KAPITEL 70

 

 

Achilles war eine bedeutende Erkenntnis gekommen: Er hatte ›herrschen‹ mit ›regieren‹ verwechselt.

›Herrschen‹ bedeutete: Prunk und Privilegien. Beim ›Regieren‹ ging es um lästige Details. Sobald er in seinem neuen Reich ein wenig Ordnung geschaffen hatte, würde er Verwalter einsetzen. Vesta befasste sich gerne mit derartigen Trivialitäten – sollte er sich doch darum kümmern. Sollte er sich doch um die kümmern.

Auf dem Brücken-Display, auf dem Achilles erst so kürzlich genüsslich die Zerstörung der Long Pass hatte beobachten können, war jetzt eine Frau zu erkennen, die äußerst ernsthaft und unablässig redete. »Ich habe ein Team meiner besten Leute darauf angesetzt«, plapperte Sabrina Gomez-Vanderhoff gerade. Sie sprach mit unterwürfiger Offenheit. Zweifellos versuchte sie, sich einen guten Platz bei ihm am Hofe zu erdienen.

Als könne er jemals vergessen, wer diesen Pöbel während der ›Unabhängigkeitsbestrebungen‹ angeführt hatte!

Sollte sie sich doch für ihre Zukunft vorstellen, was sie wollte. Im Augenblick benötigte Achilles die Kooperation der Kolonisten in seinem neuen Reich. Wenn er diese Frau doch nur dazu bringen könnte, beim Thema zu bleiben! »Das alles kann warten«, fauchte er jetzt. Ihm schmerzten jetzt schon die Hirne, wenn er nur daran dachte, dass all diese Einzelheiten irgendwann erneut zur Sprache kommen würden. »Konzentrieren sie sich auf das, was Sie derzeit vorliegen haben.« Auf eine Kapitulation, die rasch akzeptiert worden war, aber noch nicht faktisch in die Tat umgesetzt. »Was ist mit dem Planetenantrieb?«

»Ich bitte um Verzeihung, Achilles. Einen Augenblick.« Sie beugte sich aus dem Blickfeld der Kamera hinaus und besprach sich im Flüsterton mit einem ihrer Assistenten. »Ich habe dafür eigens Techniker abgestellt, die ich für außerordentlich vertrauenswürdig halte. Sie übernehmen die Verantwortung von den derzeitigen Aufsehern. Aber es gibt erst noch ein anderes Problem.«

Das gab es immer. »Ich mag keine Probleme!«, schrie Achilles.

Unterwürfig wandte sie den Blick ab. Wenigstens erinnerte sie sich noch, wie man sich Bürgern gegenüber zu benehmen hatte. In deutlich ruhigeren Tönen fragte er: »Was für ein Problem ist das?«

»Die Sicherung des Antriebs. Die derzeitigen Mitarbeiter der Anlage weigern sich, uns die Kontrolle zu überlassen. Wir wissen, dass sie über Stunner verfügen, die aus einem Büro des Ministeriums für öffentliche Sicherheit gestohlen wurden. Wir werden diejenigen beseitigen, die sich uns in den Weg stellen, aber das wird Zeit erfordern. Der Antrieb befindet sich auf Atlantis, außerhalb der Reichweite unserer Stepperscheiben, also wird es auch etwas dauern, bis wir mit dem Boot genügend zuverlässige Mitarbeiter nach Atlantis geschafft haben.«

Natürlich befand sich die Antriebsanlage nicht auf Arcadia! Kein Bürger, der auch nur halbwegs bei Verstand war, würde es zulassen, dass selbst gezähmte Menschen sich auf dem gleichen Kontinent befinden wie der Planetenantrieb. Nur war jetzt sogar diese Vorspiegelung, die Menschen seien gezähmt, endgültig verschwunden. Und plötzlich stellten die ehemaligen Vorsichtsmaßnahmen ein eigenes Problem dar.

Außerhalb des Blickwinkels der Kamera scharrte Achilles frustriert mit dem Huf über das Deck. Sämtliche Raumschiffe der Menschen waren zerstört. Der Sieg war schon so nahe! Dass diese aufsässigen Menschen den Antrieb jetzt beschädigen mochten, war völlig inakzeptabel. »Gehen Sie vorsichtig vor«, sagte Achilles. »Aber sobald das geschehen ist, erwarte ich, dass Sie auch handeln.«

Die Gouverneurin senkte den Kopf. »Die Frage ist …«

»›Die Frage ist‹ was?«

Ihre Schultern sackten herab, und ihre Stimme wurde völlig tonlos. »Die Frage ist, was dann kommt. Was machen wir denn, wenn wir an die Steuerung herankommen? Sollen wir den Kurs anpassen und uns wieder der Flotte anschließen? Sollen wir abbremsen, oder ganz anhalten, bis die Flotte uns eingeholt hat?«

Die Signalverzögerung machte alles nur noch schlimmer. Die Remembrance blieb weiterhin getarnt, weil (wie Baedeker ihm rasch ins Gedächtnis zurückrief) auf dem Boden installierte Laser sehr wohl eine Bedrohung darstellten, sollten die Menschen das Schiff orten. Damit die Remembrance nicht doch entdeckt wurde, leitete man sämtliche Übertragungen über getarnte Funkbojen weiter. Wie ärgerlich so ein Sekundenbruchteil doch sein konnte!

»Es wäre sehr viel einfacher, wenn wir das von Angesicht zu Angesicht besprechen könnten.«

Wirklich? Auf dem Boden würde die Tarnung keinerlei Sinn mehr ergeben. Und Laser wären eine echte Bedrohung. Wenn ein hinreichend großer Treffer mit einer kinetischen Waffe den Rumpf des Schiffes durchschüttelte, dann würde das Achilles sehr wohl das Leben kosten, selbst wenn die GP-Zelle unbeschädigt bliebe. Also: vorerst keine Landung. Die Remembrance konnte auch einfach tief genug über der Landschaft schweben, sodass die Frau und vielleicht einige Mitarbeiter ihres Stabes an Bord schnellen könnten. Das erschien durchaus möglich …

Bis er sich daran erinnerte, dass Sigmund Ausfaller eine Bombe im Inneren einer General-Products-Zelle versteckt hatte, um Beowulf Shaeffer zur Zusammenarbeit zu zwingen. Damals, vor so vielen Jahren, als er noch als Niederlassungspräsident für General Products auf We Made It tätig gewesen war, hatte Achilles dieser Trick durchaus belustigt.

Würde er sein Leben darauf verwetten, dass ein anderer Mensch nicht auf genau den gleichen Trick käme?

Nein. Zuerst musste Baedeker Isolationszellen aus GP-Zellen-Material bauen und sie mit Sensoren ausstatten, bevor irgendjemand von New Terra an Bord kommen durfte. »Bald, Sabrina. Ich treffe die nötigen Vorbereitungen.«

Ausfaller! Selbst noch im Tode plagte dieser Mann ihn!

 

Das Universum war wahnsinnig geworden.

Immer und immer wieder hörte sich Nessus Nikes Botschaft an. Jedes Mal hoffte er aufs Neue darauf, doch noch irgendetwas Positives darin zu entdecken. Und jedes Mal misslang es ihm. Die Nachrichten, die er über Hyperwelle hektisch Sabrina zukommen ließ, blieben unbeantwortet.

New Terra war angegriffen worden, und die wenigen Schiffe, über die diese ehemalige Kolonie verfügt hatte, waren jetzt zerstört. Achilles machte sich bereit, die Herrschaft über diese Welt zu übernehmen – oder den Planetenantrieb von New Terra zu zerstören, wenn ihm die Machtübernahme nicht gelang.

Das war doch reiner Wahnsinn! Nessus raufte sich die Mähne, wartete darauf, dass Omar sich endlich meldete.

Und dann traf schließlich tatsächlich eine Antwort von Omar ein …

Sigmund war aufgebrochen, um sich mit den Outsidern abzusprechen. Sie wussten, wo sich die Erde befand. Die Auswirkungen davon waren schlicht unvorstellbar. Doch Sigmund wusste nicht genau, wo sich die Outsider aufhielten. Er würde einiges an Zeit brauchen, sie zu finden.

Das Netzwerk der Sternsamen-Köder lieferte Nessus eine recht genaue Position der Outsider. Vielleicht würde es ihm gelingen, sie als Erster zu erreichen.

Das musste er schaffen.

Nessus sandte eine verspätete Antwort an Nike – wieder eine Lüge, wieder eine Täuschung, die zwischen ihnen schwären konnte –, und dann verschwand die Aegis im Hyperraum. Er musste die Outsider als Erster erreichen. Das Universum war wahnsinnig geworden.

 

Die Why Not kehrte aus dem Hyperraum zurück und fand … absolut nichts vor.

Konzentriert studierte Sigmund sämtliche Sensor-Displays der Brücke und lächelte mit einem ruhigen Selbstvertrauen, das er nicht im mindestens verspürte. Eric und Kirsten standen neben ihm und blickten ihn erwartungsvoll an; beide sahen aus, als hätten sie seit mindestens einer Woche nicht mehr geschlafen. Die ganze Schiffsbesatzung wartete darauf, die gute Nachricht über das Intercom zu hören. Das war alles, was sie tun konnten – abgesehen davon, das zu reparieren, was als Nächstes auf dieser nur notdürftig zusammengeflickten Hulk ausfiel. Sie waren hier, um Sigmund zu unterstützen. Und seinetwegen befanden sie alle sich jetzt in Gefahr.

Wenn Kirsten und er doch nur zurück an Bord der Aegis hätten gehen können! Doch diese Gelegenheit hatte sich ihnen nicht geboten. Nessus hatte die Zugangs-Codes verändert – ob aus Gewohnheit oder weil er doch irgendetwas ahnte, wusste Sigmund nicht. Dass Nessus ein zweites Mal aus unerklärlichen Gründen einfach ohnmächtig werden sollte, war schlichtweg nicht plausibel. Und selbst die Möglichkeit, in irgendeiner Weise unmittelbarer aktiv zu werden, bot sich nicht mehr, da andere Geschäfte der Konkordanz Nessus’ ganze Aufmerksamkeit gefordert hatten. Der Puppenspieler war abgereist, und die Koordinaten der Erde waren immer noch unerreichbar.

Aber wir haben die Koordinaten der Outsider. Damit müssen wir jetzt arbeiten.

»Also schön.« Forsch rieb sich Sigmund die Hände. »Dass wir die Outsider nur mit Passiv-Sensoren aufspüren sollten, war vielleicht ein bisschen zu viel erwartet. Kirsten hat herausgefunden, wo die sich aufgehalten haben, und nicht, wo die sich jetzt aufhalten. Eric, setzen Sie einen Radar-Ping ab.«

»Aye-aye, Captain«, bestätigte Eric. »Jetzt sitzen wir hier und warten.«

Sigmund schüttelte den Kopf. »Jetzt setzen wir das Teleskop ein und schauen uns nach der nächsten Sonne um, in deren Nähe wir Sternsamen finden. Wenn wir erst einmal einen Sternsamen gefunden haben, stehen die Chancen gut, dass dem ein Schiff der Outsider folgt. Fragen Sie mich bloß nicht, warum das so ist.«

»Uns umschauen?«, fragte Kirsten ungläubig nach. »Das ist aber sehr vage ausgedrückt. Und ich habe auch immer noch nicht verstanden, wonach wir eigentlich suchen.«

Sigmund hatte zwar Beos Beschreibung noch im Kopf, aber er war längst nicht so beredt wie der erfahrene Pilot. »Normalerweise ist so etwas nur eine oder zwei Meilen im Durchmesser. Man könnte es für einen Felsbrocken halten, für einen kleinen Asteroiden. Den würden wir wahrscheinlich niemals sehen. Aber manchmal … na ja, also diese Kugel besteht größtenteils aus einem hauchdünnen, silbrigen Segel, das sehr eng zusammengerollt ist. Wenn das ausgefaltet ist, dann misst das tausende von Meilen im Durchmesser. Und wenn das Licht der Sonne darauf fällt …«

Sigmund schnürte es die Kehle zu. Er hatte sich Shaeffer gegenüber sehr mies verhalten. Vielleicht, nur vielleicht, konnte dieser Mann ja jetzt ein anständiges Leben führen, nachdem er außerhalb von Sigmunds Reichweite war. Sigmund hoffte sehr darauf.

»Verstanden«, bestätigte Kirsten. »Wir suchen nach Lichtsignalen, die sich nicht wie Planeten verhalten.«

Stunden später hatten weder der Radar noch die Besatzung, die aufs Geratewohl Ausschau hielt, irgendetwas gefunden. Sigmund stellte eine Frage, deren Antwort er entsetzlich fürchtete.

»Kirsten, haben Sie ein Datum gefunden, wann Nessus die Outsider aufgesucht hat?«

»Das wollten Sie bisher doch nie wissen«, gab sie zurück.

»Jetzt schon. Wie lange ist das her?«

Kirsten griff auf ihren Taschencomputer zu. »Die Koordinaten an Bord der Aegis wurden in den letzten zweieinhalb Jahren nicht mehr abgerufen, aber hatte Nessus nicht erzählt, er habe ein anderes Schiff geheuert? Ein Schiff aus dem Bekannten Weltraum?«

Sigmund zuckte zusammen: Ich bin gestorben, Nessus hat mich aufgesammelt, dann ist er zu den Outsidern gefahren, und dann wurde ich aufgeweckt.

Wie hatte Nessus es ausgedrückt? »Uns erschien es wichtig, dass wir die Antimaterie entdecken, bevor die ARM sie findet. Mir hatte man die Aufgabe übertragen, die Outsider zu finden. Ihnen die Koordinaten dieses Systems abzukaufen, erschien ihm mit einem Mal keine Geldverschwendung mehr. Aus technischen Gründen habe ich für diese Mission ein Schiff der Menschen und auch eine Mannschaft angeheuert. Wir haben Schiff Vierzehn auch gefunden …«

Nur eine winzige Kleinigkeit hatte Nessus hier ein wenig beschönigt: Er hatte mehrere Jahre gewartet, bis er mich wieder zum Leben erweckt hat! Warum? Wenn wir das alles hier überstehen, nahm sich Sigmund vor, werde ich ihn genau danach fragen.

Doch dazu mussten sie ›das alles hier‹ erst einmal überstehen. »Etwas mehr als zwei Jahre? Das ist so schlimm gar nicht. Die Outsider verwenden keinen Hyperraumantrieb. Sie können nahezu augenblicklich beinahe schon Lichtgeschwindigkeit erreichen, also befinden sie sich irgendwo im Inneren einer Kugel von etwa zwei Lichtjahren Radius.«

»›Irgendwo‹! Haben Sie eine Ahnung, was das für ein Riesen-Raumabschnitt ist?«, fragte Kirsten nach.

»Auf jeden Fall ungleich kleiner als die ganze ver-tanj-te Galaxis!«, fauchte Sigmund, »und diese Kugel können wir innerhalb weniger Tage durchqueren. Programmieren Sie ein Suchmuster ein. Im Zweifelsfalle lieber in der Nähe von Sternen suchen als im freien Tiefenraum. Wir springen durch die Gegend, schauen uns mit Radar und Teleskop um, sagen wir: zehn Stunden lang, und dann geht es genau so weiter.«

»Aye-aye, Captain.« Aus Kirstens Mund klang diese Erwiderung deutlich skeptischer.

»Alle Mann«, rief Eric über das Intercom. »Wir werden bald in den Hyperraum zurückkehren. Details folgen.« Mit ihrer üblichen, beinahe schon unheimlichen Geschwindigkeit legte Kirsten den Kurs fest, und dann sprangen sie in den Hyperraum zurück.

Als das Nichts jenseits der Leere sie alle erneut umschloss, fragte sich Sigmund, wie es Sabrina wohl erging. Der letzte Ratschlag, den er ihr gegeben hatte, bevor die Why Not auf diese verzweifelte Mission aufgebrochen war, lautete nur: »Schinden Sie Zeit!«

 

Die Kolonisten-Frau, die sich jetzt sicher hinter einer Isolations-Trennwand befand, redete ununterbrochen auf ihn ein. Unaufgefordert sprach sie eine Belanglosigkeit nach der anderen an. Es ging um die so genannten Rechte ihres Volkes. Um Notfallhilfe. Darum, dass einige Satelliten ausgefallen waren, weil Wrackteile sie getroffen hatten – eine Folge des Angriffes. Und plötzlich erschien es unbedingt notwendig, eine hohe Mauer rings um das Gelände dieser armseligen Regierung von Arcadia zu errichten, die Schutz vor einem anscheinend unermüdlichen Strom von Extremisten bieten sollte.

Jetzt hatte sie es tatsächlich sogar geschafft, zur Wiederaufnahme der Getreideexporte zu kommen! »… daher wurden zahlreiche der Felder, auf denen ursprünglich hearthstämmige Getreidesorten angebaut wurden, jetzt mit terrestrischen Feldfrüchten bepflanzt. Die Lastschweber wurden zu anderen Zwecken umfunktioniert. Wir werden Samenlieferungen und auch Düngemittel von Hearth benötigen. Und Schiffe natürlich.«

Wenigstens gingen die Verhandlungen mit den Extremisten voran, die immer noch die Anlage des Planetenantriebes besetzt hielten. Wenn es wirklich erforderlich wäre, war Achilles sogar bereit, zur Flotte zurückzukehren, um eine Ladung Roboter zu holen. Die würden das Gebäude schon räumen.

Aber alles stand so unmittelbar bevor. Er konnte den Erfolg schon schmecken.

Ein wenig länger würde er nun notfalls auch noch warten können.

 

Als Eric in den Gemeinschaftsraum trat, wirkte er sehr kleinlaut. »Nichts, Sigmund.«

»Danke.« Sigmund brachte ein Lächeln zustande. »Das ist doch schon einmal ein Fortschritt. Wir haben noch einen Ort gefunden, an dem die Outsider nicht sind.«

Was war das jetzt? Ihr vierter Zwischenstopp? Für eine ältere Rasse, die seit Ewigkeiten die Galaxis durchstreifte, waren die Outsider verteufelt schwer zu finden. Sigmund nahm einen großen Schluck Kaffee aus seiner Quetschflasche. »Das dauert so lange, dass man schon glauben könnte, wir würden nach Schiff Dreizehn suchen!«

Unglückszahlen waren den New Terranern offensichtlich ebenso unbekannt wie Glücksspiele. »Das wird eine Zeit lang dauern, Eric. Halten Sie durch.« Dann meldete Sigmund sich bei Kirsten auf der Brücke. »Bereit zum nächsten Sprung für die Suche.«

Über das Intercom gab sie eine entsprechende Warnung durch, dann ließ sie das Schiff wieder zurück in dieses Nichts des Hyperraums stürzen.

Irgendetwas nagte an Sigmund, meldete sich tief in seinem Unterbewusstsein … irgendetwas, worüber er erst kürzlich mit Eric gesprochen hatte. Er gab den Versuch auf, sich daran erinnern zu wollen. Sie hatten nur über irgendwelchen abergläubischen Unsinn geredet.

Wenigstens lieferte der Versuch, den New Terranern das Konzept des Aberglaubens nahe zu bringen, Sigmund irgendetwas, was er während der zwei Tage im Hyperraum tun konnte. Auf Holz klopfen. Schwarze Katzen (eigentlich sogar: alle Katzen). Unter Leitern hindurchgehen. Tarot-Karten. Er hatte das Thema noch nicht ganz erschöpfend behandelt, als sie wieder in den Einstein-Raum zurückkehrten.

Und wieder fanden sie nichts.

 

»Dieser unfähige Narr!«, tobte Achilles. »Er hat sich einfangen lassen!«

Harsche Dissonanzen hallten durch das ganze Schiff. Baedeker kam auf die Brücke getrabt. »Wer?«, fragte er vorsichtig.

»Nessus.« Achilles fasste die Nachricht zusammen, die ihn von Hearth aus erreicht hatte. »Er hat eine kurze Nachricht absetzen können, bevor sein Taschencomputer konfisziert wurde.«

Baedeker wählte seine Töne mit Bedacht. Achilles in Zorn war fürchterlich. »Eingefangen von wem? Wo?«

New Terra war auf dem Hauptdisplay der Brücke zu erkennen, und Achilles deutete mit einem Kopf darauf. »Dort. Er hat sich zurückgeschlichen, um heimlich mit seinen Freunden in Verhandlungen zu treten. So töricht, wie er nun einmal ist, hat er sie an Bord seines Schiffes gelassen. Und jetzt haben sie die Aegis in ihrer Gewalt.«

Ein tarnfähiges Schiff, dessen Position Achilles’ Spionen nicht bekannt war! Baedeker erzitterte: Er konnte kein Schiff auflösen, dessen Position er nicht kannte. Schlimmer noch: Die Aegis musste mit einem Verkehrsleit-Transponder der Flotte ausgestattet sein. Wenn der Identifikations-Code dieses Transponders geändert wurde, würde das gekaperte Schiff sich der Flotte nähern können, sogar Hearth selbst, ohne dass diese Annäherung in irgendeiner Weise hinterfragt würde!

Baedeker schüttelte das Entsetzen ab, das ihn schon zu lähmen drohte. Sie hatten die New Terraner angegriffen – er selbst! Und jetzt hatten diese Menschen eine Waffe. »Ich werde sofort nach dem Schiff suchen.«

»Und ich werde …« Mitten im Satz hielt Achilles inne; unvollendet hingen die Harmonien im Raum. »Ich werde abwarten, bis Sie Erfolg hatten. Bis dahin werden Sie unserem menschlichen ›Gast‹ gegenüber nichts von Nessus oder seinem Schiff berichten.«

 

Schritt, Schritt, Drehung.

Sigmund war erschöpft, doch er konnte nicht schlafen. Er konnte nicht einmal still stehen bleiben. Er durfte seiner Mannschaft nichts von seinen Zweifeln erzählen. Und so ging er in seiner winzigen Kabine auf und ab.

Schritt, Schritt, Drehung.

Sie hatten bereits sechs Zwischenstopps bei ihrer Suche eingelegt, und gefunden hatten sie bislang überhaupt nichts. Kreuz und quer waren sie durch den Raumabschnitt gerast, in dem – das gebot die Logik – sich die Outsider befinden mussten. Die Furcht davor, hier zu scheitern, nagte an Sigmund, und sie war erschreckender als dieses Nichts, das hungrig auf der anderen Seite seiner Kabinenwand wartete. Diese Suche funktionierte einfach nicht, und dennoch sah Sigmund keine andere Möglichkeit. Es gab nichts, was sie noch hätten versuchen können.

Schritt, Schritt, Drehung.

Aus dem Intercom drangen in kurzer Folge drei Klicklaute: eine Ankündigung stand kurz bevor. »Wir treten aus dem Hyperraum heraus, in fünf, vier, drei …« Kirsten hatte das Steuer übernommen, und so war es auch ihre Stimme, die Sigmund jetzt hörte. Sie klang genauso müde, wie Sigmund sich fühlte.

Schritt, Schritt, Drehung.

Jedes Mal, wenn die Why Not aus dem Hyperraum heraustrat, empfing Eric neue Hyperwellen-Funknachrichten einer ferngesteuerten Kommunikations-Boje. Den Berichten zufolge befand sich Sabrina immer noch an Bord von Achilles’ Schiff, und angeblich war sie immer noch mit Verhandlungen beschäftigt – in Wirklichkeit war sie nichts anderes als eine Geisel. Und Omar, der für alle anderen unerreichbar gewesen war, als Nessus mit ihm Kontakt aufnahm, hatte eine Ermessensentscheidung treffen müssen: Er hatte Nessus von der Why Not erzählt und auch, wohin Sigmund das Schiff gesteuert hatte.

Was Nessus mit dieser Information anfangen würde, wusste niemand.

Sigmund presste sich aus einer Quetschflasche ein wenig Wasser auf die Handfläche und wischte sich dann damit über das Gesicht. Auch wenn es lauwarm war: Das Wasser half – ein wenig.

Es wurde Zeit, endlich wieder hoffnungsvoll und positiv zu denken. Sigmund öffnete die Kabinentür und wollte den anderen dabei helfen, die Sensoren auf der Brücke zu überwachen.

Ein Jubelschrei drang aus dem Intercom; voller Freude rief Kirsten:

»Ich habe einen Sternsamen geortet!«

Ringwelt 12: Weltenwandler
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