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HAMBURG

Lina lag gefesselt und geknebelt auf einer stinkenden Matratze, ohne Bezug und ohne Decke. Die Feuchtigkeit sickerte wie durch ein Schwamm in jede Pore und drang bis zu ihren Knochen. Ihr war schrecklich kalt. Ihr Haar fühlte sich seltsam an, als wäre es zusammengeklebt. Schwärze umgab sie, sodass sie die eigene Hand vor Augen nicht erkennen konnte. Wo war sie? Wie war sie überhaupt hierher gekommen? Sie dachte angestrengt nach, was passiert war.

Sie stand unter Dusche, als es an der Tür klingelte. Sie hatte gedacht, Sam sei zurückgekommen und würde sie vielleicht mit frischen Brötchen überraschen. Aber es war nicht Sam gewesen, sondern ein Mann mit einer Mütze über dem Gesicht. Ohne etwas zu sagen, hatte er sie überwältigt und niedergeschlagen. Und dann? Sie wusste nichts mehr. Wo hatte er sie hingebracht? Und wie viel Zeit war seitdem vergangen? Fragen über Fragen, die sie nicht beantworten konnte. Sie versuchte, sich vom Bauch auf den Rücken zu drehen. Ein schwieriges Unterfangen wie sich herausstelle, denn ihre Beine waren am Bettgestell festgebunden. Sie blieb also auf dem Bauch liegen und atmete den modrigen, leicht säuerlichen Geruch ein, den die Matratze verströmte. Es roch nach menschlichen Ausdünstungen. Ich bin nicht die Erste, die hier auf diesem Bett liegt, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Ein Gefühl der Panik überkam sie. Wie ein Rauschen in ihren Ohren hörte sie das Wort Gefahr. Wer hatte es zu ihr gesagt? Nein, sie hatte es geschrieben. Du bist in Gefahr, hatte sie in der Praxis auf das Blatt Papier geschrieben. Bezog sich das etwa auf Doktor Ritter. Ihr fiel sein seltsames Verhalten, seine Blicke ein. War er ihr Entführer? Ein Psychopath wie Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“?

In Gedanken flehte sie ihre Schutzengel an, zu ihr zu sprechen, sich zu zeigen und den Raum zu erhellen. Aber es passierte nichts. Keiner sprach zu ihr, und es wurde auch nicht Licht in ihrem Verlies. Inzwischen hatten sich ihre Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnte einen Schatten in der Ecke ausmachen. Die Umrisse eines Stuhls. Wozu stand dort ein einzelner Stuhl ohne Tisch? Vielleicht, weil man von der Ecke den ganzen Raum beobachten konnte? Aber dort saß niemand.

Wieder atmete sie den ekelhaften Geruch der Matratze ein. Ihr wurde schlecht. Sie schluckte die Übelkeit herunter und atmete langsam tief ein und aus. Ruhig bleiben, war das Einzige, was sie jetzt weiterbrachte. Sie schloss die Augen und versuchte zu schlafen. So konnte sie in eine andere Welt tauchen und dieser hier entfliehen. Und wenn sie aufwachte, war vielleicht alles nur ein böser Traum gewesen und sie lag zu Hause in ihrem Bett.

Gottesopfer: Thriller
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