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27. November 2012 Sanibel Island, Florida
Beim schrillen Schrei einer Möwe schlägt
Mick die Augen auf.
Er liegt in einem Doppelbett; seine Handgelenke
sind links und rechts am Rahmen festgebunden. Der linke Unterarm
ist dick bandagiert, im rechten steckt eine Infusionskanüle.
Mick sieht, dass er sich in einem Schlafzimmer
befindet. An der Wand gegenüber tanzen Streifen aus goldenem
Sonnenlicht, die durch die über seinem Kopf raschelnde Jalousie
fallen. Er riecht die salzige Luft, hört durch das offene Fenster
die Meeresbrandung.
Eine grauhaarige, etwa siebzig Jahre alte Frau
betritt das Zimmer. »Ah, Sie sind wach.« Sie löst das Klettband an
seinem rechten Handgelenk und überprüft den Infusionsbeutel.
»Sind Sie Edie?«
»Nein, ich bin Sue, die Frau von Carl.«
»Wer ist Carl? Was tue ich hier?«
»Wir dachten, es ist zu gefährlich, Sie zu Edie zu
bringen. Dominique ist dort, und...«
»Dominique?« Mick versucht sich aufzusetzen, doch
ein Schwindelgefühl drückt ihn wie eine schwere, unsichtbare Hand
wieder aufs Bett.
»Nur mit der Ruhe, Junge. Sie werden Dominique noch
früh genug sehen. Momentan wird sie von der Polizei überwacht, weil
die darauf wartet, dass Sie bei ihr auftauchen.« Sie entfernt die
Infusionskanüle und klebt ein Pflaster auf den Arm.
»Sind Sie Ärztin?«
»Ich hab achtunddreißig Jahre in der Zahnarztpraxis
meines Mannes mitgeholfen.« Systematisch wickelt Sue den
Infusionsschlauch auf.
Mick bemerkt ihre rot geränderten Augen.
»Was war das für eine Infusion?«
»Hauptsächlich Vitamine. Sie waren in einem
ziemlich üblen Zustand, als sie vor zwei Tagen hier ankamen. Vor
allem schlichtweg unterernährt; allerdings war auch ihr linker Arm
schlimm zugerichtet. Jetzt haben Sie fast achtundvierzig Stunden
geschlafen. Letzte Nacht hatten Sie wohl einen bösen Albtraum und
haben im Schlaf geschrien. Ich musste Ihre Handgelenke
festschnallen, damit die Kanüle drinblieb.«
»Danke. Und danke, dass Sie mich aus der Anstalt
geholt haben.«
»Danken Sie Dominique.« Sue greift in die Tasche
ihres Morgenmantels.
Mick fährt zusammen, als sie eine Magnum Kaliber.44
herauszieht. Sie richtet die Waffe auf seine Leistengegend.
»He, Moment mal...«
»Vor ein paar Tagen ist mein Mann ertrunken. Er war
einer der drei Leute auf dem Boot von Isadore, die den Ort im Golf
von Mexiko untersuchen wollten, von dem Sie Dominique erzählt
haben. Was ist da drunten?«
»Das weiß ich nicht.« Er starrt auf den Revolver,
der in den Händen der alten Frau zittert. »Könnten Sie die
Waffe nicht vielleicht auf ein weniger wichtiges Organ
richten?«
»Dominique hat uns alles über Sie erzählt - über
Ihren durchgedrehten Vater und seine Weltuntergangsfantasien und
weshalb man Sie eingesperrt hat. Mir persönlich ist es völlig egal,
an was für ’ne Sorte apokalyptischen Blödsinn Sie glauben; ich will
nur herausbekommen, was meinem Carl zugestoßen ist. Für mich sind
Sie ein flüchtiger Verbrecher - und gefährlich. Wenn Sie mich auch
nur schief anschauen, jage ich Ihnen eine Kugel in den Leib.«
»Ich hab kapiert.«
»Nein, Sie haben nicht kapiert. Dominique hat
allerhand riskiert, um Sie zu befreien. Bisher deutet zwar alles,
was mit Ihrer Flucht zu tun hatte, scheinbar darauf hin, dass Ihr
Pfleger Mist gebaut hat. Damit wäre Dominique aus dem Schneider,
aber die Polizei hat sie trotzdem noch immer in Verdacht. Man
überwacht sie genau und das heißt, dass wir alle in Gefahr sind.
Wie auch immer: Noch heute Abend werden wir Sie auf das Boot von
Rex schmuggeln. An Bord ist auch ein Mini-U-Boot:..«
»Ein Mini-U-Boot?«
»Genau. Rex hat es benutzt, um versunkene Schiffe
zu erforschen. Sie werden damit herausfinden, was sich da draußen
unter dem Meeresboden verbirgt. Wenn Sie versuchen zu fliehen, lege
ich Sie um und übergebe Ihre Leiche den Cops, um die Belohnung zu
kassieren.«
Sie hebt das Laken am Fußende an. Sein linker
Knöchel ist an den Bettpfosten gekettet.
»Jetzt haben Sie kapiert.«
Raumflugzentrum Goddard der NASA Greenbelt, Maryland
Widerwillig folgt Ennis Chaney einem
NASA-Techniker den kahlen, weiß gekachelten Flur entlang.
Der Vizepräsident ist in keiner guten Stimmung. Die
Vereinigten Staaten stehen an der Schwelle eines Krieges und da
wäre sein Platz eigentlich an der Seite des Präsidenten und des
Vereinigten Generalstabs. Stattdessen erwartet man von ihm, Gewehr
bei Fuß zu stehen, wenn der NASA-Direktor ihn ruft. Da lässt
Einauge mich bestimmt wieder irgendeinem Fantom
hinterherjagen...
Zu seiner Überraschung ist ein Wachmann an der Tür
des Konferenzraums postiert. Als er Chaney erblickt, tippt er einen
Code ein und öffnet die Tür. »Treten Sie ein, Sir, man erwartet Sie
schon.«
Am Kopfende des Konferenztischs sitzt NASA-Direktor
Brian Dodds, flankiert von Marvin Teperman und einer Frau Ende
dreißig, die einen weißen Arztmantel trägt.
Chaney bemerkt die dunklen Ringe um Dodds’
Augen.
»Herr Vizepräsident, bitte treten Sie ein. Vielen
Dank, dass Sie so kurzfristig gekommen sind. Das ist Dr. Debra
Aldrich, eine der besten Geophysikerinnen der NASA. Dr. Teperman
kennen Sie wohl schon.«
»Tag, Teperman. Dodds, ich hoffe, dass die Sache
wichtig ist, sonst...«
»Das ist sie. Setzen Sie sich, Sir - bitte.« Dodds
berührt eine Taste auf dem Schaltpult vor ihm. Im Raum wird es
dunkler, während ein holografisches Bild des Golfs von Mexiko über
dem Tisch erscheint.
»Dieses Bild hat SEASAT aufgenommen, ein
ozeanografischer Beobachtungssatellit der NASA. Auf Ihre Anregung
hin haben wir damit begonnen, den Golf von Mexiko absuchen zu
lassen, um den Ursprung der schwarzen Flut zu bestimmen.«
Chaney sieht, wie das Bild springt. Dann stellt die
Kamera sich auf einen Ausschnitt der Meeresoberfläche ein, der von
einem gepunkteten weißen Kreis umrahmt wird.
»Mit X-Band Synthetic Aperture Radar ist es uns
gelungen, die schwarze Flut zu diesen Koordinaten
zurückzuverfolgen. Es handelt sich um ein Gebiet etwa
fünfundfünfzig Kilometer nördlich der Halbinsel Yukatan. Und nun
schauen Sie bitte genau hin.«
Dodds drückt eine andere Taste. Das holografische
Meer löst sich in helle grüne und blaue Flecken auf, in deren
Zentrum ein leuchtend weißer Lichtkreis sichtbar ist. An seinen
Rändern nimmt die Farbe an Intensität ab und wird erst gelb und
dann rot. »Hier sehen wir eine Thermalaufnahme des Zielgebiets. Wie
Sie erkennen können, befindet sich etwas sehr Großes da unten, das
gewaltige Mengen Hitze abstrahlt.«
»Zuerst dachten wir, wir hätten einen
Unterwasservulkan entdeckt«, fügt Dr Aldrich hinzu, »aber den
geologischen Untersuchungen zufolge, die die nationale
Ölgesellschaft Mexikos durchgeführt hat, gibt es in dieser Region
keinerlei Vulkane. Nach ein paar weiteren Tests haben wir
festgestellt, dass dieser Ort eine starke elektromagnetische
Energie ausstrahlt. An sich ist das nicht besonders auffällig, da
er fast direkt im Zentrum des Chicxulub-Kraters liegt, der für
starke Magnet- und Gravitationsfelder bekannt ist.«
Chaney hebt die Hand. »Entschuldigen Sie, wenn ich
Sie unterbreche, Dr Aldrich. Für Leute wie Sie ist dieses Thema
zweifellos recht faszinierend, aber...«
Teperman packt den hohen Politiker am Handgelenk.
»Wir versuchen gerade, Ihnen zu erklären, dass da unten etwas
präsent ist, Mr. Chaney, etwas viel Wichtigeres als Ihr Krieg. Mr.
Dodds, der Vizepräsident ist ein viel beschäftigter Mann.
Vielleicht sollten Sie die gradiometrischen Daten überspringen und
gleich zur akustischen Tomografie übergehen.«
Dodds wählt ein anderes Hologramm. Die Farbflecken
lösen sich in eine Schwarzweißaufnahme des Meeresbodens auf. In der
aufgebrochenen Fläche ist ein schwarzer Fleck zu sehen,
offensichtlich eine in die Tiefe führende Öffnung, die an einen
Tunnel denken lässt.
»Sir, die akustische Tomografie ist eine
Aufnahmetechnik, bei der akustische Strahlung - in diesem Fall
Ultraschallwellen - durch den Meeresboden gesendet wird, um
darunter befindliche Objekte erkennbar zu machen.«
Staunend sieht Chaney, wie sich ein gewaltiges
ovales Objekt unterhalb der größeren Öffnung abzuzeichnen beginnt.
Dodds verändert das Bild, indem er das dreidimensionale Objekt vom
Meeresboden wegholt, sodass es frei über den Köpfen der Anwesenden
schwebt.
»Was ist denn das?«, fragt Chaney mit heiserer
Stimme. Teperman grinst. »Nichts weiter als die fantastischste
Entdeckung in der Geschichte der Menschheit.«
Die ovale Masse schwebt direkt über Chaneys Kopf.
»Was faseln Sie da, Teperman? Was, zum Teufel, ist das für ein
Ding?«
»Mr. Chaney, vor fünfundsechzig Millionen Jahren
ist ein gewaltiges Objekt mit einer Geschwindigkeit von mehr als
fünfzig Kilometern pro Sekunde in ein seichtes tropisches Meer
eingeschlagen. Es hatte einen Durchmesser von elf bis dreizehn
Kilometern und ein Gewicht von etwa einer Billion Tonnen. An der
Aufschlagstelle breitet sich heute der Golf von Mexiko aus. Was wir
da vor uns sehen, sind die Überreste des Objekts, das auf unseren
Planeten aufgeprallt ist und das Ende der Dinosaurier besiegelt
hat.«
»Hören Sie mal, Teperman, dieses Ding ist
riesengroß. Wie hätte so was Großes einen derartigen Aufprall
überstehen können?«
»Zum größten Teil hat es ihn ja nicht überstanden.
Das, was Sie sehen, hat lediglich einen Durchmesser von etwa
eineinhalb Kilometern, was einem Achtel der ursprünglichen
Größe entspricht. Unter Wissenschaftlern debattiert man schon seit
Jahren, ob das Objekt, das die Erde getroffen hat, ein Komet oder
ein Asteroid war. Aber was ist, wenn beides nicht zutrifft?«
»Hören Sie auf, in Rätseln zu sprechen!«
Teperman blickt gebannt auf das rotierende
holografische Bild. »Was wir da sehen, ist ein einheitliches
Gebilde, das aus Iridium und irgendwelchen unbekannten Legierungen
besteht und mehr als eineinhalb Kilometer tief im Meeresboden
vergraben liegt. Die Außenhülle ist viel zu dick, als dass die
Sensoren unserer Satelliten sie durchdringen könnten...«
»Die Außenhülle?« Chaney treten fast die Augen aus
dem Kopf. »Wollen Sie etwa sagen, dass dieses vergrabene Ding ein
Raumschiff ist?«
»Zumindest die Überreste eines Raumschiffs,
vielleicht sogar eine separate Innenkapsel, die in dem Fahrzeug
gelegen hat wie ein Korken in einem Golfball. Was immer es ist oder
war, es hat den Aufprall überstanden, bei dem der Rest des
Fahrzeugs sich in seine Bestandteile aufgelöst hat.«
Dodds hebt die Hand. »Moment mal, Dr. Teperman.
Herr Vizepräsident, das sind nichts als Vermutungen.«
Chaney fixiert den NASA-Direktor. »Ja oder nein,
Mr. Dodds - ist dieses Ding ein Raumschiff?«
Dodds wischt sich den Schweiß von der Stirn.
»Momentan wissen wir das einfach nicht.«
»Dieses Loch im Meeresboden - führt es zu diesem
Raumschiff?«
»Das wissen wir auch nicht.«
»Verdammt, Dodds, was zum Teufel wissen Sie
eigentlich?«
Der NASA-Direktor atmet durch. »Zum einen wissen
wir, dass wir unbedingt Schiffe in das betreffende Gebiet entsenden
müssen, bevor ein anderes Land auf diese vergrabene Masse
aufmerksam wird.«
»Sie reden um den heißen Brei herum wie ein
Politiker, Mr. Dodds, obwohl Sie wissen, dass mir so was zuwider
ist. Da ist doch was, was Sie mir nicht sagen wollen. Was ist
es?«
»Tut mir Leid. Ja, Sie haben Recht, das ist
durchaus nicht alles. Wahrscheinlich bin ich selbst noch ein wenig
betäubt von dieser Sache. Manche von uns, darunter auch ich, sind
inzwischen der Meinung, dieses Radiosignal aus dem Weltraum, das
wir empfangen haben, sei gar nicht für uns gedacht gewesen. Es...
es könnte dazu gedient haben, irgendetwas innerhalb
dieses außerirdischen Objekts auszulösen.«
Chaney starrt Dodds ungläubig an. »Mit
>auslösen< meinen Sie >aufwecken<?«
»Nein, Sir. Eher aktivieren.«
»Aktivieren? Was soll das heißen?«
Debra Aldrich entnimmt ihrem Aktenordner einen
sechsseitigen Bericht. »Sir, dies ist eine Kopie eines
SOSUS-Berichts, den ein Biologe aus Florida vor einem Monat ans
Seefahrtsamt geschickt hat. Es geht darin um nicht identifizierbare
Geräusche, die im Chicxulub-Krater aus dem Meeresboden dringen.
Leider hat sich die Behörde ziemlich viel Zeit damit gelassen,
diese Informationen zu überprüfen, aber inzwischen haben wir
festgestellt, dass tatsächlich intensive Geräusche aus diesem
verschütteten ovalen Gebilde kommen. In seinem Innern findet
offenbar eine ebenso heftige wie komplexe Aktivität statt, die
höchstwahrscheinlich mechanischer Natur ist.«
Der NASA-Direktor nickt. »Um der Sache auf den
Grund zu gehen, haben wir die zentrale Empfangsstation der Navy in
Nam Deck angewiesen, eine vollständige Analyse aller Geräusche mit
hoher Phonzahl durchzuführen, die innerhalb der letzten sechs
Monate im Golf von Mexiko aufgezeichnet wurden. Die betreffenden
Geräusch vom Meeresboden sind zwar nur im Hintergrund
hörbar, aber die Daten bestätigen, dass sie am dreiundzwanzigsten
September eingesetzt haben, also genau an dem Tag, an dem das
Radiosignal aus dem Weltraum die Erde erreichte.«
Chaney schließt die Augen und massiert sich die
Schläfen. Er ist völlig erschüttert.
»Das ist noch nicht alles, Mr. Chaney.«
»Ach, du lieber Himmel, Teperman. Könnten Sie mir
vielleicht ein wenig Zeit lassen, das Ganze zu verarbeiten, bevor
Sie...? Schon gut, sprechen Sie weiter.«
»Tut mir Leid. Ich weiß, das ist ziemlich
überwältigend.«
»Weiter!«
»Wir haben unsere Analyse der schwarzen Flut
abgeschlossen. Sobald der Giftstoff in Kontakt mit organischem
Gewebe kommt, greift er nicht einfach die Zellwände an, er
verändert deren chemische Zusammensetzung auf molekularer Ebene.
Dadurch werden die Zellwände vollständig aufgelöst. Dieses Zeug
wirkt wie Säure und führt, wie wir ja selbst gesehen haben, zu
einem völligen Ausbluten. Interessant daran ist Folgendes: Diese
Substanz ist zwar weder ein Virus noch ein lebender Organismus,
enthält aber starke Spuren von Silikon und eine bizarre DNA.«
»DNA? Mein Gott, Teperman, was soll das
heißen?«
»Es ist nur eine Theorie...«
»Keine Spielchen mehr. Was ist das Zeug?«
»Zoologische Ausscheidung. Kot.«
»Kot? Sie meinen, es ist Scheiße?«
»Äh... ja, genauer gesagt außerirdische Scheiße -
sehr alte außerirdische Scheiße. Der Schlick enthält Spuren
chemischer Elemente, die unserer Meinung nach von einem Lebewesen
stammen, und zwar von einer aus Silikon bestehenden
Lebensform.«
Chaney lehnt sich zurück. Ihm dröhnt der Kopf.
»Dodds, schalten Sie das verfluchte Hologramm aus. Ich
bekomme Kopfschmerzen davon. Teperman, wollen Sie andeuten, dass
sich da drunten womöglich noch etwas befindet, was am Leben
ist?«
»Nein, durchaus nicht, Sir«, mischt Dodds sich
ein.
»Ich frage Dr. Teperman.«
Der Angesprochene lächelt. »Nein, Herr
Vizepräsident, darauf will ich nicht hinaus. Wie schon gesagt, ist
dieser Kot - falls es sich tatsächlich um so etwas handelt - sehr
alt. Selbst wenn ein außerirdisches Lebewesen den Aufprall überlebt
haben sollte, war es sicher schon lange tot, als der Mensch sich
auf der Erde ausgebreitet hat. Außerdem könnte ein aus Silikon
bestehendes Lebewesen in einer sauerstoffhaltigen Umgebung
wahrscheinlich nicht existieren.«
»Dann erklären Sie mir endlich, was da vor sich
geht!«
»Na schön. So unglaublich es klingen mag, ist vor
fünfundsechzig Millionen Jahren ein außerirdisches Raumschiff, das
unserer heutigen Technologie offensichtlich um Lichtjahre voraus
ist, auf die Erde geprallt. Dieser Aufprall war entscheidend für
die Menschheitsgeschichte, da die Katastrophe zum Aussterben der
Dinosaurier führte und damit die Evolution unserer eigenen Spezies
ermöglichte. Die Lebewesen, die sich in diesem Fahrzeug befanden,
haben möglicherweise einen Notruf in ihre Heimat gesandt, die sich
wahrscheinlich irgendwo im Sternbild Orion befindet. Das wäre ein
normaler Vorgang - unsere Astronauten würden dasselbe tun, wenn sie
auf Alpha Centauri oder einer anderen, viele Lichtjahre entfernten
Welt festsäßen. Eine Rettungsmission war wegen der Entfernung
natürlich ausgeschlossen. Als unsere außerirdischen Kollegen im
Oriongürtel den Notruf empfangen haben, konnten sie lediglich
versuchen, die Computer an Bord ihres Raumschiffs zu reaktivieren,
um möglichst viele Daten zu sammeln.«
Dr. Aldrich nickt zustimmend. »Wahrscheinlich wurde
der schwarze Schlick automatisch ausgestoßen, als das
Signal irgendeinen unbekannten Rettungsmechanismus aktiviert
hat.«
Der NASA-Direktor kann seine Erregung kaum
verbergen. »Die Idee, eine Station auf dem Mond zu bauen, können
wir vergessen. Wenn Mr. Teperman Recht hat, sollten wir uns Zugang
zu diesem Raumschiff verschaffen und womöglich direkt mit den
Außerirdischen kommunizieren - mithilfe ihrer eigenen
Geräte.«
»Vorausgesetzt, dass der Planet, von dem das
Raumschiff stammt, noch existiert«, wendet Teperman ein. »Womöglich
ist das Radiosignal schon vor Millionen von Jahren ausgestrahlt
worden. Inzwischen könnte die Sonne des betreffenden Planeten
längst zur Supernova geworden sein.«
»Ja, ja, da haben Sie natürlich Recht. Eigentlich
will ich nur darauf hinaus, dass wir die unglaubliche Chance haben,
Zugang zu weit fortgeschrittenen Technologien zu gewinnen, die sich
in diesem Raumschiff womöglich erhalten haben. Das reiche Wissen,
das eventuell da drunten ruht, könnte unsere Zivilisation einen
gewaltigen Schritt vorwärts bringen.«
Der Vizepräsident spürt, dass seine Hände zittern.
»Wer weiß inzwischen Bescheid?«
»Nur die Anwesenden und eine Hand voll weiterer
NASA-Mitarbeiter.«
»Was ist mit diesem SOSUS-Biologen in
Florida?«
»Der ist tot«, sagt Aldrich. »Die mexikanische
Küstenwache hat vor ein paar Tagen seine Leiche aus dem Meer
gefischt. Sie war mit schwarzem Schlick bedeckt.«
Chaney flucht lautlos vor sich hin. »Na schön,
natürlich muss ich sofort den Präsidenten unterrichten. Außerdem
muss jeder öffentliche Zugang zu SOSUS augenblicklich unterbunden
werden. Sämtliche Informationen werden auf den unmittelbar
beteiligten Personenkreis beschränkt. Von nun an ist diese
Operation streng geheim, verstanden?«
»Was ist mit Satellitenaufnahmen?«, meldet sich
Aldrich. »Das Objekt ist zwar nur ein winziger Punkt im Golf von
Mexiko, aber doch ziemlich auffällig. Irgendwann wird ein GEOS-
oder SPOT-Satellit darauf stoßen. Abgesehen davon geben wir dem
Rest der Welt ohnehin einen deutlichen Wink, wenn wir die Navy oder
auch nur ein Forschungsschiff dorthin beordern.«
Der NASA-Direktor nickt. »Sir, da hat Dr. Aldrich
nicht Unrecht. Ich hätte aber einen Vorschlag, wie wir diese
Operation geheim halten und unseren Wissenschaftlern trotzdem
ungehindert Zugang zu dem verschaffen können, was da drunten
ist.«
Washington, D.C. / Miami, Florida
Anthony Foletta schließt die Tür seines
Arbeitszimmers von innen ab, bevor er sich an seinen Schreibtisch
setzt, um das Ferngespräch entgegenzunehmen.
Auf dem Videokommunikator erscheint das Gesicht von
Pierre Borgia. »Gibt es schon etwas Neues, Direktor?«
Foletta antwortet mit leiser Stimme. »Nein, Sir,
aber die Polizei überwacht die junge Frau rund um die Uhr. Ich bin
sicher, dass er irgendwann Kontakt zu ihr aufnehmen wird.«
»Irgendwann? Hören Sie, Foletta, Sie dürfen keinen
Zweifel daran lassen, dass Gabriel gefährlich ist, verstehen Sie?
Sagen Sie der Polizei, man soll gleich den finalen Fangschuss
anordnen. Entweder er stirbt, oder Sie können die Leitung dieser
Anstalt in Tampa abschreiben.«
»Gabriel hat niemand umgebracht. Sie wissen doch so
gut wie ich, dass die Polizei ihn nicht erschießen wird.«
»Dann heuern Sie jemand an, der sich darum
kümmert.«
Foletta blickt in seinen Schoß, als brauche er
Zeit, um die Worte des Außenministers in sich aufzunehmen. In
Wirklichkeit hat er diese Aufforderung erwartet, seit sein Patient
entflohen ist. »Ich kenne womöglich jemand, der dazu in der Lage
ist, aber das wird ziemlich teuer.«
»Wie viel?«
»Dreißigtausend. Plus Spesen.«
Borgia verzieht das Gesicht zu einem höhnischen
Grinsen. »Sie sind ein miserabler Pokerspieler, Foletta. Ich
schicke Ihnen zwanzig, keinen Cent mehr. In einer Stunde haben Sie
das Geld.«
Der Wählton des Kommunikators ertönt.
Foletta schaltet das Gerät aus und vergewissert
sich, dass das Gespräch aufgezeichnet wurde. Er lässt sich Zeit,
seinen nächsten Schachzug zu überdenken. Dann nimmt er sein Handy
aus der Schreibtischschublade und wählt Raymonds Piepser an.
Sanibel Island, Florida
Der weiße Lincoln biegt in die mit Kies bestreute
Einfahrt ein. Karen Simpson, einunddreißig Jahre alt und tief
gebräunt, steigt aus der Fahrertür. Affektiert geht die
Wasserstoffblondine, die ein aquamarinblaues Kleid trägt, um den
Wagen und öffnet ihrer Mutter Dory die Beifahrertür.
Ein Stück weit entfernt beobachtet ein Detective in
Zivil, wie die beiden Trauergäste Arm in Arm langsam hinter das
Haus der Axlers gehen, wo alles für die Schiwa, die jüdische
Trauerfeier, vorbereitet ist.
Tische mit Speisen sind für die Familie und die
Freunde der Verstorbenen aufgestellt. Etwa vierzig Gäste gehen
umher, unterhalten sich, essen, erzählen alte Geschichten und
versuchen sich gegenseitig Trost zu spenden.
Dominique und Edith sitzen alleine auf einer
gepolsterten Bank am Ufer und sehen zu, wie die Sonne am Horizont
versinkt.
Vor der Küste driftet ein Fischerboot mit Namen
Hatteras. Sein Besitzer müht sich gerade ab, seinen Fang an Bord zu
ziehen.
Edith nickt. »Sieht aus, als hätten die jetzt
endlich was an der Angel.«
»Das wird auch alles sein, was sie an die Angel
bekommen.«
»Schatz, versprich mir, aufzupassen.«
»Versprochen.«
»Bist du denn wirklich sicher, dass du mit dem
Mini-U-Boot umgehen kannst?«
»Ja, Iz hat mir gezeigt, wie...« Bei der Erinnerung
treten Dominique Tränen in die Augen. »Ja, ich bin sicher.«
»Sue meint, du sollst ihren Revolver
mitnehmen.«
»Ich hab mir doch nicht die Mühe gemacht, Mick bei
der Flucht zu helfen, um ihn anschließend zu erschießen.«
»Sie meint ja bloß, du sollst nicht zu
vertrauensvoll sein.«
»Sue leidet schon immer unter
Verfolgungswahn.«
»Und was ist, wenn sie Recht hat? Wenn Mick
wirklich geisteskrank ist? Womöglich wird er bösartig und versucht,
dich zu vergewaltigen. Schließlich war er elf Jahre lang
eingesperrt, und...«
»Er wird mich nicht vergewaltigen.«
»Nimm doch wenigstens meinen Elektroschocker mit.
Der ist ganz klein und schaut wie ein Feuerzeug aus. Er passt genau
in deine Handfläche.«
»Na gut, ich nehm ihn mit, aber brauchen werde ich
ihn nicht.«
Edith dreht sich um und sieht Dory Simpson kommen,
während deren Tochter aufs Haus zugeht.
Dominique steht auf und umarmt Mrs. Simpson.
»Möchtest du was zu trinken?«
Dory setzt sich zu Edith. »Ja, bring mir doch ein
Cola Light. Leider können wir nicht lange bleiben.«
In der Kabine der Hatteras sitzt Detective
Sheldon Saints und beobachtet durch ein starkes, auf ein Stativ
montiertes Fernglas, wie Dominique aufs Haus zugeht.
Ein zweiter Detective, mit Jeans-Shorts, einem
T-Shirt mit dem Logo der Tampa Bay Buccaneers und einer
Baseballmütze ausstaffiert, betritt die Kabine. »He, Ted hat gerade
einen Fisch gefangen.«
»War auch allmählich Zeit; schließlich hängen wir
hier schon seit acht Stunden rum. Gibt mir mal das Nachtsichtgerät.
Für das Ding hier wird es allmählich zu dunkel.«
Saints befestigt das ITT Night-Mariner 260 auf dem
Stativ, schaut hindurch und stellt die Optik ein, die das
schwindende Licht in grüne Schattierungen verwandelt. Fünf Minuten
später beobachtet er, wie die attraktive Verdächtige mit dem langen
schwarzen Haar aus dem Haus kommt, eine Dose Cola in jeder Hand.
Sie geht zur Bank, reicht den beiden Frauen dort die Getränke und
setzt sich neben sie.
Weitere zwanzig Minuten vergehen. Nun sieht der
Kriminalbeamte die gebräunte Blondine in dem aquamarinblauen Kleid
aus dem Haus kommen. Sie tritt zu den drei Frauen und umarmt Edith
Axler, dann hilft sie ihrer Mutter von der Bank und führt sie zum
Wagen.
Saints beobachtet die beiden einen Augenblick, dann
wendet er seine Aufmerksamkeit wieder der Bank zu, auf der die
ältere Frau und die dunkelhaarige Schönheit Hand in Hand sitzen
geblieben sind.
Dory Simpson lehnt sich in den Beifahrersitz
zurück, während die Blondine den Lincoln startet. Sie lässt den
Wagen zurückrollen, dann fährt sie nach Südwesten auf die
Hauptverkehrsader der Insel zu.
Dominique schiebt die Hand unter die Perücke, um
sich an der juckenden Kopfhaut zu kratzen. »Ich wollte schon immer
mal blonde Haare haben.«
»Lass das Ding bloß auf, bis wir abgelegt haben.«
Dory Simpson gibt Dominique den Elektroschocker, der kaum größer
ist als ein Gasfeuerzeug. »Edith hat gesagt, du sollst das immer
bei dir tragen, und ich hab ihr versprochen, dafür zu sorgen, dass
du das tust Also, traust du dir wirklich zu, das U-Boot zu
steuern?«
»Wird schon schief gehen.«
»Ich kann nämlich mitkommen.«
»Nein, mir ist es lieber, wenn du dableibst und
dich mit Karen um Edie kümmerst.«
Es ist schon spät, als die beiden den privaten
Pier der Simpsons in Captiva erreichen. Dominique umarmt Dory
Simpson zum Abschied, dann geht sie über die Holzbohlen zu dem
sieben Meter langen Motorboot, das auf sie wartet.
Sue Reuben weist sie an, die Heckleine zu lösen.
Wenige Sekunden später rast das Boot in den Golf von Mexiko.
Dominique nimmt die Perücke ab, bevor sie
davonfliegen kann, dann schlägt sie die graue Persenning
zurück.
Mick liegt langgestreckt auf dem Rücken. Sein
rechtes Handgelenk ist mit einer Handschelle an eine Strebe des
zweiten Sitzes gekettet. Lächelnd blickt er zu ihr empor, dann
zuckt er zusammen, als der Bug in eine Welle kracht und sein Kopf
schmerzhaft ans Fiberglasdeck schlägt.
»Wo ist der Schlüssel, Sue?«
»Ich glaube, du solltest ihn lieber da liegen
lassen, bis wir das Boot erreicht haben. Wir dürfen kein Risiko
eingehen.«
»Wenn das so weitergeht, ist er seekrank, bevor wir
dort sind. Gib mir den Schlüssel.« Dominique öffnet die
Handschellen und hilft Mick auf den Sitz. »Na, wie geht’s
dir?«
»Besser. Sue ist zwar zum Fürchten, hat mich aber
gut gepflegt.«
Als der Trawler vor ihnen auftaucht, drosselt Sue
die Maschine. Der Schwung des Motorboots reicht aus, um es an die
Seite des größeren Boots zu bringen.
Mick klettert hinüber.
Sue umarmt Dominique. »Pass gut auf dich auf.« Sie
drückt ihr die Magnum in die Hand.
»Sue...«
»Pst. Mach kein Theater. Und leg ihn einfach um,
wenn er Dummheiten macht.«
Dominique lässt den Revolver in der Tasche ihres
Anoraks verschwinden, dann klettert sie ebenfalls an Bord des
Trawlers und schaut dem davonrasenden Motorboot hinterher.
Nun ist alles ruhig. Gemächlich schaukelt das
Fischerboot unter einem mit Sternen übersäten Himmel im schwarzen
Wasser.
Dominique sieht Mick an, ohne im Dunkeln seine
Augen erkennen zu können. »Ich glaube, wir sollten uns mal auf den
Weg machen, was?« Ganz ruhig. Du klingst total nervös.
»Zuerst muss ich dir noch was sagen, Dom.«
»Vergiss es. Du kannst mir danken, indem du mir
hilfst, herauszubekommen, was Iz zugestoßen ist.«
»Einverstanden, aber das war es nicht, was ich dir
sagen wollte. Ich weiß, du hast noch immer deine Zweifel, was mich
betrifft. Aber du solltest wissen, dass du mir vertrauen kannst.
Ich hab dir sehr viel zugemutet, aber ich schwöre beim Andenken
meiner Mutter, ich würde mir eher selbst was antun als zuzulassen,
dass dir was passiert.«
»Ich glaube dir.«
»Und wahnsinnig bin ich auch nicht. Mir ist schon
klar, dass ich manchmal so klinge, aber ich bin es nicht.«
Dominique wendet den Blick ab. »Ich weiß, Mick.
Aber jetzt glaube ich wirklich, dass wir losfahren sollten.
Schließlich ist unser Haus den ganzen Tag über von der Polizei
beobachtet worden. Die Schlüssel müssen im Ruderhaus unter dem
Kissen des Passagiersitzes sein. Setzt du dich ans Steuer?«
Mick verschwindet im Ruderhaus. Sie wartet, bis er
außer Sicht ist, dann zieht sie den Revolver aus der Jackentasche.
Sie betrachtet die Waffe, während ihr Folettas warnende Worte in
den Sinn kommen. Der Patient wird sicher seinen Charme spielen
lassen, um Sie zu beeindrucken.
Stotternd springt die Maschine an.
Dominique blickt auf die Waffe, zögert und wirft
sie dann über Bord.
Jetzt hilft mir nur noch Gott...