14
Linnet erwachte in einem Raum, der in Halbdunkel gehüllt war. Schwaches Sonnenlicht sickerte durch die geschlossenen Fensterläden und warf lange blaugraue Schatten auf den Boden und die Tapisserien an den Wänden. Offenbar war es später Abend. Gütiger Himmel, sie hatte aber viele Stunden geschlafen seit ihrer erschreckenden Vision im Arbeitszimmer!
Ein leerer Stuhl stand neben ihrem Bett, ein stummes Zeugnis dafür, dass wirklich jemand dort gesessen, ihre Hand gehalten und sie getröstet hatte, als sie so unruhig geschlafen hatte, gequält von Albträumen von einem zweiköpfigen Mann, umringt von Flammen.
Könnte diese mitfühlende Seele, die sich so liebevoll um sie gekümmert hatte, ihr Mann gewesen sein?
Sie wagte es kaum zu hoffen.
War Duncan MacKenzie, der Furcht erregende, mächtige Schwarze Hirsch von Kintail, überhaupt zu solch enormer Sanftheit fähig? Oder machte sie sich etwas vor und versuchte nur, ihre vagen Erinnerungen an die dunklen Stunden nach der gespenstischen Vision ihren geheimsten Wünschen anzupassen?
Sie setzte sich im Bett auf, rieb ihre pochenden Schläfen und versuchte, nachzudenken. Konnte Duncan wirklich so besorgt um sie sein? Oder hatte sie sich nur eine tröstliche Lüge ausgedacht, um zu versüßen, was geschehen war, nachdem sie das Bewusstsein verloren hatte?
Ein rascher Blick auf den kleinen Tisch neben ihrem Bett beruhigte sie, dass die sanften Hände, die liebevollen Zuwendungen, an die sie sich erinnerte, keine Einbildung gewesen waren. Jemand hatte sich um sie gekümmert, denn auf dem Tischchen standen ein Wasserkrug, ein Becher und eine kleine Waschschüssel, die bis auf ein paar feuchte Tücher leer war.
Sie hatte sich dies alles nicht nur eingebildet, und es war in der Tat ihr Mann gewesen, der neben ihr gesessen und sich so liebevoll um sie gekümmert hatte.
Er musste es gewesen sein, denn tief in ihrem Innersten war seine Berührung ihr vertraut. Die Erkenntnis zauberte ein frohes Lächeln auf ihr Gesicht. Ja, sie würde seine Berührungen, seine Hände unter denen tausend anderer Männer mühelos erkennen. Er empfand also doch etwas für sie. Heiße Röte stieg in ihre Wangen und gesellte sich zu ihrem Lächeln, als eine wundervolle Wärme sie durchflutete, sie mit Hoffnung erfüllte und die Nachwirkungen der verstörenden Vision verdrängte.
Sie verließ das Bett, durchquerte den Raum und öffnete weit das Fenster, um das letzte schwache Licht des Tages hereinzulassen. Aber mehr als das verblassende Licht und kalte salzhaltige Meeresluft kam durch das offene Fenster herein. Auch das leise Geräusch, besorgt klingender Männerstimmen drang von den Zinnen oben auf dem Turm zu ihr hinab.
In Zorn erhobene Männerstimmen, deren Worte, die der Wind herüberwehte, Linnets Blut gefrieren ließen.
»... abgeschlachtet, jeden einzelnen, sogar die Kinder. Der Herr wird diesen Bastard in Stücke hauen, wenn er ihn erwischt ...«
Linnet nahm ihren Umhang von einem Stuhl und legte ihn um ihre Schultern. Mit zitternden Fingern bemühte sie sich vergeblich, die Brosche an ihrer Schulter zu befestigen, gab es schließlich auf und eilte aus dem Raum. Den Umhang so gut wie möglich vor ihrer Brust zusammenraffend, machte sie sich, so schnell sie konnte, auf den Weg zur großen Halle.
Wütendes Gemurmel und empörte Schreie begrüßten sie, als sie die Wendeltreppe des Turms hinunterstieg. Und sie konnte auch lautes Poltern und Stampfen hören.
Und das unmissverständliche Klirren von Stahl.
Je näher sie der Halle kam, desto lauter wurde der Tumult. Es war, als würde die gesamte Versammlung dort unten entweder mit den Fäusten auf die Tische schlagen, mit den Füßen stampfen oder ihre Schwerter ziehen.
Oder möglicherweise taten die Männer dies alles gleichzeitig, dem schrecklichen Lärm nach zu urteilen, den sie verursachten.
»Cuidich’ N’ Righ! Rettet den König]« Der Kriegsruf des Clans ertönte plötzlich, laut und wild begann er durch den Saal zu schallen, und für Linnet hörte er sich an, als käme er aus den Lungen einer ganzen Legion von MacKenzie-Kriegern.
Von denen jeder einzelne mit Wut geladen war.
Nein, Wut war ein viel zu armseliges Wort dafür.
Es war Blutgier, was sie in den Stimmen hörte.
Pure Blutgier: kalt, unversöhnlich und auf Rache sinnend.
»Cuidich’ N’ Righ!« Der Kriegsruf hatte sich zu einem Chor entwickelt, einem einzigen ohrenbetäubenden, leidenschaftlichen Schrei aus unzähligen Kehlen, der von Eilean Creags dicken Mauern widerhallte und gespenstisch durch den Turm echote, als Linnet um die letzte Ecke bog und endlich den bogenförmigen Eingang zu dem großen Saal erreichte.
Dort blieb sie stehen und hielt sich in den Schatten, um zunächst einmal die Lage vor sich abzuschätzen.
Im Mittelpunkt der Halle stand ihr Mann auf einem der langen Tische, seine kraftvollen Beine arrogant gespreizt. Mit beiden Händen hielt er sein Schwert hoch über dem Kopf, während er den Chor seiner nach Gerechtigkeit schreienden Clanangehörigen dirigierte.
Das flackernde Licht der Pechfackeln glitzerte auf seinem schwarzen Kettenhemd, indes kleinere Flammen in seinem rabenschwarzen, wild zerzausten Haar zu tanzen schienen.
Linnets Finger umklammerten ihren Umhang noch ein wenig fester, als sie ihren Mann anstarrte. Er sah wild aus, ungebändigt, und Wellen des Zorns schienen von jedem angespannten Muskel seines kriegerischen Körpers auszugehen.
Ein blutrünstiger, brutaler Krieger, der Vergeltung forderte.
Wiederholt stieß er sein mächtiges Schwert in die Luft und trieb seine Männer damit gekonnt zur Raserei. Wie ein einziger wiederholten sie die Kriegsrufe, die er von seinem erhöhten Standpunkt aus brüllte.
Unfähig, sich zu bewegen, wie gelähmt und fasziniert von dem Schauspiel, das sich ihren Augen bot, starrte Linnet ihn ehrfürchtig an. Jeder Zentimeter seines Körpers strahlte pure Kraft aus. Das Licht der vielen erhobenen Fackeln spiegelte sich auf dem metallenen Gewebe seines Kettenhemds wider, vergoldete seine Muskeln und verwandelte den eng anliegenden Brustpanzer in ein glitzerndes Hemd aus Flammen.
Flammen. Der Atem stockte ihr, und ihr Herz begann wie wild in ihrer Brust zu hämmern.
Beinahe hätte sie den Mann mit den zwei Köpfen vergessen, den sie in den Flammen hatte stehen sehen! Furcht erfasste sie und ließ sie bis ins Mark erschaudern. Die Botschaft musste etwas mit den schrecklichen Vorfällen zu tun haben, die einen solchen Tumult unter den MacKenzies ausgelöst hatten.
Sie musste Duncan warnen, ihm von dem Mann mit den zwei Köpfen erzählen.
Vielleicht würde er einen Sinn darin erkennen.
An allen Gliedern zitternd, zwang Linnet sich, den Schutz der Schatten zu verlassen, in denen sie sich verborgen hatte. Auf Beinen, die ihr zu wacklig schienen, um sie durch die Menge der aufgebrachten Männer zu tragen, die die Halle füllten, tat sie langsam ihre ersten Schritte in den Saal hinein.
Nur mit Mühe gelang es ihr, durch die MacKenzie-Krieger zu Duncan vorzudringen, der auf seinem erhöhten Platz jetzt wieder drohend sein Schwert in die Luft hob und wild nach einem unsichtbaren Feind schlug. »Wir werden nicht eher ruhen, als bis die Leben derer, die uns genommen wurden, gerächt sind«, schwor er, und seine wutentbrannte Stimme drang selbst bis in die fernsten Ecken des riesigen gewölbten Burgsaals vor.
»Morgen, vor dem ersten Licht des Tages«, ließ seine dröhnende Stimme sich vernehmen, »werden wir das Lager dieses Bastards Kenneth überfallen und sie fertig machen, noch bevor sie Zeit haben zu merken, dass der Moment gekommen ist, ihre Plätze in der Hölle einzunehmen!«
Nachdem er sein Schwert wieder in die Scheide gesteckt hatte, stützte er die Hände auf die Hüften und maß seine Clanangehörigen mit einem eindringlichen Blick. »Keine Gnade! Wir werden jeden einzelnen dieser Schurken töten. Alle bis auf Kenneth. Diese Ehre soll allein Sir Marmaduke zukommen.«
Er hielt inne, um Atem zu holen, und sein grimmiger Blick glitt einmal quer durch die große Halle, bevor er weitere Befehle äußerte. »Cuidich’ N’ Righl«, schrie er, die geballte Faust in die Höhe stoßend. »Rettet den Kö ...«
Der Kriegsruf erstarb auf seinen Lippen, als er seine Frau durch die Menge gehen sah, schwankend, mit offenem Haar, das in unordentlichen Wellen bis zur Taille fiel, ihre bernsteinfarbenen Augen aufgerissen vor Entsetzen, und ihr Gesicht so weiß wie Kreide.
Warum zum Teufel war sie aufgestanden? Er hatte doch angeordnet, eine Wache vor ihre Tür zu stellen.
Vor ihre und die des Jungen.
Doch offenbar hatte niemand seine Anweisungen beachtet oder es für nötig gehalten, sie aufzuhalten, und nun kämpfte sie sich durch die dicht besetzte Halle zu ihm vor. Ihm wurde ganz übel, als er das unverhohlene Entsetzen in ihren Augen sah.
Bei Gott und allen Heiligen, er hatte ihr ersparen wollen, die Einzelheiten des Massakers, das an seinen Leuten verübt worden war, zu hören! Er hatte sie wohl behütet in ihrem Zimmer wissen wollen, weit entfernt von dieser Versammlung, deren Zweck darin bestand, die Rachgier seiner Leute zu entfachen.
Herrgott noch mal, er wollte nicht, dass sie mit einem solchen Wahnsinn konfrontiert wurde!
Und der Junge auch nicht, ob er nun sein eigen Fleisch und Blut war oder nicht.
Nicht, dass er eine größere Sorge für den Jungen zugegeben hätte als die, die er für alle Kinder, die unter seinem Schutz standen, empfand.
Stirnrunzelnd strich er mit dem Arm über seine feuchte Stirn und beobachtete, wie Linnet näher kam. Als wären sie sich soeben erst ihrer Anwesenheit bewusst geworden, gaben seine Männer ihr den Weg frei und ließen sie durch ihre Mitte gehen.
Doch leider verschlechterte sich Duncans Stimmung noch mit jedem unsicheren Schritt, den sie in seine Richtung tat. Gott stehe ihm bei, aber als sie näher kam, hörte er auf, sie so zu sehen, wie sie war, gesund und wohlbehalten, und begann sie sich mit wirrem Haar, zerrissenen Gewändern und blutbesudelt vorzustellen.
Geschändet.
Ihre milchweiße Haut schmutzig und blutverkrustet, ihre üppigen Kurven auf solch schändliche Art verstümmelt, wie nach dem Bericht seiner Patrouille Kenneth und seine Bande die Frauen seiner Pächter zugerichtet hatten.
Und die armen Pächter selbst.
Und auch ihre unschuldigen Kinder.
Nicht einmal die Ochsen und Milchkühe waren verschont geblieben. Nichts war ihrem Gemetzel entgangen.
Duncan schloss die Augen vor den grauenhaften Bildern, die er sich vorstellte, warf den Kopf zurück und stieß ein markerschütterndes Wutgeheul aus. Als er die Augen wieder öffnete, stand Linnet direkt vor ihm, ihre Hände umklammerten Halt suchend den Rand des Tischs.
»Mylord, ich muss mit Euch reden«, stammelte sie, und ihre Worte zitterten so heftig wie ihr Körper. »Es geht um eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit.«
Sie so nahe zu sehen, so nahe, dass er ihren süßen Duft wahrnehmen konnte, trieb Duncan an die Grenzen seiner Selbstbeherrschung. Der bloße Gedanke, es könnte ihr etwas zustoßen, ließ sein Blut gefrieren. Die Möglichkeit entsetzte ihn und beraubte ihn der letzten Reste seiner ohnehin schon nachlassenden Disziplin.
Er sprang vom Tisch, landete praktisch direkt vor ihr und umklammerte mit beiden Händen ihre Schultern. »Was fällt dir ein, hierher zu kommen?«, schrie er so laut, dass seine Worte durch die riesige gewölbte Halle schallten. »Kannst du nicht sehen, dass dies kein Ort für Frauen ist?«
Sie zitterte noch heftiger bei seinem Ausbruch, aber sie gab nicht nach. »Sir ... mein Herr und Gebieter ... Ihr hattet mich gebeten, Euch zu warnen, falls ich je Gefahr vorhersehen sollte.«
»Mylady, es war der Gefahr wegen, dass ich eine Wache vor Eurer Tür postieren ließ! Ich will Euch hier nicht haben, wo Ihr herumgeschubst werdet und Geschichten hört, die nichts für die Ohren einer Dame sind!«, donnerte er, seine Stimme bei jedem Wort noch etwas lauter werdend.
»Aber...«
»Kein aber«, schnitt er ihr das Wort ab, denn das Gefühl ihrer seidigen Locken unter seinen Fingern machte ihn fast wahnsinnig, weil er in seiner Fantasie ihr Haar schmutzig, spröde und mit getrocknetem Blut bedeckt sah. »Du kannst mich jetzt vor nichts mehr warnen. Es ist zu spät.«
Linnet schüttelte den Kopf. »Doch, das kann ich. Was ich dir zu sagen habe, hat nichts mit dem zu tun, was dich veranlasst haben mag, ein derartiges Gezeter anzustimmen.« Sie hielt inne, um ihre Lippen zu befeuchten. »Ich muss dich vor zukünftigem Übel warnen, denn ich hatte eine Vision, die du dir unbedingt erzählen lassen musst.«
Duncan schluckte seinen Arger. Er wollte nichts von weiteren möglichen Schicksalsschlägen hören. Er wollte nichts anderes, als sie sicher in ihrem Zimmer zu wissen.
»Linnet, ich weiß nicht, welch schlimmere Dinge noch auf mich zukommen könnten als das, was bereits geschehen ist. Ein volles Dutzend meiner Clanangehörigen und ihrer Familien sind ermordet, nein, abgeschlachtet worden«, vertraute er ihr mit müder, rauer Stimme an. »Einfache Bauern, die Grenzgebiete des MacKenzie-Lands bestellten. Es war Kenneths Tat und ein sogar noch schlimmeres Massaker als bei den Murchinsons. Im Morgengrauen reite ich mit einer Gruppe meiner besten Männer hinaus. So Gott will, finden wir sie, bevor sie uns entkommen können.«
Seine Frau erbleichte, als sie seine Worte hörte, aber sie senkte nicht ihren Blick. Stattdessen schüttelte sie noch einmal den Kopf. »Es war nicht Kenneth, den ich sah«, beharrte sie und bohrte ihre Absätze in die Binsenstreu, als er sie am Arm packte und versuchte, sie aus dem Saal zu ziehen. »Es war ein Fremder, ein Mann mit zwei Köpfen, der umringt von Flammen war.«
Ein Raunen erhob sich unter den Männern, die nahe genug standen, um ihre geflüsterten Worte zu hören, und Duncan bedachte sie mit einem ärgerlichen Blick und bedeutete ihnen streng, zu schweigen.
Es war purer Unsinn, was seine Frau erzählte, und er wollte nicht, dass seine Männer sich mit Gedanken an zweiköpfige Ungeheuer quälten, während Kenneth sich fröhlich seinen Weg durch die MacKenzie-Angehörigen freihackte, die nicht hinter Eilean Creags beschützenden Mauern in Sicherheit waren.
Kurzentschlossen nahm er Linnet auf die Arme und strebte mit ihr auf die Wendeltreppe am Ende der Halle zu. Seine Männer fielen zurück, machten Platz für sie, als er aufgebracht durch ihre Reihen stapfte. »Es gibt keine zweiköpfigen Männer. Ich will nichts mehr hören von so einem Gefasel«, donnerte er, ganz bewusst die Stimme hebend, damit seine Männer ihn verstehen konnten. Ihnen rief er zu: »Schärft eure Klingen, und dann seht zu, dass ihr ein bisschen schlaft. Es wird Zeit zum Aufbruch sein, bevor ihr wisst, wie euch geschieht.«
»Ich würde Myladys Worte nicht unberücksichtigt lassen«, warnte Sir Marmaduke, als er aus der Menge trat und Duncan kühn den Weg zur Treppe verstellte. »Du tätest gut daran, dir ihre Warnung anzuhören.«
Duncan war mit seiner Geduld am Ende. »Ach ja?«
»Ja«, erwiderte der Sassenach, seine Arme vor der Brust verschränkend. »Sie würde nicht ohne Grund so beunruhigt aussehen.«
»Sag, hast du eigentlich gehört, wovor sie mich warnen wollte? Sie sprach von einem zweiköpfigen Mann.« Duncan stieß einen tief empfundenen Seufzer aus. »Vielleicht gibt es in England solch verfluchte Kreaturen, aber ich schwöre dir, dass ich hier noch nie eine gesehen habe. Außerdem tätest du gut daran, mir aus dem Weg zu gehen, wenn du nicht willst, dass ich dich frage, warum meine Befehle nicht befolgt wurden. Ich sagte dir, du solltest eine Wache vor Myladys Tür postieren.«
Er hielt inne, um seinen Freund aus schmalen Augen drohend anzublicken. »Ist es möglich, dass du auch versäumt hast, eine Wache zu dem Jungen zu schicken?«
»Glaubst du etwa, ich würde mich vor meinen Pflichten drücken?«, fragte Sir Marmaduke, einen Ausdruck spöttischen Erstaunens auf seinem entstellten Gesicht. »Nein, mein Herr und Meister, natürlich ignoriere ich deine Anweisungen nicht, ich setze sie höchstens ein bisschen später in die Tat um ... und das aus gutem Grund natürlich.«
»Und was für ein Grund soll das sein?«
Statt ihm zu antworten, nickte Sir Marmaduke jemandem in der Menge hinter Duncan zu. Bevor er sich umdrehen konnte, um zu sehen, wer es war, drängte sich Thomas, der stumme Junge, zu ihnen vor. Auf seinen breiten Schultern hockte Robbie, ein hölzernes Spielzeugschwert in seiner Hand. Mauger, Robbies alter Hund, folgte Thomas auf dem Fuße.
Duncans Herz zog sich zusammen. Falls er je bezweifelt haben sollte, dass er eins besaß, so wusste er es jetzt. Wie vorhin schon bei
Linnet, stellte er sich für einen schrecklichen Augenblick lang den Kleinen leblos, blutbesudelt und verstümmelt vor.
Für einen Moment verlor Duncan den Halt auf der Binsenstreu, die glitschig war vom verschütteten Bier aus den Krügen seiner Männer. Er stolperte und hätte Linnet fallen gelassen, wenn sie sich nicht an seinem Nacken festgehalten hätte. In Wahrheit war er sogar nahe dran, sein letztes Essen zu erbrechen, so schmerzlich war für ihn der Gedanke, Robbie könne das gleiche Schicksal treffen, wie es die unschuldigen Kinder seiner Pächter erlitten hatten.
»Was hat das zu bedeuten?«, herrschte er Sir Marmaduke an, weil er lieber seine Wut an ihm ausließ, als den Dämonen, die ihn ritten, ins Gesicht zu sehen. »Warum ist er nicht in seinem Zimmer mit einer Wache vor der Tür?«
»Ich brauche keine Wache«, sagte Robbie und schwenkte stolz sein Spielzeugschwert. »Onkel Marmaduke hat gesagt, ich müsse die Damen beschützen.«
»Und das wirst du auch, mein Kleiner«, wandte Marmaduke sich an das Kind, und sein Auge funkelte vor Heiterkeit.
Duncan erschrak innerlich über den bewundernden Blick, den Robbie seinem Onkel schenkte. Wie lange war es her, seit der Junge ihn so angesehen hatte?
Der Himmel helfe ihm, er konnte sich nicht erinnern, und sich dergleichen eingestehen zu müssen, war in etwa so, wie eine glühende Klinge in den Bauch getrieben zu bekommen.
Seine Frau drehte sich in seinen Armen und wandte sich an Thomas und Robbie. »Ich schwöre, dass es keinen Mann gibt, bei dem ich mich beschützter fühlen würde«, sagte sie herzlich, und ihre Stimme, im Augenblick zumindest, klang gar nicht mehr so unsicher und ängstlich.
Duncan, der ihr einen verstohlenen Blick zuwarf, sah, dass ein Lächeln um ihre Lippen spielte, als sie liebevoll den Jungen ansah. Sie hatte das Gesicht eines Engels, wenn sie so lächelte. Auch ihn hatte sie mit diesem Lächeln schon beschenkt.
Ein-oder zweimal. Vielleicht sogar noch öfter.
Und jedes Mal hatte er es geschafft, es mit seinen bitteren, schroffen, draufgängerischen Worten wieder zu vertreiben.
»Ich habe dir eine Frage gestellt, Strongbow«, sagte er leichthin, um die Scham zu überspielen, die er über seine eigenen Handlungen empfand, und warfeinen hitzigen Blick auf seinen englischen Schwager. »Ich möchte eine Antwort darauf.«
Für die Dauer eines Herzschlags dachte Duncan, der Engländer würde versuchen, ihn anzustarren, bis er als erster den Blick abwandte, aber schließlich bequemte er sich dann doch zu einer Antwort. »Ist unser Vorhaben nicht offensichtlich? Wir waren gerade dabei, Robbie und Myladys Dienerin in das Zimmer deiner Frau zu bringen.«
Er hielt inne und zog seine unverletzte Augenbraue hoch. »Es war sicher nur ein Versehen von dir, zwei Wachen an verschiedenen Türen aufstellen zu lassen, wo es doch in Wirklichkeit viel klüger ist, Lady Linnet, ihre Bedienstete und Robbie zusammen in einem Zimmer unterzubringen, mit nur einer Wache vor der Tür?«
Duncan errötete vor Verlegenheit angesichts der klugen Worte seines Freundes und schämte sieh, das nicht selbst erkannt zu haben. Aber er hatte die wenigen Stunden, die noch blieben, bis er seine Männer wecken musste, friedlich in den Armen seiner Frau verbringen wollen.
Richtig oder falsch, es war das Einzige, was ihn beschäftigt hatte.
Gott wusste, dass er Ruhe brauchen würde, und einen klaren Verstand, bevor es Zeit wurde, mit seinen Männern zu Kenneths Verfolgung aufzubrechen. Aber der Herrgott wusste auch, dass er mit Elspeth und Robbie im Zimmer keine Ruhe finden würde.
»Ich« Duncan unterbrach sich und unterdrückte den heftigen Protest, den er gerade erheben wollte, als er Fergus und seine Zukünftige am Rand des Kreises der Männer sah, die sich um sie geschart hatten.
Obwohl sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, konnte er sehen, dass die alte Frau Angst hatte. Sie stand ihr ins Gesicht geschrieben, und er sah es auch an der Art, wie ihr Blick wiederholt zu der mächtigen Keule glitt, die Fergus in seinen gichtgekrümmten Händen hielt.
»Aye, du hast vollkommen Recht«, gab Duncan schließlich zu und beobachtete Elspeth, während er sprach. Tatsächlich, die scharfen Linien um ihren Mund entspannten sich ein wenig, als sie hörte, was er sagte.
Er wandte sich zuerst an Sir Marmaduke, dann an den jungen Thomas und Fergus, seinen alten Seneschall. »Marmaduke, du hilfst mir, die Frauen hinaufzubringen. Thomas, du folgst uns mit dem Jungen und hältst dann Wache vor der Tür. Und du, Fergus, sorgst dafür, dass die Männer aufhören, Bier zu trinken. Schick ein paar zusätzliche Wachen auf den Wehrgang und zum Torhaus und sorg dafür, dass die anderen sich hinlegen und schlafen. Es wird eine kurze Nacht werden.«
Nachdem er seine Anweisungen erteilt hatte, nickte er Fergus zu und begann dann die Wendeltreppe hinaufzusteigen, Linnet noch immer sicher und wohl behütet in den Armen. Die anderen folgten dicht hinter ihnen. Die brennende Fackel, die Sir Marmaduke in die Höhe hielt, warf unheimliche Schatten auf die Mauer des schmalen Treppenaufgangs.
»Ich muss mit dir reden«, flüsterte Linnet ihm ins Ohr, und ihr warmer Atem streifte seine Haut und brachte noch einiges mehr in Bewegung als sein Haar. »Du missverstehst die Bedeutung meiner Vision. Es war in Wirklichkeit kein zweiköpfiger Mann, den ich sah, sondern eine versteckte Warnung. Meine Gabe offenbart sich immer so, und ich kann nicht mehr tun, als zu versuchen, die Bedeutung solcher Botschaften zu erraten.«
Sie schlang die Arme um seinen Nacken und versuchte, ihn noch näher an sich heranzuziehen. »Ich kann nicht lauter sprechen, sonst würden mich die anderen hören, und ich möchte Robbie nicht erschrecken, aber du musst meiner Warnung unbedingt Beachtung schenken. Bitte tu es, Duncan.«
Ohne seine Schritte zu verlangsamen, drehte Duncan sie in seinen Armen und zog sie noch fester an seine Brust. Er hielt sie so fest umfangen, dass sein männlicher Duft jeden ihrer Atemzüge erfüllte, und die unnachgiebigen Glieder seines Kettenhemds pressten sich, obwohl sie ihren dicken wollenen Umhang trug, beinahe schmerzhaft hart in ihre Haut.
Als hätte er ihre Bitte nicht gehört oder beschlossen, sie zu ignorieren, schwieg er, bis sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer erreichten. Dort blieb er stehen, befahl Sir Marmaduke, die Tür zu öffnen und trat dann, ohne Linnet abzusetzen, einen Schritt zurück, um die anderen vorbeizulassen.
Statt ihnen in den dunklen Raum zu folgen, blieb er im Eingang stehen und sagte kein Wort, während der Sassenach das Feuer im Kamin entfachte und Elspeth geschäftig wie eine Mutterhenne hin und her eilte und mit zitternden Händen Talgkerzen anzündete und beruhigend auf Robbie einsprach. Der Junge saß am Kamin und hatte seine Arme um den Hals seines Hunds geschlungen.
Der junge Bursche, Thomas, stand gleich neben der Tür, seine langen Arme hingen locker an seinen Seiten, und er scharrte mit der Spitze seines abgetragenen Stiefels in der Binsenstreu am Boden.
Von der offenen Tür zurück und in den tiefen Schatten einer Laibung in der Mauer tretend, setzte Duncan Linnet schließlich ab. Mit fester Hand umfasste er ihre Ellbogen und blickte ihr ruhig in die Augen. »So, meine Süße, was ist denn nun die schlimme Warnung, die ich deiner Ansicht nach beachten sollte ? Welche Bedeutung schreibst du diesem zweiköpfigen Mann aus Feuer zu?«
»Er war nicht aus Feuer«, sagte sie. Allein schon die Erinnerung an das beängstigende Bild flößte ihr Unbehagen ein. »Die Flammen umgaben ihn. Es war, als stünde er im Schlund der Hölle.«
Duncan faltete die Arme vor seiner breiten Brust. »Und was schließt du daraus? Hast du ein Feuer vorhergesehen? Soll ich nasse Felle und Wassereimer bereitstellen lassen?«
Linnet blickte auf ihre fest verschränkten Hände hinab. Wie konnte sie ihm verständlich machen, dass sie nicht wusste, was die Vision bedeutete? Hatte er nicht zugehört, als sie ihm gesagt hatte, sie könne in einem solchen Fall nur raten?
»Nun?«, fragte er und lehnte sich mit dem Rücken an die Steinwand.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie nach kurzem Zögern und so leise, dass sie die Worte beinahe selbst nicht hören konnte.
Er sah sie mit einem durchdringenden Blick an, die Art Blick, die seine tiefblauen Augen beinahe schwarz erscheinen ließ. »Also gut, dann sag mir, was du glaubst, was die Vision bedeutet?«
Linnet befeuchtete ihre Lippen. Sie hatte Mühe, sich zu konzentrieren, ja, es fiel ihr sogar schwer, zu atmen, wenn er ihr so nahe war und sie mit einem solch ernsthaften Ausdruck auf seinem gut aussehenden Gesicht ansah.
»Ich glaube ... ich nehme an«, begann sie und stolperte beinahe über ihre eigene Zunge, »dass es eine Warnung war.«
»Das sagtest du mir schon«, erwiderte er und nahm ihr Gesicht zwischen seine warmen Hände. »Was ich wissen möchte, ist, was deiner Ansicht nach geschehen könnte.«
»Ich ... ich fürchte, die Flammen bedeuten, dass der Mann mit den zwei Köpfen des Teufels ist. Ein Mann voller Niedertracht und Bosheit«, sagte sie, ihren eigenen Ängsten Ausdruck gebend. »Und ich glaube, zwei Köpfe bedeuten, dass jemand dich verraten wird. Ein Freund, dem du nicht vertrauen solltest.«
»Ein Freund?« Ihr Mann sah zweifelnd aus, belustigt fast. Er glaubte ihr nicht. Es war ihm anzusehen.
»Du glaubst mir nicht.« Sie versuchte nicht einmal, es wie eine Frage zu formulieren.
Duncan nahm die Hände von ihrem Gesicht, nahm ihre Hände in seine größeren und verschränkte seine Finger mit den ihren. »Ich schwöre, dass ich dir wirklich gerne glauben würde, Linnet, aber ein Freund ?«
Sie nickte. »So verstehe ich die Botschaft. Ich weiß nicht, wer dich hintergehen wird, aber von den zwei Köpfen lächelte einer, während der andere scheußlich war. Böse.« Sie drückte seine Hände und versuchte, ihn dazu zu bringen, zu verstehen. »Bitte, es ist wichtig, Duncan. Ich weiß es. Jemand, dem du vertraust, spricht mit zwei Zungen. Du musst vorsichtig sein.«
Zu ihrer großen Erleichterung trat ein Ausdruck des Verstehens in sein Gesicht. »Das werde ich. Zweifelsohne war es Kenneth, den du sahst. Er ist ein Meister der Täuschung, der noch versuchen würde, dich mit schönen Worten zu bezaubern, während er schon eine gut geschärfte Klinge hinter sich verbirgt«, erklärte Duncan.
»So hat er meinen Vater auch getäuscht und immer auf seine großzügige Unterstützung spekuliert«, fuhr er fort. »Als wir noch jung waren, ist es ihm auch bei mir gelungen, mich zu täuschen. Eine Zeit lang jedenfalls.«
Linnet schüttelte den Kopf. Es musste ihr gelingen, ihn zu überzeugen. »Nein, es war nicht Kenneth, den ich sah. Da bin ich mir ganz sicher, und wer immer es auch war, er bedeutet Unheil und ...« Sie brach ab, als er eine Hand unter ihr Haar schob und ihren Nacken zu streicheln begann.
»Linnet«, versuchte er sie umzustimmen. »Es kann kein anderer sein. Kenneth ist ein verdammtes Schlitzohr, der alles und jedes vernichten würde, was ihn davon abhält, seinen verdrehten Kopf durchzusetzen.«
»Nein, bitte ...«
Duncan unterbrach sie, indem er sanft zwei Finger an ihre Lippen legte. »Ich glaube, die Warnung kam dieses neuerlichen Gewaltakts wegen, den er meinen Leuten zugefügt hat. Noch nie hat er gewagt, so weit zu gehen, und er wird auch nicht ungestraft davonkommen. Es gibt niemanden unter meinen Männern, der eher ruhen würde, als bis er seinen letzten Atemzug getan hat.«
»Du willst ihn töten?«
»Es gibt keine anderen Weg. Ich kann ein solches Gemetzel, wie er sich dieses Mal erlaubt hat, nicht tatenlos hinnehmen«, erwiderte ihr Mann kalt. »Seine schändlichen Taten können nicht ungeschehen gemacht werden, aber wir werden Vergeltung dafür fordern, und seine Strafe wird prompt und gnadenlos sein.«
Linnet wurde langsam ärgerlich. Er glaubte ihr noch immer nicht. Der Himmel wusste, dass ihr Mann seinen niederträchtigen Halbbruder für seine grausamen Taten bestrafen musste, aber sie wusste, dass der Mann mit den zwei Köpfen in ihrer Vision nicht Kenneth gewesen war.
Nein, diese verfluchte Kreatur kündigte eine Gefahr an, die erst noch kommen musste.
Eine Gefahr, die ihr Ehemann nicht sehen wollte.
Tränen der Frustration brannten hinter ihren Augenlidern, aber sie bemühte sich, sie zu verdrängen. Irgendwo dicht hinter ihr erklangen Schritte, dann das Räuspern eines Mannes, als er sich der Mauernische näherte, wo sie und Duncan in den Schatten standen.
»Myladys Dienerin und der Junge sind untergebracht, das Feuer brennt wieder«, berichtete der Sassenach ihrem Mann. »Wenn es dir recht ist, werde ich jetzt mal nachsehen, wen Fergus auf die Zinnen hinaufgeschickt hat.«
»Aye, geh nur. Ich komme gleich nach«, sagte Duncan. Er war vorgetreten, hielt Linnet aber mit einer Hand auf ihrem Ellbogen im Schutz der tiefen Mauernische.
Von außerhalb der Nische blickte Sir Marmaduke sie an, als wollte er etwas sagen, schien es sich dann aber anders überlegt zu haben, denn nach einem kurzen Nicken in Duncans Richtung ließ er sie allein.
Kaum war er auf den Turmtreppen verschwunden, drehte Duncan sich wieder zu ihr um. Auch er blickte sie seltsam an, doch anders als Sir Marmadukes Blick durchflutete Duncans sie mit einer angenehmen, trägen Hitze, und ihr war, als müssten ihre Knie ihr jeden Augenblick den Dienst versagen.
Ohne ein Wort zu sagen, zog er sie fest in seine Arme. Ihre flachen Hände lagen an seiner harten Brust, die Glieder seines schwarzen Kettenhemds bohrten sich in ihre Handflächen. Er legte einen Finger unter ihr Kinn, hob ihren Kopf und zwang sie, ihn anzusehen. Das grenzenlose Verlangen, das sie in seinen Augen sah, entfachte auch in ihr ein glutvolles Begehren.
Noch immer schweigend, da die Leidenschaft in seinen Augen beredter war als Worte, senkte er seinen Mund auf ihre Lippen. »Ich hatte diese Stunden in deinen Armen verbringen und dich lieben wollen«, sagte er schließlich, und jedes seiner Wort streifte ihre Lippen wie ein warmer Hauch. »Aber ich kann mich jetzt nicht so mit dir beschäftigen, wie ich es wollte, wenn all die Leute dein Schlafzimmer in Anspruch nehmen.«
Linnet hob die Hand und legte sie sanft an sein markantes Kinn. Er sog bei ihrer Berührung scharf den Atem ein, als hätte sie ihn verbrannt. Dann wandte er langsam den Kopf und drückte einen sanften Kuss auf ihre Hand. Sie seufzte, und ihre Knie drohten unter ihr nachzugeben, als er mit seiner Zunge die empfindsame Innenfläche ihrer Hand liebkoste.
»Aye, Linnet«, versicherte er ihr rau, »ich brenne vor Verlangen nach dir, aber ein Kuss muss für den Augenblick genügen, denn ich muss so schnell wie möglich zu Sir Marmaduke auf die Zinnen.«
»Wirst du lange bleiben?« Linnet erkannte ihre eigene Stimme nicht, so atemlos waren ihre Worte. »Soll ich hier auf dich warten?«
Er schien zu überlegen, aber dann schüttelte er den Kopf. »Nein, denn ich werde nicht auf diesem Weg zurückkehren. Das Beste ist, wenn ich heute unten in der Halle bei meinen Männern übernachte.«
»Muss das sein? Kannst du nicht in unserem Zimmer schlafen? Die anderen werden sicherlich schon schlafen, wenn du kommst; sie werden uns bestimmt nicht stören«, versuchte sie ihn zu überreden, ermutigt durch den unstillbaren Hunger, den er in ihr weckte.
Plötzlich sehnte sie sich nach mehr als seinen Küssen und vergaß darüber die Gefahr, die ihnen drohte. Und auch den gequälten Ausdruck, den sie über sein Gesicht hatte huschen sehen, als sie Elspeth und Robbie erwähnte, zwang sie sich zu ignorieren. »Bitte«, versuchte sie es noch einmal, und ihre Haut prickelte in Erwartung seiner Berührung, als sie sich verlangend an ihn schmiegte.
»Du verlockst mich über alle Maßen«, flüsterte er und senkte seinen Mund auf ihren, um ihre Lippen in Besitz zu nehmen. Freudig öffnete sie sie, um ihm Zugang zu der warmen Höhle ihres Mundes zu verschaffen, und gab sieh ganz den überwältigenden Gefühlen hin, die sie dabei durchströmten.
Ein unstillbareres Verlangen.
Ein unerträglich süßer Schmerz.
»Mein süßer Liebling, ich verzehre mich nach dir«, flüsterte er, während er seine Lippen über ihr Gesicht, ihren Nacken, ihre Schultern gleiten ließ. Mit der Zungenspitze strich er über die zarte Stelle unter ihrem Ohr, dann glitten seine Lippen tiefer, und er knabberte spielerisch an der sanften Biegung ihres Nackens.
Eine pulsierende Hitze begann sich von der empfindsamsten Stelle zwischen ihren Schenkeln auszubreiten, ein solch lustvolles Gefühl, dass Linnet vor Verlangen zu vergehen glaubte.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich schwören, du hättest mich verzaubert«, murmelte Duncan, während er seine Finger unter ihr schweres, dichtes Haar schob. Er hob eine Hand voll an sein Gesicht und atmete tief ein, als wolle er seinen
Duft genießen. Ihren Duft. Dann ließ er es wieder sinken, strich mit den Händen sanft über ihre Schultern und streifte ihr den noch immer nicht geschlossenen Umhang ab, den er achtlos auf den Boden fallen ließ.
Kühle Luft fächelte ihre fiebrig heiße Haut, drang durch die dünne Barriere ihres Nachthemds und streichelte sie so verführerisch, als liebkosten unsichtbare Hände sie und neckten sie mit einer köstlich kühlen Länge feinster Seide.
»Bitte fass mich an«, wisperte sie, und er zögerte nicht, ihr ihren Wunsch zu erfüllen und legte zärtlich seine Hände um ihre Brüste. Verlangend bog sie sich ihm entgegen und murmelte etwas, das wie eine Bitte klang, worauf er eine ihrer harten kleinen Brustspitzen zwischen seine Lippen nahm und sie liebkoste, bis ihr ganzer Körper vor Erregung bebte.
Mit beiden Händen ihre Hüften umfassend, zog er sie hart an seinen Körper. Ein Schauder durchlief sie, als seine Hand den Weg unter ihr Nachthemd fand und ihre bloßen Schenkel streichelte.
»Du bist zart wie der Seufzer eines Engels«, murmelte er an ihrem Haar, und seine Augen schienen zu glühen, als seine Finger kühner wurden und sie dort liebkosten, wo ihre süße Qual am größten war.
Mit einem unterdrückten Aufstöhnen unterbrach er die aufreizenden Zärtlichkeiten seiner Finger, presste seine flache Hand auf ihre intimste Körperstelle und begann sie in aufreizend langsamen Kreisen zu bewegen. Ein exquisites Prickeln begann Linnet zu durchfluten, und eine beinahe unerträgliche Spannung baute sich in ihr auf, die sie alles um sich herum vergessen ließ und jeden Augenblick außer Kontrolle zu geraten drohte.
Wie von einem Dutzend übermütiger kleiner Teufel getrieben, begann Duncan wieder seine Finger zu benutzen, streichelte Linnet mit gemächlichen Bewegungen und begann mit ihrem feuchten Haar zu spielen, als hätte er die ganze Nacht, um sie zu lieben.
Aber das hatte er nicht, und so nahm er nur noch einen Finger, seinen Mittelfinger, als sie einen lustvollen kleinen Seufzer ausstieß und sich verlangend seiner Hand entgegenbog, und strich mit rhythmischen Bewegungen über die harte kleine Knospe am Eingang ihrer Weiblichkeit.
Ihre Augen weiteten sich, und ihr femininer Duft begann sie einzuhüllen. »Das ist Leidenschaft«, sagte er, seine Stimme ganz rau von seiner eigenen Begierde, seine Sinne entflammt vom berauschenden Duft ihres Verlangens.
Mit seiner freien Hand ergriff er eine der ihren und presste sie an seine steife Härte. »Wenn dieser Wahnsinn mit Kenneth ein Ende gefunden hat, werde ich dich eine Woche im Bett behalten, Tag und Nacht, und dich lieben, bis du mich anflehst, aufzuhören.«
Er beobachtete sie, während er sprach, und wartete auf den Moment, in dem ihre Lider schwer würden vor Begehren. Als der Moment kam, verstärkte er den Druck seines Fingers und ließ ihn sogar noch schneller kreisen, bis sie kraftlos an ihn sank, am ganzen Körper zitternd, und in ekstatischer Verzückung einen tiefen Seufzer ausstieß.
»O mein Gott«, wisperte sie, ihn fest umklammernd.
»Nein, Mylady, ich versichere Euch, dass derlei Vergnügungen eher teuflischer Natur sind«, entgegnete er, als er seine Hand zurückzog und ihr Nachthemd wieder fallen ließ. »Pass gut auf dich auf, solange ich nicht da bin. Es gibt noch sehr viel mehr, was ich dich lehren möchte, aber das kann ich nicht, wenn du nicht hier bist, um zu lernen. Denk nicht einmal daran, etwas Törichtes in meiner Abwesenheit zu tun, denn sonst werde ich sehr verärgert sein bei meiner Rückkehr.«
Er beugte sich vor, um sie zu küssen, aber in diesem Augenblick brach ein heftiger Tumult aus auf den Zinnen über ihnen. Er trat zurück, sein gut aussehendes Gesicht war leichenblass geworden.
Linnet, die es nicht ertrug, wie er sie ansah, umklammerte seine Arme und widersetzte sich mit aller Kraft seinen Bemühungen, sie fortzuschieben. Sein Gesichtsausdruck beängstigte sie, denn er starrte sie an, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. Es war fast so, als machte er gerade die Entdeckung, dass er mit der Braut des Teufels geschäkert hatte und nicht mit seiner eigenen Frau, die ihn von ganzem Herzen liebte.
»Bitte ... sieh mich nicht so an«, sagte sie flehend und wünschte, sie besäße den Mut, ihm ihre wahren Gefühle zu offenbaren, ihn anzuflehen, sie nicht mehr für die Sünden einer anderen Frau zu strafen.
Vorausgesetzt, Cassandra war der Grund für sein ausdrucksloses, wie versteinertes Gesicht.
Sie wollte ihn bitten, nein, beschwören, seine geistigen Dämonen genauso tapfer zu bekämpfen wie er seinen physischen Feinden gegenübertreten würde, um nicht nur ihre körperlichen Bedürfnisse zu stillen, sondern auch jene anderen, die noch sehr viel tiefer gingen.
Die allerwichtigsten Bedürfnisse, die ihrer Herzen.
Aber sie schwieg, denn der verschlossene Ausdruck auf seinem Gesicht machte jedes Wort des Protests, das sie sonst vielleicht zu äußern gewagt hätte, zunichte, bevor sie die Worte auch nur formen konnte.
Sie bewegte sich unbehaglich unter seinem strengen Blick und zog ihren Umhang um ihre entblößten Schultern.
»Ich muss dich jetzt allein lassen.« Er streckte die Hand aus und half ihr, den wollenen Umhang vom zu schließen. »Geh in dein Zimmer und tu, was ich dir gesagt habe. Wir haben hier schon viel zu lange hemmgestanden. Ich habe jetzt sehr viel zu bedenken und hätte nicht meinen niederen Instinkten nachgeben dürfen.«
Seine Worte löschten jegliches noch in ihr verbliebene Verlangen so gründlich, als wenn er sie in das eisige Wasser des Loch Duich geworfen hätte.
Niedere Instinkte?
Linnet reagierte ungehalten. »Bin ich nichts als ein Ventil für dich? Siehst du in mir nur ein Mittel, deine männlichen Bedürfnisse zu stillen, wenn Lust dich überkommt? Bin ich nichts als eine Last für dich, eine Frau, die du kleiden und ernähren musst, aber ansonsten unbeachtet lassen kannst?«
Grundgütiger Himmel! Duncan zog erstaunt die Brauen hoch bei ihren anklagenden Worten. Begriff sie denn nicht, dass der Tumult dort oben auf den Zinnen ihn in Angst und Schrecken versetzte angesichts der Möglichkeit, ihr könnte etwas zustoßen? Verstand sie nicht, dass er die Umarmung unterbrochen hatte, weil er erschrocken war über sich selbst?
Entsetzt, dass er an Lust denken konnte, während ein Dutzend seiner Leute verstümmelt und ermordet dalag und erwartete, dass er Rache nahm?
Hatte sie so schnell vergessen, wie zärtlich er sich um sie bemühte hatte, als sie sich von der schrecklichen Vision erholte, die sie in seinem früheren Arbeitszimmer gehabt hatte?
»Glaubst du wirklich, mir läge nichts ah dir?«, entgegnete er, und es gelang ihm nicht, den anklagenden Ton aus seiner Stimme fern zu halten. »Dass ich dich hier fast genommen hätte, auf dem blanken Boden, weil ich ein >Ventil< benötigte, um meine männlichen Bedürfnisse zu stillen?«
Zu seiner Bestürzung nickte sie.
»Herrgott noch mal!«, brüllte er, zu aufgebracht, um sich darum zu scheren, ob alle anderen unter seinem Dach ihn hörten. »Wahrscheinlich hast du dir jedes Mal die Ohren zugehalten, wenn ich dir gesagt habe, ich sei nicht gut mit Worten. Ich bin ein Mann der Tat, nicht der schönen Worte. Ich sollte jetzt dort oben auf den Zinnen stehen, bei Marmaduke, und nicht hier unten bei dir und ganz krank von dem Gedanken, dir könnte etwas zustoßen.«
Er hielt inne, um Atem zu schöpfen. »Für jemanden, der mit einer Gabe wie der deinen gesegnet ist, kannst du unglaublich dumm sein. Verstehst du denn nicht, dass ich dich geküsst und berührt habe, um die Schrecken dieses Tags aus meinem Bewusstsein zu verdrängen? Um angenehme Erinnerungen an dich mitnehmen zu können, wenn ich von hier wegreite?« Er legte eine Hand unter ihr Kinn und zwang sie sanft, ihn anzusehen. »Und weißt du auch warum?«
Wieder schüttelte dieses eigensinnige Frauenzimmer seinen Kopf.
Er öffnete schon den Mund, um ihr zu sagen, es sei, weil er sie gern hatte, doch die Worte stockten in seiner Kehle und wollten nicht über seine Lippen kommen. Womöglich verwechselte sie ja gern haben mit lieben.
Und er liebte sie nicht.
Er liebte niemanden.
Ein unbehagliches Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, und um es zu brechen, zog Duncan aus einer ledernen Scheide an seinem Gürtel einen zweischneidigen Dolch. »Thomas wird vor eurer Tür Wache halten«, sagte er, als er ihr die Waffe reichte. »Gib ihm das hier und sag ihm, er solle außer mir, Marmaduke oder Fergus niemanden zu euch hereinlassen.«
Sie versteifte sich sichtlich, nahm aber das Messer. »Du glaubst, wir müssten mit einem Angriff rechnen?«
»Nein. Nur ein Narr würde versuchen, diese Mauern zu belagern. Man kann Kenneth vieles nachsagen, aber ein Narr, das ist er nicht.«
»Wozu dann diese Vorsichtsmaßnahmen?«
»Weil«, sagte er, während er mit den Fingerknöcheln über ihre Wange strich, »nur ein Narr nicht dafür sorgen würde, dass seine Lieben sicher sind, wenn Gefahr droht, egal, ob sie real ist oder eingebildet. Und ich bin sogar noch weniger ein Narr als dieser Mistkerl von meinem Halbbruder.«
Damit wandte er sich ab, um der Versuchung zu entgehen, noch mehr Gefühle zu enthüllen, die er besser für sich behalten sollte, und begann die Turmstufen hinaufzugehen, zu Marmaduke und seinen Männern.
Aber seine Frau hastete ihm nach. »Warte bitte«, rief sie und klang dabei sehr aufgeregt.
»Aye?« Er blieb auf der dritten Stufe stehen, drehte sich aber nicht mehr um.
»Zählt Robbie auch zu deinen >Lieben<?«, fragte sie zu seiner Überraschung.
Wieder erschien vor seinem inneren Auge das Bild des kleinen Jungen, blass und leblos, wie es den Berichten seiner Patrouille nach die Kinder seiner armen Pächter waren. Der bloße Gedanke ließ sein Blut gefrieren, bis ins Innerste erbeben und seine Hände zittern.
Herrgott noch mal, er hatte gesagt, seine >Lieben<. Genügte es ihr denn nicht, dass er es ausgesprochen hatte? War sie so blind, so taub, dass sie nicht die Wahrheit hören konnte, selbst wenn er sie ihr buchstäblich ins Gesicht geschrien hatte?
Er dachte nicht daran, es noch einmal zu sagen.
Nicht, wenn er selbst noch nicht dazu bereit war, die Worte zu akzeptieren, die seine Lippen fast wie von selbst geäußert hatten, bevor ihm überhaupt bewusst gewesen war, was er da sagte.
Er hörte sie hinter sich treten und fühlte ihre Hand auf seinem Arm. »Tut er das?«, fragte sie mit leiser, erwartungvoller Stimme. »Soll das heißen, dass du den Jungen gern hast?«
»Ist er mein Sohn?«, fragte Duncan und machte seinem inneren Aufruhr mit diesen kalten, barschen Worten endlich Luft.
»Ist das wichtig?«
Kenneths Gesicht, seinem eigenen so ähnlich, aber entstellt von einem hämischen Grinsen, verdrängte das Übelkeit erregende Bild von Robbies blutüberströmtem kleinen Körper aus Duncans Bewusstsein.
»Aye, das ist es«, sagte er und hasste es, wie sein Magen sich bei dieser Lüge umdrehte. Und er hasste sich selbst sogar noch mehr, weil er zu feige war, um zuzugeben, nicht einmal sich selbst gegenüber, dass der Junge ihm tatsächlich sehr am Herzen lag.
»Ist er mein Sohn?«, wiederholte er noch einmal seine Fragewich kann es nicht sagen«, erwiderte Linnet mit leiser Stimme, und eine tiefe Enttäuschung klang in jedem ihrer Worte mit.
Duncan stand stocksteif da, hielt seine Schultern und seinen Nacken so gerade, dass er aus Stein hätte gemeißelt sein können. Er wollte sich nicht umdrehen, um sie den Schmerz nicht sehen zu lassen, der sich in seinen Augen widerspiegeln musste.
Nach einer kleinen Ewigkeit, wie ihm schien, zog sie ihre Hand von seinem Arm zurück und ging. Er wartete, bis er sie dem jungen Thomas seine Anweisungen übermitteln hörte, und stieg dann den Rest der Treppe zu den Wehrgängen hinauf.
Galle stieg in seiner Kehle auf.
Hatte er wirklich und wahrhaftig behauptet, er sei kein Narr?