2. KAPITEL

Der harte Aufprall ließ jeden Knochen in Porters Körper knacken und raubte ihm den Atem. Sekundenlang lag er auf dem Rücken und wartete darauf, dass der erste Schmerz nachließ, ehe er es wagte, Luft zu holen. Als ihm nichts anderes übrig blieb, registrierte er erleichtert, dass seine Lunge nicht verletzt war. Er konnte nur hoffen, dass seine anderen inneren Organe auch unversehrt waren. Der süße Duft von Gras und der modrige Geruch von Erde stiegen ihm in die Nase. In seinen Ohren rauschte es, und das kam nicht von den Insekten, die in den Gräsern herumschwirrten.

Vorsichtig öffnete er die Augen und sah den Wasserturm, der sich riesenhaft über ihm erhob. Die Tatsache, dass er noch lebte, grenzte an ein Wunder.

„Porter? Porter?“

Als er seinen Namen hörte, blinzelte er verwirrt. Nur langsam wurde ihm bewusst, dass die ferne Stimme aus seinem Handy kam, das neben seinem Kopf lag.

Marcus.

Porter versuchte sich zu drehen, um nach dem Telefon zu greifen. Als der Schmerz durch seinen linken Unterschenkel schoss, schrie er gequält auf.

Porter?“

Er unternahm noch einen Versuch, biss die Zähne gegen den Aufruhr in seinem Körper zusammen und schloss die Finger schließlich um das Handy. Keuchend hob er es ans Ohr. „Ja, ich bin hier.“

„Was ist passiert?“

Porter zuckte wieder zusammen. Zerknirscht erwiderte er: „Ich war auf dem Wasserturm.“

„Und?“

„Und … ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.“

Marcus seufzte, und in der Leitung knisterte es. „Verrate mir zuerst die gute.“

„Eine ganze Karawane von Frauen ist auf dem Weg in die Stadt.“

„Wenn das die gute Nachricht ist“, erwiderte Marcus säuerlich, „glaube ich nicht, dass ich die schlechte hören will.“

„Die schlechte ist, dass ich vom Wasserturm gefallen bin und mir vermutlich das Bein gebrochen habe.“

Porter hielt das Handy in die Luft, um sich dem Schwall an Flüchen zu entziehen, den sein Bruder ausstieß. Als Marcus sich endlich etwas beruhigte, presste Porter das Telefon wieder ans Ohr. „Kannst du mich holen, oder soll ich nach Hause kriechen?“

„Blutest du?“

Porter hob den Kopf und sah an seiner Arbeitskluft hinab. „Ich glaube, nicht.“

„Nachdem du jetzt nicht mehr beim Bau helfen kannst, sollte ich dich eigentlich da liegen lassen“, knurrte Marcus und fluchte wieder. „Ich werde Kendall Bescheid sagen. Wir sind so schnell wie möglich bei dir.“ Damit beendete er das Gespräch.

Porter ließ den Kopf ins hohe Gras zurücksinken. Marcus hatte recht – sie waren sowieso schon unterbesetzt. Falls er sich das Bein gebrochen hatte, war er für einige Wochen aus dem Verkehr gezogen. Das wäre eine zusätzliche Belastung für seine Brüder.

Und, verdammt, die Frauen kamen! Da gab es gute Gründe genug, um auf den Beinen und unterwegs zu sein. Und er würde im Bett liegen – und das nicht, um Spaß zu haben.

Unter Aufbietung aller Kräfte setzte er sich auf und zog das eine Hosenbein seiner zerschlissenen Arbeitsjeans hoch. Erleichtert stellte er fest, dass keine Knochen aus dem Fleisch ragten. Aber der ständige stechende Schmerz im Knöchel verstärkte seine Befürchtung, dass es sich um mehr als nur eine Prellung handelte. Mit zusammengebissenen Zähnen rückte er auf dem Hintern Stück für Stück mühsam hin zu einem jungen Baum, um sich anzulehnen. Mit einer Hand vertrieb er die lästigen Mücken, bis er endlich das Rumpeln zweier Geländefahrzeuge hörte, die auf ihn zukamen.

Kendall tauchte als Erster auf. Seine Miene wirkte besorgt. Marcus folgte ein paar Meter hinter ihm und hatte wütend die Lippen aufeinandergepresst. Porter winkte, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie stoppten neben ihm. Trotz seiner Verärgerung war Marcus der Erste, der von seinem Quad sprang und zu Porter gerannt kam.

„Geht es dir gut, kleiner Bruder?“

„Ja, ganz toll“, stieß Porter unter Schmerzen hervor.

Marcus blickte zum Wasserturm hinauf und dann wieder zu Porter. „Verdammter Idiot! Dachtest du, du könntest fliegen?“

Wut flammte in Porter auf. „Ja, Marcus, ich habe einen Kopfsprung vom Turm gemacht.“

„Wir wissen, dass es ein Unfall war“, beschwichtigte Kendall ihn und kniete sich hin, um Porters Bein zu untersuchen.

„Es ist egal, ob es Absicht war oder nicht“, brummte Marcus. „Das Ergebnis ist dasselbe: Du bist wahrscheinlich für den Rest dieses verfluchten Sommers nicht einsatzbereit!“

„Warum warten wir nicht erst einmal ab, was der Arzt zu sagen hat?“, schlug Kendall vor.

„Welcher Arzt?“, schnaubte Marcus verächtlich. „Einer von uns wird ihn nach Atlanta bringen müssen. Als hätten wir heute nicht schon genügend andere Dinge zu erledigen.“

„Vielleicht sollten wir ihn mit einem Hubschrauber abtransportieren lassen“, schlug Kendall vor.

„So schlimm ist es nicht“, widersprach Porter. „Marcus, wenn du mich von einem der Arbeiter nach Atlanta bringen lassen kannst, suche ich mir eine Notaufnahme und bin schneller zurück, als du gucken kannst.“

Marcus grunzte etwas Unverständliches.

Kendall ging zurück zum Quad und klappte das Staufach auf. „Ich habe eine Stützmanschette aus Neopren aus dem Erste-Hilfe-Raum mitgebracht. Trotzdem wird es eine unangenehme Fahrt nach unten.“ Er kniete sich hin, um die Manschette um Porters im Stiefel steckenden Knöchel zu legen, und gab Marcus dann ein Zeichen, an Porters andere Seite zu kommen. Als sie ihn auf die Beine stellten, raubte der Schmerz Porter den Atem, der Schweiß brach ihm aus.

„Denk an etwas Schönes“, drängte Kendall ihn.

Porter versuchte zu lächeln. „Ich denke … an … all die Frauen … die … in der Stadt … warten.“

„Marcus hat erwähnt, dass du Autos gesehen hättest, die in Richtung Sweetness unterwegs waren.“

„Dutzende von Wagen“, erwiderte Porter und atmete geräuschvoll aus. „Und in allen … saßen … heiße junge Frauen. Wir kommen … gerade rechtzeitig … um Hallo zu sagen.“

„Du wirst einen tollen ersten Eindruck hinterlassen“, sagte Marcus. „Niemand will einen verletzten, pflegebedürftigen Kerl haben.“

„Das sehe ich anders“, entgegnete Porter und presste die Kiefer aufeinander, um den Schmerz auszuhalten. „Die Frauen … werden Schlange stehen … um sich um mich zu kümmern. Genau genommen … war das von Anfang an … mein Plan.“

Marcus reichte ihm einen kleinen Stock. „Hier, beiß drauf.“

„Wegen der Schmerzen?“

„Nein, damit du die Klappe hältst.“

Porter versuchte zu lachen, doch auf das Geländefahrzeug gehoben zu werden war schmerzhafter, als er erwartet hatte. Dasselbe galt für die Fahrt in die Stadt, obwohl Kendall sich bemühte, das Quad möglichst vorsichtig zu steuern.

Als sie ins Stadtzentrum rollten, war Porter bereit, sich hinzulegen – und Schmerzmittel zu nehmen. Aber beim Anblick der vielen Autos, die vor der Pension, vor dem Dining House und überall auf der befestigten Straße parkten, schoss Adrenalin durch seine Adern. Blondinen, Brünette, Rothaarige – es war eine bunte Mischung weiblicher Pracht.

Unzählige Frauengesichter starrten sie durch Windschutzscheiben und geöffnete Fenster fragend an. Und die Armstrongs starrten zurück. Offensichtlich war die Autokarawane auch den Arbeitern aufgefallen, als sie an ihnen vorbeigezuckelt war. Ein klappriger Versorgungstruck tauchte hinter den Armstrong-Brüdern auf. Auf der Ladefläche standen eng zusammengepfercht die Männer. Die Spannung, die in der Luft lag, war beinahe mit Händen greifbar. Es wirkte fast so, als wären sich beide Gruppen der Bedeutung dieses Augenblicks bewusst. Sie taxierten sich gegenseitig.

Porter warf Marcus einen Blick zu und sah dessen panischen Gesichtsausdruck. Mitgefühl erfüllte ihn. Armer Marcus! Er hasste Situationen, die er nicht unter Kontrolle hatte. Kendall hingegen schaute eher besorgt drein. Er betrachtete die vielen, vielen Gesichter erwartungsvoll, aber dennoch vorsichtig.

Porter beschloss, dass es sein Part war, diesen Schönheiten zu zeigen, wie hier in den Südstaaten Gastfreundschaft aussah. Er nahm seine ganze Kraft zusammen, ignorierte den unerträglichen Schmerz und stellte sich auf dem Geländefahrzeug aufrecht hin.

„Ladys“, rief er und hob die Arme, „im Namen der Armstrong-Brüder und unserer Freunde heiße ich Sie in Sweetness, Georgia, herzlich willkommen!“

Plötzlich wurde ihm schwarz vor Augen. Er nahm die Schreie und den Lärm klappender Autotüren kaum mehr wahr, als er kopfüber vom Fahrzeug fiel. Wenigstens fiel er dieses Mal nicht so tief … Verflucht, dies war ein gehöriger Dämpfer für seinen Stolz! Bevor er hart auf dem Lehmboden aufschlug, wurde er aufgefangen. Von Kendall. Wie aus weiter Ferne hörte er Marcus’ Stimme. Sein großer Bruder fluchte wie immer.

„Wir brauchen Hilfe!“, schrie Marcus.

Porter wurde rücklings auf den Boden gelegt. Er fühlte den warmen trockenen Lehm unter seinen Schulterblättern und spürte, wie die Menschen sich um ihn drängten. Sein Bein brannte vor Schmerz.

„Ist hier eine Krankenschwester?“, rief Marcus in die Menge. „Mein Bruder ist vom Wasserturm gefallen und hat sich wahrscheinlich das Bein gebrochen!“

Porter bemerkte, wie seine Lebensgeister wieder erwachten, öffnete blinzelnd die Augen und versuchte die Gesichter der Frauen um ihn herum zu erkennen. Fremde weibliche Düfte drangen ihm in die Nase, fruchtige Shampoos, blumige Parfums – himmlisch!

„Tut es auch eine Ärztin?“, meldete sich eine weibliche Stimme, weit entfernt und trotzdem stark.

Selbst flach auf dem Rücken liegend und gegen eine Ohnmacht ankämpfend, spürte Porter, wie sich sein Puls beschleunigte. Er wollte diesen Schutzengel unbedingt sehen. Ob sie blond war? Langbeinig? Vollbusig? Groß?

Der Kreis der Schaulustigen teilte sich, um sie zu ihm zu lassen. Als sie schließlich vor ihm stand, musste Porter gegen seine Enttäuschung ankämpfen.

Sie war nichts von alledem.