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Irgendein verfluchter Hurensohn versuchte, ihm mit glühenden Nadeln die Augen auszustechen! Duncan sprang auf, um den Schuft, der etwas derart Niederträchtiges zu versuchen wagte, abzuwehren - ließ sich dann aber auf der Stelle wieder in den Sessel zurücksinken, in dem er die halbe Nacht verbracht hatte. Er hatte das Gefühl, als platzte ihm der Kopf nach dieser heftigen Bewegung.

Sich zurücklehnend, stieß er ein gequältes Stöhnen aus. Der Schmerz war beinahe unerträglich, aber wenigstens war er nicht von einem Nadeln schwingenden Angreifer überrumpelt worden.

Nein, es war nur das helle Licht des Morgens, das durch die Ritzen in den Fensterläden drang, was seine Augen brennen ließ, als stünden sie in Flammen.

Beim Grab seiner verblichenen Mutter, was war ihm widerfahren ? So viel Wein hatte er doch gestern Nacht gar nicht getrunken.

Oder doch?

Gütiger Himmel, er hatte sich noch nie elender gefühlt!

Und wieso war er in einem Sessel erwacht und nicht in seinem Bett?

Mit einem unterdrückten Aufstöhnen senkte er den Arm, den er vor seine schmerzenden Augen gelegt hatte. Blinzelnd vor dem infernalisch hellen Licht des neuen Tages, blickte er sich im Zimmer um und suchte Lachlan, seinen Knappen.

Der Junge schlief gewöhnlich auf einem Feldbett am Kamin, aber er war nirgendwo zu sehen.

Und sein Feldbett auch nicht.

Und der Kamin, den Duncan jetzt genauer ansah, war auch nicht der seine!

Er war in einem fremden Zimmer aufgewacht.

Nein, nicht ganz, dämmerte ihm dann, als er seine Umgebung langsam zu erkennen begann.

Sein Blick glitt zu dem Bett und dem glänzenden, rotgoldenen Haar, das unter dem Rand der Decke hervorschaute. Duncan presste die Lippen zusammen. Es konnte kein Zweifel mehr bestehen, in wessen Zimmer er erwacht war.

Dem Himmel sei Dank, dass seine neue Gemahlin noch tief und fest zu schlafen schien.

Er war nicht in der Stimmung, ihr einen guten Morgen zu wünschen.

Nicht nackt, wie er war, mit nichts anderem am Leib als dem Waffengurt um seine Hüften.

Ein weiterer Blick durch das Zimmer ließ ihn sein Plaid entdecken, das auf dem Boden neben ihrem Bett lag, und sein Schwert und seinen Dolch, die jemand auf einen Tisch neben der Tür gelegt hatte.

Einer Tür, die nur angelehnt war.

Langsam durchdrang Begreifen den pochenden Schmerz, der seinen Verstand benebelte. Nach und nach kehrten die Ereignisse des Vortages - seines Hochzeitstages - zu ihm zurück.

Er hatte nichts anderes gewollt, als die Feierlichkeiten so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, seine Braut vielleicht noch einmal wegen Robbie zu befragen und sich dann in die Ungestörtheit seines Studierzimmers zu flüchten.

Aber es hatte nicht so sein sollen.

Statt der Unterwürfigkeit, die er sich gewünscht hätte, hatte seine frisch gebackene Gemahlin ihre neue Machtstellung im Haushalt demonstriert, indem sie den Jungen an seinen Tisch gebracht hatte, obwohl irgendeiner seiner Leute sie doch sicherlich gewarnt hatte, dass er strikte Anweisung gegeben hatte, den Jungen von ihm fern zu halten.

Aye, sie musste davon gewusst haben.

Aber sie hatte ihm Trotz geboten.

Und seine Männer auch.

Diese treulosen Schufte hatten unverfroren seine Anweisungen missachtet. Zuerst hatten sie ihm in den Ohren gelegen, die Hochzeitsstein-Zeremonie durchzuführen, und später waren sie so dreist gewesen, ihn und seine Braut ins Bett zu schleppen, in der Hoffnung, ihn dazu zu bringen, einen Akt zu vollziehen, den er auf gar keinen Fall zu vollziehen gedachte, wie sie alle sehr gut wussten.

Weder gestern Nacht noch zukünftig. Nicht mit dieser Frau.

Duncan kniff die Augen zusammen und presste seine Fingerspitzen an seine pochenden Schläfen. Er hätte das Mädchen nie hierher bringen sollen, nie so etwas Törichtes tun sollen, wie sie auch noch zu seiner Frau zu machen.

Sie war erst seit ein paar Stunden unter seinem Dach, und schon hatte sie eine Menge Unruhe gestiftet und ihm Kummer gemacht.

Ein Muskel zuckte an seinem Kinn, was ihm auf unangenehme Weise die Spannung zu Bewusstsein brachte, die ihn beherrschte. Die Frau war zu weit gegangen; sie hatte ihre Grenzen überschritten an ihrem ersten Tag als Herrin von Eilean Creag.

Von ihrer ersten Nacht war ihm herzlich wenig in Erinnerung geblieben, abgesehen von der Tatsache, dass seine Männer ihn die Treppe hinaufgeschleppt und ihn dann ausgezogen hatten.

Und das, woran er sich erinnerte, wollte er vergessen, denn die flüchtigen Bilder, die ihm durch den Kopf schossen, waren sehr beunruhigend.

Beunruhigend auf eine Art und Weise, die er nicht näher untersuchen wollte.

Selbst jetzt, wo sein Kopf sich anfühlte, als ob er in zwei Teile gespalten wäre, ging ein fast schmerzhaftes Ziehen durch seine Lenden bei der Erinnerung daran, wie sie vor ihm gestanden hatte ... in ihrer ganzen nackten Pracht, eingehüllt von ihrem rotgoldenen Haar, wie eine Sirene aus irgendeiner albernen Fabel eines liebeskranken Barden über unstillbare Liebe und endloses Verlangen.

Aber auch Erinnerungen an verriegelte Türen und nächtliche Schreie kehrten nun zu ihm zurück und verdrängten das unerwünschte Verlangen, das seine viel zu gut aussehende Braut in ihm entfachte.

Er wollte sie nicht begehren.

Wollte sie nicht brauchen.

Es war viel einfacher - und ungefährlicher - sein Verlangen nach der samtigen Wärme und Weichheit einer Frau bei einer Dorfhure zu stillen.

Gegen ein paar Münzen tauschten sie, was sie zu geben hatten, und ließen ihn an ihren abgenutzten Reizen teilhaben. Aber selbst Huren konnten den Abscheu und die Furcht in ihren Augen nicht verbergen, wenn er sie bestieg.

Ihr Gesichtsausdruck verriet, was sie ihm niemals ins Gesicht zu sagen wagen würden. Auch sie glaubten, er habe Cassandra in den Tod gestürzt.

Hielten ihn für einen Mörder.

Duncan fluchte. Im Leben wie im Tod besaß seine schöne erste Frau die Macht, ihn unglücklich zu machen. In Wahrheit hatte sie ihn mit ihrem Verrat getötet.

Obwohl ihre Untreue ihn da schon lange nicht mehr gekümmert hatte.

Oder jedenfalls nicht mehr nach den ersten Jahren ihrer Ehe. Gott wusste, dass er aufgehört hatte, sie zu lieben, lange bevor er ihren Indiskretionen auf die Spur gekommen war. Erst als sie ihn wegen Robbies wahrer Vaterschaft verhöhnt hatte, hatte sie ihm das Herz geraubt und mit ihm seine Seele.

Damit und mit ihrer Beteiligung am Tod seiner Schwester, Arabella.

Duncan strich sich mit der Hand übers Gesicht und kniff mit Daumen und Zeigefinger in seinen Nasenrücken. Möge Gott ihm vergeben, falls seine Vermutungen nicht begründet waren, aber er war schließlich nicht der Einzige unter seinem Dach, der sich fragte, ob diese verfluchte Hexe nicht auch bei dem mysteriösen Tod seiner Frau Mutter ihre Hand im Spiel gehabt hatte.

Ob bewiesen oder nicht, diese Taten waren geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen. Seine geliebte Schwester, die in der kalten Erde ruhte, und seine liebe Mutter, die nicht weit entfernt vom Grabe ihrer Tochter lag.

Und was die Frage anging, ob Robbie Kenneths Sohn war, hatte Duncan tief im Innersten gewusst, dass die gehässigen Worte, die Cassandra ihm am letzten Tag ihres Lebens entgegengeschleudert hatte, wahr waren. Was ihn quälte, war der winzige Hoffnungsschimmer, den er nie ganz hatte ersticken können.

Der verzweifelte Wunsch, zu entdecken, dass sie gelogen hatte ... eine Vorstellung, an der nur ein kompletter Narr festhalten würde.

Duncans Hände ballten sich zu Fäusten, und er holte müde Atem. Cassandra hatte ihm ebenso untrüglich das Leben genommen, wie sie ihr eigenes verloren hatte, als sie über den Saum ihres Gewandes gestolpert und von den Zinnen gestürzt war, während er hilflos dabeigestanden hatte, außerstande, ihr zu helfen.

In ihrem Grab hatte sie Frieden gefunden, befreit von was immer auch für einem Wahnsinn, der sie derart niederträchtig gemacht hatte, aber er konnte seinen Dämonen nicht entfliehen.

Seine Hölle war, sich wie lebendig begraben zu fühlen.

Nie wieder würde eine Frau ihm solchen Schmerz zufügen.

Nicht in tausend Leben!

Nicht einmal, wenn es bedeutete, seiner neuen Frau Kummer zu bereiten, um sich selbst zu schützen. Es ging nicht anders. Er wollte nichts als Frieden. Sie würde andere Wege finden müssen, um ihr Herz und ihre Tage auszufüllen.

Wie sie ihre Nächte verbrachte, war noch nebensächlicher; sie waren nicht seine Angelegenheit.

Duncan blickte durch den Raum zu ihr. Sie schlief und war sich des Aufruhrs, den ihre bloße Gegenwart in ihm auslöste, zum Glück nicht mal bewusst. Ein leises Schuldbewusstsein beschlich ihn und bewirkte einen Riss in der Mauer, die er um sein Herz errichtet hatte, aber das bestärkte ihn höchstens noch in seiner Entschlossenheit, sich ihr fern zu halten.

Unendlich vorsichtig, um sich nicht seinen schmerzenden Kopf zu stoßen oder seine Braut zu wecken, richtete Duncan sich langsam auf. Es wurde Zeit, dass er Antworten verlangte, aber noch nicht von seiner Frau.

Es würde einen stärkeren Mann als ihn erfordern, ihr gegenüberzutreten und sie zu befragen, solange sie noch das verwundbare Aussehen eines schlafenden Engels hatte.

Er würde sie später wegen Robbie fragen.

Wenn er seine sieben Sinne wieder beeinander hatte ... und seine Männlichkeit sicher unter seinem Kilt verborgen.

Obwohl er alles andere als in Höchstform war, war er dennoch nicht verwirrt genug, um nicht zu erkennen, dass seine Braut nicht die Einzige war, die ihm eine Erklärung schuldete.

Sie konnte die Schlafzimmertür nicht von draußen verriegelt haben gestern Nacht.

Und konnte sie demnach auch heute Morgen von innen nicht geöffnet haben.

Er brauchte kein Hellseher zu sein, um zu erraten, dass ein gewisser einäugiger Sassenach der Missetäter war. Es sah Strongbow ähnlich, sich einen solch hinterhältigen Plan ausgedacht zu haben. Duncan unterdrückte einen Fluch. Was für einen schlauen, hinterhältigen Streich er ihm gespielt hatte ... ihn splitterfasernackt mit einer gleichermaßen nackten Frau in einer Kammer einzuschließen!

Dieser englische Flegel hatte zweifellos gedacht, sie gäben ihren niedrigeren Instinkten nach und würden die Nacht in ungetrübtem ehelichen Glück und leidenschaftlichen Umarmungen verbringen!

Wider besseres Wissen warf Duncan einen weiteren Blick auf seine frisch gebackene neue Ehefrau. Und der Gedanke, wie nahe er daran gewesen war, genau das zu tun, was seine Männer von ihm erwartet hatten, trug nichts zur Besserung seiner Stimmung bei.

Oder wie sehr er es gewollt hatte.

Nur eiserne Entschlossenheit hatte ihn davon abgehalten, Linnet wirklich zu seiner Frau zu machen.

Er schüttelte den Kopf, ohne den Schmerz zu beachten, den die kleinste Bewegung ihm verursachte. Sir Marmadukes verblüffendes Talent, seine geheimsten Gedanken zu erraten, war manchmal wirklich sehr beängstigend.

Und ausgesprochen lästig.

Er musste wirklich ein paar Worte mit ihm reden.

Strenge Worte.

Begierig darauf, den Sassenach, den er eigentlich wie einen Bruder liebte, zur Rede zu stellen, trat Duncan vorsichtig zurück und und legte dann sein Plaid an. So leise, wie er konnte, hob er seine Waffen auf und beeilte sich, das Zimmer zu verlassen.

Erst als er schon auf halbem Weg nach unten war, wurde ihm bewusst, dass er in Gedanken zum ersten Mal den Vornamen seiner Braut benutzt hatte.

 

Linnet erwachte im hellen Licht des Morgens und war sehr erleichtert, festzustellen, dass sie allein im Bett war. Die Heiligen mussten ihr wohlgesonnen sein, denn sie bezweifelte, dass sie imstande gewesen wäre, ihrem Mann gegenüberzutreten, so kurz nach den merkwürdigen Geschehnissen der Nacht.

Später ja.

Wenn sie Zeit gehabt hatte, sich zu fassen.

Aber nicht jetzt.

Es erfüllte sie auch mit Erleichterung, zu sehen, dass die Tür nur angelehnt war und irgendeine gutmütige Seele die Truhe aufgeschlossen hatte, die ihre neuen Gewänder enthielt, damit sie sich anziehen konnte. Sogar ihr arisaid war ihr zurückgebracht worden, der weiche Wollstoff lag ordentlich zusammengefaltet über einer Stuhllehne.

Mit großer Hast und beflügelt von der morgendlichen Kälte, benutzte Linnet das parfümierte Wasser aus einem Krug, um sich zu waschen, zog eilends das erste Kleid an, das sie in der Truhe fand, und schlüpfte aus dem Raum.

Aber selbst angezogen fröstelte sie vor Kälte, als sie die Wendeltreppe hinuntereilte. Obschon nicht mehr trübe und düster, war sie feucht und klamm und roch nach Meer und dem Regen der vergangenen Nacht.

Tatsächlich hegte Linnet sogar die Befürchtung, dass es erheblich mehr als einen sonnigen Tag erfordern würde, die Düsternis zu vertreiben, die der Burg anhaftete.

Und weder wollene Decken noch ein prasselndes Kaminfeuer würden ihre Kälte lindern.

Nicht, solange ihr Herr die Düsternis in seinem Herzen trug.

Trotzig schob Linnet das Kinn vor und hastete die restlichen Stufen hinunter. Und wenn auch vielleicht nur Robbie zuliebe, sie hatte vor, ein wenig Licht und Wärme in diese grimmige Inselfestung zu bringen!

Es war eine schwere Aufgabe, aber sie hatte sich geschworen, sie zu erreichen, ganz gleich, zu welchem Preis.

Aber ihr Mut begann sie zu verlassen, als sie sich der Halle näherte und etwas sah, was sie sehr stark an ihr Unterkleid erinnerte, das herumgeschwenkt wurde wie eine Kriegstrophäe.

Selbst die Bediensteten, die damit beschäftigt waren, Abfälle vom Boden aufzuheben oder Asche aus den Feuerstellen zu fegen, taten sich wichtig und prahlten wie die Clanangehörigen ihres Ehemannes über die Blutflecken auf ihrem Unterkleid!

Während sie sich im Schatten des gewölbten Eingangs hielt, schaute Linnet sich das zur Schau gestellte Kleidungsstück genauer an. Es war tatsächlich ihres. Dasselbe, das Elspeth ihr in der Nacht zuvor geradezu vom Leib gerissen hatte.

Linnet drückte eine Hand an ihre Brust, als ihr Herz vor Verlegenheit und Scham wie wild zu pochen begann. Aber Verwirrung kämpfte mit Vernunft: Das Kleidungsstück konnte gar nicht blutig sein.

Es war nicht die Zeit für ihre monatliche Regel, und Duncan MacKenzie hatte schon geschlafen, bevor Elspeth das Zimmer mit Linnets Kleidern verlassen hatte.

Jemand musste absichtlich das Hemd befleckt haben, nachdem es aus ihrem Zimmer gebracht worden war.

Würde Elspeth so etwas tun?

Und wenn ja ... warum?

Oder hatte sie es sich nur eingebildet, dass Elspeth sie nahezu gezwungen hatte, ihre Unterwäsche abzulegen, und dann damit verschwunden war? Manchmal war ihre Wahrnehmung etwas verschwommen zu Beginn ihrer Visionen. Und auch danach. Es gab Zeiten, da verlor sie Stunden nach dem Tribut, den ihre Visionen von ihr forderten.

Und gestern Abend war sie von einer überaus machtvollen Vision heimgesucht worden, das ließ sich nicht bestreiten.

Mit einem leisen Seufzer atmete sie tief aus. Es war tatsächlich durchaus möglich, dass sie die Ereignisse während ihrer Hochzeitsnacht ein wenig durcheinander gebracht hatte.

Aber selbst wenn Elspeth das Unterhemd nicht an sich genommen hätte, hätte es nicht mit ihrem jungfräulichen Blut befleckt sein können. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte ihr Mann den größten Teil der Nacht geschlafen. Zuerst auf der anderen Seite seiner improvisierten Wandteppich-Barriere, dann in einem Lehnstuhl am Kamin.

Ihre Vision hatte vorübergehend seinen Schlummer unterbrochen, und er hatte auch mit ihr gesprochen, sie aber nicht berührt.

Oder doch?

Eine verschwommene Erinnerung an ihn, nackt und in unverkennbarer sinnlicher Erregung, kam ihr in den Sinn. Vage entsann sie sich, den Beweis seiner männlichen Begierde gesehen zu haben, wie er größer und länger wurde unter ihrem Blick, aber das aufregende Bild war viel zu flüchtig, um es richtig zu erfassen.

Als wolle der Teufel höchstpersönlich sie verhöhnen, konnte sie sich an nichts anderes erinnern.

Oder war sich jedenfalls nicht sicher.

Könnte ihr Mann ihr während ihrer Vision Gewalt angetan haben? Oder danach? Als ihr Kopf noch zu benebelt war, um sich dessen bewusst zu sein, was zwischen ihnen vorging? Die Erscheinung auf dem Bett hatte nach ihr gegriffen und verlangt, >ihr ihr Herz zurückzugeben<. Hatte der Duncan MacKenzie aus Fleisch und Blut sich genommen, was seine Erscheinung nicht erlangen konnte ?

War es möglich, von einem Mann in Besitz genommen zu werden und keinerlei Erinnerung an den Akt zu haben?

Ein Erschauern durchrieselte sie, vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Sie konnte sich ihre Frage nicht beantworten, wusste aber, wer es konnte. Entschlossen atmete sie tief durch, um ihren noch immer rasenden Pulsschlag zu beruhigen, und löste sich aus dem Schatten an der Wand.

Sie straffte ihre Schultern und betrat die Halle so anmutig und würdevoll, wie es ihr möglich war.

Thomas, ein strammer junger Bursche, der nicht sprechen konnte, entdeckte sie als Erster. Der Junge errötete bis unter die Wurzeln seines ungekämmten Haars und nickte ihr zu, als sie vorbeiging.

Alle anderen verstummten und schienen plötzlich sehr beschäftigt, mit was immer für Aufgaben sie auch finden konnten, um etwas zu tun. Einige nickten ihr respektvoll wie der arme Thomas zu, und einige der jüngeren Mägde lächelten sie schüchtern an.

Aber keiner rührte sich, außer dem Geschichten erzählenden Seneschall. Fergus nahm das Unterhemd aus den Händen eines puterrot gewordenen Clanangehörigen und brachte es zu Linnet.

»Ihr werdet das haben wollen«, sagte er und überreichte es ihr so feierlich, als wäre das Unterkleid eine kostbare Reliquie und nicht ein fleckiges Stück Leinen. »Es gehört zu den Gebräuchen unseres Clans, den Beweis der Unschuld der Dame aufzuheben. Wir danken Euch und Duncan, dass Ihr ihn in die Halle geschickt habt, damit wir alle ihn sehen können.«

Linnet nahm die ihr dargereichte Tunika und zerknüllte sie rasch zu einem Ballen, um die Blutflecken zu verbergen. »Aber ich weiß nicht...«

»Wir wollten Euch nicht in Verlegenheit bringen«, unterbrach er sie mit gebieterischer Stimme, die schrecklich laut klang in der unnatürlich stillen Halle. »Wir sind froh, zu wissen, dass Ihr als reine, tugendhafte Braut zu Duncan gekommen seid.«

Mit einem Mal durchbrach ein rauer Chor begeisterter Jubelrufe die Stille, und Linnet spürte, wie das Blut ihr in die Wangen schoss. Die MacKenzies akzeptierten sie als eine der ihren ... als die rechtmäßige Gemahlin ihres Herrn.

Und dankten ihr für ihre Tugend.

Nur war ihr bis eben noch gar nicht bewusst gewesen, dass sie sie aufgegeben hatte!

Sie war sich dessen immer noch nicht sicher.

Aber sie wusste, dass sie ihr Unterkleid nicht in die Halle geschickt hatte, damit Gott und jedermann es untersuchen konnte!

Aye, das zumindest wusste sie.

»Wo ist Elspeth?«, fragte sie, erstaunt, wie ruhig ihre Stimme klang.

»Wo ist wer?« Fergus legte eine Hand hinter sein linkes Ohr und beugte sich vor.

»Meine Dienerin«, sagte Linnet lauter. »Die quengelige alte Henne, der ich zu vertrauen glaubte«, fügte sie gedämpft hinzu.

»Quengelige alte Henne?« Fergus verschränkte die Arme und blickte sie aus schmalen Augen an. »Sie ist eine feine Frau, Eure Elspeth. Ich habe nichts Quengeliges an ihr festgestellt.« Er hielt inne und fixierte sie mit einem scharfen Blick, als wolle er ihr zu verstehen geben: Wag ja nicht, mir zu widersprechen. »Ihr werdet sie in der Küche finden. Nehmt einfach diesen Gang dort drüben und folgt Eurer Nase.«

»Ich danke Euch, Sir.« Linnet hielt sich nicht damit auf, ihm zu sagen, dass sie die riesige Küche Eilean Creags schon kannte. »Einen schönen Morgen noch«, fügte sie hinzu und wunderte sich erneut, dass ihr Ton nichts von den aufgewühlten Emotionen erkennen ließ, die in ihr tobten.

Eine feine Frau, hatte er Elspeth genannt. Die drei Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf, als sie sich auf den Weg zur Küche machte, ihr beflecktes Unterkleid fest unter ihren Arm geklemmt. War es möglich, dass der mürrische alte Seneschall sich in Elspeth verliebt hatte? Es war zu absurd, um auch nur darüber nachzudenken.

Oder nicht?

Eilean Creag schien ein Ort zu sein, wo nichts zu sonderbar war, um geschehen zu können.

Aber sie verdrängte den Gedanken, als sie um eine Ecke bog und sich der Küche näherte. Sie hatte andere Dinge mit Elspeth zu besprechen. Es kümmerte sie nicht, wenn ihre einstige Amme verliebte Blicke mit dem Legenden singenden Haushofmeister ihres Ehemanns austauschte.

Im Gegenteil - falls ihre Vermutung sich als korrekt erweisen sollte, verdiente Elspeth, sich an einen krummbeinigen MacKenzie-Greis zu binden, dessen sauertöpfischer Blick selbst Essig noch gerinnen lassen konnte!

Linnet hatte kaum die Küche betreten, da entdeckte sie Elspeth auch schon. Die beleibte alte Dame stand vor einem der drei riesigen Herdfeuer und schöpfte mit einem langstieligen Löffel etwas aus einem Kessel in einen kleineren Tontopf, den ihr ein Junge hinhielt.

Das befleckte Unterkleid hinter sich versteckt und darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen, schlich sich Linnet hinter sie.

»Seit wann musst du in Töpfen rühren wie eine Küchenmagd? Oder dachtest du, hier würde ich nicht nach dir suchen?«

Elspeth erschrak und fuhr herum. Der Löffel entglitt ihren Fingern und landete klappernd auf dem Boden. »Du meine Güte, hast du mich erschreckt«, keuchte sie und legte eine Hand an ihre Brust, so wie Linnet es vorhin draußen vor der Halle getan hatte. »Ich dachte, du wärst noch im Bett.«

»Und wieso solltest du das denken?« Linnet wollte es wissen und gab sich keine Mühe, ihre Stimme noch zu dämpfen. »Vielleicht, weil du glaubst, der Zauber des berühmten MacKenzie-Hochzeitssteins hätte schon zu arbeiten begonnen?«

Zum ersten Mal, seit Linnet sich zurückentsinnen konnte, mied Elspeth ihren Blick. »Aber... es ist schließlich der Morgen nach deiner Hochzeitsnacht...«

»Und du hoffst, es war tatsächlich eine Hochzeitsnacht?«

Elspeth strich die Schürze glatt, die sich um ihren umfangreichen Bauch gebunden hatte, bevor sie Linnet ansah. »Aye, ich will dich nicht belügen, Kind. Es ist wahr, dass ich gehofft hatte, ihr würdet Gefallen aneinander finden.«

Linnet beugte sich vor, bis ihre Nase beinahe Elspeths berührte, und senkte ihre Stimme. »Und wie hätte das geschehen sollen zwischen mir und einem Mann, der mich weniger anziehend findet als eine Kirchenmaus? Oder dachtest du, während der Hochzeitsfeier hätte er eine ausreichende Menge dieses schweren Weins getrunken, um beschwipst genug zu sein, bei mir zu liegen?«, fuhr sie fort, und ihr Magen verkrampfte sich vor Ärger. »Und die Unscheinbarkeit meines sommersprossigen Gesichts vielleicht zu übersehen?«

Elspeth schüttelte den Kopf. »Du redest Unsinn, Kind. Du warst eine schöne Braut. Eine schönere, als ich je gesehen habe.«

»Warum wurde es dann nicht meinem Gatten überlassen, mich in sein Bett zu tragen, falls dies sein Wunsch sein sollte? Es war klar erkennbar, dass er keine Hochzeitsnacht-Zeremonie wünschte, dass er...« Linnet unterbrach sich und hob eine Hand, als Elspeth den Mund öffnete, um ihr zu widersprechen. »Während ich noch verstehen kann, dass seine Männer außer Rand und Band gerieten, so betrunken, wie sie alle waren, kann ich nicht über deine Beteiligung an einem Plan hinwegsehen, der nur mit meiner Demütigung enden konnte.«

Elspeth blickte nach links und rechts, bevor sie in einem kaum wahrnehmbaren Flüstern sagte: »Es war die Idee des Engländers, nicht meine. Obwohl ich zugeben muss, dass ich auf ihn gehört habe, weil ich wirklich glaubte, er meinte es nur gut.«

»Und so habt ihr den Plan gefasst, uns splitternackt in meinem Schlafzimmer einzuschließen, in der Hoffnung, wir würden Gefallen aneinander finden?«

Eine leise Röte stieg in Elspeths Wangen. Sie nickte. »Aye, so war es, Kind.«

Zorn und Scham durchzuckten Linnet mit einer solchen Heftigkeit, dass sie fürchtete, aus ihren Ohren würde Dampf entweichen und aus ihrer Nase Blut. »Und habt ihr nie bedacht, wie es mich demütigen würde, von ihm abgewiesen zu werden, wenn ich vor ihm stand, mit nichts anderem als meiner nackten Haut bekleidet?«

Sie hielt inne, um Luft zu holen. »Habt ihr nicht bedacht, dass er wütend darüber sein könnte, die Nacht mit mir verbringen zu müssen ?«

»Wir haben in gutem Glauben gehandelt und nur das Beste für dich im Sinn gehabt.«

»Und das ist es, was du in gutem Glauben nennst?« Linnet hielt ihr das zusammengeknüllte Unterkleid unter die Nase. »Wärst du so freundlich, mir das zu erklären?«

Winzige Schweißperlen erschienen auf Elspeths Stirn, aber sie zeigte kein Erschrecken und war offenbar ebenso wild entschlossen, sich zu verteidigen, wie Duncan MacKenzie, die Vollziehung seiner Ehe zu vermeiden.

»Wir dachten, ein >Beweis< würde es einfacher für euch machen«, entgegnete Elspeth schließlich. »Ihr seid beide so stur, dass ihr euch selbst im Wege steht. Ihr seid eine geradezu ideale Verbindung eingegangen; doch keiner von euch beiden ist imstande, dem anderen ins Herz zu sehen. Wir wollten dir nur helfen.«

Linnet ließ das Unterkleid vor Elspeth baumeln, als wäre es so unappetitlich wie ein Fass halb abgenagter und mit Fliegen übersäter Fischgerippe.

»Mir helfen?« Linnet unterdrückte ein bitteres Auflachen. »Hast du vergessen, dass du meinen Vater selbst davor gewarnt hast, mich >der Brut des Teufels< auszuliefern ... einem Mann, der möglicherweise seine eigene Frau ermordet hat?«

Elspeth wischte sich ihre Hände an der Schürze ab und legte sie dann auf Linnets Schultern. »Aye, um dir zu helfen. Und ich glaube nicht, dass MacKenzie seine erste Frau ermordet hat.«

»Und woher glaubst du das zu wissen?«, fauchte Linnet. »Du bist schließlich keine Hellseherin.«

»Nein, das bin ich nicht. Das ist auch gar nicht nötig. In meinem Alter braucht man einem Mann nur in die Augen zu sehen, um seinen Charakter zu erkennen. Duncan MacKenzie ist kein Frauenmörder.«

Linnets Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich.

Auch sie bezweifelte die finsteren Gerüchte, die über ihren Mann verbreitet wurden. Wenn er seine erste Frau ermordet hätte, würde sie es spüren. Solch schändliche Taten hafteten einem Menschen an, geißelten ihn für immer und verfinsterten die Aura hellen Lichts, die sie oft um den Körper einer Person wahrnahm.

Und obgleich ihren Mann tatsächlich etwas Düsteres umgab, war es nicht die Aura eines Mörders.

Es war eine andere Art von Finsternis ... die entstanden war aus sehr viel Leid und Kummer.

Doch das entschuldigte weder die Behandlung, die er Robbie angedeihen ließ, noch seine kaltherzige Weigerung, sie als seine wahre Gemahlin anzuerkennen.

Aber er war trotzdem kein Mörder.

Dessen war sie sich ganz sicher.

»Wir stimmen also einig darin, dass er sie nicht getötet hat«, stellte sie schließlich fest. »Aber egal, wie schmerzlich, seine Verbitterung gibt ihm nicht das Recht, dem Kind den Rücken zuzukehren oder mich schlecht zu behandeln.«

Elspeth zog die Augenbrauen hoch. »Willst du damit sagen, er hätte dich misshandelt?«

Linnet schüttelte den Kopf. »Er... er hat... mich überhaupt nicht angefasst«, stammelte sie, gleichzeitig beschämt, verärgert und erleichtert. »Ich meine, ich weiß nicht, ob er ... ob er ...« Sie verstummte, weil sie die widersprüchlichen Gefühle, die sie innerlich zerrissen, nicht in Worte fassen konnte. »Ich kann mich nicht an alles erinnern, was geschehen ist.«

»Mein armes Kind«, murmelte Elspeth und zog Linnet in die Arme. »Ich hätte dir erklären sollen, was zwischen einem Mann und seiner Frau geschieht. Manche Frauen von vornehmer Geburt sind zu zart, um die körperlichen Bedürfnisse ihrer Ehemänner auszuhalten. Es tut mir Leid, falls er dir wehgetan hat.«

Linnet entzog sich ihrer mütterlichen Umarmung. Elspeth meinte es gut, aber sie verstand nicht. »Ich weiß nicht, ob er mir wehgetan hat oder nicht. So weit ich mich erinnern kann, hat er den größten Teil der Nacht geschlafen und ist nicht einmal zu mir gekommen. Aber ich kann mir nicht absolut sicher sein, was geschehen ist oder nicht.«

Sie hielt inne und unterließ es ganz bewusst, Elspeth von ihrer beunruhigenden Vision zu erzählen. Vor allem jedoch erwähnte sie nichts von dem, was sich nach ihrer Vision zugetragen hatte: von dem metallischen Geschmack von Blut in ihrem Mund und dass sie beobachtet hatte, wie das geschwollene Glied ihres Mannes sich unter ihren neugierigen Blicken aufgerichtet hatte.

Selbst jetzt noch löste der bloße Gedanke an diese erstaunliche Beobachtung ein merkwürdiges Kribbeln zwischen ihren Schenkeln aus. Eine träge Hitze begann sich an ihrer intimsten Körperstelle auszubreiten, obwohl Linnets nach wie vor zutiefst verärgert war.

Aber ihr Zorn darüber, dass ihr Mann sie nicht wollte, überdeckte und verdrängte diese ersten zarten Anzeichen von Leidenschaft.

»Ich weiß nur noch, dass ich im Bett erwachte, nackt und mit Blut an meinen Händen«, erklärte sie, und Zorn und Schmerz verliehen ihrer Stimme einen scharfen Ton.

Wieder gingen Elspeths Brauen in die Höhe. »Blut an deinen Händen?«

»Aye, und es war auch welches auf dem Bettlaken. Ich ...«

»Den Heiligen sei gedankt, Kind, dann ist es kein Geheimnis mehr«, schnitt die alte Frau ihr das Wort ab, mit einem Ausdruck der Erleichterung im Gesicht. »Oder hast du deine Blutungen?«

»Nein, meine letzte war vor vierzehn Tagen.«

Elspeth lächelte. »Dann ist es das, was ich gehofft hatte ... unser Herr MacKenzie hat die Ehe ordnungsgemäß vollzogen.«

»Aber ich kann nicht...«

»Es macht nichts, wenn du die Erinnerung daran aus deinem Kopf verdrängt hast. Das erste Mal ist nie sehr angenehm«, versicherte Elspeth ihr. »Viele Jahre sind seit Angus’ Tod vergangen, aber ich erinnere mich noch sehr gut an die erste Zeit nach unserer Heirat. Der Schmerz wird nachlassen, mach dir darüber mal keine Sorgen. Und dann wirst du sehen, wie schön die Liebe zwischen Mann und Frau sein kann.«

Linnets Wangen glühten. Sie hatte sich über das getrocknete Blut an ihren Händen und auf dem Bettlaken gewundert, aber angenommen, es sei von ihrer Lippe, auf die sie sich gebissen hatte. Aber konnte ein winziger Riss an der Innenseite ihrer Lippe so viel Blut verursachen? Sie bezweifelte es, aber wie hätten die roten Flecken denn sonst auf das Bettlaken gelangt sein können ... es sei denn, sie hätten doch einander beigelegen?

Die Wahrscheinlichkeit erschien ihr mehr als gering, aber es war eine unbestreitbare Tatsache, dass das Laken blutbefleckt gewesen war.

Sie verfügte über eine hellseherische Gabe, aber sie war keine Zauberin, die physische Erscheinungsformen heraufbeschwören konnte. Blut zu erzeugen, wo keines war, ging über ihre Kräfte.

Ob es ihr gefiel oder nicht, es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass der Schwarze Hirsch sich mit ihr vereinigt hatte, während sie noch benommen gewesen war von ihrer Vision.

Gott wusste, dass sie das ganze Ausmaß seiner männlichen Begierde gesehen hatte!

»Du brauchst nicht zu erröten«, sagte Elspeth lächelnd. »Scham passt nicht zu einer jungen Ehefrau. In ein paar Tagen wird es Glück sein, nicht Verlegenheit, was deine Wangen färbt.«

Linnet, der jeder Vorwand Recht war, um das Thema zu beenden, hob Elspeths Schöpflöffel vom Boden auf und gab ihn ihr. »Du hast mir noch nicht gesagt, was dich in die Küche führte ? Eilean Creag hat eine große Anzahl von Bediensteten. Es ist nicht nötig, dass du dich in der Küche nützlich machst. Wer hat dich hergeschickt?«

»Niemand, ich bin aus eigenem Antrieb hergekommen«, erwiderte Elspeth, und die Sorge in ihrem Blick wich einem mädchenhaften Funkeln. »Fergus, der Seneschall, hatte angeordnet, Körbe mit Almosen für die Abtei vorzubereiten, und ich bot an, zu helfen. Er ist ein fähiger Mann, versteh mich nicht falsch, aber nach einem Hochzeitsfest ist viel zu tun. Ich bin froh, dass ich mich nützlich machen kann.«

Linnet hörte nur die Hälfte von dem, was Elspeth sagte. Bestimmte Kommentare weckten ihr Interesse, da sie Fergus’ Äußerungen über Elspeth glichen.

Ein fähiger Mann.

Eine feine Frau.

Die Bedeutung dieser beiläufig gesprochenen Worte brannte heller als ein Leuchtfeuer und ließ alles andere, was die beiden gesagt hatten, verblassen.

Die Idee erschien Linnet absurd, doch selbst ohne die verräterischen Worte erzählten der durchdringende Blick, mit dem Fergus sie angesehen hatte, und das mutwillige Funkeln in Elspeths Augen ihre eigene Geschichte.

»... ich fragte, ob du zur Abtei mitreiten möchtest?«, unterbrach Elspeth Linnets Grübeleien. »Fergus sagt, es wäre ein schöner Ausflug. Einer der Mönche soll ein beispielloser Herbalist sein. Bruder Baldric hat das Heilige Land besucht und viele ungewöhnliche Pflanzen von dort mitgebracht. Vielleicht würde er dir seinen Garten zeigen?«

Linnet unterdrückte ein Lächeln. Elspeth wusste, wie sie sie ködern konnte. »Du hast Recht, ich würde gern die Gärten der Abtei sehen, und ein Ausritt würde mir gut tun. Vielleicht möchte Robbie uns begleiten.« Sie hielt inne, um sich das Sortiment von Nahrungsmitteln, das in Körben auf dem Tisch stand, anzusehen. »Warum werden die Almosen nicht hier verteilt? Selbst der Almosenbeauftragte meines

Vaters pflegte Dundonnells magere Gaben am Burgtor auszugeben.«

Statt Linnets Frage zu beantworten, begann Elspeth angestrengt ihren hölzernen Schöpflöffel zu schrubben. Nachdem sie ihn mit einem Tuch trockengerieben hatte, hob sie ihn in die Höhe und betrachtete ihn, als suchte sie nach einem bisher übersehenen Fleck.

Als Linnet das vertraute Manöver erkannte, beharrte sie auf einer Antwort. »Warum kommen die Armen nicht nach Eilean Creag, um die Almosen entgegenzunehmen? Das ist doch sonst so üblich.«

»Fergus sagt, es wäre nicht nötig, einen Almosenverteiler einzustellen.«

Linnet, der nicht entgangen war, dass Elspeth schon wieder einen Satz mit >Fergus sagt< begonnen hatte, bohrte weiter. »Und warum nicht? Hat der allwissende Fergus dir das auch gesagt?«

»Aye«, räumte Elspeth ein, aber ihr Gesichtsausdruck blieb undurchdringlich.

»Aha. Und was ist der Grund dafür?«, erkundigte sich Linnet leicht gereizt.

»Dass die Armen nicht hierher kommen wollen. Seit dem Tod der ersten Frau deines Mannes hat kein Dorfbewohner mehr gewagt, die Brücke zu überschreiten. Es heißt, sie fürchteten den Gutsherrn.«

Linnet straffte die Schultern, überrascht von ihrer Empörung über diese Not leidenden Leute, die zwar Almosen ihres Gatten annahmen, ihm selbst aber aus dem Weg gingen mit ihrer Weigerung, die wohltätigen Gaben vor seinen Toren abzuholen.

Wenn sie ihre eigenen Gefühle einmal beiseite schob, wurde ihr langsam klar, warum MacKenzie so verbittert war.

»Ein Grund mehr für mich, mit zu der Abtei zu reiten.« Linnet trommelte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. »Ich werde die Bürger dort darüber in Kenntnis setzen, dass sie immer reichlich Almosen zu erwarten haben, die milden Gaben von jetzt an aber hier abholen müssen ... wie es Brauch ist.«

Elspeth machte ein erschrockenes Gesicht. »Ich weiß nicht, ob dein Mann es gutheißen würde, wenn du dich da einmischst.«

»Ich bezweifle, dass Duncan MacKenzie weiß, was ihn kümmern sollte und was nicht.«

Aber vielleicht würde es ihr gelingen, sein Interesse für seine Umwelt wiederzubeleben. Ein leiser Hoffnungsschimmer regte sich in ihr, der die Dämonen der Nacht für den Moment verdrängte, und beschwingten Schritts verließ sie die Küche, um Robbie und ihre Kräutertasche zu holen. Ein Gefühl der Ruhe und Entschlossenheit beherrschte sie auf dem Weg nach oben. Wenn ihr Mann wieder lernen könnte, sich zu kümmern, würde er vielleicht auch das Herz finden, das er in ihrer Vision so verzweifelt zurückverlangt hatte.

Für einen kurzen Augenblick nahm ihre Hoffnung zu, als eine leise innere Stimme, die nichts mit ihrer hellseherischen Gabe zu tun hatte, ihr zuflüsterte, sein Herz sei in Wahrheit nicht verloren, sondern nur zu tief vergraben, als dass er es allein wiederfinden könnte.

 

Duncan legte schützend eine Hand über die Augen, als er aus dem düsteren Inneren der Burg ins helle Tageslicht hinaustrat und sich umgehend zum Übungsplatz begab.

»Hör auf, herumzutänzeln wie ein Weibsbild!«, hörte er schon von weitem eine befehlsgewohnte tiefe Stimme. »Wenn du dir deine Sporen verdienen möchtest, dann attackier mich wie ein Mann!«

Duncan beschleunigte seine Schritte, als er Marmaduke den jungen Knappen, die er im Schwertkampf unterrichtete, Befehle zubrüllen hörte.

Nicht, dass er sonst nicht gewusst hätte, wo er seinen Schwager suchen sollte.

Er hätte ihn selbst dann gefunden, wenn der frische Seewind seine dröhnende englische Stimme nicht quer über den Hof getragen hätte. Der narbengesichtige Sassenach war in der Regel von früh bis spät auf dem Übungsplatz zu finden. Einige von Duncans Männern scherzten, sie hätten ihn schon mitten in der Nacht mit den Mondstrahlen die Klingen kreuzen sehen. Und Duncan sah keinen Grund, es nicht zu glauben.

Kriegerische Fähigkeiten, wie Sir Marmaduke Strongbow sie im Übermaß besaß, erreichte man nur in Jahren stundenlangen Trainings. Nur wenige Männer konnten sich mit seinen Fälligkeiten als Krieger messen, und noch viel rarer gesät waren jene, die ihm überlegen waren.

Duncans verstorbener Vater beispielsweise, als er in seinen besten Mannesjahren war. Duncan selbst... wenn die Heiligen ihm gerade einmal wohlgesonnen waren. Aber er wusste nie vorher, wie eine Runde Schwertkampf mit seinem besten Fechter ausgehen würde. Nur einem Mann war es bisher gelungen, den Sassenach außer Gefecht zu setzen ... der niederträchtige Hurensohn, der Marmaduke ein Auge ausgestochen und sein bis dahin gut aussehendes Gesicht in eine verzerrte Maske verwandelt hatte.

Derselbe Schurke, der auch in Duncans Leben unsagbares Leid gebracht hatte, sein Halbbruder Kenneth MacKenzie.

Allein bei dem Gedanken an ihn verfinsterte sich Duncans Miene.

Aye, niemand verstand besser als er selbst, was Marmaduke dazu trieb, seine Fähigkeiten nahezu unermüdlich zu trainieren und zu verbessern.

Auch Duncan wurde von Verbitterung getrieben.

Aber nicht, um sich zu rächen. Rache interessierte ihn nicht. Er wollte nur in Ruhe gelassen werden.

Das Klirren von Stahl gegen Stahl und eine ganze Serie deftiger Flüche brachten seine Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. Als er den Übungsplatz betrat, unterdrückte er die Bewunderung, die stets in ihm erwachte, wenn er seinen Schwager beim Training sah, und ging entschlossen weiter, um die Angelegenheit zu regeln, die ihn hergeführt hatte.

»Strongbow!«, brüllte er und blieb in sicherer Entfernung hinter dem fechtenden Engländer stehen. »Lass die Jungen eine Pause machen, denn ich hab ein paar Wörtchen mit dir zu reden, du hinterhältiger Schuft.«

»Herrgott noch mal!«, rief Marmaduke und fuhr aufgebracht zu ihm herum. »Du solltest es wirklich besser wissen, als dich von hinten an einen Mann heranzuschleichen, der beim Training ist. Ich hätte deinen Knappen in Stücke hacken können!«

»Du bist hier derjenige, der in Stücke gehackt wird, wenn du mir nicht auf der Stelle eine Erklärung gibst!«

Marmaduke legte sein Schwert beiseite und fuhr sich mit dem Arm über seine schweißbedeckte Stirn. Mit einem Nicken und einem Furcht erregenden Blick aus seinem gesunden Auge schickte er seine Schüler fort.

Dann, als sie sich in alle Richtungen zerstreuten, wandte er sich wieder zu Duncan. »Welche Laus ist dir denn heute Morgen über die Leber gelaufen, mein lieber Freund?«

»Wenn mein lieber Freund meinen Wünschen zuwiderhandelt und sich gegen mich verschwört, um mich in die Arme einer Frau zu treiben, bei der ich nicht liegen will, dann brauche ich keine Feinde, oder?«

Marmaduke begann etwas zu sagen, aber Duncan brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen. »Was wolltest du damit erreichen? Hast du vergessen, dass ich geschworen hatte, meine Frau nicht anzurühren?«

»Nein, das habe ich nicht vergessen, obwohl ich die Idee, ehrlich gesagt, absurd finde«, erwiderte Marmaduke und hielt dann inne, um sich noch mehr Schweiß von der Stirn zu wischen. »Aber es ist nicht dein Schwur, der mir Sorgen macht, sondern dein Glück.«

»Und du gedachtest mein eheliches Glück zu sichern, indem du mich in Lady Linnets Schlafgemach einsperrtest?«

Marmadukes gezeichnete Lippen verzogen sich in einem Versuch, zu lächeln. »Der Plan hat funktioniert.«

Duncan zog verblüfft die Brauen hoch. »Was soll das heißen, funktioniert

»Du hast mit ihr geschlafen, oder nicht?« Marmaduke trat vor und klopfte Duncan auf die Schulter. »Ah ... es war ein wunderbarer Anblick, deine Männer so erfreut zu sehen, als ihr blutbeflecktes Unterkleid heute durch die Halle gereicht wurde. Du hättest deine Leute jubeln hören sollen.«

»Aber ich habe sie nicht angerührt, das schwöre ich! Es ist unmöglich. Ich ...«

Ein lauter Tumult hinter ihnen schnitt seinen Protest ab, als ein Mann auf einem schweißbedeckten Pferd vom Burghof auf den Übungsplatz ritt. Er überquerte den Platz und zügelte sein Pferd vor Duncan und dem Sassenach.

Duncan erkannte ihn als einen der Männer, die die Grenzen der Ländereien der MacKenzies bewachten und beschützten.

»Sir, ich bringe schlechte Nachrichten«, sagte der Mann, nachdem er sich aus dem Sattel geschwungen hatte. »Wir haben einen der etwas abgelegeneren Höfe in Schutt und Asche vorgefunden. Es ist nichts geblieben, diese verdammten Bastarde hatten sogar die Kuh geschlachtet.«

»Welche Familie? Sind sie alle umgekommen?« Duncans beherrschter Ton verriet nichts von dem Zorn, der Besitz von ihm ergriff.

»Es waren die Murchinsons. Ein paar von ihnen gelang es, in den Wald zu fliehen, als sie die Plünderer nahen sahen, aber die meisten, Gott sei ihren Seelen gnädig, sind getötet worden.«

Heiße, erbitterte Wut erfasste Duncan, und für einen Moment hatte er das Gefühl, als müsse er sich übergeben. Eine schreckliche Möglichkeit warf einen hässlichen Schatten auf den Tag, aber er wollte sie nicht akzeptieren. Seit Jahren unternahm das Lumpenpack der Brüder seiner Frau Vorstöße über seine Grenzen, aber sie hatten noch nie geplündert und gemordet.

Die MacDonnells waren simple Viehdiebe und nicht einmal darin sonderlich geschickt. Aber er musste es wissen.

»Hat irgendeiner der Überlebenden die Angreifer erkannt? Waren es die MacDonnells?«

»Nein, Sir, es waren nicht die MacDonnells. Viel schlimmer noch.«

»Schlimmer?«

»Er war es«, sagte der Mann, dem anzusehen war, wie unbehaglich er sich fühlte. »Euer Halbbruder Kenneth und seine Männer.«