18

 

Euer Bruder hat sie.

Herr MacKenzies Bruder...

Die Worte des Fremden schwirrten durch die Dunkelheit, die Duncan einhüllte, und vermischten sich mit dem Gewirr erhobener Stimmen, dem er nichts entnehmen konnte, was irgendeinen Sinn ergab.

Er biss die Zähne zusammen, presste die flachen Hände auf die kalten Holzplanken des Tischs und versuchte sich zu konzentrieren. Und kämpfte gegen die unnachgiebigen Hände an, die ihn eisern auf dem Tisch festhielten.

Aber seine Bemühungen waren vergeblich.

Der Lärm nahm höchstens noch zu und steigerte sich zu einer Kakophonie von Misstönen, die irritierend genug war, um einem Heiligen den Verstand zu rauben, und die die schwer greifbaren Worte, die am Rand seines Bewusstseins tanzten, zudem noch zusätzlich verwischten.

Und wer immer ihn auf dem Tisch festhielt, besaß die Kraft von zehn erwachsenen Männern und schien nicht bereit zu sein, seinen Griff zu lockern.

Duncan atmete durch zusammengebissene Zähne und zwang sich, Ruhe zu bewahren. Er würde mit diesem Kerl und seinen unnachgiebigen Fingern, die wie Eisenkrallen waren, schon noch fertig werden.

Sobald er dahinter gekommen war, was das Gewirr von Worten zu bedeuten hatte, die durch seinen schmerzenden Schädel rasten.

Mit geschlossenen Augen versuchte er, das Geschrei seiner Männer und die chaotischen Geräusche einer Halle voller Aufregung und Verwirrung zu überhören, und konzentrierte sich auf Murdos Worte.

Er musste es. Sie waren wichtig.

Lebenswichtig.

Er presste die Hände noch fester auf den Tisch, bis seine Oberarme vor Anstrengung zu zittern begannen. Aber trotzdem wollte es ihm einfach nicht gelingen, sich über das Gehörte und seine Bedeutung klar zu werden.

Die Augen noch immer fest geschlossen, versuchte er zu schlucken, merkte aber, dass es fast unmöglich war. Seine Lippen waren aufgesprungen und wie ausgedörrt, und seine Zunge fühlte sich dick und geschwollen an. Aber noch unangenehmer war der schlechte Geschmack in seinem Mund, der bitter war wie saurer Wein.

Duncan verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse.

Er war sauer.

Und gedachte es auch zu bleiben, bis er herausfand, was ihn so ergrimmte; bis er das Rätsel löste, das irgendwo am Rande seines Bewusstseins lauerte, verlockend nahe manchmal, im nächsten Augenblick dann wieder so weit weg wie der ferne Mond.

Euer Bruder...

Murdos Worte drangen wieder in sein Bewusstsein und wiederholten sich wie der morgendliche Singsang eines Mönchs, wurden immer lauter und lauter, bis die anderen Stimmen und Geräusche sich in Nichts auflösten.

Die beiden Worte bombardierten ihn wie ein eisiger Hagel, verspotteten ihn und trieben ihn an den Rand des Wahnsinns.

Dann ertönte eine andere Stimme, sanft und weich und süß, aber auch nachdrücklich und sehr beharrlich. Die Stimme seiner Frau, klar und hell wie ein Sonnenstrahl an einem wunderschönen Frühlingsmorgen. Sie war stark genug, um die anderen Stimmen auszulöschen, und so machtvoll, dass sie sogar

den Nebel zu vertreiben vermochte, der seinen Verstand blockierte.

Es ist ein zukünftiges Übel, vor dem ich dich warnen muss...

Es ist nicht Kenneth...

Jemand spricht mit gespaltener Zunge...

So schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden Linnets Prophezeiungen wieder, aber Duncan hatte schon genug gehört.

Plötzlich dämmerte es ihm.

Und mit der Erkenntnis kehrte auch sein Verstand zurück.

Verstand und eiserne Entschlossenheit.

Er riss die Augen auf. Und verzog wütend das Gesicht. Wie er schon vermutet hatte, waren es die Hände des Engländers, die ihn auf dem Tisch festhielten. Die Hände seines besserwisserischen, einäugigen Schwagers.

Er fixierte den Sassenach mit einem grimmigen Blick, der die meisten Männer in die Flucht geschlagen hätte, doch Sir Marmaduke hielt dem Blick gelassen stand, sein eines gesundes Auge so unbewegt wie Duncans zwei.

»Lass mich sofort los«, stieß Duncan zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, um sich nicht anmerken zu lassen, was für eine Qual es ihm verursachte, seine Lippen zu bewegen. »Es geht mir gut.«

Der Sassenach zog eine Braue hoch und sagte nichts.

»Wirklich«, beharrte Duncan, und seine Wut verlieh ihm die Kraft, sich aus Marmadukes Griff loszureißen und sich aufzurichten.

Übelkeit stieg in ihm auf bei dieser plötzlichen Bewegung. Unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft gelang es Duncan jedoch, den Schwindel, der ihn in ein Meer aus Dunkelheit und Schmerz zurückzuziehen drohte, zu bezwingen.

»Siehst du nicht, dass ich wieder auf dem Damm bin?«, fauchte er, während er trotzig seine Finger beugte und mit seinen bloßen Zehen wackelte.

»Ich sehe einen Mann in miserabler körperlicher Verfassung, der sich von seinem Zorn mitreißen lässt«, entgegnete der Engländer, seine Arme vor der Brust verschränkend. »Nichts anderes.«

Duncan setzte eine finstere Miene auf und schwang erbost seine Beine von dem Tisch. Er gab sich die größte Mühe, nicht zusammenzufahren, als er sich aufrichtete und sich an den Tischrand lehnte.

Jeder Muskel, jeder Knochen in seinem Körper schmerzte. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Augenblick zerspringen, und die Halle schien sich um ihn zu drehen und unter seinen Füßen abzusacken.

Aber um nichts in der Welt hätte er das zugegeben.

Blinzelnd, um seine Sicht zu klären, ließ er den Blick über die Menge schweifen und suchte Murdo. Zu seiner Erleichterung hatte er ihn schnell gefunden. Der verfluchte Mistkerl stand noch immer am Fußende des langen Eichentischs.

Und er besaß die Stirn, Duncan so breit anzulächeln, dass seine abstoßenden gelben Zähne sichtbar wurden. »Habt Ihr Schmerzen, Herr MacKenzie?«, erkundigte er sich scheinbar mitfühlend.

»Nein, aber Ihr werdet welche haben«, knurrte Duncan. »Und zwar schon sehr bald.«

Murdos Nasenflügel bebten. »Ihr begeht einen schweren Fehler. Mein Herr MacLeod ...«

»Ist nicht Euer Herr«, fiel Duncan ihm ins Wort. »Ihr seid Kenneths Mann.«

Die groben Züge des Fremden wurden hart, seine Hand glitt zwischen die Falten seiner schmutzstarrenden Tunika. Der Dolch, den er darin verborgen hatte, blitzte und schimmerte für den Bruchteil einer Sekunde, doch dann nahm Malcolm ihm die Waffe ab undpresste dem Mann die scharfe Klinge an die Kehle.

Marmaduke stellte sich neben Malcolm, sein eigenes Schwert bereits gezogen und bereit, und mit einem mörderischen Ausdruck auf seinen entstellten Zügen.

»Wenn Ihr mir etwas antut, wird Kenneth Eurer Frau die Kehle aufschlitzen ... nachdem er mit ihr fertig ist«, drohte Murdo. »Ihr werdet sie nicht mehr se ...«

Duncan hieb mit der Faust auf den Tisch. »Ihr seid es, der nichts mehr sehen wird, wenn Ihr meine Fragen nicht beantwortet, und fragt lieber erst gar nicht, was geschehen wird, wenn Eure Antworten mir nicht gefallen.«

»Von mir erfahrt Ihr nichts«, erklärte Murdo höhnisch.

»Glaubt Ihr?« Auch Duncans Lippen verzogen sich hohnlächelnd.

Dann löste er sich vom Tisch und ging auf Murdo zu. Jeder Schritt erschien ihm noch qualvoller als der letzte. Nur die Hitze seines Zorns befähigte ihn dazu, die kurze Entfernung zu überbrücken, ohne zu taumeln oder seinen Qualen Ausdruck zu verleihen.

Dann, indem er sein Gesicht so nahe an Murdos brachte, dass der heiße, übel riechende Atem dieses Hurensohns sich mit seinem eigenen vermischte, fuhr Duncan ihn mit scharfer Stimme an: »Es hat gar nicht gebrannt auf John MacLeods Burg, nicht wahr?«

Murdo presste die Lippen zusammen und starrte auf einen Punkt irgendwo hinter Duncans Schulter.

»Das angebliche Feuer war nur eine List, um mich dazu zu bringen, meine Männer hinauszuschicken«, sagte Duncan. Sein Ton war eisig, seine tiefe Stimme ruhig und ohne jede Spur des wilden Zorns, der ihn beherrschte. Auch von dem nahezu unerträglichen Schmerz, den jede Bewegung, jedes Wort ihn kostete, war ihm nicht das Geringste anzumerken. »Lügt nicht, wenn Euch Euer Leben lieb ist.«

Murdo schwieg.

»Also gut«, sagte Duncan schließlich mit leiser, angespannter Stimme. »Ihr macht mich langsam ungeduldig. Gebt endlich zu, dass Ihr gelogen habt.«

Murdo spuckte nur auf den Boden.

Zorn wallte wieder in Duncan auf. »Ihr seid ein tapferer Mann«, sagte er nur und nickte Malcolm zu, der diesem verdammten Bauemtölpel noch immer seine eigene Waffe an die Kehle hielt.

Der hoch gewachsene Clanangehörige gehorchte und ritzte Murdos Kehle mit der scharfen Spitze seines eigenen Dolches an. Ein Tropfen Blut erschien, gefolgt von einem weiteren, bis schließlich ein stetiges Rinnsal roten Blutes über Murdos Kehle floss.

Duncan nickte wieder, und Malcolm presste Murdos Klinge noch ein wenig fester an seine Kehle.

Murdos Augen traten ihm fast aus dem Kopf, und nervös befeuchtete er seine Lippen.

»Wohin hat Kenneth meine Frau und meinen Sohn gebracht?«, fragte Duncan kalt.

Murdo zögerte, doch als Duncans Blick wieder zu Malcolm glitt, verlor der Lump die Nerven. »Ich wollte Euch nichts Böses«, versuchte er sich zu verteidigen. »Ich führte nur Befehle aus, versteht Ihr?«

»Ich verstehe mehr, als Ihr vielleicht glaubt. Wohin hat mein Bruder meine Frau gebracht?«

»Nach... nach Süden«, stammelte Murdo und versuchte, der scharfen Klinge zu entkommen. »Nach Süden.«

Duncan gab sich überrascht. »Sagtet Ihr nicht, sie wären >auf einer Galeere in Richtung Norden<?«

Schweißperlen glitzerten auf Murdos Stirn. »Das war nur eine List, wie Ihr schon sagtet. Ich sollte Euch nach Norden begleiten, und einige Eurer Männer sollten zu MacLeod eilen. Und während Eure Männer sich woanders aufhielten, wollte Kenneth in Richtung Süden reiten, ohne Euch auf seiner Spur zu haben.«

»Und meine Frau? Und der Junge? Wird er Lösegeld für sie verlangen?«

Murdo schluckte, sein Gesicht erblasste.

»Sprich oder stirb.«

»Ich weiß es nicht«, stieß der Mann hervor. »Ich schwöre Euch bei meinem Leben, dass ich nicht weiß, was er mit ihnen vorhat.«

»Dein Leben ist sowieso verwirkt, aber es ist nicht hier, wo du es verlieren wirst«, sagte Duncan mit ausdrucksloser Stimme. »Nimm den Beutel«, wandte er sich an den Sassenach und zeigte auf den Lederbeutel, der an Murdos Gürtel hing.

Marmaduke gab Duncan den Beutel, und er warf einen Blick hinein. John MacLeods Brosche blinkte darin, der rote Edelstein in ihrer Mitte fing das Licht von einer nahen Fackel auf.

»Diese Brosche wurde John MacLeod gestohlen«, sagte er, den Beutel schließend, und warf ihn Alec zu. »Du wirst sie ihm zurückbringen«, wandte er sich an Murdo. »Alec und Malcolm werden dich begleiten. Was John MacLeod mit dir tut, ist nicht meine Sache. Doch falls er dich nicht tötet, betrachte dich als gewarnt: Solltest du je wieder einen Fuß auf MacKenzie-Land setzen, werde ich nicht zögern, dich zu töten.«

Zu Alec und Malcolm sagte er: »Schafft ihn fort, er hat die Luft in meiner Halle lange genug verpestet.«

Duncan blieb kerzengerade stehen, bis sie außer Sicht waren, dann lehnte er sich an den nächsten Tisch und schloss gequält die Augen. Sein linker Arm pochte und brannte, und er brauchte ihn nicht einmal anzusehen, um zu wissen, dass die Wunde wieder zu bluten begonnen hatte.

Aber das Feuer in seinem Arm war nichts im Vergleich zu dem Zorn, der tief in seinem Inneren loderte.

Empörung über die Entführung seiner Lieben und Angst um ihr Leben erfüllten ihn mit solch kolossaler Wut, dass der Schmerz von seinen Wunden im Vergleich dazu belanglos schien.

»Ich wette, dieser Hurensohn war der Mann mit den zwei Köpfen, von dem Eure Gemahlin sprach«, bemerkte Sir Marmaduke, als er sein Schwert in seine Scheide zurücksteckte. »Der Mann in den Flammen.«

Duncan zwang sich, die Augen zu öffnen, und warf dem Sassenach einen Blick zu. »Aye, und ausnahmsweise einmal brauchte ich nicht dich, um das zu erkennen.«

Einer der Mundwinkel Sir Marmadukes verzog sich zu einem schiefen Lächeln. »Das ist mir nicht entgangen, mein Freund. Möglicherweise besteht ja doch noch Hoffnung für dich.«

Duncans Brauen zogen sich zusammen. »Ich bin kein Vollidiot. Mir ging ein Licht auf, als dieser Mistkerl Kenneth meinen >Bruder< nannte. Kein Freund oder Verbündeter würde es wagen, Kenneth mir gegenüber einen solchen Status zu gewähren.«

Marmaduke warf einen Blick auf Duncans linken Arm. »Dein Arm blutet.«

»>Dein Arm blutet<«, wiederholte Duncan grantig. »Denkst du, das hätte ich nicht gemerkt? Es ist ein Wunder, dass nicht mein ganzer Körper blutet, mit all den Löchern, die er hat.«

»Aye, mein Junge, und Elspeth wird deine Wunden jetzt sicher neu verbinden wollen, vor allem deinen Arm. Er sieht nicht gut aus«, ließ Fergus sich vernehmen, als er zu ihnen trat. Er legte den Kopf zur Seite und schaute sich mit zusammengekniffenen Augen Duncans Arm an. »Ich denke, es wäre das Beste, die Wunde auszubren ...«

»Und denken ist auch schon alles, was du tun wirst«, fuhr Duncan ihm über den Mund, während er sich ärgerlich vom Tisch abstieß und Fergus mit seinem einschüchterndsten Blick fixierte.

Fergus blieb vollkommen unbeirrt und setzte die strenge Miene auf, mit der er in Duncans Kindheit fast immer viel Erfolg gehabt hatte.

Doch der erwachsene Duncan blieb ungerührt.

»Du kannst nicht mit dieser blutenden Wunde hier herumlaufen«, beharrte sein Seneschall.

»Ich kann es, und ich werde es.« Duncan blieb fest. »Und nun hör auf, so ein Theater wegen ein paar Tropfen Blut zu machen, du quengeliger alter Graubart. Wenn du dich unbedingt nützlich machen willst, dann sorg dafür, dass unsere schnellsten Pferde gesattelt werden und in einer halben Stunde aufbruchbereit sind.«

Fergus’ buschige Augenbrauen schossen in die Höhe. »Ein Pferd zu besteigen wäre dein sicherer Tod, mein Junge, und deine Männer müssen ihren müden Knochen ein bisschen Ruhe gönnen«, protestierte er. »Wir werden einen Suchtrupp unserer besten Männer morgen früh bei Tagesan ...«

»Morgen ist es zu spät. Wir brechen jetzt schon auf und reiten die ganze Nacht hindurch«, erklärte Duncan, der nicht einmal daran zu denken wagte, dass er vielleicht gar nicht die nötige Kraft besaß, um seine Pläne auszuführen.

Nachdem er sich nach seinem ersten Knappen umgesehen hatte, entdeckte er ihn in der Menge und gab dem Jungen ein Zeichen, zu ihm zu kommen. »Lachlan, du holst meine Kleider und Waffen«, befahl er ihm mit überraschend starker Stimme.

»Und beeil dich, hörst du?«, fügte er mit einem irritierten Blick auf all die lästigen Verbände, die nahezu jeden Zentimeter seines Körpers zu bedecken schienen, hinzu. »Ich bin es Leid, wie ein neugeborenes Kind gewickelt zu sein - oder wie ein Leichnam vor seiner Beerdigung.«

Statt davonzueilen, um Duncans Anweisungen zu befolgen, blieb Lachlan wie angewurzelt stehen und sah besorgt Sir Marmaduke an. Stirnrunzelnd stemmte Duncan die Fäuste in seine ebenfalls dick verbundenen Hüften. »Ich bin hier der Herr, nicht Marmaduke«, sagte er, und sein barscher Ton erstickte das gequälte Aufstöhnen, das ihm um ein Haar entschlüpft wäre. »Tu, was ich dir sage, oder möchtest du, dass ich mit nichts als diesen Lumpen angetan die Burg verlasse?«

Hektische rote Flecken erschienen auf Lachlans blassen Wangen, aber er verneigte sich vor Duncan und verließ eilends die Halle.

Duncan wartete, bis er nicht mehr zu sehen war, und atmete dann tief aus, um etwas von der Anspannung zu lösen, die sich in ihm aufgebaut hatte. Schließlich wandte er sich wieder dem alten Ferguszu. »Schick ein paar Männer in mein Schlafzimmer. Hinter dem größten Wandbehang werden sie eine Tür zu einem Geheimgang finden. Er führt zum Fuß des Turms. Sorg dafür, dass sie ihn an beiden Enden verschließen. Für alle Zeit verschließen.«

Neben ihm schnappte Sir Marmaduke verblüfft nach Luft. Duncan konnte der Versuchung nicht widerstehen, seinem allwissenden Freund ein triumphierendes Lächeln zuzuwerfen. »Tja, mein Lieber, scheinbar gibt es doch noch Einiges, was du nicht weißt.«

Zu seinen anderen Männern sagte er: »Freunde, ich weiß, dass ihr müde seid, und einige von Euch sind sogar verwundet. Ich werde nichts verlangen von denjenigen, die zu erschöpft sind, um mich zu begleiten. Und ich kann euch auch nicht garantieren, dass ihr wohlbehalten zurückkehren werdet, falls ihr euch entschließt, mich zu begleiten. Kenneth ist ein waghalsiger und raffinierter Krieger. Und seine Männer sind nicht weniger geschickt, wie wir gesehen haben. Diejenigen von euch, die sich dafür entscheiden, hier zu bleiben, bitte ich, sich jetzt auf ihre Strohsäcke zurückzuziehen, damit sie ausgeruht sind und die Burg während unserer Abwesenheit beschützen können.«

Er hielt inne und wartete.

Niemand rührte sich.

Dann rief jemand aus dem Hintergrund der Halle: »Cuidich’ N’ Righl Rettet den König!«

Andere stimmten ein, und bald war die Luft erfüllt vom Kriegsschrei der MacKenzies, bis die Wände nahezu erbebten. Duncan verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und nickte anerkennend.

Gott wusste, dass er beim besten Willen nicht mehr tun konnte. Seine Kehle war fast schmerzhaft eng, und hinter seinen Augenlidern brannten Tränen, so gerührt war er von dieser sehr entschiedenen Kundgebung des Beistands seiner Männer.

Als die Aufregung sich legte, griff eine feste Hand nach seinem Ellbogen, und Sir Marmaduke sagte dicht an seinem Ohr: »Lass mich die Patrouille anführen, Duncan. Niemand wird befremdet sein, wenn du hierbleibst. Es wäre Wahnsinn für dich, mitzureiten. Fergus hat Recht, du bist nicht in der Verfassung ...«

»Meine Frau und mein Sohn wurden entführt«, sagte Duncan, mit einer Stimme, die so kalt und unnachgiebig war wie Stahl. »Und ich gedenke sie zurückzuholen.«

Die Männer, die in seiner Nähe standen, schnappten verblüfft nach Luft, und ein leises Gemurmel begann sich in der Halle auszubreiten, auf das jedoch fast unmittelbar darauf betroffenes Schweigen folgte.

Seine Gefolgsleute starrten ihn mit großen Augen an - die Münder dieser Narren klafften auf, als versuchten sie, Fliegen damit zu fangen!

Und Duncan wusste sehr genau, warum sie Maulaffen feilhielten.

Was er nicht wusste, war, wieso die Worte ihm so mühelos über die Lippen gekommen waren. Er hatte sie gar nicht äußern wollen, da er nach wie vor bezweifelte, dass Robbie sein Sohn war.

Aber jetzt, wo der Junge nicht mehr da war, war seine wahre Herkunft plötzlich nicht mehr von Bedeutung.

Wichtig war jetzt nur noch seine sichere Heimkehr.

Dann wurde das Schweigen gebrochen ... irgendjemand zog laut und vernehmlich seine Nase hoch.

Es war ein sentimentales, rührseliges Geräusch, das durch das betretene Schweigen in der Halle irgendwie noch lauter wurde.

Das Geräusch wiederholte sich, und zu Duncans Erstaunen sah er nun, dass es von dem alten Fergus kam. Der krummbeinige Seneschall fuhr sich mit dem Ärmel über seine Nase und wandte sich rasch ab.

Doch Duncan hatte das verräterische Glitzern in den Augen des alten Mannes schon gesehen.

Hitze stieg in seinen Nacken, und er maß die versammelte Mannschaft vor sich mit einem ungehaltenen Blick. »Hört auf, mich anzustieren wie hirnlose Idioten und bereitet euch auf unseren Aufbruch vor«, tadelte er sie. »Und untersteht euch ja nicht, herumzuerzählen, ich sei weich geworden. Es hat sich nichts geändert.«

Zu seiner großen Verärgerung sahen seine Männer nicht so aus, als glaubten sie ihm das.

 

Die Beine auf dem kalten, feuchten Boden vor sich ausgestreckt, lehnte Linnet mit dem Rücken an einem Baumstamm und gönnte ihren müden Knochen etwas Ruhe. Seit dem Moment, als Kenneth ihr die Fesseln abgenommen hatte, hatte sie ihre Entführer bedienen müssen. Ihrer Drohungen wegen, Robbie etwas anzutun, hatte sie sich gezwungen gesehen, ihre unaufhörlichen Forderungen zu erfüllen und sich auch um die Verwundeten zu kümmern, die bei der Belagerung der Burg verletzt worden waren.

Da sie im Augenblick keine andere Möglichkeit sah, als zu gehorchen, hatte sie sich ihren Wünschen gebeugt und jeder ihrer Launen nachgegeben, bis ihr Rücken so schlimm schmerzte, dass sie angefangen hatte, zu gehen wie eine alte Frau, eine Hand auf ihrer Hüfte, ihre Schultern krumm vor Schmerz.

Irgendwann in den grauen Stunden vor der Morgendämmerung des zweiten Tages, seit sie entführt worden waren, hatte man ihr endlich gestattet, sich zu Robbie zu setzen. Friedlich schlafend lag der Junge neben ihr, unter einer abgenutzten Decke, die einer von Kenneths Männern dem Kleinen widerwillig überlassen hatte.

Die meisten der Briganten schliefen. Zu Linnets Enttäuschung war Kenneth unter jenen, die noch wach waren. Er lag in der Nähe des nur noch schwach glimmenden Feuers, nippte an einem Becher Wein und unterhielt sich leise mit einem seiner Männer, einem verschlagen dreinblickenden Wiesel von einem Mann, der plötzlich seinen Becher hochhielt und ihr ein Zeichen machte, nachzuschenken.

Statt aufzuspringen, wie der Bursche sicherlich von ihr erwartete, bedachte Linnet ihn mit einem kalten Blick.

Tatsächlich war sie einfach viel zu müde, um sich zu erheben.

»Mir scheint, die Dame ist es leid geworden, uns einfache Leute zu bedienen«, spottete das Wiesel.

Kenneth lachte derb. »Vielleicht wird sich ihre Haltung ändern, wenn wir alle Gelegenheit hatten, ihr zu zeigen, wie angenehm es sein kann, dem gemeinen Volk zu dienen. Sobald wir ein ordendiches Stück Weg zurückgelegt haben, werden wir ihr die Augen öffnen.«

»Ho!« Der andere Mann schlug sich auf den Schenkel. »Warte nur, bis sie gesehen hat, wie groß dein ...«

»Das reicht«, fiel Kenneth ihm ins Wort. »Ich möchte schließlich nicht, dass sie vor Sehnsucht umkommt. Sie wird noch Zeit genug bekommen, sich mit meinen männlichen Attributen vertraut zu machen - und danach natürlich auch mit deinen!«

Daraufhin blickte er sich nach ihr um, und die unverhohlene Lüsternheit, die sie in seinem Blick erkannte, verursachte Linnet eine Gänsehaut. »Vielleicht wird sie ja so begeistert sein von unserem Charme, dass sie uns meinem nichtswürdigen Bruder vorzieht.«

Ohne seinen ungemein beunruhigenden Blick von ihr zu wenden, erhob Kenneth sich langsam. Linnet zwang sich, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, als er auf sie zukam. Unter den Falten ihres Umhangs schlossen ihre kalten Finger sich jedoch um einen kleinen, lederbezogenen Flakon.

Um das Fläschchen, von dem sie schon fast vergessen hatte, dass sie es bei sich trug, denn es war eingenäht in eine kleine Stofftasche unter den vielen Schichten ihrer Röcke.

Ein Flakon mit unverdünnter Baldrianessenz.

Ihre einzige Hoffnung, zu entkommen.

Da blieb Kenneth auch schon vor ihr stehen, und ohne ein Wort zu ihr zu sagen, stieß er mit der Spitze seines Stiefels gegen ihre Hüfte. Als sein Fuß sich in den Falten ihres Umhangs verfing, seinen Saum dabei hochzog und ihre Knöchel und Waden der kalten Nachtluft preisgab - und sämtlichen lüsternen Augen, die sie vielleicht gerade angafften -, vergaß Linnet all ihre Bemühungen, ruhig zu erschienen, und blickte stirnrunzelnd zu Kenneth auf.

»Lass mich in Ruhe, du Schwein«, zischte sie, und ihre Hand schloss sich noch etwas fester um das Fläschchen. »Wenn du wagst, mich anzurühren, werde ich dich bei der ersten Gelegenheit entmannen!«

Gekicher und anzügliche Bemerkungen kamen von den Männern, die noch wach waren. Kenneths Gesicht lief rot an. »Jemand wird dich lehren müssen, deine scharfe Zunge im Zaum zu halten! Ich möchte wetten, dass mein Bruder dich nicht richtig eingeritten hat!«, fauchte er, und nur mühsam unterdrückte Wut klang schwer in jedem seiner Worte mit.

Er beugte sich vor. »Das ist ein Versehen, das ich mit Vergnügen korrigieren werde. Und in seinem Bett... sobald ich ihn von dem Besitz vertrieben habe, der mein gewesen wäre, wenn diese Hure von seiner Mutter nicht die Zuneigung unseres Vaters gestohlen hätte.«

Linnet presste die Lippen zusammen und funkelte ihn nur wütend an.

Ihr Schweigen schien seinen Ärger noch zu schüren, denn er packte sie am Arm und riss sie grob auf ihre Füße. Seine Finger bohrten sich in ihr Fleisch, und mit einer Kopfbewegung deutete er auf den ungewaschenen Schweinehund, der vorhin seinen Becher geschwenkt hatte.

»Hol uns Wein.« Seine Worte waren schroff, sein Blick beängstigend.

Aber Linnet hielt ihm ruhig stand. »Ich kann nichts holen, wenn du nicht meinen Arm loslässt.«

Er tat es, aber vorher sah er sie aus schmalen Augen an. »Benimm dich, Lady. Ich habe schon weniger lästigen Frauenzimmern als dir Manieren beigebracht.«

Linnet klopfte demonstrativ ihren Ärmel an der Stelle ab, wo Kenneth ihn berührt hatte. Dann ging sie hoch erhobenen Kopfes zu dem unordentlichen Stapel Proviant hinüber, der direkt hinter dem Kreis der schlafenden Männer lag. Dort bewahrten ihre Entführer auch ihren sauren Wein auf, und nicht weit entfernt davon waren ihre Pferde angebunden.

Pferde, die so edel aussahen, dass sie eigentlich nur gestohlen sein konnten. Nicht, dass es Linnet gekümmert hätte ... sie hatte schließlich auch vor, eins zu stehlen.

Sobald sie den Wein mit Baldrian versetzt hatte und Kenneth genug von dem einschläfernden Gebräu getrunken hatte, um in einen tiefen Schlaf zu fallen.

»Beeil dich«, rief er ihr zu. »Wir haben mächtig Durst.«

Linnet lächelte.

Mächtig Durst? Das kam ihr sehr gelegen.

Mit dem Rücken zu den Männern nahm sie einen irdenen Krug von dem unordentlichen Stapel. Kaum berührten ihre Finger das Gefäß, wurde sie von einem unguten Gefühl beschlichen, aber sie zwang sich, ruhig zu bleiben, als sie das Fläschchen aus seinem Versteck unter ihren Röcken zog.

Dann, nach einem schnellen, aber aufmerksamen Blick über ihre Schulter, entfernte sie den Korken und goss den gesamten Inhalt des Flakons in den sauer riechenden Wein.

Kenneth hielt ihr seinen Becher hin, als sie zum Feuer kam. »Du gibst eine hübsche Dienstmagd ab. Das ist gut, denn bald wirst du uns viel mehr anbieten müssen als ein bisschen Wein«, bemerkte er gedehnt und ließ träge seinen Blick über sie gleiten. »Sehr viel mehr.«

Linnet sagte nichts und füllte seinen Becher bis zum Rand.

Wieder und wieder, bis seine Lider schwer wurden und seine Worte schleppend.

Dann kehrte sie zu ihrem Ruheplatz am Baum zurück und wartete.

Wartete und beobachtete.

Stundenlang, so schien ihr, hielt sie Wache und ließ ihren Blick prüfend über jeden einzelnen der schlafenden Männer gleiten. Vor allem über einen, der im Schlaf ihrem Ehemann so ähnlich sah, dass es ihr, wann immer sie ihn ansah, einen Stich ins Herz versetzte.

Dann ... endlich!... wurde es still im Lager. Das Feuer war fast vollständig heruntergebrannt, das rastlose Herumwälzen der Briganten hatte aufgehört, und nur einige wenige von ihnen schnarchten noch.

Alle schliefen.

Es war der richtige Moment.

Linnet wagte kaum zu atmen, aus Angst, jemanden zu wecken, als sie vorsichtig Robbies Schulter berührte. Seine Lider flatterten, dann öffnete er die Augen, und das Misstrauen darin war ein stummer Beweis dafür, wie schwer die Tortur der vergangenen zwei Tage ihm auf der Seele lag.

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Linnet legte rasch zwei Finger an seine Lippen. »Psst«, wisperte sie ganz dicht an seinem Ohr, »es wird Zeit, dass wir von hier verschwinden. Glaubst du, du kannst ganz leise sein? Kein Geräusch verursachen, egal, was auch passiert?«

Robbie betrachtete sie aus großen Augen und nickte stumm.

Linnet erwiderte das Nicken und strich in einer, wie sie hoffte, ermutigenden Geste mit dem Handrücken über die Wange des Jungen. Dann richtete sie sich langsam auf, nahm Robbie auf die Arme und schlich mit ihm zwischen die Bäume.

Unter den ausladenden Ästen einer großen Eibe blieb sie stehen, bis ihre Augen sich an die feuchte, nach Erde riechende Dunkelheit des Walds gewöhnt hatten, und ging dann auf die Pferde zu, so schnell sie wagte. Sie blieben ruhig stehen, nur eins machte sich die Mühe, sich zu ihr umzusehen, und begrüßte sie mit einem leisen Wiehern.

Bei dem Geräusch wurde Robbie unruhig in ihren Armen. »Werden wir ein Pferd stehlen?«, fragte er und vergaß in seiner Aufregung, dass er ihr versprochen hatte, still zu sein.

Linnet legte ihre Hand auf Robbies Mund und erstarrte, wie gelähmt vor Angst, entdeckt zu werden.

Ein Bär von einem Mann schlief in der Nähe, sein Kopf ruhte auf einem Sattel, und aus seinem schlaffen Mund kamen beunruhigend unregelmäßige Schnarchtöne.

Sie schickte ein stummes Stoßgebet zu allen Heiligen, dass er weiterschlafen möge.

Unglücklicherweise lag sein Schlafplatz nur wenige Schritte von dem Pferd entfernt, für das sie sich entschieden hatte, ein leichtfüßiger, aber kraftstrotzender Wallach, der ihr in den zwei Tagen zuvor aufgefallen war.

Linnet betrachtete das stolze Tier noch einmal und schätzte ihre Möglichkeiten ab, aber als der Mann sich stöhnend auf die Seite rollte, gab sie jede Hoffnung auf den Wallach auf und hob Robbie auf den bloßen Rücken des nächststehenden Pferdes, eines sanftäugigen Zelters.

Das einzige Pferd unter all den anderen, das schon ziemlich alt zu sein schien und einen krummen Rücken hatte.

Aber das machte nichts. Mit einem letzten Blick auf den schlafenden Riesen und nach einer stummen Warnung an den Jungen, still zu sein, benutzte sie den moosbedeckten Stamm eines umgestürzten Baums als Aufstiegshilfe und schwang sich hinter Robbie auf das Pferd. Sie schlang einen Arm um seine Taille und zog ihn fest an ihren Körper. Zu ihrer immensen Erleichterung schien er ruhig zu bleiben.

Wenn sie doch nur selbst so ruhig wäre!

Sie war noch nie ohne Sattel geritten.

Offen gestanden bezweifelte sie sogar, dass sie es konnte, egal, wie alt und schwach das Tier war.

Zumindest war das Pferd aufgezäumt. Sich ihre Erleichterung darüber für ein andermal aufhebend, ergriff sie mit der freien Hand die Zügel und stieß dem Pferd die Fersen in die Flanken.

Mit etwas Glück war der Zelter trotz seines Alters noch immer schnell und stark genug, um sie ein gutes Stück weit fortzubringen, bevor Kenneth wieder zur Besinnung kam und feststellte, dass sie verschwunden waren.