Was haltet ihr von unserer Ambulanz?“, fragte Porter seine Brüder mit vor Stolz geschwellter Brust, gerade so konnte er noch das Gleichgewicht auf seinen Krücken halten. „Sieht gut aus, oder?“
„Sieht wirklich gut aus“, gab Marcus zu und betrachtete das soeben fertiggestellte Ambulanzgebäude, das die Arbeiter in einem frischen Grünton strichen. „Es ist ein schönes, teures, großes, leer stehendes Gebäude.“ Er sah zu Kendall.
„Wie sieht es mit dem Aufnahmeantrag für den Verband der Landarztpraxen aus?“
Kendall deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Ich wollte gerade zu Dr. Salinger. Sie meinte, sie hätte den Antrag heute Morgen fertig.“
Porters Puls beschleunigte sich. Jeden einzelnen Tag dieser Woche hatte er gehofft, dass Nikki kommen und sich ansehen würde, wie das Ambulanzgebäude wuchs und wuchs. Jeden einzelnen Tag dieser Woche war er enttäuscht worden.
Nicht persönlich natürlich. Eine Enttäuschung war, dass die Stadt drauf und dran war, eine Ärztin mit so schönen Augen … äh … mit einem solchen Potenzial zu verlieren.
„Ich begleite dich“, bot Porter Kendall an.
„Das sehe ich anders“, sagte Marcus. „Kendall soll sich allein darum kümmern.“
Porters Blick verfinsterte sich. „Vielleicht muss ich die kleine Frau Doktor ja wegen meines Beins aufsuchen.“
„Brauchst du noch mehr Drahtbügel?“, fragte Kendall trocken. „Ich finde, sie hat mehr als deutlich gemacht, dass sie dich nicht sehen will, solange keine echte medizinische Notwendigkeit besteht.“
Porter konnte seinem Bruder nur noch hinterherschauen.
„Ich kenne diesen Gesichtsausdruck“, bemerkte Marcus. Porter straffte die Schultern. „WelchenGesichtsausdruck?“
„Diesen Ausdruck, der besagt: ‚Ich will etwas, das ich nicht haben kann.‘“
Porter runzelte die Stirn. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“
„Ja, klar.“ Marcus blickte Porter über die Schulter. „Sieh nicht hin, denn jetzt kommt eine Frau, die dich anschaut, als könntest du sie haben.“
Porter wandte den Kopf und erkannte Rachel Hutchins, die auf ihn zukam. In ihren abgeschnittenen Shorts und dem pinkfarbenen Top war sie unglaublich heiß. Ihre Bewegungen wirkten lässig und einladend. Insgesamt bildete sie das komplette Gegenteil zu Nikki in ihrem sterilen Kittel und mit den verschränkten Armen.
Porter schürzte die Lippen. Für Dr. Salinger war er nicht mehr zuständig. Er konnte seine Aufmerksamkeit in eine andere, vielversprechendere Richtung wenden. Als Rachel ihn anlächelte, erwiderte er ihr Lächeln.
„Hi“, sagte sie.
„Selber hi.“
„Glückwunsch, dass Sie die Ambulanz so schnell auf die Beine gestellt haben.“
„Danke“, erwiderte er. Ihm fiel auf, dass einer ihrer BH-Träger heruntergerutscht war. Seltsamerweise dachte er jedoch nicht an das, was sich unter dem pinkfarbenen Top der Blondine verbergen mochte. Stattdessen tauchte das Bild von Nikkis durchsichtiger nasser Bluse vor seinem inneren Auge auf.
Rachel wies auf sein Gipsbein. „Wie geht es Ihrem Bein?“
„Großartig“, entgegnete er, obwohl es im Augenblick schmerzte. „So ein Gips kann mich nicht aufhalten.“
Sie streckte den Arm aus und strich mit ihrem pink lackierten Fingernagel über das kleine John-Deere-Logo auf seinem T-Shirt. „Hindert er Sie an gar nichts?“
Er schluckte schwer. „An gar nichts.“
„Gut zu wissen. Könnte ich Sie heute Mittag zu einem Picknick überreden?“
Als er ihre große, kurvige Gestalt betrachtete, überkam ihn ein komisches Gefühl – als wäre die Vorstellung, in Rachels Nähe zu sein, viel reizvoller, als tatsächlich mit ihr zusammen zu sein. Sie strahlte eine gewisse Härte aus, die auch ihr Make-up nicht überdecken konnte. Und ihre Stimme klang in seinen Ohren schrill.
Porter schüttelte sich innerlich, aber er stimmte zu. Es gab schließlich Schlimmeres, als sich von einer Sexbombe füttern zu lassen. „Das wäre … toll.“
Sie strahlte. „Ich werde den Picknickkorb packen. Um die Mittagszeit?“
„Klar. Ich komme mit dem Quad vorbei und hole Sie in der Pension ab.“
„Dann haben wir also ein Date“, flötete sie.
Porter beobachtete, wie sie davontänzelte, und dachte darüber nach, was alles passieren konnte, wenn sie am Nachmittag lange und faul auf einer Decke unter einem schattigen Baum lagen.
Marcus trat zu ihm und tippte ihm auf die Schulter. „Tu nichts, was sie auch noch vertreiben könnte, ja?“
Porter starrte ihn finster an. „Da hier alles unter Kontrolle ist, werde ich gleich den Rasenmäher auf den Hügel bringen. Ich war gestern dort, und das Grundstück sollte mal wieder gemäht werden.“
„Warum warst du auf dem Hügel?“
„Ich habe die kleine Frau Doktor mit auf eine Stadtführung genommen.“
Marcus hob die Augenbrauen. „Tatsächlich?“
„Ich wollte ihr alles zeigen. Ich dachte, sie würde vielleicht eher bleiben, wenn sie eine Bindung zu ihrer Umgebung entwickelt.“
„Ah ja.“ Marcus grinste. „Sieh der Wahrheit ins Gesicht, Porter. Dr. Salinger ist die einzige Frau auf der Welt, die von deinem Kinngrübchen vollkommen unbeeindruckt ist.“
„Bis später“, sagte Porter missmutig.
Er stieg auf eines der Quads und fuhr zu der großen Garage, wo die Arbeitsfahrzeuge standen. Nachdem er das Geländefahrzeug abgestellt hatte, humpelte er auf Krücken zu einem Traktor, auf dessen Anhänger ein Aufsitzmäher festgezurrt war. Er verstaute seine Krücken, kletterte auf den Traktor und startete den Motor. Dann lenkte er ihn in Richtung Clover Ridge und versuchte sich auf der langen gemächlichen Fahrt ein bisschen zu entspannen. Er freute sich auf etwas frische Luft, um den Kopf wieder freizubekommen.
Aus einem Grund, den er nicht benennen konnte, bereute er es schon, Rachel versprochen zu haben, sich mit ihr zum Lunch zu treffen. Marcus hatte recht: Sie konnten es sich nicht leisten, die Sprecherin der Frauen zu verlieren. Was würde wohl passieren, wenn sie plötzlich anhänglich wurde und etwas von ihm erwartete? Sicherlich konnte es gut gehen – eine Zeit lang. Aber wenn er über seine kurze Aufmerksamkeitsspanne, was Frauen betraf, nachdachte, standen die Chancen, dass die Sache nicht gut ausging, deutlich höher. Im Übrigen waren die Frauen gerade erst angekommen. Es war viel zu früh, um eine Beziehung mit einer von ihnen einzugehen. Rachel war bestimmt die eindrucksvollste und kontaktfreudigste, doch möglicherweise war ein Geheimtipp unter ihnen … eine Frau, die im ersten Moment nicht herausstach, die aber, wenn sie erweckt wurde, die Leidenschaft eines Mannes heftiger entflammen konnte als eine Sirene.
Eine Frau wie Nikki, dachte er. Er vermutete, dass die kleine, im Augenblick so gehemmt wirkende Frau Doktor ein heißer Feger im Bett war, wenn sie keine Angst mehr hatte und sich gehen ließ.
War sie bei ihrem Exverlobten so gewesen – wild und hemmungslos? Und warum wühlte ihn der Gedanke an ihre Intimität mit einem gesichtslosen Mann so auf?
Etwas Großes schoss über die Straße, und Porter trat mit dem gesunden Fuß hart auf die Bremse. Trotzdem prallte das Tier mit einem dumpfen Geräusch gegen den Traktor. Ein Reh, wie er feststellte, als es sich ins Unterholz verkroch. Und es war offensichtlich verletzt, denn es lahmte. Ein paar Meter von der Straße entfernt hörten die Zweige der Büsche auf zu rascheln, das Tier war anscheinend zusammengebrochen.
Porter stellte den Motor ab. Dann kletterte er herunter und schnappte sich seine Krücken. Vorsichtig bahnte er sich einen Weg durchs Unterholz. Er hatte Angst vor dem, was er finden würde. Erleichtert stellte er jedoch fest, dass das Tier noch atmete, wenn auch schwer. Als er vor ihm stand, sah er, dass es ein Rehkitz war. Mit Augen voller Furcht, die es so verdrehte, dass man das Weiße sehen konnte, versuchte es aufzustehen, doch es fiel immer wieder hin. Einer der Hinterläufe war gebrochen und blutete.
Porter zuckte zusammen und sprach beruhigend auf das Kitz ein. Ihm war allerdings klar, dass der einzige Grund, warum es sich berühren ließ und nicht floh, die wahnsinnigen Schmerzen sein mussten. Mit einem Blick erfasste er die Situation und schätzte die Entfernung zum Traktor ein. Kurz entschlossen zog er sein Arbeitshemd aus, band es um das Reh und machte sich auf den Weg.
Er kam sehr langsam voran. Auf nur einer Krücke bewegte er sich mühsam vorwärts, und mit der freien Hand zerrte er das verletzte Tier hinter sich her. Schließlich erreichte er die Straße und den Traktor. Er senkte die Rampe des Anhängers ab und zog und hob das Reh hoch. Hinter dem Rasenmäher sicherte er es, indem er weiche Baumwollseile gekreuzt über den Körper des Tieres band. Das Kitz atmete noch, aber er sah, wie viel Kraft es dafür brauchte.
Er streichelte ihm über das flauschige Ohr. „Halte durch – die kleine Frau Doktor wird dich wieder hinbekommen, genau wie mich.“
Porter nahm sich nicht die Zeit, darüber nachzudenken, wie gut es sich anfühlte, zu wissen, dass Nikki in Sweetness war – und wie schlecht es sich anfühlen würde, wenn sie nicht mehr da war.