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Das faszinierende Problem mit Onkel Meleagers
Testament
«Sie machen so ein bekümmertes Gesicht, Bunter», sagte Seine Lordschaft freundlich zu seinem Diener. «Kann ich Ihnen irgendwie helfen?»
Des Getreuen Miene hellte sich auf, während er die graue Hose seines Herrn aus dem Spannbügel nahm.
«Vielleicht können Eure Lordschaft so freundlich sein und mir ein Wort mit sieben Buchstaben und einem P in der Mitte nennen, das etwas mit Zwei zu tun hat.»
«Doppelt», sagte Lord Peter wie aus der Pistole geschossen.
«Danke, Mylord, das hatte ich auch schon gedacht, aber es paßt leider nicht.»
«Dann eben nicht», sagte Lord Peter. «Wie steht’s mit meinem Bad?»
«Es müßte gleich fertig sein, Mylord.»
Lord Peter Wimsey schwang seine seidenbekleideten Beine über die Bettkante und dehnte sich wohlig. Es war ein schöner Juni in diesem Jahr. Durch die offene Tür sah er die Dampfwölkchen, die sich einladend durch einen gelben Sonnenstrahl kräuselten. Jeder seiner Schritte in Richtung Bad war ein bewußter Akt des Genießens. Mit seinem etwas belegten, hellen Tenor schmetterte er ein paar Töne von «Maman, dîtes-moi», dann kam ihm plötzlich ein Gedanke, und er kehrte noch einmal um.
«Bunter!»
«Mylord?»
«Keinen Speck heute morgen. Der Geruch paßt heute nicht.» «Ich hatte an Rühreier gedacht, Mylord.»
«Ausgezeichnet. Buttergelb. Das richtige BeaconsfieldGefühl», sagte Seine Lordschaft beifällig.
Sein Gesang erstarb in einem verzückten Schmachtlaut, als er in das nach Verbenaöl duftende Wasser stieg. Sein Blick glitt abwesend über die hellblau und weiß gekachelten Badezimmerwände.
Mr. Bunter hatte sich in die Küche verzogen, um den Kaffee
aufzusetzen, als die Glocke ertönte. Überrascht eilte er zurück ins
Schlafzimmer. Es war leer. Mit zunehmender Verwunderung stellte er
fest, daß es die Badezimmerglocke gewesen sein mußte. Das Wort
«Herzanfall» schoß ihm durch den Kopf, aber gleich trat an seine
Stelle der noch beklemmendere Gedanke:
«Keine Seife.» Fast angstvoll öffnete er die Tür.
«Eure Lordschaft haben geläutet?» fragte er den Kopf, der als einziges von Lord Peter noch zu sehen war.
«Ja», sagte Seine Lordschaft unvermittelt. «Gespann.»
«Wie meinen, Mylord?»
«Gespann. Wort mit sieben Buchstaben, das mit Zwei zu tun hat. Ein P in der Mitte. Zwei Pferde. Ein Gespann.»
Auf Bunters Gesicht machte sich Seligkeit breit.
«Zweifellos richtig», sagte er, indem er einen kleinen Zettel aus der Tasche zog und das Wort mit Bleistift eintrug. «Ich bin Eurer Lordschaft zutiefst verbunden. In diesem Fall muß der gute Koch mit sechs Buchstaben, der auf R endet, Hunger heißen.»
Lord Peter entließ ihn mit einer Handbewegung.
Als Lord Peter ins Schlafzimmer zurückkam, staunte er nicht schlecht, seine Schwester Mary dort in seinem höchsteigenen Sessel sitzen und seine Rühreier verzehren zu sehen. Er begrüßte sie mit freundschaftlicher Bissigkeit und erkundigte sich, was sie zu so gottloser Stunde zu ihm führe.
«Ich reite mit Freddy Arbuthnot aus», antwortete Ihre Ladyschaft, «was du ja schon an meinen Beinkleidern sehen könntest, wenn du wirklich der große Sherlock Holmes wärst, für den du dich ausgibst.»
«Auf Reiten war ich schon gekommen», erwiderte ihr Bruder, «aber ich muß zugeben, daß Freddys Name für meine Vorfrühstücksaugen nicht mit Großbuchstaben auf den Knien deiner Reithose stand. Aber warum der Besuch?»
«Einfach weil du am Weg wohnst», sagte Lady Mary, «und ich sonst schon den ganzen Tag beschäftigt bin, und weil ich möchte, daß du heute abend mit mir in den Sowjet-Club essen gehst.»
«Großer Gott, Mary, wozu denn das? Du weißt, wie ich dieses Lokal hasse. Miserable Küche, unrasierte Männer, und die Gespräche bringen mich auf die Palme. Und als ich das letzte Mal dort war, hat mir außerdem dein Freund Goyles eine Kugel in die Schulter verpaßt. Ich dachte übrigens, du hättest den Sowjet-Club aufgegeben.»
«Es geht auch nicht um mich, sondern um Hannah Marryat.» «Was, dieses verbiesterte junge Mädchen mit dem schlechten Haarschnitt und den Schnürschuhen?»
«Sie konnte sich eben noch nie einen guten Friseur leisten.
Und das ist genau der Punkt, an dem ich deine Hilfe brauche.» «Mein liebes Kind, ich kann ihr doch nicht die Haare schneiden. Vielleicht Bunter. Er kann ja fast alles.»
«Unsinn! Nein, aber sie hat – das heißt, sie hatte – einen Onkel, so einen reichen, knickrigen, der nie einem andern mal einen Penny abgab. Also, dieser Onkel ist jetzt tot, und sie können sein Testament nicht finden.»
«Vielleicht hat er keins gemacht.»
«O doch, er hat. Er hat es ihr sogar geschrieben. Aber der gemeine Kerl hat es versteckt, und jetzt können sie es nicht finden.»
«Ist das Testament zu ihren Gunsten?»
«Ja.»
«Wer ist der nächste Verwandte?»
«Sie und ihre Mutter sind die einzigen, die von der Familie noch übrig sind.»
«Na, dann braucht sie sich ja nur zu gedulden, und irgend wann kriegt sie das Geld.»
«Nein – denn dieser schreckliche Alte hat zwei Testamente gemacht, und wenn sie das letzte nicht finden, wird das erste für gültig erklärt. Das hat er ihr genau auseinandergesetzt.» «Aha, verstehe. Übrigens, ich dachte, sie wäre Sozialistin.»
«Und wie. Man kann sie da wirklich nur bewundern. Sie hat großartige Arbeit geleistet.»
«O ja, ich kann es mir vorstellen. Aber dann verstehe ich nicht, warum sie so scharf auf Onkelchens Taler ist.»
Mary mußte leise lachen.
«Haha, aber das ist es ja, womit Onkel Meleager –»
«Onkel was?»
«Meleager. So hieß er. Meleager Finch.»
«Oh!»
«Ja – und das hat er eben so raffiniert eingefädelt. Wenn sie das neue Testament nicht findet, tritt das alte in Kraft, und dann geht jeder Penny an die Primelliga.»
Lord Peter stieß einen kleinen Freudenschrei aus.
«Bravo, Onkel Meleager! Weißt du, Polly, ich bin doch nun allenfalls ein Konservativer. Jedenfalls gewiß kein Roter. Warum soll ausgerechnet ich helfen, der Primelliga das schöne Geld wegzuschnappen, damit die Dritte Internationale es kriegt? Onkel Meleager ist ein feiner Kerl. Er gefällt mir allmählich.»
«Oh – aber Peter, ich glaube wirklich nicht, daß sie das Geld dahin geben würde. Wenigstens im Moment nicht. Die beiden sind so schrecklich arm, und Hannahs Mutter braucht irgendeine furchtbar schwierige Operation oder so was Ähnliches und müßte im Ausland leben, darum ist es doch so wichtig, daß sie das Geld bekommen. Und vielleicht wäre Hannah ja auch gar nicht so rot, wenn sie je einen Penny besessen hätte. Außerdem könntest du ja für deine Hilfe die Bedingung stellen, daß sie zu Bresil geht und sich mal ordentlich frisieren läßt.»
«Du bist eine alte Zynikerin», sagte Seine Lordschaft. «Aber es würde mir schon Spaß machen, mir einmal Onkel Meleager vorzuknöpfen. War er wenigstens so entgegenkommend, ein paar Hinweise zu geben, wo das Testament zu finden sein könnte?»
«Er hat einen ganz komischen Brief geschrieben, aus dem wir vorn und hinten nicht schlau werden. Komm doch heute abend mit in den Club, dann zeigen wir ihn dir.»
«Abgemacht. Ist sieben Uhr recht? Und hinterher könnten wir ins Variete gehen. Würde es dir etwas ausmachen, hier jetzt zu verschwinden? Ich möchte mich nämlich anziehen.»
Der Sowjet-Club trifft sich zum Dinieren in einem niedrigen Kellergewölbe, in dem man vor lauter Krach sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Heiße Diskussionen um ethische und soziologische Fragen sowie die neuesten Verse aus den modernen Dichterschulen vermengen sich hier mit dem Rauch unzähliger Zigaretten und schaffen eine Luft zum Zersägen, durch die eine Anzahl flächiger, geometrischer Wandgemälde verschwommen auf die Zecher herabblicken. Für Ellbogen und andere Körperteile bleibt schmerzlich wenig Platz. Lord Peter – die Füße unter den Stuhl gezogen, um den verirrten Tritten der derben Schnürschuhe seines Gegenübers zu entgehen – empfand akut die unbekömmliche Körperhaltung und ein überhitztes Gefühl um den Kopf herum. Er hatte es schwer, aus Hannah Marryat irgendwelche Antworten herauszubekommen. Unter ihren dichten, schlecht geschnittenen Haarfransen sah sie ihn mit ihren dunklen, brütenden Augen düster an. Zugleich aber glaubte er dahinter eine große Vitalität zu spüren. Er stellte sich plötzlich vor, welch unvermutete Lebensfreude sie hervorkehren könnte, wenn es nur erst gelänge, sie aus dieser Abwehrhaltung und der vermeintlichen Verpflichtung zum Ernstsein herauszulocken. Sein Interesse war erwacht, aber er fühlte sich beengt. Zu seiner großen Erleichterung schlug Mary vor, sie sollten ihren Kaffee oben trinken.
Sie fanden eine stille Ecke mit bequemen Sesseln.
«Also», sagte Mary aufmunternd.
«Sie müssen natürlich wissen», erklärte Miss Marryat mit Trauermiene, «daß ich nie etwas wegen des Geldes unternehmen würde, wenn Onkel Meleagers anderes Testament nicht so himmelschreiend ungerecht und meine Mutter nicht so krank wäre. Aber wenn es um 250.000 Pfund geht und man wirklich etwas Gutes damit anfangen könnte –»
«Natürlich», sagte Lord Peter, «es geht nicht ums Geld, sondern, wie die schöne alte Binsenweisheit lautet, ums Prinzip. Recht so. Jetzt schlage ich vor, wir werfen einmal einen Blick auf Onkel Meleagers Brief.»
Miss Marryat kramte in einer sehr großen Handtasche und reichte ihm das Papier herüber.
Es war Onkel Meleagers Brief, datiert zwölf Monate zuvor in
Siena:
«Liebe Hannah – wenn ich einmal sterbe – was ich nach eigenem Gutdünken zu tun beabsichtige und nicht nach den Wünschen meiner Familie –, wirst Du endlich einmal meinen Geldwert feststellen. Er ist natürlich erheblich geringer, als Du gehofft hast, und kann, wie ich Dir versichere, bei weitem nicht meinen wahren Wert in den Augen des Kenners wiedergeben. Ich habe gestern mein Testament gemacht und mein ganzes Vermögen mit allem, was dazugehört, der Primelliga vermacht – einer Körperschaft, die nicht minder einfältig ist als andere in unserm lächerlichen Staate auch, jedoch den Vorzug hat, Dir ganz besonders. gegen den Strich zu gehen. Dieses Testament wird man im Safe meiner Bibliothek finden.
Indessen habe ich keineswegs vergessen, daß Deine Mutter meine Schwester ist und Du und sie meine einzigen lebenden Anverwandten seid. Aus diesem Grunde werde ich mir das Vergnügen machen, heute ein zweites Testament aufzusetzen, welches das andere außer Kraft setzt und das ganze Geld Dir zuspricht. Ich war schon immer der Überzeugung, daß Frauen zur Frivolität geboren sind. Eine Frau, die vorgibt, seriös zu sein, vergeudet ihre Zeit und läßt ihr Äußeres verkommen. Ich finde, Du hast Deine Zeit in wirklich erschreckendem Ausmaß vergeudet, und darum werde ich dieses Testament in einer Weise verstecken, daß Du es ganz gewiß nicht findest, außer durch eine länger anhaltende Anwandlung von Frivolität.
In der Hoffnung, daß Du es fertigbringen wirst, frivol genug zu
sein, um mich doch noch zu beerben, grüßt Dich Dein Dir
zugetaner
Onkel Meleager»
«Könnten wir diesen Brief nicht als Beweis für die Absichten des Erblassers anführen und das andere Testament anfechten?» fragte Mary besorgt.
«Ich fürchte, nein», sagte Lord Peter. «Seht mal, es gibt ja keinen Beweis dafür, daß dieses zweite Testament wirklich je geschrieben wurde. Obwohl wir vermutlich die Zeugen ausfindig machen könnten.»
«Das haben wir schon versucht», sagte Miss Marryat, «aber sehen Sie, Onkel Meleager reiste damals gerade im Ausland herum, und wahrscheinlich hat er sich irgendwelche obskuren Leute in irgendeinem obskuren italienischen Nest geholt, um das Testament bezeugen zu lassen. Wir haben schon eine Annonce aufgegeben, aber keine Antwort daraufbekommen.»
«Hm. Onkel Meleager scheint nichts dem Zufall überlassen zu haben. Überhaupt sind Testamente eine Sache für sich, genau wie Notare und Scheidungsanwälte. Das Nächstliegende ist, nach dem zweiten Testament zu suchen. Tauchen die Hinweise, von denen er spricht, irgendwo in seinen Papieren auf?»
«Wir haben alles durchgesehen. Und natürlich haben wir das Haus vom Dach bis zum Keller nach dem Testament durchsuchen lassen. Aber es war vollkommen nutzlos.»
«Sie haben natürlich nichts vernichtet, oder? Wer waren die Vollstrecker des Testaments zugunsten der Primelliga?» «Meine Mutter und Mr. Sands, Onkel Meleagers Anwalt. In dem Testament wurde meiner Mutter für ihre Mühen eine silberne Teekanne vermacht.»
«Onkel Meleager gefällt mir immer besser. Immerhin ist er sportlich an die Sache herangegangen. Der Fall macht mir langsam Spaß. Wo wohnte Onkel Meleager eigentlich?»
«In einem alten Haus unten in Dorking. Ein ziemlich komisches Gemäuer. Irgend jemand hatte die Idee, dort so eine Art römische Villa zu bauen, mit der Veranda hinten, Säulen und einem Bassin in der Vorhalle und Statuen. Jetzt ist es ganz nett dort, aber im Winter ist es entsetzlich kalt mit den Steinböden und Steintreppen und einem Oberlicht über der Halle! Mutter meinte, Sie wären vielleicht so freundlich, mit hinzufahren und es sich anzusehen.»
«Ich kann es kaum erwarten. Können wir gleich morgen losfahren? Ich verspreche Ihnen, wir werden frivol genug sein, um selbst Onkel Meleager zu gefallen, wenn nur Sie auch Ihren Teil dazu tun, Miss Marryat. Sollen wir, Mary?»
«Natürlich! Und – hör mal, sollten wir jetzt nicht lieber aufbrechen, wenn wir noch ins Pallambra wollen?»
«Ich gehe nie ins Variete», sagte Miss Marryat ungnädig.
«Oh, aber heute abend müssen Sie mitkommen», versuchte Seine Lordschaft sie zu überreden. «Das ist so frivol. Denken Sie nur, wie das Onkel Meleager gefallen würde!»
So sah denn der nächste Tag die ganze Gesellschaft, nicht ohne den unentbehrlichen Mr. Bunter, in Onkel Meleagers Haus versammelt. Solange die Testamentsfrage nicht geklärt war, hatte Mr. Finchs Testamentsvollstreckerin und nächste Angehörige allen denkbaren Grund, in diesem Haus zu wohnen und somit alle Möglichkeiten für die «Schatzsuche» zu bieten, wie Lord Peter das Unternehmen nannte. Nachdem sie Mrs. Marryat vorgestellt worden waren, die als Invalide in ihrem Zimmer blieb, ließen Lady Mary und ihr Bruder sich von Miss Marryat das übrige Haus zeigen und erklären, mit welcher Gewissenhaftigkeit die bisherige Suche durchgeführt worden war. Jedes Blatt Papier war geprüft, jedes Buch in der Bibliothek Seite für Seite durchgeblättert, alle Wände nach Verstecken abgeklopft, alle Dielen herausgerissen worden, doch ohne Ergebnis.
«Wissen Sie was?» meinte Seine Lordschaft. «Ich bin sicher, daß Sie die Sache von der falschen Seite angegangen sind. Mein Gedanke ist, daß Onkel Meleager ein Mann war, der zu seinem Wort stand. Wenn er ‹frivol› sagte, dann meinte er auch richtig frivol. Irgend etwas furchtbar Albernes. Ich frage mich nur, was das sein könnte.»
Er fragte sich das immer noch, als er zum Umziehen nach oben ging. Bunter steckte soeben Manschettenknöpfe in sein Hemd. Lord Peter sah ihn nachdenklich an, dann fragte er: «Ist noch jemand von Mr. Finchs altem Personal hier?» «Ja, Mylord. Die Köchin und die Haushälterin. Und die beiden sagen, er sei ein wunderbarer alter Herr gewesen. Dreiundachtzig Jahre, aber noch so auf dem laufenden, wie man es sich nur wünschen kann. Er hatte sein Radio im Schlafzimmer und genoß jeden Abend seines Lebens die SavoyOrchester. Er verfolgte die Politik und wußte über die neuesten großen Strafprozesse immer bestens Bescheid. Wenn eine junge Dame ihn besuchen kam, sah er ihr Haar gern geschnitten und ihre Kleidung nach der neuesten Mode. Sie sagen, er habe sich auf Kreuzworträtsel gestürzt, als sie aufkamen, und sie nicht nur erstaunlich flink gelöst, Mylord, sondern auch selbst welche erfunden. Einmal hat er dafür im Daily Yell einen Preis von zehn Pfund gewonnen, und darüber soll er sich riesig gefreut haben, Mylord, obwohl er doch so reich war.»
«Wahrhaftig?»
«Ja, Mylord. Davor war er, wie sie sagen, ein großer Liebhaber von Akrostichen, aber als dann die Kreuzworträtsel aufkamen, warf er seine Akrostichen weg und sagte, das neue Spiel gefalle ihm besser. Er scheint, wenn ich das sagen darf, für so einen alten Herrn noch sehr beweglich gewesen zu sein.»
«So so, beim Zeus!» sagte Seine Lordschaft geistesabwesend, und
dann mit plötzlichem Feuer:
«Bunter, ich würde am liebsten Ihr Gehalt verdoppeln, aber das
würden Sie wahrscheinlich als Beleidigung auffassen.»
Die Unterhaltung trug ihre Früchte beim Abendessen.
«Was ist eigentlich aus Onkel Meleagers Kreuzworträtseln geworden?» erkundigte sich Seine Lordschaft.
«Kreuzworträtsel?» meinte Hannah Marryat, die dichten Brauen zusammengezogen. «Ach, diese Dinger! Der arme Alte war ganz verrückt danach. Er ließ sich jede Zeitung schicken und versuchte noch im letzten Stadium seiner Krankheit die Kästchen auszufüllen. Das war noch schlimmer als mit seinen Akrostichen und Puzzlespielen. Ich fürchte, der Ärmste muß völlig senil gewesen sein. Natürlich haben wir sie durchgesehen, aber sie gaben nichts her. Wir haben sie auf den Speicher gebracht.»
«Der Speicher gehört mir», sagte Lord Peter.
«Und mir», sagte Mary. «Ich glaube nicht, daß Onkel Meleager im mindesten senil war.»
Es war ein warmer Abend, und sie hatten in dem kleinen Viridarium hinter dem Haus mit seinen hohen Vasen, hängenden Blumenkörben und kleinen Marmorstatuen gegessen.
«Gibt es hier überhaupt einen Speicher?» fragte Peter. «Es kommt mir so – so widersprüchlich vor, ein Speicher in diesem Haus.»
«Es ist auch nur ein scheußliches enges kleines Loch über dem Hauseingang», sagte Miss Marryat, indem sie aufstand und voranging. «Vorsicht, fallen Sie nicht ins Bassin. Es ist so unpraktisch, so ein Ding an dieser Stelle, vor allem abends. Ich sage immer, die Leute sollen das Licht anlassen.»
Lord Peter warf einen Blick in das kleine Impluvium mit seinem Boden aus roten, weißen und schwarzen Kacheln.
«Kein sehr klassisches Motiv», bemerkte er.
«Nein. Onkel Meleager hat sich immer darüber beschwert und wollte es abändern lassen. Früher war einmal ein richtiges Mosaik darin, aber das wurde beschädigt, und der Mann, dem das Haus vor Onkel Meleager gehörte, hat es von irgendeinem hiesigen Trottel ausbessern lassen. Gleichzeitig wurden im Eßzimmer drei Erkerfenster eingebaut, die es natürlich viel heller machen, aber schrecklich aussehen. Diese Kachelung hier ist aber in Ordnung. Die hat Onkel Meleager selbst einbauen lassen.»
Sie zeigte auf einen Mosaikhund an der Schwelle mit dem Spruch «cave canem», und Lord Peter erkannte ihn als die Kopie eines pompejanischen Originals.
Eine schmale Treppe führte sie zum «Speicher», wo die Wimseys sich voll Begeisterung auf einen dicken Stapel verstaubter alter Zeitungen und Manuskripte stürzten. Die letzteren sahen erfolgversprechender aus, also nahmen sie sich diese zuerst vor. Es war eine Sammlung von Kreuzworträtseln in handschriftlicher Form – wahrscheinlich Onkel Meleagers eigene geistige Produkte. Das Feld, die Liste der Definitionen und die Lösung waren jedesmal säuberlich zusammengeheftet. Einige (zweifellos frühe Versuche) waren kinderleicht, aber andere waren schwierig und arbeiteten mit Andeutungen und Wortspielen; manche hatten die gewöhnliche Zeitungsform, andere wieder waren gereimt. Sie nahmen sich die Lösungen eingehend vor und suchten in den Definitionen nach Akrostichen oder versteckten Wörtern, aber lange vergeblich.
«Das hier ist ein komisches», sagte Mary, «da scheint überhaupt nichts zu passen. Oh, das sind zwei, die zusammengeheftet sind! Nein, doch nicht – aber ja – sie sind nur falsch zusammengeheftet. Peter, hast du irgendwo das Diagramm gesehen, das zu diesen Stichworten paßt?»
«Welches soll das sein?»
«Nun, es ist ziemlich komisch numeriert, mit römischen und arabischen Ziffern, und es fängt mit etwas an, was überhaupt keine Nummer hat:
Die Wahrheit, armes Kind, war niemandes Tochter; warf ab ihre Kleider und sprang ins Wortmeer.»
«So ein frivoler alter Kerl!» sagte Miss Marryat.
«Fri … he, gebt mal her!» rief Lord Peter. «Seht euch das an.
Aber hören Sie mal, Miss Marryat, das hätten Sie wirklich nicht übersehen dürfen.»
«Ich dachte, das gehört nur zu dem anderen Diagramm.» «Das nicht. Es ist anders. Ich glaube, das ist es, was wir suchen. Hört mal zu:
Deine Hoffnung, reich zu sein, geht hier in den Himmel ein.
Das ist auf Sie gemünzt, Miss Marryat. Mary, such überall. Wir müssen das Diagramm hierzu finden.»
Doch obwohl sie wirklich alles umkrempelten, fanden sie nirgends ein Diagramm mit römischen und arabischen Zahlen.
«Hölle und Schwefel!» schimpfte Peter. «Es muß so angelegt sein, daß es zu einem von diesen anderen paßt. Hört mal zu! Ich weiß, was er gemacht hat. Er hat einfach ein Diagramm mit fünfzehn Feldern waagerecht und senkrecht genommen und es in der einen Richtung mit römischen und in der anderen mit arabischen Zahlen numeriert. Ich wette, es paßt zu dem, mit dem es zusammengeheftet war.»
Aber das Diagramm, mit dem es zusammengeheftet war, hatte nur dreizehn Felder.
«Hol’s der Kuckuck», sagte Seine Lordschaft, «wir werden alles nach unten tragen und durcharbeiten müssen, bis wir das gefunden haben, zu dem es paßt.»
Er nahm sich einen großen Packen Zeitungen und ging als erster hinaus. Die andern folgten, jeweils auch mit einem Armvoll. Die Suche hatte einige Zeit gedauert, und das Atrium lag schon im Halbdunkel.
«Wohin soll ich die Sachen bringen?» rief Peter über die Schulter zurück.
«He!» rief Mary, und: «Passen Sie auf, wohin Sie treten!» rief ihre Freundin.
Beide Warnungen kamen zu spät. Ein Platschen und Spritzen verriet, daß Lord Peter wie Hans-guck-in-die-Luft mit Zeitungen und allem über den Rand des Impluviums getreten war.
«Du Esel!» rief Mary.
Seine Lordschaft kam prustend herausgeklettert, und Hannah Marryat brach unvermittelt in das erste Lachen aus, das Peter je von ihr gehört hatte.
«Die Wahrheit, so heißt es, war niemandes Tochter; warf ab ihre Kleider und sprang ins Wortmeer»,
deklamierte sie.
«Ich konnte mir ja wohl nicht gut in Ihrer Gegenwart die Kleider ausziehen, oder?» knurrte Lord Peter. «Wir müssen die Zeitungen herausfischen. Ich fürchte, sie sind ein wenig feucht geworden.»
Miss Marryat knipste das Licht an, und sie begannen das Bassin leerzufischen.
«Die Wahrheit, armes Kind –» begann Lord Peter, und plötzlich stieß er einen kleinen Schrei aus und fing an, auf dem marmornen Beckenrand zu tanzen.
«Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs –»
«Total verrückt geworden», sagte Mary. «Wie soll ich das nur Mutter beibringen?»
«Dreizehn, vierzehn, fünfzehn!» rief Seine Lordschaft und setzte sich, naß wie er war und ganz erschöpft von der eigenen Aufregung, plötzlich hin.
«Geht’s dir langsam besser?» fragte seine Schwester bissig. «Mir geht’s gut. Ausgezeichnet. Allerbestens. Ich liebe Onkel Meleager. Fünfzehn Quadrate in beiden Richtungen. Seht es euch mal an. Seht ’s euch an. Die Wahrheit ist im Wasser. Hat er das nicht gesagt? O Freudentag! Juhu, juchhe! Ich frohlocke. Mary, was ist aus den Definitionen geworden?»
«Die sind in deiner Tasche, ganz naß», sagte Mary. Lord Peter riß sie eilends heraus.
«Alles klar, sie sind noch nicht zerlaufen», sagte er. «O liebster Onkel Meleager. Können Sie das Impluvium ablassen, Miss Marryat, und uns etwas Holzkohle besorgen? Inzwischen ziehe ich mir trockene Sachen an, und dann gehen wir gleich an die Arbeit. Sehen Sie es denn nicht? Da ist unser fehlendes Diagramm – auf dem Boden des Bassins!»

Es nahm jedoch einige Zeit in Anspruch, das Bassin zu leeren, und erst am andern Morgen ließ die Gesellschaft, mit Holzkohlestücken bewaffnet, sich auf dem Boden des Impluviums nieder, um auf den Marmorkacheln Onkel Meleagers Kreuzworträtsel zu lösen. Ihr erstes Problem war, ob sie die roten Kacheln als Leerstellen ansehen oder ausfüllen mußten, doch nachdem ein paar Wörter gelöst waren, nahm der Aufbau des Rätsels Gestalt an. Die Schatzsucher erhitzten sich immer mehr und wurden immer schwärzer von der Kohle, während der aufmerksame Mr. Bunter zwischen Atrium und Bibliothek hin und her rannte und die Nachschlagewerke auf dem Beckenrand sich immer höher türmten.
Und dies war Onkel Meleagers Kreuzworträtsel:
Die Wahrheit, armes Kind, war niemandes Tochter; warf ab ihre Kleider und sprang ins Wortmeer.
WAAGERECHT:
I.1 | Narr oder Weise, allein sie wohne, zwischen Macht und Recht auf himmlischem Throne. |
XI.1 | Wie süß war seinen Ohren
Goldes Klang! Die Gier nach Schätzen war sein Untergang. |
«Das bezieht sich wohl auf uns», meinte Lord Peter.
I. 2 | Essig und Öl, von beidem ein Schuß, machen den Krauskopf erst zum Genuß. |
X.2 | Nichts in sich selbst, braucht’s nur wenig daran, um das Nichts zu werden, drob der Prediger sann. |
I.3 | Mögen staubig auch meine Gesellen sein, wir sind ein königlicher Verein. |
IV.3 | Hab deinen Willen, doch laß dran nicht rücken: Der neue kann den alten nicht flicken. |
XIV.3 | Der Dichter ist des Reimes froh, doch tät ein Schrei es ebenso. |
I.4 | Von allen Schnitten ist dieser der schlimmste, sofern nicht mathematisch deine Künste. |
X.4 | Klein und verborgen, für niemand zu sehen, laß ich im Dunkeln das Brot aufgehen. |
I.5 | Bedarf für dieses (hier nur abgekürzt) entstand durch einen Turm, der eingestürzt. |
XI.5 | Mehr als Augen sehen, mehr als Ohren hören, sagen Blumen mit ihm, um zu betören. |
II.6 | Rückwärts seht ihren Weg sie gehen, den Weg der Klugheit, wie Weise es sehen. |
VII.6 | Vor langem wuchs sie an Flusses Rand, wo bald man nur noch Binsen fand. |
XII.6 | An dieser ‹Drei› wird erkannt der Bürger aus südlichem Land. |
VI.7 | Ein Schlag in diesem Worte
liegt; Mit Fünf davor ist der Römer besiegt. |
I.8 | Dank seinen Werken erkennt man das meiste, klar im Glase, dunkel im Geiste. |
IX.8 | Mit kleinen Schritten geht es hinan; ein Hammerschlag zeigt das Ende an. |
VI.9 | Mit tollen Sprüngen bewundert man hier ein afrikanisches Steppentier. |
II.10 | Zwar ist nicht hoch der Ton, doch kommt das Wort davon. |
VII.10 | Oft hört man davon viel, wenn nichts steht auf dem Spiel. |
XII.10 | Über Land und Meer auf tödlichen Schwingen, kann Pein sie dem Starken, Tod dem Schwachen bringen. |
I.11 | Auch in der größten Ausführlichkeit sind sie zu kurz meist für Höflichkeit. |
XI.11 | Cäsar, die Sterbenden grüßen dich hier, zu kämpfen mit Waffen und wildem Getier. |
I.12 | Wie oft genügt das eine Wort allein, wo «Leih dein Ohr mir» viele schrein. |
X.12 | Gewundene Umlaufbahn deutet die Lösung an. |
I.13 | Für Irland er geworben hat, sowohl mit Feder, Wort und Tat. |
«Das ist ja ausnahmsweise mal leicht», sagte Miss Marryat.
IV.13 | Zwölfe stehen hier zur Wahl, doch sieben kennen nur die Zahl. |
XIV. 13 | Den Stand der Sterne man nach meinen Brüdern nennt; mich selbst man unter Lateinern kennt. |
I.14 | Mit freiem Blick, um Beute zu bringen, lasset den Falken ins Blau sich schwingen. |
X.14 | An Borgias Tafel, ihr Leut’, nehmt dies zur Sicherheit! |
I.15 | Freundschaft, etwas übertrieben, hätte ihn fast aufgerieben. |
XI.15 | Sei vielen ist sie geschmeidig und glatt, bei mancher das Schönste, was sie hat. |
SENKRECHT:
1.I | Wenn wir durch russische Steppe gehen, können wir viele davon sehen. |
«Bunter», sagte Lord Peter, «bringen Sie mir einen Whisky mit Soda.»
11 .I | Willst ohne meinen Kopf mich tun, so lasse deine Hände ruhn; doch stell den Kopf mir nur voran, dein Jubel kommt so besser an. |
1 .II | Geschoben zwischen Rand und Rand steht etwas, wo vorher nichts stand. |
10.II | «Nach etwas, das auf meinen Zustand
paßt? Wie’s euch gefällt, das Wort sei hierzu Gast.» |
1.III | Der Welt gib das ihre, wenn alles gewesen, dann braucht die Welt das von dir nicht zu lesen. |
«Das ist ein Trost», sagte Lady Mary. «Es zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind.»
4 .III | Sing «Nuncdimittis» und «Magnificat» – doch geh zurück zu einem früh’ren Blatt. |
14.III | In dieser Kurzform, wie schon vorgekommen, auf hohe Herrscher wird Bezug genommen. |
1.IV | Voll Feuer, Schwung und Eleganz: der spanischen Zigeuner Tanz. |
10.IV | Bring Haut mir, Nadel oder Stock; die Nadel macht’s langsam, schneller der Pflock. |
1.V | Ein grausam Geschäft, so ging der Ruf, als Fürst Phalaris sie für Menschen schuf. |
11.V | Dieser König (von dem man wenig nur weiß), gestürzt ward er auf des Himmels Geheiß. |
2.VI « | Vom όυ χαι μη όυ Abschied nehmen?»Nein, der wackre Römer läßt, was ist, auch weiter sein. |
7.VI | Mit dieser schönen Endung schließt manche Geisteswendung. |
12.VI | An Norwegens Küste bin ich gemischt mit ebbenden Wassers brüllender Gischt. |
6.VII | Ich stehe, eine Leiter zum Ruhm, zwischen den Sternen und dem Mailänder Dom. |
1.VIII | Die Farbe begehren beide nicht wenig: der kleine Ysop und der große König. |
«Das klärt die Frage nach den Quadraten», sagte Mary. «Ich glaube, es bedeutet noch mehr», versetzte ihr Bruder.
9 .VIII | Den Weg zum Hades nicht gehen wollte an Jünglings Statt der vernünftige Alte. |
6.IX | Sie ließen fallen vor langer Zeit womit den Boden wir düngen heut. |
2.X | Dem kleinsten Wort der große Redner Größe gibt; im alten Rom war diese Alternative beliebt. |
7.X | Die ganze Plage lohnt sich kaum, der Mühe Lohn ist doch nur Schaum. |
12.X | Ein IAS füge in verstecktem Buche ein Daselbst erkennst du Anglerlatein. |
1.XI « | Löwen»,
sagte der Gallier von diesen Tieren, «sind’s nicht. Gütige Seelen – sie lassen dein Herzblut gefrieren.» |
11.XI | Ein Attribut für dürre Bengel, erst grün, dann gelb auf hohem Stengel. |
1.XII | Ganz, ohne Löcher, bin ich fürwahr; was ich bedeute, ist doch klar. |
10.XII | Läuft rundherum, berührt den Boden nimmer, wenn nicht in dem, vielleicht im nächsten Zimmer. |
1.XIII | Ihr Götter, denkt der Göttin kurzen Namens auch, die anzurufen ist des Jägers Brauch. |
4.XIII | Der Priester singt mit hoher Stimme vor, die Menge antwortet darauf im Chor. |
14.XII | Wenn ihr’s erraten, freut euch offen; ihr habt eine goldene Wahl getroffen. |
1.XIV | Nicht kommt Gelehrsamkeit in Krieges Not zuleide, ich ward geboren schon im Eisenkleide. |
10.XIV | Im Abenddämmer seht den Bauersmann die Ochsen schirren von des Pflugs Gespann. |
1.XV | Ein Wunder war für ihn vonnöten; jetzt, Rater, laß ihn für dich beten. |
11.XV | Die Römer wußten, daß es frommt, wenn man auf schwier’gem Pfad zu ihnen kommt. |
Das Bemerkenswerteste an dieser Suche – das fand zumindest Lord
Peter – war ihre Wirkung auf Miss Marryat. Anfangs kauerte sie wie
ein Häufchen Elend am Beckenrand, ein Bild verletzter Würde, nur
daß sie sich eben doch geniert hätte, sich von denen zu
distanzieren, die da so fleißig und fröhlich zu ihrem Wohle
arbeiteten.
«Ich glaube, das muß das und das sein», pflegte Mary zwischendurch hoffnungsvoll zu sagen, worauf ihr Bruder begeistert antwortete: «Auf Anhieb getroffen, altes Haus. Bravo! Diesmal haben wir’s, Miss Marryat –» worauf er es ihr dann erklärte.
Und Hannah Marryat erwiderte darauf nur verächtlich: «Genau das sind so die kindischen Scherze meines Onkels Meleager.»
Nach und nach aber wurde auch sie von der Faszination der sich füllenden Kästchen angesteckt, und als das erste Wort erschien, an dem die Schatzsucher erkannten, daß sie auf der richtigen Fährte waren, legte sie sich auf den Bauch und sah Lord Peter über die Schulter zu, wie er unter ihr herumkrabbelte, mit Holzkohle Buchstaben malte, sie mit dem Taschentuch wieder wegwischte und sich dann damit über die heiße Stirn fuhr, bis er dem Mohr von Venedig an Schwärze nicht mehr nachstand. Einmal äußerte sie halb abfällig, halb schüchtern eine Vermutung; zweimal äußerte sie eine Vermutung; das dritte Mal hatte sie eine Eingebung. Eine Minute später war sie schon mitten im Gewühl, kroch hochrot vor Aufregung auf den Kacheln herum, wischte wichtige Buchstaben mit den Knien aus, schneller als Peter sie schreiben konnte, und blätterte mit glühenden Augen unter wirrem schwarzem Haar in Rogets Thesaurus.
Hastige Imbisse aus kaltem Braten und Tee hielten die Lebensgeister der erschöpften Mannschaft lebendig, und als die Sonne sich dem Horizont entgegenneigte, fügte Lord Peter mit einem Triumphschrei den letzten Buchstaben in das Diagramm ein.
Sie stiegen aus dem Bassin und betrachteten ihr Werk.
«Es können nicht alle Wörter Hinweise enthalten», sagte Mary. «Ich vermute, es sind nur diese vier.»
«Zweifellos. Das ist völlig klar. Wir brauchen nur noch an der Stelle nachzuschlagen. Wo gibt’s hier eine Bibel?»
Miss Marryat fischte sie aus einem Stapel von Nachschlagewerken heraus. «Aber», sagte sie, «so heißt doch gar keines der Bibelbücher. Diese Sachen kommen immer im Abendgottesdienst vor.»
«Was Sie nicht alles wissen», sagte Lord Peter. «Ich bin nämlich religiös erzogen, jawohl. Vulgata ist das, jawohl. Da haben Sie natürlich völlig recht, aber wir müssen, wie Onkel Meleager sagt, ‹zurück zu einem früh’ren Blatt.› Bitte, da steht’s. Also.»
«Aber es ist kein Kapitel angegeben.»
«Stimmt, es ist – ich meine, ist nicht.»
«Und überhaupt sind die Kapitel alle viel zu kurz.»
«Teufel auch! Oh, Moment. Wir könnten ja die Verse einfach mal von vorn durchzählen – eins, zwei, drei –»
«Siebzehn im ersten Kapitel, achtzehn, neunzehn – das hier muß es sein.»
Zwei blonde Köpfe und ein dunkler beugten sich aufgeregt über den Kleindruck, während Bunter sich bescheiden im Hintergrund hielt.
«O meine Taube in den
Fehklüften, im Versteck der Felswand …»
«Ach du lieber Gott!» sagte Mary enttäuscht, «das klingt ziemlich hoffnungslos. Bist du auch sicher, daß du richtig gezählt hast? Das kann doch alles heißen.»
Lord Peter kratzte sich am Kopf.
«Das ist ein ziemlich böser Schlag. Ich kann Onkel Meleager gar nicht mehr so gut leiden. Alter Gauner!»
«Nachdem wir uns die ganze Arbeit gemacht haben!» stöhnte Mary.
«Es muß stimmen», rief Miss Marryat. «Vielleicht steckt eine Art Anagramm darin. Wir dürfen jetzt nicht aufgeben!»
«Bravo!» sagte Lord Peter. «Das ist die richtige Einstellung. Ich fürchte nur, wir müssen uns in eine neue Frivolitätsorgie stürzen, Miss Marryat.»
«Also, bisher hat’s großen Spaß gemacht», gestand Hannah Marryat.
«Wenn Sie mir verzeihen wollen –» begann Bunter mit untertäniger Stimme.
«Sie hatte ich ganz vergessen, Bunter», sagte Seine Lordschaft. «Natürlich können Sie uns wieder berichtigen – wie immer. Wo haben wir den Fehler gemacht?»
«Ich wollte nur bemerken, Mylord, daß die Worte, die Sie zitierten, nicht ganz mit meiner Erinnerung an die fragliche Passage übereinstimmen. In der Bibel meiner Mutter hieß es, glaube ich, ein wenig anders, Mylord.»
Lord Peter klappte die Bibel zu und sah auf dem Buchrücken nach.
«Vollkommen klar», sagte er, «Sie haben natürlich wieder einmal recht. Das hier ist eine revidierte Ausgabe. Ihre Schuld, Miss Marryat. Sie müssen natürlich eine revidierte Ausgabe haben. Aber können wir uns das bei Onkel Meleager vorstellen? Nein. Bringen Sie mir Onkel Meleagers Bibel.»
«Kommen Sie mit in die Bibliothek!» rief Miss Marryat, indem sie ihn bei der Hand packte und schon losrannte. «Haben Sie doch nicht so die Ruhe weg!»
In der Bibliothek lag mitten auf dem Tisch eine ehrwürdige Bibel – ehrwürdig durch Alter und kunstvollen Ledereinband. Lord Peter fuhr liebkosend mit der Hand darüber, denn ein edles altes Buch war wie ein Lied für seine Seele. Von seiner Schönheit beeindruckt blätterten sie in den vergilbten Seiten:
«In den Felsklüften, in den Steinrissen …»
«Miss Marryat», sagte Seine Lordschaft, «wenn Ihr Onkel das Testament hier nicht irgendwo in einer Mauerritze versteckt hat, dann – also, ich kann nur sagen, dann hat er uns einen üblen Streich gespielt», schloß er etwas lahm.
«Hoffentlich müssen wir dafür das Haus nicht abreißen.» «O nein, das glaube ich nicht. Wenn Ihr Onkel hier irgendwelche drastischen Umbauten vorgenommen hätte, wäre das wohl jemandem aufgefallen. Moment! Fragen wir doch mal die Haushälterin.»
Mrs. Meakers wurde gerufen und erinnerte sich genau, daß Mr. Finch sie vor ungefähr neun Monaten auf «so was wie einen kleinen Riß» an der Unterseite der Haupttreppe aufmerksam gemacht und einen Handwerker bestellt hatte, um das auszubessern. Gewiß könne sie ihnen die Stelle ganz genau zeigen. Die Gipsfüllung könne man noch deutlich sehen.
«Hurra!» rief Lord Peter. «Bunter – einen Meißel oder dergleichen. Onkel Meleager, Onkel Meleager, jetzt haben wir dich! Miss Marryat, ich finde, es sollte Ihre Hand sein, die den Streich führt. Es ist schließlich Ihre Treppe – das heißt, wenn wir das Testament finden; wenn hier also jemand was kaputtmacht, dann bitte Sie.»
Atemlos standen sie drumherum und schauten zu, wie die Gipskrümel herausfielen und ein breiter Spalt im Mauerwerk sichtbar wurde. Hannah Marryat ließ Hammer und Meißel fallen und griff in die Ritze.
«Da ist was», keuchte sie. «Hebt mich mal hoch, ich komme nicht dran. O ja, da ist was! Das ist es! Das ist es!» Sie zog die Hand heraus, in der sich ein länglicher versiegelter Umschlag befand. Er trug die Aufschrift:
«Meleager Finchs ENDGÜLTIG Letzter Wille»
Miss Marryat fiel mit einem Freudenjauchzer Lord Peter um den Hals.
Mary führte einen Freudentanz auf. «Das muß ich aller Welt sagen!»
«Kommt mit und sagt’s meiner Mutter!» rief Miss Marryat.
Bunter griff ein.
«Eure Lordschaft mögen verzeihen», sagte er bestimmt, «aber Eurer Lordschaft Gesicht ist ganz schwarz von Holzkohle.»
«Schwarz, aber gar lieblich», sagte Lord Peter. «Aber ich beuge mich Ihrer Zurechtweisung. Ach, was waren wir doch alle klug! Wie herrlich das alles ist! Wie reich Sie sein werden! Wie spät es ist und wie hungrig ich bin! Ja, Bunter, ich wasche mir das Gesicht. Kann ich noch irgend etwas für irgend jemanden tun, solange ich in der Stimmung dazu bin?»
«Wenn Eure Lordschaft so gütig wären», sagte Bunter, indem er einen Zettel aus der Tasche zog, «wäre ich Eurer Lordschaft sehr dankbar für einen südafrikanischen Vierbeiner mit sechs Buchstaben, der mit Q anfängt.»