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Der folgende Abend drohte, ein wahres Desaster zu werden. Hätte Luc den Maskenball bei der Gräfin von Cork irgendwie umgehen können, dann hätte er das mit Sicherheit auch getan. Aber der alte Drache war eine langjährige Freundin der Familie. Somit war Lucs Erscheinen auf ihrem Maskenball quasi seine unumgängliche Pflicht. Und es gab auch kein noch so überzeugendes Argument, mit dem Luc Amelia davon abhalten konnte, selbstverständlich ebenfalls zu diesem Ball zu erscheinen. Denn sie machte sich, was diesen Abend anbelangte, bereits große Hoffnungen - und ließ keine Gelegenheit aus, dies auch immer wieder zu betonen.

Während Luc also mit der frohgemuten, maskierten und sorgsam unter einem Umhang versteckten Amelia die Treppe zum Herrenhaus der Corks hinaufstieg, stellte er im Stillen mit Unbehagen fest, welche Ironie doch in dieser ganzen Situation lag. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so hin und her gerissen gefühlt zwischen Widerwillen gegen den Ball und dem Wunsch nach einigen intimen Minuten mit Amelia. Aber zumindest würden ihre beiden Mütter und deren Freundinnen nicht auch noch erscheinen. Denn der heutige Abend war in erster Linie für Lucs und Amelias Generation gedacht, und vielleicht noch für jene, die sogar noch ein wenig jünger waren, aber bereits einen ähnlichen Status für sich beanspruchten.

Luc reichte dem Butler ihre Einladungen und führte Amelia mitten in die Menge hinein, die sich bereits in der Eingangshalle Ihrer Gnaden versammelt hatte. Hier drängten sich alle die, denen Vergnügungen dieser Art noch neu waren. Maskiert und allesamt in identische Dominos gekleidet, sahen sie sich verunsichert um und versuchten, unter den vielen fremden Gestalten ihre Freunde und Bekannten auszumachen. Die Hand fest in Amelias Rücken gelegt, schob Luc sie immer weiter.

»In den Ballsaal«, flüsterte er, als Amelia zögerte und ihn fragend anblickte. »Da dürfte es hoffentlich noch nicht ganz so voll sein.«

Zwischenzeitlich musste Luc sich zwar vor Amelia schieben und ihnen beiden mit seinen Schultern einen Weg durch die Menge bahnen, doch seine Vorhersage erwies sich als korrekt: Im Ballsaal war immerhin noch so viel Platz, dass man wieder frei atmen konnte.

»Ich hatte ja keine Ahnung, dass das hier solch ein Auflauf werden würde. Nicht jetzt, wo die Saison doch fast schon wieder vorbei ist.« Amelia stellte sich auf die Zehenspitzen, reckte den Hals und versuchte, sich in dem Getümmel zu orientieren.

»Aber entweder, man tritt sich auf einem Maskenball fast auf die Füße, oder es ist zum Gähnen langweilig.«

Amelia schaute Luc an. »Du meinst, weil es sonst zu einfach wäre, zu erraten, wer sich hinter den Masken verbirgt?«

Er nickte knapp und ergriff Amelias Arm. Zumindest sie würde man trotz der wahren Heerscharen von Gästen ohne größere Schwierigkeiten wiedererkennen können. Denn die kornblumenblauen, weit aufgerissenen Augen, die erstaunt hinter ihrer Gesichtsmaske hervorlugten, waren unverwechselbar; zumal, wenn man diese dann auch noch zusammen mit den goldenen Locken erblickte, die unter der Kapuze ihres Dominos hervorblitzten.

»Warte mal, bitte.« Luc blieb stehen und zog besagte Kapuze noch ein wenig tiefer, damit diese Amelias Haar und ihr Gesicht besser verbargen.

Amelia sah zu ihm auf. »Aber es ist doch im Grunde vollkommen egal, wenn die Leute wissen, wer ich bin. Ich habe meinen Partner für den heutigen Abend doch schon gefunden.«

Sicherlich, das stimmte, jedoch... »Trotzdem wäre es klüger, wenn wir nicht unnötig viel Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Denn wenn ich da an die Hoffnungen denke, die du dir für diesen Abend zweifellos bereits gemacht hast...«

Amelia trug eine Halbmaske; dennoch konnte Luc beobachten, wie langsam ein Ausdruck der Erkenntnis auf ihren Zügen erschien. Dann, mit einem verführerischen Lächeln auf den Lippen, nickte sie schließlich. »Was das betrifft, muss ich mich natürlich deiner Weitsicht und deinem reichen Schatz an Erfahrungen beugen.«

Damit legte sie eine Hand auf seinen Arm, trat neben ihn - und nahm genau die Position ein, die Luc nun auch von ihr erwartete. Und sogleich durchströmte ihn ein überaus wohliges Gefühl - wie immer, wenn Amelia bei ihm war, wenn sie neben ihm stand und ihre Hand auf seinem Arm ruhte. Er unterdrückte einen Seufzer und willigte ein, durch den Ballsaal zu schlendern.

Normalerweise hätte er nun schon einmal unauffällig den Blick durch die Räumlichkeiten schweifen lassen, um nach kleineren Nischen zu suchen, in die er die Dame, die im Moment noch so sittsam neben ihm herging, entführen konnte - um sich mit ihr gewissen intimeren Vergnügungen hingeben zu können. An diesem Abend aber, und mit ebenjener Dame an seinem Arm, die im Augenblick den Großteil seiner Aufmerksamkeit für sich beanspruchte, sorgte er sich eher darum, ob er es schaffen würde, besagte intime Vergnügungen zu umgehen - das heißt, sofern dies überhaupt irgendwie möglich sein sollte.

»Amelia.« Es wurde Zeit, dass er die Zügel wieder etwas fester in die Hand nahm. Und seine Amelia in eine andere Richtung dirigierte. »Ich weiß, du siehst das natürlich ganz anders. Aber ich sage dir, wir gehen noch immer viel zu schnell voran. Wir rasen unseren... privaten kleinen Weg ja geradezu hinunter.«

Es dauerte einen kurzen Moment, ehe Amelia zu ihm aufsah, das Kinn bereits wieder leicht störrisch vorgeschoben. »Du willst mir jetzt doch wohl hoffentlich nicht vorschlagen, dass wir uns wieder rückwärts bewegen sollen?«

»Nein.« Denn er wusste, dass sie das niemals akzeptieren würde. »Aber...« Wie sollte er ihr jetzt erklären, dass die Anzahl der Tempel, die vor dem eigentlichen Akt lagen, nun, sagen wir, eben auch nicht mehr unbegrenzt war? Zumindest dann, wenn Luc nicht vorzeitig den Verstand verlieren wollte. Und natürlich wusste er auch, dass er ihr erst vor kurzem noch etwas vollkommen anderes erzählt hatte. Aber... »Bitte glaub mir. Es gibt wirklich nicht mehr viel auf unserem Wege, das wir nicht schon gesehen hätten. Wenigstens fürs Erste.«

Zu Lucs Überraschung verzichtete Amelia ausnahmsweise einmal darauf, nun mit steifem Rücken und grimmig blitzendem Blick ein Streitgespräch mit ihm anzufangen. Stattdessen blieb sie lediglich ruhig stehen und sah ihn an. Sie schaute zu ihm auf; dann lächelte sie. Eines jener Lächeln, die sämtliche seiner Instinkte sofort in höchste Alarmbereitschaft versetzten. Dann trat sie noch ein wenig dichter an ihn heran, sodass sie sich miteinander unterhalten konnten, ohne dass andere sie womöglich belauschten.

»Du erklärst mir also gerade, dass der Zeitpunkt für meine endgültige Verführung noch nicht gekommen ist?«

Luc spürte, wie seine Gesichtszüge starr wurden. Den Blick fest in ihre Augen gerichtet, dachte er zunächst noch einmal gründlich nach, ehe er seinen Standpunkt abermals bekräftigte. »Richtig. Fürs Erste ist dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen.«

Amelias Lächeln wurde noch eine Spur breiter. Und sie trat noch ein bisschen dichter auf ihn zu. Dann hob sie die Hand und legte zart einen Finger an seine Wange. »Hör doch bitte endlich mal auf, immer so ehrbar zu sein.« Sie sprach bewusst nur mit leiser, tiefer Stimme - der Stimme einer Sirene. »Denn ich bin nun wirklich bereit, mich endlich verführen zu lassen. Von dir.« Sie schaute ihm aufmerksam in die Augen, dann legte sie fragend den Kopf schief. »Oder ist es etwa deshalb, weil du mich schon so lange kennst?«

Die Versuchung, nun einfach mit »Ja« zu antworten, war groß. Die Versuchung, als Begründung ihre langjährige Bekanntschaft vorzuschieben und auf Amelias Mitgefühl zu hoffen.

»Nein, es hat nichts damit zu tun, wie lange ich dich nun schon kenne.« Luc spie die Worte geradezu aus, doch Amelia nahm daran keinerlei Anstoß, sondern wartete stattdessen einfach nur ab, sah ihm weiterhin fest in die Augen und hob in leicht fragender Geste die Brauen.

Sie hatte ihre Hand mittlerweile bis zu seiner Brust hinabgleiten lassen. Und sie stand so dicht vor ihm, dass sie fast schon in seinen Armen lag. Ein rascher Blick auf seine Umgebung versicherte Luc, dass seine Instinkte, die Instinkte eines Eroberers, trotz seiner Verwirrung noch immer ordnungsgemäß zu funktionieren schienen. Sie befanden sich am Ende des Ballsaales in einem dunklen kleinen Alkoven; genau an jener Stelle, wo ein schmaler Gang in den Hauptraum des Erdgeschosses führte. Es schien unter den gegebenen Umständen also nur normal, wenn er die Arme um sie legte und sie fest an sich drückte.

Unterdessen stoben die Gedanken in seinem Kopf wild durcheinander. Er versuchte verzweifelt, eine vernünftige Begründung dafür zu formulieren, warum er ihre Verführung noch ein Weilchen aufschieben müsste - eine Begründung, die Amelia auch als solche akzeptieren würde. Luc brauchte einfach noch etwas Zeit, um sich darüber klar zu werden, was besagte Verführung für ihn bedeutete. Oder besser: Was sie ihm bedeuten würde, wenn der Augenblick denn endlich gekommen wäre. »Es ist doch nun erst gerade mal zehn Tage her, seit ich dir ganz offiziell den Hof mache. Eine... ausgewachsene Verführung wäre also wohl wirklich noch ein wenig übereilt.«

Amelia lachte und lehnte sich gegen seine Brust, das Gesicht zu ihm emporgewandt. »Aber warum denn? Wie lange nimmst du dir denn normalerweise Zeit, ehe du eine Dame ins Bett lockst?«

»Das ist jetzt eindeutig nicht der entscheidende Punkt.«

»Du hast Recht.« Ihre sanft lächelnden Augen blieben weiterhin fest auf ihn gerichtet. »Aber wer würde es denn schon erfahren, wenn wir uns endlich einander hingeben? Ich werde sicherlich nicht gleich hektische rote Flecken bekommen oder mich in ein albernes, wild daherplapperndes Ding verwandeln oder sonst irgendetwas Dummes tun, das die anderen darauf aufmerksam machen könnte, was zwischen uns beiden vorgegangen ist.«

Doch Luc machte sich gar keine Sorgen darum, dass Amelia sich womöglich verändern könnte. Nein, er sorgte sich, dass womöglich er derjenige war, der sich verändern würde. Er sorgte sich um den eventuellen Kontrollverlust, darum, dass er noch immer nicht verstand, was genau ihm diese Intimität mit Amelia nun eigentlich bedeutete, und nicht zuletzt quälte ihn auch der Gedanke an das nur allzu primitive Verlangen, das Amelia regelmäßig in ihm zu erwecken wusste. Und genau jenes Verlangen brachte ihn ja bereits in diesem Augenblick und auf einem öffentlichen Ball fast schon zum Erliegen; brachte ihn dazu, Amelias Plänen lieber jetzt als gleich zustimmen zu wollen. Luc spürte das dringende Verlangen danach, Amelia endlich unter sich zu fühlen. Er wollte sehen, wie sie sich ihm hingab - er wollte sie.

Und doch war dieses Gefühl so ganz anders als alle anderen Empfindungen, die er jemals für eine Frau gehabt hatte. Diese Emotionen, die Amelia in ihm wachrief, waren um ein Vielfaches stärker, um ein Vielfaches bezwingender. Das Begehren, das ihn in Amelias Arme trieb, hatte eine Macht über ihn, wie noch kein Verlangen ihn jemals hatte befehligen können.

Er schaute Amelia in die Augen. »Glaub mir, wir müssen deine endgültige Verführung noch mindestens weitere zehn Tage aufschieben.«

Sie lauschte seinen Worten. Noch genauer aber achtete sie auf seinen Ton. Luc sprach hart und skrupellos - seine Stimme klang höchst entschlossen. Dennoch hatte er immerhin über das Thema gesprochen, und er hatte nicht versucht, sie mit diktatorischer Geste einfach zum Einlenken zu zwingen. Obwohl genau dieses Verhalten, das Befehlen, die übliche Art und Weise war, wie er mit Frauen umzugehen pflegte. Dessen war Amelia sich wohl bewusst. Aber seine Sichtweise zu erklären, selbst wenn dies nur in so bescheidenem Ausmaß geschah wie gerade eben - das war, wie gesagt, für gewöhnlich eben nicht seine Art. Was wiederum auch nur wenig überraschend war, wenn man bedachte, wie wenig Übung er darin erst besaß. Und dennoch hatte er es versucht. Er hatte sich darum bemüht, sie von der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit zu überzeugen, statt einfach nur darauf zu bestehen, dass Amelia sich seinen Bedingungen fügte.

Also behielt sie ihr freundliches Lächeln bei und sah ihn weiterhin aufmerksam an. »Das hieße dann ja noch über eine Woche?« Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, glaubte nicht, dass es noch so lange dauern würde. Nach ihren letzten Intermezzi zu urteilen, besonders jenem in Georginas Obstgarten und diesem unerwartet verräterischen Kuss auf dem Rückweg zu deren Villa, war Amelia guten Mutes gewesen, dass die Dinge zwischen ihr und Luc sich letztendlich doch noch genauso entwickeln würden, wie sie es sich von Anfang an erhofft hatte. Wie sie es sich erträumt hatte. Denn er sah sie doch ganz eindeutig als Frau - als eine Frau, die er bereits glühend begehrte. Und doch verband sie beide mehr als das, etwas, was deutlich tiefer ging.

Denn er war bereits der perfekte zukünftige und liebende Ehemann. Genau genommen füllte er diese Rolle sogar schon weitaus besser aus, als Amelia in diesem frühen Stadium jemals von ihm erwartet hätte. Was wiederum nahelegte, dass sie seine gegenwärtige Unentschlossenheit am besten mit ein wenig mehr Großmut behandeln sollte.

Sie legte also noch etwas mehr Wärme in ihr Lächeln, hob die Arme und schlang sie um seinen Hals. »Also gut. Ganz wie du wünschst.«

Misstrauen blitzte in seinen dunklen Augen auf, sodass Amelias Grinsen schließlich unwillkürlich nur noch umso breiter wurde. Sie zog seinen Kopf zu sich herab, bis seine Lippen dicht an den ihren lagen. »Fürs Erste überlassen wir es den Dingen einfach selbst, wie sie sich entwickeln.«

Ihre Münder berührten sich, besiegelten ihre Absprache. Luc konnte sein Glück zunächst kaum glauben. Doch schon bald darauf mischte sich in seine spontane Erleichterung auch schon wieder ein leicht zynischer Skeptizismus, als Amelias und seine Lippen sich nämlich zunächst wieder voneinander lösten und dann fast augenblicklich abermals miteinander verschmolzen - getrieben von ihrem beiderseitigen Verlangen.

Zumal dieses Verlangen keineswegs schwächer wurde, als sie schließlich wieder die Köpfe hoben und sich in einer Art unausgesprochener Übereinkunft auf die Tanzfläche zu den anderen Paaren gesellten, um gemeinsam den ersten Walzer des Abends zu genießen. Und schließlich, während Luc Amelia mit weit ausgreifenden Schritten durch den Saal führte und bis tief ins Innerste hinein spürte, wie sie den Moment genoss, wie sie in dem Gefühl schwelgte, fest von seinen Armen umschlossen zu werden und sich einfach nur von der Musik tragen ließ - nun, spätestens von diesem Moment an betrachtete Luc die Nachgiebigkeit, mit der Amelia sich seinem Plan gefügt hatte, nur noch mit abgrundtiefem Misstrauen.

Das letzte Mal, als er versucht hatte, sich Amelia zu verweigern und das Tempo, mit dem sie ihre Intimität vertieften, drosseln wollte, hatte Amelia einfach die Nase in die Luft gehoben und war davongerauscht, um mit anderen Männern zu flirten. Und ausgerechnet auf einer Maskerade erstreckten sich die Möglichkeiten des Flirtens mit anderen Gentlemen ja naturgemäß geradezu ins Unendliche. Es war also nur gut, dass Amelia bereits fest in seinen Armen lag. Und er würde sie für den Rest des Abends auch nicht mehr loslassen. Denn auf einer Maskerade konnten eventuelle Beobachter ja nur schlecht nachvollziehen, ob eine Dame die Tanzpartner - wie allgemein üblich - stetig wechselte oder ob sie den gesamten Abend nur mit einem einzigen Mann verbrachte. Das war wiederum der Vorteil solcher Bälle.

Im Übrigen haftete Luc nicht umsonst der Ruf des erfahrenen Schwerenöters an, und so fiel es ihm nicht schwer, Amelias Aufmerksamkeit so geschickt zu fesseln, dass sie die anderen Herren an diesem Abend gar nicht erst wahrnahm. Und dabei konzentrierte Luc Amelias Wahrnehmung keineswegs auf seine eigene Person, sondern vielmehr auf die vielen kleinen, verbotenen Gesten, mit denen er ihre Sinne kitzelte. Es war ihm ein Leichtes, Amelia hier und da einmal kurz zu berühren, sie unter ihrem voluminösen Umhang zu liebkosen und ihr, verborgen in den Schatten, den einen oder anderen Kuss zu stehlen.

Und genau darum sah Luc auch nicht die Gefahr, die auf ihn lauerte, als ihrer beider Hunger schließlich so groß wurde, dass sie den Ballsaal und seine nur begrenzten Möglichkeiten verlassen mussten und Luc sich auf die Suche nach einem geeigneten Ort machte, wo sie sich einander noch ein wenig intimer hingeben konnten.

Nein, er nahm die Gefahr tatsächlich überhaupt nicht wahr.

Beinahe schon aus Gewohnheit suchte Luc ihnen ein kleines Arbeitszimmer aus - einen Raum, der so winzig war, dass es wohl keinen der übrigen Gäste dort hineinziehen würde. Und, was noch besser war, die Tür zu diesem Raum besaß auch noch ein Schloss, das Luc natürlich augenblicklich verriegelte. An einer Wand der schmalen Kammer stand ein Tisch, und in der Mitte befand sich ein riesiger Kapitänssessel, vor dem wiederum ein schwarzes Panterfell lag.

Mit einem leisen, kehligen Lachen, aus dem die pure Vorfreude hervorsprudelte, schob Amelia ihre Kapuze in den Nacken und warf die beiden Hälften ihres Umhangs je rechts und links über ihre Schultern zurück. Luc trat an ihr vorbei und ließ sich in den Sessel fallen. Dann riss er sich die Maske ab, warf sie achtlos beiseite und streckte die Arme nach Amelia aus.

In einem wahren Meer aus glatter, raschelnder Seide setzte Amelia sich auf seinen Schoß, schloss begierig beide Hände um sein Gesicht und zog es zu sich herab. Seinen Mund bereits auf den ihren gelegt, zupfte Luc an den Bändern ihres Capes, löste hastig den Knoten und ließ den schweren Umhang schließlich hinuntergleiten, wo er sich zu Amelias Füßen auf dem Boden bauschte. Amelia nahm währenddessen die Halbmaske von ihrem Gesicht und warf sie blindlings in irgendeine Ecke, rückte noch ein wenig näher an Luc heran, ließ sich gegen ihn sinken, die Hände über seine Brust gebreitet, während sie ihn mit ihren Lippen neckte und quälte - ihn eindeutig zu verführen versuchte.

Luc erwiderte ihre Herausforderung begierig, war bereit, ihrer beider Begierde mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu lindern. Schließlich waren sie allein deshalb zu diesem Ball erschienen, um noch etwas mehr Zeit miteinander verbringen zu können; andere Verpflichtungen warteten an diesem Abend ausnahmsweise einmal nicht mehr auf sie.

Luc fuhr mit den Händen über Amelias schlanken Körper, schwelgte in der Berührung ihrer Rundungen, die er - nur er - ganz nach Belieben genießen durfte. Amelia küsste ihn mit unverhohlener Leidenschaft, ermunterte ihn ohne falsche Scham.

Nur zu bald war ihnen beiden regelrecht schwindelig, doch dieses Gefühl rührte nicht von dem Genuss von Lady Corks Champagner her. Ihre Küsse wurden zunehmend intensiver, entwickelten eine geradezu berauschende Wirkung. Amelia wurde immer weicher, nachgiebiger, während Luc im gleichen Maße härter, stürmischer wurde. Er hatte die logische und vollkommen rationale Entscheidung getroffen, dass es nur gerecht war, sie mit Küssen und Liebkosungen zu verwöhnen; es hatte keinen Sinn und war zudem auch gänzlich überflüssig, auf solch simple, harmlose kleine Vergnügen zu verzichten. Zu keinem Zeitpunkt war er auf den Gedanken gekommen, dass Amelia - ganz gleich, wie angestrengt sie es auch versuchen mochte - seine Entschlossenheit, sie nicht zu verführen, zunichte machen könnte.

Und das tat Amelia auch nicht. Er war sich sogar ziemlich sicher, dass sie es noch nicht einmal versuchte.

Denn es war nicht sie, die ihn mit sich zog, sodass sie schließlich beide auf dem Leopardenfell landeten. Und es war auch nicht sie, die dafür sorgte, dass sie bei dem wilden Gerangel unter ihm zu liegen kam und so quasi gefangen war. Als sie dann jedoch so dalag, atemlos, schwindelig vor Erregung und voller prickelnder Erwartung, half sie ihm bereitwillig, indem sie eigenhändig die teuflisch winzigen Verschlüsse ihres Kleideroberteils öffnete, ihre Brüste entblößte und Luc auf diese Weise dazu ermutigte, sie zu bewundern, zu liebkosen und zu kosten, nachdem er hatte erkennen lassen, dass dies sein Begehren war.

Er hatte ihre Brüste ja nun schon bei mehreren Gelegenheiten berührt, hatte sie bewundernd betrachtet, sich an der weichen Haut erfreut, doch bisher hatte Amelia sich ihm nicht von sich aus dargeboten - sondern er hatte sich einfach genommen, was er wollte, und sie hatte nachgegeben.

Vielleicht war es das, diese großartige Geste der Akzeptanz, die den Wandel herbeiführte, die unwiderstehliche, unwiderrufliche Veränderung bei ihrem Austausch von Zärtlichkeiten.

Der plötzliche Umschwung überraschte Luc, erwischte ihn in einem Augenblick, in dem seine Verteidigung zwar nicht vollkommen zum Erliegen gekommen, aber doch zumindest vorübergehend außer Kraft gesetzt war. Noch ehe er auch nur annähernd in der Lage war zu begreifen, noch ehe er die Gefahr auch nur verschwommen erkannte, lagen seine Lippen auch schon auf den ihren, hart und fordernd, lag seine Hand auf ihrer Brust, nicht minder nachdrücklich, war sein Körper erhitzt und hart und drängte sich gegen den ihren, seine Absicht schonungslos offenkundig.

Noch ehe er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, brannten sie alle beide lichterloh.

Für Luc war es nichts Unbekanntes mehr, dieses glühend heiße Feuer der Leidenschaft; er wusste, wie es war, in den brennenden Abgrund zu stürzen und sich darin zu verlieren. Doch obgleich Amelia noch nichts dergleichen erlebt hatte, zeigte sie keine Furcht. Er küsste sie noch wilder, noch stürmischer, noch ausführlicher, als er sie jemals zuvor geküsst hatte, und Amelia erwiderte seine hungrigen Liebkosungen und trieb ihn immer noch mehr an.

Ihre Hände bewegten sich in fieberhafter Ungeduld, fuhren ihm durchs Haar und zerwühlten die seidigen schwarzen Strähnen. Dann stand sein Hemd plötzlich offen, und ihre Hände lagen auf seiner Brust, gruben sich in seine Haut, während er eine ihrer rosigen Brustwarzen zwischen den Fingerspitzen rollte und dann fester und immer fester drückte… bis Amelia stöhnend nach Luft schnappte und sich ihr Körper verlangend unter dem seinen aufbäumte.

Eine schamlose Aufforderung - das heiße Verlangen, das diese Einladung in ihm weckte, primitiv und hemmungslos, erschütterte ihn bis ins Innerste und rüttelte seinen trägen Verstand wach.

Ein kurzer, flüchtiger Augenblick blendender Klarheit war alles, was er davon hatte, doch er genügte, um Luc erkennen zu lassen, dass an ihrer augenblicklichen Situation nicht Amelia schuld war, sondern er. In seinem Herzen, in seinem Innersten wusste er, dass sie längst ihm gehörte - dass er sie nehmen konnte, wann immer er wollte, auch gleich hier, gleich jetzt, wenn es das war, was er wollte.

Und es war in der Tat genau das, was er wollte - wonach es ihn derart heftig verlangte, dass es ihm geradezu körperlichen Schmerz bereitete. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihn seine eigenen Triebe verraten würden, dass er seiner brennenden Begierde plötzlich so vollkommen hilflos ausgeliefert sein würde.

Er konnte Amelia haben, hier und jetzt; doch noch während seine Lippen wieder voller Leidenschaft ihren Mund suchten, noch während er seinen Körper auf dem ihren bewegte, sich aufreizend an ihr rieb, schoss ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf: und was dann? Er war noch nicht dazu bereit, sich damit auseinanderzusetzen - mit diesem quälenden Bedürfnis, diesem Verlangen, das Amelia in ihm weckte, und mit alledem, was womöglich noch daraus entstehen könnte. Er wusste noch nicht genug darüber, um sich sicher fühlen zu können. Und wenn er diesem Verlangen nun aber trotzdem nachgäbe, und sei es auch nur dieses eine Mal, dann würde er durch seine Schwäche womöglich dazu verurteilt... ja, wozu? Er wusste es nicht.

Und solange er dies nicht wusste …

Er war jedoch schon oft genug ein Gefangener der Flammen gewesen, um mittlerweile zu wissen, wie man mit ihnen fertig wurde. Nun, da er die Gefahr erkannt hatte, waren sein Wille und seine Widerstandskraft auch wieder stark genug, um ihn in die Lage zu versetzen, sich aus dem Netz zu befreien, das er mit seinen Künsten gesponnen und in das er sich dann prompt selbst verstrickt hatte.

Das ging aber natürlich nur unter Inkaufnahme von Opfern - und Luc machte sich denn auch sofort daran, dieses Opfer uneingeschränkt zu erbringen.

Amelia wusste, dass sie kurz davor waren, auf den viel beschworenen allerletzten Tempel auf ihrem Weg zuzusteuern. Unter der Schwindel erregenden Hitze und Leidenschaft war ein schier unbezähmbarer Drang erwacht, ein Drang, der sie beide gleichermaßen erfasst hatte, und der sie unaufhaltsam vorwärtstrieb. Amelias Verstand war kaum in der Lage, dieses blinde, primitive Verlangen zu erfassen, und dennoch schien sich ihr Bewusstsein, ihre Wahrnehmung irgendwie erweitert zu haben, erweitert und auch verschärft; ihre Haut war mit einem Mal überempfindlich und dennoch geradezu gierig nach jeder Berührung.

Sie war sich nur zu deutlich bewusst, dass ihr Atem keuchend ging, dass auch Luc schwer und heftig atmete. Es war, als ob ihre Küsse das Einzige waren, was sie noch in dieser Welt verankerte; sie klammerten sich regelrecht daran, küssten einander mit einer Inbrunst, als ob ihr Leben davon abhinge. Und was ihre Körper anbetraf - der ihre war wie dahingeschmolzen, war vollkommen weich und nachgiebig geworden, aller Widerstand restlos verflogen; wohingegen der seine nur noch härter geworden war, ganz so, als ob die stählerne Kraft, die seinen Muskeln normalerweise innewohnte, sich mit steinharter Unnachgiebigkeit vereint hätte.

Heiß, hart und unnachgiebig. Von den Lippen, die hungrig die ihren verschlangen, über die Hand, die ihre nackte Brust knetete, bis hin zu den harten Säulen seiner Beine, die mit den ihren verschlungen waren. Lucs Erektion, ebenso hart und heiß wie der Rest seines Körpers und sogar noch unnachgiebiger, war ein überzeugendes Versprechen all dessen, was, wie Amelia hoffte, nun noch kommen würde.

Als seine Hand von ihrer Brust glitt, über ihre Hüfte streifte und sich dann daranmachte, ihre Röcke zu raffen und hochzuheben, hörte Amelia gänzlich auf zu atmen - gefangen in einer bezwingenden Mischung von Emotionen aus freudiger Erwartung, Erregung und einer schier überwältigenden Sehnsucht.

Es war ein ganz neues Gefühl für sie, diese verzehrende Sehnsucht, denn noch nie zuvor hatte sie das hier wirklich gewollt, noch mit keinem anderen Mann. Mit Luc jedoch sollte es sein, mit ihm sollte es endlich geschehen, daran zweifelte sie nicht eine Sekunde, das wusste sie ganz einfach tief in ihrem Inneren.

Sie spürte den Hauch kühler Luft, der über ihren Körper strich, als Luc sein Gewicht ein wenig verlagerte, ihr die Röcke und das Unterhemd bis zur Taille hochschob und sie dort in einem unordentlichen Wulst liegen ließ. Dann glitt seine Hand augenblicklich an ihren Schenkeln hinauf und zu dem weichen, mit Löckchen bewachsenen Hügel. Seine Zunge stieß tief in ihren Mund hinein, als er ihre Weiblichkeit mit einer Hand umfasste. Der forsche Rhythmus, mit dem seine Zunge vor- und zurückglitt, lenkte Amelia für einen flüchtigen Moment ab - und es war genau dieser Moment, in dem Luc den Eingang zu ihrem Körper öffnete und einen Finger in ihren weichen Schoß hineingleiten ließ.

Ihr Körper, der ihr schon lange nicht mehr gehorchte, reagierte prompt darauf, indem ihre Hüften sich Luc verlangend entgegenhoben. Doch Luc ließ ihre Sinne nicht frei, sondern fesselte sie nur noch stärker mit dem hypnotisierenden Rhythmus seiner Zunge in ihrem Mund, die in genau dem gleichen stetigen, langsamen Rhythmus vor- und zurückglitt wie sein unverfrorener Finger.

Die Hitze in ihrem Inneren wurde mit jeder Sekunde stärker, mit jeder Sekunde intensiver, bis Amelia sich schließlich mit einer jähen Bewegung von Luc lösen musste, um wieder zu Atem zu kommen. Er hob den Kopf, erlaubte ihr, sich zurückzulehnen, keuchend und nach Luft schnappend - und am ganzen Körper bebend vor Erregung.

Nach einem Moment spürte sie, wie er sich auf einen Ellenbogen aufstützte und ein Stück zurückwich. Sie öffnete ihre Lider einen winzigen Spalt breit und schaute hinunter. Und sah, wie er auf die Stelle zwischen ihren nackten Schenkeln hinabblickte, wo sich seine Hand rhythmisch vor- und zurückbewegte. Sein Knie hielt ihre Schenkel gespreizt, und noch während Amelia ihn beobachtete, ließ Luc seinen Blick langsam über ihre Hüften, ihren nackten Bauch, ihre Taille und weiter über den Wulst ihrer hochgeschobenen Röcke bis hinauf zu ihren Brüsten wandern, die noch immer entblößt waren, ihre Knospen fest und spitz aufgerichtet, ihre feine Haut leicht gerötet.

Sein Gesichtsausdruck war hart, gehetzt, seine Züge wirkten kantig, wie gemeißelt, doch sein Blick und die Linie seiner Lippen hatten etwas überraschend Weiches an sich, eine Sanftheit, die Amelia noch nie zuvor bei ihm wahrgenommen hatte. Dann hob er den Blick und schaute in ihr Gesicht, sah ihr unverwandt in die Augen.

Seine Hand zwischen ihren Schenkeln verlagerte sich; langsam, behutsam, schob er seinen Finger noch tiefer in ihren Schoß hinein. Dann liebkoste er sie mit seinem Daumen, ließ ihn wieder und wieder um jene überaus empfindsame Stelle kreisen, die er schon vorher geneckt hatte.

Amelia schnappte stöhnend nach Luft, schloss die Augen, verspannte sich. Dann zwang sie sich, die Augen wieder zu öffnen, zwang ihre schlaffen, kraftlosen Arme, ihr zu gehorchen, als sie nach Luc griff. »Komm zu mir - jetzt!«

Voller Ungeduld packte sie ihn bei den Schultern und versuchte verzweifelt, ihn auf sich herabzuziehen, doch er rührte sich nicht. Nur um seine Lippen zuckte ein leichtes Lächeln. »Noch nicht.« Wieder schaute er hinunter auf die Stelle zwischen ihren Schenkeln, wo seine Hand noch immer ihr aufreizendes Spiel trieb, dann befreite er sich aus Amelias Griff und wich noch ein Stückchen weiter zurück. »Es gibt da noch einen Altar, an dem ich noch nicht meine Andacht verrichtet habe.«

Amelia wusste nicht, was er damit meinte, konnte es sich auch nicht vorstellen, doch als Luc sogleich den Kopf beugte und seine Lippen auf ihren Nabel drückte, hatte sie nicht mehr den nötigen Atem und auch nicht mehr die Neigung, ihn danach zu fragen. Zärtlich zog er eine Spur von kleinen Küssen über ihren Bauch, dann ließ er seine Lippen langsam und Zentimeter für Zentimeter noch tiefer hinunterwandern, ließ fiebrig-heiße Schauer der Erregung über ihre ohnehin schon heiße Haut rieseln.

Seine vollkommen unerwarteten Liebkosungen, die zudem auch noch eindeutig verboten waren, betäubten Amelias Verstand, peinigten ihre Sinne. Doch als er plötzlich seine Hand zwischen ihren Schenkeln hervorzog und seine Lippen auf ihre feuchten Locken drückte, zuckte Amelia zusammen, plötzlich unsicher. »Luc?«

Er gab keine Antwort.

Bei der nächsten Berührung seiner Lippen schrie sie regelrecht auf. »Luc!«

Er kümmerte sich jedoch nicht im Geringsten darum, und innerhalb von Sekunden hatte Amelia jede Hoffnung verloren, ihn noch irgendwie wieder davon abbringen zu können - jede Hoffnung und auch jedes Bedürfnis danach -, hatte sie ihren Verstand, ihre fünf Sinne in einem wilden, reißenden Strudel körperlicher Empfindungen verloren.

Sie hätte sich niemals träumen lassen, dass so etwas überhaupt möglich war, dass ein Mann sie so berühren könnte, an jener gewissen Stelle, geschweige denn, dass er es auch tatsächlich tun würde. Sie hatte sich gewünscht, dass Luc sie lieben, dass er sie zu der seinen machen würde, und genau das tat er ja auch, tat es in jeder Beziehung außer in einer. Und so ergab sie sich schließlich, erlaubte ihm, sie zu nehmen, wie es ihm beliebte, überließ sich seinen wissenden Lippen, seinen geschickten Händen und ließ sich treiben auf der Woge erotischer Wonnen, die er ihr bescherte.

Willenlos, kraftlos, sämtlicher Widerstand wie fortgeweht, ließ sie Luc gewähren, erlaubte sie ihm, sich an ihrem Körper zu laben. Wie bei allen seinen Liebkosungen, so herrschte auch diesmal seine Vorliebe für das Langsame und Bedächtige, das betont Gründliche vor - er nahm sich alles und noch mehr, versetzte Amelia in einen derartigen Taumel sinnlicher Erregung, dass sie befürchtete, nicht mehr atmen zu können, jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. Dann, als sie spüren konnte, wie jenes überwältigend süße Lustgefühl, das sie schon einmal zuvor erlebt hatte, in ihrem Inneren aufwallte und stärker und immer stärker wurde, drauf und dran, sie mit sich fortzureißen - da endlich drang Luc mit seiner Zunge in sie ein, geradezu qualvoll langsam, qualvoll durchtrieben, und ließ Amelia endgültig in den Abgrund der Ekstase stürzen.

Später hielt er sie einfach nur in seinen Armen, und als sie zu protestieren versuchte, küsste er sie intensiv und ließ sie die Essenz ihrer Weiblichkeit auf seiner Zunge und seinen Lippen schmecken.

»Noch nicht«, war das Einzige, was er sagte.

Noch eine Weile später kehrten sie schließlich wieder in den Ballsaal zurück, wo sie auf Lucs Drängen hin einen Walzer miteinander tanzten und dann auf den Moment warteten, in dem sämtliche Ballgäste ihre Masken abnahmen, damit auch alle wissen würden, dass Luc Ashford und Amelia Cynster da waren, jawohl, nämlich im Ballsaal, wo sie von Rechts wegen sein sollten. Danach begleitete er Amelia höchst korrekt nach Hause.


Als Luc am nächsten Morgen in der Upper Brook Street vorsprach, sagte man ihm, dass Amelia mit Reggie auf einen Spaziergang in den Park gegangen sei.

Nur einen ganz kurzen Moment überlegte er, was er nun tun sollte, und entschied sich dann dafür, den beiden zu folgen. Denn er musste mit Amelia sprechen. Allein. Aber am besten in sicherer, also öffentlicher Umgebung.

Luc sah Amelia, noch ehe sie ihn entdeckte. Sie stand mit einer Gruppe von jungen Damen und Gentlemen mitten auf einer der Grünflächen. Luc duckte sich unter einen Baum, halb verdeckt von den dicht belaubten Zweigen, und dachte nach - dachte über Amelia nach, über ihn und darüber, was er nun als Nächstes tun sollte.

Er musste irgendwie noch etwas Zeit schinden; brauchte diese Zeit, um zu lernen und zu begreifen. Um Antworten auf Fragen zu finden, wie zum Beispiel: Seit wann war die Verführung einer Dame eigentlich gleichbedeutend mit der Unterwerfung unter ebendiese Frau? Und, da dies merkwürdigerweise nun einmal so zu sein schien: Welche Konsequenzen hatte das für ihn?

Luc wusste ganz genau, dass die Eroberung einer anderen Frau nicht gleichzeitig seine eigene Niederlage bedeutet hätte, aber bei Amelia... bei Amelia sah es nun einmal leider genauso aus. Und zwar vollkommen unabhängig davon, wie er ihre Situation nun gern definieren wollte; unabhängig davon, was er sich wünschte. Er hatte die halbe Nacht wach gelegen und sich bemüht, sich mit ebendieser Wahrheit abzufinden. Und er hatte versucht zu erahnen, was wohl jenseits dieser Kapitulation noch auf ihn warten mochte.

Das Erste, was ihm dabei vor seinem inneren Auge erschien, war die so genannte Hausparty auf Hightham Hall. Jene Festivität inklusive Übernachtung auf dem Herrensitz der Highthams, an der er, Amelia und natürlich seine Schwestern samt Minerva und Louise fast schon gezwungenermaßen teilnehmen mussten. Ihnen standen somit drei lange, mit einem umfangreichen sommerlichen Unterhaltungsprogramm angefüllte Tage bevor - die schon am nächsten Tag beginnen würden. Eine solche Hausparty war in Lucs gegenwärtiger Lage also so ziemlich das Letzte, was er brauchte.

Stattdessen hätte er dringend noch etwas Zeit benötigt. Zeit, um endlich zu verstehen, warum ausgerechnet er ein solch unbezähmbares Verlangen nach Amelia verspürte, Zeit, um seine Sehnsucht nach ihr zumindest so weit nachvollziehen zu können, dass er irgendwie lernen konnte, damit umzugehen, es zu kontrollieren. Denn sobald er auch nur in Amelias Nähe war, lagen seine Instinkte geradezu miteinander im Krieg. Er wollte Amelia, und zwar jetzt, und doch erahnte Luc auf einer anderen Ebene seines Bewusstseins, dass genau darin, in der sofortigen Erfüllung seines Begehrens, die Gefahr lag. Obgleich nicht Amelia diejenige war, die ihm gefährlich werden würde, sondern die Emotionen, die sie in ihm auslöste - und natürlich die Folgen, die diese dann automatisch nach sich zogen. Noch niemals zuvor in seinem Leben war Luc Gefahr gelaufen, sich von seinen Gefühlen dominieren zu lassen - und dazu, das war sein fester Vorsatz, würde er es auch jetzt nicht kommen lassen.

Und genau deshalb war er ihr nun auch in den Park nachgelaufen - um sie um Gnade zu bitten. Zumindest fürs Erste.

Luc kam in genau dem Augenblick aus seiner Deckung hervorgeschlendert, als die kleine Gruppe sich auflöste. Lady Collins und Mrs. Wilkinson mussten sich beeilen, denn sie waren noch zu einem Mittagessen eingeladen; kaum dass Luc sie begrüßt hatte, mussten sie sich auch schon wieder von ihm verabschieden. Geschickt nutzte er die leichte Unruhe, die der Aufbruch der beiden Damen verursachte, um Amelia zuzunicken und wie beiläufig ihre Hand in Beschlag zu nehmen.

Reggie, der auf der anderen Seite neben Amelia stand, bemerkte die besitzergreifende Geste von Luc zwar durchaus, tat aber so, als hätte er nichts gesehen. Als Lady Collins und ihre Freundin dann davongeeilt waren, zog Reggie mit einer ruckartigen Bewegung seine Weste nach unten und erklärte: »Ich weiß ja nicht, wie es Euch geht, aber ich würde mir jetzt gerne mal ein bisschen die Beine vertreten. Wie wäre es, wenn wir den kleinen Serpentinenpfad entlangwandern?«

Die anderen - Mrs. Wallace, Lady Kilmartin, Lord Humphries und Mr. Johns - begrüßten den Vorschlag. Geschlossen wanderten sie den schmalen Kiesweg entlang, der hinab zum Wasser führte.

Es stellte für Amelia und Luc keine große Schwierigkeit dar, sich langsam immer weiter zurückfallen zu lassen, bis schließlich so viel Platz zwischen der kleinen Gruppe und ihnen war, dass sie sich ohne lästige Zuhörer miteinander unterhalten konnten.

Amelia legte den Kopf auf die Seite und hob fragend eine Braue. »Geh ich recht in der Annahme, dass dir da irgendetwas im Kopf herumspukt?«

Das zarte Lächeln, das über ihre Lippen spielte, und das Glitzern in ihren blauen Augen ließen vermuten, dass Amelia bereits erahnte, woran Luc gerade dachte - woran er von dem Moment an gedacht hatte, als er sie wieder bei sich hatte und diesen weichen, weiblichen Körper neben sich spüren durfte. Doch Luc schob diesen gewissen Gedanken gnadenlos beiseite und erwiderte mit festem Blick in Amelias arglos blickende Augen: »Allerdings.«

Amelia blinzelte überrascht. Noch ehe sie darüber nachgrübeln konnte, was wohl Lucs leichte Verstimmung ausgelöst haben mochte, fuhr er fort: »Die Hausparty in Hightham Hall. Morgen.«

Der erwartungsvolle Schimmer, der sich in ihren Blick stahl, ließ ihn umso schneller weitersprechen: »Da müssen wir uns sehr vorsehen. Ich weiß, woran du nun gerade denkst, aber in einem so überfüllten und mit Gästen vollgestopften Haus lauern überall Gefahren. Auch wenn das zunächst vielleicht ganz anders aussehen mag.«

Den Kopf leicht zur Seite geneigt, hörte Amelia ihm aufmerksam zu, den Blick weiterhin fest in sein Gesicht gerichtet. Dann schaute sie wieder nach vorn. »Und ich hatte gedacht, dass die Einladung zu der Gesellschaft auf Hightham Hall eine Fügung des Himmels wäre. Ich meine, das spielt uns doch geradezu in die Hände, führt genau in die Richtung, in die wir uns sowieso schon orientiert hatten.« Sie sah ihn an. »Und du willst mir jetzt weismachen, dass ich das alles vollkommen falsch sehe?«

Er nickte. Denn irgendwie musste er sie ja nun davon überzeugen, dass Amelia die Annehmlichkeiten, die diese groß angelegte Feierlichkeit ihnen bot, bitte nicht dazu ausnutzen durfte, ihm noch näherzukommen - ihn zu verlocken und schließlich endgültig zu verführen. Aber genau das, so sagte Lucs Instinkt ihm mit absoluter Gewissheit, würde Amelia versuchen. Sein Ziel war es also, diese Annäherungen mit allen Mitteln zu unterbinden - aus Angst, dass Amelia damit schließlich doch noch den beabsichtigten Erfolg haben könnte. »Sicherlich, das Ganze scheint wie für uns geschaffen, da gebe ich dir uneingeschränkt Recht, aber -«

Die anderen schlenderten immer weiter; zum Glück war der Serpentinenpfad ein recht langer Weg. Amelia biss sich also im Stillen auf die Zunge und hörte Luc geduldig weiter zu, was dieser ihr zu sagen hatte. Im Übrigen hätte wohl jeder, der Luc auch nur ansatzweise kannte, sofort begriffen, dass seine weitschweifigen Begründungen in Wahrheit doch bloß ein Haufen nervöser Ausreden waren. Und so etwas von ihm zu hören - nun, das war schon überaus erstaunlich.

»Ich kann dir also garantieren, dass wir riskieren, dass die ganze Sache im Endeffekt wesentlich weniger befriedigend für dich wird, als du dir jetzt vielleicht noch ausmalen magst.« Er schaute sie an, sah, wie sie zweifelnd die Brauen hob. Im Geiste ließ Luc seine Worte noch einmal Revue passieren, dann fügte er hastig hinzu: »Selbstverständlich nicht in dem Sinne, was den unmittelbaren Genuss betrifft, aber -«

Mittlerweile war nun wirklich glasklar, dass Luc die anstehenden Feierlichkeiten nicht dazu nutzen wollte, um gemeinsam mit Amelia endlich auch den letzten Schritt in ihrer noch jungen Beziehung zu wagen; jenen Schritt, der irgendwann ganz einfach der nächste Schritt sein musste. Nur, warum Luc dies nicht wollte, das war weniger klar.

Amelia ließ ihn reden, unterbrach ihn nicht ein einziges Mal, wollte verstehen, was ihn bewegte. Denn die ganze Situation, seine Reaktion, war so vollkommen anders als das, was sie von ihm erwartet hatte und was sie, da sie ihn ja nun immerhin schon gut genug kannte, wohl auch erwarten durfte. Amelia war mehr verblüfft als verärgert. Das hier war der Mann, den sie heiraten wollte. Und genau dieser Mann schien nun wesentlich vielschichtiger zu sein, als sie jemals für möglich gehalten hatte. Sie sollte also besser Acht geben, was Luc vielleicht sonst noch für Überraschungen für sie bereithielt.

»Folglich müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, dass alles, was auch nur zu den leisesten Gerüchten führen könnte, die dann wiederum deinen Namen beschmutzen, um jeden Preis vermieden werden muss.«

Luc klang so wichtigtuerisch, dass Amelia sich sehr beherrschen musste, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Sie waren am Ende des Serpentinenweges angelangt; die anderen waren bereits wieder auf dem Rückweg in Richtung der Rasenanlagen. Luc blieb stehen und zog Amelia zu sich herum. Fragend blickte er sie an. »Das verstehst du doch, nicht wahr?«

Aufmerksam musterte Amelia seine dunklen Augen und erkannte, dass er sich in der Tat ehrliche Sorgen machte. Aber worüber er sich sorgte, das konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen. In jedem Fall aber wusste sie, wie sie am besten auf diesen kummervollen Blick reagieren musste. Sie lächelte beruhigend und erwiderte: »Aber du weißt doch ganz genau, dass ich niemals etwas tun würde, das meinen Namen in den Schmutz ziehen könnte.«

Luc dagegen war sich nicht so sicher, ob Amelia tatsächlich stets und unter allen Umständen darauf bedacht war, ihren guten Ruf zu wahren. Er konnte ihr noch nicht ganz glauben, und skeptisch blickte er ihr in die Augen, hoffte, dort die Bestätigung dafür zu finden, dass Amelia wirklich meinte, was sie sagte. Ihr Lächeln wurde noch eine Spur herzlicher. Dann klopfte sie ihm beruhigend auf den Arm und deutete mit einem knappen Nicken zu dem Pfad hinüber. »Und jetzt führst du mich besser wieder zu den anderen zurück, ehe Reggie sich noch fragt, ob es wirklich so eine gute Idee von ihm war, uns ein bisschen Ungestörtheit zu verschaffen.«


Auf Befehl ihrer beiden Mütter wurde die Abfahrtszeit für die kleine Reisegesellschaft auf neun Uhr am kommenden Morgen festgelegt. Nur Reggies Mutter fühlte sich nicht so recht wohl, sodass ihr Sohn wieder einmal mit den Ashfords und Cynsters reiste - für Lucs Geschmack allerdings blieb ihm damit noch immer viel zu wenig männliche Unterstützung, um diese wahre Horde von weiblichen Verwandten und Bekannten zu beaufsichtigen. Denn jede Einzelne von ihnen konnte Reggie doch mit Leichtigkeit um den kleinen Finger wickeln.

Gemeinsam mit Reggie stand Luc nun also auf dem Bürgersteig vor dem Haus und beobachtete resigniert, wie die Achsen der beiden Reisekutschen sich immer tiefer neigten, während ein Koffer nach dem anderen zu dem ohnehin schon ansehnlichen Gepäckberg auf dem Dach hinzugefügt wurde.

»Ich will verdammt sein, wenn die auch nur die Hälfte von all dem Zeug, das sie da mitschleppen, anziehen«, murmelte Reggie und warf dann einen Blick auf die vier Pferde, die vor das Gefährt der Cynsters gespannt waren; jene Kutsche, die vor etwa fünfzehn Minuten eingetroffen war und in der bereits die schwere Last von Amelias und Louises Truhen und Köfferchen ruhte. »Hoffen wir also, dass die Tiere das auch wirklich alles ziehen können.«

Luc schnaubte verächtlich. »Nun, darum mache ich mir, ehrlich gesagt, weniger Gedanken.« Denn sowohl in seinem als auch in dem Stall der Cynsters befanden sich nur die kräftigsten und sorgfältigst gepflegten Pferde. »Aber dadurch wird unsere Reise mindestens eine Stunde länger dauern.« Hightham Hall lag in Surrey am Ufer des Wey.

Reggie beobachtete argwöhnisch, wie ein Lakai eine weitere mit schmalen Eisenbändern beschlagene Truhe zum Kutscher der Ashfords hinaufreichte. »Vorausgesetzt, wir kommen da überhaupt irgendwann an.«

Geschäftiges Treiben lenkte ihrer beider Aufmerksamkeit dann zur Eingangstür von Lucs Stadthaus hinüber, aus dem Lucs Schwestern und - wie üblich - natürlich auch deren Freundin Fiona aufgeregt plaudernd die Treppe herabgestürmt kamen. Hinter ihnen entdeckte Luc Cottsloe, und ein einziger Blick genügte, damit dieser sofort wieder ins Haus zurückeilte, um die Beladung von Lucs Karriole weiter voranzutreiben.

Reggie zählte gerade die Mitfahrenden, als Luc ihm mitteilte, dass er und Amelia allein fahren würden. Überrascht blicke Reggie ihn an: »Das wundert mich jetzt aber wirklich, dass ihr nicht mit uns anderen fahren wollt - ich meine, es ist doch genug Platz da.«

Luc blickte ihm fest in die Augen. »Du hast vergessen, die Dienstmädchen mitzuzählen.«

Reggie blinzelte, dann stöhnte er leise auf.

Unterdessen schritt Amelia gelassen hinter ihrer Mutter und Minerva die Vordertreppe hinab. Als sie Reggies gequälte Miene sah - jenen Ausdruck, den die Herren der gesellschaftlichen Oberschicht stets zu zeigen pflegten, wenn sie eine Reise mit ihren weiblichen Verwandten antraten -, konnte sie sich auf Anhieb denken, was in diesem Moment in Reggies Kopf vorging. Lucs Gesichtsausdruck wirkte zwar auch nicht munterer, sah aber weniger nach einer Grimasse aus als vielmehr einfach nur nach ihm selbst: hart, regungslos und unmöglich zu interpretieren.

Dann schaute Luc auf, entdeckte Amelia - und zögerte. Ganz so, als ob ihn mit einem Mal eine leichte Unsicherheit überkommen hätte. Dennoch leuchtete ihr Gesicht bei seinem Anblick auf. Lächelnd, ruhig und selbstsicher ging sie weiter die Treppe hinab, bis sie schließlich neben ihm stehen blieb.

Die nächsten Minuten waren erfüllt von hastig erteilten Anweisungen und organisatorischen Fragen, bei denen vor allem darüber debattiert und entschieden wurde, wer in welcher Kutsche fahren würde. Schließlich kletterten die Damen mit freundlicher Unterstützung der beiden Herren in die Wagen. Nachdem Luc die letzte Tür geschlossen hatte, trat er einen Schritt zurück.

»Bis ihr den Fluss erreicht, werden wir euch wieder eingeholt haben«, rief Luc Reggie noch zu, der kurz nickte und die Hand zum Gruß erhob.

Auf ein Zeichen von Luc hin schnalzte der Kutscher kurz mit der Peitsche durch die Luft, und die Tiere legten sich in ihr Geschirr. Schwankend setzte sich die schwere Reisekutsche der Ashfords in Bewegung. Wenige Augenblicke später fuhr auch die Kutsche der Cynsters los; in genau dem Moment, als Lucs Pferdeknecht dessen Karriole an den Bordstein lenkte und neben seinem Herrn halten ließ. Luc sah den Kutschen noch so lange nach, bis diese um die Straßenecke verschwunden waren. Dann blickte er Amelia an.

Sie hatte schon darauf gewartet, wann er sie endlich ansehen würde. Leicht herausfordernd hob sie eine Braue, trat dicht an ihn heran und murmelte: »Hör auf, dir Sorgen zu machen. Alles wird in bester Ordnung sein.«

Luc war einen ganzen Kopf größer als sie, und seine Schultern waren so breit, dass er Amelia, wenn sie so dicht vor ihm stand wie in diesem Moment, komplett vor den Blicken aller anderen abschirmte. Und so dicht, wie Amelia sich an ihn schmiegte, konnte sie auch ganz genau seine pure, männliche Kraft spüren, die regelrecht um ihn herum zu pulsieren schien - ein sanftes Vibrieren in der Luft, das sie beinahe körperlich wahrnehmen konnte. Und schließlich nahm Amelia so dicht, wie sie vor ihm wartete, auch die potente, sexuelle Kraft wahr, die hinter seiner eleganten Fassade lauerte und deren raues Wesen sich nur schlecht verbergen ließ und fast schon einer physischen Bedrohung gleichkam.

Und trotz alledem war sie es, die ihn hinsichtlich der Weiterentwicklung ihrer intimen Beziehung zu beruhigen versuchte. Die sich bemühte, ihm die Angst vor dem Tempo, mit dem besagte Beziehung sich entfaltete, zu nehmen.

Gab es eine köstlichere Ironie?

Doch das Lächeln, mit dem Amelia seine Anspannung zu zerstreuen versuchte, hatte leider genau die gegenteilige Wirkung. Denn der Ausdruck in seinen dunklen Augen, den Amelia noch immer nur schwer entziffern konnte - auch wenn sie darin allmählich ein wenig Übung bekam -, wurde nur noch misstrauischer. Und schließlich zog er sogar in eindeutig finsterer Geste die Brauen über der Nase zusammen.

Amelia kämpfte verbissen gegen den Impuls an, laut aufzulachen, sah mit einem verschmitzten Grinsen in Lucs höchst wachsam blickende Augen und tätschelte ihm nicht zum ersten Mal in ihrer Beziehung den Arm. »Und zieh bitte nicht so ein mürrisches Gesicht - du machst sonst noch die Pferde scheu.«

Auf diese Bemerkung hin warf Luc ihr zwar abermals einen überaus finsteren Blick zu, zwang sich dann aber zu einer etwas freundlicheren Miene und half Amelia, auf den Kutschbock seiner Karriole zu klettern. Oben angekommen, ordnete sie ihre Röcke und entschied, dass die Sonne noch nicht so hoch am Himmel stand, dass sie bereits unbedingt ihren kleinen Sonnenschirm hätte aufspannen müssen. Nachdem er noch einige letzte Worte mit Cottsloe gewechselt hatte, ließ Luc sich neben Amelia nieder, und einen Augenblick später waren sie auch schon angefahren.

Er war ein hervorragender Kutscher und verstand es, seine Tiere fast schon instinktiv zu lenken. Doch Amelia hütete sich, nun unentwegt zu plappern und ihn auf diese Weise abzulenken, während er die Karriole durch den dichten Vormittagsverkehr führte. Genauso wie Luc vorhergesagt hatte, überholten sie die beiden Kutschen ein kurzes Stück hinter Kensington. Die Kutschen waren um so vieles schwerer und schwieriger zu manövrieren, dass sie immer wieder anhalten und abwarten mussten, bis die Straßen sich vor ihnen wieder ein wenig leerten.

Amelia war wirklich dankbar, dass sie in der Karriole fahren durfte - an der frischen Luft -, und nahm wissbegierig sämtliche Eindrücke auf, die ihnen auf ihrem Weg begegneten. Denn wenngleich sie das Panorama natürlich schon viele Male gesehen hatte, so schien ihr doch nun, da Luc neben ihr saß und sie kurz davor war, den schönsten aller Träume zu erleben, jeder Augenblick, jedes Detail, das ihre Augen wahrnahmen, noch um so vieles lebendiger, strahlender und bedeutender als jemals zuvor.

Als sie Chiswick erreichten, wandten sie sich nach Süden, fuhren über den Fluss nach Kew und dann in raschem Tempo in südwestlicher Richtung durch die ländlicher geprägten Gebiete. Während die Häuser auf ihrem Weg immer seltener wurden, schien das helle Licht des Morgens sich zunehmend dichter um sie zu legen. Und noch immer verspürte weder Luc noch Amelia das Bedürfnis, die Stille zu durchbrechen und den Augenblick mit müßigem Geschwätz auszufüllen.

Das war eines der Dinge, die sich mittlerweile zwischen ihnen beiden verändert hatten. Amelia zählte die Tage - exakt zwei Wochen waren nun schon verstrichen seit jenen frühen Morgenstunden, als sie all ihren Mut zusammengenommen und Luc in der Eingangshalle seines Hauses zur Rede gestellt hatte. Bei früheren Zusammentreffen hatte Amelia sich noch stets verpflichtet gefühlt, irgendetwas zu sagen, um zwischen ihnen beiden zumindest ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Interaktion aufrechtzuerhalten.

Doch vieles war anders geworden in den vergangenen Tagen. Und Luc und sie brauchten kein belangloses Geplauder mehr, um ein Gefühl der Verbundenheit zu spüren.

Amelia warf ihm einen raschen Blick zu und musterte seinen Gesichtsausdruck, ehe sie wieder in die andere Richtung schaute. Er war ganz darauf konzentriert, seine Tiere zu führen, und Amelia wollte ihn nicht ablenken. Sie wollte nicht, dass er an sie dachte oder wieder über ihre Beziehung nachgrübelte, womöglich gar darüber nachdachte, wie diese sich nun weiterentwickeln sollte oder auch wiederum nicht. Wann und wie sie den nächsten Schritt wagen wollten. Denn sie waren doch beide wesentlich besser dran, wenn Luc diese Überlegungen ganz einfach ihr überließ.

Aber natürlich hatte auch Amelia nachgedacht - ihre eigenartige Diskussion am vergangenen Tag hatte ihr dazu wirklich allen Anlass gegeben. Es war schließlich schon sehr verwirrend, dass Luc den Höhepunkt ihrer intimen Beziehung trotz seines Verlangens - und trotz ihres Verlangens - unbedingt noch eine Weile hinausschieben wollte. Das alles erschien Amelia so merkwürdig, dass sie es zuerst gar nicht so recht glauben konnte, und sie hatte lange und ernsthaft darüber nachdenken müssen, ehe sie sich sicher war, dass sie all die zahlreichen Gründe, die hinter Lucs Zögern standen, auch wirklich alle nachvollzogen hatte.

Nachdem sie aber endlich erahnte... nachdem sie endlich klar erkannte, dass es für dieses Verhalten nur zwei mögliche Beweggründe geben konnte, und dass ihrer Meinung nach keiner dieser Gründe von ausreichendem Gewicht war, um mindestens noch eine weitere Woche der müßigen Tändelei zwischen ihnen zu rechtfertigen, da fühlte sie sich nicht etwa niedergeschlagen - nein, sondern sie fühlte sich von einem ganz neuen Hochgefühl erfüllt. Sie war voller Vorfreude und geradezu beseelt von dem festen Vorsatz, diese ganze, mittlerweile vollkommen überflüssige Brautwerbung endlich zu einem Ende zu führen.

Luc hatte abgestritten, dass ihre langjährige Bekanntschaft miteinander irgendeinen Einfluss auf seine Entscheidung hätte, und bis zu einem gewissen Grade glaubte Amelia ihm dies sogar. Dennoch hatte er sie immer so gesehen, wie er auch seine Schwestern betrachtete und noch diverse andere seiner zärtlich geliebten, weiblichen Verwandten - sie alle waren für ihn Frauen, die es zu beschützen galt, und die er vor sämtlichen Gefahren bewahren musste. Eine dieser stets gegenwärtigen Gefahren waren zum Beispiel jene Gentlemen in den Kreisen der besseren Gesellschaft, die man gerne auch nur als »die Wölfe« bezeichnete. Und wenn man dann noch bedachte, dass Luc in Amelia nun seine zukünftige Frau gefunden hatte - er hatte immerhin zwei ganze Wochen lang Zeit gehabt, sich langsam an diesen Gedanken zu gewöhnen -, so war es letztlich gar nicht so verwunderlich, wenn er sich nun plötzlich auch selbst als eine gewisse Gefahr für Amelia betrachtete. Zumal seine Gedanken an sie unter normalen Umständen, und wenn Amelia nun nicht schon bald seine Ehefrau würde, auch in der Tat recht verwerflich wären.

Der arme Luc, er war ganz einfach verwirrt. Nun saß er tatsächlich in der sprichwörtlichen Klemme, war Gefangener seiner eigenen, aus seinem tiefsten Inneren entspringenden Kriegerinstinkte. Und Amelia konnte sein Dilemma durchaus nachvollziehen. Denn sie erinnerte sich daran, dass einige ihrer Cousins schon einmal auf ganz ähnliche Weise hin und her gerissen gewesen waren zwischen ihrem Verlangen und ihrem Verantwortungsgefühl - sie waren allesamt ebenfalls in ihre eigene Falle getreten.

Nur leider half es wenig, einfach darüber zu lachen, denn sie alle nahmen derlei Angelegenheiten viel zu ernst. Und mal ganz abgesehen davon, dass ein herzhaftes Lachen keinerlei Hilfe war, sollte Amelia Lucs Temperament wohl besser ohnehin nicht noch weiter reizen - zumindest, wenn sie ihn irgendwann doch noch dazu bewegen wollte, diese Skrupel, wie sie wohl nur einen echten Kavalier plagen konnten, endlich über Bord zu werfen.

Im Übrigen war der zweite Grund, den sie sich als Ursache für Lucs plötzliche Zurückhaltung vorstellte, schon wesentlich leichter nachzuvollziehen. Denn dieser basierte schlicht und einfach auf seinem störrischen männlichen Ego. Luc hatte von Anfang an unmissverständlich klargemacht, dass er mindestens vier Wochen lang offiziell um sie würde werben müssen, ehe man davon ausgehen durfte, dass ihre Heirat jene soziale Anerkennung finden würde, die er für sie verlangte. Und darum würde er sich allein von der Tatsache, dass er und Amelia dieses Ziel nun allem Anschein nach bereits in der Hälfte der Zeit erreicht hatten - die aufmunternden Reaktionen sämtlicher maßgeblicher Anstandsdamen in der vergangenen Woche waren wohl Beweis genug -, noch lange nicht von seiner einmal gesetzten Frist abbringen lassen.

Aber Amelia hatte auch gar nicht vor, es in diesem Punkt mit ihm auf einen Streit ankommen zu lassen. Solange es dabei blieb, dass sie noch im Juni heirateten, wären ihre Vorstellungen von einer Traumhochzeit ja immer noch erfüllt.

Nichtsdestotrotz stand das Datum ihrer Hochzeit, zumindest für Amelia, in keinerlei zwingendem Zusammenhang mit der Weiterentwicklung ihrer intimen Beziehung. Letzte durfte Erstem durchaus vorausgehen... wie es in der Wirklichkeit ja ohnehin meist der Fall war. Amelia und Luc hatten ihre Entscheidung getroffen, die gesamte bessere Gesellschaft hatte ihre Zustimmung signalisiert, und solange sie beide den Grad ihrer Vertrautheit miteinander nun nicht gerade öffentlich verkündeten, würden weder ihre gesellschaftlichen Kreise noch ihre Familien auch nur mit der Wimper zucken, wenn Luc und Amelia die Reihenfolge von Hochzeit und Intimität ein wenig umkehrten.

Und das wusste auch Luc; daran hegte Amelia keinen Zweifel. Oder zumindest würde ihm dies klar werden, wenn er sich nur endlich erlaubte, die ganze Lage einfach einmal schlicht und nüchtern zu betrachten. Aber eine unparteiische Position war für ihn, der hin und her gerissen war zwischen Instinkt und Begehren, im Augenblick offenbar nicht möglich.

Folglich lag die Aufgabe, die Entwicklung langsam wieder etwas zügiger voranzutreiben, ganz allein in Amelias Händen. Es lag nun an ihr, die von allen abgesegnete Brautwerbung endlich zu einem befriedigenden Ende zu führen. Oder, um es mit Lucs Worten auszudrücken: Nun musste sie dafür sorgen, dass sie schließlich auch noch die letzte Szene ihres Textbuchs in Angriff nahmen. Jene Szene, vor der Luc unerwarteterweise plötzlich zurückscheute. Wäre Amelia sich nicht so sicher gewesen, dass er sie wirklich und ehrlich begehrte - dass er sie genauso sehr wollte, wie sie auch ihn wollte -, dann hätte sie diese Aufgabe zweifellos nicht mit jener ruhigen Gewissheit angehen können, von der sie nun erfüllt wurde.

»Da ist es.«

Lucs knappe Ankündigung riss sie aus ihren Gedanken. Amelia blickte auf und erkannte über den Baumwipfeln die Zwillingstürme von Hightham Hall. Die Straße dorthin war eingefasst von einer niedrigen steinernen Mauer, und ein kleines Stückchen weiter voraus passierten sie zwei weit geöffnete Torflügel. Luc ließ seine Pferde in die Auffahrt einbiegen, und schon fuhren er und Amelia über den mit Kies bestreuten Hauptweg und beobachteten mit bewundernden Blicken, wie das weitläufige Gebäude immer näher zu rücken schien.

Der Butler, die Stallburschen und die Pferdeknechte standen alle schon bereit. Eine andere Kutsche hatte soeben ihre Fahrgäste abgesetzt und fuhr, als Luc und Amelia das Haus erreichten, bereits rumpelnd wieder davon. Sofort kam einer der Pferdeknechte auf die Karriole zugerannt und packte das Zaumzeug der beiden Grauschimmel; unterdessen reichte Luc einem anderen der Knechte die Zügel und sprang gewandt vom Kutschbock hinunter.

Dann drehte er sich um und hob Amelia von seinem Gefährt. Für einen kurzen Augenblick, während Lady Highthams Bedienstete geschäftig um sie herumhuschten, die Taschen aus dem kleinen Verschlag der Karriole zerrten und diese ins Innere des Hauses trugen, hielt Luc Amelia in seinen Armen. Und er hielt sie sehr fest und ein kleines bisschen näher, als der Anstand es erlaubte - also gerade dicht genug, dass Amelia die physische Reaktion spüren konnte, die unverkennbar erotische Spannung, die zwischen ihnen beiden zu knistern schien. Doch mit diesen Empfindungen schien sie dieses eine Mal allein zu sein; denn Luc schenkte ihnen nicht die geringste Aufmerksamkeit. Mit leicht mürrisch verzogener Miene blickte er sie an.

»Wir haben uns doch wohl hoffentlich geeinigt, nicht wahr?«, fragte er und sah ihr eindringlich in die Augen. »Keine weiteren Fortschritte mehr auf unserem Weg für mindestens die nächsten sieben Tage.«

Mit einem strahlenden Lächeln sah Amelia zu ihm auf. Wären sie allein gewesen, so hätte sie sich nun an ihn gekuschelt und seine Sorgen einfach fortgeküsst. Und darum war es vielleicht auch ganz gut, dass sie nun von Gästen und Bediensteten geradezu umzingelt waren... sodass sie nun einfach nur die Hand hob und sanft Lucs Wange streichelte. »Ich hab es dir doch schon einmal gesagt. Hör auf, dir Sorgen zu machen.« Damit drehte sie sich zum Haus um, schaute ihm aber noch einen kurzen Moment lang fest in die Augen. »Es gibt nichts, wovor du dich fürchten müsstest.«

Amelia löste sich aus seiner stützenden Umarmung und ging auf das Herrenhaus zu. Luc sah ihr nach, blieb eine ganze Weile lang reglos stehen. Dann folgte er ihr. Amelia hörte hinter sich das Knirschen seiner Stiefel, spürte seinen Blick in ihrem Rücken. Das Lächeln auf ihren Lippen wurde noch eine Spur verschmitzter. Er glaubte ihr einfach nicht - würde ihr niemals glauben. Unglücklicherweise kannte er sie einfach zu gut.

Den Kopf hoch erhoben, eilte Amelia die Haupttreppe hinauf und rang im Geiste mit einer jener brennenden Fragen, die nach wie vor noch ungeklärt waren: Wie sollte sie bloß einen Mann verführen, der, nach seiner legendären Karriere in puncto Frauen zu urteilen, höchstwahrscheinlich schon alles gesehen hatte?