18. KAPITEL
Als Riley erwachte, schien die Sonne, und das Bett neben ihm war leer. Er rieb sich die Schläfen und fragte sich, wo Gracie herumwuselte. Na, irgendwann würde sie schon wieder auftauchen. Und dann würde er sie sich schnappen und sie nehmen. Noch mal.
Er schloss die Augen und lächelte bei der Vorstellung. Es war fantastisch mit ihr! Sie roch so gut und war so schön und weckte die wunderbarsten Gefühle in ihm. Sie tat ihm einfach gut, und das konnte er nun weiß Gott nicht über viele Menschen sagen.
„Was gibt’s zu grinsen?“
Endlich stand sie vor ihm. Sie trug ein langes T-Shirt und ansonsten nichts.
„Ich denke an dich.“
„Ach ja?“ Gracie setzte sich neben den Mann ihrer Träume und strich ihm die Haare aus der Stirn. „Hast du vielleicht an letzte Nacht gedacht, du Tier?“
„Das sagt die Richtige!“ Er warf einen Blick auf seine linke Schulter. „Ich glaube, dass du mich gebissen hast.“
Sie grinste. „Ich weiß, dass ich dich gebissen habe.“
„Man sieht Bissspuren.“
„Soll das eine Beschwerde sein?“
„Nur wenn du das nicht noch mal machst.“
Sie kicherte, dann beugte sie sich zu ihm hinunter und küsste ihn.
„Du hast die Drei-V-Regel missachtet. Du weißt, dass du deshalb verhaftet werden kannst. Das Gute daran ist: Während du im Gefängnis sitzt, musst du dir keine Gedanken darüber machen, ob du bald Daddy wirst oder nicht.“ Sie hielt ein weißes Plastikstäbchen hoch. „Denn ich bin nicht schwanger!“
Der Test. Das hatte er schon wieder ganz vergessen. Er griff nach dem Stäbchen, doch sie zog es weg.
„Da hab ich draufgepinkelt. Das brauchst du nicht anzufassen.“
„Stimmt.“ Er sah sie an. „Ist das ganz sicher?“
„Ja. Und nicht nur deshalb.“ Sie wedelte mit dem Stäbchen. „Ich habe die üblichen Vorzeichen, morgen oder so kommt meine Periode. Ein bisschen zu spät, aber das kann am Stress liegen. Kommt schon mal vor.“
„Und, findest du das Ergebnis okay?“
Verwundert betrachtete sie ihn. „Absolut. Sei doch froh. Das wollten wir doch. Oder etwa nicht?“
„Natürlich.“ Eine unerwartete Schwangerschaft war nicht gerade Teil seines Fünfjahresplans.
„Und da wir nach dem ersten Mal immer verhütet haben, müssen wir uns ab jetzt gar keine Gedanken mehr machen.“ Sie stand auf und warf das Stäbchen in den Abfalleimer. „Ich habe uns Kaffee gemacht, und Eier hab ich auch da, wenn du möchtest. Soll ich dir ein Rührei machen?“
Er setzte sich auf und nahm ihre Hand. „Ich esse nur Torte.“
Sie lachte. „Du bist der richtige Mann für mich. Willst du erst noch schnell unter die Dusche springen?“
„Danke.“
Etwa eine halbe Stunde später verließ Riley das Haus und fuhr zu sich nach Hause, um sich etwas Frisches anzuziehen. Sein nächster Weg führte ihn in die Bank. Er hatte Gracie versprochen, sie später anzurufen und mit ihr die weitere „Pam-Strategie“ zu besprechen. Außerdem würde er sich mit Zeke treffen und weiteren geschäftlichen Verpflichtungen nachgehen.
Aber er konnte an nichts anderes denken als an Gracie und daran, dass sie nicht schwanger war. Das ist doch super, sagte er sich immer wieder. Trotzdem freute er sich gar nicht über das Ergebnis. Im Gegenteil. Hatte er insgeheim gehofft, sie wäre schwanger?
Auf keinen Fall. Dann hätte er sie vermutlich geheiratet und wäre Ehemann und Vater geworden. Das entsprach nicht seinen Plänen für die Zukunft. Er war ein ungebundener Mensch, und Gracie ...
Na gut, vielleicht. Mit Gracie könnte er es sich eventuell sogar vorstellen, sesshaft zu werden. Aber es musste nicht sein. Das war einfach nicht sein Ding. Das wollte er nicht.
Gracie war ihm allerdings schon wichtig. Und deshalb wollte er ihr auch unbedingt helfen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Es war so schön, mit ihr zusammen zu sein.
Es macht Spaß, ist aber unwichtig, versuchte er sich einzureden. Sobald die Wahl vorbei war, gewonnen oder verloren, würde er von hier verschwinden. Daran hatte sich nichts geändert.
„Wir machen ein Mädels-Treffen“, verkündete Alexis. „Bitte sag, dass du kommst.“
Gracie war nicht gerade in der Stimmung für ein Familientreffen, aber sie wollte gerne ihre Mutter sehen. Seit ihrem klärenden Gespräch hatten sie sich nicht mehr getroffen.
„In Ordnung“, willigte sie also ein. „Um wie viel Uhr?“
„Vivian arbeitet heute halbtags, und Mom und ich machen lange Mittagspause. Wie war’s also mit zwölf Uhr? Jeder bringt was mit. Wie wär’s mit einem Kuchen, Gracie?“
„Na klar, bring ich mit. Thunfischsalat hätte ich auch im Angebot.“
„Nein danke.“
Gracie kicherte, dann seufzte sie. „Ist Vivians Hochzeit wieder ein Thema?“
Alexis zögerte. „Um ehrlich zu sein: Ich habe keine Ahnung. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich es wissen will. Wenn sie noch einmal ihre Pläne umwirft, muss ich sie, glaube ich, umbringen.“
In dieser Beziehung musste Gracie ihr zustimmen. „Und was ist mit Tom? Hat sie noch mal mit ihm gesprochen?“
„Auch das weiß ich nicht. Wir werden es wohl heute Mittag erfahren. Dann bis nachher.“
„Alles klar. Ich bin da.“
Gracie legte auf und ging in die Küche. Aus rein egoistischen Gründen würde sie sich darüber freuen, wenn die Hochzeit ihrer Schwester doch stattfinden würde – dann könnte sie wieder eine Torte machen. Denn zurzeit stand als einziger Auftrag die langweilige Biskuittorte für den Geschichtsverein an. Obwohl für die Veranstaltung etwas allzu Üppiges sicher unpassend war, würde sich Gracie doch große Mühe geben.
Allerdings hatte sie ihren Skizzenblock zusammen mit ihren besten Backformen in Pams Küche gelassen. Irgendwann müsste sie sich also noch einmal dort zeigen und die Dinge abholen. Aber nicht heute. Sie würde das Design einfach noch einmal skizzieren und ihren Arbeitsplan neu erstellen. Immerhin musste sie sich jetzt nicht mehr darum sorgen, wie sie den Auftrag zwischen all den anderen unterbringen konnte.
Um kurz vor zwölf machte sie sich auf den Weg zu ihrer Mutter. In mancherlei Hinsicht fühlte sie sich zuversichtlicher. Ihre Probleme lösten sich eins nach dem anderen auf, so schien es zumindest. Sie war nicht schwanger, und sie hatte sich mit ihrer Mutter ausgesöhnt. Wenn sie es jetzt noch schaffte, ihr Geschäft wieder zum Laufen zu bringen, wäre nahezu alles perfekt.
Sie parkte hinter Alexis’ Wagen. Ihre Schwester, die auch gerade eingetroffen war, wartete an der Tür auf sie. Gracie nahm die pinkfarbene Pappschachtel vom Beifahrersitz und stieg aus.
„Alles klar?“, fragte Alexis. Sie sah auffallend glücklich aus.
„Ja. Und bei dir?“
„Mir geht’s super. Zeke und ich haben uns die letzten paar Nächte unterhalten.“ Und grinsend fügte sie hinzu: „... und andere Sachen gemacht. Hat Riley dir davon erzählt, dass Zeke gerne Stand up machen würde?“
Gracie nickte. „Und? Wie findest du das?“
„Ganz ehrlich? Zuerst war ich schockiert und auch ziemlich sauer. Dann dachte ich nach und kam zu dem Schluss, dass Zeke eine Chance verdient, seinen Traum zu verwirklichen. Außerdem gefällt mir die Vorstellung, mit einem berühmten Mann verheiratet zu sein.“
Obwohl sie diesen Aspekt nicht nachvollziehen konnte, nickte Gracie zustimmend. Wieder einmal wurde ihr bewusst, dass sie wohl nie so ganz auf einer Wellenlänge mit ihren Schwestern liegen würde. Und das hatte nichts damit zu tun, dass sie bei ihrer Tante und ihrem Onkel aufgewachsen war, sondern schlicht und einfach mit ihrer Unterschiedlichkeit.
„Nach der Wahl wird er seine Stelle kündigen“, erklärte Alexis und klopfte kurz an die Haustür, die sie gleich darauf öffnete. „Und dann leben wir von meinem Gehalt.“
„Du machst Witze.“ Gracie konnte sich nicht vorstellen, dass Alexis das ernst meinte.
„Ich versuche, eine gute Ehefrau zu sein, die ihren Mann unterstützt. Er kann es mir später in Form von Schmuck zurückzahlen.“
„Interessanter Plan“, pflichtete Gracie ihr bei. Was sollte denn diese Zurückzahlen-Mentalität? Na gut, vielleicht war das bei den beiden so. Gracie war nicht verheiratet, ihr war so etwas fremd.
„Ihr seid da“, wurden sie von Vivian begrüßt, die aus der Küche kam. „Gracie, ich hoffe, du hast einen großen Kuchen mitgebracht. Ich fahre zurzeit voll auf Süßes ab!“
„Eine fünfundzwanzig Zentimeter hohe, dreistöckige Torte mit Schokoladenfüllung.“
Vivian seufzte genießerisch. „Perfekt.“
Gracie sah zu, wie ihre kleine Schwester ihr die Tortenbox abnahm und hineinschaute. Irgendwie wirkte Vivian älter und dünner, seit sie sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und einen traurigen Zug um den Mund.
„Stimmt was nicht?“, fragte Gracie.
„Hatte dein Trick mit dem Sex keinen Erfolg?“, fragte Alexis grinsend. „Das hätte ich dir vorher sagen können.“
„Alles okay, Vivian?“ Gracie machte sich tatsächlich Sorgen.
„Nein, aber das wird schon. Die Zeit heilt alle Wunden. Sogar Liebeskummer.“
„Tom wird zurückkommen“, sagte Alexis zuversichtlich. „Ein paar Wochen Entzug, und er ist Wachs in deinen Händen.“
Vivian zuckte mit den Schultern. „Das glaube ich nicht. Er war ziemlich eindeutig. Kommt mit, Mom wartet schon.“
Die drei Schwestern gingen in die Küche. Ihre Mutter hatte vier Platzsets auf den großen runden Tisch gelegt.
„Alle meine Mädels sind da“, freute sie sich. „Ist das schön.“
Nacheinander umarmte sie ihre Töchter. Als Gracie an der Reihe war, flüsterte ihre Mutter ihr zu: „Ich bin so froh, dich zu sehen.“
„Ich auch“, erwiderte Gracie ebenfalls flüsternd.
Sie setzten sich. Vivian reichte Sandwiches und Salat herum und schnitt sich selbst ein riesengroßes Stück Torte ab. Doch anstatt zu essen, schob sie das Tortenstück nur lustlos auf ihrem Teller herum.
„Was ist denn jetzt mit Tom?“, wollte Alexis wissen, während sie sich ein Sandwich mit Hühnersalat nahm.
„Nicht viel. Wir haben ein paar Mal miteinander geredet, aber er bleibt bei seiner Entscheidung. Ich ...“ Sie schluckte und sah Gracie an. „Ich schätze, du hattest recht. Ich hätte ehrlich mit ihm umgehen müssen, aber ich war noch nie aufrichtig zu einem Mann. Ich dachte immer, man müsste sich geheimnisvoll und unberechenbar geben, um sie an sich zu binden. Und Mom hat Dad ja auch nie irgendwas erzählt. Ich weiß noch“, sagte sie an ihre Mutter gewandt, „du hast uns neue Schuhe gekauft und uns gleichzeitig eingeimpft, Dad nichts davon zu verraten. Und das wochenlang.“
Ihre Mutter blickte zu Vivian. „Das war, weil ich nicht wollte, dass er böse auf mich ist wegen des Geldes. Das hat nichts mit Ehrlichkeit zu tun. Daran erinnerst du dich?“
„Ich war damals neun. Aber eigentlich erinnere ich mich an überhaupt nichts.“ Vivian wandte sich an Alexis. „Erzählst du Zeke denn alles?“
„Natürlich nicht, aber das ist was anderes. Wir sind verheiratet.“
Es war nicht leicht für Gracie, nichts dazu zu sagen. Doch sie hielt sich zurück. „Ich vermute, nachdem du gleich mehrfach damit gedroht hast, die Hochzeit platzen zu lassen, hatte Tom das Gefühl, du liebst ihn nicht.“
Erstaunt nickte Vivian. „Ja, genau das hat er gesagt. Er sei sich meiner Gefühle zu ihm nicht sicher. Er hätte Angst, ich würde einfach davonlaufen, wenn es Probleme gäbe. Dabei würde ich das nie tun. Wenn man verheiratet ist, hat man eine Verpflichtung.“
„Vielleicht hätte er das gerne vor der Hochzeit mal gehört“, sagte Gracie sanft.
„Vermutlich.“
„Das wird schon wieder“, tröstete ihre Mutter sie. „Wenn ihr zwei füreinander bestimmt seid, dann findet ihr auch wieder zueinander.“
„Das hoffe ich.“ Vivian hatte Tränen in den Augen. „Ich vermisse ihn so sehr. Und ich habe ein schlechtes Gewissen wegen der Sachen, die alle schon bezahlt sind. Am Freitag soll ich das Kleid abholen. Was soll ich denn jetzt damit?“
„Behalt es“, sagte Alexis fröhlich. „Wart’s ab. Er wird schon wieder auftauchen.“
„Nein, das glaube ich nicht. Und selbst wenn, unsere Hochzeit wird anders ausfallen als geplant.“ Vivian betrachtete ihr Stück Torte. „Er war nämlich wirklich sauer über die ganzen Kosten. Er hat gesagt, Mom, er würde dich anrufen, um mit dir zu besprechen, wie er das Geld zurückzahlen könnte.“
„Das hat er schon getan“, gab ihre Mutter zu.
„Wie bitte? Und? Was hast du gesagt?“
„Ich habe ihm gesagt, dass ich schon zurechtkomme. Aber ich habe mich über sein Angebot gefreut.“
Gracie bedauerte es plötzlich, dass die Hochzeit abgesagt war. Dieser Tom schien doch ein super Typ zu sein. Er würde ihre Schwester sicher gut behandeln.
„Ja, behalt das Kleid“, ermunterte auch sie ihre Schwester. „Und falls ihr doch nicht mehr zusammenkommen solltet, verkaufst du es einfach im Internet.“
„Das stimmt, das kann ich machen. Ich muss nur ...“ Sie straffte die Schultern. „Mom, hast du schon allen abgesagt? Ich kann ja auch ein paar Anrufe übernehmen.“
„Alles schon erledigt, danke.“
Vivian schüttelte den Kopf. „Nein. Ich muss auch etwas machen. Es geht nicht in Ordnung, dass du die ganze Arbeit hast und die gesamten Ausgaben trägst. Ich weiß, ich habe gesagt, du müsstest mein Kleid nicht allein bezahlen, aber bisher habe ich dir kaum etwas gegeben. Lass mich dir im Laden heifen, mindestens fünfzehn Stunden in der Woche. Dann kann ich dir das Geld zurückzahlen.“
„Schätzchen, das musst du nicht.“
Vivian schenkte ihr ein unsicheres Lächeln. „Ich glaube aber, das wäre besser für mich. Dann werde ich vielleicht endlich mal erwachsen.“
„Auch kein schlechtes Argument“, erwiderte ihre Mutter.
Alexis rollte mit den Augen, aber Gracie wurde es warm ums Herz. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung für Vivian. Und dann würde Tom bestimmt zu ihr zurückkommen.
Ihre kleine Schwester sah sie an. „Vielleicht kannst du mir ein paar Tipps geben, wie ich über meinen Liebeskummer hinwegkomme. Wie hast du das damals mit Riley geschafft?“
Gracie öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Noch vor vier Wochen hätte sie gesagt, Zeit und Distanz würden helfen. Doch mittlerweile war sie sich nicht mehr sicher, ob sie jemals über Riley hinweggekommen war. Denn er verkörperte alles, was sie sich von einem Mann erträumte.
Augenzwinkernd betrachtete sie Vivian. „Da fragst du die Falsche“, sagte sie langsam. „Ich bin nämlich nicht über ihn hinweg. Eigentlich bin ich total verliebt in ihn.“ Sie sah ihre Mutter an. „Tut mir leid, Mom. Ich weiß, das hattest du dir anders vorgestellt.“
„Ach was. Diese geierhaften Weiber habe ich lange genug meine Freundinnen genannt. Ich möchte nur, dass du glücklich bist. Und wenn das so ist, wenn du ihn liebst, dann nur zu. Bist du denn glücklich?“
„Keine Ahnung. Momentan bin ich noch leicht schockiert.“
„Und alles nur meinetwegen“, stellte Alexis selbstgefällig fest. „Ich habe dafür gesorgt, dass die beiden wieder zusammenkommen.“
„Und?“, wollte Vivian wissen. „Willst du denn wieder in ihn verliebt sein? Und ist er auch in dich verliebt?“
„Das weiß ich nicht“, antwortete Gracie, obwohl sie ein überschäumendes Gefühl in sich verspürte. „Ich glaube schon, dass er mich mag, aber ... Ich weiß es nicht.“
„Aber du wirst es ihm sagen, oder?“, meinte ihre Mutter.
„Natürlich. Klar. Aber erst nach der Wahl.“
„Was?“, fragten alle anderen drei Frauen gleichzeitig.
„Ich muss damit noch warten“, erklärte Gracie. „Er liegt in den Umfragen hinten, da will ich ihn jetzt nicht ablenken.“
Wenn sie es ihm sagen und er die Wahl nicht gewinnen würde, konnte er die Bank nicht schließen, und die Kredite der Leute würden weiterlaufen.
Nein! So durfte sie nicht denken. Das wäre unehrlich und falsch.
„Ich bin total durcheinander“, gab sie zu. „Aber ich werde es ihm auf jeden Fall sagen. Nur im Moment nicht.“
Vivian wiegte den Kopf hin und her und betrachtete sie ganz genau. „Wie groß bist du? Hättest du vielleicht Interesse an einem traumhaft schönen, noch nie getragenen Hochzeitskleid?“
Gracie lachte heiser. „Ich sage dir dann Bescheid.“
„Kommen Sie rein“, bat Riley, ohne den Blick von seinem Computerbildschirm abzuwenden. Mittlerweile erkannte er Diane schon am Klopfen.
„Das Ticketkomitee des Geschichtsvereins ist an uns herangetreten“, sagte Diane und trat ins Büro.
„Sie haben ein Komitee für den Ticketverkauf?“
„Es besteht aus zwei Personen, aber sie mögen es, wenn es gewichtig klingt.“
Riley speicherte das Dokument, an dem er gerade arbeitete, und sah seine Sekretärin an. „Ich verstehe. Wie viele Tickets soll ich abnehmen?“
Diane presste die Lippen aufeinander. „Offensichtlich so viele Sie möchten. Aber ich habe das Komitee bereits darüber unterrichtet, dass Sie kein Interesse daran haben, örtliche Wohltätigkeitsvereine zu unterstützen, und dass es sehr unwahrscheinlich ist ...“
„Ich nehme fünfzig.“
Mit Genuss bemerkte er, dass Diane die Kinnlade herunterfiel.
„Wie bitte?“
„Fünfzig Eintrittskarten“, wiederholte Riley langsam, als ob er sich Dianes geistiger Fähigkeiten plötzlich nicht mehr sicher sei. „Kaufen Sie fünfzig Stück, und verteilen Sie sie an die Mitarbeiter. Ich möchte auch eins. Und was dann an Tickets noch übrig ist, können die Leute für ihre Familie mitnehmen.“
Sie klappte den Mund wieder zu und sah ihren Chef misstrauisch an. „Seit wann interessiert Sie denn der Geschichtsverein?“
„Er interessiert mich nicht.“
„Und trotzdem kaufen Sie Eintrittskarten zu zehn Dollar pro Stück?“
Riley lehnte sich in seinem Stuhl zurück und grinste. Es machte wirklich Spaß, Diane aus der Ruhe zu bringen.
„Vielleicht haben Ihre Versuche, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, endlich gefruchtet“, eröffnete er ihr.
„Das möchte ich bezweifeln.“
„Dann möchte ich mich vielleicht für unser koloniales Erbe einsetzen.“
„Das glaube ich erst recht nicht.“
Er kicherte. Falls er bleiben sollte, bekäme sie eine Gehaltserhöhung. „Gracie macht die Torte für die Veranstaltung. Alle, die diese Torte probieren, werden sagen, wie großartig sie schmeckt.“
„Ich verstehe.“
In ihren Worten schwang ein Unterton mit, den er nicht zu deuten wusste.
„Möchten Sie dazu noch etwas sagen?“, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Dann rufe ich jetzt das Komitee an?
„Welche Hälfte?“
Beinahe hätte sie gelächelt. Dann entschuldigte sie sich und verließ sein Büro.
Riley betrachtete einen Moment lang die geschlossene Tür. Irgendwie mochte er Diane. Zuerst war es nur wegen ihrer Effizienz gewesen, aber mittlerweile hatte er Respekt vor ihr und fand es angenehm, mit ihr zu arbeiten. Er würde sie vermissen, wenn er nicht mehr da war. Aber egal.
Er widmete seine ganze Aufmerksamkeit wieder dem Schriftstück von vorhin, doch schon nach ein paar Minuten fuhr er den Rechner herunter und griff nach seiner Anzugsjacke. Plötzlich wurde es ihm in seinem Büro irgendwie zu eng.
Als er Diane über seine kurze Abwesenheit informiert hatte, machte er sich auf den Weg zu seinem Parkplatz hinter der Bank. Vor der großen Glastür fiel ihm eine Frau auf, die ein kleines Kind an der Hand hatte und in Eile zu sein schien. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor.
Er hielt ihr die Tür auf und lächelte. „Guten Tag.“
„Oh, Mr. Whitefield. Schön, Sie zu sehen.“ Die Frau nickte ihm zu. „Becca Johnson. Ich bin die Frau mit dem Kredit für die Kindertagesstätte bei mir zu Hause.“
„Ja, richtig. Wie geht es Ihnen?“
„Sehr gut. Viel zu tun und müde, aber die Arbeit läuft wunderbar und macht mir viel Spaß. Noch einmal herzlichen Dank, dass Sie mir den Kredit gewährt haben. Sie sind ein echter Lebensretter!“
„Gerne.“
Die Frau betrat die Bank, und Riley ging zu seinem Wagen. Wie es wohl mit ihr weiterging, wenn er die Bank dichtmachte? Aber das dürfte kein großes Problem sein. Natürlich würde eine andere Bank ihre Gewinn – und Verlustrechnungen verlangen. Als neu gegründetes Unternehmen hatte sie aber sicher keine großen Gewinne zu verzeichnen.
Nicht mein Problem, sagte er sich und stieg ein.
Auf dem Weg durch die Stadt fiel sein Blick auf verschiedene Geschäfte, die bei seiner Bank Kredite besaßen. Einige von ihnen würden nirgendwo anders eine Finanzierung bekommen, das war ihm klar. Und wie sah das mit Privathaushalten aus? Wie viele Leute hatten einen Kredit bei ihm? Zehntausend? Zwanzigtausend?
Das musste ihm egal sein. Er kannte diese Menschen nicht. Sein Plan war, auf keinen Fall in Los Lobos zu bleiben. Er wollte vielmehr alles zerstören, was sein Onkel aufgebaut hatte. Dann konnte er nachts vielleicht wieder gut schlafen.
Er war in einem Wohngebiet angekommen und fuhr rechts ran. Einstöckige Einfamilienhäuser säumten die Straße. Gepflegte Rasen, große alte Bäume. Hier wohnten viele Familien mit kleinen Kindern. Und die Väter mähten jeden Samstag den Rasen.
Auch er hatte sich einmal ein solches Leben gewünscht. Nachdem sein Vater abgehauen war, hatte Riley davon geträumt, ein schlichtes, aber glückliches Leben zu führen, in einem echten Haus zu leben anstatt in einem Wohnwagen. Mit beiden Eltern. Und er hatte sich gewünscht, seine Mutter würde wieder glücklich werden und nicht heimlich weinen, wenn sie dachte, er sei eingeschlafen. Immer hatte sie sich Sorgen ums Geld gemacht. Sie konnte es sich nicht leisten, ihm Sachen für die Schule zu kaufen, und manchmal reichte das Geld nur für sein Essen; sie selbst aß dann nichts.
Das hatte er mehr als alles andere gehasst. Und sein Onkel, der alles auf einen Schlag hätte ändern können, hatte seine Schwester einfach verstoßen. Der alte Mistkerl hatte sie sogar sterben lassen.
Und das würde Riley ihm niemals vergessen, niemals.
Er schlüpfte in sein Jackett und stieg aus dem Wagen. Dann ging er zum nächstgelegenen Haus und klopfte an die Tür. Eine Frau Anfang vierzig öffnete ihm.
„Guten Tag“, sagte er fröhlich. „Mein Name ist Riley Whitefield, und ich kandidiere für den Bürgermeisterposten.“
Die Frau funkelte ihn wütend an. „Ich dachte mir schon, dass Sie das sind, ich kenne Ihr Gesicht von den Wahlplakaten. Falls Sie wegen der Wahl hier sind, können Sie es gleich vergessen. Ich hätte für Sie gestimmt, weil ich diesen Fiesling von Yardley nicht ausstehen kann. Aber im Vergleich zu Ihnen ist der Mann ja ein Heiliger!“
„Wie bitte?“ Riley hatte keine Ahnung, wieso die Frau so wütend auf ihn war. „Wieso haben Sie Ihre Meinung geändert?“
„Wegen Gracie Landon. Ich kenne sie zwar nicht persönlich, aber ich kenne die Geschichten. Sie war verrückt nach Ihnen, liebte Sie von Herzen – aber Sie haben sich nie darum gekümmert. Und tun es immer noch nicht.“
Bin ich im falschen Film?, schoss es Riley durch den Kopf.
„Ich kann Ihnen versichern, dass Gracie und ich nie ...“ Nie was? Miteinander geschlafen haben? „Sie ist nicht schwanger, und wenn sie es wäre, würde ich sie sofort heiraten.“
„Ach, wie romantisch! Auf einmal stehen Sie also zu ihr, weil Sie ihr mit Ihrem rücksichtlosen Verhalten das Leben versaut haben. Tolle Leistung. Echt nobel.“ Die Frau schüttelte den Kopf. „Sie haben gar nichts kapiert, oder? Gracie ist hier eine Legende. Sie hat Sie mit einer Hartnäckigkeit geliebt, die wir alle bewundern. Aber Sie haben nie verstanden, welches Geschenk Ihnen dargeboten wurde. Für Sie war Gracie immer nur eine Nervensäge. Ich würde sagen, Sie liegen schief! Ihre Liebe ist ein Geschenk, und wenn Sie zu dumm sind, das zu kapieren, dann sind Sie auch zu dumm, um Bürgermeister zu werden!“