28. KAPITEL
“Alison, du trinkst ja gar nichts! Es schmeckt köstlich!” Julia griff nach der Flasche mit dem kalifornischen Chardonnay, passend zum Lachs, den Bret für sie zum Abendessen gegrillt hatte. “Bist du immer noch verstimmt wegen heute Nachmittag?”
Marnie musste sich bemühen, darauf zu antworten, es war einfach lächerlich. Julia und Bret taten so, als wäre dies hier ein ganz normales Abendessen in der Villa. Sie wusste nicht, ob die beiden den Ernst der Lage tatsächlich nicht verstanden oder einfach Meister der Verdrängung waren.
“Warum sollte ich denn verstimmt sein?”, sagte sie. “Ich wurde heute doch nur wegen zweifachen Mordes angeklagt. Es hätte ja noch viel schlimmer kommen können.”
Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. Marnie war völlig mit den Nerven fertig und zu erschöpft, um ihnen etwas vorzumachen. Den ganzen Nachmittag hatte sie darauf gewartet, dass sich jemand meldete, weil ihre Fingerabdrücke nicht mit denen Alisons übereinstimmten. Sobald dies entdeckt würde, würde alles ans Licht kommen, danach gab es keine Ausflüchte mehr, dann platzte die Bombe, und alle erfuhren, dass sie nicht Alison war. Doch niemand meldete sich – und diese Warterei war kaum auszuhalten.
Sie musste unbedingt mit Andrew sprechen. Bisher hatte sie ihn immer noch nicht auf dem Handy erreicht, und er hatte sich auch nicht bei ihr gemeldet. Inzwischen befürchtete sie sogar, dass ihm etwas passiert war. Selbst das Büro des Sheriffs hatte inzwischen Nachforschungen angestellt, ohne Erfolg.
“Nun entschuldige bitte vielmals”, erwiderte Julia offensichtlich beleidigt. “Ich habe dich ja nur mit einer Kaution freigekauft und dir den besten Strafverteidiger besorgt, den man für Geld bekommen kann. Wenn das deine Einstellung dazu ist, bitte schön. Ich werde jedenfalls weiterhin fest daran glauben, dass alles gut wird.”
“Ich auch”, sagte Bret und grinste sie über den Rand seines Weinglases hinweg an. Er zwinkerte Marnie zu. “Aber bitte bleib, wie du bist, Schwesterherz. Mir gefällt es, wenn du die gemeine kleine Zicke gibst.”
Marnie ignorierte ihn. Bei Bret ging es gar nicht anders. Inzwischen war sie zu der Überzeugung gelangt, dass er zwar ein Mistkerl, aber eigentlich ganz harmlos war. Andrews Verschwinden machte ihr weit mehr zu schaffen als Brets ständige Angriffe. Zumindest versuchte der kleine Bruder offensichtlich auf seine ganz eigene verdrehte Art, sie zu unterstützen. Er hatte angeboten, heute Abend zu kochen, als Rebecca sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, weil sie sich nicht gut fühlte. Es war sein Vorschlag gewesen, dass man zusammen auf der Terrasse zu Abend aß, wo es angenehm ruhig und kühl war.
Marnie zog sich die Strickjacke etwas fester um den Körper. Als sie vom Gericht nach Hause gekommen waren, hatte sie geduscht und sich ein einfaches Sonnenkleid mit einer passenden Jacke dazu angezogen. Jetzt wurde ihr darin ein wenig kühl, aber ansonsten war das Dinner auf der Terrasse eine gute Idee gewesen.
Ein rosafarbener Nebel lag über dem Meer, und die Sonne senkte sich rot und rund wie ein Granatapfel ins Wasser. Unter anderen Umständen hätte sie diesen Ausblick genossen.
“Ich bin dir wirklich dankbar für deine Hilfe”, versicherte sie Julia. “Ganz bestimmt, glaub mir, und zwar mehr, als ich dir sagen kann.”
Julia lächelte erfreut. “Darling, es wird schon alles gut werden. Du hast Schreckliches ertragen müssen, ich weiß, aber versuch nicht, es noch schlimmer zu machen.”
Marnie nickte. Ihr zuzustimmen, war sicher die einzige Möglichkeit, Julia in ihrer überdrehten Fröhlichkeit etwas zu dämpfen. Sie hatte sich offensichtlich fest vorgenommen, optimistisch zu sein und fest daran zu glauben, dass der Anwalt, den sie für ihre Tochter engagiert hatte, Wunder vollbringen konnte. So fähig wie der Verteidiger sei, so fadenscheinig sei die Beweisführung der Staatsanwaltschaft.
Marnie nahm an, dass dieses Verhalten normal für eine Familie war, die eine Krise durchmachte, vor allem wenn es sich um eine so stinkreiche Familie handelte. Sie rückten zusammen und schirmten sich gegen die Außenwelt ab. Doch sie reagierte eben anders. Am liebsten hätte sie allen hier den Rücken gekehrt und sich irgendwo verkrochen, und zwar allein. So hatte sie es in ihrem Leben bisher immer getan. Sie fühlte sich von diesem Korpsgeist der Fairmonts regelrecht bedroht, zumal sie ja nicht wirklich ihre Familie waren – und diese Bombe könnte jeden Moment platzen. Jederzeit könnte das Telefon klingeln …
Fast wünschte sie, es wäre endlich so weit.
“Wein?” Julia hielt ihr die Flasche hin.
“Ja, gern.” Marnie hob ihr Glas, und Julia stand auf, um ihr einzuschenken. Vielleicht sollte sie sich einfach betrinken. Das schien ja offensichtlich bei den anderen zu funktionieren.
“Hast du schon was von deinem Mann gehört?”, wollte Bret wissen.
Marnie ignorierte ihn einfach. Sie war stolz auf sich, dass sie nicht mehr ständig nach dem Köder schnappte, den er ihr hinwarf. Er wusste ganz genau, dass Andrew sich nicht gemeldet hatte. Es gefiel ihm nur, das Messer noch ein bisschen in der Wunde zu drehen. Sie steckte ihre Gabel in ein Stück Lachs und schob es auf ihrem Teller hin und her. Die ersten Bissen waren köstlich gewesen, aber sie hatte überhaupt keinen Appetit.
“Vielleicht sollte ich Rebecca etwas hochbringen?”, schlug sie vor. “Sie hat bestimmt Hunger.”
“Das mache ich später”, sagte Julia. “Bei der Gelegenheit kann ich mich gleich mal ein bisschen mit ihr unterhalten. Ich fürchte, die Sache geht ihr ziemlich zu Herzen, noch mehr als uns. Die Driscolls halten sich natürlich immer aufrecht – und schließlich fließt ja in uns allen Driscollblut, nicht wahr?”
Sich immer aufrecht halten, das klang nach einem Ausspruch von Julias Mutter Eleanor. Sehr interessant, wie oft sich Julia auf diese Frau bezog, die sie doch angeblich so sehr hasste. Marnie wusste aus erster Hand, dass die Beziehung zwischen Alison und ihrer Mutter kompliziert war. Sicher spielte in dem Verhältnis von Julia zu ihrer Mutter noch mehr mit als bloßer Hass.
“Vielleicht würde es ja etwas helfen, wenn ich mit ihr spreche?”, fragte Marnie. “Falls sie sich um mich Sorgen macht, könnte ich sie beruhigen.”
“Das wäre sehr nett, Alison. Übrigens hast du deinem Bruder nicht geantwortet, als er dich nach Andrew fragte. Ich habe gehört, wie du diesem Detektiv gesagt hast – wie hieß er noch mal, Connelly? –, dass er sich immer noch nicht gemeldet hat.”
Julia wollte heute Abend einfach nicht ihren Mund halten.
“Du kannst dir doch denken”, fuhr sie fort, “dass man nach ihm fahnden wird, wenn er nicht bald auftaucht. Wenn du ihn irgendwie kontaktieren könntest, wäre das sehr gut.”
“Meinst du nicht, dass ich schon längst versucht habe, ihn zu erreichen?”, rief Marnie verzweifelt. Sie musste tief durchatmen, um Ruhe zu bewahren. “Entschuldigung”, sagte sie. “Das ist die Anspannung. Ich habe jeden Tag eine Nachricht für ihn hinterlassen, außerdem eine Meldung auf seinem Pager. Bestimmt wird er bald antworten.”
Sie betete, dass Julia es dabei belassen würde. Marnie glaubte inzwischen nicht mehr daran, dass Andrew sich melden würde – sie hätte sich eigentlich denken können, dass er diese ganzen frommen Versprechen nicht halten würde – von wegen, er wolle sie beschützen und ihre Großmutter suchen. Er hielt es nicht mal für nötig, auf ihre Anrufe zu reagieren. Es gab Momente, da ertappte sie sich sogar bei dem Gedanken, dass es einfacher für sie sei, wenn ihm tatsächlich etwas Schreckliches passiert wäre. Wenigstens hätte sie dann die Gewissheit, dass er sie nicht schändlich im Stich gelassen hatte.
Sie fuhr sich mit der Hand an die Kehle und erschrak, als ihr einfiel, dass er ihren Pennyring bei sich trug. Sie hatte schließlich darauf bestanden, dass er ihn mitnahm. Mit einem Mal überfiel sie das schreckliche Gefühl, dass sie vollkommen verloren war. In jeder Beziehung verloren. Wie idiotisch von ihr, ihm in ihrem Sexrausch den einzigen Gegenstand zu geben, der ihr wirklich etwas bedeutete. Was für eine unglaubliche Idiotin sie doch war. Diese Sache hier musste sie ganz allein durchstehen, wenn sie erst mal entlarvt wurde, brauchte sie auch nicht mehr mit der Unterstützung der Fairmonts zu rechnen.
Gleich morgen früh hatte sie eine Verabredung mit James Brainard, aber die müsste verschoben werden. Marnie musste etwas anderes erledigen, und das konnte nicht warten.
Andrew stand vor dem grobkörnigen Fernsehbild und sah in den Nachrichten Bilder von Marnie, wie sie versuchte, vor dem Gerichtsgebäude der hungrigen Meute von Reportern zu entkommen. Sie war in Begleitung der Fairmonts sowie eines hochkarätigen Anwalts und sah verloren, durcheinander und verschlossen aus. Diesen Blick hatte er schon einmal gesehen. Sie schien auf das Schlimmste gefasst – die anderen ebenfalls.
In den Lokalnachrichten wurde die Geschichte noch einmal aufgerollt, man beschrieb sie als die geheimnisvolle, zurückgezogen lebende Erbin, die vor sechs Monaten wie durch ein Wunder einen schweren Bootsunfall überlebt hatte. Man berichtete über die vielen plastischen Operationen, bei denen ihr Gesicht wiederhergestellt worden war – die Fotos, die von Alison vor dem Unfall eingeblendet wurden, zeigten eine arglose schöne Blondine, die völlig anders aussah als diese aufgelöste dunkelhaarige Frau im Filmbeitrag.
Andrew schaltete den Ton aus. Nur er wusste, wer diese geheimnisvolle Erbin tatsächlich war – und nur er konnte sie aus diesem fürchterlichen Schlamassel befreien. Doch wenn er das tat, war alles vorbei – für sie beide. Er und Marnie hatten unsichtbare Schlingen um ihren Hals, sie waren beide im selben Netz gefangen. Eine falsche Bewegung würde ihr Ende bedeuten.
Er blickte zu der gut bestückten Hausbar hinüber, und ihm zog sich die Kehle zusammen, sein Mund fühlte sich ausgetrocknet an. Er hatte Lust auf einen Drink. Er wusste, dass ein Drink nichts ändern würde, er könnte ihm lediglich helfen, eine Zeit lang die Realität zu verdrängen, aber im Moment kam ihm diese Möglichkeit ziemlich verlockend vor.
Er war zurück in Mirage Bay und wohnte in dem Haus am Strand, das er vor seiner Abreise nach Mexiko angemietet hatte. Eigentlich hatte er gehofft, dieses Versteck nicht zu benötigen, wollte aber auf alles vorbereitet sein. Seine Reise nach Baja war ein Trick gewesen, um denjenigen aufzuscheuchen, der ihm an den Kragen wollte und der womöglich zwei Morde begangen und nun außerdem LaDonna auf dem Gewissen hatte.
Andrew glaubte immer noch, dass der ursprüngliche Plan funktioniert hätte, wenn er nicht gezwungen gewesen wäre umzudenken und in die Staaten zurückzukehren, als er von dem Mord an LaDonna und der Anklage gegen Marnie erfahren hatte. Als er zurückkam, wimmelte es in Sea Clouds von Polizisten, und Andrew sah sich außerstande, sich der Villa zu nähern. Wenn er entdeckt wurde, war seine Chance, Marnie zu helfen, vertan. Er musste sich ruhig verhalten. Unglücklicherweise war Diego Sanchez, Andrews einziger Draht zu Marnie, inzwischen von Bret vom Anwesen geworfen worden.
Diego konnte die Villa nicht einmal beobachten, ohne zu riskieren, dass ihn die Polizei oder Tony Bogart entdeckten. Also betrieb Andrew seine eigenen Nachforschungen. Sein angemietetes Strandhaus lag auf einer Klippe hinter Sea Clouds, und von seinem erhöhten Standort aus konnte Andrew beobachten, wie sich der Albtraum entwickelte, ohne dass er hätte einschreiten können. Die Situation wurde zusehends schlimmer. Man beschuldigte Marnie, sich selbst umgebracht zu haben, und es war ihr unmöglich, ihre Identität zu beweisen. Nicht mal er konnte das. Es gab keine Unterlagen über sie. Hatte es niemals gegeben.
Damals, als sie sich bereit erklärt hatte, in Alisons Rolle zu schlüpfen, hatte er nach Unterlagen über Marnie Hazelton gesucht, aber keine gefunden. Durch die Zeitungsartikel über die Untersuchung zu Butchs Mordfall hatte er dann erfahren, dass es auch der Polizei nicht gelungen war, irgendwelche Dokumente über sie aufzutreiben. Bis auf ein paar vereinzelte Nachweise von Schulbesuchen existierte Marnie Hazelton offiziell gar nicht. Es gab auch keine Fingerabdrücke.
Man hatte auch ihre Großmutter befragt, doch diese hielt selbst dann noch an ihrer Geschichte über das Baby im Weidenkorb fest, als man ihr drohte, sie anzuzeigen. Sie erzählte der Polizei, dass Marnie zu Hause Unterricht erhalten habe, nachdem sie aufgrund ihrer Verunstaltung zur Zielscheibe der anderen Schüler geworden war. Das erklärte, warum es nur sporadische Aufzeichnungen über ihren Schulbesuch gab. Josephine Hazelton hatte ebenfalls beteuert, für Marnies medizinische Versorgung gesorgt zu haben. Die Polizei war bei ihr nicht weitergekommen, doch offensichtlich hatten sie davon abgesehen, die verstörte alte Frau, deren geliebtes Kind vermisst wurde, anzuzeigen.
Andrew verstand bis heute nicht, warum es keine Dokumente gab, die Marnies Existenz bewiesen, doch anfänglich hatte ihm diese Tatsache die Arbeit erleichtert. Und auch jetzt könnte es für sie von Vorteil sein. Wenn die Staatsanwaltschaft erfuhr, dass sie nicht Alison war, hätte das zur Folge, dass sie beide wegen Mordes und arglistiger Täuschung angeklagt wurden – und der wahre Killer entkommen würde.
Alison Fairmont-Villard hatte vielleicht mit Brainard als Verteidiger eine Chance freigesprochen zu werden, doch Marnie Hazelton würde sich kaum wehren können. Sie hatte zugegeben, dass sie Butch umgebracht hatte, doch es gab nur ihre eigene Aussage, dass es Notwehr war. Vor allem würde sie jede Glaubwürdigkeit einbüßen, wenn man herausfand, was sie getan hatte. Sie war die Frau, die sich mit Andrew Villard zusammengetan hatte, um Julia zu täuschen. Niemand würde ihnen ihre ehrenhaften Motive abnehmen. Es würde so aussehen, als wären sie hinter dem Treuhandfonds her gewesen und hätten Alison deshalb umgebracht.
Himmel noch mal, das wurde alles immer schlimmer. Andrew fühlte sich wie in einem rasenden Auto bei Glatteis mit blockierten Bremsen. Egal, was er unternahm, es würde zu einem Unglück führen.
Er blickte auf und sah in Marnies Gesicht, das für einen Moment den ganzen Bildschirm füllte. Mit der Fernbedienung stellte er den Ton wieder an – und zuckte zusammen. Er hatte vorher auf volle Lautstärke gedrückt, um kein Wort zu verpassen. Die Nachrichten wiederholten sich und waren sensationslüstern aufgemacht, aber er hatte im Moment keine andere Informationsquelle.
Eine Einblendung erschien auf dem Bildschirm. Der Vertreter des Sheriffbüros äußerte sich zu den Fragen eines Reporters.
“Der Ehemann der Verdächtigten ist Andrew Villard”, sagte der Polizist. “Die Familienmitglieder behaupten, er sei auf einer Geschäftsreise. Selbst die Verdächtigte weiß nicht, wo sie ihn erreichen kann. Natürlich machen wir uns große Sorgen um das Verschwinden Mr. Villards. Er wird noch nicht in direkten Zusammenhang mit diesem Fall gebracht, gehört aber zweifellos zu dem Personenkreis, der für die Aufklärung wichtig ist …”
Andrew schaltete den Fernseher aus. Seine Aufgabe war um einiges schwieriger geworden. Er bewegte sich nicht länger im Schutz der Anonymität. Jeder Mensch hier wusste, wie er aussah, und könnte ihn der Polizei melden.
Die Hausbar rief nach ihm. Sie flüsterte und lockte. Er hatte eine Flasche Dewars entdeckt und spürte fast schon den Geschmack auf dem Gaumen. Er war, seit er aufgehört hatte zu trinken, nie ernsthaft in Versuchung geraten, doch in diesem Moment hatte es ihn erwischt. Es war heftig.
Er wandte sich ab. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Marnies Anwalt mochte vielleicht in der Lage sein, sie da rauszuboxen, aber er konnte es nicht darauf ankommen lassen. Die einzige Möglichkeit, sie aus dem Regen zu holen, ohne sie in die Traufe zu schicken, war, den Mörder von LaDonna zu finden. Unglücklicherweise hatte die Person, die er am meisten verdächtigte, keinen Grund, LaDonna etwas anzutun, dafür aber viele Gründe, sie nicht zu töten. Und wenn Andrew der Zeugenaussage Bogarts Glauben schenkte, dann war Alison die Mörderin.
Andrew war sich sicher, dass Marnie es nicht getan hatte, was zwei Möglichkeiten offen ließ: Die richtige Alison lebte noch, oder, was wahrscheinlicher schien, jemand wollte es so aussehen lassen, als sei sie die Täterin. Zuerst fiel ihm Tony Bogart mit seinen Rachegelüsten ein. Mit gleicher Münze heimzahlen schien Bogarts Devise im Leben zu sein, und mit seiner Erfahrung als FBI-Agent war er bestens dafür gerüstet, ihr eine Falle zu stellen. Doch dummerweise traf das genauso auf weitere Verdächtige zu, zu denen auch Julia und ihr Gespiele Jack Furlinghetti gehörten.
Andrew war von Diego Sanchez, der die Fairmonts beobachtet hatte, über deren heimliche Beziehung unterrichtet worden. Furlinghetti war Vermögensverwalter des Treuhandfonds, den Eleanor Driscoll eingerichtet hatte, und seine Liaison mit Julia könnte bedeuten, dass die beiden sich zusammengetan hatten, um an Alisons fünfzig Millionen heranzukommen. Was wäre da wirkungsvoller, als ihr einen Mord anzuhängen und sie bis an ihr Lebensende hinter Gitter zu bringen? Doch Diego hatte nichts Handfestes herausfinden können, und Andrew waren die Hände gebunden.
Er ging auf die Veranda, von der aus er den Ozean überblicken und Sea Clouds direkt unter sich sehen konnte. Die Baumkronen vor ihm erlaubten ihm das Anwesen zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Alles wirkte trügerisch ruhig. Selbst die Presseleute schienen eine Pause einzulegen. Doch er war gerade rechtzeitig nach draußen getreten, um zu beobachten, wie die blutrote Sonne im Ozean versank und das Wasser in ein tiefes Karmesinrot tauchte. Wenn er an Zeichen glauben würde, hätte er das als ein schlechtes Omen gedeutet. Ein ganz schlechtes. Er hätte befürchtet, dass noch jemand sterben musste.