Nikki war unwohl bei dem Gedanken, Porter Armstrong irgendwohin zu folgen, doch die Neugierde siegte. Also trat sie hinter ihm aus einer Seitentür in die Morgensonne hinaus. Sie blieb allerdings zurück, als er etwas ungelenk auf ein Gefährt kletterte, das aussah wie ein Aufsitzrasenmäher. Es war eines der Quads, die er und seine Brüder gestern benutzt hatten. Er machte es sich auf dem Fahrersitz bequem und verstaute seine Krücken neben seinem verletzten Bein. Dann blickte er auf und klopfte auf den Sitz hinter sich.
„Springen Sie auf.“
Nikki zögerte. „Wohin wollen wir?“
Er grinste. „Dorthin, wo Sie ganz sicher Empfang für Ihr Handy haben.“
Beim Anblick seines Lächelns schlug ihr Herz schneller. Der Mann war einfach zu gut aussehend. Aber sie musste sich keine Sorgen machen, so lange hier zu sein, dass sie sich in Porter Armstrong verliebte– sie würde verschwinden, sobald ihr Van repariert war.
„Sind Sie sich sicher, dass Sie mit Ihrem verletzten Bein fahren können?“
„Kein Problem. Die gesamte Bedienung erfolgt über den Lenker.“
„Was ist mit Helmen?“
Einen Moment lang wirkte er irritiert, doch dann drehte er sich um und öffnete den hinteren Teil des Sitzes. Darunter befand sich ein Staufach, in dem zwei Helme lagen. Einen der Helme reichte er ihr.
Nikki musste zugeben, dass ihr jetzt keine Ausrede mehr einfiel. Außerdem machte eine Fahrt auf diesem Gerät bestimmt Spaß. Und sie musste einige dringende Telefonate erledigen. Also nahm sie den Helm, setzte ihn auf und kletterte hinter Porter auf den Sitz des Fahrzeugs. Sie nahm Platz und suchte nach einem Griff.
„Halten Sie sich an mir fest“, sagte er über die Schulter.
Und ehe sie widersprechen konnte, hatte er den Motor gestartet und gab Gas. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb schlang sie ihre Arme um seine Taille, als das Geländefahrzeug einen Satz nach vorn machte.
Aber sie musste gestehen, dass es nicht unangenehm war, seine harten Bauchmuskeln unter ihren Armen zu spüren.
Er steuerte das Gefährt den mit Mulch befestigten Weg entlang und dann in den Wald hinein. Sie folgten einem steinigen Pfad, kaum breit genug für ein Auto. An beiden Seiten erhoben sich über dichtem Unterholz hohe Bäume. Die Temperatur unter dem Blätterdach war um einige Grad kühler.
Er wandte den Kopf zu ihr um. „Macht es Ihnen Spaß?“, rief er über das Brummen des Motors hinweg.
„Bis jetzt ja“, erwiderte sie. Ein Teil von ihr musste widerwillig zugeben, dass sie die ungezügelte Freiheit genoss, den Wind auf ihrem Gesicht zu spüren.
Der kräftige Geruch von Gras, Moos und Erde stieg ihr in die Nase, als sie eine Anhöhe hinauffuhren. Als sie nach hinten zu rutschen drohte, verstärkte sie ihren Griff um Porters Taille. Ihr wurde bewusst, dass nur eine dünne Schicht Baumwollstoff zwischen ihren Händen und der warmen Haut an Porters flachem Bauch lag.
Sie waren ungefähr zwanzig Minuten unterwegs, bevor sie langsamer wurden und auf eine Lichtung kamen. Nikki erkannte die Stützen eines Wasserturms – es war ohne Zweifel der Turm, den sie bei ihrer Ankunft in Sweetness von der Straße aus gesehen hatte.
Der Turm, von dem Porter gestürzt war.
Er brachte das Fahrzeug zum Stehen und stellte den Motor ab. Nikki kletterte zuerst von ihrem Sitz und nahm den Helm ab. Dann half sie Porter, sicheren Stand zu finden, und griff nach seinen Krücken.
„Zurück am Ort des Geschehens“, scherzte er.
Sie legte den Kopf in den Nacken, um die Spitze des Turms durch die Baumwipfel hindurch sehen zu können. „Wie hoch waren Sie, als Sie gefallen sind?“
„Ganz oben.“
Verwundert schüttelte sie den Kopf. „Sie haben Glück gehabt, dass Sie sich nicht das Genick gebrochen haben.“
Er grinste. „Ich weiß.“
Aus irgendeinem Grund dachte sie an die Mutter dieses Mannes und verspürte Mitgefühl mit ihr. Wie oft wohl hatte Porter als Junge Glück im Unglück gehabt, war schlimmeren Verletzungen entgangen und hatte ihr das gleiche herzbewegende Grinsen zugeworfen?
Er deutete auf das Handy an ihrem Hosenbund. „Sehen Sie nach, ob Sie jetzt Netz haben.“
Sie holte ihr Telefon hervor und freute sich, zwei von fünf Signalbalken zu sehen – dann war es plötzlich nur noch einer. Ihre Mailbox zeigte keine Nachrichten an. „Ich habe Empfang. Lassen Sie mich mal versuchen, ob ich telefonieren kann.“ Sie drückte auf die Taste, um ihre Mailbox abzuhören, doch sie bekam keine Verbindung. Sie probierte es noch zwei weitere Male – mit demselben Ergebnis.
„Das Signal ist nicht stark genug, um eine Verbindung herzustellen. Und erst recht reicht es nicht aus, um meine Mails zu checken.“ Sie warf ihm ein kleines Lächeln zu. „Aber es war nett von Ihnen, mich hierher zu bringen, um es zu versuchen. Ich schätze, ich muss doch den Berg hinunterfahren.“
Er schürzte die Lippen. „Oder Sie könnten nach oben steigen.“
Nikki hob eine Augenbraue. „Sie meinen, auf den Wasserturm?“
„Haben Sie Höhenangst?“
„Dann haben Sie oben auf der Plattform bestimmt einen besseren Netzempfang.“ Seine blauen Augen funkelten. „Ich verspreche Ihnen, dass allein die Aussicht die Anstrengung wert ist.“
Nikki biss sich auf die Unterlippe und dachte über den Aufstieg nach. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war ein Sturz. „Ist es denn sicher?“
„Solange Sie langsam klettern.“ Er wirkte verlegen. „Ich habe Ihre Ankunft beobachtet und hatte es einfach zu eilig, wieder in die Stadt zurückzukommen.“
„Ich habe Sie dort oben gesehen“, sagte sie. „Als wir in die Stadt gefahren sind.“
„Tatsächlich?“
Nikki nickte und legte wieder den Kopf in den Nacken. Mit der Hand schützte sie ihre Augen vor dem Sonnenlicht, das durch die Baumwipfel fiel. Ihr ganzes Leben lang war sie ein Stadtmädchen gewesen. Der Gedanke, den Wasserturm hinaufzuklettern, war unglaublich reizvoll. Sie würde hier bald verschwinden – warum sollte sie nicht eine aufregende Erinnerung mitnehmen? „Ich bin bereit.“
Das Lächeln, das er ihr schenkte, wärmte sie bis in die Zehen. Es war, als hätte sie eine Art Test bestanden. Er ging mit ihr an den Fuß der Leiter und gab ihr letzte Anweisungen. „Alle sechs Meter ist eine extrabreite Sprosse, damit Sie sich hinsetzen und ausruhen können, falls es nötig ist.“
„Gut.“
„Sobald Sie oben sind, seien Sie vorsichtig, wenn Sie von der Leiter auf die Plattform steigen.“
„Gut.“
„Und machen Sie sich keine Sorgen. Falls Sie fallen sollten, bin ich da und fange Sie auf.“
Sie warf ihm und seinen Krücken einen vernichtenden Blick zu. „Klar!“
„Ich hebe Sie hoch“, sagte er und deutete hinauf zur untersten Sprosse, die sie allein nicht erreichen konnte.
„Ich glaube, ich schaffe das schon“, erwiderte sie und sprang hoch, um die Metallsprosse zu packen.
Nikki zog sich hoch und stellte sofort fest, dass sie nicht genug Kraft im Oberkörper hatte, um die nächste Sprosse zu erreichen. Als sie gerade fürchtete, dass ihre Arme nachgeben würden, spürte sie eine starke Hand unter ihrem Po, die sie nach oben schob. Seine Hand an ihrem Hintern zu fühlen schockierte sie, und ihr erster Impuls war, empört zu protestieren. Doch sie konnte nicht leugnen, dass sie seine Hilfe brauchte. Also griff sie nach der nächsten Sprosse und kletterte hinauf, bis ihre Füße Halt fanden. Nikki erklomm die Leiter Stufe für Stufe. Als sie sich sicherer fühlte, warf sie einen Blick nach unten zu Porter, der ihr zuwinkte und lächelte.
„Lassen Sie sich Zeit“, rief er. Er hatte die Hände wie einen Trichter um den Mund gelegt. „Ich bleibe solange hier und unterhalte mich mit der Natur.“
Sie kletterte weiter und machte auf der Hälfte der Strecke eine Pause. Es war ein unwirkliches Gefühl, sich zwischen den majestätischen Bäumen aufzuhalten, während der Wind durch die Zweige wehte und die Blätter zum Tanzen brachte. Sie fragte sich, was für Bäume das waren. Die duftigen immergrünen Bäume als solche waren leicht zu erkennen, aber sie wusste, dass es so viele unterschiedliche Arten gab wie Knochen im menschlichen Körper. Ihr Kopf war vollgestopft mit Fakten aus medizinischenWälzern, doch über die Natur wusste sie nichts. Sie hatte keine Ahnung, welche Vögel im Sturzflug aus den Zweigen herabschossen oder welche Insekten dort zirpten und summten.
Es traf Nikki, feststellen zu müssen, dass sie Bildungslücken hatte.
„Geht es Ihnen gut da oben?“, schrie Porter.
Sie blickte hinunter und streckte einen Daumen nach oben. Dann stieg sie weiter hinauf, bis sie die Plattform unterhalb des riesigen weißen Wassertanks erreichte. An seine warnenden Worte denkend, hangelte sie sich vorsichtig von der Leiter auf die metallene Plattform. Als sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen spürte, atmete sie erleichtert tief durch.
Der Wasserturm war gigantisch. Ganz oben war er kapselförmig mit einer Abdeckung aus Metall auf der Spitze. Der Turm schien frisch geweißt zu sein, und sie konnte sich vorstellen, wie viele Farbschichten sich darunter befinden mochten. Sie legte die Hand auf den Metalltank, der an dieser der Sonne abgewandten Seite noch immer kühl war, und staunte über die Kraft und die Geschichte dieses Bauwerks. Nikki folgte dem brusthohen Geländer bis zur vorderen Seite des Turms, die zum Tal wies. Als sie das unglaubliche Panorama erblickte, stockte ihr der Atem.
Sie hatte nicht gewusst, dass es so viele unterschiedliche Grüntöne gab. Berghänge in der Ferne waren mit dichtem Grün bewachsen, das sich im Wind, der über die Landschaft strich, wie die Wellen des Ozeans bewegte. Ihr weiches Haar wurde aus dem Zopfband gezerrt, und die Strähnen wehten ihr um den Kopf. Sie hob ihr Gesicht der Sonne entgegen und atmete tief ein.Wie frisch die Luft in dieser Höhe doch war– nicht verschmutzt und wie gereinigt durch das Gras und die Blätter, die wie ein Filter wirkten. Es war ein berauschender Duft.
Unter ihr fiel der bewaldete Boden ab bis zum Grund der Schlucht, wo die nach Sweetness führende Straße, ein von Menschenhand geschaffenes schwarzes Band, sich durch die scheinbar undurchdringliche Weite roter Erde schlängelte. Von hier aus hatte Porter Armstrong sicherlich einen guten Aussichtspunkt gehabt, um die Autokarawane zu sehen, die auf dem Weg nach Sweetness gewesen war.
Eine Bewegung am Geländer weckte ihre Aufmerksamkeit. Der Wind spielte mit den Ärmeln eines blauen Jeanshemdes, das über dem Handlauf hing. Ihre Gedanken wanderten zu Porters nacktem Oberkörper, den sie gestern gesehen hatte – das hier musste sein Hemd sein. Sie konnte sich vorstellen, dass er nach dem Aufstieg Abkühlung gesucht und es ausgezogen hatte. Nikki nahm das Hemd vom Geländer. Die Baumwolle war leicht zerschlissen und trotz der Sonne noch immer ein bisschen feucht von dem Regenguss der vergangenen Nacht.
Sie hob den Kragen an die Nase – es duftete noch immer nach Mann. Diese angenehme Assoziation ließ ein Verlangen in ihrem Innersten aufbranden. Die Intensität des Gefühls überraschte sie.
Dann bemerkte Nikki, dass ihr Handy vibrierte.
Ihr fiel wieder ein, warum sie überhaupt hier hinaufgeklettert war, und sie nahm das Handy von ihrem Hosenbund. Das Signal war stark, und Pfeile zeigten an, dass gerade Sprachnachrichten und E-Mails übertragen wurden. Nikki war verwirrt darüber, wie erleichtert sie war, wieder mit der Außenwelt verbunden zu sein. Sie hatte sich nie als einen Menschen betrachtet, der von der neuesten Technologie abhängig war. Aber an diesem abgelegenen Ort hatte sie sich unglaublich einsam gefühlt. Und von allem Vertrauten abgeschnitten zu sein hatte dieses Gefühl nur noch verstärkt.
Ihr Herz pochte schneller, als sie die Nummer wählte, um ihre Mailbox abzuhören. Ob Darren angerufen hatte? Hatte er gemerkt, dass sie nicht mehr in Broadway war? War ihm klar geworden, wie sehr er sie liebte? Tat es ihm leid, dass er ihr das Herz gebrochen hatte? Würde er sie um Verzeihung bitten und sie anflehen, zu ihm zurückzukommen?
Nein. Sie hörte ihre Nachrichten ab. Die meisten hatten etwas mit ihrem Apartment und dem Abschalten von Strom, Wasser und dergleichen zu tun. Ihre Enttäuschung wuchs. Sie wusste, dass Darren nicht der Mann war, für den sie ihn gehalten hatte, doch sie hatte ihn geliebt und eine Zukunft mit ihm geplant – es würde eine ganze Zeit lang dauern, ihr Herz wieder von ihm zu lösen. Sie sehnte sich nach einer Bestätigung, dass sie sich seine Gefühle für sie nicht nur vorgemacht hatte. Die zärtlichen Momente, die sie miteinander geteilt hatten, hatte sie sich doch nicht bloß eingebildet, oder?
Aber ja. Oder wie sonst hätte er sie mit einer Stripperin betrügen und, als sie ihn mit den Gerüchten konfrontiert hatte, so kühl reagieren können?
Die letzte Nachricht war von Amy Bradshaw. Die gefühlvolle Stimme ihrer Freundin zauberte ein Lächeln auf Nikkis Gesicht. Sie kannte Amy nicht so gut. Sie hatte sie erst kennengelernt, nachdem sie aus dem Haus ausgezogen war, das sie mit Darren zusammen bewohnt hatte. Danach wurde ein Apartment in der Nähe von Amy ihre neue Bleibe. Als sie sich im Yogakurs getroffen hatten, war augenblicklich das Gefühl entstanden, Seelenverwandte zu sein. Und obwohl Amy eine erfolgreiche Ingenieurin war, umwerfend hübsch und mit einer schnellen Auffassungsgabe gesegnet, war sie ein häuslicher Typ. Sie schien froh zu sein, eine Freundin gefunden zu haben, die ihre stillen Interessen teilte.
Als Nikki ihr erzählt hatte, dass sie mit dem Gedanken spiele, sich einer Gruppe von Frauen anzuschließen, die nach Sweetness in Georgia ziehen wollte, hatte Amy verhalten reagiert, sie aber dennoch unterstützt. Sie habe die Anzeige gesehen, hatte sie gesagt, und könne verstehen, warum Frauen die Vorstellung gefiele, für zwei Jahre freie Kost und Logis zu genießen und dazu eine Menge starker alleinstehender Männer kennenzulernen. Doch als Nikki daraufhin Amy gefragt hatte, ob die Anzeige sie auch reizen würde, hatte ihre Freundin nur gelacht und erklärt, dass sie in einer Stadt wie Sweetness aufgewachsen sei und nicht die Absicht habe, wieder diese Art von Leben zu führen.
„Ich wollte nur hören, ob du es ans Ziel geschafft hast“, erklang Amys melodiöse Stimme. „Ruf mich an, wenn du mal Zeit hast.“
Nikki wählte die Nummer ihrer Freundin. Ihre Laune hob sich, als Amy sich nach dem ersten Klingeln meldete.
„Amy Bradshaw.“
Nikki stellte sich vor, wie ihre Freundin am Schreibtisch saß, vor sich einige Blaupausen, die sie prüfte. „Amy, hier ist Nikki.“
Amy schrie überrascht auf. „Hi! Wo steckst du?“
„Du würdest es nicht glauben, wenn ich es dir sage.“
„Versuch es doch mal.“
„Ich bin auf dem Wasserturm oberhalb der kleinen Stadt Sweetness in Georgia.“
Amy blieb ein paar Momente stumm. „Das glaube ich dir nicht.“
Nikki lachte. „Es stimmt aber. Ich musste hier heraufklettern, um Netz für mein Handy zu bekommen.“
„Klingt, als wäre in dem Örtchen die Zeit stehen geblieben.“
„So ist es“, bestätigte Nikki. „Aber es ist schön. Bäume und Berge, so weit das Auge reicht.“
Amy schnaubte und klang beinahe neidisch. „Was ist mit den Leuten dort?“
„Die Männer, die die Anzeige geschaltet haben – die Armstrong-Brüder -, sind sehr sympathisch. Ich befürchte jedoch, sie haben sich mit der ganzen Sache vollkommen übernommen. Sie waren nicht darauf vorbereitet, dass tatsächlich hundert Frauen in die Stadt kommen würden.“
„Ich nehme an, die Armstrong-Brüder sind Singles und wie die meisten anderen alleinstehenden Männer völlig ahnungslos, wenn es um Frauen geht?“
„Genau. Ich glaube, sie waren alle mal beim Militär. Und offensichtlich sind sie alle hier aufgewachsen. Ich habe erfahren, dass ein Tornado die Stadt von der Landkarte gefegt hat. Aber ich wusste nicht, dass die Männer ihre Heimatstadt wieder aufbauen wollen. Da frage ich mich, ob die sentimentalen Gefühle vielleicht dem gesunden Menschenverstand etwas im Wege stehen.“
„Südstaatenmänner scheinen der Meinung zu sein, dass sie einfach jede Situation meistern können. Wie eine Dampfwalze. Ohne Rücksicht auf Verluste“, stimmte Amy zu. „Aber … da wir gerade über Südstaatenmänner reden – hast du schon einen interessanten Mann getroffen?“
„Das kam ja wie aus der Pistole geschossen! Bist du dir sicher?“
„Ja. Halt dich fest: Der jüngste Bruder ist von diesem Wasserturm gestürzt. Als ich in die Stadt kam, musste ich mich also sofort um ein gebrochenes Bein kümmern.“
Amy lachte. „Das muss ein Sturz gewesen sein! Ist das alles, was er sich gebrochen hat?“
„Ja, kannst du das glauben? Wie dem auch sei – ich hänge hier fest, weil ich ihn ärztlich versorgen muss.“
„Hm. Ist er süß?“
Gedankenverloren strich Nikki mit den Fingern über den weichen Stoff von Porters blauem Arbeitshemd. Es hatte die gleiche Farbe wie Porters Augen. „Nur wenn man auf Muskeln, strahlend blaue Augen und ein Kinngrübchen steht.“
„Wow – klingt vielversprechend.“
Nikki lachte. „Ich bin nicht interessiert. Im Übrigen scharwenzeln er und Rachel Hutchins umeinander herum.“
„O ja. Rachel. Wie schlägt sie sich ohne einen Friseur in der Nähe?“
Wieder musste Nikki lachen. „Sie scheint in ihrem Element zu sein. Sie scheucht alle herum. Um ehrlich zu sein – ich bin diejenige, die sich entschieden hat, nicht zu bleiben.“
„Warum nicht?“
Sie zögerte. „Ich dachte, wenn ich hierherkomme, kann ich Darren und all die Pläne vergessen, die wir zusammen gemacht haben. Doch irgendwie fühlt sich alles nur noch schlimmer an.“ Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie musste kämpfen, um weitersprechen zu können.
Amy seufzte. „Ich habe mir schon gedacht, dass das passieren könnte. Auf dem Land zu sein und die Ablenkung durch die moderne Technologie und den Trubel der Großstadt nicht zu haben, kann einen Menschen sehr … empfindsam machen. Es ist schwer, das jemandem zu erklären, der es noch nie erlebt hat, aber die Berge können einen Menschen verführen.“
„Das wird mir auch gerade klar“, sagte Nikki und blickte über die blaugrüne Pracht, die sich vor ihr erstreckte.
„Lass dich trotzdem nicht täuschen“, warnte Amy. „Das Leben auf dem Land ist nicht so romantisch, wie es auf den ersten Blick erscheint. Und die Männer dort sind es auch nicht.“
Kalte Duschen, keine medizinische Einrichtung. „Das wird mir ebenfalls klar“, erwiderte Nikki trocken. „Das hier ist schlicht kein Leben für mich.“
„Also, wann kommst du zurück?“
„Sobald mein Van repariert ist. Ob du es glaubst oder nicht: Er ging kaputt, als ich gerade von hier flüchten wollte.“
„Das ist tatsächlich schwer zu glauben“, entgegnete Amy und klang skeptisch.
„Porter meinte allerdings, er habe jemanden, der sich darum kümmern kann. Wenn es eine kleine Sache ist, kann ich vielleicht heute schon fahren. Spätestens morgen.“
„Porter?“
„Der jüngste der Armstrong-Brüder.“ „Oh. Mr Kinngrübchen?“
Nikki lachte. „Ja. Er wartet unten auf mich, also sollte ich besser aufhören zu telefonieren. Ist in Broadway alles in Ordnung?“
„Besser geht es nicht“, erwiderte Amy aufgeräumt. „Zumindest hast du deinen Ausflug perfekt getimt.“
Nikki runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“
„Oh, oh – ich dachte, du wüsstest Bescheid.“
„Über was soll ich Bescheid wissen?“
„Es tut mir leid, dass ich diejenige bin, die es dir sagen muss – heute stand in der Zeitung eine Verlobungsanzeige. Darren und seine Freundin wollen den Bund fürs Leben schließen.“