24. KAPITEL

Das gefällt mir nicht“, sagte Marcus. Er saß an seinem Schreibtisch und tippte mit dem Finger auf den Monitor seines Computers, der eine Gewinn- und Ver-lustrechnung zeigte. „Der letzte Einkaufstrip nach Atlanta hätte uns beinahe in den Ruin getrieben!“

„Marcus, sei doch vernünftig“, versuchte Porter ihn zu überreden. „Wir haben einen Kreditrahmen, den wir für geplante Ausgaben ausschöpfen können, und die Ambulanz ist ohne eine Grundausstattung vollkommen nutzlos.“ Er blickte Kendall an und erhoffte sich Unterstützung von ihm, aber Kendall saß auf einem Stuhl, nagte an einem Fingernagel und starrte ins Nichts. „Kendall, kannst du mir nicht ein bisschen helfen?“

Kendall hob abrupt den Kopf. „Entschuldige … wie bitte?“

Porter runzelte die Stirn. Kendall schien von Tag zu Tag zerstreuter zu werden. „Ich habe Marcus eben erklärt, wie wichtig es ist, dass Dr. Salinger und ich nach Atlanta fahren, um Ausrüstung und den ersten Bestand für die Ambulanz zu besorgen.“

Kendall schnaubte spöttisch und erhob sich. „Wenn du mit Dr. Salinger allein sein willst, kleiner Bruder, musst du dir keine Ausrede ausdenken.“

Porters Stirnrunzeln verstärkte sich. „Ich denke mir keine Ausrede aus. Ich muss sowieso nach Atlanta zum Orthopäden. Je eher wir die Ausstattung für die Ambulanz haben, desto eher können wir auch den Antrag auf die Inspektion stellen, um in den Verband der Landarztpraxen aufgenommen zu werden. Und wollt ihr nicht auch, dass Mutter so schnell wie möglich den Ehering zurückbekommt?“

„Selbstverständlich“, sagte Kendall und legte mit einem höhnischen Grinsen die Hand an die Stirn, um zu salutieren. „Viel Spaß!“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt, stürmte aus dem Büro und schlug die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu.

„Was ist bloß mit ihm los?“, murmelte Porter.

„Wenn ich das nur wüsste“, erwiderte Marcus. „Warum fragst du nicht die Frau Doktor, ob sie etwas gegen ständig schlechte Laune hat?“

„Für Kendall oder für dich?“

„Sehr witzig. Und Kendall hat recht: Ich dachte, ich hätte dir gesagt, du sollst dich von ihr fernhalten.“

Der Blick, den sein Bruder ihm zuwarf, gefiel Porter nicht. „Sie will doch schon abreisen– ich kann es also praktisch nicht mehr schlimmer machen, oder?“

Marcus zog die Augenbrauen hoch. „Nenne mich altmodisch, aber da wir die gute Frau Doktor hier unter Vorspiegelung falscher Tatsachen festhalten, fühle ich mich für sie verantwortlich.“

Porter funkelte ihn an. „Hast du Kontakt zu dem Arzt aufgenommen, der sie ersetzen will?“

Marcus hielt den Zettel hoch, den Porter ihm gegeben hatte. „Das will ich heute erledigen. Zusammen mit tausend anderen Dingen.“

„Warum wartest du damit nicht noch?“

„Willst du sie überreden, doch zu bleiben? Hast du ein Ass im Ärmel?“ Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Oder sonst wo?“

„Nein. Ich meine, ja, ich will versuchen, sie zum Bleiben zu überreden … indem ich über unsere Pläne für die Stadt rede und ihr ihre Rolle dabei erkläre.“

Skeptisch blickte Marcus ihn an. „Okay, dann mal los!“

„Also, kann ich den Bestand für die Ambulanz besorgen?“

Marcus überflog die Tabelle, die Porter ihm gegeben hatte, und seufzte. „Nur die Dinge, die als wichtig markiert sind. Ich vertraue dir, dass du nicht übermütig wirst.“

„Verstanden“, entgegnete Porter erleichtert. Nikki hätte niemals eingewilligt, mit nach Atlanta zu kommen, wenn es nicht um etwas Geschäftliches gegangen wäre. Und obwohl er das Gegenteil behauptet hatte, wollte er unbedingt mit ihr ungestört sein. Kendall las in ihm, verdammt noch mal, wie in einem aufgeschlagenen Buch.

Aber warum verstand er nicht, was Kendall so sehr beschäftigte?

„Wann fahrt ihr los?“, fragte Marcus und riss ihn aus seinen Grübeleien.

„Nikki hat für morgen Nachmittag einen Termin bei einem Orthopäden vereinbart“, antwortete Porter. „Ich dachte, wir brechen morgen ziemlich früh auf und halten unterwegs bei Mutter an. Dann fahren wir in die Stadt, damit ich zum Arzt kann, und verbringen dort die Nacht. Ich werde am nächsten Tag einen Laster mieten und die Dinge besorgen, die wir brauchen. Anschließend kommen wir zurück.“

Marcus verzog den Mund. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du Mutter jemals eine Frau vorgestellt hättest.“

„Ich dachte, dass Mutter Nikki sicher kennenlernen möchte, weil sie den Ring gefunden hat. Das ist alles.“

„Ja, klar. Wenn ich es nicht besser wüsste, kleiner Bruder, würde ich sagen, dass du dabei bist, dich in diese Frau zu verlieben.“

Porter stockte kurz – vermutlich war es das Beste, so lässig wie möglich zu reagieren. „Na ja, du weißt ja alles besser.“

„Bist du dir sicher, dass du dir nicht den Kopf gestoßen hast, als du vom Wasserturm gestürzt bist? Du bist plötzlich so weich und mitfühlend – erst der Frau Doktor gegenüber und jetzt pflegst du auch noch ein Kitz.“

„Dem Kitz geht es schon besser“, erwiderte Porter und ging nicht weiter auf die Bemerkung über Nikki ein. „Es steht schon wieder und läuft mit dem eingegipsten Hinterlauf herum. Ich habe ein paar der Männer gebeten, einen Auslauf für das Tier zu bauen.“

Marcus funkelte ihn wütend an. „Klar. Hier gibt es ja auch sonst nichts zu tun!“ Er stand auf und fuchtelte aufgebracht mit den Armen herum. „Du fällst den ganzen verfluchten Sommer aus, Kendall bläst nur noch Trübsal, und ich muss mich allein um die Arbeiter und die ganzen Frauen kümmern!“

„Einen Moment mal! Ich habe die Arbeiten am Ambulanzgebäude auf einem Bein überwacht, und Kendall hat sich um die Installation des Medienraums gekümmert. Wir haben auch gearbeitet.“

„An Dingen, die keinen Umsatz bringen!“, stieß Marcus hervor. „Wir liegen mit der Mulchproduktion zurück, weil die Männer immer wieder abgezogen werden – und zwar wegen so bekloppter Dinge wie vorgetäuschte Krankheiten, mit denen sie zum Arzt gehen müssen, oder dem Bau einer Landarztambulanz, für die es kein Personal gibt, oder der Konstruktion eines Auslaufs für Bambi!“

Porter erinnerte sich an ihre letzte Unterhaltung, als Marcus ihm gestanden hatte, Angst zu haben, die Ziele nicht erreichen zu können. An der Wand im Büro hing ein Zweijahresplaner, der mit der rot gekennzeichneten Deadline eine ständige Mahnung war, und Marcus spürte den Druck offenbar immer stärker.

Porter hob abwehrend die Hände. „Ich weiß, dass im Augenblick vieles zerfahren wirkt. Doch es wird sich alles einrenken. Die Männer und Frauen scheinen sich besser zu verstehen …“

Marcus schnaubte.

„… als vorher“, beendete Porter den Satz. „Und das Essen im Dining House schmeckt auch …“

Wieder ertönte ein lautes Schnauben.

„… ein bisschen besser“, schloss Porter. „Und wir haben die Fernmeldeleitungen installiert, und sie funktionieren.“ Er hielt inne und wartete auf Marcus’ Reaktion.

Marcus kaute auf seiner Unterlippe. „Ich schätze, dass das nicht das Schlechteste ist.“

„Der Garten wächst und gedeiht“, fuhr Porter fort. „Und die Ambulanz ist bald fertig und bereit für die ersten Patienten. Wir machen große Fortschritte, Marcus. Und wir werden die Deadline halten – du wirst schon sehen.“

Marcus fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und grinste schließlich. „Bring einfach aus Atlanta eine Nachricht von dem Orthopäden mit, in der steht, wann du endlich wieder mit anpacken kannst.“

Porter verzog das Gesicht. „Ich mache mir mehr Sorgen darüber, was Mutter sagen wird, wenn sie den Gips sieht.“

Marcus kam um den Schreibtisch herum und klopfte ihm auf den Rücken. „Ich nehme an, Mutter wird zu sehr damit beschäftigt sein, Dr. Salinger zu taxieren, um dein Gipsbein zu bemerken. Ist Nikki bereit?“

„Bereit für was?“

„Für Emily Armstrongs ‚Süße-kleine-alte-Dame-Verhörmethode‘? Von ihr könnte sich die CIA noch eine Scheibe abschneiden.“

„So lange werden wir gar nicht bleiben“, versicherte Porter. „Wir haben noch eine Menge in der Stadt zu erledigen.“

„Genau“, entgegnete Marcus trocken. „Sei einfach vorsichtig, ja?“

Porter winkte ab. „Ich kenne mich in Atlanta und Umgebung aus.“

„Ich meine, mit unserer Frau Doktor.“ Marcus warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Dr. Salinger ist keine deiner dümmlichen kleinen Partymiezen. Versuche es nicht noch schlimmer zu machen, wenn du sie überzeugen willst, in Sweetness zu bleiben, ja?“

Porter rieb sich die Brust, in der er mit einem Mal einen dumpfen Schmerz verspürte. „Das werde ich.“

„Werden Sie Sweetness verlassen?“, fragte Rachel.

Überrascht blickte Nikki von der Untersuchung des quietschfidelen Mopses Nigel auf. „Warum fragen Sie?“

Rachel zuckte die Achseln. „Sie sind so distanziert gegenüber den anderen Frauen. Es wirkt, als wollten Sie sich hier nicht für längere Zeit niederlassen.“

Nikki schaute zurück zu ihrem Fell-Patienten. „Um ehrlich zu sein, spiele ich mit dem Gedanken. Ich bin nicht so engagiert in dieser Sache wie Sie und die anderen Frauen.“

„Die Mädchen werden Sie vermissen.“

„Keine Sorge – meine ehemalige Chefin meint, sie hätte einen Ersatz für mich gefunden.“

„Ich meine, sie werden Sie vermissen, Nikki.“

Nikki blinzelte. „Warum? Wie Sie bereits erwähnten, habe ich mich nicht gerade in die Gemeinschaft integriert.“

„Alle bewundern Sie und würden Sie gern kennenlernen. Aber ich schätze, dazu ist es jetzt zu spät.“

Nikki fuhr mit der Untersuchung fort. Ihr Puls raste. Rachels Worte hinterließen in ihr das Gefühl, sich verteidigen zu müssen – so als würde sie jeden hier im Stich lassen. Und genau das war der Grund, warum sie sich zurückgehalten hatte und die Frauen nicht hatte kennenlernen wollen.

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich Sie bitten, noch nicht weiterzuerzählen, dass ich abreisen werde“, sagte sie leise und drückte das Stethoskop auf Nigels kleine Hundebrust.

„Okay. Gehen Sie zurück nach Broadway?“

„Das habe ich noch nicht entschieden.“

„Was ist mit Porter?“

Nikki erstarrte. „Was soll mit ihm sein?“

„Ich habe gehört, Sie beide wollen morgen nach Atlanta.“

Hörte sie eine Spur von Eifersucht in Rachels Stimme? Nikki nahm das Stethoskop ab und sah auf. Sie hatte noch nie erlebt, dass eine andere Frau ihretwegen eifersüchtig gewesen wäre. Obwohl es sich hier eher um etwas wie Neid handeln dürfte, dass sie in die Stadt fahren, und weniger damit, dass sie Zeit mit Porter verbringen konnte.

„Das stimmt“, sagte Nikki und bemühte sich, möglichst locker und beiläufig zu klingen. „Er hat einen Termin bei einem Spezialisten, der sein Bein untersucht, und ich werde mich um die Ausstattung für die Ambulanz kümmern.“

„Wenn Sie Porter mögen, ist das doch okay.“

Nikki verhaspelte sich. „Ich … ich mag Porter nicht …“

„Er mag Sie ja auch.“

Nikki lachte kurz auf. „Nein, da irren Sie sich.“

Rachel verdrehte die Augen. „Mädchen, ich habe beim Picknick neulich Signale ausgesendet, die sogar ein Blinder verstanden hätte. Aber er war mit seinen Gedanken ganz woanders – bei Ihnen, wie ich vermute.“

„Wohl eher bei dem Kitz“, erwiderte Nikki trocken. Sie streichelte Nigel über den Kopf, ehe sie ihn Rachel reichte. „Es sieht gut aus. Behalten Sie ihn im Auge. Wenn er Gras frisst, bedeutet das, dass ihm sein Magen wieder zu schaffen macht.“

„Danke.“ Rachel verlagerte das Gewicht, um Nigel in den Armen wiegen zu können wie ein Baby. „Wissen Sie, Sie sollten sich von diesem Idioten von einem Verlobten nicht daran hindern lassen, sich wieder zu verlieben.“

Nikki fühlte sich nackt und schutzlos und schlang die Arme um ihren Oberkörper. „Das ist leichter gesagt als getan.“

„Als ob ich das nicht wüsste“, sagte Rachel mitfühlend.

„Sie?“, fragte Nikki und betrachtete das Gesicht und die Figur dieser umwerfenden Frau. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie … Ich meine … Sie …“ Sie stolperte über ihre Worte. Rachel lächelte.

„Ich bin öfter verlassen und betrogen worden, als ich zählen kann“, sagte Rachel. „Ich war fünfmal verlobt und habe es nicht ein einziges Mal bis zum Traualtar geschafft. Niemand ist gefeit gegen ein gebrochenes Herz.“

Nikki empfand sich als dumm und voreingenommen, weil sie davon ausgegangen war, dass eine Schönheit wie Rachel weniger Probleme hatte als eine durchschnittlich aussehende Frau. „Ich schätze, Sie haben recht.“ Verlegen steckte sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Einige von uns haben einfach weniger Möglichkeiten, das andere Geschlecht anzuziehen.“

Rachel legte den Kopf schräg. „Nikki, Sie haben sehr schöne Gesichtszüge – Sie müssen nur etwas daraus machen.“

Nikki wurde rot. „Ich fürchte, ich bin nicht besonders geschickt im Umgang mit Make-up und Styling.“

Rachel streckte den Arm aus und berührte Nikki am Kinn. „Ein paar Strähnchen und vielleicht Stirnfransen würden Ihre Augen unterstreichen. Delia wird es wissen – die Frau ist eine geniale Hairstylistin. Und Traci könnte Ihre Augenbrauen in Form bringen. Monica hat früher Kosmetik in einem Kaufhaus verkauft und kennt alle Tricks.“

Unsicher strich Nikki sich übers Haar. „Ich weiß nicht …“

„Der perfekte Zeitpunkt für einen neuen Look ist nach einer Trennung“, beharrte Rachel und wies auf Nikkis Kakihose. „Haben Sie etwas Schickeres, das Sie auf der Reise nach Atlanta anziehen können?“

Nikki fuhr mit der Hand über den zweckmäßigen Stoff. Solche praktischen Kleidungsstücke waren eine Art Arbeitsuniform für sie geworden. „Eigentlich nicht.“

„Ich bin mir sicher, dass wir in unserer Gruppe etwas für Sie finden werden. Sie sollten toll aussehen, wenn Sie nach Atlanta fahren … um die Ausstattung zu besorgen.“

Ihre Augen funkelten, und Nikki musste lachen. Sie war dieser Frau, auf die sie vorher so neidisch gewesen war, plötzlich dankbar.

„Also, was sagen Sie? Sind Sie bereit für ein Styling?“

Die alten Gewohnheiten ließen Nikki nicht los. Sie wollte nicht, dass man so viel Aufhebens um sie machte, und sie hatte Angst, albern auszusehen. Außerdem wusste sie nicht, ob sie den neuen Look auch beibehalten konnte. Seit sie Teenager war, trug sie dieselbe Frisur und legte nur wenig Make-up auf.

Seit sie Teenager war. Nikki machte sich dieses Eingeständnis erst einmal bewusst. Du meine Güte, sie war so verdammt festgefahren! Schließlich seufzte sie und warf schicksalsergeben die Hände in die Luft. „Gut, was habe ich schon zu verlieren?“