19. KAPITEL

Und? Wie lief’s?“, erkundigte sich Zeke, als sie sich abends bei Riley trafen, um die letzten Details zu besprechen.

„Es war interessant.“

Riley hatte schon den zweiten Scotch hinuntergestürzt, und wahrscheinlich würde er auch noch einen dritten trinken, denn betrunken ließ sich die Situation besser ertragen. Drei Drinks reichten dafür zwar nicht, aber sie waren ein guter Anfang.

„Was genau darf man darunter verstehen?“, hakte Zeke nach. „Ist das positiv oder negativ?“

Riley schloss die Augen und ließ den Nachmittag Revue passieren.

„Ich war bei etwa dreißig Personen und ungefähr fünfundachtzig Prozent von ihnen erzählten mir das Gleiche: Sie würden nicht im Traum daran denken, mich zu wählen.“

Zeke fluchte. „Wegen der Geschichte mit Gracie, stimmt’s?“

Riley nickte. Wer hätte gedacht, dass diese alte Geschichte ihm jemals Schwierigkeiten machen würde? „Es waren diese blöden Zeitungsartikel“, sagte er missmutig. „Sogar Menschen, die weder mich noch Gracie kennen, glauben, sie hätten ihr halbes Leben mit uns verbracht und könnten sich eine Meinung über uns erlauben. Im Moment stehen alle auf ihrer Seite, und ich bin das Arschloch.“

Es war doch nicht möglich, dass er deswegen die Wahl verlieren würde!

„Du könntest sie umbringen, was?“, sagte Zeke.

„Nicht wirklich.“

Nein, das war nicht Gracies Schuld. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Natürlich war er nicht begeistert davon, wie sich die Lage entwickelte – schließlich ging es um siebenundneunzig Millionen Dollar und, noch wichtiger, darum, seinem Onkel posthum eins auszuwischen. Aber an dem Umfragedesaster war nicht Gracie schuld.

Dabei könnte man ihr durchaus eine Teilschuld zugestehen. Denn wäre sie nicht in Los Lobos aufgetaucht, wäre all das gar nicht erst passiert.

Und genau das ist es, dachte Riley, betrachtete das Bücherregal gegenüber und trank den letzten Schluck Scotch. Es war wunderbar, dass all das passiert war, und er wollte nichts davon ungeschehen machen. Auf jeden Fall nicht den Teil, der Gracie und ihn betraf.

„Also, was sagen die Leute?“, bohrte Zeke nach. „Sollst du sie besser behandeln?“

„Ich soll sie heiraten.“

„Und warum tust du das nicht?“

Riley sah seinen Wahlkampfmanager entgeistert an. „Sie heiraten?“

„Ja. Nur wegen der Wahl. So verrückt ist die Idee gar nicht. Vielleicht kannst du mit ihr ja eine Absprache treffen. Nach der Wahl würdet ihr euch einfach wieder trennen. Vielleicht brauchst du sie nicht einmal zu heiraten, eine Verlobung würde den Leuten sicher auch schon reichen. Gracie ist superlieb, sie wird garantiert Ja sagen.“

Das würde sie wahrscheinlich sogar, dachte Riley. Sie hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen wegen seiner miserablen Umfrageergebnisse und würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um daran etwas zu ändern.

„Nein.“

Fassungslos sah Zeke ihn an. „Wieso nein? Einfach so? Willst du sie nicht wenigstens einmal fragen?“

„Nein.“

„Aber wieso nicht? Das wäre doch die perfekte Lösung! Wo ist das Problem?“

Das konnte Riley ihm auch nicht beantworten. Er würde Gracie sofort heiraten, wenn sie schwanger wäre. Aber wegen des Wahlergebnisses? Auf keinen Fall! Und verloben würde er sich auch nicht einfach so. Damit würde sich das Volk sowieso nicht zufriedengeben.

„Ich will kein falsches Spiel mit ihr spielen“, sagte Riley. „Also vergiss es. Wir finden eine andere Lösung.“

„Es gibt keine andere Lösung.“

„Dann würde ich sagen, denk nach. Dafür wirst du schließlich bezahlt.“

Zeke steckte in der Klemme. „Riley, die Wahl ist in weniger als einer Woche. Ohne Gracie mit einzubeziehen, kann ich nichts mehr machen. Das muss dir doch klar sein.“

„Finde eine Lösung.“

„Aber ...“ Zeke verstummte und nickte. „Mal sehen, was ich tun kann.“

Es war mittlerweile achtundvierzig Stunden her, dass Gracie sich ihrer Liebe zu Riley endlich bewusst geworden war – und dennoch konnte sie sich immer noch nicht mit dieser Tatsache abfinden.

Aber sie liebte Riley. Daran bestand kein Zweifel. Sie wollte ihn. Er war es, der ihr Herz schneller schlagen ließ, der ihren Körper kribbeln ließ, bei dessen Küssen die Funken sprühten. Und er war ein wunderbarer Mensch. Sie konnte sich vorstellen, für immer mit ihm zusammen zu sein, mit ihm Kinder zu haben, mit ihm alt zu werden. Nur eines konnte sie sich nicht vorstellen: wie sie ihm das beibringen sollte.

„Nach der Wahl“, sagte sie sich immer und immer wieder, während sie die Fondantmasse auf der letzten Torte verteilte. „Dann kann er sich auf mich konzentrieren.“

Bis dahin würde sie sich an diesen wunderbaren Gefühlen erfreuen und die Torte für den Geschichtsverein fertigstellen.

Sie hatte ihre guten Backformen und ihren Skizzenblock immer noch nicht bei Pam abgeholt. Aber sie konnte sich an ihren Entwurf für die Biskuittorte erinnern. Das Herzstück sollte eine rechteckige, dreistöckige Torte bilden, darum herum wollte sie kleinere, einfache Tortenteile anordnen – ein bisschen wie die Häuser einer Stadt. Mit weißem Fondant wollte sie ein Würfelmuster auf die Seitenteile auftragen, die oberste Schicht wollte sie mit einfachen Blumen verzieren.

Als sie nun mit dem Dekorieren begann, nahm sie die neu angefertigte zweite Skizze zur Vorlage. Ihr war ein wenig schwindelig, als hätte sie zu wenig geschlafen. Das stimmte zwar, rechtfertigte aber nicht wirklich diese Schwindelgefühle.

Vielleicht ist es der Riley-Entzug, dachte sie lächelnd. Heute hatten sie zwar mehrfach telefoniert, aber wegen seiner vielen Termine vor der Wahl hatte er keine Zeit gehabt, bei ihr vorbeizuschauen. Schade. Sie könnte schon wieder eine Dosis Riley gebrauchen.

Das Würfelmuster ging ihr leicht von der Hand, sie hatte schon Dutzende von Torten damit verziert. Auch die Rosen lagen schon bereit. Sobald sie mit dem Muster fertig war, würde sie sie platzieren.

Im Lauf der folgenden Stunden nahm die Torte Gestalt an – während Gracie sich immer schlechter fühlte. Ein Kopfschmerz brannte in ihrem Schädel, sie fühlte sich matt und abgeschlagen. Die letzten paar Rosen in die Torte zu stecken kostete sie unglaubliche Konzentration und Mühe.

Schließlich hatte sie die verschiedenen Tortenteile in pinkfarbene Boxen verpackt, fertig zur Auslieferung. Vorsichtig stellte sie sie in den Kühlschrank. Plötzlich begann sich das Zimmer zu drehen. Kein gutes Zeichen.

Schnell sah sie nach, ob der Backofen auch ausgestellt war, dann ging sie ins Schlafzimmer und sank auf ihr Bett. Irgendwie schaffte sie es gerade noch, die Schuhe auszuziehen und unter die Decke zu schlüpfen, dann wurde sie plötzlich wahnsinnig müde und ungeheuer schwach, und die Welt um sie herum versank.

Gracie wusste nicht, wie spät es war, als sie wieder aufwachte. Immer noch drehte sich alles um sie herum, und sie hatte Schüttelfrost. Ihr Mund war ausgetrocknet, ihr tat alles weh. Konnte nicht jemand sie erschießen und von ihrem Leiden erlösen?

Es fiel ihr sogar schwer, auf die Uhr zu schauen. Jedenfalls schien momentan die Sonne. War es denn noch hell gewesen, als sie ins Bett gefallen war?

Die Zahlen auf der Uhr blieben verschwommen. Gracie musste sich zwingen, aufzustehen und ihr Handy zu suchen. Als sie es entdeckte, drückte sie die Kurzwahlnummer, die sie erst vor Kurzem eingerichtet hatte.

„Hallo?“

„Riley?“ Ihr Hals brannte höllisch, sie konnte kaum sprechen.

„Gracie, bist du das? Was ist denn los?“

„Ich ...“ Sie sank auf den nächstbesten Stuhl. „Mir geht es nicht gut. Eine Erkältung oder so was. Ich kann nicht ...“ Was wollte sie ihm eigentlich sagen? Sie erinnerte sich nicht. Ach ja. „Die Torte. Ist heute Samstag?“

„Den ganzen Tag.“

„Okay. Gut. Dann habe ich es nicht verpasst.“

Dann habe ich es nicht verpasst? Wieso kam ihr dieser Satz so bekannt vor? Er stammt aus einem Film, fiel ihr ein. Einem Film, den sie mochte. Sie schloss die Augen und versuchte, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.

„Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte“, sagte sie triumphierend. „Dann habe ich es nicht verpasst. Die Geister haben es alles in einer Nacht gemacht.“

Vom anderen Ende der Leitung kam ihr nur ein langes Schweigen entgegen.

„Wie krank bist du?“, fragte Riley.

„Ich weiß nicht. Aber die Torte muss zum Geschichtsverein, und ich selbst kann sie nicht hinbringen. Würdest du das für mich erledigen? Du müsstest sie hier abholen, sie hinbringen und zusehen, dass alles klappt?“

„Natürlich. Und jetzt schone deine Stimme. Hast du was zu essen im Haus?“

„Thunfischsalat. Aber ich habe gestern ziemlich viel davon gegessen und habe jetzt keinen Hunger darauf.“

„Trinkst du genug?“

„Alkohol ist wohl nicht das Richtige.“

„Eher nicht. Ich bringe dir was vorbei. In einer Stunde bin ich da.“

„Ich bin auf jede Fall hier.“ Sie schloss die Augen. „Vielleicht gehe ich wieder ins Bett.“ Sie befühlte ihre heiße Stirn. „Ich glaube, ich sehe nicht besonders schön aus. Vielleicht muss ich mich auch übergeben.“

„Das ist doch nicht schlimm. Versuch jetzt, dich auszuruhen.“

„Ja. Kein Problem.“

Ihr rutschte das Telefon aus der Hand. Sie wollte es aufheben, aber der Fußboden war so weit entfernt. Seit wann war das so?

„Letzte Woche“, sagte sie laut und hievte sich aus dem Stuhl. Sie schwankte kurz, dann schleppte sie sich zurück ins Schlafzimmer und zog sich aus. Die Bluse bereitete ihr keine Probleme, der BH auch nicht. Aber ihre Hose stellte ein unüberwindliches Hindernis dar, also ließ sie sie einfach an und die Socken auch. Ihre Schuhe lagen schon irgendwo.

Aus der Kommode holte sie ein Nachthemd, obwohl sie beim Runterbeugen beinahe das Bewusstsein verlor. Rasch zog sie es über den Kopf, dann fiel sie aufs Bett und schlief sofort ein.

Vom Klopfen an der Tür wurde sie wach. Die Lautstärke und das Tempo verrieten ihr, dass die Person offensichtlich schon eine Weile klopfte.

„Alles in Ordnung“, rief sie mit kratziger Stimme. Vorsichtig setzte sie sich auf und erhob sich mühsam. Als sie stand, fiel es ihr nicht allzu schwer, sich durch den Flur zur Haustür zu schleppen.

„Wie beim Flippern“, meinte sie kichernd, als sie die Haustür öffnete. „Ich will Extrapunkte.“

Den letzten Satz kriegte Riley noch mit, als er sich an ihr vorbeidrückte. „Punkte für was?“, fragte er irritiert und nahm sie in Augenschein. Er legte die Hand auf ihre Stirn. „Du glühst ja!“

„Ha.“ Sie deutete auf die Papiertüte, die er auf dem Arm hatte. „Was hast du da? Ist das für mich?“

Sie machte einen Schritt auf ihn zu, um in die Tüte zu schauen. Dabei geriet sie ins Straucheln. Sie fiel und fiel, unaufhaltsam.

Zum Glück fingen ein paar starke Arme sie auf, und sie schwebte durch den Flur in ihr Schlafzimmer.

„Das ist Paracetamol, gegen das Fieber“, sagte Riley und setzte sich zu ihr aufs Bett. „Ich habe Diane angerufen und sie gefragt, was ich tun soll. Sie hat auch gesagt, du sollst Suppe essen. Ich glaube nicht, dass ich dich in diesem Zustand allein lassen kann.“

Gracie seufzte. „Dann bleib hier. Das stört mich nicht.“ Dann fiel es ihr wieder ein. „Die Torte. Du musst die Torte wegbringen. Heute ist Samstag, oder?“

„Ja, immer noch. Den ganzen Tag.“ Er strich ihr ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. „Ich rufe deine Schwester an. Gib mir ihre Telefonnummer.“

„Welche?“

„Hat sie mehr als eine Nummer?“

„Nein, welche Schwester? Alexis. Ruf Alexis an. Aber sag ihr nichts von mir. Sie soll sich keine Sorgen machen.“

Riley tippte die Zahlen, die Gracie ihm vorgab, auf seinem Handy ein und begann kurze Zeit später zu sprechen. Gracie wollte zuhören. Sie wollte ihm sagen, er solle sich keine Umstände machen, sie käme schon allein zurecht. Hatte er nicht gesagt, er hätte Suppe mitgebracht? Gab es Suppe?

„Sie kommt, aber es dauert noch. So lange warte ich.“

Das klang gut. Aber ... „Die Torte. Bitte bring sie jetzt weg. Ich habe sie schon in Boxen verpackt.“

„In mehr als eine?“

Sie nickte und verwünschte sich sofort dafür, denn ein jäher Kopfschmerz durchzuckte ihren Schädel. „Fünf. Ich wollte sie zusammensetzen wie ein Dorf. Oder wie eine Landkarte oder so, weißt du, damit es schöner aussieht. Es sind fünf Boxen, habe ich das schon gesagt?“

„Ja. Warum hast du unter dem Nachthemd deine Jeans an?“

„Es war zu schwierig, sie auszuziehen.“

„Ich kann dir helfen.“

Schnell streifte er die Jeans ab und zog ihr dann das Nachthemd herunter.

„Und jetzt ab unter die Decke“, befahl Riley. „Ich decke dich zu.“

Das hörte sich nett an. Schön, dass er da war. Irgendein Gedanke nagte an ihr, aber sie konnte ihn nicht festmachen. Wollte sie ihm nicht noch etwas sagen? Oder hatte sie irgendein Geheimnis vor ihm?

„Wie läuft der Wahlkampf?“, fragte sie.

„Gut.“

Er sah sie nicht an. War das wirklich die Wahrheit? Oder war da etwas ...

Ach ja! Sie liebte ihn! Das war es. Ihr Geheimnis. Am liebsten hätte sie es ihm augenblicklich verraten. Sie war so gespannt, wie er reagieren würde. Wenn er sie auch mochte, dann wäre alles wunderbar. Vielleicht ...

„Gracie?“

Sie hörte, wie er ihren Namen sagte, aber seine Stimme kam von weit her. Und ihre Augen waren zu schwer, sie konnte sie unmöglich noch einmal öffnen. Alles war schwer. Und heiß. Und viel zu ...

Gracie rollte sich auf die Seite und bemerkte, dass sie klitschnass geschwitzt war. Ihr Körper war kühl, und sie fror, doch ihr Nachthemd war nass. Sie machte die Augen auf und sah sich um. Vielleicht umspülte sie das Meer?

Stattdessen saß Alexis auf einem Stuhl in der Ecke. Als ihre Schwester sah, dass Gracie wach war, lächelte sie. „Na? Bist du wieder im Vollbesitz deiner geistigen Kräfte?“

Verwirrt stellte Gracie eine Gegenfrage: „War ich das nicht?“

„Seit ich hier bin, hast du nur wirres Zeug geredet. Riley hat dir ein paar Schmerztabletten verabreicht, wahrscheinlich haben die Dinger dich umgehauen. Oder es war deine Abwehrreaktion gegen das Fieber. Deine Stirn hat richtig gebrannt. Und wie fühlst du dich jetzt?“

„Als ob ich in einen Pool gefallen wäre.“

Alexis stand auf und kam zu ihr herüber. „Das heißt, das Fieber müsste weg sein. Gut.“ Sie befühlte die Stirn ihrer Schwester. „Ja, ist nicht mehr heiß. Hast du Hunger?“

Gracie überlegte einen Moment. „Ich bin halbtot vor Hunger. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich ins Bett gekommen bin. Ich erinnere mich an gar nichts. Oh. Die Torte für den Geschichtsverein!“

„Darum kümmert sich Riley. Du hattest ihn angerufen, weißt du noch?“

„Nein.“ Irgendwelche Erinnerungsfetzen tauchten auf, fast wie Traumgebilde. „Keine Ahnung, was ich mir da eingefangen habe. Das Virus – oder was immer es war – war heftig, aber offensichtlich kurzlebig. Ich glaube, es geht mir schon wieder gut.“

„Lass es langsam angehen. Ich mache dir jetzt erst mal eine Suppe und Toast.“ Alexis fasste das nasse Bettlaken an. „Würde es dir was ausmachen, aufs Sofa umzuziehen? Dann kann ich gleich das Bettzeug wechseln.“

„Das musst du wirklich nicht machen. Schließlich ist Wochenende, und du solltest bei deinem Mann sein. Wo ist Zeke denn?“

„Mach dir keine Gedanken. Er macht den ganzen Tag Wahlkampfarbeit und holt mich gegen sechs hier ab. Ich begleite ihn zu seinem Stand-up-Auftritt in Ventura heute Abend.“

„Hört sich gut an.“

Gracie setzte sich auf und testete ihren Gleichgewichtssinn. Wände und Boden blieben da, wo sie hingehörten. Sie fühlte sich immer noch müde und etwas schwach, ansonsten aber viel besser.

Alexis half ihr beim Aufstehen und führte sie zum Sofa im Wohnzimmer. Als sie in der Küche verschwand, musste Gracie dankbar lächeln. Sie hätte Alexis nie zugetraut, dass sie herkam und die Pflege übernahm. Offensichtlich war es an der Zeit, ihre Meinung über die Familie zu revidieren. In Zukunft wollte sie alle einfach so nehmen, wie sie waren, und sich nicht von ihren eigenen Vorurteilen leiten lassen.

„Was muss Zeke heute für Riley machen?“, fragte sie Alexis, die in der Küche zugange war. „Gehen Sie immer noch von Tür zu Tür?“

„Nein.“

„Aber die Wahl ist doch schon bald.“

Ein längeres Schweigen folgte, so als müsste Alexis sich eine Antwort zurechtlegen. Je länger ihre Schwester schwieg, desto unruhiger wurde Gracie. Gab es da etwas, das sie nicht wusste?

„Alexis“, bohrte sie. „Was ist los?“

„Nichts.“

„Da glaube ich dir nicht.“

„Alles ist bestens, wirklich.“

Na klar. Als ob Gracie ihr diesen Tonfall abnehmen würde. „Du kannst nicht lügen. Jetzt komm schon. Sag es mir.“

Alexis erschien in der Tür. „Zeke sollte mir auch nichts davon erzählen. Wenn Riley wüsste, dass ich informiert bin, hätte er mich vermutlich gar nicht angerufen.“

Gracies Magen verkrampfte sich. „Was weißt du?“

Ihre Schwester trat nervös von einem Bein aufs andere. „Nur, dass Rileys Umfragewerte total im Keller sind. Als alle noch dachten, ihr beide wärt zusammen, waren sie hoch, aber seit dem Rededuell befinden sie sich im ungebremsten Sinkflug. Die Bevölkerung steht auf deiner Seite – darauf kannst du stolz sein. Aber sie hassen Riley dafür, dass ... Na, du weißt schon.“

Gracie wusste nicht, aber sie konnte es sich denken. Wegen der blöden Zeitungsgeschichten war Riley der Buhmann, der schon damals ihr Flehen nicht erhört und ihr ein Happy End verweigert hatte.

Die Ironie an der ganzen Sache war natürlich, dass sie jetzt wirklich in Riley verliebt war und mit ihm zusammen sein wollte. Aber das ging niemanden außer ihnen beiden etwas an.

„Also wird er wahrscheinlich verlieren“, stellte Gracie leise fest.

Alexis nickte.

Siebenundneunzig Millionen Dollar weg – ihretwegen.

„Das darf nicht passieren“, sagte sie.

„Und was willst du machen?“

„Keine Ahnung. Ich werde mit ihm sprechen, wenn er vom Geschichtsverein wieder da ist. Und dann finden wir gemeinsam eine Lösung.“

„Da brauchtet ihr schon ein Wunder“, überlegte Alexis.

Wenn sie nur zaubern könnte, dachte Gracie. Da diese Möglichkeit leider ausfiel, musste sie sich wohl etwas anderes einfallen lassen.

Gleich mehrere Wachleute sicherten das große Haus auf dem Hügel. Riley hatte nie ein großes Interesse an der historischen Bedeutung der ältesten Häuser von Los Lobos gehabt. Als er nun die breite Vordertreppe hinaufging, spürte er ein bisschen vom Hauch der Geschichte.

Das Haus aus viktorianischer Zeit war fachgerecht restauriert. Auf der langen vorderen Veranda standen Schaukelstühle und Tische, und Blumenampeln schmückten die Säulen.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte einer der Security-Leute, als Riley die Hautür erreicht hatte.

„Ja. Ich liefere die Torte für die Benefizveranstaltung heute Abend“, sagte Riley und hielt die große Kiste auf seinem Arm hoch. „Von dieser Sorte habe ich noch vier im Wagen.“

„Alles klar. Gehen Sie rein. Für die anderen können Sie gleich ums Haus herumfahren und den Hintereingang benutzen, das ist näher für Sie.“

„Danke.“ Riley deutete mit dem Kopf auf die drei bewaffneten Wachleute an der Einfahrt und die zwei Sicherheitsfahrzeuge, die vor dem Zaun standen. „Warum so viel Security?“

„Viele Ausstellungsstücke sind Leihgaben“, erklärte ihm der Mann. „Wegen ihres Werts sind die starken Sicherheitsvorkehrungen eine Vorgabe der Versicherung.“ Er grinste. „Also versuchen Sie es gar nicht erst.“

„Ich doch nicht. Ich bin der Mann mit der Torte.“

Riley folgte der Beschreibung des Mannes und fand den Ballsaal im ersten Stockwerk. Als er den riesigen Raum betrat, sah er gleich die Tische, die für das Buffet vorgesehen waren. Außerdem gab es zwei Bars und einen mit einer Spitzendecke versehenen Tisch, auf dem bereits mehrere pinkfarbene Tortenboxen standen.

„Was ist denn hier los?“, murmelte Riley.

Er stellte seine Box ab und betrachtete die anderen Kisten. Sie enthielten eine Torte, die der von Gracie gebackenen erstaunlich ähnlich sah. Nahezu identisch. Mit demselben Würfelmuster an den Seiten und denselben Blumen. Aber bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass dieses Muster schlecht verarbeitet war und an ein paar Stellen bröckelte und kaputt ging. Und die Blumen sahen aus, als hätten sie die Nacht durchgemacht.

In Rileys Kopf begann es zu rumoren. Wer hatte diese Torte hierhergebracht und warum?

Er ging hinüber zum Fenster. In diesem Moment sah er, wie ein Lexus die Einfahrt hinunterfuhr. Er kannte den Wagen.

Pam! Er stieß einen lauten Fluch aus und zog sein Handy aus der Tasche. Gracie hob gleich nach dem ersten Klingeln ab.

„Wie geht es dir?“, fragte er schnell.

„Besser. Das Fieber ist weg. Alexis hat mir etwas zu essen gemacht, und ich komme gerade aus der Dusche. Ich lebe wieder.“

„Schön. Pass auf, was ich entdeckt habe. Ich bin gerade dabei, die Torte anzuliefern – aber hier steht schon eine. Und rate mal, wen ich gerade vom Tatort habe davonfahren sehen? Pam!“

Gracie rang nach Luft. „Dafür hat sie also meine Backformen gebraucht! Sie hat auch eine Torte für die Benefizveranstaltung gemacht. Wieso? Und wie sieht die aus?“

„Beschissen. Ich verstehe gar nicht, was Pam damit bezwecken will. Aber ich glaube kaum, dass sie dir Konkurrenz machen will – denn sie hat sicher niemandem verraten, dass sie die Torte gemacht hat.“

„Nein. Die Leute werden glauben, dass sie von mir ist. Probier sie mal.“

„Was?“

„Probier sie! Ich muss wissen, wie sie schmeckt.“

„Moment.“

Riley holte sich eine Kuchengabel, die in einem Körbchen neben einem Stoß Servietten lag. Er trennte ein Stückchen von der Torte ab und steckte es sich in den Mund.

„Du lieber Gott“, sagte er und spuckte es aus.

„Was ist?“

„Sie hat Salz benutzt. Glaube ich wenigstens.“ Er nahm sich eine Serviette und wischte sich die Zunge ab, um diesen fiesen Geschmack loszuwerden.

„Riley, du musst diese Torte wegschaffen. Pam will mich endgültig ruinieren. Nimm ihre Torte weg, und stell meine hin!“

„Auf jeden Fall.“

„Rufst du mich noch mal an, wenn du fertig bist? Ich muss dir etwas sagen.“

Normalerweise bekam er bei diesen Worten Panik, aber komischerweise diesmal nicht. „Was ist denn?“

„Nichts. Es geht nur um die Wahl.“

Verdammt. „Was weißt du?“

„Dass du Probleme hast.“

„Ich schaffe das schon.“

„Und wie?“

Er betrachtete den Tisch. „Pass auf, ich muss mich jetzt erst mal um den Tortenwechsel kümmern. Danach rufe ich dich an und komme vorbei. Einverstanden?“

„Super. Danke.“

Etwas zufriedener legte er auf und steckte das Handy ein. Dann zog er entschlossen die Jacke aus, nahm die beiden kleinen Kisten, in denen Pams Kuchen war, und brachte sie zu seinem Wagen.

Bis er Gracies Torte vollständig nach oben gebracht hatte, musste er noch drei Mal laufen. Er arrangierte sie, so gut er konnte, und verließ dann mit der größten Box von Pams Torte den Ballsaal. Auf der obersten Treppe fing ihn ein Wachmann ab.

„Nicht so schnell“, stoppte ihn der bullige Typ. „Was haben Sie da?“

„Eine Torte. Es wurden versehentlich zwei geliefert.“

Der Mann sah nicht überzeugt aus. „Gerade wurde hier angerufen. Man hat uns darauf hingewiesen, dass jemand versuchen würde, die Torten auszutauschen. Es hätte was mit der Wahl zu tun. Einer der Kandidaten wollte für Aufmerksamkeit sorgen.“ Der Wachmann musterte Riley „Komisch. Sie sehen genau aus wie der Typ, der als Bürgermeister kandidiert.“

Es war unfassbar. Pam hatte wirklich an alles gedacht.

„Sie irren sich“, sagte Riley und versuchte, an dem Mann vorbeizuschlüpfen. „Die neue Torte ist bereits aufgebaut, und sie schmeckt köstlich. Probieren Sie einfach mal von dieser, das wird Sie überzeugen. Die ist ganz schrecklich.“ Er öffnete die Box und hielt dem Mann die Torte hin. „Na los, greifen Sie zu.“

„Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich muss Meldung machen.“ Tatsächlich drückte der Security-Mann einen Knopf auf seinem Walkie-Talkie.

Riley versuchte, die Entfernung zur Tür abzuschätzen, und überlegte kurz, ob er losrennen sollte. Doch dann erklang schon eine Stimme am anderen Ende des Walkie-Talkies: „Halten Sie ihn fest.“ Es blieb ihm keine andere Wahl mehr.

Er sprintete los und rannte die Treppe hinunter – und sah zu spät, dass ihm von unten jemand entgegenkam, ein Mann mit einer Kiste Wein. Riley wich nach links aus, der Mann nach rechts. Beide versuchten noch, dem Aufprall auszuweichen.

Riley wollte sich am Geländer festhalten, rutschte aber ab und versuchte es noch einmal. Die Torte flog durch die Luft. Der andere Mann ließ die Weinkiste fallen, beide Männer stürzten und purzelten, ineinander verhakt, die Treppe hinunter.

Als sie unten aufkamen, landeten sie unsanft in den weingetränkten Tortenresten. Der Fußboden war mit Scherben und Splittern der zerbrochenen Flaschen übersät.

Alles tat Riley weh. Das wird kein gutes Ende nehmen, dachte er. Und der Eindruck verstärkte sich, als in diesem Moment aus der Ferne Sirenengeheul zu hören war.

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012