16

 

»Ich seh wohl nicht richtig!«, brüllte Duncan und starrte seinen leichtsinnigen englischen Schwager mit wutentbrannten Blicken an. »Hast du den Verstand verloren, Engländer?«

Unverfroren stand Sir Marmaduke vor ihm, Linnet fest an seine mit einem Kettenhemd geschützte Brust gepresst. Sie verschwand fast zwischen seinen kräftigen Armen; einen Arm hielt er fest um ihre Taille geschlungen, mit dem anderen hielt er einen Schild über ihren Kopf und Oberkörper.

Nur das glänzende, rotgoldene Haar, das für einen winzigen Moment lang sichtbar wurde, und Linnets Kräuterbeutel, der an einer Seite unter dem Schild hervorspähte, verriet, wen der englische Ritter mit seinem mächtigen Körper und dem Schild beschützte.

Duncan wischte das Blut ab, das ihm in die Augen rann, und ließ eine ganze Serie gotteslästerlicher Flüche los. Egal, wie sehr sich dieser hirnlose Idiot bemühte, sie vor den überall um sie herumzischenden Pfeilen zu beschützen - eine Frau hatte hier oben auf den Zinnen nichts verloren!

Er hatte strikte Anweisung gegeben, sie unter Bewachung zu halten.

In ihrem Zimmer.

In Sicherheit.

Fern der Gefahr.

Was fiel dem Sassenach ein, sie auf den Wehrgang hinaufzubringen, wo sie einem Hagel von Pfeilen und einer Horde schwertschwingender Mörder ausgesetzt war, die auf alles einschlugen, was sich bewegte!

Fluchend legte Duncan seine Armbrust weg, riss seine Frau, ohne seine blutbefleckten Hände zu beachten, aus Sir Marmadukes Armen und stieß sie vor der zinnenbewehrten Mauer auf die Knie. Die Zähne gegen den Schmerz zusammenbeißend, den die Anstrengung ihn kostete, drückte er sie tiefer und tiefer auf den Boden, bis sie vollkommen hinter einer der Zinnen verborgen war.

Verbissen bemühte er sich, den Schmerz zu ignorieren, als er sich wieder aufrichtete und Marmaduke den Schild abnahm. »Halt ihn über dich und rühr dich nicht«, befahl er Linnet, als er ihn ihr reichte. »Tu, was ich sage«, fuhr er sie an, als sie Protest erheben wollte.

»Aber Mylord ... Duncan ... bit...«

»Schweig!«, unterbrach er sie schroff und fuhr herum zu Marmaduke. »Hast du den Verstand verloren, du Narr? Was hast du dir dabei gedacht, sie hier heraufzubringen? Wenn ich ...« Ganz unvermittelt brach er ab und griff sich an die Seite. Ein Strom frischen Bluts ergoss sich auf seine Hand.

Ein Pfeil aus einer Armbrust hatte seinen Arm durchbohrt.

Diesmal war es Sir Marmaduke, der fluchte. Rasch legte er den Arm um Duncan und stützte ihn. »Nicht ich bin es, wer sich wie ein Narr aufführt heute Nacht. Wenn du schon nicht meinen Rat befolgen willst, von hier oben zu verschwinden, dann hör doch wenigstens auf deine Frau!«

»Aye, Duncan«, sagte Linnet flehentlich und riskierte einen Blick über den Rand von Marmadukes Schild. »Um Gottes willen, Duncan, du hast einen Pfeil in deinem Arm, und ich möchte nicht wissen, wie viele andere Wunden du noch hast. Es nützt dir überhau ...«

»Du sollst unten bleiben, hab ich gesagt!« Ein Pfeil zischte durch die Öffnung in den Zinnen über ihr und verfehlte Linnets Kopf nur knapp. Ein dumpfer Aufprall und ein schmerzerfülltes Grunzen ließen darauf schließen, dass der Pfeil ein anderes Ziel gefunden hatte.

Als er rasch nach rechts blickte, sah Duncan einen seiner jüngeren Knappen zusammenbrechen. Der Schaft eines Pfeiles ragte aus seinem Rücken. Wilder Zorn, der so rot war wie das Blut, das ihm in die Augen rann, durchzuckte ihn bei dem Anblick.

Neben ihm sprach Sir Marmaduke rasch ein Gebet.

Der Knappe war fast noch ein Knabe.

Ein Jüngling, der Duncan erst wenige Tage zuvor stolz den ersten feinen Flaum an seinem Kinn gezeigt hatte.

Und nun war er tot.

Duncan warf den Kopf zurück und brüllte seine Wut heraus.

Als er sich wieder seiner Frau zuwandte, sah er sie auf Händen und Füßen zu dem Jungen kriechen. »Herrgott noch mal, Frau, bleib, wo ich dich hingesetzt habe! Ich will dich nicht auch noch sterben sehen.«

»Aber du willst mich offenbar noch heute Nacht zur Witwe machen«, widersprach sie und kroch vorsichtig zu dem gefallenen Knappen weiter. »Wenn du deine eigenen Wunden nicht versorgen lassen willst, werde ich eben anderen meine Heilkunst zur Verfügung stellen.« Trotzig blickte sie sich über die Schulter nach ihm um. »Und du wirst mich daran nicht hindern.«

»Du kannst dem Jungen nicht mehr helfen. Er ist tot.«

Linnet erstarrte und blickte den reglosen Jüngling auf dem Boden vor ihr an. Ihr Gesicht erblasste, als bemerkte sie gerade erst seine merkwürdig verbogene Haltung und den Pfeil, der mit Sicherheit eine Lunge durchbohrt hatte, möglicherweise sogar das Herz des Jungen.

Sie öffnete den Mund, vielleicht, um zu schreien, aber es kam kein Ton heraus. Ihr drehte sich fast der Magen um, und einen Augenblick lang konnte sie nichts anderes tun, als den gefallenen Knappen anzusehen.

O Gott, es war der Junge, der sie so sehr an Jamie, ihren Lieblingsbruder, erinnert hatte!

An Jamie, wie er früher ausgesehen hatte.

Sie hatte den jungen Knappen gern gemocht; er war ein fröhlicher junger Mann gewesen, der ihr oft ein strahlendes Lächeln geschenkt hatte und heftig errötet war, wenn sie zurückgelächelt hatte.

»Nein!« Sie konnte es nicht glauben, dass der Junge tot war. Blind und taub für das Chaos um sie herum, kroch Linnet rasch die letzten Meter zu der Stelle, wo der Junge reglos lag.

»Er ist nicht tot«, beharrte sie, während sie ihn auf die Seite drehte. »Er ist es nicht.«

Aber sein hängender Kopf und der leere Blick besagten etwas anderes.

Entsetzen durchflutete sie, kälter und schneidender noch als der kühle Seewind, der an ihren Haaren zerrte und den dünnen Wollstoff ihres arisaid bewegte.

Ihr Blick glitt von dem toten Knappen zu ihrem Ehemann. Er hatte seine Armbrust inzwischen wieder aufgehoben, lehnte an einer der mächtigen steinernen Zinnen und versuchte, einen Pfeil durch die Öffnung zwischen ihnen abzuschießen.

Seine Konzentration war an dem angespannten Zug um sein Kinn zu erkennen, seine nachlassende Kraft am Zittern, das seine mächtige Gestalt durchlief, als er mit dem Fuß den Bogen spannte, zielte und die tödliche Waffe abdrückte.

Ein lauter Schmerzensschrei von unten bewies, dass er sein Ziel getroffen hatte. Duncan sackte in sich zusammen und ließ die unhandliche Armbrust aus seinen blutbefleckten Fingern gleiten. »So Gott will«, murmelte er, und seine sonst so durchdringende Stimme klang rau und müde. »So Gott will war das der Schuft, der den jungen Ewan umgebracht hat.«

Linnet schluckte, ihr Herz schmerzte von der Qual, die sie in seinen Augen sah. Qual, die, wie sie wusste, nicht von seinen eigenen Wunden herrührte, sondern von dem Schmerz, den verfrühten Tod seines Knappen mit ansehen zu müssen.

Tränen des Zorns und der Angst brannten hinter ihren

Lidern, aber sie weigerte sich, sie zu vergießen. Sie konnte später weinen, jetzt musste sie ihren Mann in Sicherheit bringen und nach seinen Wunden sehen. Bevor er merkte, was sie vorhatte, richtete sie sich auf, lief zu ihm und packte ihn an seinem unverletzten Arm.

»Hör auf, den Tapferen zu spielen und komm mit mir hinein«, bat sie und versuchte vergeblich, ihn mit sich zur Tür zu ziehen. Trotz seiner schweren Verwundungen schien er so unerschütterlich wie die Mauern seiner Burg. »Ich flehe dich an, Duncan.«

Mit grimmig angespannter Miene schüttelte er sie ab wie eine lästige Fliege. Ohne ihre flehentlichen Bitten zu beachten, bückte er sich, um seine Armbrust aufzuheben, und keuchte vor Schmerz, als er sich langsam wieder aufrichtete. Die Zähne zusammenbeißend, schaffte er es, die Waffe nachzuladen, doch Sir Marmaduke entriss sie ihm.

Mit einer Geschicklichkeit, die Linnets Atem stocken ließ, machte der Sassenach die Waffe zum nächsten Schuss bereit, spannte ihren Bogen, zog, zielte und ließ den Lederpfeil davonzischen, bevor Linnet den angehaltenen Atem wieder auslassen konnte.

Dann lehnte er die Armbrust an die Mauer und stellte sich kühn zwischen die Waffe und Duncan. »Du wirst nicht lange genug leben, um diese Armbrust - oder irgendeine andere Waffe - noch mal zu gebrauchen, wenn du nicht auf der Stelle hier verschwindest.«

»Duncan, bitte«, bestürmte ihn Linnet. »Du bist von Kopf bis Fuß mit Blut bedeckt. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Blut...«

Mit einem finsteren Stirnrunzeln in seinem blutbesudelten Gesicht stürzte Duncan plötzlich vor, packte Linnet am Arm und zog sie aus dem Weg, als zwei Küchenjungen mit einem großen Kessel brodelnd heißen Fetts vorüberhasteten. »Ihr verdammten Narren«, rief er ihnen nach. »Passt gefälligst auf, wohin ihr geht!«

Er hielt Linnet fest an sich gepresst, sein Griff hatte trotz seiner Verwundungen nichts von seiner Kraft verloren, und hielt sie in sicherer Entfernung, als zwei seiner Männer den Küchenjungen den Kessel abnahmen, ihn mit vereinten Kräften auf die Mauer hievten und seinen Inhalt über ihren Feinden ausleerten.

Schreie zerrissen die Nacht, als das brodelnd heiße Fett auf die Köpfe der Unglücklichen herniederging, die sich zufällig gerade in seinem Zielbereich befanden. Duncan nickte den Männern, die den Kessel ausgeleert hatten, grimmig zu und lockerte dann seinen Griff um Linnets Arm.

»Bring sie zurück, wo du sie hergeholt hast«, sagte er scharf zu Marmaduke und schubste sie dem Engländer buchstäblich in die Arme. »Und komm ja nicht auf die Idee, dich meiner Anweisung zu widersetzen«, schloss er und hinkte dann auf eine kleine Gruppe Männer zu, die in einen Schwertkampf mit zwei von Kenneths Kumpanen vertieft waren, denen es gelungen war, die Mauer zu erklimmen. Noch im Gehen zog er schon sein Schwert.

»Kommt, Mylady«, sagte Sir Marmaduke und legte einen Arm um ihre Schulter. »Erlaubt mir, Euch sicher wieder hinunterzubegleiten. Ich hätte wissen sollen, dass es nichts nützen würde, Euch hierher zu bringen.«

Linnet zögerte. Am anderen Ende des Wehrgangs kämpfte Duncan mit einem Mann, der wild mit einer Streitaxt um sich schlug. Und Duncans Bewegungen waren langsam, behindert durch seine Verwundungen.

Dennoch kämpfte er verbissen weiter.

Trotz der brennenden Pfeile, die wie ein Hagelschauer über ihnen hemiedergingen und eine Wolke beißenden Rauchs zurückließen, bevor sie in einem Funkenregen auf den Steinboden des Wehrgangs fielen. Pagen liefen aufgeregt herum, deren einzige Aufgabe es war, die Flammen mit den Füßen auszutreten.

Aber der mächtige Schwarze Hirsch von Kintail kämpfte unverdrossen weiter - genau wie seine Wachen Linnet schon vorausgesagt hatten.

»Kommt, Mylady«, forderte Sir Marmaduke sie wieder auf und versuchte, sie zur Tür zu ziehen. »Es ist zu gefährlich für Euch hier oben.«

»Nein. Ich gehe nicht«, widersprach Linnet, sich im eisernen Griff des Sassenach versteifend, und versuchte mit aller Kraft, sich von ihm zu befreien.

Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen, als sie ihren Mann die wüsten Axthiebe seines Angreifers abwehren sah. Wäre er unverletzt gewesen, hätte er seinen Feind mit seinem Schwert durchbohrt und seine Leiche über die Mauer geworfen, bevor der Mann seine Axt auch nur gehoben hätte.

Aber er war nicht unverletzt.

Und er wurde von Minute zu Minute schwächer, das konnte Linnet sehen. Wenn nicht bald etwas geschah, würde er nicht mehr lange durchhalten.

Er darf nicht sterben.

Sie hatte geschworen, es zu verhindern, und falls die Heiligen es für richtig erachteten, würde sie sogar sterben, um ihr Versprechen einzuhalten.

Aber wenn Gott ihnen gnädig war, würde keiner von ihnen beiden sterben.

Ein brennender Pfeil pfiff vorbei und traf zischend in der Nähe ihres Rocksaums auf, und Sir Marmaduke lockerte für einen Moment lang seinen Griff um sie, um den noch glühenden Schaft rasch auszutreten. Linnet nutzte den Moment, um sich von ihm loszureißen und zur Mauer zu laufen.

Bevor einer der Männer sie daran hindern konnte, ergriff sie Duncans vergessene Armbrust, brachte die sperrige Waffe in Stellung und richtete sie durch eine der Öffnungen in den Zinnen auf die Angreifer am Fuß der Burg.

»Kenneth MacKenzie«, schrie sie den Männern unten zu, »ich fordere Euch auf, Euch mir zu zeigen!«

»Lasst das, Mylady, sonst werden sie Euch töten.« Sir Marmaduke schlang von hinten die Arme um sie und begann sie von der Mauer wegzuziehen.

Linnet ließ die Armbrust fallen, griff nach einem der Steinquader und klammerte sich daran fest, während Pfeile durch die Öffnungen neben ihnen und über ihre Köpfe pfiffen und mit dumpfen Schlägen gegen die Burgmauer hinter ihnen prallten.

»Lasst sie in Ruhe«, erhob sich eine tiefe Stimme von der zerklüfteten Uferlinie unterhalb der Burgmauern. Und bei diesen Worten hörten alle Kämpfe auf.

Ein einzelner brennender Pfeil fiel noch klappernd neben Linnet auf den Boden, dann entstand eine unheimliche Stille unter den Männern am Fuß der Burg und auf den Wehrgängen. Für eine lange Weile war nichts anderes zu hören als das Heulen des Windes auf den Zinnen und das rhythmische Schwappen der Wellen gegen die ausgezackten Felsen, die den Fuß des Turmes säumten.

»Lasst die Dame vortreten und sagen; was sie mir zu sagen hat«, rief die Stimme wieder.

»Hört nicht auf ihn, das ist Wahnsinn«, flüsterte Marmaduke ihr zu. »Er würde nichts lieber tun, als Euch zu töten.«

»Beim Blute Christi!«, fuhr ihr Ehemann sie an, und seine blutigen Finger krallten sich um ihren Arm. »Du gehst sofort hinein«, befahl er und zerrte mit solcher Kraft an ihrem Arm, dass er sie losriss von dem Stein und aus dem festen Griff des Sassenachs.

»Lass mich in Ruhe!«, kreischte sie, Kenneths Worte imitierend ohne dass es ihr bewusst war. Duncans Hände waren glitschig durch das Blut daran, und sie nutzte ihren Vorteil und wand sich mühelos aus seinem Griff. »Ich weiß, was ich tue«, keuchte sie und stürzte sich auf die Armbrust, die an der Mauer lehnte.

»Haltet sie fest!«, schrie ihr Ehemann den Männern zu, die ihr am nächsten waren.

»Bleibt zurück!«, warnte Linnet, als sie sie langsam zu umkreisen begannen. Dann, mit vorgetäuschter Fügsamkeit, bückte sie sich, als wollte sie die Falten ihres Umhangs ordnen. Stattdessen zog sie aber ihren Dolch. Ihn ruhig an ihre Kehle haltend, sagte sie: »Glaubt ja nicht, ich würde ihn nicht benutzen. Ich möchte mit dem Halbbruder meines Gatten reden, und niemand wird mich daran hindern, es zu tun.«

Gemurmelte Flüche und ärgerliches Brummen war die Antwort, aber die Männer, Duncan und Marmaduke mit eingeschlossen, blieben, wo sie waren.

Ohne den Kreis grimmig dreinschauender MacKenzie-Krieger aus den Augen zu lassen, legte sie ihren Dolch auf die nächstliegende Zinne. Dann bedachte sie die Männer mit einem finsteren Blick. »Diejenigen von euch, die mich Robbie im Messerwerfen unterrichten sahen, wissen, wie schnell ich mit dem Dolch bin. Zwingt mich nicht, es euch noch einmal zu zeigen.«

Als sie nichts erwiderten, nickte sie und hob die Armbrust. »Ich bin hier«, rief sie dem großen Mann zu, der unten stand und mit seinen breiten Schultern und seiner arroganten Haltung nicht zu übersehen war, zwischen seinen Männern, die sich noch immer unter dem Schutz ihrer umgedrehten Ein-Mann- Boote verbargen.

Sie starrte zu ihm herab und wünschte inständig, sie könne ihn mit der Hitze ihres Blicks in Flammen aufgehen lassen.

Selbst aus dieser Entfernung sah er ihrem Mann so verblüffend ähnlich, dass es pure Willenskraft war, was sie daran hinderte, einen Blick über die Schulter zu werfen, um sicherzugehen, dass Duncan noch hinter ihr stand und nicht irgendwie aus der Burg und nach draußen gelangt war.

Aber sie hegte nicht den geringsten Zweifel, dass ihr Mann den Wehrgang nicht verlassen hatte. Sie konnte seinen wutentbrannten Blick in ihrem Rücken spüren.

So wie sie auch das verduzte Lächeln spüren konnte, das sein abscheulicher Halbbruder ihr schenkte. Linnet erschauderte und wappnete sich gegen seine beunruhigende Ähnlichkeit mit Duncan. Der grünlich-schwarze Schimmer, den sie an jenem längst vergangenen Tag in dem Eibenwäldchen um ihn gesehen hatte, flackerte für einen Moment lang wieder auf und rief ihr in Erinnerung, was für eine Art von Mensch er wirklich war.

Wieder erschauderte sie und musste sich zwingen, ihre Hände auf der Armbrust ruhig zu halten.

»Ich bin hier, Kenneth MacKenzie«, wiederholte sie, »um Euch und Eure Männer aufzufordern, diesen Ort hier zu verlassen.« Sie hielt inne, um die Armbrust mit dem Fuß zu spannen. »Wenn Ihr es nicht tut, schieße ich einen Bolzen aus dieser Armbrust in Euer hübsches Knie, und Eure Männer können Euch dann wegtragen.«

Kenneth neigte den Kopf und lächelte noch breiter. Eine Windbö trug das höhnische Gelächter seiner Männer hinauf zu Linnet und den anderen, die oben auf den Zinnen standen.

»Sagt Euren Männern, sie sollen aufhören zu lachen - oder habt Ihr diesmal andere Briganten mitgebracht als jene, die bei unserer ersten Begegnung bei Euch waren?«, erkundigte sie sich spöttisch.

Kenneth hob eine Hand, und seine Männer schwiegen. »Sie lachen nicht über Euch, Mylady«, rief er, und seine tiefe, volltönende Stimme war Duncans so unfassbar ähnlich, dass ihr graute. »Sie -wir-finden es lustig, dass mein Bruder sich hinter Euren Röcken versteckt.«

Hinter ihr brüllte Duncan fast vor Wut. Linnet hörte Gerangel hinter sich und wusste, dass seine Männer ihn festhielten. Der Sassenach ermahnte ihn mit leiser Stimme: »Sei still, du Narr. Das sagt er doch nur, um dich in Wut zu bringen. Er will, dass du dich sehen lässt, damit einer seiner Kumpane dich umlegen kann, bevor du auch nur deinen Bogen straffen könntest.«

»Mein Mann ist nicht hier«, entgegnete Linnet mit fester Stimme, obwohl ihr Herz wie wild zu hämmern begann bei der Lüge. Sie hörte Duncan fluchen, dann erstarb der finstere Fluch so jäh, als hätte ihm jemand eine Hand über den Mund gelegt, um ihn zum Schweigen zu bringen.

»Er ist schwer verwundet, und seine Männer haben ihn hinuntergebracht«, redete sie weiter, aus Angst, sich als Lügnerin zu erkennen zu geben, wenn sie mit der Unwahrheit zu lange zögerte.

»Das ist aber wirklich jammerschade«, entgegnete Kenneth mit falscher Freundlichkeit, und wieder neigte er den Kopf.

»Kenneth MacKenzie«, fuhr sie fort, »Ihr behauptet, ein ritterlicher Mann zu sein. Werdet Ihr es mir beweisen, indem Ihr einräumt, dass es, als Herrin dieser Burg und nachdem mein Mann verwundet wurde, meine Pflicht ist, diese Mauern zu verteidigen?«

Sein Missfallen stieg auf wie eine dunkle Wolke und schlug ihr in großen Wellen entgegen. Er starrte zu ihr auf, die Hände in die Hüften gestützt, und machte schließlich eine spöttische Verbeugung. »Ich gestehe es Euch zu, Mylady. Unter einer Bedingung.«

»Ich handele nicht mit Euch«, entgegnete Linnet und legte einen Pfeil ein, während sie sprach. »Verschwindet von hier und kehrt nie wieder.«

Ohne seinen Blick von ihr zu lösen, stellte Kenneth seinen rechten Fuß auf einen nahen Felsen. »Und wenn ich es nicht tue, werdet Ihr mein Knie zerschmettern?«

»Das sagte ich bereits.«

»Euer Mut beeindruckt mich, Mylady, aber ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, dass eine Frau mit einer Armbrust umgehen kann.« Er tätschelte sein Knie und lächelte wieder. »Oder zumindest nicht mit der Zielgenauigkeit, die Ihr behauptet zu besitzen.«

Linnet sagte nichts und zielte.

»Einen Dolch zu schleudern, ist ein Zigeunertrick«, reizte er sie weiter. »Als Heilerin und Seherin ist es nicht überraschend, dass Ihr eine solche Fähigkeit besitzt. Aber mit der Waffe eines Mannes umgehen zu können...« Er brach ab und lachte. »Nein, das glaube ich nicht.«

Linnet bewahrte Schweigen, und ihre Finger glitten zu dem Hebel unter dem Querbalken der Armbrust.

»Schickt meinen Sohn heraus, und ich werde Euch in Ruhe lassen.« Jegliche Heiterkeit war nun aus seiner Stimme verschwunden. »Mein Anspruch auf diese Burg kann noch ein Weilchen warten.«

Ärgerliches Gemurmel erhob sich unter den Männern hinter Linnet, höhnisches Gelächter ertönte von den anderen unten.

»Ihr könnt auf gar nichts Ansprüche erheben«, rief Linnet, als ihre Finger den Hebel fanden. »Weder auf den Jungen noch auf diese Mauern. Ich fordere Euch noch einmal auf, mit Euren Leuten zu verschwinden.«

»Ich glaube nicht, dass wir das tun«, war Kenneths Antwort.

»Das werden wir ja sehen«, murmelte Linnet und betätigte den Hebel.

Ein scharfer Schmerzensschrei zerriss die Nacht. Unter den Beifallrufen von Duncans Männern lehnte Linnet die Armbrust an die Wand und lächelte zufrieden, obgleich der Pfeil sein Ziel verfehlt hatte.

Statt Kenneths Knie zu treffen, hatte er sich tief in den Schenkel dieses Ungeheuers gebohrt.

 

»Eins schwöre ich dir, Frau: Falls du je wieder wagen solltest, mir den Gehorsam zu verweigern, lege ich dich übers Knie und versohle dir den nackten Po vor allen meinen Männern!«, fauchte Duncan, als seine Frau mit irritierender Gelassenheit fortfuhr, ihn mit der Behandlung seiner Wunden zu martern und zu quälen.

Ohne ihn zu beachten, setzte sie gelassen ihre Arbeit fort. Selbst seine Männer schienen vergessen zu haben, wem sie Treue schuldeten, stellten sich taub für seine Einwände und hielten ihn rücksichtslos auf einem seiner eigenen Tische in der Halle fest.

»Herrgott noch mal, sei vorsichtig!«, jammerte er, als Linnet ihre teuflische Klinge tief in seinen verletzten Oberschenkel bohrte. »Willst du beenden, was Kenneth und seine Bande begonnen, aber nicht geschafft haben?«

»Deine Frau versucht nur, dir zu helfen, mein Freund«, tadelte ihn Sir Marmaduke. Der englische Flegel lehnte an einem nahen Tisch, die Arme selbstgefällig vor der Brust verschränkt.

Duncan blickte ihn finster an, aber er hob nur seinen Zinnkrug zu einem spöttischen Toast und nahm dann ruhig einen tüchtigen Schluck Bier daraus.

»Hättest du auf uns gehört, als wir dich baten, von den Zinnen zu verschwinden, hättest du jetzt erheblich weniger Wunden, die versorgt werden müssen.«

»Denkst du?« Duncans Ärger wuchs. Der hässliche Schurke von seinem Schwager hatte nicht einmal einen Kratzer abbekommen.

»Ich brauche es nicht zu denken. Ich weiß, dass es so ist.«

»Gibt es eigentlich irgendwas, was du nicht wei...«, fauchte Duncan und unterbrach sich jäh, als Linnets Klinge sich noch tiefer in sein zerrissenes Fleisch bohrte.

Sir Marmaduke zuckte mit den Schultern und trank einen weiteren Schluck Bier.

»Haltet still, Mylord«, murmelte Elspeth beruhigend und reinigte mit einem kühlen, feuchten Leintuch eine Platzwunde an Duncans Schläfe.

»Wenn du den Wein getrunken hättest, den wir dir vergeblich einzuflößen versucht haben«, meldete sich Fergus vorwurfsvoll vom anderen Ende des Tischs, »wären die Schmerzen jetzt leichter zu ertragen, Junge.«

»Ich habe keine Schmerzen«, knurrte Duncan mit einem wütenden Blick den langen, schmalen Tisch hinunter.

»Ach ja?«, versetzte der alte Seneschall, völlig ungerührt von Duncans wildem Blick.

Dann packte er noch fester Duncans Knöchel. »Wenn das stimmt, warum brauchen wir dann sechs unserer stämmigsten Männer, um dich hier festzuhalten?«

Duncan öffnete schon den Mund zu einer passenden Antwort, schloss ihn aber wieder und zuckte zusammen, als die Spitze von Linnets Dolch ganz unerwartet über seinen Oberschenkelknochen scharrte.

»Seid ihr verrückt geworden?«, brüllte er, sich aufbäumend, um den unerbittlichen Händen seiner Männer zu entkommen. »Lachlan«, rief er, »bring mir jetzt sofort den Wein!«

Der Knappe eilte an seine Seite, einen großen irdenen Krug in seinen Händen. »Gib Elspeth den Wein«, befahl Linnet dem Knappen, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. »Und dann halt seinen Kopf hoch, damit sie ihm beim Trinken helfen kann.«

Darauf sah Lachlan ihn an und runzelte besorgt die Stirn.

»Tu, was sie sagt«, zischte Duncan zwischen zusammengebissenen Zähnen.

Sofort gab der Knappe den Krug weiter.

Einen Moment darauf floss der starke, einschläfernde Wein durch seine Kehle. Erst als er den gesamten Krug geleert hatte, ließ Elspeth seinen Kopf vorsichtig wieder auf das Kissen sinken.

»Ich hätte gern noch mehr«, sagte Duncan und stieß einen zufriedenen Seufzer aus.

Aber nicht, ohne Fergus vorher mit einem finsteren Blick bedacht zu haben, damit er ja nicht auf die Idee kam, eine weitere seiner spitzen Bemerkungen loszulassen.

Er war schließlich der Gutsherr hier, und er würde so viel Wein trinken, wie er wollte.

So viel er brauchte, um den Schmerz zu dämpfen.

Einige Stunden später, schien es, und nur die heiligen Apostel wussten, nach wie vielen Krügen Wein, erwachte Duncan wieder. Durch einen Nebel von Schmerz blickte er auf zu seiner Frau.

Sie stand über ihn gebeugt und betrachtete ihn, und ihm gefiel der besorgte Ausdruck, der ihre bernsteinfarbenen Augen trübte, gar nicht. Und auch nicht die scharfen Linien, die Anspannung und Erschöpfung in ihr reizendes Gesicht gegraben hatten.

Aber vor allem gefiel ihm nicht, wie sie ihn ansah.

Es bedeutete nichts Gutes.

Für ihn.

»Hast du immer noch nicht genug davon, mit deiner verdammten Klinge in meinem Bein herumzustochern? Wie lange willst du mich noch so hier liegen lassen, splitternackt und eingepackt in Leintücher wie ein aufgebahrter Leichnam ?«, erkundigte er sich griesgrämig, aber insgeheim schockiert über den krächzenden, gebrochenen Tonfall seiner Stimme.

Statt zu antworten, warf Linnet seinem Schwager einen besorgten Blick zu. Dieser besserwisserische Flegel stand neben ihr und starrte ihn genauso eigenartig an wie sie.

»Nun?«, fauchte Duncan ungehalten. »Stellt meine Geduld nicht auf die Probe, denn ich habe nicht mehr viel davon.«

»Deine Frau und Elspeth haben großartige Arbeit geleistet, mein Freund«, antwortete Sir Marmaduke an ihrer Stelle. »Sie haben die meisten deiner Wunden gereinigt und verbunden. Gottlob haben sie es auch geschafft, all die winzigen Metall-, Stoff-und Lederteilchen zu entfernen, die sich tief in deine Wunden eingegraben hatten. Das müsste dir eine Infektion ersparen.«

Duncan konzentrierte sich auf ein einziges Wort der scheinheiligen kleinen Rede seines Schwagers. »Wie meinst du das, die meisten meiner Wunden?«

»Wir konnten nicht den Pfeil aus deinem Arm herausziehen«, sagte seine Frau, deren sanfte, weiche Stimme in auffallendem Kontrast zu der Unruhe in ihren Augen stand. »Es zu tun, hätte mehr Schaden angerichtet, als bereits geschehen ist.«

Mühsam hob Duncan seinen Kopf und warf einen Blick auf seinen linken Arm. Tatsächlich, der Schaft des Pfeils ragte noch aus seinem Arm, und die Haut um die Stelle, wo er eingetreten war, sah geschwollen aus und stark gerötet.

»Du wirst ihn auf der anderen Seite herausziehen müssen«, sagte er und spürte, wie sich sein Magen umdrehte bei der Vorstellung.

Linnet nickte ernst. »Das wird schmerzen.«

Duncan ließ den Kopf auf das Kissen zurückfallen. »Für wie dumm hältst du mich?«, keuchte er, geschwächt von der Anstrengung, den Kopf hochzuhalten. »Ich weiß, dass es wehtun wird. Bringen wir es hinter uns.«

»Aye, das müssen wir«, stimmte sie zu. »Die Haut um den Schaft sieht nicht gut aus. Die Wunde wird möglicherweise nicht so sauber heilen, wie wir es uns wünschen würden.«

Duncan sog durch zusammengebissene Zähne scharf den Atem ein. Allein das Reden darüber, was getan werden musste, verzehnfachte den pochenden Schmerz in seinem Arm. »Bringen wir es hinter uns«, knurrte er.

Linnet biss sich auf die Unterlippe und nickte grimmig. Wieder glitt ihr Blick zu dem Sassenach. Dieser neigte zustimmend den Kopf und befahl den Männern, die noch immer um den Tisch versammelt waren, ihren Herrn gut festzuhalten.

Dann nahm Linnet eine von Duncans Händen und verschränkte ihre Finger mit seinen. Als Sir Marmaduke seine große Hand um Duncans Oberarm schloss und mit der anderen den Schaft des Pfeils ergriff, schloss Duncan die Augen.

»Es tut mir Leid, mein Freund«, hörte er den Engländer noch sagen... dann fingen Duncans Eingeweide Feuer, und vor seinen Augen wurde alles schwarz.

»Gott sei Dank, er ist ohnmächtig geworden«, wisperte Lin-net und umklammerte die Hand ihres Mannes, als sie sie in ihrer erschlaffen fühlte. Sie wandte das Gesicht von dem blutigen Pfeil ab, den Sir Marmaduke gerade durch Duncans Arm gestoßen hatte, und ihr Atem kam in schnellen, kleinen Stößen, als sie gegen die Übelkeit ankämpfte, die in ihr aufgestiegen war.

Am Kopfende des Tisches murmelte Elspeth beruhigende Worte und drückte ein weiteres feuchtes Tuch auf Duncans Stirn. Zu Linnet aufschauend, sagte sie: »Wir werden das zerfetzte Fleisch gründlich reinigen und eine deiner warmen Schafgarbe-Packungen auflegen müssen, bevor wir seinen Arm verbinden.«

Sie hielt einen Moment inne, um das feuchte Tuch umzudrehen, das sie gegen Duncans Stirn drückte. »Fühlst du dich in der Lage, mitzuhelfen, Kind, oder soll ich ihn allein versorgen?«

Linnet straffte ihre Schultern und biss sich auf die Unterlippe, um ihr Zittern zu verbergen. Bisher war es ihr gelungen, nicht eine einzige Träne zu vergießen, die ganze langen Nacht nicht, während sie ihren Mann und seine verwundeten Leute versorgt hatte.

Sie hatte Wunden gereinigt und genäht und Breiumschläge aufgelegt, den Männern stärkende heiße Brühe eingeflößt und zahllosen erschöpften MacKenzies etwas von ihren schmerzstillenden Tinkturen gegeben. Und die ganze Zeit über hatte sie nicht ein einziges Mal ihrem eigenen Bedürfnis nachgegeben, sich einfach neben den arg zugerichteten Körper ihres Ehemanns zu legen und ihm mit ihrer Umarmung Trost zu spenden.

Einmal oder zweimal war sie zu ihrem Zimmer hinaufgelaufen, um nach Robbie zu sehen. Zum Glück schlief der Junge tief und fest hinter den Vorhängen des breiten Betts, das sie mit Duncan teilte. Und zu ihrer immensen Erleichterung, obwohl sie wusste, dass das ein bisschen töricht war, stand der stumme Riese, Thomas, noch immer Wache vor der Tür.

Aye, irgendwie hatte sie es durchgestanden. Es war ihr sogar gelungen, ein schwaches Lächeln für die unverletzten Krieger zu erübrigen, die Bier trinkend zusammengesessen und mit dem hastigen Abzug Kenneths und seiner Briganten geprahlt hatten. Die waren, unmittelbar nachdem der Pfeil aus Linnets Armbrust den Oberschenkel ihres Anführers getroffen hatte, in ihren kleinen Booten im dichten Nebel untergetaucht.

Sie konnte ihre Schadenfreude sehr gut nachempfinden. Auch sie hatte große Genugtuung empfunden, als sie Kenneth auf ein Boot zuhinken sah, das einer seiner Männer für ihn bereitgehalten hatte. Aber sie konnte nicht mit ihnen lachen und prahlen, solange noch so viel zu tun blieb - während noch so viele Männer in der großen Halle lagen, die sich vor Schmerzen wanden und stöhnten, bis ihre Stimmen zu heiser waren, um etwas anderes zu tun, als still zu liegen und mit schmerzerfülltem Blick zu allen aufzustarren, die an ihnen vorübergingen.

Und im Laufe dieser ganzen langen Nacht hatte sie nicht eine einzige Träne vergossen.

Und würde es auch jetzt nicht tun.

Nicht, solange ihr Ehemann sie brauchte.

Aber der Himmel wusste, wie gern sie es getan hätte.

Es war unausdenkbar für sie, was geschehen wäre, wenn Duncans Verletzungen noch ernsterer Natur gewesen wären. Wenn er ihr genommen worden wäre. Eine Gänsehaut überzog ihre Arme, und ein heftiges Erschaudern packte sie bei dem Gedanken.

Sie durfte ihn nicht verlieren ... nicht jetzt. Nicht nachdem sie begonnen hatte, ihn zu mögen.

Trotz seiner schroffen, ungeschliffenen Art.

Nicht nachdem sie sich so sehr in ihn verliebt hatte.

So sehr, dass auch sie lieber gestorben wäre, als ohne ihn zu leben.

»Linnet?«

Sie fuhr zusammen; Elspeths Stimme brachte sie wieder in die Gegenwart zurück. »Aye?«, fragte sie, während sie sich blinzelnd zu der alten Dame umwandte.

»Du hast geträumt«, bemerkte Elspeth. »Ich habe den Arm deines Mannes gereinigt, und sein Knappe hat die letzten deiner Breiumschläge geholt - kannst du sie auflegen und die Wunde verbinden, oder soll ich es tun? Vielleicht wäre es das Beste, wenn du nach oben gehst und ein paar Stunden schläfst.«

»Nein.« Linnet schüttelte den Kopf. »Ich kümmere mich selbst um ihn.« Widerstrebend ließ sie Duncans Hand los und nahm die aufgewärmte Breipackung, die Lachlan vorbereitet hatte. So sanft wie möglich trug sie sie auf Duncans linken Oberarm auf und befestigte sie mit einem sauberen Verband.

»Danke, Lachlan«, sagte sie, als sie Duncans frisch verbundenen Arm behutsam auf den Tisch legte. »Wir werden all seine Wunden neu verbinden, bevor er erwacht.«

Der Knappe nickte zustimmend. »Kann ich sonst noch etwas tun, Mylady?«

»Aye.« Linnet berührte flüchtig seinen Arm. Er zitterte, und sie sah, dass sein Gesicht noch immer eine ungesunde Blässe zeigte. »Du kannst dich ausruhen.«

Dann wandte sie sich ab, bückte sich und nahm eine kleine Flasche aus ihrer Kräutertasche. »Ich werde meinem Mann jetzt etwas mit Baldrian vermischten Wein zu trinken geben. Es wird ihm helfen, bis morgen durchzuschlafen, oder vielleicht sogar noch länger. Du kannst seinen Kopf anheben, das wird es mir erleichtern, ihm das Mittel einzuflößen.«

Sie hielt inne und strich mit dem Handrücken leicht über die kalte Wange des jungen Mannes. »Und ich möchte, dass du dann auch ein Schlückchen davon trinkst.«

Lachlan errötete und nickte wieder. »Ich danke Euch, Mylady.«

Mit Lachlans und Sir Marmadukes Hilfe gelang es Linnet, Duncan einen ordentlichen Schluck des Weins einzuflößen. Und glücklicherweise rührte er sich nicht einmal dabei, sondern schlief ruhig weiter.

Sir Marmaduke sah sie an, sein gesundes Auge voller Sorge. »Mylady, Ihr habt getan, was Ihr konntet heute Nacht, und noch viel mehr. Ihr habt Euch meinen tiefsten Respekt und meine Bewunderung verdient.« Sanft legte er eine Hand auf ihre Schulter. »Es ist nicht mehr weit bis zur Morgendämmerung, und da Ihr Lachlan fortgeschickt habt, um sich auszuruhen, würde ich empfehlen, dass wir es ihm nachtun und uns auch ein bisschen Ruhe gönnen.«

Linnets Blick glitt zurück zu ihrem Ehemann, dessen Körper bis auf die Verbände noch halb nackt war. Er schlief tief und fest, das erkannte sie am gleichmäßigen Heben und Senken seiner Brust, und hin und wieder vernahm sie sogar ein leises Schnarchen von ihm.

Aber sie wollte ihn trotzdem nicht allein lassen.

Der Sassenach drückte beruhigend ihre Schulter. »Ich halte es für das Beste, ihn liegen zu lassen, wo er ist. Wir würden ihm keinen Gefallen tun, wenn wir ihn wecken, indem wir versuchen, ihn woanders hinzubringen.«

»Aber...«

»Macht Euch keine Sorgen, Mylady, ihm wird nichts geschehen«, versicherte er ihr und wischte mit dem Daumen eine Träne ab, die sich aus ihrem Augenwinkel gelöst hatte. »Er ist viel zu stur, um nicht wieder gesund zu werden.«

Linnets Kehle war so eng, dass sie nichts darauf erwidern konnte, aber sie schenkte ihm ein unsicheres Lächeln zum Zeichen ihrer Dankbarkeit.

»Fergus und seine Dame werden bald mit den Wolldecken zurückkommen, die Ihr verlangt habt. Sie werden Duncan und den anderen Verwundeten ein bequemes Nachtlager bereiten. Mehr könnt Ihr heute Nacht nicht tun. Duncan würde wollen, dass Ihr Euch jetzt ausruht.«

Er trat zurück und bot ihr seinen Arm. »Kommt, ich begleite Euch zu Eurem Zimmer.«

Nach einem letzten besorgten Blick auf ihren schlafenden Mann hakte Linnet sich bei dem Sassenach unter und ließ sich von ihm aus dem Saal führen. Als sie ihr Zimmer erreichten, öffnete Thomas rasch die Tür für sie, doch bevor sie eintreten konnte, hielt Sir Marmaduke sie am Arm zurück.

»Möchtet Ihr, dass ich am Feuer sitze, während Ihr schlaft?« Das flackernde Licht einer nahen Wandfackel ließ einen besorgten Ausdruck auf seinem entstellten Gesicht erkennen.

»Das ist sehr freundlich von Euch, aber ich komme schon zurecht«, lehnte Linnet ab und gestand sich nun endlich ein, wie müde sie war. Sie wollte nur noch in ihr Bett kriechen, Robbie in ihre Arme schließen und in einen tiefen Schlaf versinken, der sie all die schrecklichen Geschehnisse des Tags vergessen ließ.

»Seid Ihr sicher?«

»Aye.«

»Wie Ihr wünscht, Mylady.« Sir Marmaduke nickte respektvoll und ließ sie dann allein.

Sie sah ihm nach, als er sich entfernte, wünschte dem jungen Thomas eine gute Nacht und betrat ihr Zimmer, dessen Tür sie sorgfältig von innen verriegelte.

So müde, dass sie fast im Stehen einschlief, bog sie ihren Rücken durch und streckte ihre schmerzenden Arme über ihren Kopf.

Dann durchquerte sie den Raum und zog die Bettvorhänge zurück.

Robbie war nicht da!

Und ein lächelnder Mann lag an seiner Stelle auf dem Bett.

Bevor Linnet schreien konnte, wurde sie von hinten von einem harten Arm gepackt, und eine übel riechende Hand presste sich auf ihren Mund und erstickte jegliches Geräusch, das sie vielleicht von sich gegeben hätte.

»Guten Morgen, meine Schöne«, begrüßte Kenneth sie gedehnt vom Bett. »Ich dachte schon, Ihr würdet nie erscheinen.«