2.
Hallo, da bin ich.« Er sagte dieselben Worte wie in der Nacht im Kaiserhof, als er vor ihrer Tür stand. Allerdings sah er vollkommen anders aus. Müde. Abgespannt. Genauer gesagt: alt, richtig alt! Und unglaublich nervös, sein Blick sprang hektisch zwischen ihr und dem Fußboden hin und her, mit der rechten Hand umkrampfte er den Hals einer Rotweinflasche, als wolle er sich daran festhalten, sein Atem ging noch schwerer als damals in dem Münchner Hotel. Ach Gott, schoss es ihr durch den Kopf, ohne, dass sie den Gedanken verhindern konnte, hoffentlich werde ich den schnell wieder los! Sie hatte sich auf ihn gefreut, richtig gefreut. Aber jetzt, als er tatsächlich da war, stieg die Angst wieder in ihr hoch, und sie hätte ihn am liebsten sofort wieder weggeschickt. Doch natürlich sagte sie freundlich »Guten Abend«, Bussi links, Bussi rechts, bat ihn herein und stellte, kaum, dass er durch die Tür war, fest: »Ich trinke keinen Rotwein.«
»Oh«, sagte er und wirkte mit einem Schlag noch unsicherer, dafür aber auch gleich wieder um zwanzig Jahre jünger, »das tut mir leid, das wusste ich nicht.«
»Macht ja nichts«, erwiderte sie und kam sich dabei ähnlich bescheuert vor, als hätte sie wieder nur Unterwäsche an. Was für eine Begrüßung! Wenn er jetzt sofort auf dem Absatz wieder kehrtmachte – es würde sie nicht wundern. Aber wie schon beim ersten Mal, als sie sich in seiner Gegenwart einfach schlafen gelegt hatte, nahm er auch jetzt diese Unverschämtheit hin, als hätte er sie überhaupt nicht bemerkt, und folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sie ihm einen Platz auf dem Sofa anbot. Er setzte sich und stellte die Flasche mit dem Wein, den sie nicht trank, vor sich auf dem Couchtisch ab. Da saß er, blickte ein bisschen bedröppelt drein, wie ein kleiner Junge oder jemand, der aus Versehen am falschen Abend einer Einladung gefolgt ist. Und so fühlte es sich ja auch an, wie ein falscher Abend. Mit dem falschen Menschen am falschen Ort.
»Ich hole Gläser«, sagte sie.
»Ich denke, du trinkst keinen Rotwein.«
»Heute mache ich eine Ausnahme.« Und das würde sie auch, dachte sie, während sie in die Küche ging, um Gläser und einen Korkenzieher zu holen. Eine Ausnahme machen und Rotwein trinken, möglichst viel davon, so viel, bis sie vielleicht nicht mehr merkte, dass da ein fremder, alter Mann auf ihrem Sofa saß und sich vermutlich trotz ihrer Vorwarnung, dass sie nicht mit ihm schlafen würde, von diesem Abend sonst was versprach.
»Scheiße«, fluchte sie leise, während sie in einer der Küchenschubladen nach dem Öffner suchte. »Warum hast du dich darauf eingelassen? Warum hast du nicht darauf bestanden, dass er bleibt, wo er ist? Wie willst du diese Kuh hier vom Eis kriegen?«
»Danke«, sagt er, nachdem sie ihm den Korkenzieher reichte, die Gläser auf dem Tisch abstellte und mit einem gewissen Sicherheitsabstand zu ihm ebenfalls auf dem Sofa Platz nahm. Schweigend öffnete Philipp die Flasche, schenkte ihnen ein, sie stießen miteinander an und nahmen dann beide einen Schluck, ohne sich dabei anzusehen. Sie unterdrückte ein leichtes Schaudern, als sie den Rotwein auf ihrer Zunge spürte, der Geschmack der Bitterstoffe war ihr schon immer verhasst gewesen. Egal, sie nahm gleich noch einen Schluck und hoffte, dass der Alkohol schnell seine Wirkung tat.
»Tja«, sagte er.
»Tja«, wiederholte sie. Wieder tranken beide von ihrem Wein, jeder noch immer den Blick auf den Tisch gerichtet. Da war noch etwas anderes als der Rotwein, was ihr nicht schmeckte. Abgesehen von der Gesamtsituation, die ihr mehr als unangenehm war, nahm sie plötzlich einen deutlichen Schweißgeruch wahr. Unauffällig schnupperte sie an sich selbst. Nein, von ihr kam das nicht, es war eindeutig der fremde Mann auf ihrem Sofa, der ein wenig müffelte. Auch das noch!
»Ist was?«, fragte er, als hätte er ihre Irritation bemerkt.
»Ja, ähm«, stotterte sie. »Also … Ich glaube, Sie haben transpiriert, Herr Andersen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, kurz zu duschen?« Okay, jetzt geht er, dachte sie, als er sich sofort und mit einem schiefen Grinsen erhob.
»Kein Problem. Aber dann muss ich kurz von unten meinen Koffer holen, sonst habe ich nichts zum Wechseln.«
Sie begleitete ihn zur Tür, und während sie darauf wartete, dass Philipp wieder hochkommen würde, musste sie fast kichern. Der Typ hatte wirklich Nehmerqualitäten!