Cian trommelte mit den Fingern unruhig auf dem Lenkrad herum. Er war dieselbe Straße gerade zweimal rauf- und runtergefahren, als die sanfte Frauenstimme des Bordcomputers einen Anruf meldete. Cian war nicht überrascht, schnaubte aber trotzdem, als die amerikanische Nummer auf dem Display seine Befürchtungen bestätigte.
Die Wiederauferstehung des einzigen Sohnes bedurfte nicht mehr als einer höflich formulierten E-Mail. Aber wenn er seinen Posten kündigte, hatte sein Vater auf einmal Zeit, ihn anzurufen.
Cian war gereizt genug, den Anruf abzulehnen. Dann schrie er den Bordcomputer doch an, das Gespräch anzunehmen. Augenblicklich erschien das Gesicht seines Vaters auf dem Display. Der Blick eisig und der Mund zu einer dünnen Linie verzogen. Logan Kingsley hatte den Posten des Meistermagiers vor zwei Jahren an seinen Sohn weitergegeben und war nach Amerika ausgewandert, um die Führung von Magic Central Three zu übernehmen, dem zweitgrößten Magic Central der Welt.
Die Aufregung war anfangs groß, ob man wirklich einen so jungen Mann wie Cian zum Meistermagier ernennen konnte. Mit harter Arbeit und Charme war es Cian schließlich gelungen, Magic Central Seven für sich zu gewinnen.
Sein Vater selbst hatte sich stets zufrieden gezeigt. Als Cian nun in Logans zornige Augen blickte, war es das erste Mal, dass dieser seine Entscheidung zu bereuen schien.
»Was denkst du, was du da tust?«, fragte Logan leise und gelassen. Andere hätte der Tonfall vielleicht beruhigt, aber Cian wusste, dass sein Vater am gefährlichsten war, wenn er so sprach.
Logan war nicht mehr als ein digitales Bild auf seinem Bordcomputer und trotzdem fiel es Cian schwer, ihm in die Augen zu sehen.
»Ich habe gekündigt«, sagte er schließlich.
»Was soll das heißen?«
»Ich arbeite nicht mehr für Magic Central Seven. Auch nicht für den Senat.«
Für ein paar Sekunden verschlug es Logan die Sprache. »Du hast viel durchgemacht die letzten Wochen. Ich hätte es wissen sollen, dass du noch zu aufgewühlt bist, um einen kühlen Kopf zu bewahren und klare Entscheidungen zu treffen. Fahr zurück, mach eine Woche Urlaub. Ich bin mir sicher, die Oberhäupter von Magic Central Seven kommen noch eine Weile ohne dich zurecht.«
Cian musste sich schwer zusammenreißen, um nicht zu schreien. »Ich mache keinen Urlaub. Ich habe gekündigt. Hast du nicht zugehört?«
»Diesen Posten kündigt man nicht. Wenn dir der Druck zu groß ist, hättest du das vor zwei Jahren sagen sollen.«
»In der Zwischenzeit ist viel geschehen.«
Logan verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Das hat hoffentlich nichts mit dieser Sidhe zu tun.«
Cian fragte gar nicht, woher sein Vater von Kira wusste. »Und wenn doch?«
»Ich habe dich nie für dumm gehalten, Cian. Du bist ein Magier. Du weißt, dass so was nie funktionieren kann, oder?«
Cian schaltete auf stur. Er war es leid, von allen Seiten zu hören, dass eine Beziehung zwischen ihm und Kira nicht funktionieren konnte. Er war es leid, sein Leben von seinem Vater bestimmt zu sehen. »Ich leg jetzt auf.«
»Das wirst du nicht! Cian! Du kannst nicht …«
Aber Cian hatte die Verbindung schon abgebrochen. Erneut fluchend wies er den Bordcomputer an, keine weiteren Anrufe entgegenzunehmen. Dann stoppte er den Wagen.
Ausnahmsweise einmal war es sein eigenes Fahrzeug – weder gestohlen noch geborgt. Trotzdem konnte er sich nicht recht freuen. Sein Vater hatte ihm den letzten Nerv geraubt und seine Umgebung weigerte sich schlichtweg, sich vor seinen Augen zu verändern.
Den Stützpunkt der Rebellen hatte er zwar größtenteils durch Kiras Augen erlebt, trotzdem sollte er ihn wiedererkennen können. Als er die Straße hier rausgefahren war, war er sich stellenweise sogar sicher gewesen, auf der richtigen Route zu sein. Vieles war ihm bekannt vorgekommen. Doch seit er die schmale Straße durch das Dickicht genommen hatte, war ihm alles fremd. Dabei hätte hier ein Industriegelände stehen sollen. Grüne, saftige Felder erstreckten sich kilometerweit, Bäume wiegten sich sanft im Wind.
Noch nie hatte er den Anblick von Schrott so sehr vermisst.
Cians Faust schlug gegen das Lenkrad, dann drückte er ein paar Knöpfe und verband den Bordcomputer mit dem Netz. Im Gegensatz zu Evan stattete er sich gerne mit der neuesten Technik aus. Eine elektronische Frauenstimme wünschte ihm einen schönen Nachmittag und erkundigte sich nach seinen Wünschen.
»Ich brauche eine Liste sämtlicher Industriegelände in einem Umkreis von zwanzig Kilometern«, sagte er. »An oberster Stelle jene, die nicht mehr in Betrieb sind.« Mal ehrlich, wie konnte man diesen Schnickschnack nicht lieben?
Ein Piepsen verriet die Arbeitsaufnahme des Computers und Cian stieg aus dem Wagen.
Ein lautes Schnauben ließ ihn in der Bewegung erstarren.
»In unseren Reihen wimmelt es von Sidhe und wahren Künstlern der Illusion. Da traust du es uns nicht mal zu, so einfache Daten zu verschleiern?«, fragte Ares und trat hinter einem Baum hervor.
Cian seufzte. Den Werwolf hatte er fast vergessen. Oder verdrängt.
»Hallo, Ares.« Cian drehte sich betont langsam um. Bei Werwölfen musste man vorsichtig sein. »Viel Erfolg hatte ich mir durch diese Methode tatsächlich nicht versprochen, aber man soll ja nie gleich aufgeben.«
Sein Blick schweifte erneut über die Felder und die Bäume. Der Wind bewegte die Grashalme in einem gleichmäßigen Takt. Bei längerer Betrachtung wurde das Bild vor seinen Augen unnatürlich und falsch. Es war zu grün, zu gleichförmig, zu perfekt – wie die Sidhe. Wie konnte ihm das vorher nur entgangen sein?
»Aber anscheinend hat sich das jetzt ja geklärt«, fuhr er fort. »Ich befinde mich direkt im Rebellenlager, oder? Eine sehr eindrucksvolle Illusion. Ich habe nicht das leiseste Zucken von Magie bemerkt.«
Ein wölfisches Grinsen erschien in Ares’ Gesicht. Er hätte nicht glücklicher aussehen können, wenn Cian sich in einem Paket verschnürt und mit einem Apfel im Mund an Ares’ Adresse versandt hätte.
»Das liegt daran, dass Sina und die anderen Sidhe ihre gesamte Magie darauf verwenden, diese Illusion am Leben zu erhalten, während nach anderen potenziellen Lagern gesucht wird. Und genau genommen befindest du dich noch oberhalb des Rebellenlagers«, sagte Ares und ließ die Fingerknöchel knacken. »Aber erwarte nicht, das Innere noch einmal zu sehen. Ich habe gewusst, dass du kommen würdest, Verräter, und ich habe dich sehnlichst erwartet.«
»Spar dir das Geschwafel«, schnaubte Cian. »Wenn du zweimal umgebracht wurdest, haben Morddrohungen nicht mehr denselben Effekt wie früher.«
Ares’ rechtes Auge bekam einen goldenen Schimmer. »Ich werde jetzt nicht sagen, dass ich es kurz und schmerzlos mache. Das hier werde ich genießen. Ich warte schon zu lange darauf, dir den Kopf von den Schultern zu reißen.«
»Ich will deine Fantasien natürlich nicht zerstören, aber im Moment gibt es Wichtigeres zu erledigen.«
Ares’ Eckzähne wurden ein klein wenig länger, während er die Mundwinkel zu einem schauerlichen Grinsen nach oben zog. »Tut mir leid, aber im Moment will mir nichts Wichtigeres einfallen.«
Mit gerunzelter Stirn betrachtete Cian den angriffslustigen Ares und den viel zu geringen Abstand zwischen ihnen. Es waren gerade mal drei, vier Meter. In einem Zweikampf konnte Cian den Werwolf sogar schlagen, aber er war nicht hergefahren, um zu kämpfen.
Er schüttelte den Kopf. »Sie haben Kira.«
Der Werwolf wurde still. »Was?«
Die Hände in den Manteltaschen zu Fäusten geballt, drehte Cian Ares die Schulter zu und blickte über die Straßen und Baumwipfel nach Norden. Er konnte die Türme des Magic Centrals von hier aus zwar nicht sehen, aber in seiner Brust fühlte er immer noch diese Eiseskälte, als würde Eisen sein Innerstes überziehen. Ach, Kira …
»Die Magier haben sie ins Reservat gesperrt«, sagte er leise. »Ich konnte sie nicht dazu überreden, sie wieder gehen zu lassen.«
Im nächsten Moment war der Werwolf schon über ihm. Krallenbesetzte Finger drückten Cian gegen seinen Wagen und piercten sich durch sein Hemd, bis sich rote Punkte darauf bildeten.
»Du Abschaum von einem Magier!« Ares’ Körper bebte vor Verlangen, sich zu verwandeln. »Widerlicher Verräter! Ich wusste, du würdest noch ihr Untergang sein. Sie hätte mich dich töten lassen sollen, als du noch ein mickriger Parasit in ihrem Kopf warst.«
Wütend stieß Cian Ares’ Hände von sich. »Es war nicht meine Schuld. Ich hätte Kira vor Gott und dem Teufel beschützt, wenn sie nur bei mir geblieben wäre. Aber sie ist mir weggelaufen.«
Ares grinste boshaft. »Da hat sie einmal eine weise Entscheidung getroffen.«
Es kostete Cian all seine Selbstbeherrschung, sich nicht einfach in den Kampf zu stürzen, nach dem sie sich beide so sehr sehnten. Ein anderes Mal, besänftigte er seine Blutlust.
»Verdammt, Ares!«, schimpfte Cian. »Ich bin weder hierhergekommen, um euer Nest auffliegen zu lassen, noch um mich mit dir zu prügeln. Kira ist alles, was mich im Moment interessiert.«
Ares’ goldenes Auge verengte sich zu einem Schlitz. »Was willst du damit sagen?«
»Hast du nicht zugehört? Die Magier haben Kira in ihrer Gewalt. Und nichts, was ich sage, lässt sie umdenken. Ich bin hier, weil ich eure Hilfe brauche, du Idiot von einem Riesenköter.«
Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, war Ares absolut sprachlos.
»Danke«, sagte Cian, als sie durch den Eingang am Fuß der Eiche in das unterirdische Tunnelsystem kletterten.
Sinas Illusionszauber endete hier. Wurzeln, so dick wie die Arme eines Riesen, wanden sich die braunen Wände entlang und gruben sich tief in die Erde. Genau wie Cian es in Erinnerung hatte.
Nur das warme magische Licht fehlte, das zuvor jeden Zentimeter des Lagers beleuchtet hatte. Vereinzelt säumten Fackeln den Weg, aber es war dennoch so dunkel, dass Cian ein Licht an die Spitze seines Zeigefingers zaubern musste, um nicht über seine eigenen Füße zu stolpern.
Und es war ruhig. Ruhiger, als er es in Erinnerung hatte. Es herrschte eine angespannte Stille.
»Sina verwendet fast all ihre Magie für den Illusionszauber«, erklärte Ares, als er Cians fragenden Blick bemerkte. »Der dramatische Schnickschnack, den sie sonst so liebt, bleibt da auf der Strecke. Und danke mir nicht zu früh. An den Wachen habe ich dich heil vorbeischleusen können, aber ich kann nicht versprechen, dass Sina uns nicht beide töten wird, sobald du einen Schritt in ihre Gemächer machst.«
»Das Risiko werde ich eingehen müssen.«
»Außerdem tue ich das nicht für dich«, brummte Ares. »Ich brauche Kira.«
Cian schluckte die scharfe Bemerkung hinunter, die ihm auf der Zunge lag. Sobald Kira gerettet war, konnte er sich immer noch mit dem Werwolf prügeln.
Das letzte Wegstück legten sie in grimmigem Schweigen zurück. Cian hatte erwartet, Ares würde ihn zu dem großen Saal führen, in dem er Sina sonst immer begegnet war, und war überrascht, als sie eine ihm unbekannte Abzweigung nahmen. Der letzte Tunnel war eng und unbeleuchtet und ließ Cian mehr als einmal straucheln. Als sie ihr Ziel endlich erreicht hatten, atmete Cian erleichtert auf. Eine wie regenbogenfarbenes Glas schimmernde Doppeltür ragte vor ihnen auf. Reich geschmückt und mit den Symbolen der Sidhe versehen, passte sie mehr an die Fassade eines Märchenschlosses als in die dunklen Gänge des Rebellenlagers. Noch bevor Cian gegen die Türe stieß und kalten Stein berührte, wusste er, dass es eine Illusion war.
Energisch zog Ares ihn zurück und schob sich vor ihn. Cian sah ein, dass es in dieser Situation das Beste war, den Werwolf vorgehen zu lassen. Trotzdem nagte das Verlangen an ihm, nach Ares zu treten, während dieser die Tür aufschob und eintrat. Der Werwolf brachte immer das Schlimmste in ihm zum Vorschein.
Ihrer Begrüßung folgte ein Schrei.
Zwei Vampire hatten Cian bei den Armen gepackt, kaum dass er die Schwelle überschritten hatte, und bleckten ihr giftiges Gebiss in seine Richtung. Ares knurrte, Cian fluchte und irgendwo hörte er den überraschten Ausruf eines alten Freundes.
»Evan, was …?«, fragte Cian, bevor einer der Vampire ihm in den Bauch boxte.
»Cian?«
»Ares!«, kreischte Sina.
»Er kommt in Frieden. Alles in Ordnung«, sagte der Werwolf und trat vorsichtig auf die bebende Sidhekönigin zu.
»In Frieden?« Sina lag wie eine leblose Puppe in einem Sessel. Nur ihr Kopf bewegte sich, während ihr Körper reglos verharrte. Das Gesicht war schon immer blass gewesen, doch früher hatte es die Schönheit einer Porzellanfigur besessen. Jetzt glich es einer Toten. »Willst du damit sagen, du hast ihn hierhergeführt? Zu mir? In meinem Zustand?«
Evan, der zuvor wie eine Säule in einer Ecke des Raums gestanden hatte, erwachte aus seiner Starre und eilte an die Seite seiner Herrin, um ihr einen Schluck Wasser aus einer gläsernen Karaffe anzubieten.
Sina schlug Evan beiseite, als wäre er ein lästiges Insekt. Der kalte Ausdruck in ihrem Gesicht brachte Cians Blut zum Kochen.
»Es geht um Kira«, sagte Ares und zeigte den Vampiren seine scharfen Zähne. »Lasst ihn sprechen.«
»Den Teufel werdet ihr tun!«, blaffte Sina. »Tötet den Magier!«
Die Vampire grinsten triumphierend. Das Weiß ihrer Zähne blitzte unheimlich auf, während sich Cian vergebens in ihrem Griff wand.
Ihre tote Magie waberte wie ein öliger Schleier um seine Sinne und es zuckte in Cians Fingern, danach zu greifen. Er musste die Kiefer aufeinanderpressen, um sich zu beherrschen.
»Krümmt dem Magier ein Haar und ich reiß euch die fauligen Kehlen aus den Leibern«, knurrte Ares warnend und überwand den letzten Meter zwischen sich und der Sidhekönigin.
Cian hätte es nicht für möglich gehalten, aber Sinas Gesicht verlor noch den letzten Rest an Farbe. Ihr goldenes Haar nahm den Ton von weißer Asche an. Umgeben von schneeweißer Haut, wirkte das Violett ihrer Augen geradezu gespenstisch.
Evans Glieder spannten sich an.
Während sich die Hände der Vampire über seinen Schultern verkrampften, warf Cian seinem Freund einen warnenden Blick zu.
Evans Lippen öffneten sich wie zu einer Frage, aber es kam kein Ton hervor. Kopfschüttelnd trat er einen Schritt von seiner Herrin zurück.
»Dass du es wagst!«, zischte Sina, während sie Ares mit ihrem Blick niederzuringen versuchte. »Das ist mein Reich! Alles gehorcht meinem Befehl!«
Ares blieb gelassen. »Wir haben dir gehorcht, weil uns das Bündnis mit dir dazu verpflichtete. Im Kampf gegen die Magier haben wir dich zu unserer Anführerin gemacht. Aber dein Reich zerfällt zu Staub, Sina. Und das seit dem ersten Tag. Seit du deinen geschmückten, nutzlosen Thron bestiegen hast.«
Sina zitterte so stark, dass Cian jeden Moment damit rechnete, dass ihre porzellangleiche Haut Risse bildete.
»Deine Angst vor den Magiern hat uns schwach gemacht«, sagte Ares erbarmungslos. »Wie niederes Getier haben wir uns im Erdboden verkrochen und auf den Untergang gewartet.«
»Die Magier«, flüsterte Sina matt und ihr Blick flog an Cian vorbei zur gläsernen Tür, als erwartete sie, gleich eine Armee durch sie hindurchmarschieren zu sehen. »Sie werden kommen. Er hat sie hierhergeführt.«
»Lass mich mit ihr sprechen«, bat Cian Ares.
Der Werwolf nickte zustimmend, dann bedeutete er den Vampiren mit einer Kopfbewegung, ihn loszulassen. Die toten Gestalten rührten sich nicht vom Fleck. Unsicher blickten sie zu ihrer Führerin hinauf.
»Na los!«, brüllte Ares.
Da erst lösten sich die unnatürlich kalten Hände von Cians Schultern. Ein eisiger Schauer lief ihm den Rücken hinunter, als sie ihn in Richtung Sina stießen. Er stolperte, fing sich gerade noch rechtzeitig und stellte sich vor Sina auf.
Evan gluckste amüsiert und ließ sich im Schneidersitz auf den Boden plumpsen. Mit den Händen durchwühlte er die Taschen seiner zerschlissenen Jeans nach einem Feuerzeug, mit dem er dann die Zigarette in seinem Mundwinkel anzündete.
Cian fragte sich, ob Sina Evan den Einsatz von Magie verboten hatte, denn er hatte ihn noch nie ein Feuerzeug benutzen sehen.
»Die Magier werden nicht kommen«, sagte Cian und versuchte, Sinas hektischen Blick einzufangen. »Ich habe niemandem von dem Lager erzählt.«
»Lügner!«, kreischte sie. »Verräter!«
Bevor Cian wusste, was er tat, ging er neben Sina in die Hocke und griff nach ihren bleichen Fingern. Die Sidhe wurde so still und unbeweglich wie Glas.
»Ich bin hierhergekommen, um ein Bündnis zu schließen. Ihr Sidhe mögt doch Bündnisse, nicht wahr?«
Sinas Augen rollten in ihren Höhlen hin und her. Cian konnte das wilde Zucken ihrer Magie in ihren Fingerspitzen fühlen. Der Zauber, den sie aufrechterhielt, beanspruchte wirklich all ihre Kraft.
»Du bist ein Magier«, stöhnte sie. »Man kann euch nicht trauen.«
»Sie haben Kira in das Reservat hinterm Magic Central Seven gesperrt. Ich muss sie da rausholen, aber ich schaffe es nicht allein.«
»Du willst unsere Hilfe?« Sina gackerte. »Wenigstens ist die Kleine hinter Gittern. Wenigstens das hat funktioniert.«
Cians Hand verkrampfte sich über Sinas Fingern. »Seien Sie doch nicht dumm! Kira will Ihren Thron doch gar nicht.« Sein Blick wanderte kurz zu Ares hinüber. »Den hat sie nie gewollt. Sie will nur frei sein, genauso wie es der Rest von euch will. Und ich bin der Einzige, der euch helfen kann.«
Sinas Finger krallten sich so plötzlich um seine Hand, dass Cian zusammenfuhr. »Helfen? Wie?«
»Ich bin ein Magier – und nicht irgendeiner. Zwar nicht mehr Meistermagier, aber ich habe immer noch Einfluss. Ich könnte das Sprachrohr sein, das euer Volk nie hatte. Ich könnte Verständnis schaffen, wo früher nie welches war. Und auch Kira könnte euch eine wertvolle Verbündete sein.« Cian sog tief die Luft ein. »Helft mir, Kira zu befreien. Dann werde ich mich für die Rechte der Paranormalen starkmachen. Ich schwör’s.«
Evan erstickte beinahe an seiner Zigarette und Cian fühlte, wie seine Ohren heiß wurden. Für die Rechte der Paranormalen. Wo war das auf einmal hergekommen?
Sina ließ seine Hand fallen. Und seufzte dramatisch. »Du bist ein Magier. Dein Wort zählt nicht viel in unserer Welt.«
Cian ließ nicht locker. »Das mag sein, aber ich bin hierhergekommen. Ich habe mich euch ausgeliefert und niemandem von eurem Versteck erzählt. Ist das kein Vertrauensbeweis?«
»Das stimmt«, meldete sich Evan zu Wort. »Ich überwache immer noch die Kanäle der Magier, die sie noch nicht umgeschaltet haben. Wenn eine Armee hierher unterwegs wäre, wüsste ich davon.«
Cian lächelte ihn dankbar an. Evan lächelte zurück.
Trotz dieser Neuigkeit schüttelte Sina den Kopf. »Ich kann nicht. Das Reservat … das Eisen …«
Dennoch sah Cian einen schwachen Hoffnungsschimmer in ihrem Blick und daran klammerte er sich fest. »Ich war nicht umsonst jahrelang Meistermagier von Magic Central Seven. Ich kenne das Reservat und seine Schwächen.« Sein Herz hämmerte vor Aufregung. »Durch den Vordereingang könnte ich nie eine Reihe paranormaler Krieger durchschmuggeln und die Eisenmauern drumherum sind zu dick, um sie zu durchbrechen. Aber das Dach ist nur ein Maschennetz aus Eisen. Stark genug, um Sidhe und Werwölfe abzuhalten, aber nicht stark genug, einem großen Widerstand standzuhalten.«
»Vielleicht lässt es sich aus der Verankerung reißen«, schlug Ares vor. Damit waren sie bei seinem Lieblingsthema angekommen – der Kriegsvorbereitung. »Oder durch große Hitze schmelzen.«
Cian schnaubte. »Das will ich sehen, wie du einen so großen Ofen unbemerkt aufs Dach des Reservats hinaufschaffst.«
Ares ließ seine Reißzähne aufblitzen. »Ich versuche doch nur zu helfen, Magier.«
»Still! Beide!«, befahl Sina, dann drehte sie ihr Gesicht in Cians Richtung. »Wenn ich dir helfe, wirst du dich an dein Wort halten? Du wirst dafür sorgen, dass die Jagd auf unser Volk endet?«
Nun schüttelte Cian den Kopf. »Letzteres kann ich nicht versprechen. Ich kann mich bei den Magiern und den Menschen für euch einsetzen, aber ob sich dann etwas ändern wird, liegt nicht in meiner Hand.«
Der Hoffnungsschimmer in Sinas Augen erlosch.
Cian beeilte sich, seine Argumente neu zu ordnen. »Es muss viel geändert werden. Ihr müsst euch ändern, ebenso wie wir.«
»Wir sind alt, Magier, manche von uns so alt wie die Erde selbst. Wir ändern uns nicht mehr.«
»Ihr müsst es versuchen oder ihr werdet untergehen. Ich kann nichts tun, wenn ihr Menschen überfallt und zu euren Sklaven macht, und ich werde auch nichts tun.« Cian sah zu Evan hinüber, der still dasaß und Rauchkringel in die Luft pustete. Er schien ihnen nicht mehr zuzuhören. »Das ist eine meiner Bedingungen. Lasst Evan frei. Er ist mein Freund.«
Freund. Das Wort kam ihm wie Blei über die Lippen und dennoch entsprach es der Wahrheit. Evan war immer noch sein Freund, sonst hätte Cian ihn nicht vor Max und den anderen Magiern gerettet.
»Na schön«, sagte Sina mit einem undurchsichtigen Lächeln auf den Lippen. Sie gewann wieder an Farbe. Ob sie den Illusionszauber langsam aufhob? »Du kannst den Magier haben. Er nützt mir nicht mehr viel, seit ihr ihn verstoßen habt.«
Evan hustete. Anscheinend hatte er ihr Gespräch doch mitverfolgt.
»Und Kira?«, hakte Cian nach. »Ihr werdet mir helfen, sie zu befreien und sie danach auch nicht weiter verfolgen?«
»Ja, ja«, winkte Sina ab und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Ich helfe dir. Nimm dir die Leute, die du brauchst.« Ein Runzeln erschien auf ihrer unnatürlich perfekten Stirn. »Ich weiß nichts von einem riesigen Ofen, aber ich hätte immer noch diesen Drachen.«