5

 

Es ging schon auf Mitternacht zu, als Linnet unruhig ihr Gemach durchschritt, nackt bis auf das Leinenlaken, das sie vom Bett gezogen und in das sie sich eingehüllt hatte wie in ein Leichentuch.

In einiger Entfernung, selbst durch die schwere Eichentür, konnte sie die sich entfernenden Schritte ihrer neuen Clanangehörigen vernehmen, die geräuschvoll in die Halle zurückkehrten, nachdem sie Linnet und ihren Mann ohne große Umschweife ausgezogen und aufs Bett gelegt hatten.

Ihre Wangen brannten vor Empörung über die Art, wie die ungebärdigen Feiernden sie fröhlich ihrer Gewänder beraubt hatten.

Zu ihrer Bestürzung hatte sogar Elspeth sich daran beteiligt, sie unter ihre Fittiche genommen wie eine Mutterhenne und Linnet ruhig daran erinnert, dass der Brauch es so vorschrieb, während sie ihr ein Kleidungsstück nach dem anderen ausgezogen hatte - und ihr nicht einmal ihr Unterhemd gelassen hatte!

Linnets Protest ignorierend, hatte ihre geliebte alte Amme sie ausgezogen, bis sie vollkommen unbekleidet und ungeschützt war wie am Tag ihrer Geburt.

Ungeschützt und ausgeliefert.

Elspeth hatte sogar Linnets geliebten arisaid mitgenommen, als sie den Raum verlassen hatte. Jemand hatte auch die große Truhe mit Linnets neuen Gewändern abgeschlossen.

Nicht, dass es außer den Wänden und den wenigen Möbelstücken jemand bemerkt hätte, denn ihr Mann schien in einen tiefen Schlummer gesunken zu sein, kaum dass sein dunkles Haar das Kopfkissen berührte.

Trotzdem war es ziemlich ärgerlich, in einem Zimmer eingeschlossen zu sein, ohne einen Fetzen Stoff am Leib und mit einem Mann, der genauso unbekleidet war.

Und ihr war auch kalt.

Eiskalt.

»Habt Ihr vor, die ganze Nacht lang hin und her zu laufen?«, ertönte die tiefe Stimme ihres Mannes aus dem Bett, was sie so erschreckte, dass sie fast das Laken hätte fallen lassen, das sie vor ihrer Brust zusammenraffte. »Ihr macht mehr Krach als meine Männer unten.«

»Ich bewege mich, um mich warm zu halten, Sir«, fauchte Linnet, erbost über die Art, wie ihr Herz auf seinen Anblick reagierte, als er sich im Bett aufsetzte und sie seine nackte Brust sah, die kraftvoll war und muskulös. Zu spät wünschte Linnet jetzt, sie hätte die Bettvorhänge zugezogen und all diese männliche Pracht vor ihrer Sicht versteckt!

Er sah ... fabelhaft aus.

MacKenzie oder nicht.

Kaltherzig oder nicht.

»Schade, dass keiner Eurer Männer daran gedacht hat, das Feuer zu schüren«, bemerkte sie spitz und zog das Laken noch fester über ihre Brüste. »Aber sie waren wohl zu sehr damit beschäftigt, uns zu entkleiden, um an solch unbedeutende Dinge wie unsere Bequemlichkeit zu denken.«

Sie bedauerte ihre scharfen Worte, kaum dass sie über ihre Lippen waren, denn ihr Mann schlug die Decke zurück und stieg aus dem Bett. »Dann werde ich es tun.«

Atemberaubend schön wie ein lebendig gewordener heidnischer Fruchtbarkeitsgott, schritt Duncan durch das Zimmer, so unbefangen in seiner Nacktheit, wie sie sich ihrer eigenen wegen unbehaglich fühlte.

Das Licht einer Reihe hoher Talgkerzen ließ seine Haut schimmern und warf tanzende Schatten auf seinen muskulösen Rücken, als er sich vor dem Kamin hinkniete.

Wie eine liebeskranke Maid aus einer französischen Novelle starrte sie hilflos seinen edlen Körper an, und je länger sie ihn anstarrte, desto wilder schlug ihr Herz.

Dann, als wollten die Engel ihr die Peinlichkeit ersparen, von ihm ertappt zu werden, während sie ihn so schamlos anstarrte, fuhr ein Windstoß durch das offene Fenster herein, löschte die Kerzen und tauchte den Raum in Dunkelheit.

Der salzige Duft des Meers und die ausgeprägteren Gerüche einer feuchten Nacht lagen schwer in der Luft, während Linnet reglos dastand und darauf wartete, dass ihre Augen sich an die jähe Finsternis gewöhnten.

Sie fuhr fast aus der Haut, als starke, warme Finger sich um ihren Ellbogen schlossen und etwas sogar noch Wärmeres, nein, Heißes, einen flüchtigen Moment lang ihre Hüfte streifte.

Ihr stockte der Atem bei diesem vorübergehenden Kontakt. Es war dieser Teil von ihm, sie war sich dessen völlig sicher.

Was sonst hätte sie beinahe versengen können durch das Laken, das sie mehrfach um ihren Körper geschlungen hatte?

Was sonst könnte dieses Prickeln ausgelöst haben, das sie bis in ihre Zehen spürte?

Was hätte es anderes sein können als dieser geheimnisvolle männliche Körperteil von ihm, den er ihr vorzuenthalten beschlossen hatte?

»Kommt«, sagte er so dicht an ihrem Ohr, dass sein Atem ihre Wange wärmte. »Ich führe Euch zum Bett«, fügte er hinzu, mit einer Stimme, die ruhig klang und fest... normal.

Als hätte er nicht gemerkt, welcher Körperteil von ihm sie gerade eben so intim berührt hatte.

Oder, was der Wahrheit vielleicht näher kam, es kümmerte ihn schlicht und einfach nur nicht.

Linnet entzog ihm ihren Arm. »Ich kann noch nicht schlafen.«

»Und ich auch nicht, wenn Ihr nicht aufhört, hier herumzupoltern«, brummte Duncan, indes er wieder ihren Arm ergriff und sie an sich heranzog.

Linnet bohrte ihre Fersen in die Binsenstreu auf dem Fußboden. »Dann setze ich mich in den Sessel am Kamin.«

»Herrgott noch mal, Mädchen, es ist kalt, ich bin müde, und ich habe Kopfschmerzen. Mir reicht s für heute.« Er zog sie zum Bett hinüber und schlug die Decke zurück. »Legt Euch hin. Ich werde Euch nicht anrühren, falls es das ist, worüber Ihr Euch Sorgen macht.«

Seine schroffen Worte verstimmten sie, aber sie stieg ins Bett, wo sie rasch zur anderen Seite hinüberrutschte und die Decke bis unter das Kinn hinaufzog.

Sie war überrascht, als er, anstatt ins Bett zu gehen, zu der gegenüberliegenden Wand hinüberging und einen der Gobelins abhängte. Während sie zusah, breitete er den schweren Stoff auf dem Boden aus und begann ihn aufzurollen.

»Was ... was tut Ihr da?«, fragte Linnet vom Bett, obwohl seine Absichten demütigend offensichtlich wurden, als er die steife Rolle zu ihr hinübertrug und sie in die Mitte des breiten Bettes legte.

»Nichts weiter, als mir eine ungestörte Nachtruhe zu garantieren«, erwiderte er und streckte sich dann auf dem Bett aus ... auf der anderen Seite der Barriere. »Nach heute Nacht werde ich in meinem eigenen Zimmer schlafen, dann seid Ihr ungestört.«

Linnet kam sich schrecklich abgekanzelt vor und so unbedeutend, als hätte er ihr soeben mitgeteilt, er fände sie nicht reizvoller als eine graue Maus. Steif und reglos blieb sie liegen, weil sie befürchtete, die kleinste Bewegung oder das leiseste Geräusch könnten seine schlechte Laune noch verschlimmern.

Du lieber Himmel, dachte er etwa, sie würde während der Nacht über ihn herfallen?

Wenn sie doch nur den Mut hätte, zu fliehen.

Das Zimmer zu verlassen und woanders Unterschlupf zu suchen.

Sie würde es auch tun, wenn der Junge nicht wäre.

Ihm zuliebe jedoch blieb sie reglos liegen und wagte nicht einmal, tief durchzuatmen, um ihren Ehemann nicht zu stören.

Wenn sie Robbie helfen wollte, musste sie versuchen, wenigstens eine halbwegs freundschaftliche Beziehung zu seinem Vater zu erreichen.

Selbst wenn es bedeutete, Demütigungen zu erdulden wie das Wissen, dass er vermutlich lieber mit einem Schaf ins Bett ginge als mit ihr.

Aye, ihre eigenen Gefühle spielten keine große Rolle.

Außerdem war es nichts Neues für sie, ungeliebt zu sein.

Aber dem Jungen zuliebe musste sie Stärke zeigen. Duncan MacKenzie konnte sie bis zu den Toren der Hölle schikanieren und noch weiter, aber sie würde ihm nicht eher sagen, was sie über Robbie wusste, bis er dem Jungen gegenüber nachgiebiger wurde.

Bis dahin würde sie sich nicht von ihrem Standpunkt abbringen lassen und ihn notfalls sogar verärgern, wenn es nicht anders ging. Seine Meinung über sie war unerheblich.

Es war der Junge, der ihn brauchte, nicht sie.

Linnet schluckte den tief empfundenen Seufzer, der sich ihren Lippen fast entrungen hätte. Würde sie ihren Mann dazu bewegen können, seinen Sohn zu akzeptieren?

Ihn dazu bringen, zuzugeben, dass er den Jungen liebte?

Bevor er die Wahrheit über seine Vaterschaft erfuhr? Ihr Mann sollte Robbie um seiner selbst willen lieben ... egal, ob er den Jungen gezeugt hatte oder nicht.

Das war das Ziel, das sie sich gesetzt hatte, aber wie konnte sie es erreichen?

Sie wusste es nicht, aber sie hatte vor, es zu versuchen. Selbst wenn der Versuch sie ihren letzten Atem kosten sollte.

Draußen erfasste der Wind einen der Fensterläden und schlug ihn mit einem solchen Knall gegen den Turm, dass er in dem düsteren Zimmer echote und widerhallte.

Linnet richtete sich erschrocken auf, war sofort hellwach und merkte, dass sie eingeschlafen sein musste, obwohl sie nicht geglaubt hatte, es zu können. Fahles Mondlicht drang durch einen offenen Fensterladen und tauchte den Raum in seinen silbrig-grauen Schein.

Sie warf einen Blick auf den Mann neben ihr, weil sie befürchtete, der laute Knall habe auch ihn geweckt, aber er schlief noch fest, und seine Atemzüge waren tief und gleichmäßig.

Tatsächlich wirkte er vollkommen entspannt und ohne jede Sorge, so wie er, in eindrucksvoller Nacktheit, ausgestreckt und scheinbar völlig unbefangen auf seiner Seite des breiten Bettes lag.

Gegen ihren eigenen Willen glitt ihr Blick zu seinem Geschlecht, das jetzt entspannt war, aber nicht weniger beeindruckend in seiner dunklen Männlichkeit. Während sie daraufstarrte, begann sich eine exquisite träge Hitze in ihr auszubreiten.

Eine quälende, pochende Hitze, die immer intensiver wurde, je länger sie ihn anschaute;

Auch ihre Wangen wurden heiß, und verlegen zwang sie sich, ihren Blick von ihm abzuwenden. Sehr langsam ebbte die pulsierende Hitze an ihrer intimsten Körperstelle ab, und die feuchte Kälte des Gemachs ergriff wieder Besitz von ihr.

Nur empfand sie jetzt auch Leere neben dieser Kälte.

Sie fühlte sich so leer und hohl, als hätte sie für einen kurzen Augenblick etwas Einzigartiges und Wunderbares in der Hand gehabt, nur damit es ihr gleich darauf wieder entrissen wurde.

Ein leises Kribbeln durchflutete sie noch, und instinktiv presste sie die Schenkel zusammen, um eine Qual zu lindern, die sie nicht verstand.

Sie wollte nichts mit solchen Empfindungen zu tun haben.

Nicht, wenn sie von einem Mann entfacht wurden, der sie nicht begehrte.

Ein Mann, den sie allein schon für seinen Namen hassen müsste, von all seinen anderen Unzulänglichkeiten ganz zu schweigen.

Zu ihrer unsäglichen Erleichterung begann Ärger nach und nach die verwirrenden Gefühle zu verdrängen, die bei der Betrachtung seines nackten Körpers in ihr erwacht waren.

Gott sei Dank schlief er noch und hatte sie wenigstens nicht dabei ertappt, wie sie ihn angestarrt hatte.

Ob er wohl gemerkt hätte, dass ihr Bauch ganz seltsam kribbelig und warm geworden war beim Anblick seiner Manneskraft, seiner unverhohlenen Männlichkeit?

Hätte er erraten können, wie sehr sie sich gewünscht hatte, die Hand nach ihm auszustrecken und ihn zu berühren?

Sie erschauderte.

Die Vorstellung, er könnte erraten, was ihr durch den Kopf ging, war schier unerträglich.

Beschämend.

Ja, sie wäre gestorben vor Beschämung.

Ein weiteres lautes Krachen schallte durch den Raum, als der Wind den offenen Fensterladen erneut gegen die Turmwand schlug. Diesmal stöhnte ihr Mann ein wenig und drehte sich auf die Seite.

Da sie nicht riskieren wollte, ihn zu wecken, verließ Linnet das Bett so vorsichtig, wie sie konnte, und schloss den losen Fensterladen. Zu ihrer Bestürzung verursachte der rostige Riegel ein lautes knirschendes Geräusch, das ein weiteres leises Stöhnen auf dem Bett bewirkte.

Linnet erstarrte und blieb reglos stehen, die Hände auf dem kalten Metallriegel, um zu warten, bis sie sicher sein konnte, dass er nicht erwacht war. Das Glück war auf ihrer Seite. Die Geräusche seines leisen Schnarchens vermischten sich bald mit dem hohlen Pfeifen des Winds, dem Prasseln des Regens und dem leisen Summen aus einem Bienennest.

Bienen?

Die Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf und sträubten sich, als jähes Unbehagen sie erfasste.

Sie hatte bisher weder eine Spinne in dem Raum entdeckt, noch hatte sie Spuren anderer Insekten oder Würmer in den Binsen auf dem Fußboden gefunden. Tatsächlich sahen sie sogar so aus, als wären sie erst vor kurzem ausgestreut worden und waren mit frischem Mädesüß gemischt.

Waren die Bienen durch das offene Fenster hereingeflogen, um dem Regen zu entkommen? Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, nahm sie das blau-grüne Plaid ihres Mannes von einem Stuhlrücken und legte es gegen die Kälte um ihre Schultern, als sie misstrauisch den Raum nach Bienen absuchte.

Ihr Blick glitt in alle Zimmerecken, aber sie sah nichts, obwohl das Summen inzwischen so laut geworden war, dass ihre Schläfen pochten.

Das Zimmer war leer.

Nichts bewegte sich außer den Schatten, die über die Wände tanzten.

Mit zunehmendem Verständnis starrte Linnet auf die seltsam langen Schatten, beobachtete, wie sie Form arm annahmen und sich in ein Kieferngehölz verwandelten.

Das Summen erreichte ein durchdringendes Niveau und tat ihr in den Ohren weh. Dann, stieg eine Nebelwolke vom Boden auf, die alles zudeckte, bis auf den Kreis aus Kiefern ... und das Bett.

Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu, ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und ihre Stirn war plötzlich übersät mit Schweißperlen. Es ist nur eine Vision, nur eine Erscheinung, sagte sie sich immer wieder, während sie sich verzweifelt an das Wissen klammerte, dass die Erscheinung jeden Augenblick wieder vergehen würde.

Das taten sie immer.

Aber diese hier war anders.

Anders, aber beängstigend vertraut.

Linnet biss sich auf ihre Unterlippe, bis sie blutete, um den Aufschrei zu ersticken, der in ihrer Kehle aufstieg. Sie durfte nicht schreien, durfte ihren Mann nicht wecken.

Sie hatte es schon schwer genug mit ihm, ohne dass er sie mitten in einem ihrer »Anfälle« erlebte, wie ihr Vater die Visionen zu nennen pflegte.

Sie biss noch fester auf ihre Unterlippe, schloss die Augen und hoffte, dass die Vision vergangen sein würde, wenn sie sie wieder öffnete. Aber der Druck in ihrem Kopf und das Summen in ihren Ohren wurden nur noch schlimmer.

Sie musste Hinsehen.

Der Albtraum würde nicht eher enden, bis sie es getan hatte.

Furcht schnürte ihre Brust zusammen und presste ihr den Atem aus den Lungen, aber sie öffnete die Augen und sandte ihren Blick in die Richtung, in die sie schauen musste.

Direkt durch den Nebel zu der reglosen Gestalt, die ausgestreckt auf ihrem Bett lag.

Die Vision dort blickte sie aus Augen an, die so voller Qual und Leid waren, dass ihr erster Anblick sie zusammenfahren ließ.

Es war der schwarze Hirsch.

Das Tier, dessen Herz herausgerissen worden war.

Blut rann über ihr Kinn, als ihre Zähne sich noch tiefer in ihre Unterlippe gruben, und erfüllte ihren Mund mit seinem blechernen, metallischen Geschmack.

Sie versuchte wegzusehen, aber es gelang ihr nicht. Wie gelähmt, gefesselt von einer weitaus stärkeren Kraft als ihrer eigenen, sah Linnet zu, wie sich das beängstigende Bild entwickelte.

Nun bewegte sich das unglückselige Wesen auf dem Bett und veränderte seine Form, wie sie es schon erwartet hatte, und vor ihren Augen wurde aus dem Hirsch der Mann.

Der Mann, dessen Identität sie heute kannte.

Ihr Ehemann.

Der Mann ohne Herz.

Und wie das Tier blickte Duncan MacKenzie sie Hilfe suchend an.

Gequälte Augen hielten sie in ihrem Bann und machten es ihr unmöglich, irgendwoanders hinzusehen.

Wie zuvor, streckte er seine blutüberstömten Hände nach ihr aus. Aber diesmal bewegte sich sein Mund und formte lautlose Worte, während sein gequälter Blick sie gefangen hielt.

»Bitte ... ich brauche...«, flehte er mit rauer, gebrochener Stimme.

Seine Qual umhüllte sie und erstickte sie in einem Würgegriff, aus dem sie sich nicht befreien konnte. Sie konnte nur reglos dastehen wie eine Statue und beten, dass die Vision bald endete, weil sie sonst vor Angst umkommen würde.

»Bitte ...«, sagte er noch einmal, aber das Wort verblasste und endete in einem rauen Seufzer.

Auch der Nebel begann sich aufzulösen. Die eben noch so dichten Schwaden zogen sich in den Fußboden zurück, von dem sie zuvor aufgestiegen waren. Und die hohen Schatten an den Wänden waren wieder nichts als das, nur Schatten.

Der kleine dunkle Wald, den sie soeben noch gesehen hatte, war verschwunden.

Sie hörte noch das Summen, aber auch das ließ mit der Rückkehr der normalen nächtlichen Geräusche nach: dem leisen Prasseln des Regens gegen die geschlossenen Fensterläden und dem Seufzen des Winds, der das unheimliche Summen vertrieb, das derartige Visionen stets begleitete.

Nur er blieb, und mit jedem Atemzug, den Linnet tat, wurde sein verheerender Zustand von noch beängstigenderer Klarheit, seine Qual etwas Lebendiges und Greifbares.

Das Bild war so real, dass sie das Blut riechen konnte, das aus der Wunde in seiner Brust strömte, die feuchte Wärme der dunkelroten Flecken auf dem Bettzeug spürte und seinen Lebenssaft auf den Boden tropfen hörte, wo er eine Pfütze bildete, die die Binsen färbte.

Aye, es war sehr real.

Zu real.

Linnets Finger gruben sich in das Plaid und hielten es so fest umklammert, als könnte das bisschen Wolle sie vor dem alb-traumhaften Anblick vor ihr schützen.

Verzweifelt wandte sie den Blick ab und starrte stattdessen die fest geschlossenen Fenster an. Sie musste einen klaren Kopf behalten, wagte nichts zu tun, was ihren Gatten wecken könnte.

Oder das beängstigende Bild zerstören.

Schlimme Kunde kam zu jenen, die an Visionen wie den ihren etwas ändern wollten.

Ein leises Rascheln veranlasste sie, einen furchtsamen Blick zum Bett zurück zu werfen. Zu ihrem Schreck sah sie, dass er sich bewegt und auf die Ellbogen aufgerichtet hatte.

Während er sie mit seinem Blick gefangen hielt, versuchte er zu sprechen, doch sein Mund formte nur stumme Worte.

Und er versuchte, sich zu ihr vorzubeugen.

Warum ? Weil er zu ihr wollte ?

Es schauderte sie bei der Vorstellung. Panische Angst erfasste sie und drohte sich in einem Aufschrei Luft zu machen. Zitternd schlug sie eine Hand vor ihren Mund.

Dann sprach er.

Konfuse Worte, die sie nicht verstand.

Mit enormer Anstrengung rang er nach Atem und hielt die Luft dann an, als versuchte er, Kraft zu sammeln, bevor er den Atem in einem tiefen Seufzer wieder ausstieß.

Die Worte, die von seinen Lippen kamen, ließen Linnets Blut gerinnen.

»Gib mir mein Herz zurück!«

Linnet fuhr zurück und stieß den Schrei aus, den sie nun nicht länger unterdrücken konnte.

Ein markerschütternder Schrei, der durch die ganze Burg schallte und an dem fernsten Ufer des Loch vermutlich noch zu hören war.

Ein schriller Schrei zerriss die nächtliche Stille und riss Duncan MacKenzie auf der Stelle aus dem süßen Vergessen seines tiefen Schlummers. Fluchend sprang er aus dem Bett, seine Hände griffen schon nach seinem Schwert.

Heilige Maria Mutter Gottes, sie wurden angegriffen!

»Bemannt die Zinnen!«, brüllte er. »Wir werden angegriffen!«

Fieberhaft suchte er nach seiner Rüstung. Nichts war, wo es sein sollte. Allmächtiger, wo war sein Schwert? In seiner Hast stieß er mit den nackten Füßen gegen eine Truhe, die an der falschen Stelle stand, und ein glühend heißer Schmerz durchfuhr sein Bein:

»Verdammt noch mal, wer hat mein Zimmer umgeräumt?«, fluchte er und hinkte zu seinem Schwert hinüber. Es lehnte an einer Wand neben der Tür, und sein Dolch und Gürtel lagen auf dem Boden in der Nähe.

Als wären sie achtlos dorthin geworfen worden.

Verwundert krauste er die Stirn. Er hätte seine Waffen nie so unordentlich weggelegt. Er pflegte sie abends immer auf sein ordentlich zusammengefaltetes Plaid zu legen.

In Reichweite.

Seine Verwirrung wuchs.

Wo war sein Plaid?

Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu, und wenn die Burgfrauen zu schreien aufhören würden und sein Kopf nicht so entsetzlich schmerzen würde, als wäre er in der Mitte gespalten, würde er der Sache vielleicht auch auf den Grund gehen.

Doch vorher musste er die Sicherheit seines Clans gewährleisten.

Unbekleidet, falls es nötig war.

Er befestigte seinen Gürtel um seine nackten Hüften, steckte seinen Dolch unter das breite Lederband und schickte sich dann an, das Zimmer zu verlassen, begierig, sich in den Kampf zu stürzen.

Aber die Tür ließ sich nicht öffnen.

Sie war von außen abgeschlossen!

Ein ungutes Gefühl beschlich ihn im selben Moment, als erneut ein schriller Schrei hinter ihm ertönte. Es waren also nicht die Burgfrauen, die er schreien gehört hatte - die Schreie kamen hier aus diesem Zimmer! Er packte sein Schwert und fuhr herum, um zu erstarren.

Vor dem Kamin stand ein Gespenst!

Ihre flammend rote Mähne hing aufgelöst um ihre Schultern, ihr Kinn war blutbefleckt, und sie starrte ihn aus leeren Augen an, die in einem Gesicht lagen, das fahl wie das einer Leiche war, und der schrille Schrei, den diese Erscheinung ausstieß, nahm ihm alle Kraft aus seinen Knochen.

Und der Himmel stehe ihm bei, denn sie trug sein Plaid!

»Komm nicht näher!«, schrie das Gespenst.

Als fürchtete sie sich vor ihm, warf sie in einer verteidigenden Geste die Arme hoch und ließ dabei das Plaid fallen. Es sank zu Boden und bauschte sich um ihre Knöchel.

Die Erkenntnis traf ihn mit der Kraft einer Sturmbö, die direkt aus der Hölle kam, und raubte ihm den Atem. Sein Herz setzte einen Schlag aus, sein Mund klappte ungläubig auf.

Eilean Creag wurde nicht angegriffen, und auch kein Gespenst war durch ihre dicken Mauern eingedrungen.

Das Gespenst war seine Frau!

Und sie stand vor ihm in ihrem Zimmer, nicht in seinem.

»Kann mir mal jemand sagen, was hier los ist?«, brüllte Dun-can, dessen Herz noch immer schmerzhaft hart gegen seine Rippen pochte. »Herrgott noch mal, Frau, Ihr habt Blut an Eurem Kinn!«

Sichtlich erschüttert, hob seine Braut eine Hand an ihre Lippen. Ihre zitternden Finger waren rot gefärbt, als sie die Hand zurückzog. »Ich wollte Euren Schlaf nicht stören, Mylord«, sagte sie und betrachtete ihre Fingerspitzen, um ihn nicht ansehen zu müssen. »Ich werde nicht oft von solch beunruhigenden Visionen heimgesucht.«

»Das Blut...« Duncan ließ seine Frage in der kalten Luft zwischen ihnen hängen. Er fühlte sich noch immer, als stünde er direkt vor dem Vorzimmer zur Hölle.

»Ich habe mir nur auf die Lippe gebissen, das ist alles, Sir.«

Duncans Unruhe ließ ein wenig nach bei der Erkenntnis, dass sie offenbar mitten in einer Vision gewesen war. Doch das Wissen verlangsamte nicht sein Blut, das nach wie vor durch seine Adern raste. Er stieß einen erschöpften Seufzer aus. Jeder Muskel in seinem Körper schrie vor Anspannung.

Einschließlich einiger, von denen er bisher nicht einmal wusste, dass er sie besaß.

Er musste etwas tun... irgendetwas ... Er legte seine Waffen weg und ging zum Bett. Dort riss er einen Streifen Stoff von den Bettvorhängen und schloss seine Finger mit der gleichen bangen Erwartung um den provisorischen Verband, mit der eine gewisse Frage seine Eingeweide umklammert hielt.

»Habt Ihr gesehen, was ich wissen muss?«, fragte er, den Blick noch immer auf das Bett gerichtet. »Ist der Junge mein Sohn?«

Schweigen antwortete ihm.

Duncan ballte die Fäuste. Würde er denn nie von seinen Zweifeln befreit werden? Nicht einmal jetzt, nachdem er sich an ein Mädchen gebunden hatte, dessen hellseherische Fähigkeiten in den gesamten Highlands bekannt waren?

Ein Mädchen, das, obwohl es mit der Gabe gesegnet war, die Sprache verloren zu haben schien. Duncans Wut nahm zu. Eine stumme Seherin nützte ihm so gut wie gar nichts.

»Ich kann nicht sagen, ob Robbie Euer Sohn ist«, antwortete

sie schließlich. »Die Vision hatte nichts zu tun mit dem, was Ihr wissen möchtet.«

Wissen möchtet? Duncan verdrehte die Augen und unterdrückte einen Fluch, der den Teufel selbst hätte zusammenfahren lassen.

Begriff sie denn nicht, dass er es wissen musste ?

Seine Ungeduld errang den Sieg über ihn, und Duncan fuhr herum, den Streifen Stoff noch immer zwischen den Fingern seiner ausgestreckten Hand. »Für Euer Kinn«, sagte er, aber die scharfen Worte erstarben auf seiner Zunge, als eine völlig andere Art Bedürfnis ihn plötzlich bestürmte.

Großer Gott, wurde er langsam blind wie ein triefäugiger alter Graubart? Wie hatte er übersehen können, dass das Mädchen, das davor ihm stand, nichts anderes trug als ein Erröten?

Ein Erröten, das sich noch vertiefte, als sie den Stoff aus seinen Fingern nahm und ihn an ihre Unterlippe drückte. »Danke«, sagte sie, aber Duncan hörte es kaum. Blut schoss in seine Lenden, und ein rasendes Verlangen ließ seine viel zu lange vernachlässigte Männlichkeit fast schmerzhaft hart anschwellen.

Er ließ seinen Blick über sie gleiten, nahm den Anblick ihrer so üppig dargebotenen Reize in sich auf und spürte, wie sein Verlangen nach ihr beinah unerträglich wurde. Sie so anzusehen, war Folter in ihrer schlimmsten Form, aber eine solch angenehme, dass er sie sich nicht verweigern konnte.

Der sanfte Schein des verglühenden Feuers im Kamin beleuchtete ihren unbekleideten Körper in seiner ganzen nackten Pracht, die ihn verlockte mit der üppigen Fülle ihrer Brüste und den sanften Kurven ihrer Hüften, während zwischen ihren Schenkeln seidige rotgoldene Locken winkten.

Locken von der gleichen Farbe und ebenso verlockend wie das dichte rotgoldene Haar, das ihr bis unter ihre Taille fiel.

Ein in der Kunst der Liebe unerfahrenerer Mann hätte bei ihrem bloßen Anblick seinen Samen schon verströmt!

In seinem Zustand fiebernder Erregung lief Duncan selbst

Gefahr, sich den Reihen solch verdorbener und abartiger Seelen anzuschließen, als er den Blick zu ihrem Gesicht erhob und sie dabei ertappte, wie sie fasziniert sein Glied anstarrte. Es schwoll sogar noch mehr an unter ihren neugierigen Augen.

O Gott, wie sie sein Blut in Wallung brachte!

»Ich dachte, es verlangte Euch nicht danach, bei mir zu liegen?«

Die Verwirrung in ihrer Stimme durchdrang Duncans Verlangen, dämpfte seine Leidenschaft und stahl die zügellose Lust, die sie in ihm geweckt hatte. Es war nie seine Absicht gewesen, sie zu verwirren oder zu verletzen, und dennoch hatte er sich wie ein brünstiger Hirsch benommen und genau das getan, wovon er sich geschworen hatte, es zu unterlassen.

»Ihr habt gesehen, dass ich Euch begehre«, erwiderte er mit heiserer Stimme. »Aber dadurch hat sich nichts geändert. Es wäre nicht klug und war niemals meine Absicht, das Bett mich Euch zu teilen.«

»Ich verstehe«, erwiderte sie, im gleichen Ton wie in seinem Arbeitszimmer, als sie das erste Mal darüber gesprochen hatten, was von ihr erwartet werden würde.

Duncan runzelte die Stirn bei der Erinnerung an diese unglückselige Begegnung.

Er wollte sie nicht begehren. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ein Feuer in ihm entfachen würde, das er schon lange erloschen geglaubt hatte; ein Feuer, das machtvoll genug war, mehr Schaden anzurichten, als lediglich seiner vernachlässigten Männlichkeit Entspannung zu verschaffen.

Selbst der schwachsinnigste Idiot würde erkennen, wie riskant es war, seine Lust an den so üppig dargebotenen Reizen seiner Dame zu stillen. Ein Mann, der dieses Wagnis einging, würde mehr verlieren als nur seinen Samen ... er riskierte, sein Herz verlieren.

Und Duncan hatte ohnehin kein Herz mehr zu verlieren.

Erwünschte seinen Männern die Pest an den Hals dafür, dass sie ihn überredet hatten, diese Frau auf seine Burg zu holen. Er hatte eine unattraktive Braut gewollt, nicht eine, deren Charme selbst einen Mönch in Versuchung führen würde!

Fluchend fuhr er sich mit beiden Händen durch das Haar. Schließlich, während er mit einer Hand versuchte, den Beweis seiner Begierde so gut wie möglich zu bedecken, hob er mit der anderen das Plaid vom Boden auf und warf es Linnet zu.

»Legt das um«, befahl er in einem barscheren Tonfall, als es seine Absicht war. Dann kehrte er ihr den Rücken zu und sagte etwas ruhiger: »Es ist nicht gut für mich, Euch so zu sehen.«

Er wartete, bis das leise Rascheln von Wolle nachließ, bevor er wieder sprach. »Seid Ihr bedeckt?«

»Aye«, erwiderte sie mit unsicherer Stimme.

Er wandte sich ihr wieder zu, richtete den Blick aber auf die Wand links über ihrem Kopf. »Geht zurück ins Bett, ich werde Euch nicht stören. Der Sessel wird mir für den Rest der Nacht genügen.«

Ausnahmsweise widersprach sie ihm nicht, sondern floh buchstäblich durch den Raum, sein Plaid vorn fest an ihre Brust gedrückt. Ihr schmerzerfüllter Gesichtsausdruck versetzte ihm einen Stich ins Herz und weckte in ihm Verachtung für den herzlosen Schuft, der er geworden war.

Aber wenn er sie auch nur einen Moment länger hätte ansehen müssen, hätte er die Kontrolle über sich verloren, sie in die Binsen auf dem Fußboden gezogen und sich nicht einmal damit aufgehalten, sie die wenigen Schritte bis zum Bett zu tragen.

Gütiger Himmel, sie sah aus wie eine mythische, aus den Tiefen des Loch aufgestiegene Wassernymphe, wild und üppig und verlockend.

Zu verlockend.

Duncan wartete, bis sie still unter den Decken lag, dann setzte er sich in den gepolsterten Lehnstuhl neben dem Kamin und streckte seine langen Beine vor sich aus.

Das nur noch schwach glimmende Feuer spendete keine Wärme mehr, aber er war viel zu abgekämpft, um noch einmal aufzustehen und ein neues anzufachen.

Und es war auch kein erfreulicher Gedanke, die langen Stunden bis zum Morgen nackt, kalt und in einem ziemlich unbequemen Sessel im Schlafzimmer seiner Gemahlin zu verbringen.

Er erinnerte sich nur schwach daran, wie seine Männer ihn, halb tragend und halb schleppend, hier hinaufgebracht hatten und ihn dann ausgezogen und ihn auf ihr Bett geworfen hatten, aber er würde später über ihre Dreistigkeit nachdenken - wenn sein Kopf nicht mehr so schmerzte.

Stirnrunzelnd blickte er sich nach etwas um, womit er sich zudecken konnte.

Irgendetwas, das ihm wenigstens ein bisschen Wärme spenden würde.

Aber der Raum war nur sehr spärlich möbliert und enthielt keine jener kunstvoll gearbeiteten Schabracken, die das Zimmer seiner ersten Frau geschmückt hatten.

Sein Blick fand nichts anderes als die abgeschabte Ledertasche seiner neuen Gemahlin, in der sie ihre Heilkräuter aufbewahrte. Sie stand auf dem Boden, in der Nähe seines Sessels. Duncan betrachtete die Ledertasche mit bitterer Ironie.

Wie typisch für ihn, dass er in Betracht zog, diese weiche Ledertasche zu benutzen, um sich ein bisschen Wärme zu verschaffen, während seine Braut keine vier Schritte von ihm entfernt, allein und tugendhaft, in einem bequemen weichen Bett schlief.

Sie hätte genauso gut vier Meilen entfernt sein können, so wenig Trost verlieh sie ihm!

Mit einem gemurmelten Fluch hob er die Tasche auf und legte sie über seine Schenkel. Das butterweiche Leder würde zumindest seine intimsten Körperteile warm halten, wenn auch nicht viel anderes.

Als ob er sich darum sorgen müsste, sich selbst warm zu halten.

Tatsache war, dass er sein Bett mit zehn Frauen teilen könnte, einen ganzen Stapel von Schafsfellen über ihnen ausbreiten könnte und immer noch frieren würde.

Innerlich.

Aye, die Kälte im Raum machte wirklich keinen großen Unterschied.

Sie war nur eine belanglose kleine Unbequemlichkeit, verglichen mit der Kälte, die er in sich trug.