8. KAPITEL

Oie schönste Frau, die er je gesehen hatte? Er musste wohl Odette sehen, vermutete Jane. Dünn zu sein war vielleicht in Mode, wenigstens dort, wo sie herkam, aber Jane war eindeutig zu dünn. Nach dem Unfall war sie ans Bett gefesselt gewesen und durch einen Schlauch ernährt worden. Als sie endlich aufgewacht und wieder in der Lage gewesen war, selbst zu essen, hatte die Nachricht vom Verlust ihrer Familie ihr den Appetit genommen.

Und jetzt, wo er wieder zurückgekehrt war, musste sie sich mit Früchten und Nüssen zufriedengeben.

Früchte … Nüsse … hmm … In dem Augenblick wurde ihr klar, dass sie vor Hunger fast umkam. Ein saftiges Steak, dazu Pommes frites … serviert auf einem zweiten Steak. Aber das Essen konnte warten. Viel mehr verzehrte sie sich nach der Berührung eines Mannes. Und Nicolai war sehr großzügig mit seinen Berührungen. Seine starken Finger massierten ihre Waden, tief und fest und genau richtig. Mit einem Stöhnen ließ sie sich in das Moos sinken, auf dem sie lag.

„Zu viel?“, fragte er mit heiserer Stimme.

„Perfekt“, presste sie heraus. Sie behielt die Augen geschlossen, wie er verlangt hatte. Nicht, weil er es befohlen hatte, sondern weil seine Fangzähne noch vorstanden. Seine Worte klangen undeutlich.

Diese Zähne machten ihr ebenso viel Angst, wie sie sie erregten. Sie hatte gesehen, welchen Schaden sie anrichten konnten, wie sie durch Fleisch und Knochen drangen, aber sie fragte sich auch, welche Lust sie einem bereiten konnten. Jedes Mal wenn sie sich das fragte, schauderte sie.

Zum Teufel, sogar jetzt zitterte sie. Sie beschloss, dass er von ihr trinken durfte, wenn er hungrig wurde. Nach dieser Massage schuldete sie ihm sowieso mindestens eine Niere. Denn, oh Gott, nichts hatte sich je so gut angefühlt. Nicht einmal, auf ihm zu sitzen und sich an ihm zu reiben – weder in ihrer Vorstellung noch in der Realität –, und das war schon himmlisch gewesen.

Okay, vielleicht war das Reiben genauso gut gewesen.

Er bearbeitete ihre Waden über eine Stunde lang, und als er sich ihren Oberschenkeln zuwendete, versuchte sie nicht mehr, ihre Brüste und ihre Narben zu verbergen. Warum sollte sie? Er hatte sie bereits gesehen und behauptet, er fände sie schön. Ihre Arme fielen kraftlos zu Boden. Gott, die Hände dieses Mannes waren einfach magisch.

Magisch. Ja. Irgendwie musste er Magie benutzen. Wärme floss von seiner Haut in ihre, eine betäubende Wärme, die sie berauschte, die sich in ihre Muskeln stahl, in ihre Knochen, bis jeder Zentimeter von ihr kribbelte – und ihm gehörte. Oh ja. Was auch immer er berührte, wurde sofort sein und existierte ab da nur noch für ihn.

Als seine Knöchel den Rand ihres Slips streiften, schien jeder Nerv, den sie besaß, plötzlich zum Leben zu erwachen und sich nach ihm auszustrecken. Bald schon atmete sie schwer, stöhnte, versuchte, seine nächste Bewegung vorherzusehen. An ihrem Knie rieb er eine Weile, dann streichelte er aufwärts, ihren Oberschenkel hinauf, fuhr über – ja, genau da, bitte da, fast, fast – nur, um innezuhalten und nicht ganz zu berühren, wo sie ihn am meisten brauchte, ehe er sich dem anderen Oberschenkel zuwendete. Sie musste sich auf die Lippe beißen, um nicht laut um mehr zu flehen.

Wenn er sie nur länger anfasste, den Winkel ein wenig änderte, würde sie kommen. Oh Gott, wenn sie allein davon kam … wie peinlich.

Die Massage ging weiter. Und im Ernst, was machte es schon, wenn es peinlich war? Ihr war das egal. Wann würde er wieder ihren Slip berühren? Sie wartete angespannt, hoffte, war begierig darauf. Ihr ganzer Körper vibrierte. Selbst die Luft in ihren Lungen begann sich zu erhitzen. Aber die Zeit tickte dahin, und seine Bewegungen wurden ruckartiger, während er weiter die verspannten Muskeln knetete, und er kam die ganze Zeit nicht mehr in die Nähe.

„Lenk mich ab“, sagte sie. Sonst würde sie ihn noch um einen Höhepunkt anflehen. Etwas, das sie sich nicht erlauben wollte. Er hatte gesagt, sie würden es bald tun. Das bedeutete, jetzt war die Zeit noch nicht gekommen.

Oder wollte er, dass sie flehte? Als sie im Schlafzimmer gewesen waren, hatte er gesagt: „Nicht, ehe du mich anflehst.“ Wollte er das jetzt? Erwartete er es? Wollte er sie in den Wahnsinn treiben und sie betteln hören? Na ja, bald würde sie …

„Wie soll ich dich ablenken?“, fragte er und überraschte sie damit.

Okay, also stand Flehen nicht auf dem Speiseplan. Es erstaunte sie selbst, dass sie gegen die Enttäuschung ankämpfen musste. „Erzähl mir eine Geschichte.“

Er hielt inne. „Eine Geschichte?“

„Ja.“ Sie öffnete ihre Augen einen Spalt und fügte hinzu: „Was auch immer du tust, hör nicht auf, mich zu massieren!“

Trotz seiner deutlich spürbaren Anspannung zuckten seine Lippen, was sie reizend fand. Höchstwahrscheinlich hatte er in seinem Leben schon lange nichts mehr zu lachen gehabt, und sie schien ihm Freude zu bereiten. So wie er sie erfreute.

„Eine Geschichte worüber?“ Er blieb zwischen ihren gespreizten Beinen sitzen, ihre Knie angewinkelt, ihre Beine rahmten ihn ein.

„Ich weiß nicht. Deine Familie vielleicht.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, wollte sie sie zurücknehmen. Sie erinnerte sich an den Abschnitt aus ihrem Buch. Er erinnerte sich nicht an seine Vergangenheit. Sein Gedächtnis …

„Ich habe zwei Brüder und eine Schwester“, sagte er und hielt den Atem an.

Ein Augenblick verstrich, dann noch einer. Seine Fangzähne zogen sich in seinen Mund zurück und verschwanden. Schock und Schmerz ersetzten den Ausdruck von Lust und Freude auf seinem Gesicht.

„Was ist los?“, fragte sie, auch wenn sie die Antwort bereits kannte. Zumindest glaubte sie, sie zu kennen. Er musste darüber reden, musste loslassen. Etwas, das sie in der Therapie gelernt – und gleich wieder verworfen – hatte. Aber nur weil sie es selbst nie versucht hatte, bedeutete das nicht, dass er es auch nicht tun sollte.

„Ich konnte mich bis eben nicht an meine Geschwister erinnern. Ich hatte eine Ahnung, aber … Ich habe zwei Brüder und eine Schwester. Jetzt weiß ich es, ich weiß, sie sind echt.“ In seiner Stimme lag Herausforderung, als erwartete er, dass sie ihm widersprach.

„Sie sind echt“, stimmte sie zu.

Er verzog das Gesicht, nickte. „Endlich kann ich sie in meinen Gedanken sehen. Ich erinnere mich nur nicht an ihre Namen. Wenn ich es versuche, explodiert mein Kopf fast vor Schmerzen.“

„Schmerzen?“

„Eine Aufmerksamkeit der Heilerin.“

„Oh Nicolai, das tut mir so leid.“ Zu wissen, dass man eine Familie hatte, und nicht in der Lage zu sein, sich an die Zeit miteinander zu erinnern, das musste die reine Folter sein, viel schlimmer, als überhaupt nicht zu wissen, dass es sie gab. Monatelang hatte Jane nur wegen ihrer Erinnerungen überlebt. „Löse dich davon, an ihre Namen zu denken, und beschreib nur, was du siehst.“ Vielleicht konnte sein Verstand sich, wenn er sich entspannte, auf einen Teil der Vergangenheit konzentrieren und andere Erinnerungen würden dann leichter folgen.

Der schmerzverzerrte Ausdruck wich aus seinen Augen, und seine Mundwinkel zuckten. Er grub seine Finger wieder fester in ihre Muskeln. „Mein jüngster Bruder, noch ein Junge, hat grüne Augen, und sein Haar ist heller als deines. Ich sehe, wie er mir nachläuft, und bin glücklich.“

„Ich wette, er hat dich bewundert“, sagte sie, um ihm Mut zu machen. „Ich hatte eine ältere Schwester, und ich bin ihr immer nachgelaufen und wollte mit ihr und ihren Freunden spielen.“

„Ja.“ Nicolai riss die Augen auf, aber er sah an ihr vorbei, an einen Ort, den sie sich nicht vorstellen konnte. „Ja, er hat mich bewundert. Uns alle. Und wir haben ihn geliebt. Er war immer so süß und unschuldig, der kleine Frechdachs. Ich … ich kann uns zusammen sehen. Wir lächeln, und ein Einhorn läuft vor uns auf und ab.“

Ein echtes Einhorn. Jane wollte mehr erfahren – zum Beispiel, ob sie das Tier gesattelt hatten und darauf geritten waren –, aber sie wollte den Fluss von Nicolais Erinnerungen nicht unterbrechen. „Was ist mit deinem anderen Bruder?“

„Auch er ist jünger, aber wir liegen nicht weit auseinander.“ Er hielt inne, als suchte er in Gedanken nach einer Bestätigung. Dann nickte er. „Sie sind alle jünger als ich. Selbst meine liebste Schwester.“

„Und wie sind deine anderen Geschwister?“

„Meine Schwester hat ihren goldenen Schopf über ein Zauberbuch gebeugt. Ich versuche, sie zu überreden, mit mir zu kommen, weil ich auf den Markt muss, aber sie weigert sich. Sie will bleiben, sie hat zu viel zu tun. Sie arbeitet zu hart, will es immer allen recht machen. Und er, mein anderer Bruder, hat schwarzes Haar wie ich, und er jagt im Wald, er rennt mit den Wölfen.“

Eine Leseratte und ein Krieger, was? „Ich wette, du bist der Diktator“, sagte sie mit einem Lächeln. „Und der Jüngste ist der Liebling.“

„Micah ist unser Liebling, ja.“ Nicolai riss die Augen auf, und ein Anflug von Schmerz kehrte zurück. „Micah. So heißt er. Ich frage mich, wo er ist, wo sie alle sind und was sie machen.“

„Du wirst dich daran erinnern, genau wie du dich an Micahs Namen erinnert hast. Und vielleicht brauchst du dazu nicht einmal eine Heilerin. Diese Erinnerungen sind auch ohne sie zurückgekommen.“

„Vielleicht sind sie deinetwegen zurückgekommen.“ Nicolais Blick richtete sich wieder auf sie. Er bemerkte ihr ermutigendes Lächeln und leckte sich die Lippen. Seine Miene veränderte sich noch einmal, von sehnsüchtig zu erhitzt. Seine Wangen röteten sich, und seine Fangzähne sprangen wieder hervor. Kleine Schweißperlen traten ihm auf die Stirn.

„Meinetwegen?“ Die aufgehende Sonne warf zarte goldene Strahlen auf ihr Lager. Auch wenn er im Schatten blieb, schien seine bronzefarbene Haut zu leuchten. In seinen Augen wirbelte flüssiges Silber und hypnotisierte sie.

„Ja. Du bist die einzige Veränderung in meinem Leben.“ Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf ihre Brüste, und sie streckten sich ihm entgegen, als wollten sie ihm gefallen. „Mein“, fügte er hinzu und erinnerte sie an das Monster, das er im Palast geworden war.

Jetzt freute sie sich auf das Monster.

Das Kribbeln loderte wieder auf, intensiver dieses Mal, und es breitete sich rasend schnell aus. Vielleicht stöhnte sie. Vielleicht hob sie auch ihre Hüften, um mehr von seiner Hitze zu spüren. Sie wusste es nicht, denn ihre Gedanken waren zu sehr mit dem erfüllt, was sie von ihm wollte, was sie brauchte.

„Das sagst du immer.“ Und sie hoffte immer, dass es die Wahrheit war. Aber sie hatten einander nichts versprochen, hatten einander nur ihr Begehren gestanden.

Und obwohl er aufbrausend darauf bestanden hatte, dass sie bei ihm bleiben würde, hatte sie keine Ahnung, wie lange sie noch zusammen sein konnten. Eine Stunde? Eine Woche? Ein Jahr? Sie kamen buchstäblich aus zwei verschiedenen Welten, und sie konnte jederzeit so schnell verschwinden, wie sie aufgetaucht war.

„Mein“, sagte er mit mehr Nachdruck, als würde er ihre Zweifel spüren.

„Was soll das bedeuten? Erklär es mir.“

„Will dich. Kein Geheimnis. Du mich auch.“

Lieber Gott, diese kurzen, abgehackten Sätze waren höllisch sexy. Als wäre sein Verstand auf einem einzigen Gedanken stehen geblieben – Lust – und nichts konnte ihn davon abbringen, sie zu erleben. Mit ihr, und nur mit ihr.

Aber … konnte sie ihn wirklich befriedigen? Sie kamen nicht nur aus zwei verschiedenen Welten, sie waren auch zwei vollkommen verschiedene Persönlichkeiten. Einerseits war da sein Missbrauch. Würden die Dinge, die sie von ihm wollte, ihn abschrecken? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Bisher war ihm nichts zu viel gewesen. Andererseits kannte er sich eindeutig aus mit dem Körper einer Frau.

Odette und Laila waren gewillt gewesen, ihn zu versklaven, um sich an seinem Körper zu erfreuen. Jane kannte sich mit genau einem Mann aus. Sie wusste, was ihm gefallen hatte, aber sie hatte keine Ahnung, was ein anderer Mann sich wünschen würde.

Ihre vorherige Beziehung hatte drei Jahre gedauert und war mit ihrem Unfall zu Ende gegangen. Nicht seinetwegen. Spencer hatte ihr zur Seite stehen wollen. Sie hatte ihn weggestoßen, zu sehr von ihrer Trauer gelähmt, um sich mit ihm oder irgendwem sonst abzugeben. Und es war einfach so, dass sie ihn nicht mehr begehrte. Auf keine Weise. Sie hatte es versucht, sie hatte wirklich versucht, sich dazu zu bringen, ihn wieder zu begehren. Sie hatte einen ganzen Abend durchgeplant, um ihn zu verführen. Aber allein bei dem Geanken daran, ihn zu küssen, war ihr übel geworden, und sie hatte ihn gleich nach dem Essen nach Hause geschickt.

Also, Fakt war, sie und Spencer hatten zwar alles getan, was man im Bett miteinander tun konnte, aber sie hatte keine weiteren Erfahrungen. Keine. In der Schule war sie viel jünger gewesen als alle ihre Mitschülerinnen, deswegen hatte niemand Interesse an ihr gehabt. Danach war sie zu beschäftigt gewesen. Spencer war der erste Mann gewesen, der sie genug abgelenkt hatte, um eine Beziehung zu beginnen.

Bisher hatte ihr Mangel an Erfahrung sie nicht gestört. Es war keine Zeit gewesen, darüber nachzudenken, nicht einmal, als sie auf Nicolai gesessen und sich an ihm gerieben hatte. Sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, herauszufinden, was mit ihr geschah, und damit, in dieser fremden Welt, in der sie plötzlich aufgetaucht war, zu überleben.

Jetzt allerdings wollte sie perfekt sein. Die Beste. Sie wollte Nicolai auf die gleiche Art befriedigen, auf die er sie in ihrer Fantasie befriedigt hatte.

Sie hatte gern Sex gehabt. Und sie vermisste ihn, obwohl sie all die Monate kein Verlangen gespürt hatte. Ehrlich gesagt war es fast ein Jahr. Am meisten liebte und vermisste sie das Nachglühen, in den Armen des Mannes zu liegen, seine Wärme zu spüren, sich zu unterhalten, zu lachen.

„Ich habe dich an deine Gedanken verloren.“ Nicolai fluchte leise, aber er klang belustigt. „Ich versuche dir zu widerstehen, Jane, und es gelingt mir nicht. Und dann forderst du mich auch noch ständig heraus, deine Aufmerksamkeit zu behalten.“

„Warum?“ Eine gehauchte Frage. „Ich meine, warum versuchst du zu widerstehen?“

„Du brauchst Zeit, um zu heilen. Und da ist noch etwas, das ich dir zuerst sagen muss. Etwas, das dir nicht gefallen wird.“

Ihr Magen verkrampfte sich. „Was denn?“

Ein Herzschlag, zwei. „Ohne meine Erinnerungen kann ich mir nicht sicher sein … da wartet vielleicht eine Frau …“

Noch ein Krampf. „Oh Gott. Du bist verheiratet.“

„Nein. Nein, das wenigstens weiß ich. Kurz bevor ich auf dem Sexmarkt aufgetaucht bin, habe ich bei einer Frau gelegen … einem Dienstmädchen. Ja, daran erinnere ich mich noch. Ich hätte mich nicht mit einem Dienstmädchen eingelassen, wenn ich verheiratet wäre. Aber vielleicht habe ich mich einer anderen versprochen.“

Vielleicht … Nein. Unmöglich. „Hast du nicht.“ Die Überzeugung überkam sie ganz plötzlich. Er war zu besitzergreifend, um mit einem Dienstmädchen zu schlafen, während eine Verlobte irgendwo auf ihn wartete.

Hoffnung schimmerte in seinen Augen auf. „Es ist nur eine Möglichkeit, ich kann nicht sicher sein. Aber ich könnte nie jemand anderen so sehr begehren, wie ich dich will.“ Eine Sekunde später hatte er sich über sie gebeugt, und seine Lippen schwebten über ihren. Er atmete flach, seine Hände lagen neben ihren Schläfen, und seine Erektion presste sich zwischen ihre Beine.

Endlich. Die Berührung, nach der sie sich gesehnt hatte. Er gehörte ihr, nur ihr allein. Etwas anderes konnte sie nicht glauben. „Du kennst dich selbst vielleicht nicht, aber ich kenne dich“, sagte sie. „Vertrau mir, auf dich wartet niemand.“

Sie war nicht stur oder blind, was das anging. Er hatte zwar eine äußerst besitzergreifende Art, und zudem war es eine Tatsache, dass sich jede Frau, der er sich zuwendete, seiner vollkommenen Aufmerksamkeit sicher sein konnte; trotzdem war er ein Vampir, und Vampire wählten sich nur einen Partner im Leben. Sie waren körperlich nicht in der Lage, zu betrügen. Das hatten ihre Forschungen bewiesen. Also würde er, ob sein Gedächtnis nun funktionierte oder nicht, auf Jane nicht reagieren, wenn sein Herz schon einer anderen gehörte.

„Vielleicht bin ich ein schlechter Mensch, weil mir eine gesichtslose Fremde egal ist“, sagte er. „Aber ich kann dir nicht widerstehen. Ich werde dir nicht widerstehen. Weise mich nicht zurück, Jane. Ich muss dich kosten, überall. Bitte.“ Er wartete nicht auf ihre Antwort, sondern überbrückte den Abstand zwischen ihren Lippen.

„Nicolai …“ Sie wollte ihm sagen, dass auch sie ihm nicht widerstehen konnte und ihn niemals zurückweisen würde, dass er kein schrecklicher Mensch war, aber die Worte verloren sich in dem brennenden Kuss, der ihre Lippen miteinander verschmelzen ließ.

Seine Zunge schob sich an ihren Zähnen vorbei und spielte mit ihrer, heiß, so heiß.

Er schmeckte nach Pfefferminz und … Bonbons. Mmm. Ja, Bonbons. Zuckersüß, und doch war es sein Geschmack, nach dem sie sich verzehrte.

Sie konnte sich nicht davon abhalten, ihre Finger in seinem Haar zu vergraben.

„Ja. Bitte. Bitte“, flehte sie ihn endlich an.

Sie krallte ihre Nägel in seine Kopfhaut und hielt ihn fest. Sie brauchte mehr, musste mehr haben, alles andere war vergessen. Mit den Knien klammerte sie sich an seine Hüften, hob sich ihm entgegen. Ein Keuchen hungriger Freude entkam ihr. Lieber Gott! Das Gefühl, wie er sich an ihrer Mitte rieb, raubte ihr den Verstand, ließ sie zerspringen, war unglaublich, besser als alles, was sie je gekannt hatte. Vielleicht weil sie so verdammt feucht und bereit für ihn war. Also tat sie es noch einmal, sie wiegte sich, rieb sich an ihm, keuchte auf.

Mit einem zustimmenden Knurren trieb er seine Zunge tiefer in sie hinein. Ihre Zähne stießen aneinander. Schwindelerregende Reibung, nötig, aber auch eine Folter, denn ihr Verlangen stieg noch mehr an. Dann neigte er seinen Kopf, um noch tiefer mit ihr zu verschmelzen, und sie spürte seine Fangzähne an ihren Lippen.

Nein, das war Verlangen. Wahres, unverdünntes Verlangen. Sie wollte gebissen werden, wieder und immer wieder. Sie wollte alles für ihn sein. Geliebte, Nahrung, Atem.

Ihr Blut erhitzte sich bis zur Unerträglichkeit, in ihrem Bauch flatterte es. Der Kuss ging immer weiter, bis in ihren Lungen kein Sauerstoff mehr war. Bis Nicolai ihre einzige Verbindung zum Leben war.

„Bitte“, sagte sie krächzend. „Tu es.“

„Bei allen Göttern, Jane. Du … du bist wie Feuer. Ich will verbrennen.“

„Ja.“

Er leckte einen Pfad bis dorthin, wo ihr Puls am Ansatz ihres Halses pochte. Würde er sie endlich beißen? Aber nein, er leckte nur weiter an ihrem Puls und saugte daran, während er eine Hand auf eine ihrer Brüste legte und sie massierte. Er zwickte die pochende Spitze, und ein köstliches Gefühl schoss durch ihren ganzen Körper.

Himmel und Hölle, so köstlich dargeboten … Wie nahe sie schon daran war, über den Rand in den Abgrund zu fallen. Aber wenn sie es tat, falls sie es tat – bitte, lass mich –, wo würde sie landen? In den Wolken oder der flammenden Schlucht?

Es gab nur einen Weg, das herauszufinden …

„Nicolai?“

„Ja, Liebste.“

Liebste. Seine Liebste. „Beiß mich.“

„Jane.“ Ein Stöhnen. „Du verlockst mich. Ich sollte nicht …“

Sollte nicht, weil er immer noch glaubte, dass sie erst heilen musste? Oder weil ein Teil von ihm noch glaubte, dass es eine andere Frau gab, die irgendwo da draußen auf ihn wartete? Wenn das Unmögliche geschah und er schon vergeben war … Warum unmöglich? fragte sie sich als Nächstes. Sie selbst war schließlich hier. Nichts war unmöglich.

Diese Erkenntnis ließ die ersten Zweifel in Jane aufsteigen. Sie hasste Betrüger, aber sie hasste auch Geschichten, in denen zwei Menschen gezwungen waren, zusammenzubleiben, weil sie sich verpflichtet fühlten, und nicht, weil sie sich liebten. Nicolai war nicht verliebt. Und wenn er eine Frau hatte, warum hatte sie dann nicht nach ihm gesucht? Ihn gerettet? Auch das brachte Jane wieder zu der Überzeugung, dass er auf keinen Fall jemandem versprochen sein konnte. Keine Frau würde diesen Kerl gehen lassen. Deshalb konnte Jane ihn immer noch haben.

Aber sie wollte auch nicht, dass er sie verachtete. Oder sich unter Druck gesetzt fühlte. Oder bereute, was sie taten. „In Ordnung. Wir werden nicht …“

„Werden wir. Ich will dir nur nicht wehtun.“

Erleichterung. So viel Erleichterung, am Rand schon das Leuchten der Ekstase, die in Reichweite gerückt war. „Du könntest mir niemals wehtun. Nicolai, bitte. Tu es.“

„Ja, ja, bitte. Ich werde dich anflehen, wenn es nötig ist. Ich muss mehr haben …“ Seine Fangzähne kehrten an ihren Hals zurück und kratzten über ihre brennende Haut. „Muss dich kosten, sterbe, wenn nicht.“

„Tu es.“ Sie atmete zischend aus und erstarrte, als sie sich in Gedanken auf seinen Angriff vorbereitete. Ob er ihr Lust bringen würde oder Schmerz, wusste sie nicht mit Sicherheit. Sie wusste nur, dass auch sie es brauchte.

Er atmete bebend ein. „Bist du sicher? Ich muss nicht. Ich kann noch aufhören.“

„Hör nicht auf. Bitte, hör nicht auf. Ich fürchte mich nur vor dem Unbekannten.“

Er leckte eine lange Spur an ihrem Hals entlang. „Keine Angst, meine kleine Jane. Ich passe auf dich auf. Nehme mich zusammen.“ Und dann, quälend langsam, versenkte er seine Fangzähne in ihrem Hals, saugte an ihr, trank ihr Blut.

Nicht ein einziges Mal empfand sie dabei Schmerzen, aber die Lust, oh, die Lust … genau wie sie es sich vorgestellt hatte, wunderschön, auf die erotischste Art. Das fehlende Teil im Puzzle ihres Lebens.

Das Brennen seiner Lippen und das Reiben seiner Zunge entlockten ihrem Körper stürmische Reaktionen. Sie krallte sich in seinen Rücken, zog an seinen Haaren, verlor sich in einer Wonne, die sie nie für möglich gehalten hätte. Bald schon wand sie sich unter ihm, verzweifelt danach, den Höhepunkt zu erreichen.

Er schnurrte an ihrer Haut, sein warmer Atem strich über sie. Dann drang etwas Heißes, köstlich Heißes in ihren Kreislauf ein. Bisher hatte sie wirklich nicht gewusst, was Lust sein konnte. Das war Lust. Lust in ihrer reinsten Form. Kraft, Hitze, Macht. All das spürte sie.

Sie wand sich auf der Suche nach Befriedigung, die so nah und doch so fern war. Sie rieb sich wieder und wieder an ihm, und kleine Schauer fuhren jedes Mal, wenn er schluckte, durch ihren ganzen Körper. Lieber Gott. Sie könnte ihn wie einen Berg besteigen. Könnte ihn vernaschen, einen leckeren Bissen nach dem anderen. Könnte für immer in seinen Armen liegen.

Er löste sich von ihrer Ader. „Muss … aufhören. Kann nicht … zu viel nehmen.“

Zu viel gab es nicht. „Nimm mehr.“

„Versprochen, aufzupassen.“ Er leckte über die Einstiche und schickte dabei noch mehr dieser flüssigen Hitze in ihren Kreislauf. Er knurrte. „Jetzt bist du gezeichnet. Mein.“

Sein, genau wie er zu ihr gehörte. Zu ihr und zu niemandem sonst.

„So gut. Noch nie etwas so … Süßes gekannt. Schon … süchtig …“

Ja. Süchtig. Er war eine Droge. Ihre Droge, und sie bezweifelte, dass sie je davon loskommen würde.

Mit ihren Schmerzmitteln hatte sie den kalten Entzug machen müssen. Die Entzugserscheinungen waren ein Albtraum gewesen. Und doch wusste sie, mit einer plötzlichen, schockierenden Klarheit, dass die Schmerzen damals nichts gegen das waren, was sie ohne Nicolai würde durchleiden müssen.

Er nahm die Hand von ihrer Brust, nahm sie stattdessen in den Mund, fuhr mit seiner lodernd heißen Zunge über ihre Spitze und schickte mehr dieser befriedigenden Schauer durch ihren ganzen Körper. Er biss aber nicht zu, nicht noch einmal.

Sie wollte überall von ihm gebissen werden. „Bitte, Nicolai.“

„Alles, was du willst, werde ich dir geben.“

Sie hob sich ihm entgegen, verschränkte ihre Füße in seinem Kreuz. Seine Erektion traf sie an genau der richtigen Stelle, und ihr Slip wurde noch weiter durchfeuchtet. „Ich will alles.“

Er trug noch seinen Lendenschurz, aber das Leder musste verrutscht sein und ihn befreit haben, denn sie spürte die Hitze seiner seidigen Haut, zart und doch so hart, wie sie gegen die Baumwolle presste, die ihr im Weg war. Nur ein wenig mehr, und sie wären Haut an Haut. Hart an feucht.

Danach sehnte sie sich. Wollte es mit jeder Faser ihres Körpers. Aber Nicolai hatte andere Pläne. Er setzte seine Reise nach unten fort, fuhr ihre Narben mit der Zunge nach, leckte ihren Nabel. Seine dekadente Zuneigung hätte sie beschämt, wäre sie nicht so erregt gewesen. Eine Gänsehaut überzog ihren Körper und machte ihre Haut fast unerträglich empfindlich.

„Mein“, knurrte er.

Ja. Ja! Für immer. Sie runzelte die Stirn. Nein, nicht für immer. Die Auswirkungen ihres berauschten Liebesspiels trafen sie wie ein Hammerschlag auf den Kopf. Sie könnte jeden Augenblick wieder zu Hause sein. Das hier war nicht von Dauer, und das durfte sie nie vergessen. Sie durfte sich nicht an ihn gewöhnen. Nicht an das alles.

Hast du schon.

Ja, hatte sie.

Wie konnte sie jetzt noch in ihr früheres Leben zurückkehren? Sie hatte die verbotene Frucht gekostet, war danach süchtig, genau wie sie vermutet hatte, und sie wollte mehr. Mehr von seinen Händen und seinem Mund und seinen Zähnen und seinen Fingern. Mehr von seiner Hitze und seiner Süße und seiner Wildheit. Aber wenn sie es jetzt nicht zu Ende brachte, wenn sie versuchte zu gehen, dann würde sie sich immer fragen, was geschehen wäre.

Also würde sie sich über die Folgen später Gedanken machen. Im Augenblick wollte sie es einfach genießen.

„Mein“, wiederholte er.

„Ja“, hörte sie sich zustimmen.

„Du willst mich.“

„Dich und nur dich.“

„Du bist so feucht für mich. Ich kann dich fühlen, fühlen, wie bereit du bist.“

„Bereit für dich und nur für dich.“ Sie wiederholte sich, aber das war ihr egal. Die Worte stimmten.

„Du bist so heiß für mich.“

„Ja.“

„Du wirst mir alles geben.“

„Ja, ich …“ Janes Gedanken verabschiedeten sich vollkommen. Endlich war er zwischen ihren Beinen und schob ihren Slip ganz zur Seite. Ihre Waden sanken auf seine Schultern herab, als seine Zunge sie berührte.

Beim ersten Kontakt schrie sie auf. So gut, so verdammt gut. Er leckte, saugte und knabberte an ihr und ließ ihr Begehren zu einer Stichflamme auflodern. So nah, näher als jemals zuvor.

„Gut?“

„Sehr gut!“

Seine Finger schlossen sich dem Spiel an. Erst einer, der in sie eindrang, dann zwei, vor und zurück, vor und zurück, er weitete sie, bereitete sie darauf vor, von ihm in Besitz genommen zu werden. „Könnte immer hierbleiben“, krächzte er.

Sie war nicht in der Lage, zu antworten, der wenige Atem, der ihr blieb, steckte in ihrer Kehle fest.

„Schmeckst auch dort süß.“

Ein Laut entkam dem Knoten. Ein Seufzen.

„Komm für mich, Liebste.“ Der Befehl kam von dem Monster, das sie im Palast von der Leine gelassen hatte, aufgebracht bis an den Rand des Wahnsinns, verzweifelt, ein Eroberer. „Lass mich dein schönes Gesicht aufleuchten sehen.“ Damit biss er sie, genau dort, zwischen ihren Beinen.

Er saugte das Blut, das dort perlte, und dann, Gott sei Dank, schoss er, was auch immer seine Fangzähne produzierten, direkt in ihre Mitte.

Funken vollkommener Glückseligkeit entzündeten sich in ihr, breiteten sich aus und verzehrten sie von unten her. Jeder Muskel, den sie besaß, zog sich zusammen, zuckte und transportierte sie zu den Sternen. Noch ein Schrei entkam ihr, und dieser durchdrang das Licht des heranrückenden Tages.

Der Höhepunkt war so intensiv, dass sie glaubte, ihre Seele müsse zerspringen. Und dann war Nicolai über ihr. Er riss mit einer Hand ihren Slip auf und stieß gegen sie. Seine Augen waren so hell, dass sie funkelten, seine Fangzähne zu einem entschlossenen Fauchen entblößt – nicht aus Wut, sondern aus quälender Lust.

„Mehr“, sagte er mit kehliger Härte.

„Nimm mich.“

„Jetzt“, knurrte er.

Kurz bevor er in sie eindringen konnte, raschelten die Büsche zu ihrer Linken, als die Blätter gegeneinandertanzten. Seine Aufmerksamkeit richtete sich mit einem Ruck dorthin, und ein drohendes Knurren entfuhr seiner Kehle.

Jane war noch zu verloren in ihrer Leidenschaft, um sich darum zu kümmern. „Nicolai! Bitte. Worauf wartest du noch?“ Mach mich wahrhaftig zu deiner Frau.

„Beschützen.“ Er fuhr auf, und der Körperkontakt zwischen ihnen brach ab. Sie streckte die Hand nach ihm aus, aber er stellte sich vor sie, um sie mit seinem Körper abzuschirmen.

Die Zeit der Leidenschaft war vorüber. Jetzt war es an der Zeit, zu kämpfen.