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Das Wettangeln nach dem gestohlenen Magen

«Du lieber Himmel!» rief Lord Peter Wimsey. «Was ist denn das?»

Thomas Macpherson wickelte das hohe Glas aus den letzten Schichten Papier und Stroh und stellte es behutsam neben die Kaffeekanne.

«Das» sagte er, «ist Großonkel Josephs Vermächtnis.» «Und wer ist Großonkel Joseph?»

«Er war ein Onkel meiner Mutter. Ferguson hieß er. Ein exzentrischer alter Knabe. Und ich war gewissermaßen sein Liebling.»

«So sieht es aus. Ist das alles, was er Ihnen vermacht hat?» «Hm, ja. Er hat immer gesagt, eine gute Verdauung sei das Kostbarste, was ein Mensch besitzen könne.»

«Da hatte er vermutlich recht. Ist das die seine? Und war sie gut?»

«O ja. Er ist fünfundneunzig Jahre alt geworden, ohne je einen Tag krank zu sein.»

Wimsey betrachtete das Glas mit erhöhtem Respekt. «Woran ist er gestorben?»

«Er hat sich aus dem Fenster seiner Wohnung im sechsten Stock gestürzt. Hatte einen Schlaganfall gehabt, und die Ärzte haben ihm gesagt – oder er hat es sich selbst denken können –, daß dies der Anfang vom Ende sei. Er hat einen Brief hinterlassen, darin steht, er sei sein Lebtag nie krank gewesen und wolle auch jetzt nicht damit anfangen. Man hat natürlich einen Anfall geistiger Umnachtung daraus gemacht, aber ich glaube, er war völlig bei Verstand.»

«Das finde ich auch. Was war er denn, als er noch funktionierte?»

«Er war früher mal Unternehmer. Hatte etwas mit Schiffbau zu tun, glaube ich, aber er hat sich schon lange zur Ruhe gesetzt. Er war so eine Art Einsiedler, wie die Zeitungen das immer nennen. Lebte ganz für sich allein in einer kleinen Etagenwohnung in Glasgow, ganz oben im obersten Stockwerk, und empfing niemanden. Manchmal war er tagelang auf eigene Faust unterwegs, und kein Mensch wußte, wohin und wozu. Ich habe ihn etwa einmal im Jahr besucht und ihm dann immer eine Flasche Whisky mitgenommen.»

«Hatte er Geld?»

«Das weiß niemand. Er müßte wohl – war schließlich ein reicher Mann, als er sich zur Ruhe setzte. Aber als wir uns dieser Frage annahmen, stellte sich heraus, daß er nur ein Guthaben von etwa fünfhundert Pfund bei einer Glasgower Bank hatte. Anscheinend hat er schon vor etwa zwanzig Jahren alles, was er besaß, dort abgehoben. Es gab damals einige größere Bankzusammenbrüche, und so nimmt man an, daß er’s mit der Angst bekommen hat. Aber was er damit gemacht hat, das weiß allein der Himmel.»

«Er wird es in einen alten Strumpf gesteckt haben.»

«Das hofft Vetter Robert gewiß aus ganzem Herzen.»

«Vetter Robert?»

«Der Resterbe. Ein entfernter Vetter von mir und der letzte überlebende Ferguson. Er war natürlich stinkwütend, als er sah, daß er nur fünfhundert Pfund bekommen sollte. Robert ist nämlich ein flotter Jüngling, und ein paar Tausender wären ihm sicher ganz recht gewesen.»

«Aha. Wie wär’s eigentlich mit Frühstück? Sie können Großonkel Joseph ja solange woandershin stellen. Sein Anblick gefällt mir nicht besonders.»

«Und ich dachte, Sie hätten eine besondere Vorliebe für anatomische Einzelteile.»

«Habe ich auch, aber nicht auf dem Frühstückstisch. ‹Ein jedes Ding an seinem Ort›, wie meine Großmutter zu sagen pflegte. Außerdem träfe Maggie der Schlag, wenn sie das sähe.»

Macpherson lachte und stellte das Glas auf einen Schrank.

«Maggie ist abgehärtet. Ich habe mir noch ein paar alte Knochen und dergleichen mitgebracht, als Ferienarbeit gewissermaßen, denn ich stehe doch kurz vor dem Examen. Sie wird nur denken, das ist auch so was. Würden Sie mal läuten, ja? Mal sehen, was aus den Forellen geworden ist.»

Die Tür ging auf, und die Haushälterin trat mit einem Tablett voll gegrillter Forellen und einem Teller voll gerösteter Teebrötchen ein. «Die sehen aber gut aus, Maggie», sagte Wimsey, indem er seinen Stuhl näherzog und anerkennend schnupperte.

«Ja, Sir, gut sind sie auch, nur furrrchtbar klein.»

«Nicht meckern», sagte Macpherson. «Das ist alles, was bei einem ganzen Tag Fegefeuer auf dem Loch Whyneon herausgekommen ist. Eine Sonne zum Braten, dazu der Ostwind – ich fühle mich wie lebendig gehäutet. Um ein Haar hätte ich mich heute morgen nicht einmal rasiert.» Er befühlte mit einer Grimasse sein gerötetes und sich kräftig schälendes Gesicht. «Puh! Dabei muß man sich auch so schon gehörig in die Riemen legen bis da oben, und die ganze Zeit schaukelte das Boot wie in der Biskaya.»

«Stelle ich mir nicht sehr schön vor. Aber das Wetter ändert sich. Das Barometer fällt. Bevor wir ein paar Tage älter sind, gibt’s Regen.»

«Wird auch Zeit», sagte Macpherson. «Die Bäche sind so gut wie trocken, und im Fleet ist auch kaum noch Wasser.» Er warf einen Blick aus dem Fenster zu dem Flüßchen, das hinter dem Garten über die Steine dahinplätscherte. «Wenn wir jetzt nur ein paar Regentage bekämen, dann wäre gut Fischen.»

«Das kommt natürlich erst, wenn ich weg muß», meinte Wimsey.

«Klar; aber können Sie denn nicht noch ein paar Tage bleiben? Ich will mich nämlich mal an die Lachsforellen wagen.»

«Geht leider nicht. Ich muß am Mittwoch wieder in London sein. Na ja, egal. Ich hatte ein paar schöne Tage in frischer Luft und habe ein paar gute Runden Golf gespielt.»

«Sie müssen ein andermal wiederkommen. Ich bleibe einen Monat hier – um Kräfte zu sammeln, fürs Examen und so. Wenn Sie sich nicht mehr loseisen können, solange ich hier bin, verschieben wir’s eben auf August und gehen dann ein bißchen auf die Moorhühner. Das Cottage steht Ihnen jederzeit zur Verfügung, das wissen Sie ja, Wimsey.»

«Vielen Dank. Vielleicht bin ich mit meinen Geschäften auch schneller fertig als gedacht, und wenn, dann kreuze ich hier wieder auf. Was sagten Sie, wann Ihr Großonkel gestorben ist?»

Macpherson sah ihn groß an.

«Irgendwann im April, soweit ich mich erinnere. Warum?»

«Ach, nichts – ich überlege nur. Sagten Sie nicht, Sie wären sein Liebling gewesen?»

«In gewissem Sinne ja. Ich glaube, der alte Knabe hatte es gern, daß ich ab und zu an ihn dachte. Alte Leute freuen sich ja über kleine Aufmerksamkeiten.»

«Mhmm. Tja, das ist schon eine sonderbare Welt. Und was sagten Sie noch, wie er hieß?»

«Ferguson – Joseph Alexander Ferguson, um es genau zu sagen. Sie scheinen sich ja außerordentlich für Großonkel Joseph zu interessieren.»

«Ich dachte nur, ich könnte bei der Gelegenheit mal einen Bekannten aufsuchen, der etwas mit Schiffbau zu tun hat, und sehen, ob er etwas über den Verbleib des Geldes weiß.»

«Wenn Sie das tun, bekommen Sie von Vetter Robert einen Orden. Aber wenn Sie schon wirklich Ihre Detektivkünste diesem Problem widmen wollen, sollten Sie sich am besten mal die Wohnung in Glasgow ansehen.»

«Richtig – wie war noch die Adresse?»

Macpherson nannte sie ihm.

«Ich merke es mir mal vor, und wenn mir etwas einfällt, setze ich mich mit Vetter Robert in Verbindung. Wo findet man ihn?»

«In einer Londoner Anwaltskanzlei. Crosbie & Plump, irgendwo in Bloomsbury. Robert wollte nämlich Strafverteidiger in Schottland werden, hat aber sein Studium irgendwie verpfuscht, und da haben sie ihn zu den Engländern abgeschoben. Sein Vater ist vor ein paar Jahren gestorben – er war Notar in Edinburgh –, und ich glaube, Robert ist seitdem ein bißchen vor die Wauwaus gegangen. Ist in irgend so eine Clique geraten und hat sein Geld verplempert.»

«Schrecklich. Schotten sollte man nie von zu Hause weglassen. Was wollen Sie eigentlich mit Großonkel Joseph machen?»

«Ach, ich weiß noch nicht. Eine Weile werde ich ihn wohl behalten. Ich mochte den alten Knaben und will ihn nicht einfach wegwerfen. Er würde sich übrigens auch ganz gut in meinem Konsultationszimmer machen, wenn ich erst eine eigene Praxis aufmache. Dann werde ich immer sagen, das hätte mir ein dankbarer Patient vermacht, an dem ich eine wunderbare Operation vorgenommen habe.»

«Gute Idee. Magenverpflanzung. Wunder der Chirurgie, noch nie versucht worden. Die Kranken werden scharenweise zu Ihnen strömen.»

«Guter alter Großonkel – vielleicht ist er mir doch noch mal ein Vermögen wert.»

«Kann schon sein. Sie haben nicht zufällig ein Foto von ihm?»

«Ein Foto?» Macpherson machte wieder große Augen.

«Großonkel Joseph scheint Ihre neue Leidenschaft zu werden. Aber ich glaube nicht, daß der alte Herr sich in den letzten dreißig Jahren noch irgendwann einmal hat fotografieren lassen. Damals wurde eine Aufnahme gemacht – als er sich zur Ruhe setzte. Die dürfte wahrscheinlich Robert haben.»

«In Orrrdnung», sagte Wimsey in der Landessprache.

Wimsey verließ Schottland noch am selben Abend, und während er durch die Nacht nach London fuhr, dachte er angestrengt nach. Das Steuern besorgte er ganz automatisch, nur hin und wieder mußte er den grün schimmernden Augen eines Karnickels ausweichen, das vom Straßenrand angehoppelt kam und wie gebannt im grellen Licht seiner Scheinwerfer sitzen blieb. Er pflegte immer zu sagen, daß sein Gehirn besser funktionierte, wenn seine unmittelbare Aufmerksamkeit von den Vorgängen auf der Straße in Anspruch genommen war.

Am Montagmorgen sah man ihn in der Stadt. Seine Geschäfte waren erledigt, und fertig nachgedacht hatte er auch. Ein Besuch bei seinem Freund aus der Schiffbauindustrie hatte ihm ein paar Informationen über Großonkel Josephs Geld sowie ein Foto von ihm eingebracht, beschafft vom Londoner Repräsentanten des Glasgower Unternehmens, dem er angehört hatte. Der alte Ferguson schien zu seiner Zeit ein bedeutender Mann gewesen zu sein. Das Porträt zeigte ein feines, störrisches altes Gesicht mit breitem Mund und hochstehenden Wangenknochen – eines jener Gesichter, die sich im Laufe eines Lebens kaum verändern. Wimsey besah es sich zufrieden, dann steckte er es in die Jackentasche und begab sich schnurstracks zum Somerset-Haus.

Dort lief er schüchtern in der Testamentsabteilung herum, bis ein uniformierter Bediensteter sich seiner erbarmte und nach seinem Begehr fragte.

«Oh, danke», sagte Wimsey überschwenglich, «vielen Dank. Solche Häuser machen mich immer nervös. Alle diese großen Tische und so, wissen Sie, das wirkt so geschäftsmäßig und einschüchternd. Also, ich wollte nur mal einen Blick in ein Testament werfen. Wie ich höre, kann man sich für einen Shilling jedermanns Testament ansehen. Stimmt das wirklich?»

«Ja, Sir, gewiß. Ist es ein bestimmtes Testament?»

«Ach ja, natürlich – wie dumm von mir. Ja. Komisch, nicht, daß jeder Fremde einfach herkommen und seine Nase in die Privatangelegenheiten eines Menschen stecken kann, wenn er tot ist – sehen, wieviel man im Leben so zusammengerafft hat und was man für Freundinnen hatte und so. Ach ja. Gar nicht nett. Irgendwie erschreckend taktlos, wie?»

Der Uniformierte lachte.

«Ich glaube, wenn man erst tot ist, macht einem das nichts mehr aus, Sir.»

«Wie wahr, wie wahr! Natürlich, man ist ja tot, und es kann einem herzlich egal sein. Ein bißchen unangenehm für die Verwandtschaft könnte es schon sein, wenn sie erfährt, was man für ein böser Bube war. Es muß doch Spaß machen, seine Verwandtschaft zu ärgern. Tue ich selbst auch immer. Na ja, also, wovon sprachen wir? Ach so, ja, von dem Testament. (Ich bin immer so zerstreut.) Wessen Testament, wollten Sie wissen? Also, es handelt sich um einen alten schottischen Herrn namens Joseph Alexander Ferguson, der in Glasgow gestorben ist – Sie wissen ja, in Glasgow, wo die Leute so einen starken Akzent haben, daß sogar Schotten in Ohnmacht fallen, wenn sie ihn hören. Im April ist er gestorben – im April dieses Jahres. Wenn es Ihnen keine allzu große Mühe macht, hätte ich gern für einen Shilling Joseph Alexander Ferguson.»

Der Beamte versicherte ihm, daß er das haben könne, ermahnte ihn aber zugleich, daß er sich den Inhalt merken müsse und sich auf keinen Fall Notizen machen dürfe. So belehrt wurde Wimsey in eine entlegene Ecke geführt, wo man ihm kurz darauf das Testament auf den Tisch legte.

Es war ein lobenswert kurzes Dokument, eigenhändig verfaßt und datiert vom letzten Januar. Nach den üblichen Einleitungsfloskeln und ein paar kleinen Vermächtnissen persönlicher Gegenstände an Freunde ging es dann etwa in diesem Sinne weiter:

«… und verfüge ich, daß nach meinem Tode mein ganzer Verdauungstrakt vollständig mitsamt Inhalt aus meinem Körper entfernt werde, beginnend mit der Speiseröhre und endend mit der Ausscheidungsöffnung. Alsdann möge er an beiden Enden mit einem geeigneten Material fest zugebunden, mit einem geeigneten Konservierungsmittel in ein Glasgefäß getan und meinem Großneffen Thomas Macpherson, wohnhaft in Gatehouse-of-Fleet in der Grafschaft Kirkcudbrightshire, Stone Cottage, zur Zeit Medizinstudent in Aberdeen, übergeben werden. Und ich vermache ihm diese meine Verdauungsorgane mitsamt Inhalt zum Zwecke seines Studiums und seiner Bildung, nachdem sie mir fünfundneunzig Jahre lang stets einwandfrei gedient haben, damit er begreift, daß keine Reichtümer dieser Welt dem Reichtum einer guten Verdauung vergleichbar sind. Dieses Vermächtnis verbinde ich mit dem Wunsch, daß er in Ausübung seines medizinischen Berufs seine ganze Kraft dafür einsetzen möge, seinen Patienten den Segen einer unbeeinträchtigten guten Verdauung zu erhalten, ohne ihre Mägen zum Wohle seines eigenen Geldbeutels unnötig mit Medikamenten vollzustopfen, sondern indem er sie zu einer vernünftigen und maßvollen Lebensweise anhält, die der allmächtigen Vorsehung wohlgefällig ist.»

Nach diesem bemerkenswerten Passus wurde dann Robert Ferguson zum Resterben eingesetzt, ohne daß die vererbten Besitztümer eigens aufgeführt wurden, und eine Anwaltskanzlei in Glasgow wurde zum Testamentsvollstrecker bestimmt.

Wimsey ließ sich dieses Vermächtnis eine Weile durch den Kopf gehen. Aus den Formulierungen schloß er, daß der alte Mr. Ferguson sein Testament ohne juristischen Beistand aufgesetzt hatte, und das freute ihn, denn dadurch bot die Wortwahl ihm wertvolle Hinweise auf den Gemütszustand und die Absichten des Erblassers. Im Geiste notierte er sich vor allem drei Punkte: Es war vom «Verdauungstrakt mitsamt Inhalt» die Rede, und zwar zweimal und mit besonderem Nachdruck. Dieser sollte oben und unten zugebunden werden, und das ganze Vermächtnis war verbunden mit dem Wunsch, daß keine finanziellen Notwendigkeiten den Erben in der gewissenhaften Ausübung seines Berufs beeinflussen möchten. Wimsey mußte leise lachen. Großonkel Joseph begann ihm Spaß zu machen. Er stand auf, nahm Hut, Handschuhe und Stock und begab sich mit dem Testament in der Hand zu dem Aufsichtsbeamten, um es ihm zurückzugeben. Dieser befand sich gerade im Gespräch mit einem jungen Mann, der sich über irgend etwas zu beschweren schien.

«Bedaure, Sir», sagte der Beamte, «aber ich glaube nicht, daß der andere Herr sehr lange brauchen wird. Ah!» Er hatte sich umgedreht und Wimsey erspäht. «Da ist er ja schon.»

Der junge Mann, dem die rötlichen Haare, lange Nase und ausdruckslosen Augen das Aussehen eines heruntergekommenen Fuchses gaben, begrüßte Wimsey mit einem feindseligen Blick.

«Was gibt’s? Wer wünscht etwas von mir?» fragte Seine Lordschaft affektiert.

«Ach ja. Sir. Sehr merkwürdig, Sir. Dieser Herr hier fragt nach genau demselben Dokument, das Sie soeben studiert haben. Ich bin jetzt schon fünfzehn Jahre in dieser Abteilung und kann mich nicht erinnern, daß so etwas schon einmal vorgekommen ist.»

«Nein», sagte Wimsey, «ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Ihre Artikel hier sich einer besonders lebhaften Nachfrage erfreuen.»

«Es ist wirklich sehr merkwürdig», ließ sich der Fremde mit deutlichem Mißfallen in der Stimme vernehmen.

«Sind Sie ein Angehöriger?» fragte Wimsey.

« Ich bin ein Angehöriger», anwortete der Fuchs. «Darf ich fragen, ob Sie irgend etwas mit unserer Familie zu tun haben?»

«Selbstverständlich», antwortete Wimsey huldvoll.

«Das glaube ich nicht! Ich kenne Sie nicht.»

«Nein, nein – ich meinte auch nur, Sie dürfen selbstverständlich fragen.»

Der junge Mann bleckte regelrecht die Zähne.

«Würden Sie mir dann vielleicht sagen, wer Sie sind und was Sie am Testament meines Großonkels so interessant finden?»

Wimsey entnahm seiner Brieftasche eine Visitenkarte und reichte sie ihm lächelnd. Mr. Robert Ferguson wechselte die Farbe.

«Wenn Sie Referenzen bezüglich meiner Vertrauenswürdigkeit brauchen», fuhr Wimsey leutselig fort, «wird Mr. Thomas Macpherson Ihnen sicher gern Auskunft über mich geben. Ich bin einfach neugierig», sagte Seine Lordschaft, «mich interessiert die Menschheit. Ihr Vetter hat mir etwas von der sonderbaren Testamentsklausel erzählt, die sich auf Ihres geschätzten Großonkels – äh – Magen mit Zubehör bezieht. Sonderbare Testamentsbestimmungen sind meine Leidenschaft. Darum bin ich hergekommen, um sie mir anzusehen und in meine Sammlung merkwürdiger Testamente aufzunehmen. Ich schreibe nämlich ein Buch über dieses Thema – Klauseln und Konsequenzen. Mein Verleger meint, es werde sich gut verkaufen. Bedaure, daß meine mehr zufälligen Recherchen Sie von Ihren zweifellos wichtigeren Studien abgehalten haben. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen.»

Während Wimsey strahlend dem Ausgang zustrebte, hörten seine scharfen Ohren noch, wie der Beamte dem erzürnten Mr. Ferguson erklärte, das sei «ein sehr wunderlicher Herr» gewesen – «wohl nicht ganz richtig da oben, Sir.» Offenbar war sein Ruf als Detektiv noch nicht bis in die stillen Hallen des Somerset-Hauses gedrungen. «Aber», sagte Wimsey bei sich, «ich fürchte sehr, daß Vetter Robert einigen Stoff zum Nachdenken bekommen hat.»

Von diesem alarmierenden Gedanken getrieben, nahm Wimsey unverzüglich ein Taxi zum Hatton Garden, um dort einen Freund zu besuchen. Dieser etwas krummnasige Herr mit seinen recht fleischigen Lidern fiel gleichwohl unter Chestertons Definition von einem netten Juden, denn sein Name war weder Montagu noch McDonald, sondern Nathan Abrahams, und die Herzlichkeit, mit der er Wimsey begrüßte, war schon fast Begeisterung zu nennen.

«Wie schön, Sie einmal wiederzusehen! Nehmen Sie Platz, und trinken Sie ein Gläschen. Sind Sie endlich gekommen, um die Juwelen für die künftige Lady Peter auszusuchen?»

«Noch nicht», sagte Wimsey.

«Nein? Wie schade. Sie sollten sich beeilen und endlich seßhaft werden. Höchste Zeit, daß Sie eine Familie gründen. Vor Jahren haben wir schon abgemacht, daß ich die Ehre haben soll, die Braut für den Glückstag zu schmücken. Das ist ein Versprechen, wohlgemerkt. Ich denke jedesmal daran, wenn diese herrlichen Steine durch meine Hände gehen. Bei jedem sage ich: ‹Das wäre genau der Richtige für meinen Freund Lord Peter.› Aber dann höre ich nichts von Ihnen und verkaufe sie an dumme Amerikaner, die nur an den Preis denken und nichts von ihrer Schönheit verstehen.»

«An die Diamanten werde ich immer noch denken können, wenn ich erst die Dame gefunden habe.»

Mr. Abrahams riß die Hände über den Kopf. «Ach ja! Und dann kann es nicht schnell genug gehen. ‹Rasch, Mr. Abrahams! Ich habe mich gestern verliebt und will morgen heiraten.› Aber es kann Monate dauern, Jahre, bis man die richtigen zueinander passenden Steine gefunden hat. Das geht nicht von heute auf morgen. Ihre Braut wird mit einem Konfektionsgeschmeide vom Juwelier heiraten.»

«Wenn drei Tage reichen, um mir eine Frau auszusuchen», meinte Lord Peter lachend, «dann dürfte für das Kollier wohl ein Tag vollauf genügen.»

«So ist das mit euch Christen», antwortete der Diamantenhändler resigniert. «Bei euch geht alles so oberflächlich. Ihr denkt nicht an die Zukunft. Drei Tage, um sich eine Frau zu suchen! Kein Wunder, daß die Scheidungsanwälte soviel zu tun haben. Mein Sohn Moses wird nächste Woche heiraten. Das wurde schon vor zehn Jahren zwischen den Familien beschlossen. Rachel Goldstein ist es. Ein gutes Mädchen. Und ihr Vater ist in einer guten Position. Wir sind alle sehr zufrieden, kann ich Ihnen sagen. Moses ist ein guter Sohn, ein sehr guter Sohn, und ich werde ihn zu meinem Partner machen.»

«Gratuliere», sagte Wimsey von Herzen. «Hoffentlich werden die beiden glücklich.»

«Danke, Lord Peter. Sie werden glücklich, davon bin ich überzeugt. Rachel ist ein liebes Mädchen und hat Kinder sehr gern. Und hübsch ist sie auch. Schönheit ist zwar nicht alles, aber für einen jungen Mann von heute auch ein Vorteil. Es fällt ihm leichter, zu einer hübschen Frau gut zu sein.»

«Stimmt», sagte Wimsey. «Ich werde das beherzigen, wenn es bei mir soweit ist. Auf das Wohl des glücklichen Paares, und mögen Sie bald Stammvater sein. Und da wir gerade von Stammvätern reden, ich habe hier so einen alten Knaben, über den Sie mir vielleicht etwas sagen können.»

«Ah, ja! Stets erfreut, Ihnen in jeder Weise behilflich zu sein, Lord Peter.»

«Dieses Foto wurde schon vor etwa dreißig Jahren aufgenommen, aber vielleicht erkennen Sie den Mann darauf doch.»

Mr. Abrahams setzte seine Hornbrille auf und betrachtete Großonkel Josephs Porträt mit ernster Aufmerksamkeit.

«O ja, ich kenne ihn recht gut. Was wollen Sie denn über ihn wissen, hm?» Er warf einen raschen, vorsichtigen Blick zu Wimsey hinüber.

«Nichts zu seinem Nachteil. Er ist sowieso tot. Ich hielt es nur für möglich, daß er in letzter Zeit vielleicht wertvolle Steine gekauft haben könnte.»

«Es ist nicht gerade geschäftsüblich, Auskünfte über Kunden zu geben», sagte Mr. Abrahams.

«Ich sage Ihnen, wozu ich sie brauche», antwortete Wimsey. Dann umriß er kurz Großonkel Josephs Werdegang und fuhr fort: «Wissen Sie, ich habe mir folgendes gedacht: Wenn ein Mann das Vertrauen zu den Banken verliert, was macht er dann mit seinem Geld? Er legt es irgendwie an – kauft Land, oder Häuser – aber das bedeutet Miete und somit wieder Geld, das er auf die Bank tragen muß. Eher legt er es also in Gold oder Wertpapieren an, oder er kauft kostbare Steine. Gold und Wertpapiere sind relativ sperrig; aber Juwelen sind klein. In diesem Falle lassen die Umstände mich vermuten, daß er sich für Juwelen entschieden hat. Und wenn wir nicht herausbekommen, was er nun wirklich mit dem Geld gemacht hat, bedeutet das einen großen Verlust für seine Erben.»

«Aha. Nun, wenn das so ist, kann es ja nicht schaden, wenn ich es Ihnen erzähle. Ich weiß, daß Sie ein Mann von Ehre sind, und werde Ihnen zuliebe von meinen Grundsätzen abgehen. Dieser Herr, Mr. Wallace –»

«Wallace hat er sich genannt?»

«Ist das nicht sein wirklicher Name? Diese heimlichtuerischen alten Herren sind schon komisch. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Es kommt oft vor, daß sie beim Juwelenkauf aus Angst vor Dieben und Räubern einen falschen Namen angeben. Ja, ja. Nun, dieser Mr. Wallace kam von Zeit zu Zeit zu mir, und ich hatte den Auftrag, Diamanten für ihn zu suchen. Zwölf große Steine wollte er haben, von erster Qualität und vollkommen zueinander passend. Es hat ziemlich lange gedauert, bis sie alle beisammen waren.»

«Das kann ich mir denken.»

«O ja. Ich selbst habe ihm im Laufe von etwa zwanzig Jahren insgesamt sieben geliefert, und andere Häuser haben auch das ihre getan. Er ist in dieser Straße ein guter Bekannter. Ich habe den letzten Stein für ihn im – Augenblick – im letzten Dezember, glaube ich, gefunden. Ein wunderschöner Stein, wunderschön! Siebentausend Pfund hat er dafür bezahlt.»

«Muß wirklich ein schöner Stein gewesen sein. Wenn sie alle so gut sind, muß die Sammlung einiges wert sein.»

«Schwer zu sagen, wieviel sie wert ist. Wie Sie wissen, sind zwölf zueinander passende Steine ja viel mehr wert als die Summe dessen, was die Steine einzeln gekostet haben.»

«Und ob. Macht es Ihnen etwas aus, mir zu sagen, wie er dafür bezahlt hat?»

«In bar – immer in Noten der Bank von England – jedesmal bar auf die Hand. Dann wollte er noch einen Rabatt für Barzahlung haben», fügte Mr. Abrahams mit leisem Lachen hinzu.

«Er war eben Schotte», sagte Wimsey. «Nun, der Fall wäre klar. Sicher hatte er irgendwo ein Bankschließfach. Und nachdem er die Steine beisammen hatte, hat er sein Testament gemacht. Das ist auch so klar wie der Tag.»

«Aber was ist aus den Steinen geworden?» fragte Mr. Abrahams mit der Besorgnis des Experten.

«Ich glaube, das weiß ich auch», sagte Wimsey. «Ich bin Ihnen jedenfalls sehr verbunden und nehme an, sein Erbe wird es auch sein.»

«Wenn die Steine wieder auf den Markt kommen sollten –» begann Mr. Abrahams.

«Werde ich dafür sorgen, daß sie durch Ihre Hände gehen», sagte Wimsey prompt.

«Das ist sehr freundlich von Ihnen», sagte Mr. Abrahams.

«Geschäft ist nun mal Geschäft. Bin Ihnen jederzeit gern zu Diensten. Schöne Steine – wunderschöne Steine. Wenn Sie mit dem Gedanken spielen sollten, sie selbst zu kaufen, würde ich Ihnen als meinem Freund einen Sonderpreis machen.»

«Danke», sagte Wimsey, «aber vorerst habe ich noch keine Verwendung für Diamanten.»

«Schade, schade», sagte Mr. Abrahams. «Aber es freut mich jedenfalls sehr, daß ich Ihnen einen Dienst erweisen konnte. Sie interessieren sich nicht zufällig für Rubine? Nein? Ich habe nämlich hier etwas sehr Hübsches.»

Er steckte wie beiläufig die Hand in die Tasche und brachte ein flammendrotes kleines Feuerwerk zum Vorschein, wie ein Sonnenuntergang en miniature. «Würden sich sehr schön als Ring machen, nicht?» meinte Mr. Abrahams. «Als Verlobungsring, wie?»

Wimsey lachte und suchte schnell das Weite.

Er war sehr versucht, sofort nach Schottland zu fahren und sich persönlich um die Sache mit Großonkel Joseph zu kümmern, aber der Gedanke an eine wichtige Buchauktion am nächsten Tag brachte ihn davon ab. Es stand ein Manuskript von Catull zum Verkauf, das er unbedingt haben wollte, und er legte seine Interessen nie in die Hände von Händlern. Also begnügte er sich damit, ein Telegramm an Thomas Macpherson zu schicken:

«RATE DRINGEND, GROSSONKEL JOSEPH SOFORT ZU ÖFFNEN.»

Die Dame auf dem Postamt wiederholte den Text laut und mit zweifelnder Miene. «Ganz recht», sagte Wimsey nur, und damit betrachtete er die Angelegenheit als erledigt.

Anderntags hatte er auf der Auktion so recht seinen Spaß. Im Auktionssaal fand er einen Händlerring auf dem Plan, der sich wohlgemut zum Absahnen angeschickt hatte. Nachdem er sich eine Stunde lang halb hinter einer Statue versteckt gehalten und geschwiegen hatte, trat er plötzlich vor, gerade als der Hammer für ein Zehntel seines Werts über dem Catull niedergehen sollte, und übersteigerte das letzte Gebot so schnell, so sicher und so hoch, daß die Herren vor Wut erst einmal nach Luft schnappen mußten. Skrymes – ein Händler, der Wimsey ob eines früheren Scharmützels über einen Justinian ewige Feindschaft geschworen hatte – gab sich einen Ruck und bot gleich fünfzig Pfund mehr. Wimsey verdoppelte daraufhin prompt sein Gebot. Skrymes überbot ihn erneut um fünfzig Pfund. Wimsey ging unverzüglich noch einmal hundert Pfund darüber, und das mit einer Stimme, als gedächte er bis zum Jüngsten Tag weiterzubieten. Skrymes machte ein finsteres Gesicht und schwieg. Irgend jemand legte fünfzig Pfund zu; Wimsey verdoppelte diese, und der Hammer fiel. Angestachelt durch diesen Erfolg und mit dem Gefühl, das bessere Blatt zu haben, bot Wimsey nun beim nächsten Artikel, einer Hypnerotomachia, die er schon besaß und nach der er nicht das mindeste Verlangen hatte, von Anfang an kräftig mit. Skrymes, verärgert über seine Niederlage, knirschte mit den Zähnen und schwor sich, Wimsey diesmal, wenn er schon so in Bieterlaune war, für seine Unverschämtheit kräftig bluten zu lassen. Wimsey seinerseits spielte begeistert mit und ließ die Gebote himmelwärts wachsen. Die Händler, die seinen Ruf als Büchersammler kannten und vermuteten, daß an dem Buch irgend etwas Besonderes sei, was sie nur übersehen hatten, gingen von ganzem Herzen mit, und so übertrumpfte bald ein Gebot das andere. Schließlich zogen sie sich nacheinander doch wieder zurück und ließen es Skrymes und Wimsey unter sich ausmachen. Wimsey, der ein leichtes Zögern in der Stimme des Händlers bemerkt hatte, verzichtete in diesem Augenblick ebenfalls und ließ Mr. Skrymes mit dem Baby sitzen. Nach dieser Katastrophe machte sich bei den Händlern Unmut und Lustlosigkeit breit, und sie boten überhaupt nicht mehr mit, so daß ein schüchterner kleiner Außenseiter, der sich plötzlich in die Arena stürzte, unversehens für einen Spottpreis in den Besitz eines schönen Meßbuchs aus dem vierzehnten Jahrhundert kam. Krebsrot vor Aufregung und Überraschung bezahlte er seine Errungenschaft und rannte aus dem Saal wie ein Karnickel, das Meßbuch an sich gedrückt, als fürchtete er, es könne ihm wieder entrissen werden. Nun machte Wimsey sich ernsthaft daran, einige schöne Frühdrucke zu erwerben, und nachdem ihm dies gelungen war, zog er sich mit Ruhm und Haß bedeckt zurück.

Nach diesem ebenso vergnüglichen wie befriedigenden Tagesverlauf war er denn doch ein wenig verstimmt, als er noch kein begeistertes Telegramm von Macpherson zu Hause vorfand. Daß seine Schlußfolgerung falsch gewesen sein könnte, weigerte er sich zu glauben, und so nahm er eher an, daß Macphersons Verzückung wohl zu groß gewesen war, um sich in den knappen Worten eines Telegramms Ausdruck zu verschaffen, wofür er anderntags sicher einen Brief bekommen werde. Aber andern Morgens um elf kam dann doch ein Telegramm, und das lautete:

«IHR TELEGRAMM SOEBEN ERHALTEN – WAS HEISST DAS – GROSSONKEL JOSEPH HEUTE NACHT GESTOHLEN – EINBRECHER ENTKOMMEN – BITTE AUSFÜHRLICH SCHREIBEN.»

Wimsey ließ sich zu einem Kommentar hinreißen, dessen Wortlaut sonst der Sprache der Soldaten vorbehalten ist. Zweifellos hatte Vetter Robert sich Großonkel Josephs bemächtigt, und selbst wenn sie ihm den Einbruch nachweisen konnten, war das Vermächtnis bis dahin für sie unwiederbringlich verloren. Er war sich noch nie so zum Verzweifeln hilflos vorgekommen. Er verfluchte sogar den Catull, der ihn davon abgehalten hatte, in den Norden zu fahren und sich der Sache persönlich anzunehmen.

Während er noch hin und her überlegte, was da zu tun sei, wurde ein zweites Telegramm gebracht. Es lautete:

«GROSSONKEL JOSEPHS GLAS ZERBROCHEN IN FLEET GEFUNDEN – VON EINBRECHER AUF FLUCHT FALLEN GELASSEN – INHALT VERSCHWUNDEN – WAS TUN?»

Das fragte Wimsey sich auch.

«Natürlich», sagte er sich, «wenn der Dieb einfach das Glas geleert und Großonkel in die Tasche gesteckt hat, sind wir er ledigt. Oder wenn er einfach Großonkel geleert und den Inhalt eingesteckt hat, sind wir auch erledigt. Aber ‹auf der Flucht fallen gelassen› hört sich eher so an, als ob Großonkel Joseph mit Sack und Pack über Bord gegangen wäre. Warum kann dieser dämliche Schotte in seinen Telegrammen nicht etwas ausführlicher sein? Es würde ihn nur einen Penny oder zwei mehr kosten. Am besten fahre ich wohl selbst mal hin. Inzwischen kann ein bißchen gesunde Beschäftigung ihm nicht schaden.»

Er nahm ein Telegrammformular vom Schreibtisch und schickte eine weitere Botschaft los:

«WAR GROSSONKEL IM GLAS ALS ES FIEL – WENN JA FLEET ABSUCHEN WENN NEIN EINBRECHER VERFOLGEN WAHRSCHEINLICH ROBERT FERGUSON – KEINE MÜHE SCHEUEN – BRECHE HEUTE ABEND NACH SCHOTTLAND AUF ANKOMME HOFFENTLICH MORGEN FRÜH – WICHTIG NICHTS UNVERSUCHT LASSEN – ERKLÄRUNG FOLGT.»

Der Nachtexpreß setzte Lord Peter Wimsey andern Morgens früh in Dumfries ab, und ein Mietauto brachte ihn gerade rechtzeitig zum Frühstück zum Stone Cottage. Maggie öffnete ihm und begrüßte ihn mit großer Herzlichkeit.

«Kommen Sie nur rrrein, Sir. Ist schon alles für Sie bereit. Mr. Macpherson ist in ein paar Minuten wieder da, denke ich. Sie sind sicher müde von der langen Rrreise, und hungrig vielleicht auch? Ja. Nehmen Sie ein bißchen Hafergrrütze zu den Eiern und Speck? Forrrellen gibt’s heute keine, dabei war gestern so ein herrrrlicher Tag zum Angeln. Aber Mr. Macpherson ist mit meinem Jock immerzu den Fluß rrrauf und rrrunter, rrrauf und rrrunter, und hat nach seinem Prrräparat gesucht, wie er die Dinger nennt, von denen der Dieb eins verloren hat, der hier war. Ich hab keine Ahnung, was es ist, aber Jock sagt, es sieht aus wie ein Kalbsgeschlinge, jedenfalls hat Mr. Macpherson es ihm so beschrieben.»

«Ach Gott, ja!» sagte Wimsey. «Und wie war das mit diesem Einbruch, Maggie?»

«Wahrhaftig, Sir, das war schon eine komische Sache. Mr. Macpherson war den ganzen Montag und Dienstag weg, zum Angeln oben auf dem großen Loch beim Viadukt. Es hatte ja am Samstag und Sonntag starrrk gerrregnet, wie Sie vielleicht noch wissen, und Mr. Macpherson sagt also zu meinem Jock: ‹Morrrgen werden sie beißen wie verrrrückt›, sagt er, ‹da gehen wir, wenn’s zu rrregnen aufhört, rrrauf zum Viadukt und übernachten in der Wildhüterhütte.› Und wie es am Montag dann zu rrregnen aufgehört hat und es so ein herrrrlich warrrmer, milder Tag war, da sind sie also zusammen los. Am Dienstag ist ein Telegrrram für ihn gekommen, das hab ich aufs Kaminsims gestellt, damit er es gleich sieht, wenn er heimkommt, aber seitdem denke ich immerzu, daß es sicher was mit dem Einbrrruch zu tun hatte.»

«Ich kann nur sagen, daß Sie da wahrscheinlich recht haben, Maggie», bestätigte Wimsey ernst.

«Ja, Sir, und mich würd’s auch garrr nicht wundern.» Maggie servierte dem Gast eine Riesenportion Ei mit Speck und setzte ihre Erzählung fort.

«Also, am Dienstagabend, da saß ich in meiner Küche, um auf Mr. Macpherson und Jock zu warten, und wie leid sie mir getan haben, die arrrmen Kerrrle, denn es goß doch wieder so, und die Nacht war so finster, daß ich schon Angst hatte, sie fallen womöglich noch in einen Moortümpel. Na ja, ich sitze also da und warrrte, ob ich die Tür gehen höre, und da hör ich auf einmal, wie sich im Vorrrderzimmer was bewegt. Die Haustür war ja nicht zugeschlossen, weil Mr. Macpherson zurrrückerwarrrtet wurrrde. Ich also hoch von meinem Sessel, weil ich denke, er ist vielleicht zurrrück und ich hab ihn bloß nicht kommen hören. Errrst hab ich aber noch den Kessel aufgesetzt, und da hör ich auf einmal ein Krrrachen nebenan. Ich geh also rrraus und rrrufe: ‹Sind Sie das vielleicht, Mr. Macpherson?› Aber darauf kam keine Antwort, nur wieder so ein Krrrachen, und da bin ich also schnell mal hingerrrannt, und schon kommt da ein Kerrrl aus dem Vorrrderzimmer und drrrückt sich an mir vorbei und schiebt mich mit der Hand weg, so, und wie der Blitz ist er rrraus aus der Tür. Da hab ich also errrst mal ’nen Schrrrei losgelassen, und vom Garrrtentor her antwortet Jock. ‹Jock!› rrruf ich. ‹Da war ein Einbrecher im Haus!› Und dann hör ich ihn durch den Garrrten rennen, auf den Fluß zu, und mitten durch den jungen Kohl und die Errrdbeerbeete, dieser Lump!»

Wimsey brachte sein Mitgefühl zum Ausdruck.

«Ja, eine schlimme Geschichte war das. Und als nächstes waren Mr. Macpherson und Jock Hals über Kopf hinter ihm her. Wenn Davie Murrays Kühe eingebrochen wären, die hätten auch nicht mehr kaputtrrrampeln können. Und dann auf einmal ein lautes Platschen, und nach ’ner Weile kommt Mr. Macpherson zurück und sagt: ‹Er ist in den Fleet gesprrungen und weg. Was hat er denn mitgenommen?› frrragt er. ‹Weiß ich nicht›, sag ich, ‹weil das alles so schnell ging, da konnte ich garrr nichts sehen.› – ‹Na, dann kommen Sie mal mit rrrein, dann werden wirrr’s ja sehen›, sagt er. Da haben wir also oben und unten nachgeguckt, aber das einzige, was wir fanden, war die aufgebrrrochene Schrrranktür im Vorrrderzimmer, und außer dem Glas mit dem Prrräparat war nichts weg.»

«Aha!» sagte Wimsey.

«Ja, und dann sind sie beide mit Laternen wieder rrrausgegangen, aber von dem Dieb haben sie nichts mehr gesehen. Und schließlich kommt Mr. Macpherson zurück und sagt: ‹Ich geh jetzt zu Bett›, sagt er, ‹denn ich bin so müde, daß ich heute nacht nichts mehr tun kann›, sagt er. ‹Aber ich›, sag ich, ‹ich trrrau mich nicht zu Bett; ich hab solche Angst.› – ‹Ach was›, sagt Jock, ‹rrreg dich doch nicht so auf. Heute nacht kommt kein Einbrecher mehr, denen haben wir ’nen viel zu grrroßen Schrrrecken eingejagt.› Und da haben wir also alle Türen und Fenster zugeschlossen und sind zu Bett gegangen, aber ich hab die ganze Nacht kein Auge zugekriegt.»

«Das kann man verstehen», sagte Wimsey.

«Und das Telegrrramm», fuhr Maggie fort, «das hat Mr. Macpherson errrst am nächsten Morgen aufgemacht. Menschenskind, hat er sich aufgeregt! Und dann ging’s los mit den Telegrrrammen. Das war nur noch ein Hin und Her zwischen dem Postamt und hier. Und dann haben sie die Scherrrben von dem Glas gefunden, wo das Prrräparat drrrin gewesen war; zwischen den Steinen im Fluß haben die gesteckt. Und seitdem sind Mr. Macpherson und Jock wieder unterwegs mit ihren Wasserstiefeln und Fischhaken und suchen jetzt in allen Tümpeln und unter allen Steinen nach dem Prrräparat. Damit sind sie jetzt noch immer drrran.»

An dieser Stelle wurde sie von einem dreimaligen lauten Klopfen an der Decke unterbrochen.

«Ach du lieber Himmel!» rief Maggie. «Jetzt hab ich doch den armen Herrn da oben ganz verrrgessen.»

«Was für einen Herrn?» fragte Wimsey.

«Den sie aus dem Fleet gefischt haben», antwortete Maggie.

«Entschuldigen Sie mich einen Moment, Sir.»

Sie flüchtete rasch nach oben. Wimsey schenkte sich eine dritte Tasse Kaffee ein und zündete sich eine Pfeife an.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er trank seine Tasse aus – er war nicht der Mann, der sich um die Freuden des Lebens brachte und folgte Maggie leise nach oben. Er sah eine halboffene Tür es war das Zimmer, in dem er bei seinem letzten Hiersein selbst gewohnt hatte – und stieß sie ganz auf. Im Bett lag ein rothaariger Mann mit fuchsartigem Gesicht, das durch den weißen Verband, der sich verwegen um die linke Schläfe schlang, nicht eben verschönert wurde. Auf dem Nachttischchen stand ein Frühstückstablett. Wimsey trat mit ausgestreckter Hand ans Bett.

«Guten Morgen, Mr. Ferguson», sagte er. «Was für eine unerwartete Freude.»

«Guten Morgen», antwortete Mr. Ferguson verstimmt.

«Als wir uns das letzte Mal begegneten», fuhr Wimsey fort, indem er sich aufs Bett setzte, «hatte ich ja keine Ahnung, daß Sie vorhatten, meinen Freund Macpherson zu besuchen.»

«Gehen Sie von meinem Bein runter», knurrte der Kranke.

«Meine Kniescheibe ist kaputt.»

«Wie unangenehm! Furchtbar schmerzhaft, nicht? Und wie es heißt, braucht so etwas Jahre, um wieder in Ordnung zu kommen – falls es überhaupt je wieder in Ordnung kommt. Ist es eine sogenannte Potts-Fraktur? Ich weiß nicht, wer Potts war, aber es klingt so eindrucksvoll. Wie haben Sie denn das gemacht? Beim Angeln passiert?»

«Ja. Bin in diesem dämlichen Fluß ausgerutscht.»

«Schlimm. Aber so was kann jedem passieren. Sind Sie ein passionierter Angler, Mr. Ferguson?»

«Halbwegs.»

«Ich auch, wenn ich mal die Gelegenheit dazu habe. Was für Fliegen bevorzugen Sie denn in diesem Landesteil? Ich selbst habe Grüne Gatschen ganz gern. Haben Sie die schon mal versucht?»

«Nein», antwortete Mr. Ferguson kurz angebunden.

«Manche Leute finden ja die Rosa Siske besser. Haben Sie so eine? Haben Sie Ihre Fliegenbüchse hier?»

«Ja – nein», sagte Mr. Ferguson. «Die hab ich verloren.»

«Pech. Aber sagen Sie mir mal, was Sie von der Rosa Siske halten.»

«Nicht schlecht», antwortete Mr. Ferguson. «Hab schon manchmal Forellen damit gefangen.»

«Das überrascht mich aber», meinte Wimsey, und das war nicht verwunderlich, denn er hatte die Fliegen soeben erfunden und kaum damit gerechnet, damit durchzukommen. «Na ja, ich fürchte allerdings, daß Ihr Mißgeschick Ihnen diese Angelsaison verdorben hat. So ein Pech aber auch. Sonst hätten Sie uns nämlich helfen können, heute den Patriarchen zu erwischen.»

«Wer oder was ist denn das? Eine Forelle?»

«Ja. Ein ungemein schlauer alter Bursche. Treibt sich im Fleet herum. Man weiß nie, wo man ihn gerade findet. Jeden Augenblick kann er in dem einen oder anderen Tümpel auftauchen. Ich gehe heute mit Mac hinaus, um ihn zu suchen. Ein wahres Juwel von einem Fisch. Wir haben ihm den Spitznamen Großonkel Joseph gegeben. Na, na – zappeln Sie nicht so, das schadet Ihrem Knie. Kann ich etwas für Sie tun?»

Er grinste liebenswürdig und drehte sich um, denn von der Treppe her ertönte ein Ruf.

«Hallo, Wimsey! Sind Sie das?»

«Ja. Was macht die Kunst?»

Macpherson kam die Treppe heraufgesprungen, immer vier Stufen auf einmal nehmend. Er begegnete Wimsey auf dem Treppenabsatz, als dieser aus dem Zimmer kam.

«Sagen Sie, wissen Sie, wer das ist? Das ist Robert!»

«Ich weiß. Bin ihm in London begegnet. Aber egal. Haben Sie Großonkel Joseph gefunden?»

«Nein. Was soll diese ganze Heimlichtuerei? Und was will Robert hier? Was meinten Sie damit, als Sie schrieben, er sei der Einbrecher? Und warum ist Großonkel Joseph so wichtig?»

«Eins nach dem andern. Finden wir den alten Knaben zuerst einmal. Was haben Sie inzwischen gemacht?»

«Also, nach Ihrem höchst merkwürdigen Telegramm habe ich zunächst mal gedacht, Sie müßten verrückt geworden sein.»

(Wimsey gab einen ungehaltenen Ton von sich.) «Aber dann habe ich mir überlegt, wie komisch es ist, daß jemand Großonkel Joseph für stehlenswert halten sollte, und da habe ich mir gedacht, daß an dem, was Sie schrieben, vielleicht doch etwas dran sein könnte.» («Wie nett von Ihnen», sagte Wimsey.) «Da bin ich also rausgegangen und hab ein bißchen herumgestochert. Nicht daß ich mir die allerkleinste Chance ausgerechnet hätte, etwas zu finden, wo doch jetzt das Wasser derart heruntergerauscht kommt. Also, und ich war noch nicht weit gekommen – übrigens war Jock dabei. Der hält mich sicher auch für verrückt. Er sagt natürlich nichts. Diese Leute machen ja nie richtig den Mund auf –»

«Lassen Sie jetzt mal Jock aus dem Spiel – erzählen Sie weiter.»

«Hm – na ja, wir waren also noch nicht weit gekommen, da sahen wir einen Mann mit einer Angel im Fluß herumwaten. Ich habe nicht weiter darauf geachtet, denn meine Gedanken waren ja bei dem, was Sie – Also. Ja doch! Jock sah ihn und sagte zu mir: ‹Ein komischer Angler ist mir das da.› Daraufhin guckte ich hin und sah ihn da zwischen den Steinen herumtorkeln, während seine Fliege vor ihm her im Wasser trieb; und er guckte in alle Tümpel, an die er kam, und stocherte mit einem Fischhaken darin herum. Ich rief ihn an, und da schaute er sich um und steckte ziemlich hastig den Fischhaken weg und begann seine Schnur aufzurollen. Dabei hat er sich schrecklich dumm angestellt», fügte Macpherson befriedigt hinzu.

«Das glaube ich gern», sagte Wimsey. «Wer zugibt, mit Rosa Sisken Forellen zu fangen, der wird sich bei allem ziemlich dumm anstellen.»

«Mit rosa was?»

«Tut nichts zur Sache. Ich wollte nur sagen, daß Robert kein Angler ist. Weiter.»

«Also, seine Schnur verfing sich irgendwo, und er fing an zu zerren und zu reißen und stapfte dabei herum, und plötzlich ging die Schnur los und sauste wie wild durch die Luft und riß mir den Hut vom Kopf. Das machte mich ziemlich rasend, und ich wollte auf ihn zu, aber damit drehte er sich wieder um, und ich rief: ‹Meine Güte, das ist ja Robert!› Woraufhin er seine Angel fallen ließ und Fersengeld gab. Natürlich rutschte er dabei auf den Steinen aus und schlug fürchterlich hin. Wir haben ihn herausgefischt und nach Hause gebracht. Er hat sich den Kopf böse angeschlagen und eine gebrochene Patella. Hochinteressant. Würde mich gern einmal selbst daran versuchen, aber das geht natürlich nicht an, darum habe ich Strachan kommen lassen. Er ist ein guter Mann.»

«Bisher haben Sie in dieser Geschichte ungemeines Glück gehabt», sagte Wimsey. «Jetzt bleibt uns nur noch, Großonkel zu finden. Wie weit sind Sie bis unten gekommen?»

«Nicht sehr weit. Dadurch, daß wir Robert nach Hause bringen und uns um sein Knie kümmern mußten, konnten wir gestern natürlich nicht mehr viel tun.»

«Zum Teufel mit Robert! Ihr Großonkel kann mittlerweile schon irgendwo im Meer herumschwimmen. Packen wir die Sache sofort an.»

Er schnappte sich einen Fischhaken vom Schirmständer – «Der gehört Robert», klärte Macpherson ihn auf – und ging voran.

Das Flüßchen schäumte mit bräunlichem Schwall dahin und riß auf seinem Weg größere und kleinere Steine rasselnd mit. Jedes Loch, jeder Wirbel konnte ein Versteck für Großonkel Joseph darstellen. Wimsey blickte unentschlossen hierhin und dahin – dann wandte er sich plötzlich an Jock.

«Wo ist denn hier die nächste Landzunge, an der für gewöhnlich allerlei angespült wird?» fragte er.

«Hm, tja – da wäre der Battery Pool, ungefähr ’ne Meile flußabwärts. Da findet man manchmal Sachen, die angespült werden. Hm. Ja. Da ist’n Tümpel und ein bißchen Sand, wo der Fluß ’ne Biegung macht. Da finden wir es vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Ich kann nichts versprechen.»

«Sehen wir dort jedenfalls mal nach.»

Macpherson, der von der Aussicht, den ganzen Fluß abzusuchen, von vornherein nicht erbaut gewesen war, sprang auf diese Idee sofort an.

«Das ist mal ein guter Gedanke. Wenn wir mit dem Wagen bis kurz vor Gatehouse fahren, brauchen wir nur noch über zwei Wiesen zu gehen.»

Der Wagen stand noch vor der Tür. Der Fahrer genoß die Gastlichkeit des Cottages. Sie eisten ihn von Maggies Teebrötchen los und fuhren in Richtung Gatehouse.

«Die Möwen dort scheinen mit irgend etwas schwer beschäftigt zu sein», sagte Wimsey, als sie die zweite Wiese überquerten. Die weißen Schwingen segelten in immer engeren Kreisen über dem gelben Sand dahin. Der Wind trug ihre heiseren Schreie fort. Wimsey zeigte stumm mit der Hand auf eine Stelle im Sand. Dort lag irgend etwas Längliches, Unansehnliches, etwa wie ein verschmutzter Geldstrumpf. Die Möwen stiegen entrüstet höher und krächzten die Störenfriede an. Wimsey lief voran, bückte sich, richtete sich wieder auf und ließ den langen Sack von der ausgestreckten Hand herunterbaumeln.

«Großonkel Joseph, nehme ich an», sagte er und lüftete mit altmodischer Höflichkeit den Hut.

«Die Möwen haben ein bißchen drrran herumgez’upft», sagte Jock. «Wird ihnen zu zäh gewesen sein. Nee, viel haben sie damit nicht angestellt.»

«Wollen Sie es nicht öffnen?» fragte Macpherson ungeduldig.

«Nicht hier», sagte Wimsey. «Wir könnten womöglich etwas verlieren.» Er warf das Ding in Jocks Fischreuse. «Wir wollen es zuerst nach Hause bringen und Robert zeigen.»

Robert empfing sie mit schlecht verhohlener Wut.

«Wir waren ein bißchen angeln», sagte Wimsey fröhlich. «Sehen Sie sich mal unser hübsches kleines Fischchen an.» Er wog den Fund in der Hand. «Was ist denn in diesem Fischchen wohl drin, Mr. Ferguson?»

«Ich habe nicht die leiseste Ahnung», sagte Robert.

«Warum haben Sie denn dann danach geangelt?» fragte Wimsey liebenswürdig. «Mac, haben Sie mal ein Skalpell hier?»

«Ja – hier. Schnell.»

«Ich überlasse es Ihnen. Seien Sie vorsichtig. Ich würde mit dem Magen beginnen.»

Macpherson legte Großonkel Joseph auf den Tisch und schlitzte ihn mit geübter Hand auf.

«Gott sei uns gnädig!» rief Maggie, die ihm über die Schulter schaute. «Was ist denn das wohl?»

Wimsey schob vorsichtig Daumen und Zeigefinger in Onkel Josephs Höhlungen. «Eins – zwei – drei.» Die Steine funkelten wie Feuer, als er sie auf den Tisch legte. «Sieben – acht – neun. Das scheinen alle zu sein. Suchen Sie noch mal ein Stückchen weiter unten, Mac.»

Sprachlos vor Verblüffung sezierte Macpherson sein Erbe.

«Zehn – elf», zählte Wimsey. «Ich fürchte, die Möwen haben Nummer zwölf verschluckt. Tut mir leid, Mac.»

«Aber wie sind die da hineingekommen?» fragte Robert mit dummem Gesicht.

«Kleinigkeit. Großonkel Joseph hat sein Testament gemacht, dann die Diamanten geschluckt –»

«Der muß ja ein großer Pillenschlucker gewesen sein», meinte Maggie anerkennend.

«– und ist aus dem Fenster gehüpft. Das war jedem, der das Testament gelesen hatte, sonnenklar. Er hat Ihnen doch gesagt, Mac, daß er Ihnen seinen Magen für Ihr Studium vermacht.»

Ein tiefes Stöhnen entrang sich Robert Ferguson.

«Ich wußte, daß da was drin war», sagte er. «Darum bin ich ja hingegangen und hab mir das Testament noch einmal angesehen. Und als ich Sie dort sah, wußte ich, daß ich richtig vermutet hatte. (Dieses verdammte Bein!) Aber ich habe mir keinen Augenblick vorgestellt –»

Sein Blicke verschlangen gierig die Diamanten.

«Und was sind diese Steinchen so wert?» erkundigte sich Jock.

«Rund siebentausend Pfund das Stück, jeder für sich. Zusammen aber viel mehr.»

«Der Alte war verrückt!» zischte Robert wütend. «Ich werde das Testament anfechten.»

«Das glaube ich nicht», sagte Wimsey. «Es gibt nämlich einen Straftatbestand namens Einbruchsdiebstahl.»

«Mein Gott!» sagte Macpherson, indem er die Steine wie im Traum befühlte. «Mein Gott!»

«Siebentausend Pfund», sagte Jock. «Hab ich Sie richtig verstanden, Sir, daß da jetzt so ’ne Möwe mit siebentausend Pfund im Kropf rrrumfliegt? Mein Gott, das darrrf man sich nicht vorstellen! Guten Tag, meine Herren. Ich geh mal eben zu Jimmy McTaggart rrrüber und frrrag ihn, ob er mir nicht mal seine Flinte leiht.»