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Noch während Jason versuchte auf den glitschigen Stufen Halt zu finden, hörte er den ohrenbetäubenden Donner. Das blendend weiße Licht des Blitzes erhellte Salton Cliff. Dann begann er zu fallen.

Als er an der Klippe hinabglitt, fühlte es sich so an, als würde jemand eine Käsereibe über seine nackte Brust ziehen. Jasons Hände suchten im Stein nach Halt und fanden endlich einen Spalt. Seine Finger klammerten sich an dessen Rändern fest und sein Sturz war zu Ende. Nun hing er im Leeren, mit den Händen an einen Felsspalt gekrallt.

Julia und Rick liefen zu der Stelle, an der Jason abgestürzt war.

Erleichtert stellte Julia fest, dass ihr Bruder lebte. »Jason, kannst du dich noch halten?«

Die Antwort auf ihre Frage war ein erstickt klingender Laut.

»Wir müssen ihn irgendwie hochziehen!«, rief sie schluchzend und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht.

»Ja!«, schrie Rick. »Hilf mir, die Handtücher zusammenzuknoten.«

Julia griff automatisch nach Jasons auf den Stufen liegen gebliebenem Handtuch und reichte es Rick. Er band seins mit einem Seemannsknoten, den er von seinem Vater gelernt hatte, mit den beiden anderen zusammen.

»Gleich, Jason, wir haben es gleich geschafft! Lass bloß nicht los. Wir helfen dir!«, brüllte Julia und ließ ihren Bruder nicht aus den Augen.

Jason sagte irgendetwas, doch der Donner übertönte seine Worte.

»Was hast du gesagt? Halt durch! Wir kommen dich holen!«

»... as ... omisches«, rief Jason, der wie eine Napfschnecke am Fels hing.

Rick beugte sich vor und warf das eine Ende seines Seils aus drei miteinander verknoteten Handtüchern hinunter. Dann stemmte er sich gegen die Felswand und rief: »Halt dich daran fest!«

Julia traute sich nicht, ihn zu fragen, ob diese Konstruktion halten würden.

Obwohl er mitten in einem Unwetter in zwanzig Metern Höhe über dem Meer in den Klippen hing, fühlte sich Jason erstaunlich gelassen und klar im Kopf. Er wusste genau, was er zu tun hatte.

Zunächst war es ihm gelungen, zwei Nischen zu finden, in die er die Zehen stecken konnte. Dann richtete er sich etwas auf und entspannte die Arme. Seine Füße hatten so stabilen Halt, dass seine Hände entlastet waren. Nun fühlte er sich sicherer und wagte nach oben zu schauen. Er sah seine Schwester, die irgendetwas Unverständliches rief. Er war davon überzeugt, dass es ihm gelingen würde, ganz alleine wieder zur Treppe zurückzuklettern, wenn er sich nur ruhig und überlegt genug bewegte und die richtigen Vorsprünge und Spalten fand.

Ja, die Spalte ... Als er sie sich etwas genauer ansah, merkte Jason, dass sie nicht einfach nur eine Felsspalte war. Eher war sie so etwas wie eine Öffnung, so klein, dass vielleicht gerade eine Möwe hindurchpasste, aber regelmäßig und quadratisch, als wäre sie von einem Menschen in die Klippe gehauen worden. Und sie war tief, wie eine Mauernische.

»Hier ist was Komisches«, rief er zu den beiden anderen hinauf.

Er hielt sich mit der einen Hand fest und tastete mit der anderen die Öffnung ab. Dabei stieß er auf Stein, Stein und noch mehr Stein. Dann aber glitten seine Finger über eine brüchige Oberfläche und schlossen sich um etwas Weiches.

Jason streckte sich nach vorne, um einen Blick darauf werfen zu können, und hatte einen Augenblick lang den Eindruck, als wäre hinter der Nische ein Raum.

Ein Raum?

Rasch zog er die Hand zurück und nahm seinen Fund in Augenschein. Er hatte die Größe eines kleinen Ziegelsteins und war in Stoff eingewickelt.

Plötzlich streifte das Handtuch seine Wange. Jason erschrak so sehr, dass er den merkwürdig aussehenden Gegenstand beinahe losgelassen hätte.

»Nimm das!«, rief Rick einige Meter über ihm. Er hielt das andere Ende des provisorischen Seils. Jason steckte sich den seltsamen Gegenstand in die Badehose, packte das Handtuchende und begann zu klettern.

Der Aufstieg dauerte nur wenige Augenblicke, die Julia jedoch wie Stunden vorkamen.

Als Rick Jason am Arm gefasst und ihn das letzte Stück hinaufgezogen hatte, wurde sie vor Erleichterung beinahe ohnmächtig. »Geht es dir gut?«, fragte sie mit zittriger Stimme.

Jasons Brust war zerkratzt und abgeschürft. »Ja, klar«, sagte er, ohne sich um seine Verletzungen zu kümmern. »Seht mal, was ich gerade gefunden habe!« Er zog den eigenartigen Gegenstand aus seiner Badehose.

Am Horizont schlug ein Blitz im Wasser ein.

»Was ist das?«, schrie Rick, um den prasselnden Regen zu übertönen.

»Keine Ahnung!«, brüllte Jason zurück. »Sieht seltsam aus, nicht?«

Julia spürte Wut in sich aufsteigen. Nach diesen furchtbaren Momenten, in denen sie gedacht hatte, Jason würde gleich abstürzen und auf den Felsen zerschellen, stand er einfach da, als wäre nichts gewesen. »Entschuldige bitte«, schrie sie ihn an, »entschuldige bitte, dass wir uns deinetwegen solche Sorgen gemacht haben. Wir wussten nicht, dass du ja nur dieses ... dieses Dingsda holen wolltest!« Dann rannte sie wutschnaubend die Stufen zur Villa hinauf.

»Was hat sie bloß auf einmal?«, fragte Jason.

Rick legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Sie ist froh, dass dir nichts passiert ist, abgesehen von all den Kratzern da.«

»Was für Kratzer?« Jason sah jetzt erst an sich hinunter und musste schlucken. »Donnerwetter!«, rief er und fühlte, wie er weiche Knie bekam. »Wo habe ich die denn her?«

Rick schlug vor nach Hause zurückzukehren, um die Verletzungen dort zu verarzten. Sie stiegen sehr vorsichtig die Treppe hoch.

Oben riet Rick Jason, die Abschürfungen hinter den Handtüchern zu verstecken. »Wenn Nestor merkt, was passiert ist«, flüsterte er, »lässt er uns nie wieder zum Baden in die Bucht.«

Jason nickte. Sein Freund hatte vollkommen recht.