32. KAPITEL

Auf der Gästeliste von Frank O'Neills großzügiger Geburtstagsparty für seine Frau stand ein Mörder. Ein Wolf bewegte sich leichtfüßig durch die Menge ahnungsloser Schafe. Selbstgefällige Tiere, diese Schafe. Sie hatten keine Ahnung, wie leicht sie die Aufgabe dieses Gastes durch ihre leichtfertige Selbstgefälligkeit machten. Warum sollte jemand auf dem Anwesen von Marin Countys Topjuristen einen Gedanken an die Sicherheit verschwenden? Die Luft wäre hier zu dünn, das nahmen sie alle an. Welches Unheil könnte ihnen hier schon geschehen?

Einen Drink in der Hand, beobachtete der Gast die Menge und wirkte wie einer von ihnen, wie ein Teil der gehobenen Klasse. Tatsächlich waren das kurze, strahlende Lächeln und die guten Manieren eine Maske. Es war harte Arbeit. Jeder wurde observiert und beurteilt. Einige wurden nach ihren Charakterfehlern beurteilt, andere nach der Größe ihrer Särge.

In der großzügigen mediterranen Villa tobte das Leben, aber die meisten Gäste hatten sich um den blauen Mosaik-Swimmingpool versammelt. Das Geburtstagskind war auf der Überraschungsparty noch nicht erschienen – und niemand hätte ein Raubtier in ihrer Mitte erwartet. Jeder Anwesende galt als Freund und, noch wichtiger, als einer von ihnen, vertrauenswürdig und aufgeklärt … und das schloss diesen Gast ganz sicher ein. Ja, das bin ich auch.

Der Wolf im Schafspelz.

Keiner dieser selbstgefälligen Snobs würde mich jemals verdächtigen. Ich sehe nicht wie ein Raubtier aus – was ein Teil meiner Fähigkeiten ist –, aber was bin ich anderes als das? Ich töte dort, wo es nötig ist. Niemals zufällig. Kaum je mit Feindseligkeit. Mörder behaupten immer, dass es keine persönliche Angelegenheit sei. In meinem Fall ist es persönlich. Ich muss töten, um meine Welt zu schützen. Nur weil diese Welt ein komplexer Ort ist, müssen mehrere sterben. Darum bin ich hier. Und als Nächstes trifft es ein ahnungsloses Schaf, Gast dieser wunderbaren Party und die letzte Person, bei der man so ein grauenvolles Ende erwartet hätte.

Die Schmerztablette schien zu wirken. Matties Knie hatte sich so weit beruhigt, dass sie in Slingback-Pumps laufen konnte, ohne zusammenzuzucken. Ihr Haar verbarg die blauen Flecken an ihrem Nacken. Auch bei der Auswahl ihrer Kleidung hatte sich Mattie viel Mühe gegeben und sich schließlich für ein seidenes Capriset mit dreiviertellangen Ärmeln entschieden, eine Leihgabe von Breeze. Die Schwächeanfälle waren zwar beunruhigend, aber das war ein nur kleiner Preis, den sie für ein persönliches Treffen mit Frank O'Neill zahlen musste.

An Jamesons Seite durchquerte Mattie das Foyer des palastartigen Anwesens. Sie gingen einen Flur entlang, in dem kleine Nischen eine eindrucksvolle Sammlung von Chihuly-Glasskulpturen beherbergten. Schließlich betraten sie den Saal. Durch eine Wand offener Glastüren konnte Mattie die Gäste sehen, die in Grüppchen auf der Terrasse vor dem Pool standen.

"Wo ist er?"

"Ich zeige ihn dir, wenn ich ihn sehe", sagte Jameson. Sein Blick blieb an Matties körperbetontem Outfit hängen, das blau und grün leuchtete. "Das sieht toll aus. Du wirst dich hier wohlfühlen."

Sie freute sich über das Kompliment. Sicher fiel es ihm nicht schwer, es daran abzulesen, dass sie sich weigerte, ihn anzusehen. Breeze hatte verschiedene Outfits herausgesucht, von denen sie dachte, dass sie Mattie gut stehen würden – wenn sie einmal mit dem Umstylen fertig wäre. Als Breeze ins "Vier Jahreszeiten" gezogen war, hatte sie die Kleidungsstücke im Schrank gelassen. Die Kombination, die Mattie an diesem Abend trug, passte jedenfalls schon jetzt perfekt.

"Kann ich dir einen Drink holen?", fragte Jameson, als sie auf die Terrasse traten. Auf ihr Nicken erinnerte er sie, dass sie gerade eine Schmerztablette genommen hatte. "Trink langsam und setz dich."

Nachdem Jameson gegangen war, um die Getränke zu holen, wandte sich Mattie dem Buffet zu. Sie tat, als sei sie genauso begeistert von dem Essen wie die anderen Gäste, wobei sie unauffällig die Menge beobachtete. Mattie entdeckte keine vertrauten Gesichter, aber es war ja auch schon Jahre her. Die Namen würden ihr vielleicht etwas sagen. So wie ihr Name vermutlich bei anderen Leuten etwas wachrief. Sie hatte Jameson bereits gebeten, weder ihren echten Namen noch ihren richterlichen Titel zu benutzen. Heute Abend war sie einfach nur Lela Smith. Der Name ihrer Mutter war ihr Zweitname, davon hatte Mattie allerdings nie jemandem erzählt.

Jameson wartete in einer langen Schlange vor der Bar, also beschäftigte sich Mattie damit, einen Teller für sie beide zu füllen. Krabben, Garnelen und Austern. Er sieht wie ein Mann aus, der rohe Austern zu schätzen weiß, dachte sie sich. Vielleicht wollte sie ihm seine Sturheit heimzahlen, mit der er sie zum Hotel chauffiert und dort so lange gewartet hatte, bis sie fertig gewesen war. Das war die Hölle gewesen. Ein Schwächeanfall beim Verlassen des Hotels hatte ihn zu der Überzeugung gebracht, dass Mattie noch nicht fit genug wäre. All ihre Überredungskünste hatte es sie gekostet, ihn hierherzubringen.

Außerdem hatte sie ihn einige Zeit loswerden müssen, um ihre Mailbox abzuhören. Schließlich war es ihr gelungen, als sie vorgegeben hatte, ins Bad zu müssen. Jane hatte mehrere Male von einer sehr undeutlichen Verbindung aus angerufen, Breeze einmal, und dann gab es noch diverse Anrufe aus Matties Büro, aber nur der letzte zählte. Es war Jaydee, der ihr sagte, dass er alles unter Kontrolle habe. Inständig hoffte Mattie, dass das auch den Entführungsfall betraf. Sie hatte die kurze Zeit genutzt und sowohl Jane als auch Breeze eine Nachricht hinterlassen. Keine Details, sie hatte ihnen nur versichert, dass es ihr gut gehe und sie Fortschritte mache.

Ein Kellner kam mit einem Tablett Champagner vorbei. Mattie stellte den Teller ab, um sich ein Glas zu nehmen. Sie hielt es für weniger auffällig, wenn sie an dem Getränk nippte, während sie herumspionierte. Hinter der Terrasse und dem Pool genoss Mattie außerdem einen beeindruckenden Ausblick auf San Francisco und die berühmte Brücke. Während die Minuten verstrichen und die Sonne ihre bernsteinfarbenen Strahlen auf das Wasser warf, fühlte Mattie die Spannung langsam von sich abfallen.

Die Partygäste wirkten, als hätten sie viel Spaß. Man begrüßte sich warmherzig mit Händeschütteln und Umarmungen, allein das Geplauder und das Gelächter klangen etwas bemüht. Mattie bemerkte hier und da ein paar Singles, meist junge Männer. Eine attraktive Frau mit dunklen Haaren fing Matties Blick auf und lächelte.

In diesem Augenblick spürte Mattie ein stechendes Unbehagen. Kannte sie die Frau? Sie wollte sie nicht anstarren, also ließ sie den Blick zur anderen Seite des Pools wandern, wo sich ein distinguierter ergrauter Herr, wahrscheinlich Ende vierzig, in einem großen Pavillon unterhielt. Die Leute um ihn herum himmelten ihn an. Die Art, wie er Hof hielt, ließ Mattie annehmen, dass es sich um den Gastgeber handeln müsse.

Sie stellte das Champagnerglas ab und schlenderte in die Richtung des Pavillons. Als Mattie sich dem Pavillon näherte, hörte sie, wie jemand den Herrn Frank nannte und ihm ein Kompliment für sein wunderschönes Heim machte.

Es war O'Neill. Mattie wusste nicht genau, was sie machen sollte. Sie warf einen Blick auf die Schlange an der Bar und stellte fest, dass Jameson nicht mehr dort stand. Offenbar hatte er den Poolbereich verlassen, und Mattie konnte nicht auf ihn warten. Sie musste diese Angelegenheit allein klären, und sie fühlte sich seltsam schutzlos ohne Richtertitel.

Breezes Attraktivitätstheorie kam ihr in den Sinn. Mattie trug das Haar offen, aber sie hatte nicht viel mehr tun können, als es zu bürsten und auf das Beste zu hoffen. Sie schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, dass ihre Frisur sexy und wild aussah, und befeuchtete sich die Lippen. Was mache ich denn? Ich habe wohl zu viel von Breezes Zaubermitteln eingeatmet – es hatte ihr Gehirn vernebelt.

O'Neill schien den Small Talk im Pavillon beendet zu haben und war auf dem Weg hinaus. Zu Matties Überraschung stieg er die Stufen hinunter und kam direkt auf sie zu. Sie war darauf vorbereitet gewesen, ihn irgendwie abzufangen. Jetzt musste sie ihm nur noch die Hand geben.

"Mr. O'Neill? Eine wunderbare Party. Ich bin Lela Smith."

Einen kurzen Moment lang sah er irritiert aus. "Oh ja, Jameson hat mich vorhin angerufen. Er sagte, dass Sie Anwältin wären und einige Fragen zu den Ungereimtheiten in dem Fall seines Bruders hätten. Darf ich fragen, was Sie so sehr an dem Fall interessiert?"

"Ich mag Rätsel." Sie umschlang seine Finger mit beiden Händen und strich ihm sanft übers Handgelenk. "Passt es Ihnen jetzt? Haben Sie gerade einen Augenblick Zeit?"

Er ließ den Blick über ihr Haar und ihr Gesicht schweifen. Sein Atem schien etwas langsamer zu gehen. "Sicher, Jameson ist ein guter Freund. Wie kann ich Ihnen helfen?"

Breeze hätte ihren Spaß daran, dachte Mattie. Sie hatte erwartet, dass er ihr ausweichen und schnell verschwinden würde. Andererseits könnte er das noch tun, sobald sie ihre erste Frage stellte. "Können Sie mir sagen, warum die Akten im Fall Broud versiegelt sind? Er wurde aufgrund des DNA-Nachweises entlassen. Warum ist der Zugang immer noch nicht möglich?"

O'Neill zuckte die Schultern. "Das müssen Sie den Richter fragen, der den Verschluss angeordnet hat. Es könnte an dem erneuten Interesse an dem Fall liegen – oder daran, dass die Akten Informationen enthalten, die heute noch sensibel sind. Sie wissen sicher, dass es manchmal notwendig ist, die Identitäten der beteiligten Personen zu schützen, wie zum Beispiel Informanten und Zeugen, besonders minderjährige Zeugen."

Das wusste Mattie. Sie hatte selbst ein paar Mal in ihrer Karriere als Richterin einen Verschluss angeordnet, aber sie wollte O'Neill nicht unterbrechen. Er stellte sein juristisches Licht unter keinen Scheffel, und Mattie freute sich, so einige erhellende Erkenntnisse zu erlangen.

"Jeder scheint zu glauben, dass ich als Staatsanwalt an dem Fall beteiligt war", bemerkte er. "Ich war noch ganz neu zu der Zeit, ein echter Grünschnabel. Damals musste ich alles Mögliche recherchieren und bin nicht einmal in die Nähe des Gerichtssaals gekommen. Ich wurde nie auf dem Laufenden gehalten, aber eines kann ich Ihnen sagen: Sie waren davon überzeugt, dass sie den Schuldigen erwischt hatten. William Broud, ohne jeden Zweifel."

Mattie hatte bereits ausgeschlossen, dass er dem Sexring angehört hatte. Er war damals schlicht zu jung gewesen. Trotzdem war es interessant, wie er sich ausdrückte. Nie auf dem Laufenden gehalten.

"Und Sie haben auch geglaubt, dass Broud es war?"

Er verschränkte die Arme. "Ausgehend von den Beweisen damals, ja."

"Wissen Sie, warum die Akten ursprünglich versiegelt worden sind?"

"Noch einmal, da müssen Sie den Richter fragen, und ich fürchte, dass er im Ruhestand und weggezogen ist."

Nola Daniels hatte bereits dafür gesorgt, dass sie das wusste. O'Neill hatte vielleicht eine Idee, wie sie den Richter erreichen könnte. Danach wollte Mattie jedoch lieber nicht fragen. Sie wollte nur neugierig erscheinen. Und wenn sie sich dafür entscheiden sollte, den Richter zu suchen, wären ihre Kontakte dabei sicher höchst hilfreich. Dazu brauchte sie O'Neill nicht.

"Wussten Sie, dass Miss Rowe eine Sammlung mit Videokassetten besaß? Sie wurden von der Anklage als Beweismittel zugelassen, aber nie benutzt." Mattie wollte nicht mit harten Bandagen kämpfen. Doch sie hatte keine Zeit.

Sollte er von ihrem detaillierten Wissen überrascht sein, so ließ er sich allerdings überhaupt nichts anmerken. "Ich weiß von der Videosammlung, ja."

"Wussten Sie auch, dass eins fehlte, vermutlich schon am Tatort? Es war anscheinend eine Videoversion eines kleinen schwarzen Buchs. Es hieß 'Miss Rowes private Sozialstudien'."

"Ein kleines schwarzes Buch? So ausgedrückt habe ich es noch nie gehört." Sein Lächeln war mild, aber fasziniert. "Es klingt nach einem Videoband mit möglichen Verdächtigen, nicht wahr? So etwas würde den Fall wieder ins Rollen bringen."

Mattie blickte ihn verwundert an. Standen Sie und Frank O'Neill möglicherweise auf derselben Seite? Sie hatte erwartet, dass er sein Büro hitzig verteidigen würde. Zwar hatte sie ihm nicht direkt vorgehalten, dass die Anklage versagt habe, aber sie hatte es angedeutet.

Vorsichtig sprach sie weiter: "Das Band muss gefunden werden, Mr. O'Neill. Es ist vielleicht verschwunden, weil es den wahren Mörder enthüllt."

Nickend bestätigte er ihre Worte, und Mattie wagte sich weiter vor. "Könnten wir uns treffen und ausführlicher darüber sprechen? Vielleicht morgen?"

"Sicher", sagte er und zog eine Visitenkarte aus der Hosentasche. "Rufen Sie morgen früh in meinem Büro an. Ich werde meiner Assistentin sagen, dass sie Ihnen einen Termin geben soll."

Mattie wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Sie überlegte, ob sie ihm von dem Brief erzählen sollte, den Millicent Rowe dem Mann geschrieben hatte, der sie betrogen hatte. Das würde die Vermutung unterstützen, dass einer ihrer Liebhaber den Mord begangen hatte. Aber Mattie hatte für heute Abend wahrscheinlich genug geredet – und etwas anderes erregte O'Neills Aufmerksamkeit: Die Lampen am Pool waren angegangen, als die Sonne verschwunden war, und er schien über Matties Schulter zu blicken.

"Mein Gott", flüsterte er. "Das ist meine Frau. Wir wollten sie doch überraschen. Entschuldigen Sie mich, ich muss gehen."

Mattie drehte sich um, als er davoneilte, und hoffte, dass sie die Geburtstagsparty nicht verdorben hatte. Trotzdem bedauerte sie nicht, dass sie auf Frank O'Neill zugegangen war. Er war entgegenkommender gewesen, als sie zu hoffen gewagt hatte. Es war der erste Lichtstrahl in dem beängstigenden schwarzen Loch ihrer Untersuchungen. Sie hatte vielleicht sogar einen Verbündeten in dem Staatsanwalt gefunden.

Ihre einzige Sorge bildete die kleine Stimme in ihrem Kopf, die immer wieder fragte, ob ihre Freundinnen und sie in einer belastenden Situation seien. Was für eine furchtbare Ironie. Statt sie alle drei zu erlösen, könnte die Aufnahme ihr Schicksal besiegeln. Dieses Risiko musste Mattie auf sich nehmen. Sie hatte es mit einem Heuhaufen in der Größe Marin Countys zu tun, und die Nadel konnte überall sein. Allein würde sie sie nie finden. Aber angesichts dessen, was sie bereits über den Sexring und die beteiligten Männer wusste, könnte sie es vielleicht finden, bevor jemand anders es täte.

Sie bemerkte, wie O'Neill um den Pool schritt. Als ihr Blick auf die schlanke blonde Frau fiel, der er entgegenhastete, begann Mattie zu fluchen.

O'Neill hob die Hand und brachte die Menge zum Schweigen. "Entschuldigt bitte. Meine Frau Lane ist hier und hat uns überrascht, wo doch wir sie überraschen wollten!"

Gelächter und Applaus brachen los. Es gab Gratulationen und Glückwunschrufe. Mattie war zu verblüfft, um einzustimmen. Lane Davison war mit Frank O'Neill verheiratet?

Ob ihre Beine sie halten würden, wusste Mattie nicht sicher. Sie versuchte, einen Schritt zurück zu machen, doch das verletzte Knie fühlte sich an, als sei das Gelenk eingefroren. Wo war Jameson? Mattie musste von hier verschwinden. Sie ließ den Blick über den Poolbereich schweifen, konnte ihn jedoch nirgends entdecken. Vielleicht war er hineingegangen. Nur konnte Mattie es nicht riskieren, nach ihm zu suchen. Sie hätte Lane begegnen können.

Mattie fand ihr Gleichgewicht und versuchte, rückwärts zu gehen und sich in die Menschenmenge zu mischen. Es musste doch einen Seiten- oder Hinterausgang geben. Wenn Lane sie sehen und ihren Namen rufen würde, wäre jede gute Absicht von Frank O'Neill dahin. Er sollte nicht wissen, dass sie Schülerin an der Rowe-Akademie gewesen war.

Ohne allzu große Schwierigkeiten fand Mattie eine Tür im Zaun hinter dem Pavillon und ging hinaus. Der steinige Untergrund führte zu zerklüfteten Klippen, die über das Meer ragten. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne tauchten die Umgebung in ein schwaches Dämmerlicht. Jederzeit konnte es dunkel werden, Dunst war bereits über dem Wasser aufgestiegen. Mattie sah ihn schon um ihre Fußgelenke schweben.

Sie stieg aus ihren Pumps und kletterte vorsichtig über die Steine und Büsche. Wenn sie sich richtig erinnerte, befand sich der Parkplatz auf der anderen Seite des Hauses.

Die Dunkelheit kam schnell, dicke silberne Wolken schoben sich vor den Mond. Nur die Lichter des Hauses waren noch hell, während der Nebel um ihre Beine dichter wurde. Mattie konnte ihre Füße nicht mehr erkennen, und sie hatte Angst, wieder das Gleichgewicht zu verlieren.

In den Büschen hinter ihr raschelte es, und Mattie erschrak. Nur der Wind, beruhigte sie sich. Oder ein kleines Tier. Sie konnte nicht gut genug sehen, um sich schneller vorwärtszubewegen, aber sie beeilte sich trotzdem. Wenigstens tat ihr Knie nicht weh. Wahrscheinlich wegen des Adrenalins.

Das Rascheln hörte nicht auf. Es klang, als folgte ihr jemand. Mattie erlaubte sich nicht, darüber nachzudenken. Schließlich war es eine Geburtstagsparty, zu der sie mit Jameson gekommen war. Niemand hätte Mattie hier draußen erwarten können, allein und verletzlich. Alles, was sie tun musste, war, zum Hauseingang zu gelangen, dorthin, wo die Lichter brannten.

Der Mond beschien fahl die Landschaft. Als die Wolken ihn einschlossen, wurde es augenblicklich dunkel. Mattie bemühte sich, auf den Boden zu sehen, der immer stärker vernebelte. Schwer vorstellbar, dass so wohlhabende Leute wie die O'Neills nicht mehr Laternen auf ihrem Grundstück hatten. Interessant, dass O'Neill überhaupt so wohlhabend war. Von dem Gehalt eines Staatsanwalts? Vielleicht stammte der Reichtum auch aus Lanes Familie.

"Mattie?"

"Was?" Sie stoppte, unsicher, aus welcher Richtung das Flüstern gekommen war. Das Rascheln hatte aufgehört, und in der plötzlichen Stille hörte Mattie ihr eigenes Herz galoppieren. Jemand hatte sie angesprochen, da war sie sicher. Als sie sich umblickte, sah sie wenige Meter hinter sich einen Schatten auf dem Weg.

"Wer ist da?"

Die Gestalt kam näher, und eine verrückte Sekunde lang glaubte Mattie, sie hätte ein vertrautes Gesicht gesehen.

"Miss Rowe?", flüsterte sie.

Mattie ließ die Schuhe fallen, die sie in der Hand gehalten hatte, und rannte, flog förmlich über den Boden, ohne auf ihr Knie Rücksicht zu nehmen. Wie das Kind, das damals auf den Kiefernwald zugelaufen war, rannte Mattie wieder um ihr Leben. Es konnte nicht Miss Rowe gewesen sein. Miss Rowe war tot. Aber Mattie hatte ihr blasses Gesicht mit dem teuflischen Ausdruck gesehen. Ganz sicher hatte sie es gesehen.

Irgendwie schaffte sie es zum Eingang des Hauses und fand Jamesons Auto in der ersten Reihe auf dem Parkplatz. Die Tür war nicht verschlossen, Mattie glitt auf den Sitz, um zu prüfen, ob sie auf der Ablage einen Schlüssel fand. Als Jameson das Handschuhfach geöffnet hatte, war ihr Blick auf einen Zweitschlüssel gefallen. In dem gedämpften Licht fand sie ihn jetzt nicht.

Das Herz hämmerte ihr gegen die Rippen und schien mit jedem Schlag größer zu werden. Mattie hatte Angst, dass es explodierte. Hatte sie jemanden hinter sich gesehen? Sie betete, dass es nur Schatten gewesen waren. Trotzdem musste sie von hier weg. Wenn sie erst einmal in Sicherheit wäre, würde sie Jameson anrufen und ihm eine Nachricht hinterlassen.

Mattie fand den Zweitschlüssel und steckte ihn ins Zündschloss. Das Auto sprang sofort an, aber als sie zurücksetzte, sah sie jemanden im Rückspiegel. Es war Jameson! Mattie konnte nicht schnell genug bremsen. Das Auto quietschte und schlitterte, rammte einen Gegenstand und kam dann zum Stillstand. Schluchzend brach Mattie über dem Lenkrand zusammen. Bitte, lass es nicht ihn sein, den ich getroffen habe.