57. KAPITEL
Las Vegas, Nevada
Maggie machte ihrem Ärger Luft, als beide aus ihrer Nische in dem Familienrestaurant heraus den Sonnenuntergang über dem Las Vegas Strip betrachteten.
“Ich weiß einfach, dass sie bei Truck Land wegen Jake lügen.”
“Dixon hat viel zu verbergen”, stimmte Graham zu.
“Wie können Sie dann einfach aufgeben?”
“Maggie, ich habe das alles erklärt, bevor wir Los Angeles verließen.”
“Nein, sagen Sie es mir. Nachdem wir so weit gekommen sind, so nah dran sind, wie können Sie da aufgeben?”
Graham setzte die Kaffeetasse ab und blickte auf ihre Flugtickets für morgen. Ihres nach Kalifornien, seines nach Calgary.
“Ich gebe nicht auf. Ich befinde mich außerhalb meines Zuständigkeitsbereichs. Seit wir bei Dixon abgefahren sind, hat mich mein Vorgesetzter zweimal angerufen und mich nach Hause beordert. Ich bin nicht sicher, ob ich den Job überhaupt noch habe.”
“Erklären Sie ihm, wie unsere Fälle miteinander in Verbindung stehen.”
“Es ist kompliziert. Hören Sie, niemand ignoriert Ihre Spur zu Jake. Ich sagte Ihnen ja, dass ich eine Stunde bei Casta von der Las Vegas Metro saß, danach sprach ich mit dem FBI und auch mit Vic Thompson. Sie können einen Durchsuchungsbefehl für sämtliche Unterlagen von Dixon erwirken. Für ihn wird das dann erst der Anfang sein.”
“Das kann Wochen dauern. Es hat keine Priorität für sie. Und ich wette, Dixon ist gut darin, Dinge zu verbergen.”
Graham antwortete nicht.
Frustration und Müdigkeit hatten sich ihrer bemächtigt und die beiden ausgelaugt. Sie verließen das Restaurant und fuhren zum Motel. Maggie betrachtete die prächtigen Hotelfassaden am Strip, die in der Dämmerung glitzerten.
“Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?”, sagte sie.
“Sicher.”
“Auch, wenn Sie nicht darüber sprechen wollen?”
“Sie dürfen fragen.”
“Wie ist Ihre Frau gestorben?”
Graham brauchte ein paar Sekunden und starrte dabei stur geradeaus.
“Bei einem Autounfall.”
Zwischen ihren Zimmern im obersten Stock des Motels lagen noch einige andere Räume.
Sie hatten freien Blick auf den Pool und die Spring Mountains in der Ferne.
In Grahams Zimmer lief im Hintergrund leise CNN, während er an seinem Laptop saß. Der Besuch des Papstes in den USA dominierte die Nachrichtensendungen.
Graham las noch einmal seine Notizen zum Fall. Er war nicht bereit, Tarver fallen zu lassen.
Das war die Wahrheit.
Doch Stotter hatte ihm den ausdrücklichen Befehl zur Rückkehr gegeben.
Graham prüfte seine E-Mails. Tarvers Autopsie-Ergebnis stand noch immer aus. Arnie Danton, der Blutexperte, schickte ihm den neuesten Stand.
Dan, angesichts der Tatsache, dass dieser Fall als abgeschlossen gilt, habe ich Schwierigkeiten, von meinem Boss grünes Licht zu bekommen. Ich arbeite daran. Vielleicht morgen oder übermorgen.
Graham schaltete den Laptop aus und stellte sich den Wecker so, dass genug Zeit blieb, um vor dem Abflug den Mietwagen abzugeben. Während einer CNN-Expertenrunde zur Sicherheit des Papstes vor terroristischen Angriffen schlief er ein.
“Sie wissen doch, Brent, da gab es diese beängstigende Verschwörung gegen Johannes Paul II. in Manila, die beinahe …”
Ein paar Türen weiter stieg Maggie in ein heißes Bad. Sie starrte auf das Handy am Wannenrand und begann zu weinen.
Sie war so müde, dass sie im Wasser zitterte.
So musste sich die Hölle anfühlen. Sie musste gestorben und zur ewigen Verdammnis verurteilt worden sein. Da kam sie Logan, Jake und der Wahrheit so nahe, nur um herauszufinden, dass sie sich doch nur etwas vorgemacht hatte.
Alles eine Lüge.
Sie würde sie nie wiedersehen.
Sie schloss die Augen, und für einen Moment tollte sie mit Logan und Jake an einem warmen Strand herum, bis das kalt gewordene Badewasser sie weckte.
Maggie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte.
Nachdem sie sich etwas später mit müden Gliedern fürs Bett zurechtgemacht hatte, wollte sie noch rasch ihre Unterlagen aktualisieren. Sie hatte den Ordner in den Nachttisch rechts von ihrem Bett unter die Hausbibel gelegt, bevor sie beide zum Desert Truck Land fuhren.
Doch als sie die Schublade öffnete, war der Ordner nicht mehr da.
Merkwürdig. Sie konnte sich genau daran erinnern, dass sie ihn unter die Bibel geschoben hatte.
Maggie sah in den Nachttisch links von ihrem Bett.
Tatsächlich, der Ordner lag dort.
Komisch. Wie hatte er die Seiten wechseln können? Hier hatte sie ihn nicht deponiert. Vielleicht war es ja das Zimmermädchen gewesen. Maggie nahm den Telefonhörer und fragte bei der Rezeption nach.
“Nein, Ma’am. Heute ist niemand in Ihrem Zimmer gewesen. Erst nach dem Auschecken wird bei Ihnen gereinigt.”
Maggie war verwirrt. Seltsam. Vielleicht hatte sie ja doch die Papiere dorthin gelegt und erinnerte sich bloß nicht daran.
Sie überprüfte die Tür, das Schloss, den Riegel und die Kette und ging dann ins Bett.
Als sie einschlief, versuchte sie, ihren Strandtraum heraufzubeschwören.
Einen Block weiter parkte ein Chevy Impala mit getönten Scheiben inmitten Hunderter anderer Fahrzeuge auf einem öffentlichen Parkplatz. Von hier aus hatte man mit dem Fernglas den besten Blick auf das Motel. Während einer der Männer auf der Rückbank schnarchte, hielt der andere Wache und beobachtete die Außentüren von Maggies und Grahams Zimmern.
Zu jeder vollen Stunde schrieb er einen aktuellen Bericht in sein Laptop und schickte ihn per E-Mail an seinen Onkel nach Addis Abeba.