Nikki behielt auf dem Weg zurück in ihr Zimmer die Fassung, indem sie sich auf nichts anderes konzentrierte, als einen Fuß vor den anderen zu set-zen. Doch Porter Armstrongs verletzende Bemerkung hallte unaufhörlich in ihrem Kopf wider. Alte Unsicherheiten und Selbstzweifel, die durch die Untreue ihres Exverlobten noch verstärkt worden waren, erhielten neue Nahrung.
Es tat verdammt noch mal weh, zurückgewiesen zu werden!
Die Frauen machten es sich inzwischen in der geräumigen Pension bequem. Nikki sah in lächelnde Gesichter und hörte treppauf und treppab aufgeregte Schritte. In jeder Ecke wurde geplappert, unterbrochen von lautem Lachen und dem einen oder anderen entzückten Aufschrei. Aber die Fröhlichkeit zerrte an Nikkis angespannten Nerven – alle schienen hier so glücklich zu sein, nur sie hatte sich nie zuvor einsamer gefühlt.
„Dr. Salinger“, erklang eine schrille Stimme neben ihr. „Dr. Salinger!“
Rachel Hutchins. Nikki drehte sich um und zwang sich, die große blonde Frau anzulächeln. „Ja?“
Rachel hielt ihren Mops Nigel im Arm. Das Hündchen mit dem runzligen dunklen Gesicht machte den Eindruck, als würde es ihm nicht besonders behagen, im Klammergriff seines Frauchens eingequetscht zu werden. „Wie geht es Porter?“, fragte die Frau. In ihren Rehaugen stand Besorgnis.
Nikki schürzte die Lippen. „Er wird es überleben. Es ist nur ein gebrochenes Bein.“
„Ist er bettlägerig?“ Rachel blickte sie hoffnungsvoll an.
„Nein. Außer, er will es sein“, flötete Nikki. „Als ich gerade ging, kam er ganz gut mit seinen Krücken zurecht.“ Nikki wollte gehen, doch Rachel ließ sich nicht so leicht abwimmeln.
„Hat er denn starke Schmerzen?“
Nikki wandte sich wieder um. Wut kroch in ihr hoch. „Da müssen Sie ihn schon selbst fragen.“
„Oh, das werde ich“, versprach Rachel munter. „Er ist unglaublich gut aussehend, oder?“
Gereizt hob Nikki die Hände. „Das ist mir nicht aufgefallen.“
Rachel legte den Kopf schief. „Echt? Meine Güte, Dr. Salinger! Ihr Freund in Broadway hat Ihnen etwas Fürchterliches angetan, als er Sie für eine Stripperin verlassen hat. Aber Sie sollten sich davon nicht die Lust auf alle Männer verderben lassen.“
Nikki biss sich von innen in die Wange. „Verlobter.“
„Wie bitte?“
„Er war mein Verlobter“, sagte Nikki ruhig.
„Autsch … Das ist ja noch schlimmer.“
Nikki schloss die Augen, doch als sie sie wieder öffnete, waren die Frau und der Hund noch immer da. „Ich bin müde. Also, wenn es Ihnen nichts ausmacht, gehe ich auf mein Zimmer.“ Sie drehte sich um und ging die Treppe hinauf. Ihre Beine waren schwer wie Blei.
„Die Männer veranstalten ein Barbecue, um uns in Sweet-ness willkommen zu heißen“, sagte Rachel hinter ihr.
„Ich fürchte, ich muss passen“, erwiderte Nikki über die Schulter hinweg.
„Meinen Sie, dass Porter meine Hilfe gebrauchen könnte, um hinzugehen?“
Nikki verdrehte die Augen, wandte sich aber nicht mehr um. „Klingt gut.“ Am Absatz der Treppe wollte sie in Richtung ihres Zimmers am Ende des Flures abbiegen.
„Dr. Salinger?“
Nikki seufzte, drehte sich um und stützte sich auf die Brüstung. „Ja, Rachel?“
„Gefällt es Ihnen hier?“
Überraschenderweise schien die Frau nachdenklich zu sein – fast so, als wäre Nikkis Antwort ihr tatsächlich wichtig. Der Hund jaulte auf, und Rachel lockerte ihren Griff ein wenig.
„Ich … ich kann es noch nicht sagen.“
„Gut, danke.“
Nikki machte sich auf den Weg in ihr Zimmer und presste die Lippen aufeinander. Es sah so aus, als würden Rachel Hutchins und Porter Armstrong das erste Paar hier werden. Zugegeben, sie passten durchaus zusammen, was das Äußere anging. Und auch das Feingefühl.
Sie wünschte den beiden alles Gute.
Als Nikki an den anderen Zimmern vorbeikam, stellte sie mit Entsetzen fest, dass die meisten Türen offen standen. In den Zimmern saßen Frauen auf den Betten und Fußböden, lackierten sich die Fußnägel und bürsteten sich gegenseitig die Haare. Warum verhielt sich plötzlich jede, als wäre das hier eine Klassenfahrt? Hatten sich denn alle schlagartig zurückentwickelt?
„Hey, Dr. Salinger“, rief Traci Miles. Sie war eine der Frauen, die mit Nikki in deren Van hierhergekommen war. Sie trug gerade etwas Klebriges auf die Augenbrauen einer Frau auf, die vor ihr auf einem Stuhl saß. „Soll ich Ihnen auch die Brauen waxen?“ Traci drückte einen weißen Streifen aus Stoff auf die klebrige Masse und riss ihn dann mit einem Ruck wieder ab. Die Frau auf dem Stuhl verzog vor Schmerz das Gesicht.
„Äh … nein, danke“, entgegnete Nikki. Auf ihrem Weg durch den Flur bekam sie ein Beauty-Angebot nach dem anderen: Strähnchen für die Haare, Make-up und Maniküre. So liebenswürdig wie möglich lehnte sie alles ab. Ihr schoss durch den Kopf, wie fremd ihr dieser ganze Mädchenkram war. Unsicher strich sie sich über ihre Augenbrauen, die noch nie gezupft worden waren, über ihr nacktes, ungeschminktes Gesicht und ballte die Hände mit den kurzen unlackierten Fingernägeln zu Fäusten. Sie war die einzige Frau in diesem Haus, die einen Abschluss in Medizin hatte. Warum also fühlte sie sich, als würde sie irgendwelchen Ansprüchen nicht genügen?
Als Nikki die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich geschlossen hatte und sich dagegenlehnte, hatte sie eine Entscheidung getroffen.
Sie würde Sweetness verlassen.
Sie wollte warten, bis alle beim Barbecue waren, und dann die Flucht ergreifen, um kein Aufsehen zu erregen. Sie hatte vor, eine Nachricht für die Armstrong-Brüder zu hinterlassen. Wenn die Leute bemerken würden, dass sie weg war – vermutlich am nächsten Tag irgendwann -, wäre sie schon längst zurück in Broadway. Sie fragte sich, ob sie ihren alten Job in der Gemeinschaftspraxis zurückbekommen könnte … und ob ihr Apartment, das sie gemietet hatte, nachdem sie aus Darrens Haus ausgezogen war, noch immer zu haben war.
Da die Entfernung nach Atlanta nur ein paar Autostunden betrug, spielte Nikki mit dem Gedanken, in die Stadt zu fahren und ihre Chancen in der großen Stadt auszuloten. Doch sie hatte Freunde in Broadway – wie zum Beispiel Amy Bradshaw. Amy war ihre Yogapartnerin und ein Mädchen aus den Südstaaten. Nikki hatte gehofft, dass Amy mit ihnen nach Sweetness kommen würde. Aber Amy hatte nicht einmal in Betracht gezogen, ihren Job als Bauingenieurin zu kündigen, um woanders neu anzufangen. Sie hatte Nikki allerdings gebeten, mit ihr in Kontakt zu bleiben.
Aus einem Impuls heraus schnappte Nikki sich ihre Tasche und suchte darin nach ihrem Handy, um Amy anzurufen. Vielleicht hatte ihre Freundin einen Rat für sie– etwas Weises, eine Einschätzung als Südstaatlerin, das Nikki helfen würde, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Als Nikki einen Blick auf das Display warf und dort „Kein Netz“ las, stieß sie einen enttäuschten Schrei aus und ließ dann den Kopf hängen. Die Tatsache, dass sie niemanden in der Welt da draußen erreichen konnte, war ein sicheres Zeichen, dass sie dieses Kuhkaff verlassen musste. Und zwar umgehend!
Glücklicherweise habe ich noch nicht ganz ausgepackt, dachte sie, als sie zu ihrem offenen Koffer ging, der auf dem Bett lag. Sie faltete die Kleider zusammen, die sie auf der Reise getragen hatte, und legte sie obenauf. Dann suchte sie ihre Toilettenartikel zusammen. Ihr fiel auf, wie vorsichtig und leise sie sich bewegte – lächerlich. Schließlich tat sie nichts Verbotenes. Vielmehr korrigierte sie einen Fehler. Hierherzukommen hatte ihr gezeigt, wie gut sie es in Broadway gehabt hatte. Und wenn sie zurückging, konnte niemand sagen, dass die öffentliche „Entsorgung“ durch Darren Rocha sie so gedemütigt hatte, dass sie verschwinden musste.
Auch wenn dies die Wahrheit war.
Sie war so in Gedanken versunken, dass das Klopfen sie erschreckte. Mit pochendem Herzen ging Nikki zur Tür. Wegen des so gut wie fertig gepackten Koffers auf ihrem Bett öffnete sie sie nur einen Spaltbreit. Sie wollte nicht, dass eine der Frauen mitbekam, dass sie vorhatte, heute noch zu verschwinden.
Allerdings war es keine der Frauen, die vor der Tür stand.
„Hi“, sagte Porter Armstrong mit einem gequälten Lächeln. Der Blick aus seinen kobaltblauen Augen wirkte verschleiert, und er stützte sich schwer auf seine Krücken. Er hatte, wie ihr auffiel, sich in der Zwischenzeit etwas übergezogen – ein blassblaues T-Shirt, das über seinen ansehnlichen Muskeln und den breiten Schultern spannte.
Nikkis Puls ging schneller. „Stimmt etwas nicht, Mr Armstrong?“
„Nein. Ich wollte nur mit Ihnen reden. Kann ich … äh … darf ich reinkommen?“
Beklommen trat sie von einem Fuß auf den anderen und versuchte den Koffer auf dem Bett vor Porters Blicken zu verbergen. „Es wäre mir lieber, wenn Sie nicht reinkämen. Sind Sie die Treppe auf Krücken heraufgekommen?“
„Ich dachte, es wäre eine gute Übung.“ Er stieß ein bedauerndes Seufzen aus. „Ich fürchte, ich habe ein bisschen unterschätzt, wie anstrengend es werden würde.“
Nikki war hin und her gerissen. Schließlich machte sie die Tür doch auf und winkte ihn herein. Aber die Tür blieb offen. Er ließ sich ausgerechnet auf ihr Bett neben den Koffer sinken.
Ein beißender Geruch stieg ihr in die Nase. „Was riecht hier so komisch?“
„Ach das.“ Er grinste. „Das ist Wintergrünöl. Doc Riley meint, es würde gegen die Schwellung und die Schmerzen helfen.“
Nachdem sie ihm eine seriöse ärztliche Behandlung hatte zuteilwerden lassen, hatte er sich noch eine zweite Meinung vom ortsansässigen Aromatherapeuten eingeholt? Nikki biss die Zähne zusammen. „Das tun die Medikamente, die ich Ihnen verschrieben habe, auch.“
„Ich weiß. Aber das Öl kann ja nicht schaden, oder?“
Nikki strich sich über die tränenden Augen. „Es schadet vermutlich nur den Menschen, die sich in Ihrer Nähe aufhalten müssen.“
Seine Augen funkelten. „Ich wachse meinen Mitmenschen ans Herz – genau wie dieser Geruch.“
Sie fühlte sich durch seine bloße Anwesenheit mehr als unwohl und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was haben Sie auf dem Herzen, Mr Armstrong?“
Er betrachtete den vollen Koffer auf ihrem Bett und blickte dann hinüber zu dem zweiten Koffer, der ungeöffnet neben dem leeren Schrank stand. „Wollen Sie weg?“
„Ich habe nur noch nicht ausgepackt“, erwiderte sie gereizt. „Ich war beschäftigt, falls Sie es schon vergessen haben.“
Er nickte. „Das tut mir leid. Ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie mich verarztet haben, meine kleine Frau Doktor.“
„Ich habe einen Eid geschworen, ‚Menschen zu verarzten‘ ist meine Pflicht. Sie hätten nicht extra hier heraufkommen müssen, um sich bei mir zu bedanken, Mr Armstrong.“
Er sah sich um. „Nettes Zimmer. Gefällt es Ihnen?“
Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. „Ja.“
„Irgendwelche Beschwerden?“
„Heißes Wasser wäre toll.“
Er wirkte verärgert. „Es sollte eigentlich jede Menge heißes Wasser geben.“
„Tja, als ich duschen wollte, gab es keinen einzigen Tropfen.“
Mühsam kam er auf die Beine und humpelte auf seinen Krücken zum Badezimmer. „Sind Sie sich sicher? Haben Sie den Hebel nach links gedreht?“
Nikki biss sich auf die Zunge, als er in ihren privaten Bereich eindrang. „Sie meinen hin zum großen roten H? Ja, auf die Idee bin ich von ganz allein gekommen.“
Doch er glaubte ihr anscheinend nicht, denn er machte die Tür der gläsernen Duschkabine auf und drehte den Hebel ganz nach links. Er stützte sich auf die Krücke und hielt seine Hand in den Strahl. Sofort tauchte vor Nikkis innerem Auge das Bild auf, wie sie mit ihm zusammen nackt unter der Dusche stand. Sie ermahnte sich stumm und gratulierte sich zu der Entscheidung, aus Sweetness zu verschwinden. Das Letzte, was sie brauchte, waren romantische Gefühle für einen umwerfenden Mann, der sie nur verunsicherte.
Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. „Ich habe genau kalkuliert, wie viele Wasserboiler installiert werden und welche Größe sie haben sollten. Pro Zimmer sollten achtunddreißig Liter Wasser reichen.“
„Achtunddreißig Liter Wasser?“, fragte sie verwirrt.
Er nickte und deutete auf die Armaturen. „Wir haben wassersparende Duschköpfe installiert. Bei einem Duschgang von fünf Minuten werden dreißig Liter Wasser verbraucht. Ich habe mit achtunddreißig Litern gerechnet, um sicherzustellen, dass in kurzer Zeit genug heißes Wasser für alle hundert Frauen vorhanden ist.“
Er wirkte so stolz. Nikki zögerte ein wenig, seine Vorstellungen platzen zu lassen. Aber sie hielt es nicht länger aus und lachte hinter vorgehaltener Hand.
„Was ist denn daran so lustig?“, fragte er gereizt.
„Ich kenne keine einzige Frau, die nur fünf Minuten lang duscht.“
„Wirklich?“ Panik lag in seinem Blick. Mit einem Mal wurde Nikki bewusst, wie ahnungslos dieser Frauenheld war, was Frauen anging. Anscheinend hatte er keine Schwestern, war nie verheiratet gewesen und hatte mit keiner Frau je zusammengelebt. Und offensichtlich hatte er auch noch nie mit einer geduscht.
„Wirklich“, entgegnete sie und konnte ihre Belustigung nicht verbergen.
Er kratzte sich am Kopf. „Das ist nicht gut.“
Fast hätte Nikki Mitleid mit ihm gehabt – aber eben nur fast. „Tja, ich bin mir sicher, dass Ihnen etwas einfallen wird.“ Sie erzählte ihm nicht, dass sie nicht mehr da sein würde, um zu erfahren, wie sich die Suche nach einer Lösung für dieses Problem gestaltete. Sie ging zurück ins Schlafzimmer, stellte sich neben die geöffnete Tür und hoffte, dass er ihr folgen würde. Er tat es. Langsam kam er hinter ihr her und umrundete dabei vorsichtig die auf dem nackten Holzfußboden liegenden Webteppiche. Jedes Mal, wenn er sich auf den Krücken nach vorn schwang, zogen sich die Muskeln in seinen Armen zusammen.
Nikki musste den Blick abwenden.
Er blieb neben ihrem Bett stehen, beugte sich vor und benutzte den Gummifuß seiner Krücke, um die Tagesdecke anzuheben. „Hat Ihre Katze sich versteckt?“, fragte er und reckte den Hals.
Nikki verschränkte die Arme vor der Brust. „Auf Wiedersehen, Mr Armstrong.“
Durch den Flur hallten die Geräusche der Frauen, die ihre Zimmer verließen, um zum Barbecue zu gehen. Ihre Stimmen klangen hell, unterbrochen von ihrem Lachen und Kichern und dem Klickediklack ihrer Sandalen und High Heels.
Porter blickte mit seinen durchdringenden blauen Augen erst Richtung Korridor und dann wieder zu ihr. „Eigentlich, Doc, bin ich hergekommen, um Sie zu fragen, ob Sie mit mir zum Barbecue gehen. Was ich vorhin gesagt habe, tut mir leid. Es war ein lahmer Witz. Ich bin kein schlechter Kerl, wenn Sie mich erst näher kennengelernt haben.“
Nikki zögerte und gab sich kurz der Fantasie hin, einen Abend damit zu verbringen, Porter Armstrong „näher kennenzulernen“. Jede normale Frau würde die Gesellschaft dieses starken, gut aussehenden Südstaatenjungen für ein paar Stunden liebend gern genießen. Und sie war normal. Die Leidenschaft seines Kusses schmeckte sie noch immer auf ihren Lippen. Doch in ihrem Kopf schrillten die Alarmglocken. Der Kuss war nicht für sie bestimmt gewesen – ihr Mund war einfach nur in Reichweite gewesen. Und sie hatte die nicht sehr schmeichelhafte Meinung dieses Mannes über sie gehört, als er geglaubt hatte, sie wäre nicht in der Nähe. Ihre Beziehung zu Darren hatte Nikki gelehrt, sich vor charmanten Küssen und den dazugehörigen Männern in Acht zu nehmen. Porter Armstrong hatte diese Lektion nur noch einmal bekräftigt.
Nikki erinnerte sich wieder an ihren Entschluss, abzureisen, und hob ihr Kinn. „Nein, danke.“
Porters Lächeln erstarb. Er schien nicht weiterzuwissen. Offenbar war er es nicht gewohnt, abgewiesen zu werden – wahrscheinlich vor allem nicht von jemandem, der so aussah wie sie. Es war vermutlich eher so, dass die Frauen ihm zu Füßen lagen. „O…okay.“
Plötzlich tauchte Rachel Hutchins in der Tür auf. Nigel, nun mit pinkfarbenem Halsband und ebensolcher Leine, hockte neben ihr. Rachel trug einen kurzen Jeansrock und ein knappes gelbes T-Shirt. Ihr goldenes Haar fiel ihr über die Schultern. Sie sah unglaublich sexy aus. „Ich dachte, ich hätte Ihre Stimme gehört, Porter. Was machen Sie hier oben?“ Ihre Stimme klang ein wenig argwöhnisch. Selbst Nigel schaute von Porter zu Nikki und zurück.
„Mr Armstrong hat den Heißwasseranschluss in meinem Bad überprüft“, erklärte Nikki schnell.
„Oh, in meinem Zimmer funktioniert alles perfekt“, sprudelte Rachel hervor. „Ich habe eine sehr lange, sehr heiße Dusche genommen. Es war toll!“
Porter schien gefesselt zu sein. Und da selbst Nikki sich vorstellte, wie Rachel nackt unter der Dusche stand, konnte sie sich denken, in welche Richtung seine Gedanken gingen.
„Rachel“, sagte Nikki aufgeräumt, um den peinlichen Moment zu beenden, „Mr Armstrong will zum Barbecue – vielleicht könnten Sie ihn begleiten, damit er nicht fällt?“
Rachel strahlte. „Das wäre mir ein großes Vergnügen.“
Porter machte auf seinen Krücken einen Schwung nach vorn und sah zu Nikki zurück, als würde ihm mit einem Mal wieder einfallen, dass sie ja auch noch da war. „Schließen Sie sich uns an, Doc.“
„Vielleicht komme ich nach“, schwindelte sie und machte langsam die Tür zu, um ihn hinauszudrängen. Es schien, als wollte er protestieren, aber es gelang ihr schließlich, ihn in den Flur zu bugsieren und die Tür hinter dem glücklichen Paar zu schließen. Das Ohr an die Tür gepresst, lauschte Nikki noch so lange, bis das Klackklack der Krücken auf dem Boden verhallt war. Rachels gurrendes Lachen erklang und schien sich über Nikki lustig zu machen. Ich bin wie du … nur viel, viel hübscher.
Nikki ließ es zu, dass in ihr ein Gefühl von Neid hochstieg. Dann setzte sie sich hin und schrieb eine Nachricht an die Armstrong-Brüder, in der sie ihnen mitteilte, dass Sweetness doch nichts für sie sei, und ließ sie auf dem Tisch liegen. Als Stille sich über das Haus senkte, nahm sie ihre beiden Koffer, machte die Schlafzimmertür auf und streckte den Kopf hinaus, um sicherzugehen, dass alles ruhig war. Als sie davon überzeugt war, allein im Haus zu sein, trug sie ihre Koffer in den Flur, schloss die Tür und schlich die Treppe hinunter.
Nikki bewegte sich vorsichtig und leise, schlüpfte aus der Eingangstür, huschte über die dunkle Veranda und eilte zu ihrem Van.
Die Dunkelheit brach herein. Ein Scheinwerfer, hoch auf einem Pfahl vor der Pension, in dessen Licht die Motten flatterten, wies ihr den Weg zur Straße. Sie ging an den Wagen vorbei, die am Straßenrand geparkt waren, und gelangte an ihr Auto. Zikaden zirpten, wurden allmählich immer lauter und dann abrupt wieder leiser, bis das Spiel von vorn begann. Die unerträgliche Hitze des Sommertages war der kühlen Brise des Abends gewichen. Sie führte die enormen Temperaturunterschiede im Laufe eines Tages auf die hohe Lage zurück.
Beim Gedanken daran, die Bergstraße nur im Licht der Autoscheinwerfer und eines Dreiviertelmondes hinunterzufahren, musste sie schlucken. Vielleicht sollte sie doch bis zum Morgen warten …
Auf der anderen Seite der Straße, hinter den Bäumen, hörte sie Stimmen, Musik, und sie sah das Leuchten eines Feuers – das Barbecue war in vollem Gange. Die fröhlichen Geräusche lockten sie, aber die Koffer in ihrer Hand trieben sie vorwärts. Wenn sie bis zum Morgen wartete, bedeutete das Konfrontation, Erklärungen, Entschuldigungen – ein Drama, das sie weder wollte noch brauchte.
Vor allem nicht, wenn es um ein Paar kobaltblauer Augen ging.
Nachdem sie ihre Koffer im Wagen verstaut hatte, kletterte Nikki hinters Steuer. Im Auto war es durch die Hitze des Tages unangenehm heiß. Sie öffnete die Fenster, um die stickige Luft hinauszulassen.
Im Seitenspiegel sah sie den wunderschönen Sonnenuntergang, der die Bergkette in der Ferne zum Glühen brachte. Nikki hielt inne, um die einzigartige Landschaft in sich aufzunehmen. Falls diese Stadt jemals Fuß fasste, würde sie in einer unbeschreiblichen Gegend erblühen.
Mit einem Hauch von Bedauern machte sie den Motor an, wendete und fuhr los.