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»Cian, jetzt!«, schrie Kira.

Sie konnte seine Verwirrung deutlich spüren, wusste jedoch ebenso wenig wie er, was da vor sich ging.

Trotzdem wartete Cian nicht länger ab. Er stürzte sich aus ihrem Kopf. Früher hätte er für diesen Vorgang noch eine Zauberformel benötigt, aber seine Bekanntschaft mit Kira hatte ihn einiges gelehrt. So brauchte es nur einen Funken von Magie und die Kraft seiner Gedanken, um seine Seele von ihrem Körper zu trennen.

Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, wie schwer es ihm fallen würde, nicht gleich wieder zu Kira zurückzukehren. Sollte es ihn nicht automatisch zu seinem Körper ziehen? Stattdessen kostete es ihn viel Anstrengung, überhaupt in seine Nähe zu kommen. Als würde er in einem reißenden Fluss gegen den Strom schwimmen.

Um ihn herum leuchteten Auren in einem munteren Farbenspiel, dunkle Grüntöne und grelles Violett. Und da, direkt vor ihm, die verschwommene Kontur seines Körpers. Ein finsterer Nebel umhüllte ihn und stieß Cian gewaltsam zurück, sobald er versuchte, wieder hineinzuschlüpfen.

Er verlor an Kraft. Die Lichter wurden schwächer. Zwei Funken rot glühenden Lichts, die an Augen erinnerten, schwebten dicht an ihm vorbei und betrachteten ihn hämisch. Dann schoss der schwarze Nebel direkt auf ihn zu.

Cian wollte schreien, als seine Welt unter einem Schleier aus Kälte und Dunkelheit verschwand, fand aber keine Kehle, um seiner Panik Ausdruck zu verleihen.

Er wurde in Kira zurückgeschleudert und auf einmal hatte er wieder einen Körper – und Stimmbänder. Sein Schrei war markerschütternd.

Rote Augen blitzen ihm aus vertrauten Zügen entgegen, während sich kraftvolle Hände um seinen Hals schlossen. Cian trat verzweifelt um sich, doch Kiras Körper war dem seiner Leiche chancenlos unterlegen.

Einer ihrer Fingernägel zog eine blutige Linie in Cians ehemalige Wange, doch wer auch immer seinen Körper jetzt bewohnte, schien es nicht einmal zu bemerken. Die Lippen seiner Leiche öffneten sich zu einem belustigten Grinsen. Der Druck auf seine Kehle verstärkte sich, seine Knie gaben nach und er ging zu Boden.

In den letzten Tagen hatten schon so einige versucht, ihn umzubringen, aber Cian möge verdammt sein, wenn es seiner eigenen gottverfluchten Leiche gelingen würde. Diesen Gedanken wiederholte er wie ein Mantra, während er Magie in sich sammelte und mit einem verschwenderischen Energiestoß auf seinen Gegner abfeuerte.

Die Leiche wurde von ihm geschleudert und krachte mit einem lauten Knacken in die gegenüberliegende Wand. Der Kopf kippte unnatürlich zur Seite. Mit einem Ruck bog der Zombie ihn gerade und setzte wieder sein boshaftes Grinsen auf.

»Oh mein Gott! Oh mein Gott!«, sagte Meggie verstört, während sie das Geschehen vor sich mit schreckgeweiteten Augen verfolgte.

»Skrasiii!«, zischte Pooka in einer fremden Sprache und stürzte mit gebleckten, nadelspitzen Zähnen auf den Zombie zu.

Dieser hatte sich gerade wieder aufrichten wollen, aber als sich die rot funkelnden Augen des Deamhan auf ihn richteten, erstarrte er.

In seinem Blick lag Ehrfurcht und er nickte eifrig, während der Deamhan weitere Worte dieser selbst für Kira fremden Sprache ausspie.

Als Pooka fertig war, zog der Tote sich an der Wand nach oben. Folgsam ging er dem Frettchen nach, während es den Raum durchquerte und vor ihnen zum Stehen kam. Unter Cians fassungslosem Blick reichte der Zombie ihm die Hand. Benommen nahm Cian sie an. Seine Leiche half ihm auf und klopfte ihm entschuldigend auf die Schulter.

Pooka war indessen auf die Schulter des Untoten geklettert und wirkte dort sehr zufrieden mit sich.

»Was zur Hölle …?«

Frag mich nicht. Ich habe keine Ahnung, erwiderte Kira. Wieso bist du nicht rein?

Es hat mich abgestoßen und wieder zurückgeschleudert, antwortete er. Bei Gott, was ist das für ein Ding?

Ich weiß es nicht, aber es scheint sich mit Pooka angefreundet zu haben.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, fluchte Meggie, die ihre Fassung wiedererlangt hatte und nun hektisch zwischen Cian und seinem alten Körper hin und her blickte. »Ich wusste, ich hätte diesem Irrsinn niemals zustimmen dürfen. Bist du verletzt?«

»Alles okay«, entgegnete Cian und rieb sich die schmerzende Kehle. In Gedanken fragte er Kira: Und was jetzt?

Das schaurige Gekreische einer Gothic-Rockband durchschnitt den Raum und ließ alle bis auf den Zombie zusammenfahren.

»Was, verdammt noch mal …?«, murmelte Cian, dann griff Meggie in plötzlicher Erleuchtung in die Tasche ihrer viel zu engen Jeans und zerrte ein schwarz glänzendes Handy hervor. Ein freundlich lächelnder Totenkopf baumelte am unteren Ende.

»Hallo?«, meldete sie sich. Ihr Gesprächspartner sagte irgendetwas für Cians Ohren nicht Verständliches und ein Ausdruck von Verwirrung schlich sich in Meggies Züge. Dann ließ sie das Handy sinken und hielt es ihm hin. »Für dich.«

Cian runzelte die Stirn, als er danach griff. Sie hatten heute schon ein Telefonat überlebt und wer weiß, vielleicht war ihre Pechsträhne inzwischen abgerissen.

»Kingsley«, meldete er sich automatisch mit seinem Nachnamen, ohne darüber nachzudenken, wie das wohl für fremde Ohren klingen mochte.

»Cian«, antwortete eine ihm wohlbekannte Stimme, die das Blut in seinen Adern gefrieren ließ. »Was, in Gottes Namen, hast du dir nur dabei gedacht? Hast du eine Ahnung, wie gefährlich es ist, einen Dämon zu beschwören?«

»Evan«, knurrte Cian, nachdem er sich ein wenig von dem Schock erholt hatte, seinen ehemals besten Freund in der Leitung zu haben. Ehemals, weil Evan einer irren Sidhekönigin verfallen war und gleich zweimal versucht hatte, ihn umzubringen. Und irgendwo musste man bei einer Freundschaft Grenzen setzen – egal wie lange sie schon währte. »Ich wusste gar nicht, dass du dich neuerdings für mein Wohlergehen interessierst. Und was den Dämon betrifft, liegst du falsch: Wir haben keinen beschworen.«

Evan schnaubte lautstark. »Aber natürlich hast du das. Oder was denkst du, wie Totenmagie sonst funktioniert? Nichts auf dieser Welt kann einen toten Menschen wieder lebendig machen. Deshalb ruft man einen Dämon herbei, der das abgestorbene Fleisch zu heilen vermag. Am Ende richtet er dann meist riesige Blutbäder an, Sodom und Gomorrha und der ganze Spaß. Also noch mal, Cian: Was hast du dir nur dabei gedacht? Und jetzt sag mir bitte nicht, du hast dich ohne das geringste Vorwissen an eine Totenbeschwörerin gewandt, die nicht einmal alt genug ist, legal an Alkohol zu kommen. Bisher dachte ich nämlich immer, ich wäre der Unverantwortliche von uns beiden.«

»Nein, du bist derjenige, der seinen besten Freund verraten hat«, sagte Cian ausweichend.

Auf einmal kam er sich furchtbar naiv vor. Zu seiner Verteidigung: Totenbeschwörung stand nicht auf dem üblichen Lehrplan für Magier. Wäre interessant zu erfahren, woher Evan so viel wusste.

»Nimmst du mir das etwa immer noch übel? Mensch, sind wir aber nachtragend.«

»Du hast mich erschossen!«, rief Cian entrüstet und spähte vorsichtig durch das Fenster. Außer einem knochenbleichen Mond war aber nichts zu entdecken. »Und, wo stecken deine Spione? Benutzt du Pixies?«

Evan lachte. Es klang nicht freudig, sondern verbittert. »Glaubst du allen Ernstes, ich werde meine Geheimnisse ausplaudern? Aber wenn ich du wäre, würde ich in dem Haus keine Wurzeln schlagen. Sina hat eine kleine Überraschung für euch parat. Lebe wohl, alter Freund, für den Fall, dass wir uns nicht mehr sehen. – Und richte Kiramäuschen schöne Grüße von mir aus, ja? In dem Lederfummel sieht sie echt heiß aus.«

Cian wollte noch mehr sagen, sich erkundigen, was Sina vorhatte. Und – was noch viel wichtiger war – herausfinden, wie sein bester Freund ihn hatte verraten können. Hatte ihm die gemeinsame Zeit denn nichts bedeutet?

Doch noch bevor er etwas dazu sagen konnte, war die Leitung tot. Zurück blieb bloß ein tiefes Loch in seiner Brust.

Meggie sah ihn fragend an, aber er drückte ihr wortlos das Handy in die Hand. Unzählige Gedanken schossen ihm durch den Kopf, verwirrten und lähmten ihn. Woher hatte Evan Meggies Nummer? Wenn er von Kiras Outfit wusste, konnte er nicht weit sein. Beobachtete er sie schon die ganze Zeit? Hatten sie sich die letzten Tage in falscher Sicherheit gewogen, stets die Gefahr im Nacken? Was sollte dieser Anruf überhaupt? Wieso war Evan nicht einfach weiterhin im Hintergrund geblieben, anstatt sie von seinem Wissen in Kenntnis zu setzen? Abgesehen von Sinas geplantem Angriff hatte er nichts Bedeutsames preisgegeben. Und den zu verraten, machte nicht besonders viel Sinn. Es sei denn … Cian stockte der Atem. Es sei denn, Evan hatte sie warnen wollen!

»Wir müssen fort von hier!«, rief er aus.

»Aber …«, setzte Meggie an, doch da war er bereits an ihr vorbeigerauscht.

Seine Hand fuhr zur Türklinke und war dabei, sie runterzudrücken, als Pookas Stimme wie ein eisiger Windhauch den Raum durchschnitt.

»Es ist bereits zu spät.« Der Deamhan hatte den Kopf schief gelegt, die Augen geschlossen und einen verträumten Ausdruck im Gesicht, als würde er einer Melodie lauschen, die nur für seine Ohren bestimmt war. »Sie ist hier.«

Cian runzelte die Stirn. »Wer?«

»Alte Magie. Alt wie Pooka. Kann sie fühlen. Sehr stark.« Die roten Augen blickten durch das Fenster in die Ferne. Verzückung spiegelte sich darin und ein Schnurren vibrierte in seiner Brust, als hätte er vergessen, dass er die Gestalt eines Marders und nicht die einer Schmusekatze angenommen hatte. Oder als interessierte er sich schlicht und einfach nicht für die Gesetzmäßigkeiten der Natur. »Tod. Feuer. Magie.« Pooka grinste. »Welch Gemetzel. Welch ein Spaß.«

»Pooka, wovon redest du?«

Die uralten Augen nahmen ihn wieder ins Visier. Sie strahlten vor Freude und Erregung. In dem Moment begriff Cian, dass sie in ernsten Schwierigkeiten steckten, wenn Sinas »Überraschung« solche Gefühle im Deamhan hervorrief. Er sah die schaurige Zukunft bereits vor sich. Blut. Terror. Herumfliegende Köpfe. All die Dinge, die Pooka glücklich machten.

Ein ohrenbetäubendes Brüllen durchbrach die Stille.

»Sie ist da!«, rief der Deamhan. Dann verwandelte er sich in einen schwarz gefiederten Falken und stieß sich von der Schulter des Zombies ab.

Ein Kriegsschrei hallte durch den Raum und der Falke stürzte durch das Fenster in die Nacht hinaus. Hinaus zu dem, was dort auf sie lauerte. Der Zombie blickte ihm betrübt hinterher.

Kurz darauf erschütterte ein Beben das ganze Haus.

Cian, was geht hier vor?, fragte Kira.

»Ich habe keine Ahnung.«

Raus hier!

Dann brach die Welt über ihnen zusammen.

Cian roch das Feuer, bevor er den Drachen sah.

Es gibt keine Drachen, war das Erste, was Cian angesichts der riesigen Bestie in den Sinn kam, die ihren Kopf in Meggies Ritualraum gesteckt hatte und die Zähne bleckte. Schwarze Schuppen glänzten im Mondlicht und grüne Augen blickten ihn mit einem für Cians Geschmack viel zu intelligenten Ausdruck an. Der Geruch von Asche und Schwefel lag schwer in der Luft.

Cian keuchte. Ein schrilles Geräusch quälte ihn. Er befürchtete schon, sich einen Hörschaden zugezogen zu haben, als er begriff, dass es Meggies Schreie waren.

»Es gibt keine Drachen«, wiederholte Cian seinen Gedanken.

Das Monster scherte sich nicht darum und schüttelte seinen gewaltigen Kopf von Holzsplittern frei.

Doch, sagte Kira mit zitternder Stimme. Zumindest gab es sie einmal, bis sie ausgestorben sind … So dachte ich jedenfalls.

Mit seinen gewaltigen Pranken hockte der Drache auf verkohlten Balken, die einmal ein Dach getragen hatten. Neugierig blickte er auf sie herunter. Kleine Rauchwölkchen stoben aus seinen Nüstern. Sein Atem brannte auf Cians Wangen.

Der Drache sog die Luft durch seine spitzen Zähne ein. Cian fühlte die Hitze, die sich dort im Maul des Ungeheuers sammelte, bereit, sie alle in einem Meer aus Flammen untergehen zu lassen.

Sirenen heulten irgendwo im Hintergrund. Ein frei in der Luft schwebender Feuerlöscher flog vor dem gewaltigen Drachen auf und ab, als könnte er etwas ausrichten, und es war wohl dieser abstruse Anblick, der Cian endlich aus seiner Starre löste.

Meggie schrie immer noch wie am Spieß und versuchte verzweifelt, einen Schutzschild hochzuziehen. Ohne Erfolg. Das Ritual hatte sie zu sehr geschwächt.

Aller anderen Optionen beraubt, taten sie das einzig Logische: Sie rannten, als wäre eine riesige, Feuer speiende Bestie hinter ihnen her.

Hitze fraß an ihren Fersen und der Geruch versengten Haars kribbelte Cian in der Nase. Mit einer Hand zog er Meggie an sich und mit der anderen stieß er die Tür nach draußen auf.

Der gackernde Zombie fegte an ihnen vorbei und gemeinsam machten sie alle einen weiten Satz nach vorne in die willkommene Kühle der Nacht.

Hinter ihnen ging die Welt im tosenden Feuer unter.

Cians Füße hatten kaum den Asphalt berührt, da wirbelte er auch schon herum und schleuderte dem Ungeheuer einen gewaltigen Energiestoß entgegen. Er setzte all seine Kraft in diesen einen Schlag, fütterte ihn mit so viel Magie, wie er nur in sich sammeln konnte. Noch nie hatte er so viel Magie in so kurzer Zeit aufgesogen und für einen Moment ließ ihn das Gefühl taumeln. Aber das war es wert. Mit einem derartigen Energiestoß könnte er zehn Mammuts auf einmal lahmlegen und mit Sicherheit hätte da dieses dämliche Reptil …

Sein Magieball verpuffte am dicken Schuppenpanzer des Drachen wie ein kleines Rauchwölkchen.

Lass mich ran!, flehte Kira. Du machst ihn mit deinen blöden Attacken doch nur wütend. Ganz zu schweigen von dieser unglaublichen Magieverschwendung.

Gemächlich kletterte das Ungeheuer von den Resten des Daches, den Blick voller Unheil und Schalk.

Der Feuerlöscher alias Pooka gab seinen Kampf gegen das Feuer auf und schlug nun mit seinem blechernen Körper auf den Kopf des Drachen ein.

Und was willst du tun?, fragte Cian Kira in Gedanken. Ihn in den Schlaf singen? Ich glaube nämlich nicht, dass er dir die Zeit lässt, dein Flötchen rauszuholen.

Das Feuerwehrauto, dessen Sirenen sie vernommen hatten, bog endlich um die Ecke. Nach einem kurzen Blick auf den Drachen kehrte es jedoch prompt wieder um.

Feiglinge, dachte Cian und seufzte. Als Zielscheibe eines gefräßigen Drachen wäre er ja auch am liebsten weggerannt, aber ein bisschen Beistand wäre schon nett gewesen.

Die Erde bebte, wo die Pranken des Drachen über den Boden stapften. Für ein so riesiges Wesen war er unglaublich schnell.

Und er kam direkt auf sie zu.

Mach irgendwas!, schrie Kira.

Und was? Mir sind die Zaubertricks ausgegangen.

Typisch Magier! Große Klappe, aber wenn dann mal wirklich ein Feuer speiender Drache versucht, dein Gesicht zu fressen … Cian, pass auf!

Eine Feuersäule raste über seinen Kopf hinweg. Cian spürte, wie die Hitze seine Haut streifte, und warf sich gerade noch rechtzeitig auf den Asphalt. Flammen leckten über ihm und setzten Kiras Haarspitzen in Brand.

Fluchend wälzte sich Cian hin und her, bis das Feuer gelöscht war, dann richtete er sich auf, bereit, dem Ungeheuer erneut gegenüberzutreten.

Sein Mut sank ins Bodenlose, als er den Drachen keine drei Meter von sich entfernt thronen sah. Auf der anderen Straßenseite winkte der Zombie Cian zum Abschied.

Einen Schutzschild über sich ziehend, rannte Cian los. Er flutschte zwischen den baumstammdicken Beinen des Drachen hindurch und hatte das Ende der Schwanzspitze fast erreicht, als der Drache herumwirbelte und eine Flammensäule auf ihn niederspie.

Cian sprang noch im selben Moment ab und warf sich über eine niedrige Gartenmauer. Die Hitze war unerträglich und brannte sich durch Cians Konzentration und Nerven. Trotzdem musste er all seine Sinne beieinanderhalten.

Aus zusammengekniffenen Augen erspähte er den Feuerlöscher vor der Gartenmauer, der jetzt wieder gegen die Flammen ankämpfte.

»Pooka!«, rief er. »Bring meine Leiche in Sicherheit, während ich mich um den Drachen kümmere. Wir treffen uns später wieder hier!«

Der Feuerlöscher fuhr zischend zu ihm herum und Cian begriff, dass der Deamhan nicht auf ihn hören würde. Er würde Kira niemals zurücklassen. Vor allem nicht, wenn er stattdessen die Leiche eines Magiers beschützen sollte.

Die Feuersäule erstarb, während ein enttäuschtes Brüllen über Cians Kopf fegte. Er krallte die Finger in den fein getrimmten Rasen und zog sich zur Seite. Im nächsten Augenblick sauste eine schwarz geschuppte Pranke auf die Mauer und der Beton bröckelte unter dem Gewicht.

Mit bebenden Händen zog sich Cian weiter über den Rasen. Die Finger von der Hitze taub geworden, spürte er die scharfen Spitzen des Rechens erst, als dieser blutige Striemen in seine Haut ratschte.

Rauch waberte über Cians Kopf und er erstarrte. Das Herz schlug ihm bis zur Kehle. Hastig schob Cian den Stab des Rechens unter sich. Er musste verrückt geworden sein, aber ein letzter Blick über die Schulter besiegelte seinen Entschluss.

Der Drache hob den Kopf über die Gartenmauer und starrte Cian triumphierend an. Rauch qualmte aus seinen Nüstern und Flammen leckten zwischen den gebleckten Reißzähnen hervor.

Bevor die Bestie den nächsten Feuerstrahl auf ihn niederspeien konnte, umklammerte Cian den Rechen mit beiden Händen und sandte einen Magiestoß durch das Holz. Erst vibrierte der dünne Holzstab nur, dann aber schoss er mit einem gewaltigen Ruck in die Luft. Mit Armen und Beinen klammerte sich Cian daran fest, richtete die Spitze gen Himmel und sauste immer höher und höher, während sein Magen auf der Erde zurückblieb.

Hinter sich hörte er das wütende Gebrüll des Drachen, gefolgt von dem unheilvollen Geräusch schlagender Schwingen. Cian biss die Zähne fest zusammen und hielt panisch nach einer Fluchtroute Ausschau, aber Dunkelheit und Fahrtwind machten ihn fast blind.

Wind peitschte ihm um die Ohren, während er an Dächern und Baumkronen vorbeiraste. Er blickte nicht zurück, aber das Gebrüll des Drachen wurde zunehmend lauter.

Das Biest kam näher. Hitze strich um Cians Fußsohlen. Er presste den Oberkörper gegen den Holzstab, in der Hoffnung, dadurch an Geschwindigkeit zu gewinnen. Kira sagte nichts, aber ihre Angst durchflutete seinen Geist und vermischte sich dort mit seiner eigenen.

Ein fliegender Rechen im Wettstreit mit einem Drachen – sie hatten nie eine Chance gehabt.

Das brennende Maul in triumphierendem Gebrüll aufgerissen, überwand der Drache die letzten paar Meter zwischen ihnen mit Leichtigkeit. Seine Kiefer schlossen sich um das hintere Ende des Stabes, Holz brach und Cian wurde zurückgerissen. Das Grauen kroch wie Tausende Spinnenbeine über seinen Rücken. Er schrie auf, als eine gewaltige Pranke nach ihm langte, doch der Laut wurde vom Gebrüll des Drachen verschluckt.

Cian dachte nicht nach. Er handelte. Gebete zu all den Göttern sendend, deren Namen er je gehört hatte, schob er seine bebenden Hände in die Zwischenräume der schwarz beschuppten Krallen. Genau dorthin, wo die Schuppen am dünnsten waren und eine heiß glühende Schicht von Haut begann, sandte er den Schockzauber.

Der Drache über ihm schrie vor Schmerz, ein jämmerliches, ohrenbetäubendes Jaulen, das weit über die Grenzen der Stadt hinweghallte. Die Krallen in Cians Brustkorb lösten sich.

Und die Schwerkraft zog ihn in die Tiefe.