16. KAPITEL

Obwohl man sie, einer Prinzessin von Delfina gebührend, auf einer gepolsterten Samtliege trug und die Sonne durch einen Baldachin aus dunklem Netzstoff abgehalten wurde, reiste Jane lieber mit Nicolai. Wo war er? Sie glaubte, ganz in der Nähe. Fast konnte sie ihn riechen, einen Hauch seiner Magie, eine Prise des verführerisch würzigen Dufts. Sie betete, dass er sich entschlossen hatte, ihr nicht zu folgen.

Laila glaubte, er wäre tot. Also war er in gewisser Weise endlich frei von dieser Schlampe. Er konnte nach Elden reisen und tun, was getan werden musste. Und Jane konnte in seinem Namen Rache üben.

Die Prinzessin hatte eine unschuldige Frau ohne jeden gottverdammten Grund umgebracht. Kein Wunder, dass die Stadtbewohner Angst vor Odette gehabt hatten. Die königliche Familie missbrauchte ihre Macht, und Jane würde das nicht länger zulassen.

Danach konnten sie und Nicolai wieder zusammen sein.

Als Laila endlich beschloss, für den Abend Rast zu machen, waren Janes Beine vom Herumliegen ganz steif, aber wenigstens nicht so steif, wie sie sein könnten. Im Grunde nicht einmal nahe dran an dem, was sie normalerweise zu erleiden hatte. Kein pochender Schmerz, keine Krämpfe bis auf die Knochen. Trotzdem wäre ein Spaziergang schön.

Leider stand ein Spaziergang noch für einige Zeit nicht auf dem Plan. Sie musste weiter liegen bleiben, während die Wachen ihr Zelt aufbauten. Und das Innere dekorierten. Und ihre Kisten hineintrugen. Kisten, die Laila mitgebracht hatte, vielleicht in der Hoffnung, sie damit zu einer Nacht mit Nicolai zu bestechen.

Als sie fertig waren, sich vor ihr verbeugten und darauf warteten, entlassen zu werden, kletterte Laila von ihrer Liege und benutzte dabei die Rücken ihrer Wachen als Trittleiter.

„Wir werden deine Rückkehr feiern“, verkündigte die Prinzessin mit einem Händeklatschen. „Wir essen in meinem Zelt. Meine Sklaven sollen für uns tanzen, und du darfst dir aussuchen, wer von ihnen dir danach den Pelz wärmt.“

Na danke. „Tut mir leid, aber ich bin müde.“ Jane kletterte ebenfalls hinab und fühlte sich dabei die ganze Zeit schuldig. Auch wenn die Wachen überrascht blinzelten, als sie spürten, wie leicht sie war, und sie es ein wenig mit der Angst zu tun bekam. „Ich möchte nur noch baden und schlafen. Und etwas essen. Ich habe seit Tagen nichts Richtiges gegessen.“

„Baden, ja. Und dann komm zu mir. Ich werde dir etwas zu essen bringen lassen. Seit du von den Toten zurückgekehrt bist, hat es zu viele Spannungen zwischen uns gegeben. Das gefällt mir nicht, ich möchte unsere frühere Freundschaft wieder aufleben lassen.“

Eine Lüge, das wusste Jane genau. Laila hasste Odette mit der gleichen Leidenschaft, mit der es sie nach Nicolai in ihrem Bett verlangte. Aber die echte Odette hätte vermutlich nicht widersprochen, also tat Jane es auch nicht. „Nun gut“, sagte sie mit einem Seufzen. „Ich bin in einer Stunde bei dir.“ Eine kurze Atempause, aber immerhin eine Atempause. Sie ging auf ihr Zelt zu.

Ein langes Bad in der tragbaren Wanne war genau das Richtige, um ihre Schmerzen und Krämpfe zu lindern. Eine Wanne, die Rhoslyn für sie gefüllt hatte. Es tat erstaunlich gut, das Mädchen wiederzusehen.

Jane schrubbte sich von Kopf bis Fuß mit der duftenden Seife, die auf dem Rand lag. „Hat Laila dir befohlen, auf diese Reise mitzukommen, oder hast du dich freiwillig gemeldet?“

Krauses rotes Haar hüpfte auf und ab. „Ich bin freiwillig hier, Prinzessin.“ Sie nahm eine leuchtend grüne Robe aus einer Kiste. „Nur für den Fall, dass wir Euch finden und Ihr mich braucht.“

Ich hätte netter zu diesem Mädchen sein sollen. „Ich habe dich erst gesehen, als ich mein Zelt betreten habe. Warst du Teil unseres Gefolges?“

„Hinter der dritten Verteidigungslinie, mit dem Rest der Diener und Sklaven.“

„Ich wünschte, das hätte ich gewusst. Du hättest bei mir in der Sänfte sitzen können.“ Jane stieg aus dem Wasser und griff nach dem Handtuch, das auf einer Bank neben ihr lag.

„Lass mich Euch helfen.“ Rhoslyn eilte zu ihr. Die Robe baumelte über ihrem Arm.

„Nein, danke.“ Einige Dinge hatte sie lange Zeit nicht selbst erledigen können, während sie an ihr Krankenbett gefesselt gewesen war. Jetzt war sie endlich wieder selbst dazu in der Lage, und sie würde nie wieder jemand anderem gestatten, diese Dinge für sie zu erledigen.

Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, nahm sie eine Ecke der Robe in die Hand. Ihre Lippen verzogen sich angewidert. Auch wenn sie edel gearbeitet war, war sie ihr viel zu weit und der Stoff zu dick. Sie würde in der Hitze dahinschmelzen. Und dort, wo der Stoff sich teilte, würde sie von der Sonne krebsrot werden.

„Es tut mir leid, wenn der Stoff Euch nicht gefällt.“

Sie nahm Rhoslyn die Robe ab und zog sie an, und das Mädchen neigte den Kopf. „Ihr dürft mich schlagen, wenn Ihr es wünscht.“

Jane nahm die Angst in ihrer Stimme wahr. „Dich schlagen? Rhoslyn, ich werde dich nicht schlagen. Niemals.“

Das Mädchen fuhr fort, sich zu entschuldigen, als hätte sie ihre Worte nicht gehört. „Ich dachte nur, Euch wäre etwas Reisetaugliches lieber als etwas Verführerisches. Und Eure Schwester war sehr darauf bedacht, Euch schnell zu finden, also hatte ich nicht viel Zeit, Eure Sachen zu packen. Nicht dass ich mich beschwere“, beeilte sie sich hinzuzufügen. „Ich wollte nur erklären, warum die Auswahl an Kleidern nicht sehr groß ist und warum ich nicht Eure besten Stücke mitgebracht habe.“

„Das hast du gut gemacht, ganz ehrlich. Diese Robe ist perfekt. Genau richtig. Siehst du?“ Sie drehte sich auf der Stelle. „Ich habe mich noch nie bezaubernder gefühlt.“

Rhoslyn schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln. „Das freut mich, Prinzessin. Oh. Und Ihr werdet Euch freuen, zu hören, dass ich Euer Buch mitgebracht habe.“

Jane hielt inne, und ihr Herz fing an zu hämmern. „Wirklich? Wo ist es?“

Das Mädchen trat an die andere Seite des Zeltes. Langsam, bemerkte Jane, und vorsichtig. „Ist alles in Ordnung? Hast du dir beim Eimerschleppen wehgetan?“ Toll. Noch etwas, das ihr Schuldgefühle bereitete.

Rhoslyn erstarrte und stolperte über die eigenen Füße, ehe sie weiterging. „Es geht mir gut, Prinzessin.“ Sie beugte sich über eine weitere Kiste, kramte darin und zog schließlich das ledergebundene Buch hervor.

Jane keuchte vor Schreck auf. Als das Mädchen sich vorgebeugt hatte, war ihr Haar nach vorn gefallen, und Jane hatte die Quetschungen an ihrem Nacken entdeckt. Schwarz und blau, und sie setzten sich eindeutig nach unten fort. „Was ist mit deinem Rücken passiert?“ Dieses Mal war ihr Tonfall streng, unnachgiebig und verlangte nach einer Antwort.

Rhoslyns dünner Arm zitterte, als sie ihr das Buch reichte. „Ich habe zugelassen, dass der Sklave Euch entführt hat. Ich wurde bestraft, wie ich es verdient habe.“

Ausgepeitscht also. Laila hatte dem Mädchen keine Zeit gegeben, vernünftig zu packen, aber sie hatte die verdammte Zeit gehabt, ihre neunschwänzige Peitsche zu schwingen. Jane nahm das dargebotene Buch an sich und hasste Laila noch ein wenig mehr. „Das war nicht deine Schuld. Du hättest ihn nicht aufhalten können. Zum Teufel, du warst doch nicht einmal dabei.“

Es kam keine Antwort.

Jane seufzte. „Ich bin auf dem Weg ins Zelt meiner Schwester. Während ich fort bin, kannst du in der Wanne liegen. Wenn du willst. Wenn nicht, dann nicht. Und dann sollst du dich ausruhen. Warte nicht auf mich. Und das ist ein Befehl.“

Mit vor Überraschung weit aufgerissenen Augen nickte Rhoslyn noch einmal.

Jane trat aus dem Zelt. Die untergehende Sonne tauchte den Himmel in sanfte tiefe Lilatöne. Und doch brannten die schwachen Strahlen auf ihrer neuerdings so empfindlichen Haut, bis es überall juckte. Jetzt war aber nicht der richtige Zeitpunkt, darüber nachzudenken, was das bedeuten konnte.

Lailas Zelt war keine zehn Schritte entfernt. Am Eingang blieb Jane stehen und straffte ihre Schultern. Du schaffst das. Lachen und Musik umhüllten sie, als sie die Zeltklappe zur Seite schob. Sie betrachtete die neue Umgebung und versuchte, alles auf einmal in sich aufzunehmen. Rechts entdeckte sie Laila auf einem hastig zusammengebauten Podium. Sie lag natürlich, und sie aß süßes Gebäck. Der Platz neben ihr war leer.

In der Mitte wiegten sich sechs nackte Männer in einem langsamen Tanz. Sie waren groß, athletisch gebaut und glänzend eingeölt. Zwei blonde, zwei rothaarige und zwei mit dunklen Haaren. Für jeden Geschmack etwas, sozusagen. Hände strichen über Leiber, und Körper stießen zusammen und rieben sich aneinander. Jeder der Männer hatte eine Erektion, aber Jane bezweifelte, dass ihnen gefiel, was sie taten. Ihre leblosen Augen starrten ins Leere. Waren sie verzaubert?

Links von ihr stand eine Band. Na ja, die Delfina-Version einer Band. Ein nackter Harfenspieler, ein nackter Geiger und ein nackter Sänger. Jane wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Abend auf etwas ganz Bestimmtes hinauslief. Mist. Das sah alles nach einer Orgie aus. Hoffentlich zwang sie niemand, daran teilzunehmen. Ihr Körper gehörte Nicolai, niemandem sonst.

„Odette“, rief Laila, als sie sie erblickte. „Schön, dass du gekommen bist.“

Was hast du vor, fragte sich Jane, als sie zu ihr ging. Die Prinzessin hatte dieses Gelage auf keinen Fall nur aus reiner Herzensgüte veranstaltet. Schließlich hätte sie dafür erst einmal ein Herz haben müssen.

Jane ließ sich auf ihre Liege sinken und streckte sich aus. „Ist mir ein … Vergnügen.“ Ihr fiel sofort auf, dass etwas mit der Prinzessin nicht stimmte. Nein, an ihr hatte sich etwas verändert. Ja, das traf es eher. In ihr pulsierte Macht, stärker als zuvor. Hatte sie einen Zauber auf sich selbst gelegt? Konnten Hexen das?

Jane würde sie wohl kaum fragen können. Sie sollte schließlich selbst eine Hexe sein.

Laila deutete mit einer Hand auf den Teller voller Gebäck. „Greif zu.“

Hmm, Zucker. Ihr Magen zog sich vor Hunger zusammen. Wie viele Stunden waren vergangen, seit sie diesen köstlichen Hähnchensalat gegessen hatte? Den Hähnchensalat, den sie im Haus der unschuldigen Frau zu sich genommen hatte, kurz bevor diese von Laila umgebracht worden war. Das verdarb ihr den Appetit wieder. „Ich habe keinen Hunger.“

„Du musst zumindest etwas trinken.“ Laila klatschte in die Hände. „Einen Kelch Wein für meine Schwester.“

Der Diener hinter den Stühlen sprang auf und drückte Jane einen juwelenbesetzten goldenen Kelch in die Hand. Statt ihn abzulehnen, hielt sie sich daran fest. Den Wein zu trinken kam allerdings nicht infrage. Sie brauchte einen klaren Kopf.

Wenn sich eine Gelegenheit ergab, würde sie heute ihre wohlverdiente Rache nehmen. Vergiften? Erdolchen? Egal welche Methode sie wählte, sie würde vorsichtig sein müssen. Gegen die magischen Fähigkeiten der Prinzessin kam sie nicht an. Besonders weil sie keine Ahnung hatte, wozu diese Frau in der Lage war.

„Und jetzt“, schnurrte Laila, „genieß es.“

Über eine Stunde lang sah Laila den Männern beim Tanzen zu, aß und trank. Jane sah ihr zu, wie man eine Ratte im Labor beobachtete. Bald schon kicherte die Prinzessin und bewarf die Männer mit Trauben. Als das Kichern verklungen war, wurde sie erregt. Schamlos schob sie ihre Hand unter ihr Kleid und fing an, sich zwischen den Beinen zu reiben.

„Berühr seine Brust“, befahl die Prinzessin den Tänzern heiser. „Ja, genau so. Jetzt leck seine Nippel. Oh, guter Junge. Genau so.“ Mit der freien Hand spielte sie an einer ihrer Brüste.

Jane wurde rot. Sie hatte also mit ihrer Vermutung, was diese Nacht anging, richtiggelegen. All diese Sklaven waren nur zu Lailas persönlichem Vergnügen gedacht. Jede Minute konnte es so weit sein, und sie alle würden anfangen zu orgieren.

Wie eklig. Sie hatte aus dem Wort „Orgie“ ein Verb gemacht.

Gerade wollte sie sich entschuldigen, als die Zeltklappe sich hob. Ein weiterer Mann, noch ein Sklave, betrat das Zelt, genauso nackt wie die anderen. Auch er war groß und eingeölt, aber er war schlank und schlaksig. Jane erkannte ihn nicht, und doch konnte sie den Blick nicht von ihm abwenden. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, ihr Blut erhitzte sich. Ihre Haut begann, köstlich zu kribbeln.

Er hatte Haar, so blass wie frisch gefallener Schnee. Seine Augen waren schwarz wie die Nacht und dick mit Khol umrandet. Er war vielleicht eins achtzig groß, seine Schultern waren etwas zu schmal, sein Bauch so flach, dass er sich fast nach innen wölbte. Seine Haut war zu einem dunklen Kaffeeton gebräunt.

Er strahlte eine fast weibliche Sanftheit aus. Eine Sanftheit, die nicht zu dem harten Leuchten in seinen Augen passte, als wäre sie ein Wintermantel, der jemand anderem gehörte.

Genau wie Jane blieb auch er im Eingang kurz stehen, um sich umzusehen. Wut und Hass standen ihm ins Gesicht geschrieben, doch dann schlugen sie um in Lust. Wahre Lust, die alles andere überschattete. Er atmete tief ein und sah sich um, bis sein Blick sich fest auf sie richtete. Eine Sekunde später trat er vor. Dann fing er sich und blieb stehen.

Jane stockte der Atem in der Kehle. Gesicht und Körper waren ihr vielleicht unbekannt, aber sie kannte diese kräftigen, zielgerichteten Schritte. Nicolai. Er hatte das Aussehen eines anderen über sein eigenes gelegt, das wusste sie genau.

Er war hier. Er war lebendig, gesund und unverletzt, und bei dem Gedanken wurde ihr schwindelig vor Glück. Sie hätte sich ärgern sollen. Ihr Plan war ruiniert, und er hatte sich in Gefahr begeben. Und doch reagierte sie auf seine Nähe … brauchte ihn. Seinen Körper, sein Blut.

Sie riss die Augen weit auf, als ihr klar wurde, was sie gerade gedacht hatte. Sie wollte wirklich … sein Blut trinken?

Oh ja, dachte sie, und ihr Blick richtete sich auf seine Halsschlagader. Sie konnte sehen, wo sie flatterte, und wollte ihre Zähne darin versenken. Zähne. Was zum … Sie fuhr mit der Zunge an ihren Zahnreihen entlang. Sie fühlten sich wie immer an, ihr waren nicht spontan Fangzähne gewachsen. Eine Welle der Enttäuschung schlug über ihr zusammen.

Sie hatte es sich nicht gestattet, darüber nachzudenken, weil sie sich genau dieser Enttäuschung nicht stellen wollte.

Vampire waren nicht dazu in der Lage, Menschen in Bluttrinker zu verwandeln. Sie wusste es, weil sie es getestet hatte. Vampirblut mit menschlichem Blut zu vermischen war eines ihrer Experimente gewesen. Nichts war geschehen, nichts hatte sich verändert.

Doch die Hoffnung verließ sie noch nicht ganz. Nicolai war ein bisschen mehr … von allem als jeder andere Vampir, den sie je getroffen hatte. Wenn also irgendjemand sie verwandeln konnte, dann er. Und sie wollte sich verwandeln. Sie wollte so lange leben wie er.

„Oh, da ist er ja“, sagte Laila. „Mein besonderer Sklave. Komm her, mein kleiner Schatz. Zeig dich meiner Schwester.“

Zuerst gehorchte Nicolai nicht. Jane war froh darüber. Sie wollte nicht, dass er auch nur in die Nähe der Prinzessin und ihrer liederlichen Hände kam. Und wenn die Prinzessin es auch nur wagte, ihn anzufassen, konnte Jane für nichts mehr garantieren. Dann würde sie der Prinzessin diese schmierigen Hände abhacken.

Nicolai setzte sich in Bewegung und stand viel zu bald zwischen ihren Liegen. Ergeben neigte er den Kopf.

„So hübsch“, gurrte Laila. „Ist er nicht hübsch, Odette?“

„Ja“, presste sie heraus.

Laila setzte sich auf und streichelte ihm über die Brust.

Dafür musst du sterben, Schlampe. Jane ballte ihre Hände auf ihren Beinen zu Fäusten, bis die Nägel sich in die Handflächen gruben und sie zu bluten anfing.

„Ich habe ihn vor ein paar Tagen gefunden, als ich ganz Delfina auf den Kopf gestellt habe, um dich zu retten. Er wollte nicht mit mir reisen. Zuerst. Er hatte einen Liebhaber, weißt du, und wollte bei ihm bleiben. Aber ich habe deine Meinung schnell geändert, nicht, mein Goldstück?“

Er kniff die Augen zusammen, antwortete aber nicht. Wohl doch nicht so ergeben.

Streichel, streichel, die Schlampe streichelte ihn immer noch. Jane streckte die Hand aus, ehe sie sich zurückhalten konnte, legte ihre Finger um Lailas Handgelenk und drückte zu. „Ich will ihn.“

Triumph trat in Lailas grüne Augen. „Du kannst ihn aber nicht haben. Er gehört mir.“

„Laila …“

„Nein. Erinnerst du dich, wie ich deinen Sklaven wollte und du nicht geteilt hast?“

Aha. Darum ging es also in dieser Nacht. Jane erst in Versuchung zu führen und ihr dann etwas zu verweigern. „Lass mich dir etwas erklären, Laila. Ich bin älter als du. Das bedeutet, ich bin die zukünftige Königin. Deine zukünftige Königin. Was ich will, bekomme ich auch. Selbst wenn es dir gehört.“ Sie kannte vielleicht nicht die Gesetze von Delfina, aber sie wusste, wie eine matriarchalische Kultur funktionierte, und kannte das soziale Gefüge.

Am Ende gewann immer die Stärkere. Im Augenblick war Jane die Stärkere.

„Du … du …“

„Ich kann tun, was ich will. So sieht es nun mal aus.“ Jane warf die Hand der Prinzessin zurück in ihren Schoß. „Wage es also nicht, ihn anzufassen. Ich habe mein Recht gefordert. Verstanden?“

Leuchtend rote Flecken erblühten auf Lailas Wangen. „Mutter wird dazu etwas zu sagen haben.“

„Ja, und zwar: ‚Gut gemacht!‘“ Jane stand auf und stellte sich neben Nicolai. Sie kämpfte gegen den Drang an, seine Hand zu nehmen, ihren Kopf an seinen Hals zu lehnen und einfach seinen Duft einzuatmen. „Außerdem ist sie nicht hier. Oder?“

„Nein.“ Die Farbe breitete sich bis zu Lailas Nacken aus.

„Und das bedeutet …“

„Dein Wort ist Gesetz“, presste Laila heraus. „Na gut. Ich werde ihn dir kampflos überlassen. Wenn er dir gehören will. Mein Schatz“, sagte sie, stand auf und sah ihm tief in die Augen.

Zwischen ihnen prasselte Magie.

Jane wurde einen Augenblick nervös. Konnte Nicolai hypnotisiert werden, oder was versuchte Laila da gerade? „Das reicht“, bellte sie.

Laila ignorierte sie. „Sag meiner Schwester, wie sehr du mich begehrst, mein Schatz. Sag ihr, nach wessen Körper du dich sehnst.“

Er presste seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.

„Sag es ihr! Sofort.“

Harfe und Geige verklangen, wurden übertönt von Janes Herzklopfen. Dann schüttelte Nicolai seinen Kopf und sagte: „Ich begehre Prinzessin Odette“, und sie nahm die Welt um sie herum wieder wahr.

Laila keuchte schockiert und knurrte dann wütend: „Nein. Nein, du lügst.“

„Warum sollte er lügen?“, wollte Jane wissen.

Lailas Blick aus zusammengekniffenen Augen richtete sich auf sie. „Was hast du mit ihm gemacht? Wie hast du mir seine Zuneigung geraubt? Was hast du gemacht?“, kreischte sie.

„Sie hat nichts getan. Ich will sie einfach.“ In Nicolais Stimme lag genug Wahrheit, um seine Behauptung zu untermauern.

„Ich werde …“ Laila hob eine Hand, entweder um Nicolai zu schlagen oder um einen Zauber zu wirken.

Jane war egal, was sie genau vorhatte. Sie packte das Handgelenk der Schlampe ein zweites Mal. „Du verstehst wohl immer noch nicht, was ‚mein Besitz‘ bedeutet. Fass ihn an, und du wirst es bereuen.“

Mehrere Sekunden verstrichen, ehe Laila ihre Gesichtszüge unter Kontrolle brachte und den Arm sinken ließ. Bebend vor Wut stand sie da, ihr Atem kam stoßweise. „Du hast dich verändert, Odette. Du hast mich noch nie so schlecht behandelt.“

Jane zuckte mit den Schultern, als kümmerten sie die Worte nicht, aber innerlich zitterte sie. „Nahtoderlebnisse hinterlassen eben ihre Spuren. Gute Nacht, liebste Schwester.“ Endlich nahm sie Nicolais Hand und führte ihn eilig aus dem Zelt in ihr eigenes.

Rhoslyn hatte sie beim Wort genommen und war nicht wach geblieben, um sich um sie zu kümmern. Jane und Nicolai waren allein.

Sie wirbelte zu ihm herum. Er ließ die Maske fallen, und sie sah sein dunkles unordentliches Haar, seine silbernen Augen. Seine riesenhafte Größe, breite Schultern und felsenharte Kraft. Ihr Begehren wuchs und brandete durch ihren Körper.

„Wir haben viel zu besprechen“, sagte er. Er legte eine Hand an ihre Wange, und sein Griff war stark und sicher. „Aber zuerst brauche ich dich. Ich habe dich mehr vermisst, als ich sagen kann.“ Und dann sagte er überhaupt nichts mehr. Er küsste sie hungrig, und sie erwiderte seinen Kuss.