meine Umarmung. »Danke, Bella.« Seine Stimme war rauer als sonst.
Wir standen eine Weile so da, und die Berührung brachte mich nicht durcheinander, im Gegenteil, sie hatte etwas Beruhigendes. Als mich das letzte Mal jemand so umarmt hatte, war das ein ganz anderes Gefühl gewesen. Das hier war Freundschaft. Und Jacob fühlte sich sehr warm an.
Es war ungewohnt für mich, einem anderen Menschen so nah zu sein – sowohl gefühlsmäßig als auch körperlich. Normalerweise ließ ich mich nicht so schnell auf andere ein.
Jedenfalls nicht auf Menschen.
»Wenn du immer so reagierst, raste ich gern öfter mal aus.« Jetzt war Jacobs Stimme wieder so leicht wie normalerweise, und sein Lachen dröhnte mir ins Ohr. Sanft und vorsichtig berührte er mit den Fingern mein Haar.
Also, für mich war es Freundschaft.
Schnell machte ich mich los und stimmte in sein Lachen ein, war jedoch entschlossen, die Dinge sofort wieder zurechtzurücken.
»Kaum zu glauben, dass ich zwei Jahre älter bin als du«, sagte ich mit Betonung auf älter. »Neben dir komme ich mir vor wie ein Zwerg.« Wenn wir so nah beieinanderstanden, musste ich mir fast den Hals verrenken, um ihn anzuschauen.
»Du vergisst, dass ich in den Vierzigern bin.«
»Ach ja, stimmt ja.«
Er tätschelte mir den Kopf. »Du bist wie eine kleine Puppe«, sagte er neckend. »Eine Porzellanpuppe.«
Ich verdrehte die Augen und ging noch einen Schritt zurück. »Jetzt komm mir nicht noch mit irgendwelchen Albinosprüchen.«
»Im Ernst, Bella, bist du dir sicher, dass du keiner bist?« Er hielt seinen rostbraunen Arm neben meinen. Der Kontrast war nicht gerade schmeichelhaft. »Ich hab noch nie jemanden gesehen, der so blass ist wie du … na ja, außer …« Er sprach nicht weiter. Ich schaute weg und versuchte, nicht zu verstehen, was er hatte sagen wollen.
»Wollen wir jetzt Motorrad fahren oder was?«
»Ja«, sagte ich mit größerer Begeisterung, als ich noch einen Moment zuvor aufgebracht hätte. Der Satz, den er nicht beendet hatte, erinnerte mich wieder daran, weshalb ich eigentlich hier war.