15. KAPITEL

Breeze Wheeler hatte noch nie eine Frau gesehen, die mehr Hilfe gebrauchen konnte als Mattie Smith. Für einen Kriseneinsatz war es bereits zu spät – hier ging es um Überlebenshilfe. Breeze verstand nicht, wie eine Frau in einem so vernachlässigten Zustand überhaupt leben konnte: Sie lief barfuß durch das Schlafzimmer, mit ungefeilten Fußnägeln und einer Jogginghose, die am Po beulte. Aber das Schlimmste war, wie sie ihre Fingernägel beäugte. So wie eine Strumpfbandnatter einen fetten Käfer anstiert.

Breeze war froh, dass Jane am Nachmittag nach D.C. zurückgekehrt war und das nicht sah. Mattie hatte ihre Fingernägel in den Tagen der Rowe-Akademie heruntergekaut. Der Anblick hatte Breeze Albträume verursacht, und sie war erleichtert gewesen, zu sehen, dass ihre Freundin das Problem bewältigt hatte. Sogar ohne Lack sahen Matties Nägel anständig aus, aber heute Abend wirkte sie wie eine Alkoholikerin vor dem Rückfall. Sie würde wieder anfangen zu knabbern, wenn Breeze nicht auf der Stelle etwas unternahm.

Mit einem unmerklichen Zittern stieg Breeze aus dem Bett und öffnete ihren riesigen Louis Vuitton-Koffer. Sin, ihr Lieblingsparfum, breitete sich schnell im Zimmer aus. Sie atmete tief ein und entspannte sich sofort. Das war es, was Mattie brauchte. Eine Schönheitsbehandlung und einen Duft, der sie beruhigte. Armes Ding, sie machte sich zu viel Sorgen. Mattie hielt sich nur in den dunklen Winkeln des Lebens auf. Breeze hatte gelernt, sich mit genug Luxus und Schönheit gegen die Nacht zu schützen. Einige Leute mochten sagen, dass sie in einer Fantasiewelt lebte, aber – na und? Es war immer noch besser als die Realität.

"Mal sehen, was wir hier haben", sagte Breeze mit dem Tonfall eines Doktors. "Die Zeit reicht nur für eine kurze Behandlung, aber ich habe schon in einer halben Stunde Leben gerettet. Das sollte kein Problem sein."

Mattie hatte anscheinend kein Wort gehört. Ihre Aufmerksamkeit war auf die Lösung des Problems gerichtet – eine Strategie zu finden, mit Jameson Cross umzugehen. Der Teppich musste von ihren ruhelosen Schritten fast durchgelaufen sein. Jetzt saß sie in einem ihrer knarrenden Rattansessel, nach vorn gebeugt, das Kinn auf ihre Hand gestützt.

Ihre Assistentin hatte an diesem Morgen angerufen. Es schien, als müsse Mattie morgen bei einer Anhörung für einen Kollegen einspringen und Breeze hatte gehört, wie sie mit ihrer Mitarbeiterin über einen neuen Fall gesprochen hatte. Nichts davon hatte Mattie Kopfzerbrechen bereitet. Nur dieser eine Mann.

"Vielleicht solltest du noch einmal darüber nachdenken", schlug Breeze vor. "Er ist ein Mann. Appelliere an seine ritterlichen Instinkte. Das funktioniert immer."

Mattie warf ihr einen finsteren Blick zu. "Meinst du, er besitzt so etwas?"

"Natürlich, Männer lieben es, den Ritter zu spielen. Benutz deinen Charme und Witz! Du weißt doch, wie Miss Rowe zu sagen pflegte: 'Schönheit ist weder Fluch noch Segen, meine Damen. Sie ist eine Währung. Investieren Sie Ihr Vermögen klug.' Erinnerst du dich?"

Offenbar, denn Mattie sah aus, als würde sie krank werden.

"Welcher Charme, welcher Witz?", grummelte sie vor sich hin. "Du vergisst, mit wem du es zu tun hast."

Resigniert hob Breeze die Arme und ließ die Enden ihres schwarzen Seidenkimonos flattern. "Meine Güte, du bist ein schlaues Köpfchen. Aber wenn du dir über die Schlacht zu viele Gedanken machst, wirst du den Krieg verlieren. Zeig ein bisschen Bein, flüstere ihm ins Ohr und lass ihn glauben, dass er die Situation gewinnen kann, wenn er sich mit einem anderen Mordfall beschäftigt, vielleicht einem, der nicht zwei Jahrzehnte zurückliegt."

"Also … Ich soll seine Sympathie gewinnen und ihm erzählen, dass die einsamen Mädchen nur unschuldige Zuschauerinnen waren? Vielleicht könnte ich ihn daran erinnern, dass wir noch Kinder waren, als es passierte, und wir unmöglich so etwas Teuflisches hätten tun können, und oh, übrigens, wir alle aus zerrütteten Familien stammten …"

"Genau! Kämpfe wie eine Frau. Du kannst es."

"Äh", machte Mattie und verzog das Gesicht. "Willst du, dass ich unser gesamtes Geschlecht der Lächerlichkeit preisgebe? Uns zurück in die Zeiten von Sandra Dee und ihren Staubwedel-Wimpern versetze? Du weißt schon, das war das Mädchen, das von ihrer Mutter vermarktet wurde – und am Ende Alkoholikerin geworden ist."

Mit einem Seufzer machte Breeze ihrer Ungeduld Luft. "Wenn du Fair Play willst, dann kannst du Cross auch direkt verraten, was wir getan haben. Wir werden alle zusammen untergehen, so wie wir es damals geplant haben. Nur dass es Jane am härtesten treffen wird – sie hat bei Weitem am meisten zu verlieren."

Mattie nickte und klopfte mit den Fingern gegen ihre Wange. "Offen gesagt hat Jane mir große Sorgen gemacht. Ich habe sie noch nie so verletzlich gesehen. Deshalb zerbreche ich mir den Kopf. Ich kann das nicht versauen. Um ihretwillen darf ich das nicht."

Wieder versank Mattie in Grübeleien und überließ ihren Hausgast sich selbst. Breeze hatte derweil den Koffer geschlossen, um das karge Schlafzimmer zu inspizieren, in dem sie die nächsten Tage verbringen würde, bis sich der Wirbel um Jameson Cross gelegt haben würde. Und Breeze war sicher, dass er sich legen würde. Diese Dinge erledigten sich immer von selbst. Mattie und Jane reagierten über.

In der Zwischenzeit …

Skeptisch sah sich Breeze im Gästezimmer um und überlegte, ob die Bezeichnung auf den Raum überhaupt zutraf. Mattie könnte auch beim Dekorieren etwas Hilfe gebrauchen. Breeze würde im doppelten Sinn Lebenshilfe leisten. Sie war kein Fan von so minimalistischen Dingen, Feng-Shui oder schlichten Stoffen, und das bedeutete, dass Matties ganzes Haus auf den Kopf gestellt werden müsste.

"Niemals", murmelte Mattie wie zu sich selbst. "Ich kann nicht glauben, dass ich etwas so Lächerliches tatsächlich in Betracht ziehe."

Überrascht drehte sich Breeze um.

"Jameson Cross zu überreden, uns zu helfen. Mit ihm zu spielen, ihn zu verführen. Das ist doch krank!"

"Ich weiß! Ist das nicht großartig? Und zur Hölle, ja, du kannst das. Du hast die Intelligenz und den Mut dazu. Gott weiß, dass du Nerven wie Drahtseile hast." Breeze verschränkte die Arme und fixierte Matties Äußeres. "Aber der Rest wird etwas Zeit und Arbeit in Anspruch nehmen."

"Wie viel Arbeit?"

"Mattie, du bist ein Wrack."

Mattie funkelte sie an.

"Du brauchst Hilfe, Matratze. Sagen wir doch einfach, es ist gut, dass ich hier bin."

Jetzt starrte Mattie sie so finster an, wie nur sie es konnte, alle Nerven und Gesichtsmuskeln angespannt. "Nenn mich nicht so."

Matratze war Matties Spitzname in der Schule gewesen, und es passte wie die Faust aufs Auge, fand Breeze. Damals hatte Mattie nie etwas auf ihr Aussehen gegeben. Sie hatte tatsächlich einem ungemachten Bett geähnelt. Aber zu dem Namen war sie gekommen, weil sie unheimliche Dinge unter ihrer Matratze versteckt hielt. Breeze erinnerte sich an vergilbte Handlesekarten, eine fleckige Augenbinde und den Teddybär, den Ivy ihr geschenkt hatte.

Bei der Erinnerung musste Breeze lächeln. Mattie war immer der schräge Vogel gewesen, die Außenseiterin unter den Außenseiterinnen. Ivy war wehmütig und sensibel, in vielerlei Hinsicht eine verlorene Seele. Jane dagegen bildete die Autorität und Mutter der Kompanie. Es gab niemand Besseren als Jane, wenn man einen Rat brauchte. Aber Mattie war kämpferisch, loyal und schüchtern, der Robin Hood der Gruppe. Sie hätte ihre Freunde mit dem Leben verteidigt, und so jemanden hatte es in Breezes Leben nicht noch einmal gegeben.

Vergnügt kniete sich Breeze vor ihren Koffer und zog verschiedene Dinge heraus.

"Ich muss verrückt sein", sagte Mattie. "Das wird nie im Leben funktionieren. Er wird sich totlachen."

Breeze wurde ernst. "Mattie, du bist die Expertin für alles andere, aber ich bin die Expertin für Männer, okay? Es ist eine wissenschaftlich erwiesene Tatsache, dass Männer lieber attraktiven Frauen helfen. Jeder tut das übrigens. Es gibt Studien, die beweisen, dass gut aussehenden Menschen zweimal so häufig Hilfe angeboten wird wie unattraktiven Menschen. Okay, das ist nicht fair, aber gutes Aussehen ist ein Riesenvorteil, und du nutzt deines nicht."

Prüfend warf Mattie einen Blick in den Spiegel des Kleiderschranks. Sie zog an ihrem Haargummi, als ob das Problem dadurch gelöst würde. "Breeze, das ist Irrsinn", sagte sie. "Wer führt denn so eine Studie durch? Das kann nicht stimmen."

"Wollen wir wetten?" Breeze fuhr fort, ihren Koffer nach Zaubermitteln zu durchsuchen.

"Natürlich nicht. Das ist ausgemachter Blödsinn. Wenn überhaupt, dann ist Schönheit von Nachteil. Die Leute nehmen dich nicht ernst. Männer wollen mit dir schlafen, nicht mit dir arbeiten. Das solltest du wissen."

Breeze wuchtete eine Plastiktasche mit Kosmetikprodukten auf das Bett und zog den Reißverschluss auf. Erfreut holte sie den Schwamm heraus, den sie gesucht hatte, griff nach einer Cremetube und war mit einem Satz im Badezimmer.

"Ich muss nur diesen Schwamm befeuchten", rief sie laut.

"Lass dir Zeit", rief Mattie zurück.

Matties Badezimmer bewertete Breeze ebenfalls mit einem Ungenügend. Das Licht war ungünstig, weil viele Schatten entstanden. Außerdem war der Spiegel nicht groß genug, und es gab kein gefiltertes Wasser. Sämtliche Kosmetikprodukte, die Breeze entdecken konnte, enthielten natürlich Lanolin. Ekliges Zeug. Verstopfte die Poren.

"Schönheit, Luxus und Spaß sind mein Geschäft", verkündete Breeze, als sie in das Schlafzimmer zurückkehrte. "Ich unterschätze ihre Macht nicht – und das solltest du auch nicht."

Auf dem Bett sitzend, beobachtete Mattie sie. "Wo du schon von deinem Geschäft sprichst – wie läuft es?"

Hätte ihr jemand anderes diese Frage gestellt, wäre Breeze vorsichtig gewesen. Nie sprach sie offen über ihren Job, das erklärte sich von selbst, aber Mattie und Jane wussten von den Extras, die man in ihrem Spa buchen konnte. Auf Janes Hochzeitsfest hatte Breeze ihnen das Geheimnis verraten, und beide hatten leicht schockiert, aber nicht abwertend reagiert. Sie sorgten sich um Breezes Wohlergehen und Glück. Breeze hatte ihnen versichert, dass es in beiderlei Hinsicht gut aussah.

"Könnte nicht besser sein", sagte Breeze. "Ich suche mir meine Stunden aus, verdiene viel Geld und handle mit Träumen. Das ist der beste Part."

Das erste Mal an diesem Abend trat Glanz in Matties Augen. "Das muss schön sein."

"Ja, das ist es."

"Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, mit vielen Männern zu schlafen. Hm, aber ich kann mir ja nicht mal vorstellen, überhaupt mit einem Mann zu schlafen."

Breeze lachte. "Ich enttäusche dich nur ungern, aber es gibt zurzeit nur einen, der mich regelmäßig in meiner Suite besucht. Der ist allerdings ein Prinz." Nachdenklich wickelte sie den Knoten des Kimonos um ihren Finger. "Ich glaube, es ist eine Berufung. Ich mache Menschen glücklich."

"Und was ist mit dir? Bist du glücklich?"

"Natürlich", erwiderte sie mit ein bisschen zu viel Nachdruck. Der Anflug von Traurigkeit ärgerte sie. Sie hatte sich selbst nie als unglücklich betrachtet. Natürlich war sie es auch nicht. Das war unmöglich bei ihrem Leben. Schließlich lebte sie die geheimen Träume jeder Frau.

Matties Blick verriet eine Mischung aus Neid und Neugier. "War es komisch, so mit einem Mann zusammen zu sein? Ich meine, damals, als wir in Rowe waren?"

Die Frage überraschte Breeze nicht, aber sie musste darüber nachdenken. Es war nicht so geplant gewesen, das wusste sie. Miss Rowe hatte beabsichtigt, ihren "Freunden" eine Auswahl von vier niedlichen Mädchen anzubieten, aber die Männer hatten sich in erster Linie für Breeze, die laszive Blonde, und Ivy, die melancholische Rothaarige, interessiert, nicht so sehr für die anderen beiden. Mattie war zu wild, Jane zu steif und zu proper.

Soweit Breeze wusste, hatte Ivy nur einen Mann gehabt, der offenbar sehr wohlhabend war und sie in einer Limousine abzuholen pflegte. Breeze hätte auch gern so eine exklusive Situation erlebt, aber sie hatte sich damit getröstet, dass sie überaus beliebt war. Es wollten sich mehr Männer mit ihr treffen, als ihre Zeit es erlaubte.

"Ehrlich gesagt", gab Breeze zu, "hatte ich es als Kompliment empfunden. Ich glaube, dass ich mich wie eine Auserwählte gefühlt habe."

"Aber du warst erst vierzehn. Der Gedanke an Männer hat mich in dem Alter krank gemacht."

"Ich war nie vierzehn, Mattie." Breeze wusste nicht, ob sie über diese Erkenntnis lachen oder weinen sollte. Sie war nie wirklich Teenager oder Kind gewesen. Und trotzdem hatte sie eine Kindheit erlebt, von der die meisten träumten. Keine Regeln und keine Bestrafungen. Wenn sie ihr Lieblingsspielzeug kaputt gemacht hatte und losheulte, weinten die Eltern mit ihr. Der Schulunterricht hatte bei ihr zu Hause mit den anderen Kindern der Kommune stattgefunden, die Schüler waren vor allem ermutigt worden, ihren Empfindungen Ausdruck zu verleihen.

Sie hatte all den Raum und die Freiheit gehabt, die ein Kind sich nur wünschen konnte. Aber manchmal fragte sie sich, ob es zu viel des Guten gewesen war. Es hatte ihr das vage Gefühl von Schwerelosigkeit vermittelt, als ob nichts von Dauer wäre und sich niemand lange an einem Ort befände.

Selbst ihre Eltern verschwanden für ihren letzten Kampf im Gefängnis und waren somit monatelang außer Reichweite. Breeze nahm ihnen nicht übel, dass sie die Welt verändern wollten. Irgendwer sollte sich das zur Aufgabe machen. Sie hatte sie sogar mit Geld und juristischem Beistand unterstützt und sich auch nicht alleingelassen gefühlt. Das war nicht der Punkt. All die Jahre hatte es sich vielmehr so angefühlt, als hätten ihre Eltern nie existiert.

Eine Hand in die Hüfte gestützt, wandte sich Breeze wieder der Gegenwart zu. "Willst du mich ablenken, Matratze?" Sie zog Mattie am Ärmel und setzte sie vor den Spiegel. "Zieh dein Sweatshirt aus", sagte sie. "Ich brauche etwas Platz."

Mattie zog sich bis auf den BH aus, während Breeze eine Auswahl an Schönheitsmittelchen zusammenstellte.

"Hier ist meine Diagnose. Dein Gesicht muss regelmäßig gereinigt und gepeelt werden, deine Haare brauchen einen Schnitt und Strähnchen, deine Zähne könnten ein bisschen aufgehellt werden. Aber dein Busen ist toll. Das ist schon was."

"Super, ich ziehe mir einfach eine Tüte über den Kopf und gehe oben ohne."

"Der Traum aller Männer", murmelte Breeze und setzte sich Mattie gegenüber in den Schneidersitz. "Und jetzt halt die Klappe."

Zuerst bearbeitete sie Matties Haut mit einem sanften Reinigungsschaum. Dann strich sie ein Peeling aus Hafermehl und Aprikose auf eines der Schwämmchen. Mattie zuckte zurück, als Breeze ihr die krümelige Mischung auf das Dekolleté auftrug.

"Aua, was machst du da?"

"Ein Peeling. Deine Haut ist wie ein Babypopo."

"Ist das nicht gut?"

"Dieses Baby hat einen Ausschlag am Hintern."

Breeze rubbelte sanft und mit genauso viel Druck, dass ein rosiger Glanz auf Matties blasser Haut erschien. Als sie den gewünschten Effekt erzielt hatte, zog sie die skeptische Freundin ins Badezimmer und spülte alles gründlich ab.

"Schon besser", sagte Breeze. "Und das sogar ohne Make-up. Jetzt kommt die Maske, die die Poren verkleinert."

"Wenn dir etwas am Leben liegt, dann bleib mir weg mit einer Maske."

"Okay, dann die Reinigungslotion." Breeze hatte vergessen, dass Mattie klaustrophobisch veranlagt war.

Die Reinigungslotion brannte, wie Mattie Breeze empört mitteilte – woraufhin Breeze mit Genugtuung erklärte, die Maske hätte das nicht getan. Das Programm endete mit einer Feuchtigkeitscreme, die versprach, feine Fältchen sofort zu eliminieren. Davon hatte Mattie einige, wahrscheinlich vom permanenten Stirnrunzeln.

Als Breeze fertig war, drückte sie Mattie einen kleinen Spiegel in die Hand und ermutigte sie, ihr frisches, neues Ich zu betrachten.

Mattie verfiel sofort wieder ins Grübeln. "Alles, was ich tun muss, ist mit den Wimpern zu klimpern, und Cross frisst mir aus der Hand?"

"Er wird sich auf alles stürzen, was du ihm vorsetzt, also halt die Beine geschlossen."

"Das war genau das, was ich hören wollte."

"Halte dich in der Nähe deiner Feinde auf", sagte Breeze und verriet damit ein Konzept, an das sie fest glaubte. "Lerne sie besser kennen als deine Freunde. Du kannst nur mit Schlangen umgehen, wenn du zu jedem Zeitpunkt weißt, wo sie stecken. Denk darüber nach."

Mattie warf einen Blick in den Spiegel und ließ ihn dann sinken. "Muss ich das?"

"Du bist undankbar." Breeze begann, ihre Mittelchen zusammenzusammeln und sie zurück in den Koffer zu legen. "Morgen werden wir das ganze Paket in Angriff nehmen – Make-up, Haare, Outfit. Und was hältst du davon, wenn ich einen Innenarchitekten zurate ziehe?"

"Planst du, mich aufpolstern zu lassen?"

"Nein, das Haus. Es könnte ebenfalls eine Frischzellenkur gebrauchen."

Mattie schüttelte den Kopf. "Breeze, es gibt auf der anderen Seite der Bay ein Hotel. Noch ein Wort über Veränderung, und ich sorge dafür, dass du deinen Aufenthaltsort änderst."

Breeze seufzte. "Wenn du meinst."

Erneut betrachtete sich Mattie im Spiegel, was Breeze gefiel. Für eine Ignorantin schien sie fasziniert von dem frischen Teint zu sein, den sie sah.

"Ich frage mich, was Miss Rowe jetzt von mir denken würde", sagte sie.

Die etwas wehmütig geäußerte Frage aus Matties Mund war Dank genug für Breeze. "Sie würde denken, dass jemand etwas getan hat, was sie nicht konnte. Du musst mir nicht danken, Mattie, aber du bist dabei, dich in die verführerische Frau zu verwandeln, die seit deiner Geburt in dir schlummert."

Entschlossen, das Thema zu wechseln, legte Mattie den Spiegel mit dem Rücken nach oben auf den Waschtisch. "Hast du darüber nachgedacht, wer sie wirklich getötet hat? Ich meine, jetzt, da wir wissen, dass Broud es nicht war?"

"Miss Rowe?" Breeze spürte einen seltsamen Anflug von Angst. Sie ignorierte ihn sofort. Jane und Mattie ging es bei diesem Gefühl genauso. Aber Matties Frage hatte sie irritiert, weil sie wusste, dass jeder sich das jetzt fragte. Es war ein Geheimnis, das bereits zu viel Aufmerksamkeit erregt hatte, und wenn die Menschen wüssten, wer – und was – mit dem Mord zu tun hatte, würde die Fragerei niemals aufhören.

Das unangenehme Gefühl war immer noch da, stellte sie fest. Es wurde stärker, schärfer und stach Breeze in den Magen wie ein Federkiel. Sie nahm den Spiegel hoch, warf einen schnellen Blick hinein, überprüfte ihr Gesicht und runzelte die Stirn. War das ein Pickel? Sie musste bald eine Gesichtsbehandlung machen.

"Ich bin mir sicher, dass es viele Menschen gab, die sie tot sehen wollten", stellte Mattie fest.

Breeze schaute sie über den Spiegel hinweg an. "Sogar wir wollten sie tot sehen."

"Ich wünschte nur, wir hätten es dabei belassen", sagte Mattie mit ruhiger Stimme. Sie stand vom Waschtisch auf und wirkte müde. "Schlafenszeit für mich", sagte sie. "Ich muss morgen früh raus." Als wollte sie noch etwas anderes sagen, zögerte sie einen Moment. "Was ist mit dir? Schönheitsschlaf?"

"Ich? Ja, sicher." Breeze nickte, aber sie war in Gedanken woanders, bei der Nacht, in der der Club der einsamen Mädchen gegründet wurde. Es war ihr erstes Jahr in der Rowe-Akademie gewesen. Die Direktorin hatte den festen Entschluss gefasst, die vier Stipendiatinnen unter ihre Fittiche zu nehmen. Sie hatte sie in ihr Apartment zu einer Orientierungsstunde eingeladen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich an ihr neues Zuhause zu gewöhnen, und um die Entwicklung ihrer sozialen Fähigkeiten zu fördern. Das dachten sie zumindest. Die vier Mädchen freuten sich über diese Sonderbehandlung, sogar Mattie. Sie waren gut gelaunt und voller Erwartungen. Die Zukunft strahlte. Alles war perfekt.