1
Dundonnell Keep, Western Highlands
Schottland, im Jahre 1325
»Es heißt, er sei gnadenlos, eine wahre Brut des Teufels.« Elspeth Beaton, der unausgesprochene Seneschall der Burg MacDonnell, faltete die Hände vor ihrem umfangreichen Bauch und blickte Magnus MacDonnell, ihren Burgherrn, finster an. »Ihr könnt das Mädchen keinem Mann geben, von dem es heißt, er habe seine erste Frau kaltblütig ermordet!«
Magnus nahm einen weiteren tüchtigen Schluck von seinem Bier, ohne zu bemerken, dass der größte Teil des schäumenden Getränks in seinen ungepflegten Bart tropfte. Dann knallte er den Zinnkrug auf den hohen Tisch und bedachte seinen selbst ernannten Haushaltsvorstand mit einem feindseligen Blick.
»Es ist mir einerlei, ob Duncan MacKenzie der Teufel persönlich ist, oder ob der Bastard zehn Frauen umgebracht hat. Er hat um Linnet angehalten, und das ist ein Angebot, das ich nicht abschlagen kann.«
»Ihr könnt Eure Tochter nicht einem Mann ausliefern, dem nachgesagt wird, er besäße weder Herz noch Seele.« Elspeths Stimme wurde mit jedem Wort noch schriller. »Das lasse ich nicht zu!«
Magnus lachte brüllend. »Du lässt es nicht zu? Du gehst zu weit, Frau! Hüte deine Zunge, oder ich schick dich mit ihr fort.«
Hoch über dem großen Saal, im Spionierzimmer des Burgherrn, einem winzigen, in Dundonnells dicken Mauern versteckten Raum, spähte Linnet MacDonnell zu ihrem Vater und ihrer geliebten Amme hinunter, während sie über ihr Schicksal stritten.
Ein Schicksal, das bereits beschlossen und besiegelt war.
Bis zu diesem Augenblick hatte sie nicht geglaubt, dass ihr Vater sie tatsächlich fortschicken würde, und schon gar nicht zu einem MacKenzie. Obwohl keine ihrer älteren Schwestern besonders gute Partien gemacht hatte, hatte ihr Vater doch zumindest keine einzige von ihnen dem Feind versprochen! Sie strengte ihre Ohren an und wartete, um mehr zu hören.
»Ich habe Gerüchte gehört, dass dieser MacKenzie ein Mann von großer Leidenschaft sein soll«, erklärte Elspeth. »Linnet weiß wenig von den niedrigeren Bedürfnissen der Männer. Ihre Schwestern erfuhren einiges von ihrer Mutter, aber Linnet ist anders. Sie war immer mit ihren Brüdern unterwegs und lernte ihre...«
»Ja, anders ist sie in der Tat!«, wetterte Magnus. »Nichts hat mich mehr geplagt seit dem Tag, an dem meine arme Innes sterben musste, als sie von ihr entbunden wurde!«
»Das Mädchen hat viele Fähigkeiten«, hielt Elspeth dem entgegen. »Mag sein, dass ihr die Anmut und das gute Aussehen ihrer Schwestern und ihrer verstorbenen Mutter, Gott hab sie selig, fehlt, aber sie würde trotzdem eine gute Ehefrau für einen Mann abgeben. Ihr könntet doch bestimmt eine erfreulichere Heirat für sie arrangieren? Eine, die ihr Glück nicht ganz so arg auf die Probe stellen würde?«
»Ihr Glück interessiert mich nicht. Das Bündnis mit MacKenzie ist besiegelt!«, brüllte Magnus. »Selbst wenn ich ihr etwas Besseres wünschen würde, welcher Mann braucht eine Frau, die ihn im Messerwerfen schlagen kann? Und komm mir jetzt nicht mit ihren anderen verrückten Fähigkeiten.«
Magnus nahm einen tiefen Zug von seinem Bier und wischte sich den Mund am Ärmel ab. »Ein Mann will eine Gemahlin, die sich um seine körperlichen Bedürfnisse kümmert, und nicht um irgendeinen lächerlichen Kräutergarten!«
Ein schockiertes Stammeln entrang sich Elspeths Lippen, und sie richtete sich zu ihrer vollen, wenn auch unbeeindruckenden Größe auf. »Wenn Ihr das tut, könnt Ihr Euch die Mühe sparen, mich aus der zweifelhaften Geborgenheit dieses Saales zu verbannen. Denn dann werde ich freudig mit ihr gehen. Ihr werdet Linnet nicht allein in den Unterschlupf des Schwarzen Hirsches schicken. Sie wird dort jemanden brauchen, der auf sie Acht gibt.«
Linnets Herz setzte einen Schlag aus, und ihre Arme überzogen sich mit einer Gänsehaut, als sie Elspeth ihren zukünftigen Bräutigam als Schwarzen Hirsch bezeichnen hörte. Ein solches Wesen existierte nicht. Obgleich Tiere, die über eine gewisse Tapferkeit verfügten, häufig Wappen und Banner schmückten und einige Clan-Oberhäupter sich nach Löwen oder anderen edlen Raubtieren benannten, klang dieser Titel ominös.
Wie ein böses Vorzeichen.
Aber eins, über das nachzudenken ihr wenig Zeit blieb. Linnet rieb ihre fröstelnden Arme, verdrängte ihr zunehmendes Unbehagen und konzentrierte sich auf den erregten Diskurs dort unten in der Halle.
»Ich bin froh, wenn ich dich nicht mehr zu sehen brauche«, zeterte ihr Vater. »Deine Nörgelei wird mir nicht fehlen.«
»Könntet Ihr es Euch nicht noch mal überlegen, Mylord?« Elspeth wechselte die Taktik. »Wenn Ihr Linnet fortschickt, wer wird sich dann um den Garten kümmern und die Kranken heilen? Und vergesst nicht, wie oft ihre Gabe dem Clan geholfen hat.«
»Ich pfeife auf den Garten, und die Pest soll ihre Gabe holen!«, brüllte Magnus. »Meine Söhne sind stark und gesund. Wir brauchen das Mädchen und ihre Kräuter nicht. Soll sie damit doch MacKenzie helfen. Das ist ein gerechter Tausch, da er sie schließlich sowieso nur ihrer hellseherischen Fähigkeiten wegen will. Oder glaubst du etwa, er hätte um sie angehalten, weil sie so hübsch ist ? Oder weil die Barden ihre weiblichen Verlockungen besungen haben?«
MacDonnells Gelächter erschütterte den großen Saal. Laut und boshaft schallte es bis zum Auslug des Burgherrn hinauf und verspottete Linnet mit der Grausamkeit, die hinter seinen Worten lag. Sie krümmte sich vor Scham. Jeder in der Burg würde seine Beleidigungen hören.
»O nein, er sucht keine gut aussehende Frau«, dröhnte Magnus, und es klang, als stünde er vor einem weiteren Lachanfall. »Den mächtigen MacKenzie von Kintail interessiert es nicht, wie sie aussieht oder ob sie ihn zufrieden stellen kann oder nicht, wenn er sich zu ihr ins Bett legt. Er will wissen, ob sein Sohn sein eigener ist oder der Bastard seines Halbbruders, und er ist bereit, sehr teuer zu bezahlen, um es herauszufinden.«
Elspeth rang nach Atem. »Ihr wisst, dass das Mädchen nicht willkürlich seine Gabe nutzen kann. Was wird aus ihr, falls sie nicht imstande ist, die Antwort zu erkennen?«
»Glaubst du, das kümmert mich?« Linnets Vater sprang auf und hieb mit seinen fleischigen Fäusten auf den Tisch. »Ich bin froh, sie loszuwerden! Mich interessieren bloß die beiden MacDonnells und die Rinder, die er mir im Austausch für sie gibt. Er hat unsere Verwandten fast sechs Monate als Geiseln festgehalten. Und sie hatten sich nichts anderes zuschulden kommen lassen als einen einzigen Überfall!«
Magnus MacDonnells Brust hob und senkte sich vor Entrüstung. »Du musst ganz schön beschränkt sein, um nicht zu erkennen, dass ihre Schwertarme und starken Rücken nützlicher für mich sind als das Mädchen. Und die MacKenzie-Rinder sind die besten in den ganzen Highlands.« Er unterbrach sich, um Elspeth höhnisch anzugrinsen. »Was glaubst du wohl, warum wir sie immer wieder stehlen?«
»Ihr werdet diesen Tag Euer Leben lang bereuen.«
»Den Tag bereuen? Bah!« Magnus beugte sich über den Tisch und streckte ihr sein bärtiges Gesicht entgegen. »Ich hoffe, der Junge ist der Bastard seines Halbbruders. Bedenk doch nur, wie froh er sein wird, wenn er von Linnet einen Sohn bekommt. Vielleicht sogar dankbar genug, um seinen lieben Schwiegervater mit einem kleinen Landgut zu belohnen.«
»Die Heiligen werden Euch bestrafen, Magnus.«
MacDonnell lachte. »Von mir aus kann eine ganze Schar von Heiligen aufmarschieren. Diese Heirat wird mich zu einem reichen Mann machen. Ich werde eine Armee anwerben, um die greinenden Heiligen wieder dahin zurückzuschicken, wo sie hergekommen sind!«
»Vielleicht wird diese Heirat ja sogar eine Verbesserung für Linnet sein«, stellte Elspeth mit erstaunlich ruhiger Stimme fest. »Ich bezweifle nämlich, dass dieser MacKenzie so viel Bier trinkt, wenn er sich zu Tisch setzt, dass er beim Aufstehen kopfüber in den Binsen landet. Nicht, wenn er ein solch hervorragender Krieger ist, wie es die Spielmänner behaupten.«
Elspeth fixierte den Gutsherrn mit einem kalten Blick. »Habt Ihr nie zugehört, wenn die Barden seine ungeheure Tapferkeit im Dienste unseren braven Königs Robert Bruce in Bannockbum besangen? Es wird gemunkelt, der König bezeichnete den Mann als seinen besten Kämpfer.«
»Hinaus! Verschwinde aus meinem Saal!« Magnus MacDonnells Gesicht wurde rot wie sein Bart. »Linnet bricht nach Kintail auf, sobald Ranald die Pferde gesattelt hat. Wenn du den nächsten Tag erleben willst, dann sieh zu, dass du deine Sachen packst und reite mit ihr!«
Durch das Guckloch beobachtete Linnet, wie ihre geliebte Elspeth Magnus einen letzten Unheil verkündenden Blick zuwarf, bevor sie hoch erhobenen Kopfes aus der Halle schritt. Kaum war ihre einstige Amme aus ihrer Sicht verschwunden, lehnte Linnet sich mit dem Rücken an die Wand und atmete tief ein.
Alles, was sie gerade gehört hatte, ging ihr wieder durch den
Kopf. Die Verleumdungen ihres Vaters, Elspeths Versuche, sie zu verteidigen, und dann ihr unerwartetes Lob für Duncan MacKenzie. Doch so heroisch er auch gekämpft haben mochte für den König, er war und blieb ein Feind.
Was Linnet jedoch am meisten beunruhigte, war ihre eigene starke Reaktion auf Elspeths Bemerkung, MacKenzie sei ein Mann von großer Leidenschaft. Selbst jetzt noch errötete Linnet bei dem Gedanken. Es stimmte sie verlegen, es zuzugeben, sogar vor sich selbst, aber sie hätte gern mehr über Leidenschaft gewusst.
Sie vermutete, dass das Prickeln, das sie durchrieselt hatte bei der Vorstellung, mit einem heißblütigen Mann verheiratet zu werden, etwas mit diesen Dingen zu tun hatte. Und die Art, wie ihr Herz bei Elspeths Worten fast schmerzhaft hart zu pochen begonnen hatte, vermutlich auch.
Linnets Wangen erhitzten sich ... und der Rest ihres Körpers ebenfalls, aber sie bemühte sich, diese verwirrenden Empfindungen zu ignorieren. Sie wollte nicht, dass ein MacKenzie sie dermaßen in Unruhe versetzte. Die Vorstellung, wie ihr Vater lachen würde, wenn er wüsste, dass sie davon träumte, von einem Mann begehrt zu werden, vertrieb die letzten Überreste dieser lästigen Gedanken.
Resignation, die allerdings nicht frei von Ärger war, erfasste sie. Wenn sie doch nur eine so wundervolle helle Haut hätte wie ihre Schwestern. Sie hob die Hand und strich mit den Fingerspitzen über ihre Wange. Obgleich sie sich ein wenig kalt anfühlte, war ihre Haut glatt und makellos. Doch während ihre Schwestern alle einen milchig weißen Teint besaßen, verunzierten Hunderte von Sommersprossen Linnets Haut.
Und im Gegensatz zu dem Haar ihrer Schwestern, das immer glatt und tadellos frisiert war, war sie gestraft mit einer wilden Mähne, die nicht einmal mit Flechten zu bezähmen war. Sie mochte allerdings die Farbe ihres Haars. Es war dunkler, kühner als das Rotblond ihrer Schwestern, von einem tiefen Kupferoder fast schon Bronzeton. Ihr Lieblingsbruder, Jamie, behauptete, ihr Haar vermöge sogar einen Blinden zu betören.
Ein kleines Lächeln erschien um ihre Lippen. Ja, sie mochte ihr Haar. Und sie liebte Jamie. Sie liebte jeden ihrer acht Brüder, und jetzt konnte sie sie gerade unten durch die Halle gehen hören. Wie das trunkene Schnarchen ihres Vaters, das zu ihr hinaufdrang, hörte sie auch die Geräusche ihrer Brüder, die sich für eine schnelle Abreise vorbereiteten.
Ihre Abreise aus Dundonnell Castle. Aus der dunklen, feuchten Burg eines geringeren und nahezu landlosen Clanoberhaupts, ihres Bier liebenden Dads, aber dem einzigen Zuhause, das sie je gekannt hatte.
Und nun musste sie aufbrechen in eine ungewisse Zukunft, denn ihr Platz in Dundonnell war ihr entrissen worden durch die Habgier ihres Vaters. Tränen brannten in Linnets Augen, aber sie blinzelte, um sie zurückzudrängen, damit ihr Vater sie nicht sah, falls er erwachen sollte und sich dazu aufraffte, ihr einen letzten Blick zu gönnen, wenn sie seine Burg verließ.
Die Schultern straffend, hob Linnet ihren ledernen Kräuterbeutel auf, ihren einzigen wertvollen Besitz, und schlüpfte aus der Spionierkammer des Gutsherrn. Die Turmtreppe eilte sie so rasch hinunter, wie sie wagte, und durchquerte dann den großen Saal, ohne ihren schlummernden Vater auch nur eines Blicks zu würdigen.
Für die Dauer eines Herzschlags zögerte sie jedoch und war versucht, dem absurden Einfall nachzugeben, ihn zu wecken und ihm Lebe wohl zu sagen. Aber das Bedürfnis verflog genauso schnell, wie es gekommen war.
Warum sollte sie? Er würde ja doch nur meckern, weil sie seinen Schlaf gestört hatte. Und war er nicht sogar froh, sie loszuwerden? Schlimmer noch, er hatte sie an die MacKenzies verkauft, die Todfeinde der MacDonnells, schon seit vor ihrer Geburt.
Und dieser Mann, ob er nun ein Favorit des Königs war und leidenschaftlich oder nicht, wollte sie nur ihrer Gabe wegen und weil man ihm versichert hatte, sie sei nicht hübsch. Was beides weder schmeichelhaft war noch eine dauerhafte Ehe zu versprechen schien.
Linnet atmete ein letztes Mal tief die verräucherte Luft Dundonnells ein, als sie vor der massiven Eichentür stehen blieb, die in den Burghof führte. Vielleicht würde sie in ihrem neuen Heim nicht gezwungen sein, ihre Lungen mit abgestandener, nach schalem Bier stinkender Luft zu füllen. »Ach, der Himmel ist hoch, man kann sich nicht dran halten«, murmelte sie, Jamies liebstes Sprichwort borgend, während sie eine eigenwillige Träne von ihrer Wange wischte.
Bevor noch mehr fallen konnten, riss Linnet die eisenbeschlagene Pforte auf und trat hinaus. Obwohl sich der Nebel weitgehend aufgelöst hatte, hingen noch immer einige kühle blaugraue Schwaden über Dundonnells kleinem Burghof ... ähnlich wie der trübe Schleier, der ihr Herz bedeckte.
Ihre Brüder, alle acht, standen wartend bei den Pferden, und jeder einzelne von ihnen sah genauso unglücklich aus, wie sie sich fühlte. Elspeth jedoch wirkte merkwürdig gelassen und saß bereits auf ihrem Pony. Andere Clanangehörige und ihre Familien, zusammen mit einigen der wenigen Diener ihres Vaters, drängten sich an den geöffneten Burgtoren. Wie Linnets Brüder trugen auch sie alle mürrische Gesichter und blieben still, doch das verräterische Glitzern ihrer Augen besagte mehr als tausend Worte.
Linnet hielt das Kinn erhoben, als sie auf die Leute zuging, doch unter den Falten ihres wollenen Umhangs zitterten ihre Knie. Als sie näher kam, trat Cook vor, einen Haufen dunklen Stoffs in seinen von der Arbeit roten Händen. »Das ist von uns allen«, sagte er mit rauer Stimme, als er das Bündel muffig riechender Wolle in Linnets Hände drückte. »Er war all diese Jahre in einer verschlossenen Truhe im Zimmer Eures Vaters, aber er wird nicht merken, dass wir ihn herausgenommen haben.«
Mit zitternden Fingern entfaltete Linnet den arisaid und ließ sich von Cook den weichen Stoff um ihre Schultern legen. Als er das Plaid vorsichtig um ihre Taille gürtete, sagte er: »Meine Frau hat es einst für Lady Innes, Eure Mutter, angefertigt. Sie trug es gern, und es ist unser Wunsch, dass Ihr es auch tut. Es ist ein hübsches Teil, wenn auch leider schon ein bisschen abgetragen.«
Ein heißer, erstickender Klumpen formte sich in Linnets Kehle, als sie mit den Händen über die weichen Falten des arisaid strich. Ein paar Mottenlöcher und ausgefranste Säume vermochten nicht den Wert des Plaids zu schmälern. Für Linnet war es wunderschön ... eine Kostbarkeit, die sie stets in Ehren halten würde.
Mit Tränen in den Augen warf sie sich in Cooks starke Arme und drückte ihn an sich. »Danke«, schluchzte sie an der kratzigen Wolle seines eigenen Plaids. »Habt Dank ihr alle \ Gott, wie ich euch vermissen werde!«
»Dann sagt nicht Lebe wohl, Kind«, antwortete er und entließ sie widerstrebend aus seinen Armen. »Wir werden Euch Wiedersehen, keine Sorge.«
Einer nach dem anderen traten ihre Verwandten und Freunde vor und schlossen sie für einen Moment lang in die Arme. Niemand sprach, und Linnet war froh darüber, denn hätten sie es getan, hätte sie ihre ohnehin schon schwache Selbstbeherrschung ganz verloren. Dann erhob sich eine Stimme, die des Schmieds, als ihr ältester Bruder Ranald sie in den Sattel hob. »Ho, Mädchen, ich hab auch noch was für Euch«, rief Ian und drängte sich durch die Menge.
Als er sie erreichte, zog der Schmied seinen eigenen sorgfältig geschärften Dolch aus seiner Scheide und überreichte ihn Linnet. »Das ist ein besserer Schutz für Euch als dieses klitzekleine Damenmesser, das Ihr tragt«, erklärte er und nickte zufrieden, als Linnet ihre eigene Klinge aus der Scheide zog und gegen seine austauschte.
Auch Ians Augen schimmerten ganz ungewöhnlich. »Auf dass Ihr niemals Grund haben werdet, ihn zu benutzen«, wünschte er und trat von ihrem Pferd zurück.
»Denn sonst kann MacKenzie seine letzten Gebete sprechen«, schwor Ranald und warf Linnet ihre Zügel zu. »Los! Auf gehts«, rief er den anderen zu und schwang sich in seinen Sattel.
Bevor Linnet Atem holen oder sich auch nur bei dem Schmied bedanken konnte, versetzte Ranald ihrem Pferd einen Schlag aufs Hinterteil, und das struppige Tier setzte mit einem Sprung durch das offene Tor.
Linnet schluckte, um ein Aufschluchzen zu unterdrücken, und starrte stur geradeaus. Sie wollte ... konnte sich nicht Umsehen.
Unter anderen Umständen wäre sie froh gewesen, fortzugehen. Dankbar sogar. Aber sie hatte das. Gefühl, dass sie nur eine Hölle gegen eine andere tauschte. Und Gott stehe ihr bei, aber sie hätte nicht sagen können, welche ihr lieber war.
Viele Stunden und unzählige Meilen später machte Ranald MacDonnell der kleinen Gruppe hinter sich ein Zeichen, anzuhalten. Linnets Pferd schnaubte protestierend und tänzelte nervös, als sie es zügelte. Sie teilte seine Unruhe, denn sie hatten nun ihr Ziel erreicht.
Nach einem schier endlosen Ritt durch MacKenzie-Territorium hatten sie den Punkt auf der Hälfte des Wegs erreicht, wo sich laut Ranald ihr zukünftiger Ehemann mit ihnen treffen würde.
Von einem unerklärlichen Anfall von Verlegenheit erfasst, strich Linnet glättend über den Schleier, der ihr Haar bedeckte, und ordnete den Faltenwurf des abgetragenen, aber kostbaren arisaid ihrer Mutter. Wenn sie ihre langen Zöpfe nur nicht aufgesteckt hätte, um sie unter ihrem Kopfputz zu verbergen. Ihr Verlobter hielt sie für unscheinbar, aber ihr Haar war schön.
Ihre Brüder sagten immer, ihre Haarfarbe sei mit den Rot-und Goldtönen der hellsten Flamme zu vergleichen.
Hätte sie ihr Haar doch offen getragen. Es war peinlich genug, ihrem neuen Ehemann, Feind oder nicht, in wenig mehr als Lumpen zu begegnen. Höchstens das hübsche Plaid ihrer Mutter verlieh ihr einen Hauch von Eleganz. Aber trotz allem hätte sie sich ein bisschen mehr Würde bewahren können, indem sie ihr ansprechendstes Merkmal herausstellte, anstatt es zu verbergen.
Doch Bedauern war nun zwecklos, denn der Waldboden erbebte schon unter den donnernden Hufschlägen schnell herannahender Pferde.
»Cuidich’ N’ Righ!« Der Schlachtruf der MacKenzies zerriss die Luft. »Rettet den König!«
Linnets Pferd warf den Kopf zurück und brach in Panik seitlich aus. Während sie sich noch bemühte, das Tier zu beruhigen, kam eine doppelte Reihe sehr kriegerisch aussehender Ritter in Sicht. Sie ritten direkt auf ihre Gruppe zu, formten im letzten Augenblick zwei Kolonnen, galoppierten dann an Linnet und ihrer kleinen Eskorte vorbei und schlossen sie ein in einem Kreis gepanzerter und schwer bewaffneter MacKenzies.
»Keine Angst, Linnet«, rief Ranald ihr über die Schulter zu. »Wir beschützen dich.« Sich im Sattel umdrehend, schrie er ihren anderen Brüdern etwas zu, aber die lauten Schreie der MacKenzies verschluckten Ranalds Worte.
»Cuidich’ N’ Righ /«
Ihre kühnen Kampfschreie spiegelten das Leitmotiv der MacKenzies wider. Die stolzen Worte prangten unter einem Hirschgeweih auf Bannern, die von berittenen Standartenträgern gehalten wurden. Anders als die Krieger, die vorgestürmt waren, hielten diese jungen Männer ihre Pferde in einiger Ent-femung. Zu viert nebeneinander stehend, ihre Standarten stolz gereckt, gaben sie ein imposantes Bild ab.
Aber nicht einmal annähernd so imposant wie der schwarze Ritter, der so selbstsicher durch ihre Reihen brach.
Mit einem schwarzen Kettenhemd bekleidet, ein breites Schwert an seiner Seite und zwei Dolche unter dem feinen Ledergürtel, der tief auf seinen Hüften ruhte, ritt er ein riesiges Schlachtross, das so schwarz wie seine Rüstung war.
Linnet schluckte. Dieser einschüchternde Riese von einem Mann konnte nur Duncan MacKenzie sein, der MacKenzie von Kintail, ihr Verlobter.
Sie brauchte nicht erst das grün und blau karierte Plaid über seinem Brustharnisch zu sehen, um zu wissen, wer er war.
Und es machte auch nichts, dass der Helm, den er trug, sein Gesicht im Schatten hielt, so dass es fast nicht zu erkennen war. Eine Welle der Arroganz schlug ihr entgegen, als sein prüfender Blick quälend langsam von ihrem Kopf zu den verschrammten Halbstiefeln an ihren Füßen glitt.
Aye, sie wusste, wer er war.
Und sie wusste auch, dass dieser kriegerische Gutsbesitzer verstimmt war über das, was seine Augen sahen.
Mehr als nur verstimmt... er wirkte regelrecht empört. Nur schwer beherrschter Ärger strahlte von ihm aus, während er sie kritisch musterte. Sie brauchte ihre Gabe nicht, um seine Augenfarbe zu bestimmen. Ein Mann wie er konnte nur Augen haben, die so dunkel waren wie seine Seele.
Ihre geschärften Sinne verrieten ihr alles. Er hatte sie sich gründlich angesehen ... und war zu dem Ergebnis gekommen, dass sie seinen Ansprüchen nicht genügte.
Heilige Jungfrau, hätte sie doch nur Elspeths Rat befolgt und der alten Frau erlaubt, sie anzukleiden und ihr Haar zu parfümieren! Es wäre so viel einfacher gewesen, seiner unverschämten Musterung hocherhobenen Kopfes zu begegnen, wenn sie nicht das einzig Schöne an ihr, ihr Haar, verborgen hätte unter einem Schleier.
Als er sein Pferd in Bewegung setzte und direkt auf sie zuritt, unterdrückte Linnet den Impuls, zu fliehen. Nicht, dass sie eine Chance gehabt hätte, den geschlossenen Kreis dieser finster dreinblickenden MacKenzie-Gefolgsmänner zu durchbrechen. Und auch an ihren Brüdern wäre sie nicht vorbeigekommen ... beim Herannahen des schwarzen Ritters trieben sie ihre Pferde noch ein wenig näher an das ihre. Mit grimmigen Gesichtern, die Hände an den Griffen ihrer Schwerter, gestatteten sie ihrem Verlobten misstrauisch, heranzureiten.
Nein, sie hatte keine Möglichkeit zur Flucht.
Aber sie hatte ihren Stolz. In der Hoffnung, dass er das aufgeregte Pochen ihres Herzens nicht bemerkte, setzte Linnet sich noch etwas gerader hin im Sattel und zwang sich, den feindseligen Blick'zu erwidern, den er ihr von unter seinem Helm zuwarf.
Er sollte ruhig merken, dass auch sie die Situation sehr unerfreulich fand. Und wahrscheinlich war es auch das Klügste, ihm gleich zu zeigen, dass sie sich nicht vor ihm ducken würde.
Duncan hob eine Augenbraue angesichts dieser unerwarteten Zurschaustellung von Mut seitens seiner Braut. Eine nahezu unkontrollierbare Wut hatte ihn erfasst, als er ihren abgetragenen Umhang und ihre abgenutzten Schuhe gesehen hatte. Selbst der feine arisaid, den sie über ihren Schultern trug, hatte Löcher! Alle Highlander wussten, dass ihr Vater ein Trunkenbold und Faulpelz war, aber er hätte nie gedacht, dass dieser Flegel seine Tochter beschämen würde, indem er sie in diesem Aufzug, schäbiger gekleidet als die ärmste Dörflerin, zu ihrem neuen Lehnsherrn und zukünftigen Ehemann schickte.
Duncan beugte sich im Sattel vor und blickte sie noch einmal prüfend an, froh über den Schatten seines Helms, der sein Gesicht fast vollständig vor ihr verbarg. Sicher dachte sie, sie missfiele ihm, statt zu erraten, dass es die unglaubliche Respektlosigkeit ihres Erzeugers war, die seinen Arger weckte.
Aye, ihr stolz erhobenes Kinn und ihr trotziger Blick gefielen ihm. Dieses Mädchen war kein Lamm. Die meisten Frauen von vornehmer Geburt würden in Selbstmitleid und Scham den Kopf hängen lassen, wenn sie in solchen Lumpen gesehen würden. Aber sie hatte seine Musterung mit Stolz und bewundernswerter Contenance über sich ergehen lassen.
Langsam glättete sich Duncans Stirn, und zu seinem eigenen Erstaunen verzogen sich seine Mundwinkel zu einem seiner raren Lächeln. Er unterdrückte es jedoch sofort wieder und kniff die Lippen zusammen, bevor das Lächeln sich ausbreiten konnte. Schließlich hatte er nicht um dieses Mädchen angehalten, um Gefallen an ihm zu finden.
Er wollte nichts anderes von ihr, als dass sie seinen Zweifeln, ob Robbie sein eigener Sohn war oder ein Bastard, ein Ende bereitete, dass sie sich um den Jungen kümmerte und dafür sorgte, dass sein Anblick ihm erspart blieb, falls sein Verdacht sich als richtig erweisen sollte. Weitaus wichtiger als ihr Charakter war die Frage, ob sie dem Jungen eine gute Stiefmutter sein könnte. Aber es freute Duncan jedenfalls, zu sehen, dass sie Rückgrat hatte.
Das würde sie auch brauchen, um seine Frau zu sein.
Die feindseligen Blicke ihrer Begleiter ignorierend, trieb er sein Pferd voran. Erst wenige Zentimeter vor ihrem struppigen Pony zügelte er das Tier.
Linnet straffte die Schultern, als er vor ihr stehen blieb, entschlossen, sich nichts von der ehrfürchtigen Bewunderung anmerken zu lassen, die sein prachtvolles Schlachtross ihr einflößte. Noch nie zuvor hatte sie ein solches Tier gesehen. Das Pferd war fast doppelt so groß wie ihr struppiges kleines Highland-Pony.
Sie hoffte, dass sie ihre Ehrfurcht vor dem Mann genauso gut verbarg.
»Könnt Ihr weiterreiten?« Des Schwarzen Ritters Stimme klang tief und männlich unter seinem Helm.
»Solltet Ihr ihr nicht die Hand küssen und sie fragen, ob sie müde ist von der langen Reise, bevor Ihr Euch erkundigt, ob sie weiterreiten kann?«, wandte Jamie, Linnets Lieblingsbruder, sich verärgert an MacKenzie. Die Bemerkungen ihrer anderen Brüder spiegelten Jamies Gefühle wider, aber Linnets Mut verließ sie, als ihr Verlobter sie alle, anstatt Jamies Frage zu beantworten, mit einem feindseligen Blick bedachte.
Respektierte er sie nicht genug, um sie wenigstens anständig zu begrüßen? War sie in seiner Achtung bereits so gesunken, dass er sämtliche Regeln der Ritterlichkeit vergessen hatte?
Empört über seinen Mangel an Höflichkeit, straffte sie trotzig ihre Schultern und schob ihr Kinn vor.
»Ich bin Linnet von Dundonnell«, sagte sie kühl und hob ihr Kinn noch etwas mehr. »Und wer seid Ihr, Mylord?«
»Es ist nicht der richtige Moment für Nettigkeiten. Ich möchte so schnell wie möglich von hier verschwinden, falls Ihr nicht zu müde seid.«
Sie war todmüde, aber sie wäre lieber gestorben, als Schwäche zu zeigen.
Linnet sah ihr Pony an. Sein Fell glänzte vor Schweiß, und sein schweres Atmen sprach von dem Tribut, den die Anstrengung des langen Ritts von dem Tier gefordert hatte. »Ich bin nicht müde, Sir, aber mein Pferd ist erschöpft. Können wir nicht hier übernachten und morgen früh die Reise fortsetzen?«
»Marmaduke!«, brüllte MacKenzie, statt zu antworten. »Komm her!«
All die stolze Entschlossenheit, die sie so mühsam aufgebracht hatte, verließ sie, als der Angesprochene den Kreis verließ und auf sie zuritt. Der Ritter mit dem harmlos klingenden Namen war der hässlichste und Furcht erregendste Mann, den sie in ihrem ganzen Leben je gesehen hatte. Marmaduke trug das MacKenzie-Plaid über seinem Brusthamisch, und wie die anderen Gefolgsleute trug er keinen Helm, sondern eine Kettenhaube auf dem Kopf. Aber in seinem Fall hätte Linnet es vorgezogen, wenn er einen Helm getragen hätte, der das Gesicht abschirmte, so wie ihr Verlobter.
Sein entstelltes Gesicht bot einen solch beängstigenden Anblick, dass sich ihre Zehen in ihren Stiefeln krümmten. Eine hässliche Narbe verlief quer über sein Gesicht, von seiner linken Schläfe bis zu seinem rechten Mundwinkel, was seine Lippen so aussehen ließ, als wären sie ständig zu einem höhnischen Grinsen verzogen. Das Schlimmste jedoch war, dass an der Stelle, wo sein rechtes Auge hätte sein sollen, nur ein entsetzlich vernarbtes Stückchen rosa Fleisch zu sehen war!
Linnet wusste, sie hätte nichts anderes als Mitleid für diesem muskulösen Krieger verspüren dürfen, aber der grimmige Ausdruck seines gesunden Auges, dessen Blick irritierenderweise auf sie gerichtet war, flößte ihr nur Entsetzen ein.
Angst ließ ihr Blut so laut durch ihre Ohren dröhnen, dass sie nicht hörte, was Sir Duncan dem Mann sagte, aber sie wusste, dass es sie betraf, denn der einäugige Marmaduke hielt seinen wilden Blick auf sie gerichtet und nickte zustimmend, bevor er sein Pferd wendete und in die Wälder davongaloppierte.
Linnets Erleichterung über seinen abrupten Aufbruch machte sich in einem tiefen Seufzer Luft. Wenn die Heiligen ihr wohlgesonnen waren, würde diese erschreckende Erscheinung nicht zurückkehren.
Doch leider war ihre Erleichterung nur von kurzer Dauer, denn Duncan MacKenzie streckte plötzlich wortlos einen Arm aus, hob sie von ihrem Pferd und setzte sie vor sich in den Sattel. Mit seiner freien Hand nahm er die Zügel ihres Pferds. Sie konnte kaum atmen, so fest hielt er sie mit seinem Arm umklammert.
Ein Protestgeschrei erhob sich unter ihren Brüdern, Ranalds Stimme lauter noch als alle anderen: »Wenn Ihr unsere Schwester noch einmal so grob anfasst, MacKenzie, seid Ihr tot, bevor Ihr auch nur daran denken könnt, Euer Schwert zu ziehen!«
Duncan wendete blitzschnell sein Pferd und wandte sich ihrem ältesten Bruder zu. »Ihr solltet lieber einen kühlen Kopf bewahren, MacDonnell, denn sonst vergesse ich, dass dieses Treffen als freundschaftliche Begegnung gedacht war.«
»Ich werde nicht dulden, dass irgendjemand meine Schwester schlecht behandelt«, warnte Ranald. »Und Ihr schon gar nicht.«
»Ihr seid Ranald?«, fragte MacKenzie, Ranalds Zorn dreist ignorierend, und auf das kurze Nicken ihres Bruders fuhr er fort: »Die Angehörigen, die Ihr sucht, sind in dem Wald hinter meinen Standartenträgem. Es ist ihnen deutlich gemacht worden, dass weitere Vorstöße auf mein Land ein weitaus schlimmeres Schicksal als eine bloße Geiselnahme nach sich ziehen werden. Die Rinder, die Euer Vater erwartet, sind bei Euren Männern. Ich habe Wort gehalten. Und nun werden wir Euch hier verlassen.«
Ranald MacDonnell reagierte sichtlich ungehalten. »Wir beabsichtigen, unsere Schwester wohlbehalten nach Eilean Creag Castle zu bringen.«
»Glaubt Ihr etwa, ich könnte sie auf der Reise zu meiner eigenen Burg nicht selbst beschützen?«
»Euer Ansinnen ist eine Beleidigung für meine Schwester«, protestierte Jamie. »Wir hatten vorgehabt, ein paar Tage auf Eilean Creag zu bleiben, um die Hochzeitsvorbereitungen zu treffen. Unser Vater erwartet Kunde von uns bei unserer Rückkehr.«
Duncan veränderte seine Haltung und zog Linnet noch ein wenig fester an seine breite Brust. »Dann berichtet Eurem Vater, es sei alles vorbereitet und das Aufgebot verkündet. Wir werden gleich am nächsten Morgen nach unserer Ankunft auf Eilean Creag getraut. Es ist nicht nötig, dass Magnus MacDonnell die Mühen einer langen Reise auf sich nimmt.«
»Das kann doch nur ein Scherz sein!« Jamie errötete vor Empörung. »Meine Schwester kann nicht ohne die Anwesenheit ihrer Familie heiraten! Das würden wir niemals zulassen ...«
»Ihr tätet gut daran, zu bedenken, dass ich nie scherze.« Ruhig wandte Duncan sich wieder zu Linnets ältestem Bruder um und warf ihm die Zügel ihres Pferdes zu. »Kümmert Euch um das Pferd Eurer Schwester und seht zu, dass Ihr von meinem Land verschwindet.«
Ranald ergriff mit einer Hand die Zügel, die andere glitt zu seinem Schwert. »Ich weiß nicht, wer der größere Schuft ist, Ihr oder mein Vater. Sitzt ab und zieht Euer Schwert. Ich kann nicht...«
»Tut einer alten Frau einen Gefallen und hört auf zu streiten!« Elspeth Beaton, deren graues Haar zerzaust vom Reiten war und ihr Gesicht hochrot vor Anstrengung, trieb resolut ihr Pony durch den Kreis der Männer. Mit einem beschwörenden Blick wandte sie sich zuerst an die MacKenzie-Männer und dann an die MacDonnell-Brüder. »Lasst Eure Waffe stecken, Ranald. Es ist kein Geheimnis, dass Eure Schwester ihre Hochzeit lieber ohne jemanden wie Euren Vater feiern würde. Es wäre töricht, Blut zu vergießen über etwas, von dem wir alle wissen, dass es besser für das Mädchen ist.«
Sie wartete, bis Ranald sein Schwert losließ, und sah dann Duncan an. »Werdet Ihr dem Mädchen nicht wenigstens erlauben, ihre Brüder an der Hochzeit teilnehmen zu lassen?«
»Und wer seid Ihr?«
»Mein Name ist Elspeth Beaton. Ich habe für Linnet gesorgt, seit ihre Mutter bei ihrer Geburt starb, und ich denke nicht daran, jetzt damit aufzuhören.« Ihre Stimme verriet das Selbstvertrauen und die Autorität einer beliebten und ihrer Herrschaft treu ergebenen Dienerin. »Eure breiten Schultern zeugen von hartem Training, Mylord, aber glaubt nicht, ich empfände Furcht vor Euch. Ich werde niemandem erlauben, meine Dame schlecht zu behandeln, nicht einmal Euch, Mylord.«
Als Linnet zu ihm aufschaute, sah sie, wie einer seiner Mundwinkel sich bei Elspeths Worten kräuselte. Aber der Ansatz dieses Lächeln verschwand buchstäblich auf der Stelle und wurde schnell ersetzt durch ... nichts.
Plötzlich wusste sie, was sie am meisten beunruhigt hatte, seit er sie auf sein Pferd gehoben hatte.
Dass die Gerüchte stimmten.
Duncan MacKenzie besaß weder ein Herz noch eine Seele. Nichts als Leere erfüllte diesen hünenhaften Mann, der sie vor sich im Sattel hielt.
»Ich entscheide, wer unter meinem Dach schläft. Linnet von Dundonnells Brüder können meinetwegen heute Nacht hier lagern und bei Tagesanbruch das MacKenzie-Land verlassen. Ihr werdet mit uns nach Eilean Creag weiterreiten«, beschied er Elspeth.
Dann gab er einem jungen Mann ein Zeichen, worauf dieser eine reiterlose graue Stute am Zügel zu ihnen führte. Wieder an Elspeth gewandt, sagte Duncan: »Die Stute war eigentlich für Eure Herrin bestimmt, aber Lady Linnet wird bei mir mitreiten.« Er nickte dem Knappen zu. »Lachlan, hilf der Dame aufzusitzen. Wir haben schon genug Zeit verloren.«
Der Knappe, der noch jung war, aber groß und muskulös, sprang von seinem Pferd und hob Elspeth so mühelos von ihrem Pony, als wöge sie nicht mehr als eine Feder. Mit einer einzigen fließenden Bewegung hob er sie in den Sattel der erheblich größeren grauen Stute. Kaum saß Elspeth, verbeugte er sich tief vor ihr und schwang sich wieder auf sein eigenes Ross.
Elspeth errötete. Niemand sonst bemerkte es - denn von dem langen Ritt und ihrem Arger waren ihre Wangen ohnehin schon stark gerötet.
Aber Linnet wusste es.
Ihre geliebte Elspeth war bezaubert von der Galanterie des Knappen.
Dann gab Duncan MacKenzie den Befehl zum Aufbruch. In einem gewagten Manöver trieben ihre Brüder ihre Pferde vor, um Duncans Gruppe den Weg zu verstellen. »Halt, MacKenzie! Ich habe Euch noch etwas zu sagen«, brüllte Ranald, worauf Linnets Verlobter sein Pferd wieder zum Stehen brachte, da ihm gar nichts anderes übrig blieb, wenn er nicht die von ihren Brüdern errichtete Wand aus Pferdefleisch durchbrechen wollte.
»Sagt, was Ihr zu sagen habt, aber tut es schnell«, entgegnete MacKenzie knapp. »Glaubt nur nicht, ich würde zögern, Euch über den Haufen zu reiten, falls Ihr meine Geduld zu lange strapaziert.«
»Nur noch eine letzte Warnung«, rief Ranald. »Eins solltet Ihr wissen: Unser Vater ist zwar nicht mehr der Mann, der er einmal war, und er mag Linnet vielleicht auch nicht so lieben, wie er es sollte, aber meine Brüder und ich tun es. Die gesamten Highlands wären nicht groß genug, um Euch darin zu verstecken, falls Ihr meiner Schwester auch nur ein Haar krümmen solltet.«
»Eure Schwester wird gut behandelt werden auf Eilean Creag«, war alles, was Duncan MacKenzie darauf erwiderte.
Ranald nickte, und dann, einer nach dem anderen, gaben ihre Brüder den Weg frei und die MacKenzie-Gefolgsleute stießen ihren Pferden die Fersen in die Flanken. Sie alle ritten los wie einer. Linnet schaffte es gerade noch, ihren Brüdern Lebewohl zu sagen. Die Abschiedsworte, die sie ihr zuriefen, gingen jedoch im Donnern der Hufe, dem Klirren schwerer Rüstungen und Knarren von Sattelleder und Geschirren unter.
Ihr Verlobter hielt sie mit einem Arm, und sie war froh über seinen festen Griff. Noch nie hatte sie auf einem derart großen Pferd gesessen, und die Entfernung zu dem harten Boden unter ihnen war beängstigend.
Doch obgleich Duncan MacKenzies fester Griff ihr ein Gefühl der Sicherheit vermittelte und seine beeindruckende Präsenz ihren Körper wärmte, strahlte er ein unheilige Kälte aus, die ihr bis in die Knochen drang. Eine tief gehende Kälte, grimmiger als ein eisiger Winterwind.
Ein Frösteln durchzuckte sie, und sofort verstärkte Duncan den Druck seiner Arme und zog sie noch näher an sich. Zu ihrer Überraschung vermittelte die Geste ihr ein Gefühl der Geborgenheit, ganz gleich, ob sie beschützend war oder rein zufällig. Sie wärmte sie aber auch und löste ein höchst merkwürdiges Flattern in ihrem Magen aus.
Ihr wurde wann ... Trotz der Kälte dieses Mannes.
Linnet seufzte und ließ sich an seine Brust zurücksinken ... nur für einen Moment, dann würde sie sich wieder aufrichten. Er war und blieb letztendlich ein MacKenzie. Aber sie war noch nie von einem Mann in den Armen gehalten worden. Niemand konnte es ihr verübeln, wenn sie sich für einen winzigen Moment entspannte und die ungewöhnlichen Empfindungen, die sich tief in ihr rührten, zu verstehen suchte.
Etliche Stunden später erwachte sie, auf einem Bett aus weichem Gras und ihren Lederbeutel mit den Kräutern als Kissen unter ihrem Kopf. Jemand hatte sie mit einem warmen wollenen Umhang zugedeckt. Und... sie befand sich mitten in einem Lager voller MacKenzie-Männer.
Die alle in verschiedenen Stadien der Entkleidung waren.
Elspeth schlief ganz in der Nähe, neben einem munter prasselnden Feuer, und Linnet hatte den Eindruck, dass das Schnarchen der alten Dame sehr zufrieden klang.
Zu zufrieden.
Anscheinend hatte ihre geliebte Amme sich mit ihrem Dilemma abgefunden. Linnet richtete sich auf die Ellbogen auf und betrachtete die schlafende Frau. Elspeth mochte sich vielleicht von den höfischen Galanterien eines MacKenzie-Knap- pen umstimmen lassen, aber sie ganz sicher nicht!
Egal, wie viele MacKenzie-Männer ihnen den Kavalier vorspielten. Das interessierte sie ebenso wenig wie jenes merkwürdige Flattern in ihrem Bauch, das sie verspürt hatte, als ihr zukünftiger Ehemann sie in seinen starken Armen gehalten hatte. Dieses angenehme Gefühl war sicherlich durch ihre Erleichterung, zu wissen, dass er sie nicht fallen lassen würde, verursacht worden.
Nein, kein MacKenzie würde jemals leidenschaftliche Gefühle in ihr wecken. Das war schlicht und einfach... unausdenkbar.
Und im Gegensatz zu Elspeth fand sie es ganz und gar nicht angenehm, von Feinden umringt zu sein.
Insbesondere halbnackten!
»Lachlan, hilf mir mal mit meinem Brustpanzer.« Die Stimme ihres Verlobten, tief und maskulin, kam von der anderen Seite des Lagerfeuers.
»Wie Ihr wünscht, Mylord.« Der junge Mann sprang auf und stolperte fast über seine eigenen Füße in seiner Hast, den Wünschen seines Lehnsherrn nachzukommen.
Linnet sah mit großen Augen zu, wie ihr zukünftiger Ehemann seinen Helm absetzte und eine zerzauste Mähne dichten schwarzen Haars zum Vorschein kam.
Glücklicherweise stand er mit dem Rücken zu ihr, denn unerklärlichweise hatte sie zu zittern angefangen.
Während sie ihn neugierig beobachtete, ließ er den stählernen Helm achtlos auf den Boden fallen und legte seine Panzerhandschuhe ab. Dann fuhr er sich mit beiden Händen durch das schwarze Haar, das ihm in dichten Wellen fast bis auf die Schultern fiel.
Linnet schluckte, denn plötzlich wurde ihr unangenehm bewusst, dass ihr Magen schon wieder so eigenartig kribbelte. War der Mann ein Zauberer? Hatte er sie verhext? Mit seinem Haar, das schwarz war wie die Sünde und glänzend wie das Gefieder eines Raben, hielt sie es für durchaus möglich, dass die Gerüchte, er sei eine Brut des Teufels, stimmten.
Es war allgemein bekannt, dass Schönheit und das Böse oft Hand in Hand gingen.
Als sein Knappe das schwarze Kettenhemd über Duncan MacKenzies Kopf zog, stockte ihr der Atem, und ihr war, als würde ihr Herz aufhören zu schlagen. Der Anblick von Sir Duncans breitem Rücken faszinierte sie so außerordentlich, als ob tatsächlich ein Zauberer sie in seinen Bann geschlagen hätte.
Das flackernde Licht des Lagerfeuers tanzte auf MacKenzies ausgeprägten Muskeln, die sich anspannten, als er sich bückte, um seinem Knappen zu helfen, ihm den Rest seiner Rüstung abzunehmen. Nicht einmal Ranalds beeindruckender Körperbau konnte sich mit MacKenzies vergleichen.
Ihr Herz erwachte wieder zum Leben und sprang ihr in die Kehle, als er ein Paar dünne wollene Strümpfe über seine muskulösen Beine zog. Gott, sogar seine Hinterbacken wirkten stramm und stolz! Linnet befeuchtete ihre Lippen und schluckte, um die plötzliche Trockenheit in ihrem Mund zu lindern.
Sie hatte jeden einzelnen ihrer acht Brüder und eine ansehnliche Anzahl ihrer Cousins entkleidet gesehen. Aber keiner von ihnen hatte so einschüchternd ausgesehen wie dieser Gigant, der auf der anderen Seite des Lagerfeuers stand.
Oder war so schön gewesen.
Während sie noch wie gebannt zuschaute, unfähig, ihre Augen von ihm abzuwenden, streckte er die Arme hoch über den Kopf. Mächtige Schultermuskeln dehnten sich und zogen sich zusammen, unter Haut, die braungebrannt war von der Sonne. Gütiger Himmel, nichts in all den Jahren ihres Lebens hatte sie auf einen derartigen Anblick vorbereitet! Er hätte als heidnischer Gott durchgehen können mit diesem wundervollen Körperbau.
Der Gedanke, mit einem solchen Mann das Bett zu teilen, erfüllte sie mit mehr Beklommenheit, als wenn man ihr befohlen hätte, eins der Seeungeheuer aus den Highlandlochs zu zähmen!
Aber selbst diese Furcht verblasste angesichts des Entsetzens, das sie beschlich, als er sich umwandte. Und dabei hatte sie den beeindruckenden Beweis seiner Manneskraft zwischen dem dunklen Haar in seiner Leistengegend nur für einen winzigen Augenblick lang angesehen.
Nein, es war ihr erster richtiger Blick auf sein Gesicht, was sie bis ins Mark erschütterte und eine lang unterdrückte Erinnerung zurückbrachte.
Mit schrecklicher Klarheit erkannte sie plötzlich, warum sie eine Gänsehaut bekommen hatte, als Elspeth ihren Verlobten als Schwarzen Hirsch bezeichnet hatte.
Der Himmel stehe ihrer Seele bei: Sie war an den Mann aus ihrer schrecklichsten Kindheitsvision verschachert worden!
An den Mann, der kein Herz besaß.