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»Hast du ihr Haar gesehen?« Mit einem viel sagenden Blick auf Sir Marmaduke lehnte Duncan sich auf seinem mit einem Baldachin versehenen Platz auf dem erhöhten Podium zurück.

Zu seinem Ärger ignorierte der Sassenach jedoch die Frage, oder vielleicht hörte er sie auch nur nicht. Statt zu antworten, schien sein treuester Ritter vollkommen vertieft in die Beobachtung des alten Seneschall von Eilean Creag, Fergus, der seine Truppe von Bediensteten, die in der belebten Halle umhergingen, mit strenger Miene kommandierte.

Jeder von ihnen trug eine große Platte mit kunstvoll angerichtetem Federwild oder Bratenstücken auf den Schultern, alle wunderschön garniert und mit größter Sorgfalt für das Hochzeitsessen vorbereitet.

Irritiert griff Duncan über den verdächtig leeren Platz zu seiner Linken und stieß seinen Freund mit dem Ellbogen in die Rippen. Seine Stimme über den Krawall erhebend, versuchte er es erneut: »Ich fragte, ob du ihr Haar gesehen hast?«

»Hahn?« Marmaduke setzte die unschuldigste Miene auf, zu der er mit seinen entstellten Zügen fähig war. »Ich bin sicher, dass Fergus für genügend Vorrat an Hähnchen gesorgt hat. Wenn wir Glück haben, hat er sie vielleicht sogar mit seiner berühmten Zwiebel-Safran-Sauce zubereiten lassen.«

»Ich spreche von ihrem Haar, du raffinierter Fuchs!«, brüllte Duncan, ohne sich darum zu scheren, dass jeder auf dem Podium, oder sogar dahinter noch, ihn hörte. »Ich verlange eine Erklärung, Strongbow. Und zwar jetzt, bevor Ihre Ladyschaft sich dazu herablässt, uns Gesellschaft zu leisten.«

»Erklärung?« Die Augenbraue über Marmadukes gesundem Auge wurde fragend hochgezogen.

»Hör auf, wie ein Schwachkopf meine Worte nachzuplappern, oder ich lasse dich den Hanswurst vertreten, den Fergus zu unserer nachmittäglichen Unterhaltung engagiert hat.«

Marmaduke ließ sofort die Braue sinken. »Was beunruhigt dich, mein Freund?«

»>Sie ist völlig unscheinbar, reizlos wie die Hinterbacken einer Sau<«, zitierte Duncan, der seine Wut über die Täuschung kaum noch zu beherrschen vermochte. »Oder willst du abstreiten, dass das deine Worte waren?«

»Nein«, entgegnete Marmaduke erstaunlich ruhig, während er seinen Kelch an einen jungen Knappen weiterreichte, der ihm rasch von dem gesüßten und gewürzten Wein nachschenkte. »Und es trifft auch zu, dass sie so aussah an dem Tag, als ich in Dundonnell vorsprach. Sie war im Burghof und brachte einem kleinen Jungen bei, sein Holzschwert richtig zu benutzen, als ich kam. Der Regen hatte den Boden in eine einzige Schlammlache verwandelt. Sie und der Junge waren von Kopf bis Fuß mit Dreck bedeckt, aber das schien sie nicht zu kümmern. Ich hatte den Eindruck, als sei ihr das vergnügte Lachen des kleinen Jungen wichtiger als das bisschen Dreck auf ihrem Kleid.«

Duncan schluckte die wütende Entgegnung, die er seinem Freund entgegenschleudern wollte. Der besonnene Engländer war der einzige Mensch, der es schaffte, ihm Schuldbewusstsein einzuflößen, selbst wenn er im Recht war.

So wie jetzt.

Er war es schließlich, der an der Nase herumgeführt und zum Narren gehalten worden war.

Es war seine Welt, die aus den Fugen geraten war, als er heute Morgen ihr ungeflochtenes Haar gesehen hatte.

Eine Ehefrau mit solch wundervollem Haar verhieß Probleme, trotz Marmadukes ritterlicher Versuche, sie als eine Art Heilige darzustellen, die Kinder liebte und keine Ahnung hatte von der Wirkung, die ihr Haar auf jeden normalen Sterblichen unter achtzig Jahren haben musste.

Doch statt sich mit weiteren Kommentaren zu Marmadukes hübscher kleiner Rede, die zweifelsfrei den Zweck besaß, den gutartigen Charakter seiner Gemahlin zu betonen, in Verlegenheit zu bringen, kniff er die Lippen zusammen und bedachte den Engländer mit einem kalten, harten Blick.

»Wenn ich mich recht entsinne, wolltest du wissen, wie sie mir an jenem Tag erschien, und ich beschrieb dir meinen Eindruck«, fuhr Marmaduke fort, den Duncans schlechte Laune zu erheitern schien. »Hättest du mich gefragt, wie sie gewaschen aussah, wäre meine Antwort völlig anders ausgefallen.«

Das genügte. Duncan umklammerte die Armlehnen seines Sessels. Hätte ein anderer gewagt, ihn derart zu verspotten, hätte er nach dem scharfen Messer auf dem Tisch vor sich gegriffen und dem Missetäter die Zunge damit herausgeschnitten.

Oder besser noch mit einer stumpfen Klinge.

»Auf wessen Seite stehst du eigentlich, Sassenach?«, fragte er schließlich, immer noch so fest den Stuhl umklammernd, als versuchte er, die soliden Armlehnen mit seinen bloßen Händen zu zerbrechen.

»Wieso, auf deiner natürlich, Mylord«, erwiderte Marmaduke zuvorkommend und hob seinen Kelch zu einem stummen Toast. »Wie immer ist dein Wohl mein größter Herzenswunsch.«

Duncan ergriff sein eigenes Trinkgefäß, einen prachtvollen silbernen Pokal, der geformt war wie ein Seedrachen und mit kostbaren Edelsteinen besetzt war, und nahm einen großen Schluck von dem stark gewürzten Wein, den die Köchin eigens für die Hochzeit vorbereitet hatte.

Nachdem er fast den ganzen Pokal geleert hatte, stellte er ihn krachend auf den Tisch zurück. Das so liebevoll zubereitete Getränk erschien ihm plötzlich säuerlich wie seine eigene Stimmung, seine delikate Mischung aus Aromen war auf ihn verschwendet.

Verdorben durch seine eigene Unzufriedenheit.

»Ist was nicht in Ordnung?«, wollte Marmaduke mit erhobener Augenbraue wissen.

»Unsinn«, fauchte Duncan, um nicht zugeben zu müssen, dass nichts in Ordnung war, obwohl er gar nicht hätte sagen können, was genau ihn eigentlich am meisten störte.

Alles störte ihn.

»Du siehst ... gequält aus«, bemerkte Marmaduke. »Hier, trink noch etwas von dem Wein.«

Duncan hielt ihm seinen Pokal hin, während Marmaduke, galant wie immer, ihn bis zum Rand mit Wein nachfüllte. Aber Duncan war nicht nach Trinken zumute, und nach Feiern schon erst recht nicht.

Ehrlich gesagt wünschte er sich nichts anderes, als der Enge dieses festlich geschmückten Saales entfliehen und sich in eine stille Ecke seiner Burg zurückzuziehen.

Allein.

Ohne seine neue Ehefrau.

Ohne seine Sorgen.

Und ohne diesen Haufen schwachköpfiger Clanangehöriger und ihr dämliches Geschwafel.

Ein rascher Blick durch die Halle verriet ihm, dass niemand sonst sein Missfallen teilte. Alle, von seinen treuesten Freunden und Verwandten bis hin zu den niedrigsten seiner Diener, grinsten sie wie hirnlose Idioten.

Kasper, alle miteinander.

Unvernünftige Narren, die untereinander Witze rissen über das Nichterscheinen seiner Braut. Die kühneren, die bereits zu tief in ihre Becher geschaut hatten, proklamierten laut, sie habe wahrscheinlich von MacKenzies legendären Fähigkeiten im Bett gehört und sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, wo sie furchtsam wartete, aber insgeheim doch hoffte, dass er kam, um sie zu nehmen.

Als ob er sie begehren würde! Er wollte nichts mit ihr zu tun haben.

Ob sie Haare wie seidene Flammen hatte oder nicht.

Und nicht, dass es ihn interessiert hätte - aber wo steckte sie eigentlich?

Herrgott noch mal, es wurde langsam Zeit, dass sie ihren Platz an seiner Seite einnahm. Aber nein, sie musste sich schon wieder verspäten und ihn genauso bloßstellen wie heute Morgen, als er auf den Stufen zur Kapelle auf sie hatte warten müssen.

Mit zunehmender Gereiztheit ließ Duncan seinen Blick durch die verrauchte Halle gleiten. Er strengte seine Augen an und hoffte, irgendwo ihr kupferfarbenes Haar zu erspähen und sie, ihres Zuspätkommens wegen mit angemessen zerknirschter Miene, auf das Podium zueilen zu sehen.

Aber sie war nirgendwo zu sehen.

Und wo war sein Knappe?

Vermutlich damit beschäftigt, seiner neuen Burgherrin verliebte Blicke zuzuwerfen. Duncan runzelte die Stirn. Wenn sein Stolz ihn nicht daran hindern würde, wäre er versucht, sich persönlich auf die Suche nach ihnen zu machen.

Aber er dachte nicht im Traum daran, sich derart zu erniedrigen. Ein Gutsherr hatte schließlich eine gewisse Würde zu bewahren.

Nein, er würde sich schon noch mit seiner Braut befassen, aber später erst, wenn sie allein waren. Was Lachlan anging, so war der Junge oftmals viel zu weichherzig. Falls er sich von seiner Frau dazu hatte überreden lassen, ihr zur Flucht zu verhelfen, würde er den Jungen die Abfallgrube schrubben lassen, bis sie glänzte wie ein Kinderpopo!

Und vielleicht würde er seine frisch gebackene Gemahlin zwingen, ihm dabei zu helfen!

Zum ersten Mal an diesem Tag rang Duncan sich zu einem Lächeln durch.

Wenn er seine gute Laune richtig wiederherstellen wollte, würde er Marmaduke befehlen, die beiden bei ihrer Aufgabe zu unterstützen. Es geschähe diesem Flegel nur recht, so wie er sich über ihn lustig gemacht hatte.

Aye, er würde mit ihnen allen ein Wörtchen reden - später. Im Moment blieb ihm nichts anderes übrig, als die heutigen Festlichkeiten so gut wie möglich durchzustehen, um sich dann in die Ungestörtheit seiner Gemächer zurückziehen zu können.

Und wehe dem Unglücklichen, der es wagen sollte, ihn daran zu hindern!

»Du trägst einen Gesichtsausdruck zur Schau, der finsterer ist als das schwarze Kettenhemd, das du so gerne trägst. Kein Wunder, dass Mylady es vorgezogen hat, sich von dir fern zu halten.« Marmaduke schlug ihm aufmunternd auf die Schulter. »Komm, lass uns auf eine glückliche Zukunft für dich und deine Braut trinken.«

»Eine glückliche Zukunft?« Duncan blickte seinen Freund aus schmalen Augen an. Die schweren Kopfverletzungen, die Marmaduke vor Jahren erlitten hatte, mussten seinen Verstand in Mitleidenschaft gezogen haben. »Du weißt besser als die meisten, warum ich sie zur Frau genommen habe, also hör auf mit deinem albernen Geschwätz. Ich habe kein Interesse an einer gemeinsamen Zukunft mit ihr, glücklich oder nicht.«

Duncan hielt inne, um Atem zu holen, und als er den Mund öffnete, um seinem Freund eine weitere Rüge für solch absurde Vorstellungen zu erteilen, schienen alle Anwesenden plötzlich kollektiv nach Luft zu schnappen.

Und dann wurde es mucksmäuschenstill im großen Saal. Bis auf einen tollkühnen Schwachkopf, der es wagte, auszurufen: »Ach du liebe Güte!«

Sie war es.

Sie musste es sein.

Obwohl der Rauch aus den offenen Feuerstellen es schwierig machte, weiter als bis über das Podium hinaus zu sehen, wusste Duncan es.

Und nach den verdatterten Gesichtern seiner Clanangehörigen zu urteilen, die er sehen konnte, hatte sie etwas höchst Unerfreuliches getan.

Oder etwas sehr Gewagtes.

Aber was?

Hatte sie sich im Schweinestall gewälzt und das schöne Kleid beschmutzt, das er für sie besorgt hatte? Oder hatte sie ihr wundervolles Haar abgeschnitten, um ihn zu ärgern und zu beschämen, indem sie kahl wie ein Greis zu ihrem Hochzeitsfest erschien?

Wenn ja, würde sie überrascht sein, weil er froh darüber wäre ... denn dann hätte sie ihm die Mühe erspart, ihr höchstpersönlich ihren Schädel zu rasieren. Gott war sein Zeuge, dass er versucht war, es zu tun.

»Erist’s! Sie hat den Jungen mitgebracht.»

Klar, scharf und sich in sein Herz bohrend wie ein gut gezielter Pfeil, drangen die rasch geflüsterten Worte durch den Nebel seiner Frustration.

Duncan erstarrte.

Es war nicht wichtig, wer die Worte ausgesprochen hatte. Er würde es nie erfahren, und es interessierte ihn auch nicht.

Es war, was sie bedeuteten, was ihn erstarren ließ.

Er merkte erst, dass er seinen Griff um den Pokal gelockert hatte, als dieser mit einem dumpfen Knall auf den Tisch aufschlug und sein Inhalt das Tischtuch färbte wie vergossenes Blut.

Das Verschütten seines Weins schien auch die unnatürliche Stille im Saal zu brechen, denn kaum blickte er von dem rot befleckten Tischtuch auf, brach ein unglaublicher Tumult in der festlich geschmückten Halle aus.

Eine Kakophonie von Stimmen.

Das reinste Chaos.

Und durch all das hörte Duncan nur ein Wort: Robbie.

Das Mädchen hatte getan, was nicht ein einziger seiner Clanangehörigen gewagt hätte.

Es hatte den Jungen mitgebracht, in seinen Saal, und einen Moment dafür gewählt, in dem er nichts dagegen unternehmen konnte. Nicht mit dem Priester zu seiner Rechten und seinen Männern, die jede seiner Bewegungen verfolgten.

Es war kein Geheimnis, wie sie über sein Verhalten dem Jungen gegenüber dachten, und es kümmerte sie nicht im Geringsten, dass sein Herz ihm aus der Brust gerissen und im Dreck zertrampelt worden war.

Duncan wurde heiß und kalt, als er die Augen zusammenkniff und versuchte, seine Braut und den Jungen, den er einmal für seinen Sohn gehalten hatte, in den Schatten zu entdecken.

Mit Schrecken erwartete er den Moment, in dem er sie erblicken würde. Doch tief in seinem Innersten schlug sein Herz vor Erwartung schneller, obwohl Ärger über seine eigene Schwäche ihn seine Brauen zu einer grimmigen Grimasse zusammenziehen ließ.

Seine frisch angetraute Ehefrau konnte dankbar sein für ihr Geschlecht. Wäre sie ein Mann, hätte er ihr für eine solch unglaubliche Missachtung seiner Befehle das Fell gegerbt, bis sie um Gnade flehte. Niemand unter seinem Dach würde sich einen derartigen Affront erlauben.

Er spürte, dass Marmaduke seinen Arm ergriff und hörte ihn etwas sagen, aber die Worte ergaben keinen Sinn für ihn. Sein Kopf dröhnte, und das Blut, das durch seine Adern rauschte, verwandelte jedes Geräusch in ein unverständliches Summen.

Alles bis auf dieses eine Wort, das ihm so viel Qual verursachte und seine Barrieren durchbrach, als wären sie aus Butter.

Robbie, Robbie, Robbie... der Name echote durch die riesige Halle, prallte von ihren steinernen Wänden ab und hallte in seinen Ohren nach, bis er das Gefühl hatte, sein Kopf müsse zerbersten.

Wenn er nur besser sehen könnte, aber der Rauch von den Kaminfeuem und Fackeln erfüllte den gewölbten Saal und ließ seine Sicht verschwimmen, so dass es schwierig für ihn war, sie zu entdecken.

Nicht, dass er es wollte.

Und dennoch, möge Gott ihm gnädig sein, durchsuchte sein verräterischer Blick die Düsternis. Es waren an die zwei Jahre vergangen, seit er den Jungen zum letzten Mal gesehen hatte, ihn wirklich wahrgenommen hatte.

Nachdem er sich aus Marmadukes eisernem Grifflosgerissen hatte, schob Duncan seinen Stuhl zurück und richtete sich auf. Sich vorbeugend, stützte er seine Hände auf den Tisch, um nicht auf seinen Stuhl zurückzusinken... eine demütigende Möglichkeit angesichts der Tatsache, dass seine Knie unter ihm nachzugeben drohten.

Unter Aufbietung seiner letzten Willenskraft zwang er seine Beine, mit dem Zittern aufzuhören, und ließ seinen Blick durch die dicht besetzte Halle schweifen.

Dann, ganz plötzlich, schien die dunstige Luft sich aufzuklären, und er entdeckte beinahe im selben Moment seine Frau. Ihr ungeflochtenes Haar, glühender als die hellste Flamme, hatte sie verraten. Sein Knappe stand neben ihr, und auch er erinnerte ihn an eine Flamme, aber es war sein Gesicht, das glühte, nicht sein Haar.

Aye, Lachlan wusste nur zu gut, dass sein Herr mächtig erzürnt sein würde.

Und seine Sorge war durchaus berechtigt. Aber um Lachlans Bestrafung würde er sich später kümmern. Im Moment interessierte ihn der Knappe nicht, und seine Gattin noch viel weniger.

Nein, sein ungeteiltes Interesse galt dem kleinen Jungen, den sie an der Hand hielt.

Größer und stämmiger als der pummelige kleine Junge, den Duncan früher auf den Knien gehalten hatte, war Robbie zu einem hübschen Knaben herangewachsen. Jemand hatte ein Plaid, in Kindergröße und im Grün und Blau der MacKenzies, über seine linke Schulter drapiert und es mit einem gut gefertigten, offensichtlich neuen Ledergürtel an seiner Taille zusammengenommen.

Ein Gürtel, den er hätte anfertigen müssen.

Duncan blinzelte, um das jähe Brennen in seinen Augen zu vertreiben, als er den kunstvoll gearbeiteten Gürtel anstarrte. Das letzte, was er für Robbie angefertigt hatte, war ein hölzernes Spielzeugschwert, das er ihm zu seinem vierten Geburtstag geschenkt hatte.

Er erinnerte sich noch gut an Robbies staunendes Gesicht, als er es ihm überreicht hatte.

Es kam ihm vor, als wären seitdem hundert Jahre vergangen.

Ohne jede Vorwarnung begann ein heißes Pochen in Duncans Nacken, das sich sogleich nach unten fortsetzte und seine Brust in einen Würgegriff nahm, der ihm beinahe vollkommen die Luft abschnürte.

Je länger er den Jungen anstarrte, desto schmerzhafter wurde diese Enge, aber er konnte seinen Blick nicht von ihm lösen.

Mit sechs sah Robbie wie die Miniaturausgabe eines vornehmen MacKenzie-Kriegers aus. Es war unverkennbar, dass das stolze Blut des Clans in seinen Adern floss. Selbst von der anderen Seite der Halle war es mehr als offensichtlich, dass der Junge eine ausgeprägte Ähnlichkeit mit Duncan hatte.

Nein, er sah genauso aus wie er.

Und wie stolz er einst auf diese unverkennbare Ähnlichkeit gewesen war.

Duncans Schmerz vertiefte sich und wurde so stark, als hätte ihm jemand ein Messer in den Bauch gestoßen und drehte nun die Klinge, um die Qual noch zu erhöhen und seinen Vorteil gegenüber einem besiegten Mann zu nutzen, der schon auf den Knien lag.

Ein Stöhnen stieg in seiner Kehle auf, und er vertuschte es schnell mit einem Hüsteln. Alles wäre so einfach gewesen, wenn Kenneth MacKenzie, sein verhasster Halbbruder und Liebhaber seiner ersten Frau, nicht als sein Zwilling hätte durchgehen können.

Ja, das Schicksal hatte kein Erbarmen gezeigt, als es ihm alles raubte, was ihm je etwas bedeutet hatte. Selbst wenn er und sein Feind mit dem Kind zwischen ihnen vor die weisesten Männer getreten wären, hätte keiner von ihnen sagen können, ob es sein Samen war, der Robbie gezeugt hatte, oder Kenneths.

Und der Zweifel daran brachte ihn um.

Hatte ihn umgebracht, denn sein Leben war nicht mehr lebenswert gewesen seit dem Tag, an dem er von Cassandras Verrat erfahren hatte.

Aber vielleicht nahte ja das Ende seiner Leiden. Er machte sich große Hoffnungen, dass Linnet MacDonnell - nein, MacKenzie - seinen Tagen und Nächten des Leidens bald ein Ende machen würde.

Während er den Knaben betrachtete, begann ihn eine überwältigende Erschöpfung zu durchfluten. Ein schweres, bedrückendes Gewicht, das alles andere verdrängte außer dem verzweifelten Bedürfnis, sich auf seinen Stuhl fallen zu lassen.

Herrgott noch mal, er ertrug es einfach nicht mehr, stehen zu bleiben und zuzusehen, wie sie näher kamen.

Es war zu viel für ihn.

Mühsam ließ er sich auf seinen Platz zurücksinken und stieß mit einem tief empfundenen Seufzer den angehaltenen Atem aus, als er sich an die Polster seines Sessels lehnte.

Aufmerksam wie immer, schenkte Marmaduke ihm großzügig Wein nach, worauf Duncan ihm dankend zunickte, bevor er beide Hände um den schweren Silberpokal schloss.

Das Trinkgefäß zu halten, schien ihm ein guter Weg zu sein, das Zittern seiner Hände zu verbergen, während er wartete. Er hoffte nur, dass seine Frau, wenn sie endlich den Saal durchquert hatte und ihren Platz an seiner Seite einnahm, ihm die Antwort geben würde, um die er sie gebeten hatte.

Und bis dahin betete er zu allen Heiligen, dass es seinen Beifall finden würde, was sie ihm zu sagen hatte.

 

Ihr frisch vermählter Gatte war betrunken!

Oder so aufgebracht, dass es pure Wut war, die sein Gesicht verzerrte, in seinen dunkelblauen Augen glitzerte und sie in dunkle Seen verwandelte, die mehr durch sie hindurchzublicken als sie anzusehen schienen.

Linnet entfernte sich so weit von Duncan MacKenzie, wie sie es wagen konnte angesichts der Umstände, die verlangten, dass sie den Ehrenplatz an seiner Seite, ein kleineres Duplikat seines mit einem Thronhimmel versehenen Sessels, einnahm und auch Besteck und einen Teller mit ihm teilte.

Um ihre Nervosität zu verbergen, blickte sie ihn unter halb gesenkten Lidern an und beobachtete, wie er mit einer Hand seinen Pokal und mit der anderen die Tischkante umklammerte. Seine weiß hervortretenden Knöchel und der harte Zug um sein Kinn schienen mehr darauf hinzudeuten, dass es Zorn und nicht übermäßiger Alkoholgenuss war, was ihn plagte.

Sie schluckte, hielt sich aber sehr gerade, um sich ihre Furcht nicht anmerken zu lassen. Nie hätte sie gedacht, dass er so verärgert sein könnte, derart distanziert und kalt.

Er hatte sie kaum zur Kenntnis genommen, als sie ihren Platz an seiner Seite eingenommen hatte. Und Robbie war sogar noch knapper von ihm begrüßt worden. Ein paar Worte, ein kurzes Nicken, und dann hatte er sie beide ignoriert. Er verhielt sich, als wären sie meilenweit entfernt von ihm und keineswegs so nahe, dass sie mit jedem Atemzug seinen unverkennbar maskulinen Duft wahrnahm.

Linnet warf einen weiteren verstohlenen Blick auf sein unerbittliches Profil. Er blickte stur geradeaus, vermied es ganz bewusst, ihr in die Augen zu sehen ... und in die des Kindes, das sie auf ihren Schoß gezogen hatte.

Er bemühte sich nicht einmal, sein Missfallen zu verbergen, sondern ließ seiner schlechten Laune so gnadenlos die Zügel schießen, dass es für jedermann im Saal erkennbar war.

Langsam erwachte in ihr Zorn über sein abweisendes Benehmen. Sie warf ihm von der Seite einen Blick zu, sah den grimmigen Ausdruck auf seinen gut aussehenden Zügen und spürte seine Wut darüber, dass sie es gewagt hatte, seinen Sohn an seinen Tisch zu bringen.

»Mylady?« Eine erwartungsvolle Stimme unterbrach ihre Gedanken, und sie drehte sich um und reichte ihre Hände einem jungen Knappen, der einen Krug, eine Schüssel und frische Leinentücher in den Händen hielt. »Darf ich?«, fragte er und verneigte sich respektvoll, bevor er parfümiertes Wasser über ihre Hände goss.

Froh über die Ablenkung, dankte Linnet dem Knappen und half dann Robbie, seine Händchen zu waschen. Ihm zuliebe bemühte sie sich, die von ihrem Mann ausgehende Anspannung zu ignorieren, aber es war nicht leicht.

Denn trotz allem schmerzte es sie, den mächtigen MacKenzie so zu sehen.

Die Anwesenheit seines Sohnes würde ihn nicht so betroffen machen, wenn er das Kind nicht lieben würde.

Dieser Mann musste etwas Wichtiges lernen. Sie würde versuchen, seine Augen und sein Herz zu öffnen und ihn dazu bringen, zu erkennen und zuzugeben, dass er für den Jungen etwas übrig hatte, ganz gleich, ob sein Blut oder das eines anderen Mannes in Robbies Adern floss.

Und erst dann würde sie ihm die Wahrheit sagen.

Ein Zupfen an ihrem Ärmel erregte ihre Aufmerksamkeit. »Soll ich lieber gehen?« Robbie schaute sie aus großen, runden Augen an, in denen sich die Verwundbarkeit des unerwünschten Kindes widerspiegelte. »Ich darf eigentlich gar nicht in die Nähe des Podiums.«

»Was für ein Unsinn«, widersprach Linnet. »Eines Tages wirst du hier der Gutsherr sein. Alle hohen Herren, derzeitige oder zukünftige, müssen auf dem Podium sitzen.«

Linnet warf ihrem Mann einen schnellen Blick zu. »So ist es doch, nicht wahr?«

Ein Muskel zuckte an seinem Kinn, und er ließ sich Zeit mit seiner Antwort, doch schließlich gab er widerstrebend zu: »Aye, so ist es Brauch.«

Sich noch ein wenig gerader aufrichtend, strich Linnet Robbie übers Haar und sagte: »Sei unbesorgt, mein Sohn, dein Platz ist ebenso gut hier wie meiner.«

»Sohn sagt Ihr?« Duncan beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr. »Aber ist er das auch, frage ich?«

Als sie sich ihm zuwandte, stockte ihr der Atem, so intensiv empfand sie seinen Blick. »Ich kann es noch nicht sehen, Mylord«, log sie, während sie wieder einmal alle Heiligen anflehte, ihr den rechten Weg zu weisen. »Vielleicht würde es mir leichter fallen, wenn ich Euch mehr mit dem Jungen zusammen sähe.«

Sie hätte es nicht für möglich gehalten, aber sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr. »Vielleicht wäre das nicht nötig, wenn Ihr Eure Gabe schärfen würdet?«

»Und wenn Ihr, Mylord, in Euer Herz schauen würdet, würde eine Gabe wie die meine nicht gebraucht«, erwiderte sie flüsternd, ohne Rücksicht darauf, ob sie seinen Zorn damit vielleicht noch schürte. »Aber es heißt ja, Ihr hättet gar kein Herz.«

Auf der anderen Seite des Tisches hörte Linnet den Engländer dem Kleinen Zuckerwaffeln anbieten. Um weitere Konfrontationen zu vermeiden, kehrte sie ihrem Ehemann den Rücken zu, um ihn nicht so in Wut zu bringen, dass er die Stimme erhob und das Kind mit seinen grausamen Worten verletzte.

Doch sogar ohne ihn anzusehen, fühlte sie sich eingehüllt von seiner finsteren Präsenz.

Linnet erschauderte. Vielleicht sollte sie lieber froh sein statt gekränkt, dass er sie nicht wirklich zur Gemahlin haben wollte.

Sie würde lieber ihr Leben lang Jungfrau bleiben, als bei einem so kaltherzigen Mann wie Duncan MacKenzie zu liegen.

Sie sah das Kind auf ihrem Schoß an und betete um Erleuchtung. Sie hatte oft gehört, niemandem würde eine schwerere Bürde auferlegt, als er tragen konnte, und trotzdem bezweifelte sie, dass sie imstande war, diese jüngste, die sie auf sich genommen hatte, auf ihren Schultern zu tragen.

Ihr Instinkt verriet ihr, dass sowohl der Vater wie der Sohn sie brauchten, dass ihr Ehemann wie auch ihr Stiefsohn große Qualen litten.

Aber konnte sie ihnen helfen, ohne einem von beiden dabei übermäßig wehzutun?

Würde sie sich selbst verletzen, wenn sie es zu tun versuchte?

War dies wirklich der Grund, aus dem sie hergeschickt worden war... oder mischte sie sich nur in etwas ein, was sie nichts anging?

Robbie setzte sich etwas bequemer hin auf ihrem Schoß, und das Gefühl seines warmen kleinen Körpers bestärkte sie in ihrer Entschlossenheit. Als sie den Blick senkte, sah sie, dass er in einer unbewussten Nachahmung der Haltung seines Vaters sehr gerade dasaß, weder nach rechts noch nach links blickte und die Hände auf dem Schoß vor sich gefaltet hatte.

Er starrte unverwandt auf einen Becher Ziegenmilch, den ein Bediensteter vor ihn hingestellt hatte, sein Gesicht, das dem seines Vaters so verblüffend ähnlich war, wirkte jetzt blass und angespannt. Offensichtlich bemühte er sich genauso angestrengt, seinen Erzeuger zu ignorieren, wie dieser mit sich kämpfte, um seinen Sohn nicht wahrzunehmen.

Es war unnatürlich für einen Jungen, so nervös zu sein, aber wie hätte er etwas anderes sein können als schüchtern und verängstigt vor einem Vater, der ihn ablehnte?

Und für einen Vater war genauso unnatürlich, seinen Jungen abzulehnen.

Sanft rieb Linnet Robbies Schulter, in der Hoffnung, ihn damit ein wenig zu beruhigen, und war über alle Maßen erfreut, als er sich ihr nicht entzog, sondern sich sogar an ihre Hand schmiegte, als begrüßte er ihre Berührung.

Dass er sie so bereitwillig akzeptierte, erfüllte sie mit einer bisher nie gekannten Zufriedenheit, und ihr Herz schwoll an vor Liebe für dieses Kind, das sie nun ihr eigenes nennen durfte.

Wenn ihr Mann genauso bereitwillig auf ihre Annäherungsversuche reagieren würde, hätte sie vielleicht eine kleine Chance, die beiden zusammenzubringen. Die gelegentlichen verstohlenen Blicke, die er seinem Sohn zuwarf, gaben ihr ein wenig Hoffnung.

Aber ein Blick auf Duncans unerbittliches Profil genügte, um keinen Zweifel an der Ungeheuerlichkeit ihrer Aufgabe auf-kommen zu lassen. Und trotzdem, selbst wenn er sie als Frau missachtete und ihr ein eigenes Kind verweigerte, würde sie ihm immer dankbar sein, dass er ihr die Möglichkeit gegeben hatte, seinen Sohn zu lieben.

Mit sanfter Hand strich sie Robbie das Haar aus der Stirn. Bei ihrer Ehre schwor sie sich, Liebe und Wärme in sein Leben zu bringen. Solange sie sich zurückentsinnen konnte, hatte sie immer versucht zu glauben, dass nichts im Leben ohne Grund geschah.

Nicht ohne einen guten Grund.

Es war anfangs oft nicht leicht zu erkennen, aber sie hatte die Feststellung gemacht, dass die Antwort, wenn man sich in Geduld übte, sich mit der Zeit offenbarte. Duncan MacKenzies Sohn brauchte sie, und wenn die Heiligen es für richtig gehalten hatten, sie herzuschicken, um ihm beizustehen, würde sie sich der Herausforderung in aller Demut stellen.

Eine winzige Stimme tief in ihrem Innersten flüsterte ih r zu, auch sie brauchte den Kleinen. Und das bezweifelte sie nicht einmal.

Mit einem Finger berührte sie den wunderschönen Ledergürtel, den der Knabe trug. »Das ist ein hübscher Gürtel,

Robbie«, sagte sie, in der Hoffnung, ihm damit ein wenig die Befangenheit zu nehmen. »Ich glaube, einen schöneren habe ich noch nie gesehen.«

Sie wurde belohnt mit einem verschämten Lächeln, das aber leider nur allzu schnell verblasste. »Fergus hat ihn für mich gemacht«, verriet er ihr.

»Und wer ist Fergus?«

»Papas Seneschall«, antwortete Robbie strahlend. »Er hat mir auch mein Plaid geschenkt.«

»Ach wirklich?«, sagte Linnet, der nicht entging, dass ihr Mann ausgerechnet diesen Augenblick wählte, um sich so laut zu räuspern, als wollte er die Worte des Jungen übertönen. »Und es ist auch ein sehr, sehr schönes Plaid. Weißt du, was die Farben bedeuten?«

Robbie nickte feierlich und begann dann aufzusagen: »Das Grün steht für Wald und Felder, das Blau für den Himmel und die See, und es ist mit Weiß durchzogen für... für ...« Er stockte und blickte mit solch unruhigen blauen Augen, die wie eine jüngere Version der Augen seines Vaters waren, zu ihr auf, dass es Linnet einen Stich versetzte.

Der Junge biss sich auf die Unterlippe und versuchte, sich auf den Rest des Verses zu besinnen.

Ihr Ehemann holte tief und hörbar Luft und warf dann helfend ein: »Weiß steht für Reinheit, Rot für Blut und tapfere Krieger...«

»... und alle zusammen bedeuten Freiheit, Gerechtigkeit und Mut und Ehre«, schloss Robbie, und seine kleine Brust schien anzuschwellen vor Stolz bei jedem Wort. Danach schenkte er Duncan einen Blick, in dem eine geradezu abgöttische Verehrung seines Vaters zu erkennen war.

Doch obgleich er dem Knaben geholfen hatte, sich auf die Worte zu besinnen, war Linnet nicht entgangen, wie Duncan sich bei jedem Wort, das sein Sohn so tapfer aufgesagt hatte, neben ihr versteift hatte.

»Und nach dieser wunderbaren Schilderung, denke ich, wird es Zeit für dich, nach oben und ins Bett zu gehen«, erklärte Marmaduke und schob seinen Stuhl zurück, um sich zu erheben. Mit einem unmissverständlichen Blick auf Duncan hob er Robbie auf. »Ein zukünftiger Gutsherr braucht seinen Schlaf, wenn er groß und stark genug für seine zukünftige Stellung werden will, nicht wahr?«

Duncan nickte steif, sagte aber nichts. Erst als der Sassenach und Robbie gute zehn Schritte entfernt waren, rief er ihnen etwas nach: »Es war schön, dich die Bedeutung unserer Farben aufsagen zu hören, Junge.«

Obschon die Worte erst ein nachträglicher Einfall waren, ermutigten sie Linnet. Sie waren immerhin ein Anfang. Robbies Blick hing an seinem Vater, als Marmaduke ihn forttrug; ein Bild, bei dem sich Linnets Herz zusammenzog.

Bevor er Robbie hinausbrachte, wandte Marmaduke sich noch einmal um. »He, Duncan, lass Fergus ja nicht eher den Hochzeitsstein holen, bis ich zurück bin!«

»Die Pest soll den blöden Stein holen, und Fergus werde ich das Fell über die Ohren ziehen, wenn er ihn herbringt«, knurrte ihr Mann, selbst als der ganze Saal in begeisterten Applaus ausbrach und alle Anwesenden nach dem Stein zu rufen begannen.

Mit finsterer Miene sprang er auf. »Hört auf, herumzukreischen wie Idioten«, brüllte er in das Getöse. »Es wird keine Hochzeitsstein-Zeremonie geben.«

»Hochzeitsstein-Zeremonie?«, fragte Linnet, als er sich wieder setzte.

Statt einer Antwort kniff er die Lippen zusammen und nahm eine steife, abweisende Haltung ein.

»Was ist los mit dir, Duncan? Bei den MacKenzies hat es noch nie ein Hochzeitsfest ohne diese Zeremonie gegeben!«, brüllte eine raue Stimme plötzlich aus dem unteren Teil der Halle. »Und wir haben lange genug gewartet, dich mit deiner Braut trinken zu sehen!«

»Aye! Trink mit deiner Braut!«, sang ein ganzer Chor von MacKenzie-Männern ausgelassen, und alle erhoben ihre Stimmen, als wollten sie mit den begleitenden Trompetenstößen wetteifern. »Ein langes Leben und viele Kinder für Lady Linnet!«

Duncan starrte auf den Tisch und schien sich mit jedem wüsten Schrei noch unbehaglicher zu fühlen. Während Linnet ihn betrachtete, schlüpfte Marmaduke auf seinen Platz neben ihr zurück. Durch den Tumult glaubte Linnet den Engländer flüstern zu hören, sie habe nichts zu befürchten, es würde alles gut werden, aber als sie in seine Richtung blickte, trank er ruhig seinen Wein und schien nichts gesagt zu haben.

»Ein langes Leben und viele Kinder für Lady Linnet!«, sangen die Clanangehörigen weiter, knallten ihre Trinkgefäße auf die Tische und stampften ausgelassen mit den Füßen, als ein brummig aussehendes älteres Clanmitglied durch ihre Mitte schritt, einen prachtvollen Silberpokal in seinen Händen, den er für alle sichtbar hoch über dem Kopf hielt.

Vier kräftige Krieger folgten ihm. Zusammen trugen sie einen großen, blau getönten Stein. Seine längliche Oberfläche, auf der uralte keltische Runen eingeritzt waren, war glatt, doch der Fuß des Steins sah so zerklüftet aus, als wäre er aus seiner natürlichen Verankerung gerissen worden.

Aber was Linnet am interessantesten fand, war das Loch in seiner Mitte. Sie brauchte das übellaunige Knurren ihres Mannes nicht, um zu wissen, dass dies der »Hochzeitsstein« war.

Und nun wusste sie auch, welchem zeremoniellen Zweck er diente.

Der Stein war ein Schwörstein. Ein Glücksbringer. Die Menschen der Antike glaubten, dass Paare, die sich durch das Loch in seiner Mitte ihre Hände reichten, eine glückliche Ehe führen würden.

Eine beglückende Verbindung voller Liebe, Harmonie und mit vielen kräftigen, gesunden Kindern.

Linnet versteifte sich, als ihr die Bedeutung klar wurde. Jetzt wusste sie, warum ihr Mann bei der Erwähnung dieses Steins so ungehalten reagiert hatte. Er wollte nicht dieses uralte Ritual mit ihr vollziehen und dabei womöglich riskieren, dass die Magie der alten Götter auf ihre Ehe Einfluss nehmen könnte.

Eine Ehe, die er nicht einmal richtig zu vollziehen gedachte !

Ein weiterer Begeisterungsausbruch im Saal zerstreute Linnets Überlegungen. Der Seneschall und die vier Männer, die den Stein trugen, hatten nun das Podium erreicht. Der alte Seneschall blieb vor Duncan und Linnet stehen, drehte sich einmal langsam im Kreis und hielt den zeremoniellen Kelch in die Höhe, damit jedermann im Saal ihn sehen konnte. Die Männer mit dem Stein hielten sich im Hintergrund und warteten, bis das Paar gemeinsam aus dem Kelch getrunken hatte, bevor sie den Stein weiter nach vorne trugen.

Jubelschreie ertönten, als Fergus den riesigen Pokal absetzte und ihn bis zum Rand aus dem Krug mit dem süßen Wein füllte.

»Warte, Fergus«, mischte Marmaduke sich ein und hielt den Seneschall am Arm zurück. »Der Wein könnte zu stark sein für Mylady. Was meinst du, sollen wir ihn nicht besser verdünnen, bevor sie davon trinkt?«

Fergus’ buschige Augenbrauen zogen sich zu einem unwilligen Stirnrunzeln zusammen, und er entriss dem Engländer seinen Arm. »Für eine Sassenach mag er vielleicht zu stark sein, aber nicht für jemanden aus unseren Highlands«, schimpfte er und goss das blutrote Gebräu in den Hochzeitskelch. »Ich habe ihn selbst für die Gelegenheit gemischt«, fügte er hinzu, als wolle er Marmaduke herausfordern, ihm zu widersprechen.

Alle bis auf den englischen Ritter brüllten vor Begeisterung, als Linnets frisch gebackener Ehemann pflichtbewusst den unhandlichen Pokal an seine Lippen hob und daraus trank.

»Lass deiner Braut was übrig!«, rief jemand dröhnend aus dem Hintergrand der Halle. »Das wird sie ein bisschen beschwipst machen für die Hochzeitsnacht-Zeremonie!«

Hochzeitsnacht-Zeremonie? Linnets scharfes Einatmen ging in dem ohrenbetäubenden Gelächter und Gejohle unter, das den Saal erfüllte. Hitze durchflutete sie, als sie das Bild ihres nackten Ehemanns vor sich erstehen ließ. Sie sah ihn wieder rittlings auf sich hocken, spürte die steife Härte seiner männlichen Begierde zwischen seinen Schenkeln, die bewies, dass ihn die gleichen Empfindungen bewegten wie sie selbst.

Und dennoch hatte er ihr ganz unverblümt gesagt, er wolle sie nicht als wahre Partnerin ... als seine Frau.

Mit einer Offenheit, die sie zutiefst verletzt hatte, hatte er ihren weiblichen Stolz, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie ihn besaß, mit Füßen getreten.

Und nun verlangten seine Männer von ihm, sie während einer Hochzeitsnacht-Zeremonie vor ihren lüsternen Augen in Besitz zu nehmen und zur Frau zu machen?

Eine neue Art von Kälte erfasste sie. Eine Kälte, die Furcht entsprang, der natürlichen Beklemmung einer Jungfrau vor dem ersten Mal.

Und Scham, falls er von seinen Männern dazu gezwungen werden sollte, sie zu nehmen.

Denn sie würde es nicht ertragen, wenn er mit sichtlichem Abscheu davor zurückschreckte, den Akt der Liebe mit ihr zu vollziehen.

»Du hast lange genug getrödelt, Duncan!«, brüllte plötzlich jemand. »Gib deiner Braut den Wein, lass sie trinken und mach sie dann endlich zu einer MacKenzie!«

»Ja, mach sie zu einer MacKenzie!«, stimmten andere ein.

Anzügliches Gelächter stieg zu der gewölbten Decke auf, und der Fußboden erbebte unter einem wütenden Chor stampfender Füße. Und so sehr sich Duncan auch bemühte, die unguten Erinnerungen zu ignorieren, erinnerte das fröhliche Treiben ihn doch an ein anderes Hochzeitsfest in einer anderen Zeit, die er lieber für immer aus seinem Gedächtnis verbannt hätte.

Eine Zeit, in der er jung gewesen war und geglaubt hatte, verliebt zu sein.

Nein, besessen.

Und diese sinnlose Hochzeitsstein-Zeremonie hatte ihm den Kummer nicht ersparen können.

Gott, er war so restlos betört gewesen von der Schönheit und der Anmut seiner ersten Frau, dass er ihre Verworfenheit nie für möglich gehalten hätte, wenn Sankt Petrus selbst ihn nicht gewarnt hätte.

Die Gedanken an Cassandra aus seinem Kopf verbannend, reichte er seiner zweiten Frau pflichtbewusst den schweren Silberpokal. »Trinkt, damit wir diesem albernen Getue ein Ende machen können«, sagte er schroffer, als es seine Absicht war.

»Ich trinke keinen Alkohol, Sir«, sagte sie, während sie den prachtvollen Pokal mit beiden Händen nahm, aber keine Anstalten machte, daraus zu trinken.

Ein derber Fluch entrang sich Duncans Lippen, bevor er sich daran erinnerte, dass sie die Tochter eines Trinkers war. »Ihr braucht nicht viel zu trinken, nur einen kleinen Schluck«, beruhigte er sie und wunderte sich über den Beschützerinstinkt, der in ihm erwachte, wenn er an ihren rüpelhaften Vater dachte. »Ich trinke den Rest.«

Er beobachtete genau, wie sie den Pokal an ihre Lippen hob und trank. Er bezweifelte, dass sie mehr getan hatte, als daran zu nippen, aber der starke Wein ließ ihre Lippen weich und dunkelrot erscheinen.

Süß.

Nicht verführerisch, wie die Lippen einer anderen Frau bei einer anderen Hochzeit ausgesehen hatten, aber süß ... und unschuldig.

Und unendlich viel verlockender als die Lippen sämtlicher geübten Verführerinnen, die ihm zu seinem Missgeschick über den Weg gelaufen waren.

Gott stehe ihm bei, aber sie verlockte ihn wirklich über alle Maßen.

Obwohl er eigentlich verärgert hätte sein müssen und es auch war, weil sie den Jungen in den Saal gebracht hatte ... Duncan wandte den Blick von ihr ab und gab endlich seinem Bedürfnis nach, zu fluchen.

Vielleicht hätte er sich am Königshof nach einer neuen Gattin umschauen sollen, einer makellosen, kultivierten Schönheit, deren geübter Charme ihn so gründlich an seine erste Frau erinnert hätte, dass es ihm nicht schwer gefallen wäre, sie zu ignorieren.

Stattdessen hatte er sich ein entzückendes Mädchen aus den Highlands aufgehalst, dessen üppige Schönheit und offenkundige Unschuld ihn begeisterten und faszinierten.

»Mehr kann ich nicht trinken, Sir«, sagte sie, als sie den Pokal absetzte, und die honigsüße Sanftheit ihrer Stimme ließ ihn beinahe verzagen.

Gegen das Verlangen ankämpfend, das sie so unbewusst in ihm entfesselt hatte, ergriff Duncan blitzschnell den Pokal und stürzte den Rest seines Inhalts in einem einzigen großen Schluck hinunter. Zustimmendes Gebrüll erhob sich unter seinen Männern, als er den leeren Pokal krachend auf den Tisch zurückstellte.

Trotz Linnets alarmierter Blicke füllte er das große Gefäß wieder auf und leerte es von neuem, bevor Fergus mit der Hochzeitsstein-Zeremonie beginnen konnte. Als könnte der ungehorsame Flegel Duncans Gedanken lesen, ergriff der Seneschall das Horn, das er um den Nacken trug, hielt es an seine Lippen und ließ es einmal laut erschallen.

Die Feiernden verstummten auf der Stelle. Wer saß, beugte sich vor, und wer stand, trat näher. »Die Legende, Fergus!«, brüllte jemand aus dem Hintergrund des Saals. »Erzähl uns die Legende!«

Lachlan reichte Fergus eine Zither, und als er ein paar Akkorde anschlug, um sie zu erproben, hörte Duncan den Sassenach mit Linnet flüstern.

»Fergus fungiert als Clan-filidh oder fili«, klärte Marmaduke sie auf. »Er hat die bardischen Künste nie richtig gelernt, so dass er den echten Titel also nicht für sich in Anspruch nehmen kann, aber er ist der geborene Geschichtenerzähler und verdient Respekt. Bei jeder MacKenzie-Hochzeit erzählt er die Legende von dem Hochzeitsstein.«

Duncan warf seinem Freund einen finsteren Blick zu. »Aye, und vergiss nicht, dass sie nichts weiter ist als das... eine Legende. Nichts als Worte.«

»Dann kann Euch ja durch sie nicht viel geschehen, nicht wahr, Mylord?«, bemerkte seine Dame und vermittelte ihm einen weiteren kurzen Eindruck jenes F euers, das er schon auf der Reise von Dundonnell nach Eilean Creag bewundert hatte.

»Ich fürchte weder den Stein noch eine alberne Legende«, fauchte Duncan.

»Freut mich, das zu hören«, konterte Marmaduke mit einem mutwilligen Glanz in seinem Auge, »denn dann hast du ja keinen Grund, uns das Vergnügen zu verweigern, dich und deine bezaubernde Gemahlin die Zeremonie vollziehen zu sehen.«

Ein weiterer Stoß aus Fergus’ Horn brachte jene, die noch sprachen, zum Schweigen, und ersparte Duncan eine Antwort auf Marmadukes frechen Einwand. »Es ist schon lange her«, begann Fergus seine Geschichte, während seine knorrigen Finger geschickt die Zither klimpern ließen. »Die alten Götter herrschten noch, und ihre Regeln wurden noch beachtet. Ein stolzer keltischer König lebte nicht weit entfernt von hier. Er war ein mächtiger Mann, und niemand wagte ihm zu trotzen. Er fürchtete weder Mensch noch Tier, und manche sagen, er fürchtete auch nicht die Götter.«

Fergus machte eine Pause, um an einem bis zum Rand gefüllten Humpen Bier zu nippen. »Dieser König hatte vier Töchter, und da sie ebenso klug wie schön waren, fürchteten auch sie ihn. Alle bis auf die jüngste ... seine Lieblingstochter.«

Dieweil Fergus die Legende erzählte, lehnte Duncan sich zurück und verschränkte seine Arme. Verschränkte die Arme und verschloss die Ohren. Er kannte dieses alberne Gewäsch schon auswendig, und der ärgerlichste Teil davon war fast erreicht.

»... so sicher war sich diese schöne Tochter ihres Vaters Liebe, dass sie keinen Grund sah, zu verheimlichen, dass sie ihr Herz an einen jungen Mann verloren hatte, der niemals die Billigung ihres Vaters finden würde, wie sie wusste. Obschon er ein tapferer und hübscher junger Mann war, von kräftiger Gestalt und reinen Herzens, besaß er weder Mittel noch Aussichten, sie jemals zu erlangen. Der stolze König war daher sehr aufgebracht, als er erfuhr, dass seine Lieblingstochter einen solch unwürdigen Mann begehrte.«

Die Worte überfluteten Duncan und sickerten in seine Ohren, obwohl er sich bemühte, sie zu ignorieren. Herrgott noch mal, er wünschte, der alte Narr würde endlich aufhören, damit sie den Rest der Zeremonie hinter sich bringen konnten.

Den Teil, den er fürchtete ... wenn sie sich an den Händen fassen und sich küssen mussten.

»Ihr war klar, dass ihr Vater ihnen die Heirat nie gestatten würde«, fuhr Fergus fort, »aber da sie ihre Liebe nicht verleugnen wollte, brannte die Maid mit dem jungen Mann zu dem Hochzeitsstein durch. Einem Schwörstein, damals schon uralt. Seine Magie war stark und wahr.« Fergus hielt inne, um einen weiteren Schluck Bier zu trinken. »Aber der Vater wurde gewarnt, und er erreichte sie, als sie sich gerade ihre Hände durch die Öffnung in der Mitte dieses Steines reichten.«

In einer weiteren effektvollen Pause sah sich Fergus in der Halle um, seine scharfen Augen weise und beredt. Duncan schloss die Augen, bevor der durchdringende Blick des verflixten alten Graubarts ihn erreichen konnte.

»... Des Königs Zorn verlieh ihm mehr Kraft, als ein Sterblicher besitzen sollte, und er rannte auf sie zu, riss den Stein aus seinem Fundament und schleuderte ihn ins Meer ... und den jungen Mann mit ihm.« Der Seneschall erhob die Stimme, als er sich dem Höhepunkt der Legende näherte. »Zutiefst erschüttert, weil er nicht die Absicht gehabt hatte, den jungen Mann zu töten, fiel der König auf die Knie und flehte seine Tochter um Vergebung an. Aber ihr Verlust war zu groß. Ohne ihren Vater auch nur eines Blicks zu würdigen, ging sie zum Rand der Klippen und vereinte sich im Tod mit ihrer großen Liebe, die ihr zu Lebzeiten verweigert worden war. So aufgebracht waren die alten Götter über des Königs Missachtung der Heiligkeit des Steins, dass sie es ihm heimzahlten und seine Festung so gründlich zerstörten, dass heute niemand mehr sagen kann, wo sein Hof damals gestanden hatte.«

Duncan öffnete die Augen, als der Seneschall zum Ende seiner Erzählung kam. »Aber nicht alles war verloren«, ertönte Fergus’ Stimme. »Viele Jahre später wurde der Hochzeitsstein an der Küste unserer schönen Insel angeschwemmt und ist seitdem auf Eilean Creag geblieben. Seine Macht ist heute stärker, und alle neu vermählten MacKenzies, die sich durch die Öffnung des Steins an den Händen fassen und danach einen Kuss austauschen, werden mit einem machtvollen Bund gesegnet, den kein Sterblicher zerstören kann, weil die alten Götter ihre Verbindung mit Wohlwollen betrachten und beschützen werden.«

Das ehrfürchtige Schweigen schien sich zu vertiefen, gebrochen höchstens durch ein gelegentliches Schniefen der wenigen Frauen, die im Saal zugegen waren. Dann brach ein ohrenbetäubender Applaus aus, dem schon kurz darauf der unvermeidliche Sprechchor folgte: »Der Stein! Der Stein!«

Fergus’ ausgewählte Narren paradierten zweimal mit ihm vor dem Podium auf und ab und hielten schließlich vor Duncans Sessel mit dem Baldachin. Andere Clanangehörige zogen Duncan und Linnet von ihren Plätzen und schoben sie vor den Stein.

»Nimm ihre Hand!«, erhob sich eine Stimme über das Palaver, und andere stimmten lärmend ein. »Aye, nimm ihre Hand!«

Duncan stieß einen ärgerlichen Seufzer aus und steckte seine Hand durch das Loch im Stein. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, denn keiner der Anwesenden würde aufhören, ihn zu peinigen, bis er seine Pflicht erfüllt hatte. Aber dann legte seine Frau ihre Hand in seine, und Duncan hörte das alberne Geschwätz seiner Männer nicht mehr.

Ihre Hand war erstaunlich warm und kräftig, und dennoch beunruhigte ihre Berührung ihn. Gott, er konnte spüren, wie ihre Wärme auf ihn überging! Sie entsprang, wo ihre Hände sich berührten, und kroch an seinem Arm empor, um dann seinen ganzen Körper zu durchströmen wie erhitzter Met.

Bevor sie ihn noch mehr verhexen konnte, rief Duncan die Worte, die von ihm erwartet wurden: »Ihr alle seht, wir reichen uns die Hände! Wir ehren die alten Götter, mögen sie unsere Verbindung segnen.«

Um diesen Teil der Zeremonie zu beenden, verschränkte er seine Finger mit Linnets und drückte ihre Hand. Sie schnappte nach Luft, ein kaum wahrnehmbares Geräusch, das er aber trotzdem hörte. Selbst über das Gejohle und Füßestampfen seiner Männer. Seiner Anleitung folgend, erwiderte sie den Druck, und Duncans Herz pochte fast schmerzhaft hart gegen seine Rippen.

»Der Kuss! Der Kuss!«, brüllten seine Männer.

Getrieben von dem Wunsch, das Schauspiel zu beenden, und einem überwältigenden Verlangen, genau das zu tun, wozu ihn seine Männer drängten, gab Duncan ihre Hand frei, nahm dann aber ihren Arm und zog sie an sich. »Wir müssen uns jetzt küssen«, erklärte er ihr, während er seine Arme um sie legte. »Danach werden wir unsere Ruhe haben.«

Etwas Undefinierbares blitzte in ihren Augen auf, aber sie hob bereitwillig das Kinn und bot ihm ihre Lippen. Mit einem leisen Stöhnen, das unmöglich von ihm selbst stammen konnte, zog Duncan sie hart an sich, und in dem besitzergreifendsten Kuss, den er seit Jahren einer Frau gegeben hatte, presste er seinen Mund auf ihre Lippen.

Als sie in ihrer Naivität ihre Lippen öffnete und ihre Zungenspitze einen flüchtigen Moment lang seine streifte, loderte ein überwältigendes Verlangen in Duncan auf, und ein beinahe schmerzhaftes Ziehen schoss durch seine Lenden.

Die Art Verlangen, mit der er sich auf gar keinen Fall belasten wollte.

Sofort beendete er den Kuss und schob sie von sich. »Das war’s«, schwor er. Mit erhobenen Armen drehte er sich im Kreis und erhob die Stimme, damit alle ihn hören konnten. »Lasst niemanden behaupten, wir hätten die alten Götter nicht um ihren Segen angefleht.«

»Mögen sie über Euch wachen!«, antworteten die Angehörigen seines Clans. Noch immer johlend und sehr mit sich zufrieden, kehrten jene, die nach vom gekommen waren, zu ihren Plätzen zurück, während die anderen, die noch saßen, nach Bier-oder Weinkrügen griffen und ihre Becher auffüllten. Endlich erstarb der Lärm, als die Feiernden sich wichtigeren Vergnügungen wie Essen oder Trinken zuwandten.

Wieder auf seinem Platz, richtete Duncan seinen Blick demonstrativ auf die großen Platten saftiger Fleischgerichte und anderer Delikatessen auf dem Tisch vor ihnen. Er wagte seine Braut nicht anzusehen, denn unter seinem Kilt war er noch immer stark erregt. Gott, sogar die leisen Geräusche ihres Atmens und ihr süßer, femininer Duft genügten, um ihn zu entflammen!

Nein, es war klüger, sich auf das Festessen vor ihnen zu konzentrieren. Fergus hatte sich selbst übertroffen und eine Fülle köstlicherer Speisen auf den Tisch gebracht, als Duncan seit sehr langer Zeit gesehen hatte. Der alte Senesehall hatte eine Tafel vorbereitet, die selbst eines Königs würdig wäre.

Duncan griff nach seinem süßen Wein. Wenn er von diesem starken Zeug genügend trank und aß, so viel er konnte, würde ein tiefer Schlaf ihm vielleicht helfen zu vergessen, dass er sich heute an eine neue Ehefrau gebunden hatte.

An eine Frau, die nicht sein Verlangen wecken sollte.

»Beeilt Euch und esst etwas. Ihr habt noch keinen Bissen angerührt«, tadelte er sie und deutete mit dem Kinn auf das besonders zarte Stück Hirschbraten, das er für sie zurechtgeschnitten hatte. »Je schneller wir mit dem Essen fertig sind, desto eher können wir vom Tisch verschwinden.«

»Ich bin nicht hungrig, Mylord.«

»Dann werde ich für Euch mitessen«, erwiderte Duncan ungehalten, bevor er ein saftiges Stück Fleisch von ihrem gemeinsamen Tablett aufspießte und in seinen Mund steckte.

Er hätte alles getan, um sich von den widerstreitenden Gefühlen abzulenken, die ihn durchfluteten und beinahe in den Wahnsinn trieben.

Egal was, Hauptsache, es lenkte seine Gedanken von der steifen Härte ab, die er unter seinem Kilt noch immer spürte.

Er hatte nichts anderes gewollt als eine folgsame und unscheinbare Frau, die nicht mehr zu tun brauchte, als ihm die Frage zu beantworten, die ihn praktisch unablässig quälte. Und was hatte er bekommen? Ein junges Mädchen, das seine Leidenschaft entfachte, ohne es zu wollen, und sämtliche Regeln brechen würde, die er in seinem Haushalt aufgestellt hatte.

Ein Mädchen, dessen Gabe vermutlich nicht viel mehr als Highland-Klatsch war ... die übertriebene Behauptung eines Spielmanns.

Und er war darauf hereingefallen.

Ein Mädchen, dessen Jungfräulichkeit zu nehmen seine Clanangehörigen in diesem Augenblick lautstark von ihm verlangten.

Und Gott wusste, dass er darauf brannte, es zu tun.

Aber er hatte gelernt, dass ein Feuer in den Lenden schnell gelöscht und vergessen war, während eine verbrannte Seele bis in alle Ewigkeit verbrannt blieb.

Wieder einmal füllte Duncan den enormen Hochzeitspokal und stürzte seinen Inhalt in einem einzigen Zug hinunter.

Wenn seine Männer unbedingt auf einer Hochzeitsnacht-Zeremonie bestanden, konnten sie eine haben.

Aber ohne ihn.

Denn er beabsichtigte, sie zu verschlafen.