5
Die gewissenlose Affäre mit dem nützlichen Joker
Die Zambesi sollte dem Vernehmen nach um sechs Uhr morgens anlegen. Mit Verzweiflung im Herzen buchte Mrs. Ruyslaender ein Zimmer im Hotel Magnifical. Nur noch neun Stunden, bis sie ihren Gatten begrüßen würde. Und dann begann diese gräßliche Wartezeit – Tage, vielleicht Wochen, vielleicht sogar Monate – bis zur unvermeidlichen Entdeckung.
Der Empfangschef drehte ihr das Anmeldebuch hin. Mechanisch schrieb sie sich ein, und dabei fiel ihr Blick auf die davorstehende Eintragung:
«Lord Peter Wimsey und Diener – London – Suite 24.»
Für die Dauer einer Sekunde schien Mrs. Ruyslaenders Herz stillzustehen. Konnte es denn möglich sein, daß Gott ihr selbst jetzt noch ein Schlupfloch gelassen hatte? Sie erwartete nicht viel von IHM. Ihr ganzes Leben hatte IHN als einen unnachsichtigen Gläubiger ausgewiesen. Es wäre Phantasterei, auch nur die allerkleinste Hoffnung auf die Unterschrift eines Mannes zu setzen, den sie ihr Lebtag noch nie gesehen hatte.
Und doch wollte ihr der Name nicht mehr aus dem Kopf, als sie in ihrem Zimmer zu Abend aß. Wenig später entließ sie ihr Dienstmädchen, dann saß sie noch lange vor dem Spiegel und betrachtete ihr verhärmtes Gesicht. Zweimal stand sie auf und ging zur Tür – beide Male kehrte sie wieder um und schalt sich eine Närrin. Beim drittenmal drehte sie entschlossen den Knauf und eilte den Korridor entlang, ohne sich erst Zeit zum Nachdenken zu lassen.
Ein großer goldener Pfeil an der Ecke zeigte ihr den Weg zu Suite 24. Es war schon elf Uhr, und weit und breit war niemand zu sehen. Mrs. Ruyslaender klopfte einmal kurz und energisch an Lord Peter Wimseys Tür, dann trat sie einen Schritt zurück und wartete, während sich in ihr jenes Gefühl verzweifelter Erleichterung breitmachte, das man hat, nachdem man einen gefährlichen Brief auf den Boden des Briefkastens hat plumpsen hören. Was auch kommen mochte, es gab jetzt kein Zurück mehr.
Der Diener war einer von der unerschütterlichen Sorte. Er gab sich weder einladend noch abweisend, sondern stand nur respektvoll auf der Schwelle.
«Lord Peter Wimsey?» flüsterte Mrs. Ruyslaender.
«Ja, Madam.»
«Könnte ich ihn einen Augenblick sprechen?»
«Seine Lordschaft hat sich soeben zurückgezogen, Madam.
Wenn Sie kurz eintreten möchten, werde ich nachfragen.» Mrs. Ruyslaender folgte ihm in einen jener feudalen Salons, die das Magnifical für den wohlhabenden Pilger bereithält. «Möchten Sie bitte Platz nehmen, Madam?»
Der Diener ging lautlos zur Schlafzimmertür, trat ein und machte sie hinter sich zu. Das Schloß schnappte jedoch nicht richtig ein, und Mrs. Ruyslaender konnte die Unterredung mit anhören.
«Verzeihung, Mylord, eine Dame ist da. Da sie nichts von einer Verabredung erwähnt hat, hielt ich es für besser, Eure Lordschaft zuerst in Kenntnis zu setzen.»
«Ausgezeichnete Diskretion», antwortete eine Stimme. Sie hatte einen lässigen, sarkastischen Tonfall, der Mrs. Ruyslaender eine schamhafte Röte in die Wangen trieb.
«Ich treffe nie Verabredungen. Kenne ich die Dame?» «Nein, Mylord. Aber – ähäm – ich kenne sie vom Sehen, Mylord. Es ist Mrs. Ruyslaender.»
«Oh, die Frau des Diamantenhändlers. Na ja, versuchen Sie taktvoll herauszubekommen, worum es geht, und wenn es nichts Dringendes ist, sagen Sie ihr, sie soll morgen wieder kommen.»
Die nächste Bemerkung des Dieners war nicht zu hören, doch die Antwort darauf lautete: «Nicht unanständig werden, Bunter!»
Der Diener kam zurück.
«Seine Lordschaft bittet mich, Sie zu fragen, Madam, in welcher Weise er Ihnen zu Diensten sein kann.»
«Sagen Sie ihm bitte, daß ich im Zusammenhang mit den Attenbury-Diamanten von ihm gehört habe und nun sehr gern einen Rat von ihm hätte.»
«Gewiß, Madam. Darf ich, da Seine Lordschaft sehr müde ist, anmerken, daß er Ihnen sicher besser helfen kann, wenn er erst ausgeschlafen hat?»
«Wenn morgen noch Zeit wäre, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, ihn heute abend zu stören. Ich weiß, welche Ungelegenheiten ich ihm bereite –»
«Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Madam.» Diesmal ging die Tür richtig zu. Nach kurzer Pause kam Bunter zurück, um zu melden: «Seine Lordschaft wird gleich bei Ihnen sein, Madam.» Damit stellte er eine Karaffe Wein und ein Kästchen mit schwarzen russischen Zigaretten vor sie hin. Mrs. Ruyslaender zündete sich eine Zigarette an, aber kaum hatte sie ihr Aroma gekostet, da hörte sie einen leisen Schritt hinter sich. Sie sah sich um und erblickte einen jungen Mann in einem prächtigen malvenfarbenen Morgenmantel, unter dessen Saum die Hosenbeine eines primelgelben Seidenpyjamas züchtig hervorlugten.
«Sie müssen es sehr eigenartig von mir finden, daß ich mich Ihnen um diese Zeit noch aufdränge», sagte sie mit nervösem Lachen.
Peter legte den Kopf schief.
«Darauf weiß ich jetzt nicht die richtige Antwort», sagte er. «Wenn ich sage: ‹Keineswegs›, klingt es liederlich. Sage ich aber: ‹Ja, und wie›, ist es ungezogen. Ich schlage vor, wir übergehen das, ja? Und dann sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann.»
Mrs. Ruyslaender zögerte. Lord Peter war anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Sie sah das glänzende, strohfarbene, über einer etwas fliehenden Stirn glatt zurückgekämmte Haar, die unschöne, dünne gebogene Nase und das etwas einfältige Lächeln, und ihr sank der Mut.
«Ich – fürchte, es ist albern von mir, zu glauben, daß Sie mir helfen können», begann sie.
«Ach ja, mein unseliges Äußeres, wie immer», stöhnte Lord Peter, der damit einen so erschreckenden Scharfblick verriet, daß sie sich nun erst doppelt unbehaglich fühlte. «Meinen Sie, es würde mehr Vertrauen erwecken, wenn ich mir die Haare schwarz färben und mir einen Kinnbart wachsen ließe? Sie können sich gar nicht vorstellen, wie mißlich es ist, immer so auszusehen, als ob man Algy hieße.»
«Ich wollte damit nur sagen», beeilte sich Mrs. Ruyslaender, «daß ich nicht weiß, ob mir überhaupt jemand helfen kann.
Aber ich habe Ihren Namen unten im Meldebuch gelesen, und da dachte ich, es könnte vielleicht eine kleine Chance bestehen.»
Lord Peter füllte die Gläser und setzte sich.
«Nur zu», sagte er munter. «Es klingt schon interessant.» Mrs. Ruyslaender faßte sich ein Herz.
«Mein Mann», erklärte sie, «ist Henry Ruyslaender, der Diamantenhändler. Wir sind vor zehn Jahren aus Kimberley gekommen und haben uns in England niedergelassen. Er ist jedes Jahr ein paar Monate geschäftlich in Afrika, und ich erwarte ihn morgen früh mit der Zambesi zurück. Und nun ist mein Kummer folgender: Voriges Jahr hat er mir ein prächtiges Diamantkollier mit hundertfünfzehn Steinen geschenkt –» «Das Licht Afrikas – ich weiß», sagte Wimsey.
Sie sah ihn leicht erstaunt an, bejahte aber. «Das Kollier wurde mir gestohlen, und ich kann nicht hoffen, den Verlust vor ihm zu verheimlichen. Eine Imitation würde ihn keine Sekunde täuschen.»
Sie stockte, und Lord Peter half behutsam nach: «Ich nehme an, daß Sie zu mir gekommen sind, weil es kein Fall für die Polizei werden soll. Wollen Sie mir ganz offen sagen, warum?»
«Die Polizei würde nichts nützen. Ich weiß, wer es hat.» «So?»
«Es gibt da einen Mann, den wir beide oberflächlich kennen – einen gewissen Paul Melville.»
Lord Peters Augen verengten sich. «Hm, ja, ich glaube ihn schon einmal in einem der Clubs gesehen zu haben. Reserveheer, hat sich dann aber ins Berufsheer übernehmen lassen.
Dunkelhaarig, Angebertyp – ein bißchen wie eine Ampelopsis, wie?»
«Ampelopsis?»
«Eine Zierpflanze – Doldenrebe –, die sich an anderen hochrankt. Sie kennen das ja – erstes Jahr: zarte kleine Triebe – zweites Jahr: wunderbare Pracht – drittes Jahr: überwuchert alles. Nun sagen Sie schon, daß ich ungezogen bin.» Mrs. Ruyslaender kicherte. «Jetzt wo Sie es sagen, ja – er ist genau wie eine Ampelopsis. Es erleichtert schon ganz schön, ihn so zu sehen … Nun, er ist jedenfalls ein entfernter Verwandter meines Mannes. Eines Abends kam er zu Besuch, als ich allein war. Wir unterhielten uns über Juwelen, und ich holte meinen Schmuckkasten und zeigte ihm das Licht Afrikas. Er versteht eine Menge davon. Zwei- oder dreimal bin ich aus dem Zimmer gegangen, habe aber nicht daran gedacht, die Schatulle abzuschließen. Nachdem er gegangen war, wollte ich dann alles wieder wegräumen, und als ich den Schmuckkasten öffnete, in dem sich die Diamanten befanden – da waren sie fort!»
«Hm – ganz schön unverfroren. Nun passen Sie mal auf, Mrs. Ruyslaender – Sie stimmen mir zu, daß er eine Ampelopsis ist, aber Sie wollen die Polizei nicht rufen. Nun sagen Sie einmal ehrlich – und verzeihen Sie mir, aber Sie wollen ja einen Rat von mir hören – ist er es eigentlich wert, daß Sie sich seinetwegen Gedanken machen?»
«Das ist es ja nicht», antwortete die Frau in gedämpftem Ton. «O nein! Aber er hat noch etwas anderes mitgenommen. Er hat – ein Porträt mitgenommen – eine kleine, in Diamanten gefaßte Miniatur.»
«Oh!»
«Ja. Sie befand sich in einem Geheimfach des Schmuckkästchens. Ich habe keine Ahnung, woher er wußte, daß es dort war, aber die Schatulle war ein altes Stück aus der Familie meines Mannes, und ich nehme an, daß er über das Geheimfach Bescheid wußte und – nun ja, daß er es für lohnenswert hielt, einmal darin nachzusehen. Jedenfalls verschwand am selben Abend wie die Diamanten auch das Porträt, und er weiß, daß ich es nicht wagen würde, mir das Kollier zurückholen zu wollen, weil dann beides zusammen gefunden würde.» «War das denn mehr als nur ein Porträt? Ein Porträt an sich läßt sich ja noch halbwegs plausibel erklären. Sagen wir, es wurde Ihnen zur Aufbewahrung anvertraut?»
«Die Namen standen darauf und – und eine Inschrift, die mit nichts, mit gar nichts wegzuerklären ist. Ein – Zitat aus Petronius.»
«Ach du lieber Gott!» entfuhr es Lord Peter. «O ja, das ist ein ziemlich munterer Autor.»
«Ich habe sehr jung geheiratet», erklärte Mrs. Ruyslaender, «und mein Mann und ich kamen nie besonders gut miteinander aus. Und in einem Jahr, als er gerade wieder in Afrika war, ist das dann alles passiert. Wir waren wunderbar glücklich – und ungeniert. Dann ging es zu Ende. Ich war verbittert. Ich wünschte, ich wäre es nicht gewesen. Aber sehen Sie, er hatte mich verlassen, und ich konnte es ihm nicht verzeihen. Tag und Nacht habe ich um Rache gebetet. Aber jetzt – ich will nicht, daß sie durch mich geschieht.»
«Einen Augenblick», sagte Wimsey. «Sie meinen also, wenn die Diamanten gefunden werden und das Porträt auch, dann kommt diese Geschichte unweigerlich ans Licht?»
«Mein Mann würde sich scheiden lassen. Er würde mir nie verzeihen – und ihm auch nicht. Das heißt nicht, daß es mir etwas ausmachen würde, selbst den Preis zu zahlen, aber –» Sie krampfte die Hände zusammen.
«Wieder und wieder habe ich ihn verflucht, ihn und diese raffinierte Frau, die ihn sich gekapert hat. Sie hat ihre Karten ja so gut ausgespielt! Diese Geschichte würde nun beide ruinieren.» «Aber wenn Sie das Instrument der Rache wären», sagte Wimsey freundlich, «würden Sie sich dafür verachten. Und es wäre Ihnen schrecklich, weil er Sie dafür verachten würde. Eine Frau wie Sie könnte sich nicht so tief erniedrigen, um ihre Rache zu bekommen. Das verstehe ich. Wenn Gott einen Blitz niederfahren ließe – wie furchtbar und befriedigend zugleich!
Wenn es mit Ihrem Zutun einen großen Krach gäbe – wie widerlich wäre das.»
«Sie scheinen ja zu verstehen», sagte Mrs. Ruyslaender.
«Wie ungewöhnlich.»
«Oh, ich verstehe vollkommen. Trotzdem will ich Ihnen sagen», fuhr Wimsey mit einem verlegenen kleinen Zucken um die Mundwinkel fort, «daß es für eine Frau einfach töricht ist, in solchen Dingen ein Ehrgefühl zu haben. Es bereitet ihr nur unerträglichen Schmerz, und ohnehin erwartet es niemand von ihr. Aber nun wollen wir uns da nicht hineinsteigern. Sie wollen sich Ihre Rache jedenfalls nicht von einer Ampelopsis aufzwingen lassen. Warum auch? Widerlicher Kerl. Wir pakken ihn mit Wurzeln, Zweigen und Trieben. Machen Sie sich keine Sorgen. Mal überlegen. Ich habe hier nur einen Tag zu tun. Dann muß ich Melville kennenlernen – sagen wir eine Woche. Dann muß ich an die Sächelchen herankommen – sagen wir noch einmal eine Woche, vorausgesetzt, er hat sie noch nicht verkauft, was aber nicht sehr wahrscheinlich ist. Können Sie Ihren Gatten noch etwa zwei Wochen hinhalten, was mei nen Sie?»
«O ja. Ich werde sagen, sie seien im Landhaus oder würden gerade gereinigt oder irgendwas. Aber glauben Sie wirklich, Sie könnten –?»
«Ich werde mir jedenfalls Mühe geben, Mrs. Ruyslaender.
Sitzt der Bursche so in der Klemme, daß er Diamanten stehlen muß?»
«Ich glaube, er hat kürzlich Schulden beim Pferderennen gemacht. Und vielleicht beim Poker.»
«Oho! Ist er Pokerspieler? Das gibt mir einen ausgezeichneten Vorwand, ihn kennenzulernen. Also, Kopf hoch – wir kriegen die Sachen, und wenn wir sie kaufen müssen. Das werden wir aber nicht tun, wenn sich’s vermeiden läßt. Bunter!» «Mylord?» Der Diener erschien aus dem hinteren Zimmer. «Sehen Sie mal nach, ob die Luft rein ist, und geben Sie Signal, ja?»
Mr. Bunter begab sich auftragsgemäß auf den Flur hinaus, und nachdem er einen alten Herrn wohlbehalten im Bad verschwinden und eine junge Dame im rosa Kimono, die den Kopf aus einer der benachbarten Türen gesteckt hatte, diesen bei seinem Anblick schleunigst wieder hatte zurückziehen sehen, putzte er sich mit einem schmetternden Trompetenton die Nase.
«Gute Nacht», sagte Mrs. Ruyslaender, «und vielen Dank.» Damit schlüpfte sie ungesehen wieder in ihr Zimmer zurück.
«Was hat Sie nur bewogen, mein Bester», fragte Oberst Marchbanks, «sich mit diesem ausgesprochen widerlichen Melville abzugeben?»
«Karo», sagte Lord Peter. «Finden Sie ihn wirklich so schlimm?»
«Ein furchtbarer Kerl», sagte der Ehrenwerte Freddy Arbuthnot. «Herz. Wozu mußtest du ihm hier auch noch ein Zimmer besorgen? Dieser Club war immer ein hochanständiger Treff.»
«Zwei Treff?» fragte Sir Impey Biggs, der sich gerade einen Whisky bestellt und nur das letzte Wort mitbekommen hatte.
«Nein, nein, ein Herz.»
«Entschuldigung. Na, Partner, wie steht’s mit Pik? Ausgezeichnete Farbe.»
«Passe», sagte der Oberst. «Ich weiß nicht, was heutzutage aus der Armee geworden ist.»
«Sans Atout», sagte Wimsey. «Schon recht, Kinderchen, verlaßt euch auf Onkel Peter. Komm schon, Freddy, wie viele Herz willst du denn bieten?»
«Gar keine mehr, nachdem mich der Oberst so im Stich gelassen hat», sagte der Ehrenwerte Freddy.
«Angsthase. So, alle zufrieden? Dann los! Ihre Karten auf den Tisch, Partner. Oh, sehr hübsch. Dann machen wir diesmal einen Schlemm. Freut mich eigentlich, Ihre Meinung zu hören, Oberst, denn ich möchte, daß gerade Sie und Biggy heute abend noch hierbleiben und mit Melville und mir ein Spielchen machen.»
«Und was wird aus mir?» erkundigte sich der Ehrenwerte Freddy.
«Du hast eine Verabredung und gehst früh nach Hause, alter Freund. Ich habe Kamerad Melville eigens eingeladen, damit er den gefürchteten Oberst Marchbanks und unsern größten Strafjuristen kennenlernt. Aus welchem Blatt soll ich das eigentlich spielen? Ach so, ja. Nun los schon, Oberst – irgendwann müssen Sie ja mal mit diesem König herausrücken, warum also nicht gleich?»
«Ein Komplott», sagte Mr. Arbuthnot mit übertrieben geheimnisvoller Miene. «Nur zu, Leute, nehmt keine Rücksicht auf mich.»
«Ich nehme sicher an, daß Sie einen besonderen Grund haben, diesen Kerl zu hofieren», meinte Sir Impey.
«Der Rest gehört dann wohl mir. Hm, ja, den habe ich. Sie und der Oberst täten mir wirklich einen großen Gefallen, wenn Sie Melville heute abend mitmischen ließen.»
«Wenn Sie es wünschen», knurrte der Oberst. «Aber hoffentlich versucht der junge Naseweis kein Kapital aus der Bekanntschaft zu schlagen.»
«Dafür werde ich schon sorgen», sagte Seine Lordschaft.
«Deine Karten, Freddy. Wer hatte das Herz-As? Ach so, ich selbst. Wir spielen aus … Hallo! Guten Abend, Melville.»
Die Ampelopsis war ein auf seine Art recht gutaussehender Mann – groß und braungebrannt, mit blitzenden weißen Zähnen. Er begrüßte Wimsey und Arbuthnot herzlich, den Oberst ein wenig zu vertraulich, und zeigte sich hocherfreut, Sir Impey Biggs kennenzulernen.
«Sie kommen gerade recht, um Freddys Blatt zu übernehmen», sagte Wimsey. «Er muß nämlich fort. Aber ich warne Sie, er kriegt immer furchtbar schlechte Karten.»
«Na ja», meinte Freddy und erhob sich gehorsam. «Ich spiele dann wohl besser Mücke und schwirre ab. Gute Nacht allerseits.»
Melville nahm seinen Platz ein, und das Spiel ging noch zwei Stunden mit wechselndem Glück weiter, bis Oberst Marchbanks, der unter den redseligen Spieltheorien seines Partners sehr zu leiden hatte, sichtlich die Lust verlor.
Wimsey gähnte.
«Wird’s ein bißchen langweilig, Oberst? Ich wollte, die erfänden mal was, um dieses Spiel kurzweiliger zu gestalten.»
«Ach, Bridge ist sowieso nur was für Kinder», meinte Melville.
«Wollen wir nicht mal eine kleine Runde pokern, Oberst? Das macht Sie garantiert wieder munter. Was halten Sie davon, Biggs?»
Sir Impey, daran gewöhnt, einem Zeugen ins Herz zu sehen, warf Wimsey einen nachdenklichen Blick zu, dann antwortete er: «Einverstanden, wenn die andern es auch sind.»
«Prima Idee», sagte Lord Peter. «Kommen Sie, Oberst, seien Sie kein Spielverderber. Die Chips liegen da in der Schublade, glaube ich. Beim Pokern verliere ich zwar immer, aber was tut’s, solange es Spaß macht? Besorgen wir uns ein frisches Blatt.»
«Wird der Einsatz begrenzt?»
«Was meinen Sie, Oberst?»
Der Oberst schlug zwanzig Shilling vor. Melville erhöhte mit einer Grimasse auf ein Zehntel des Gesamteinsatzes. Die Erhöhung wurde akzeptiert. Die Karten wurden gemischt, und der Oberst gab aus.
Entgegen seiner Vorhersage gewann Wimsey am Anfang ganz beträchtlich und wurde darüber so albern und redselig, daß sogar der erfahrene Melville sich zu fragen begann, ob diese unbeschreibliche Einfältigkeit der Mantel der Dummheit oder die Maske des abgebrühten Pokerspielers war. Bald sah er sich jedoch beruhigt. Das Glück wechselte auf seine Seite, und er gewann mit der linken Hand stetig kleinere Summen von Sir Impey und Oberst Marchbanks, die vorsichtig spielten und keine großen Risiken eingingen – und beträchtliche Summen von Wimsey, der leichtsinnig und ein wenig angetrunken wirkte und lachhaft hohe Beträge auf die unmöglichsten Karten setzte.
«Ich habe noch nie so einen Glückspilz gesehen wie Sie, Melville», sagte Sir Impey, als der junge Mann gerade wieder den Gewinn von einem hübschen Straigthflush einstrich.
«Heute ich, morgen Sie», meinte Melville, indem er die Karten Biggs zuschob, der mit Geben an der Reihe war.
Oberst Marchbanks verlangte eine neue Karte. Wimsey lachte dümmlich und ließ sich gleich fünf neue geben; Biggs verlangte drei, und Melville nahm, nachdem er eine Weile überlegt hatte, eine.
Diesmal sah es so aus, als ob jeder etwas Brauchbares in der Hand hätte, obwohl man sich bei Wimsey nicht darauf verlassen konnte, denn er ging schon mit einem Zweierpasch bis an die Höchstgrenze, um, wie er sagte, «den Pott am Kochen zu halten». Er wurde jetzt regelrecht störrisch und warf, trotz Melvilles zur Schau getragener Zuversicht, mit hochrotem Kopf seine Chips in den Pott.
Der Oberst stieg aus, und kurz darauf folgte Biggs seinem Beispiel. Melville ging mit, bis der Pott nahezu hundert Pfund enthielt, dann wurde Wimsey plötzlich unruhig und verlangte die Karten zu sehen.
«Vier Könige», sagte Melville.
«Hol Sie der Kuckuck», sagte Wimsey, indem er vier Damen hinlegte. «Der Kerl ist heute abend nicht zu bremsen, wie? Hier, Melville, nehmen Sie die verflixten Karten und geben Sie andern Leuten auch mal eine Chance, ja?»
Mit diesen Worten mischte er die Karten und gab sie weiter. Melville teilte aus, bediente seine drei Mitspieler und wollte sich gerade selbst drei neue Karten geben, als Wimsey mit einem plötzlichen Ausruf seine Hand über den Tisch schießen ließ.
«Hallo, Melville!» sagte er mit eisiger Stimme, die mit seiner sonstigen Sprechweise nichts mehr gemein hatte. «Was soll das bitte heißen?»
Er hob Melvilles linken Arm über dem Tisch hoch und schüttelte ihn einmal kräftig. Aus dem Ärmel flatterte etwas auf den Tisch und glitt von dort weiter auf den Fußboden. Oberst Marchbanks hob es auf und legte mit unheilkündendem Schweigen einen Joker auf den Tisch.
«Großer Gott!» sagte Sir Impey.
«Sie grüner Schurke!» stieß der Oberst hervor, als er seiner Stimme wieder mächtig war.
«Zum Teufel, was soll das heißen?» keuchte Melville mit kreidebleichem Gesicht. «Was fällt Ihnen ein! Das ist eine Finte – eine Falle –» Eine furchtbare Wut packte ihn. «Sie unterstehen sich zu behaupten, daß ich ein Betrüger sei? Sie Lügner! Sie gemeiner Falschspieler! Sie haben mir die Karte dahin gesteckt. Ich sage Ihnen, meine Herren», rief er, indem er sich verzweifelt in der Runde umsah, «er muß sie mir dahin gesteckt haben.»
«Na, na», sagte Oberst Marchbanks, «es hat keinen Sinn, sich hier so aufzuführen, Melville. Überhaupt keinen Sinn. Macht alles nur noch schlimmer. Wir haben es nämlich alle gesehen. Mein Gott, ich weiß nicht, was aus der Armee geworden ist.»
«Heißt das, Sie glauben ihm?» schrie Melville mit schriller Stimme. «Um Himmels willen, Wimsey, soll das ein Witz sein oder was? Biggs – Sie haben doch einen Kopf auf den Schultern – glauben Sie etwa diesem halbbetrunkenen Irren und diesem Tattergreis, der längst ins Grab gehört?»
«Diese Ausdrucksweise bringt Ihnen nichts ein, Melville», sagte Sir Impey. «Ich fürchte, wir haben es alle deutlich genug gesehen.»
«Ich hatte nämlich schon die ganze Zeit so einen Verdacht», sagte Wimsey. «Darum habe ich Sie beide gebeten, heute abend noch hierzubleiben. Wir wollen kein großes öffentliches Aufsehen machen, aber –»
«Meine Herren», sagte Melville jetzt sachlicher, «ich schwöre Ihnen, daß ich an dieser gräßlichen Geschichte vollkommen unschuldig bin. Können Sie mir das nicht glauben?»
«Ich kann immer noch glauben, was ich mit eigenen Augen sehe, Sir», entgegnete der Oberst aufgebracht.
«Im Interesse des Clubs», sagte Wimsey, «konnte das so nicht weitergehen, aber ebenfalls im Interesse des Clubs finde ich, wir sollten die Sache lieber in aller Stille aus der Welt schaffen. Angesichts dessen, was Sir Impey und der Oberst bezeugen können, Melville, glaube ich nicht, daß Ihnen irgendjemand Ihre Gegendarstellung abnehmen wird.»
Melville sah von dem alten Offizier zu dem großen Strafjuristen.
«Ich weiß nicht, was für ein Spiel Sie treiben», sagte er mürrisch zu Wimsey, «aber ich sehe, daß die Falle, die Sie mir da gestellt haben, zugeschnappt ist.»
«Ich glaube, meine Herren», sagte Wimsey, «daß ich die Angelegenheit ohne großes Aufsehen zu aller Zufriedenheit aus der Welt schaffen kann, wenn ich mit Melville kurz in seinem Zimmer unter vier Augen sprechen darf.»
«Er muß seinen Abschied einreichen», grollte der Oberst.
«Ich werde mit ihm in diesem Sinne reden», sagte Wimsey.
«Können wir für ein paar Minuten in Ihr Zimmer gehen, Melville?»
Mit düsterer Stirn ging der junge Soldat voran. Sowie er mit Wimsey allein war, fuhr er ihn wütend an.
«Was haben Sie im Sinn? Was wollen Sie mit dieser ungeheuerlichen Anschuldigung erreichen? Ich werde Sie wegen Verleumdung verklagen!»
«Tun Sie das nur», antwortete Wimsey kühl, «wenn Sie meinen, daß irgend jemand Ihnen glauben wird.»
Er zündete sich eine Zigarette an und musterte gelassen den erzürnten jungen Mann.
«Sagen Sie mir jedenfalls, was das zu bedeuten hat!»
«Das hat ganz einfach zu bedeuten», entgegnete Wimsey, «daß Sie, ein Offizier und Mitglied dieses Clubs, beim Kartenspiel um Geld auf frischer Tat beim Betrügen ertappt worden sind, und Sir Impey Biggs, Oberst Marchbanks und ich können das bezeugen. Nun schlage ich Ihnen, Hauptmann Melville, als die beste Lösung vor, daß Sie mir Mrs. Ruyslaenders Kollier und das Porträt anvertrauen und sich unauffällig aus dieser Hallen strahlendem Glanz entfernen – und kein Hahn kräht mehr danach.»
Melville sprang auf.
«Mein Gott!» rief er. «Jetzt verstehe ich. Das ist Erpressung!»
«Sie dürfen es sicherlich Erpressung nennen, und Diebstahl dazu», meinte Lord Peter achselzuckend. «Aber wozu diese häßlichen Wörter? Sie sehen doch, daß ich fünf Asse in der Hand habe. Also legen Sie besser Ihre Karten weg.»
«Und wenn ich sage, daß ich von den Diamanten noch nie gehört habe?»
«Dazu ist es wohl jetzt ein bißchen spät, wie?» versetzte Wimsey liebenswürdig. «Aber in diesem Falle müßten wir, so schrecklich leid es mir täte, die Sache von heute abend doch noch an die große Glocke hängen.»
«Zum Henker mit Ihnen», knurrte Melville, «Sie feixender Satan.»
Er entblößte seine sämtlichen weißen Zähne und duckte sich wie zum Sprung. Wimsey wartete gelassen, die Hände in den Taschen.
Der Angriff blieb aus. Mit einer wütenden Gebärde zog Melville seine Schlüssel heraus und schloß sein Toilettenköfferchen auf.
«Da, nehmen Sie», grollte er, indem er ein kleines Päckchen auf den Tisch warf. «Sie haben mich in der Hand. Nehmen Sie und scheren Sie sich damit zum Teufel.»
«Letzten Endes ja – warum nicht gleich?» murmelte Seine Lordschaft. «Heißen Dank. Bin nämlich ein friedliebender Mensch – kann Unannehmlichkeiten und dergleichen nicht leiden.» Er betrachtete eingehend seine Beute und ließ die Steine fachmännisch durch die Finger gleiten. Beim Anblick des Porträts spitzte er die Lippen. «O ja», flüsterte er, «das hätte Krach gegeben.» Er wickelte alles wieder ein und steckte das Päckchen in die Tasche.
«Also, dann gute Nacht, Melville – und vielen Dank für das schöne Spielchen.»
«Hören Sie mal, Biggs», sagte Wimsey, als er ins Kartenzimmer zurückkam, «Sie haben doch viel Erfahrung. Was für Maßnahmen halten Sie im Umgang mit einem Erpresser für gerechtfertigt?»
«Ha!» machte der Kronanwalt. «Da haben Sie den Finger genau auf den wunden Punkt dieser Gesellschaft gelegt, wo die Gesetze machtlos sind. Als Mensch kann ich nur sagen, es gibt nichts, was so ein Unhold nicht verdient. Dieses Verbrechen ist grausamer und in seinen Folgen unendlich schlimmer noch als Mord. Als Jurist sage ich, daß ich es bisher immer konsequent abgelehnt habe, einen Erpresser zu verteidigen oder gegen irgendeinen armen Teufel, der seinen Peiniger aus dem Weg geräumt hat, die Anklage zu vertreten.»
«Hm», antwortete Wimsey. «Und was sagen Sie, Oberst?» «Ein solcher Mensch ist Ungeziefer», erklärte der kleine Krieger mannhaft. «Erschießen ist zu gut für ihn. Ich habe mal einen Mann gekannt – war sogar ein guter persönlicher Freund von mir – zu Tode gehetzt – hat sich eine Kugel in den Kopf gejagt. Rede nicht gern darüber.»
«Ich möchte Ihnen etwas zeigen», sagte Wimsey.
Er sammelte die Spielkarten ein, die noch auf dem Tisch lagen, und legte sie zusammen.
«Nehmen Sie mal, Oberst, und legen Sie den Packen verdeckt auf den Tisch. Recht so. Jetzt heben Sie als erstes bei der zwanzigsten Karte ab – Sie werden sehen, daß die Karo-Sieben zuunterst liegt. Stimmt’s? Jetzt rufe ich sie alle nacheinander auf: Herz-Zehn, Pik-As, Treff-Drei, Treff-Fünf, Karo-König, Neun, -Bube, Herz-Zwei. Stimmt’s? Ich könnte sie Ihnen alle der Reihe nach nennen, bis auf das Herz-As, denn das ist hier.»
Er beugte sich vor und fischte die Karte geschickt aus Sir Impeys Brusttasche.
«Das habe ich von einem Mann gelernt, der bei Ypern mit mir im Unterstand lag», sagte er. «Sie beide brauchen über die Geschichte von heute abend niemandem etwas zu erzählen. Es gibt Verbrechen, an die das Gesetz nicht herankommt.»