17. KAPITEL

Gracie stand vor ihrem Terminkalender und fragte sich, ob sie ihr Geschäft wohl aufgeben müsste. Am besten wäre es natürlich, Neda Jackson würde die Sache für sich behalten, aber das war ziemlich unwahrscheinlich. Ohne den Artikel im Brautmagazin ging der Journalistin bestimmt ziemlich viel Geld durch die Lappen. Also musste sie die Kohle irgendwie anders hereinholen. Und wer zahlte besser für skandalträchtige Geschichten als die Klatschpresse? Daher rechnete Gracie mit dem Schlimmsten.

Aber wann würde es so weit sein? In ein paar Tagen oder erst in ein paar Wochen?

Eigentlich spielte es ja auch gar keine Rolle. Sie hatte viel zu tun, Torten backen und dekorieren. Seit der Geschichte mit den Backmischungen war sie nicht mehr in Pams Küche gewesen. Sie wurde einfach das Gefühl nicht los, dass Pam etwas mit der Sache zu tun hatte. Aber solange Gracie keine Beweise dafür hatte, wollte sie sie nicht damit konfrontieren.

Ein Auto bog in ihre Einfahrt. Seit sie sich mit ihrer Mutter versöhnt hatte, grauste es Gracie nicht mehr so sehr vor unangekündigten Besuchern. Vielleicht war es ja diesmal sogar jemand, den sie mochte?

Sie lief zur Haustür und lächelte, als sie einen vertrauten Mercedes neben ihrem Wagen stehen sah und ein gewisser, unwiderstehlich gut aussehender Mann auf sie zukam.

„Musst du nicht eine Bank leiten?“, begrüßte sie ihn und versuchte, die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu ignorieren. Es war schön, Riley zu mögen. Aber ihn zu lieben war vielleicht doch nicht die vernünftigste Entscheidung.

„Dafür hat man ja Personal“, erwiderte er und küsste sie zur Begrüßung. „Eine der Annehmlichkeiten, die man als Chef so genießt.“

„Personal, ach so? Könnte ich auch gebrauchen.“ Sie ließ ihn herein und ging dann vor in die Küche. „Was gibt’s?“

Er stellte sich vor sie und legte beide Hände auf ihre Schultern. „Ich habe gute Neuigkeiten von Zeke. Er hat keine Affäre. Nicht einmal annähernd.“

Damit hatte sie jetzt überhaupt nicht gerechnet. „Was? Du hast mit Zeke gesprochen?“

„Ich kann dein ganz großes Problem nicht lösen. Da wollte ich wenigstens eins von den kleinen klären.“

Das ist ja süß, dachte sie glücklich. „Okay. Also was treibt er, wenn er jeden Abend verschwindet?“

„Achtung, mach dich auf etwas gefasst.“

Rileys Nähe machte sie ganz verrückt.

„Ich bin bereit.“

„Er tritt als Stand-up-Comedian auf.“

Gracie starrte ihn an. „Bitte was?“

„Genau so habe ich auch reagiert. Offensichtlich war es immer Zekes Traum, auf der Bühne zu stehen und Stand up zu machen. Aber dann traf er Alexis, verliebte sich in sie und gab seinen Traum auf. Doch seit einiger Zeit juckt es ihn wieder. Und weil er nicht sein Leben lang etwas bereuen will, versucht er es jetzt noch einmal.“

Stand up? „Ah ... Ich finde ihn gar nicht so lustig. Und wieso hat er Alexis nichts davon gesagt?“

„Frag mich nicht. Wahrscheinlich liegt es an der Familienplanung, und er wollte sie nicht damit beunruhigen, dass er seinen Job kündigen will. Er tritt im Moment auf Kleinkunstbühnen in Santa Barbara und L. A. auf. Vor ein paar Wochen hat er sich mit Leuten von Jay Leno getroffen – und jetzt wartet er auf eine Nachricht.“

Gracie konnte es nicht glauben. Erstens hätte sie so etwas nie von ihrem Schwager erwartet, und zweitens hatte sie gar nicht gewusst, dass Alexis mit dem Gedanken spielte, ein Baby zu bekommen. In letzter Zeit war ein bisschen viel von Schwangerschaften die Rede.

„Will er es Alexis denn gar nicht sagen?“, fragte Gracie.

„Ich konnte ihn davon überzeugen, dass es das Beste wäre.“

„Und wie konntest du ihn davon überzeugen?“

Riley sah stolz aus. „Ich habe ihm gedroht.“

„Mit körperlicher Gewalt?“

„Genau.“

Sie kicherte. „Das hat dir Spaß gemacht, was?“

„Absolut. Ich habe mich seit Jahren nicht mehr geprügelt, aber gegen ihn würde ich sofort antreten. Zeke ist ein ziemliches Handtuch und hat es lieber gar nicht erst drauf ankommen lassen.“

„Was bin ich stolz auf euch!“ Sie machte einen Schritt auf Riley zu und schlang die Arme um ihn. „Ein Problem erledigt, fünfzig Millionen weitere warten.“

„Ist das so?“, fragte er und streichelte ihren Rücken.

„Jede Minute, jeden Tag.“

„Dann lass uns das nächste Problem angehen. Pam und die Backmischungen.“

Gracie überlegte. „Welches Interesse könnte sie daran haben, mir zu schaden?“

„Ich habe keine Ahnung, aber sie ist einfach oberverdächtig. Wir müssen herausfinden, was sie vorhat.“

Es grummelte schon wieder in ihrem Bauch, und Gracie dachte sehnsüchtig an Tabletten. „Bitte sag jetzt nicht, dass wir sie observieren sollten.“

Wenn sie Gewissheit haben wollte, musste sie Riley wohl begleiten. „Um acht Uhr bin ich hier. Zieh dir was Dunkles an, und bring deine Kamera mit.“

Als er gegangen war, kehrte Gracie zurück an ihre Arbeit. Da sie alle zehn Minuten die Formen wenden musste, war die Arbeit noch zeitaufwendiger als sonst. Sie war gerade dabei, einen Tortenboden aus dem Ofen zu nehmen, als ihr Handy klingelte. Sie ging sofort dran.

„Hier Gracie.“

„Wie konnten Sie das nur tun?“, fauchte eine ihr unbekannte Frau sie an. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich Sie gerne titulieren würde. ‚Miststück‘ ist noch viel zu nett!“

„Wie bitte?“ Gracie blinzelte. „Wer ist denn da? Ich glaube, Sie haben sich verwählt.“

„Das hätten Sie wohl gerne! Ich hasse Sie! Das verzeihe ich Ihnen nie! Und ich will sofort meine Anzahlung wiederhaben. Wie kommen Sie dazu, sich als Profi auszugeben? Sie sind wirklich das Letzte, Sie Lügnerin! Mein Vater ist Rechtsanwalt, und ich werde Sie verklagen. Das ist ja widerwärtig!“

Gracie drehte sich der Magen um. Plötzlich war ihr eiskalt.

„Mit wem spreche ich?“, fragte sie so gefasst wie möglich.

„Sheila Morgan. Sie sollten nächsten Monat meine Hochzeitstorte machen. Aber Sie haben mich angelogen, Gracie. Alles war gelogen. Jetzt suche ich mir jemand anderen. Hoffentlich schmoren Sie in der Hölle! Ich bin so sauer, ich könnte Sie noch stundenlang beschimpfen!“

Abrupt wurde das Gespräch beendet. Gracie sah ratlos ihr Handy an. Dann schaltete sie es aus.

Zwanzig Minuten später stand sie im Supermarkt an der Kasse. Die Wochenzeitungen waren noch in Bündeln verschnürt und nicht ausgepackt. Sie überflog die Überschriften von zwei Zeitungen, dann las sie den Aufmacher.

„Hochzeitstortenkreateurin mischt Promis mit Fertigteig auf.“

Daneben ein Bild einer verknitterten Fertigbackmischung.

Gracie riss die Zeitung aus dem Bündel und blätterte, bis sie den Artikel fand. Er war nicht lang, etwa eine halbe Seite, aber da war ein Bild von ihrem Wagen, vollgestopft mit den Backmischungspackungen. Und daneben ein Bild von ihr, auf dem sie völlig schockiert aussah.

Der Artikel steckte voller Anspielungen. In keinem Satz wurde behauptet, sie würde die Fertigbackmischungen tatsächlich benutzen. Doch das war bei diesen Zeilen auch überflüssig.

Bis achtzehn Uhr wurden etwa achtzig Prozent ihrer Torten-Vorbestellungen gecancelt. Offensichtlich war die Meldung auch durchs Internet gegangen, denn auf den Foren überschlugen sich die Leute mit bösen Kommentaren. Sogar der Herausgeber des Brautmagazins hatte sie angerufen und sie beschimpft.

Gracie lag im Bett und starrte ihr Handy an. Immer mehr Absagen wurden auf die Mailbox gesprochen. Alle Kunden waren wütend auf sie, und sie hatte keine Ahnung, wie sie ihnen begreiflich machen könnte, dass man eigentlich sie betrogen hatte – und nicht umgekehrt.

Das kann doch alles nicht sein, versuchte sie sich einzureden. Das war alles nur ein böser Traum. Sie hatte sich so mühsam über viele Jahre hinweg einen guten Ruf aufgebaut, und jetzt sollte auf einen Schlag nichts mehr davon übrig sein? Einfach so? Es interessierte niemanden, wie lange sie an jeder einzelnen Torte arbeitete, bis sie wirklich perfekt war. Niemand wollte die Wahrheit hören.

Es wurde dunkel im Zimmer, und sie musste sich zwingen, aufzustehen und weiterzumachen. Doch ihr fehlte jegliche Energie, und so zog sie sich ein Kissen über den Kopf und wünschte die Welt ganz weit weg.

Irgendwann klopfte es an der Haustür. Sie reagierte nicht, obwohl es sicher Riley war. Was spielte es noch für eine Rolle, ob Pam die Schuldige war? Der Schaden war angerichtet. Gracies Firma war ruiniert.

Ein paar Minuten später erstarb das Klopfen. Gracie warf das Kissen auf die andere Bettseite und starrte an die Decke. Dann hörte sie, wie eine Tür aufging. Dann Schritte.

Normalerweise hätte sie sich in diesem Moment alles Mögliche ausgemalt – Einbrecher, Mörder, so etwas -, doch im Augenblick war ihr einfach alles egal.

„Gracie?“

Es war Riley. Dieser Mann gab wohl nie auf.

„Hier“, rief sie. Ihre Stimme klang gedämpft und verletzt. Ihr tat alles weh.

Im Flur ging das Licht an. Wenige Sekunden später stand Riley in der Tür.

„Was ist denn los? Bist du krank?“

„Das wäre schön. Dann würde es mir irgendwann wieder besser gehen. Oder ich würde sterben. Dann wären meine Probleme wenigstens gelöst.“

Er setzte sich zu ihr aufs Bett und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Was ist denn los?“

Sie holte ihr Handy und rief ihre Mailbox an. Dann drückte sie ihm den Apparat in die Hand.

Er hörte mehrere Minuten lang zu. Als er das Handy weglegte, kämpfte sie mit den Tränen.

„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, klagte sie. „Sonst würde ich die Leute ja verstehen. Aber ich habe nichts gemacht, nur will das keiner hören. In meiner Branche ist man von einem guten Ruf abhängig – und das ist jetzt alles vorbei. Nur die beiden Torten für dieses Wochenende sind mir noch geblieben, wahrscheinlich weil es jetzt zu spät für die Kunden ist, jemand anderen zu finden. Aber sonst haben fast alle abgesagt, außer dem dämlichen Geschichtsverein mit seiner doofen verzierten Biskuittorte. Und wahrscheinlich haben die auch nur deshalb nicht abgesagt, weil sie die Torte umsonst von mir bekommen.“

Riley fühlte wirklich mit ihr. Sein grimmiger Blick entging ihr nicht.

„Das kriegen wir wieder hin“, sagte er und küsste sie.

„Ich will ja nicht pessimistisch klingen, aber wie soll das gehen?“

„Uns fällt schon was ein. Wir sind doch ein tolles Team. Und jetzt komm, Pam ist der Schlüssel für alles. Ich habe meinen Privatdetektiv schon auf sie angesetzt. In ihrer Vergangenheit scheint es so einige dunkle Stellen zu geben, und die will ich herausfinden. Und bis dahin schießen wir ein paar kompromittierende Fotos von ihr.“

Gracie schüttelte den Kopf. „Ohne mich.“

„Ich gehe nicht ohne dich.“

Er nahm sie am Arm und brachte sie in eine sitzende Position, dann hockte er sich vor sie.

„Los, komm, Gracie. Wir zahlen es Pam heim. Wir machen sie fertig! Das wird dich wieder auf die Beine bringen!“

Das Bedürfnis, einfach im Bett liegen zu bleiben, war überwältigend. Aber vielleicht würde sie dann nie mehr aufstehen, davor hatte sie Angst.

„Okay. Ich muss mich nur noch schnell umziehen.“

Sie stand auf und ging hinüber zu ihrem Kleiderschrank. Die Auswahl war irgendwie zu groß. Ungeduldig stellte Riley sich neben sie und wählte eine schwarze Jeans und ein dunkellila T-Shirt für sie aus.

„Sehr schick“, stellte er fest und legte ihr die Sachen über den Arm. Dann schob er sie Richtung Badezimmer. „Du hast drei Minuten.“

„Du hast ja richtig Geschmack“, lobte sie ihn.

Er grinste. „Auf einer Ölplattform kennt man sich mit so was aus. Es hängen ja überall Bilder von halbnackten Models. Aber was in Wirklichkeit unsere Aufmerksamkeit fesselt, sind die Neuigkeiten von den Laufstegen dieser Welt.“

Sie musste lächeln, obwohl sich das irgendwie merkwürdig anfühlte. „Bin gleich wieder da.“

Zehn Minuten später saßen sie in Rileys Auto und fuhren in der Dämmerung durch die Stadt.

Gracie blickte starr aus dem Fenster und versuchte, sich nicht völlig von ihrer Niedergeschlagenheit überwältigen zu lassen.

„Du hast doch für so etwas eigentlich gar keine Zeit“, sagte sie zu ihm. „Die Wahlen stehen vor der Tür.“

„Mein Terminplan steht. In zwei Tagen beginne ich mit meinem persönlichen Wahlkampf.“

„Liegst du in den Umfragen immer noch hinten?“

„Ich halte mich wacker.“

Sie sah ihn an. „Jetzt sag mir die Wahrheit.“

„Ich ...“

„Ich bin kein Baby mehr, Riley. Ich kann damit umgehen. Wie sind deine Umfragewerte?“

„Sie sinken immer noch.“

Das war zum Teil wohl auch ihre Schuld. Wäre sie nicht wieder in Los Lobos aufgetaucht, wäre all das nicht passiert.

„Tut mir leid“, versuchte sie ihn zu trösten. „Alles.“

„Mir tut das mit deinem Interview leid, aber alles andere nicht.“

„Was? Spinnst du? Vielleicht verlierst du die Wahl, und dann? Es geht um siebenundneunzig Millionen Dollar.“

„Ich werde nicht verlieren.“

„Und wenn doch? Und – apropos Katastrophen: Was ist, wenn ich schwanger bin?“

Aha. „Bist du’s?“

Sie ließ sich nach hinten fallen. „Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Den Test kann ich erst in drei Tagen machen. Aber wenn ja, was dann?“

„Das besprechen wir dann.“

Er blieb ganz ruhig, damit hatte sie nicht gerechnet. An seiner Stelle würde Gracie wahrscheinlich ausflippen. Doch nach dem Tag, den sie hinter sich hatte, war es ihr umso lieber, dass er ihr keine Szene machte.

„Ich werde versuchen, nicht schwanger zu sein“, sagte sie.

„Ich glaube nicht, dass das so funktioniert.“

Er bog in eine Straße, die ihr bekannt vorkam, und parkte hinter einem Minivan.

„Da drüben ist Pams Haus.“ Riley deutete auf ein Gebäude an der Ecke. „Das letzte Stück gehen wir besser zu Fuß.“

„Dann muss aber jetzt auch jemand die Titelmelodie von Mission Impossible summen“, schlug sie vor, als sie aus dem Mercedes stiegen.

„Wenn du darauf bestehst.“

„Na gut, muss nicht sein.“

Sie gingen den Bürgersteig entlang. Trotz der Straßenlaternen gab es zwischendurch auch einige dunklere Abschnitte.

Riley verschwand in einem Hofeingang, und sie folgte ihm. Von dort gelangten sie in den hinteren Teil von Pams Garten. Sie krochen in die Büsche.

„Die Jalousien sind oben“, flüsterte er.

„Wahrscheinlich rechnet sie nicht damit, dass sie beobachtet wird. Würde ich auch nicht. Aber nach dem, was in meinem Leben dauernd passiert, sollte ich vielleicht bald mal darüber nachdenken.“

„Da!“, sagte er und deutete auf die Fensterfront.

Gracie reckte sich, damit sie etwas sehen konnte. Pam stand in der Küche und goss etwas aus einer großen Schüssel in eine ...

„Das Miststück benutzt meine Backformen!“

Gracies Worte hallten laut durch den nächtlichen Garten. Sofort schlug sie sich vor Schreck beide Hände vor den Mund. Riley schnappte sie und zog sie dicht neben sich.

„Sorry“, murmelte Gracie. „Das wollte ich nicht.“

„Schon klar“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Sein Atem an ihrem Ohr, seine flüsternde Stimme, dazu noch seine starken Arme, die sie festhielten ... In ihr regte sich etwas.

Aber es war weder der richtige Ort noch die richtige Zeit, daran zu denken. Sie hockte sich auf den Boden und schob die Hände in die Taschen.

„Sie benutzt meine Backformen.“

„Das habe ich schon verstanden.“

„Aber wieso?“

„Keine Ahnung.“

Gracie überlegte. „Um selbst Kuchen zu backen? Wieso?“ Vorsichtig reckte sie sich, um wieder durch das Fenster zu schauen. Jetzt stellte Pam gerade den Kuchen in den Ofen.

„Das Blech ist viel zu weit oben.“ Kopfschüttelnd beobachtete sie Pam. „So werden die Ränder verbrennen. Wenn sie mir Konkurrenz machen will, hätte sie sich vorher besser ein paar Tipps von mir geben lassen.“

Sie drehte sich zu Riley um. „Vielleicht ist es das? Pam will mein Geschäft an sich reißen?“

„Wieso sollte sie das wollen? Sie hat mehr als genug Geld.“

„Stimmt auch wieder. Irgendwie muss sie sich diese superteuren Klamotten ja leisten können“, überlegte Gracie. „Und das Bed & Breakfast war sicher auch nicht billig. Ich bin total verwirrt. Was macht sie da?“

Sie blieben knapp zwei Stunden in den Büschen hocken und versuchten, es herauszufinden. Doch alles, was sie herausfanden, war, dass Pam keine Ahnung vom Backen hatte. Gracie verspürte eine gewisse Genugtuung, als Pam den Kuchen aus dem Ofen nahm. Er war schief und an den Ecken verbrannt. Als sie den Kuchen aus der Form lösen wollte, fielen etwa zwei Drittel davon herunter – das freute Gracie diebisch.

„Katastrophal“, stellte Gracie fröhlich fest, als sie zurück zum Wagen gingen. „Sogar mein erster Kuchen war besser als das, was sie da fabriziert – und ich war damals vielleicht zehn! Jedenfalls brauche ich keine Angst zu haben, dass sie mir meine Kunden abspenstig machen könnte.“

Sie verstummte, als ihr klar wurde, dass sie gar keine Kunden mehr hatte.

„Wir werden eine Lösung finden.“ Riley legte den Arm um sie. „Wir werden sie einfach so lange beobachten, bis wir wissen, was sie vorhat.“

„Gut, dass gerade das Sommerloch beginnt und nichts Vernünftiges mehr im Fernsehen kommt.“

Ein vorwurfsvoller Blick traf Gracie. „Du würdest lieber fernsehen als zusammen mit mir Pam ausspionieren?“

Sie lächelte. „Niemals! Habe ich das gesagt? Auf keinen Fall. Denn du weißt, wie man einer Frau ein spannendes Programm bietet.“

Die folgenden beiden Abende hatten ähnliche Spionageerfolge zu bieten. Pam stand in der Küche und war mit Kuchenbacken beschäftigt. Sie stellte sich dabei immer noch miserabel an, wie Gracie zu ihrer Freude bemerkte. Außerdem ging Pam nicht sorgsam mit den Kuchenformen um, sie waren schon ganz schwarz und sicher auch verkratzt, aber das störte Gracie am wenigsten.

Am dritten Abend waren plötzlich keine Torten mehr zu sehen. Pam hielt sich kaum noch in der Küche auf, nur einmal kurz, um ein Backblech voll Tiefkühlvorspeisen in den Ofen zu schieben und eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank zu holen.

„Sie hat Besuch“, stellte Riley begeistert fest. „Mal sehen, mit wem sie sich mittlerweile vergnügt. Vielleicht ist das die Antwort, die wir suchen.“

„Interessant wäre es nur, wenn es der Bürgermeister wäre“, flüsterte Gracie. „Und der ist es garantiert nicht. Denn Pam findet ihn genauso ekelhaft wie wir.“

„Sicher?“

Eigentlich konnte man sich über gar nichts mehr sicher sein, dachte Gracie.

„Komm, wir gehen ums Haus rum“, schlug Riley vor. „Dann sehen wir, wer gleich kommt.“

Gracie folgte ihm in gebückter Haltung. Als sie an der Seite angekommen waren, machte sie ihre Kamera einsatzbereit. Wer weiß, vielleicht konnte sie ja ein Bild von Pams Besucher machen.

Ein Wagen näherte sich. Gracie stand auf und lehnte sich gegen einen kleinen Baum, hob die Kamera und beobachtete durch den Apparat, wie der Wagen parkte.

„Na los, Dicker“, murmelte sie.

Riley kicherte. „Dicker?“

„War nur so dahingesagt.“

„Pass auf! Der Wagen biegt ein.“

Was dann geschah, wusste sie hinterher nicht mehr. Vielleicht rutschte sie auf dem nassen Gras oder feuchten Blättern aus. Vielleicht war sie ungeschickt, vielleicht war es auch einfach nur Schicksal. Jedenfalls fiel sie genau in dem Moment hin, als sie ein Bild von Pams Besuch machen wollte. In einer instinktiven Reaktion drückte sie noch auf den Auslöser. Ein Blitz erhellte die Nacht. Die alte Polaroid spuckte ein Bild aus, und die Person in dem Auto raste augenblicklich davon.

„Komm!“

Riley nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich Riehtung Auto. Im Haus gingen die Lichter an, die Hautür wurde geöffnet.

„Wer ist da?“, schrie Pam. „Was ist hier los?“

Gracie warf sich in Rileys Wagen und duckte sich unter das Armaturenbrett.

„Fahr! Fahr!“, forderte sie ihn auf.

„Ich fahre ja schon!“

Er startete den Wagen und wendete. Erst mehrere Blocks entfernt schaltete er das Licht an. Langsam setzte sich Gracie im Sitz auf.

„Dumm gelaufen“, sagte Gracie beschämt. Sie wollte ihn nicht ansehen, nicht die Wut in seinem Gesicht sehen. „Das war keine Absicht.“

Ein seltsames Geräusch ließ sie erstarren. Lachte er etwa?

Tatsächlich. „Was ist so lustig?“

„Du.“ Riley lachte noch immer. „Ich weiß, dass das keine Absicht von dir war. Ich habe gesehen, wie du ins Rutschen kamst, aber ich war zu weit weg, um dich aufzufangen. Es war wie in einem Comic. Erst ging es ganz langsam, dann immer schneller und schneller.“ Er sah sie an. „Eins muss man dir lassen, Gracie. Mit dir ist es wirklich nie langweilig.“

„Na toll. Das kannst du ja auf meinen Grabstein meißeln lassen. Aber dank meiner Toüpatschigkeit wissen wir jetzt immer noch nicht, was Pam vorhat beziehungsweise wen sie erwartet hat. Konntest du den Wagen sehen?“

„Nein. Es war zu dunkel, um Marke oder Modell zu erkennen.“

Gracie zog die Schutzfolie von dem Polaroidfoto ab und betrachtete das Bild, das einen Teil des Daches und irgendetwas Dunkles, vermutlich den Nachthimmel, zeigte.

„Als Fotografin werde ich jedenfalls nicht Karriere machen.“

„Aber dafür wirst du bald wieder Torten herstellen.“

„Woher willst du das wissen?“

„Weil wir dieses Rätsel lösen werden, und dann wird alles klargestellt. Zur Not drohe ich dem oder der Verantwortlichen mit körperlicher Gewalt.“

Das hörte sich gut an. „Du bist so süß.“

„Weil ich deinetwegen Leute verprügeln würde?“

„Ja. Das finde ich toll.“

Er streichelte ihre Wange. „Überdenk besser noch mal deine Werte.“

„Nicht nötig.“ Sie küsste seine Hand. „Willst du bei mir übernachten?“

„Sehr gerne.“

Sehr schön. Eine spontane Antwort.

„Riley Whitefield, du bist ein toller Typ.“

„Ich bin ein Mistkerl, aber das willst du nicht wahrhaben.“

„Finde ich nicht.“

Natürlich hatte er seine Fehler, aber wer hatte die nicht? Jedenfalls war er immer für sie da gewesen, sozusagen von Anfang an, und das trotz ihrer bescheuerten gemeinsamen Vergangenheit. Offensichtlich haderte er nicht mehr mit der Vergangenheit. Jetzt war er ihr Beschützer, stand ihr bei, er war lustig und intelligent, und wenn sie miteinander schliefen, war das wie eine Offenbarung. Sie fühlte sich sicher mit ihm. Und er verursachte Funken in ihrem Inneren.

Während sie zurück zu ihrem Haus fuhren, betrachtete Gracie ihn. Als er den Mercedes neben ihrem Wagen geparkt hatte, beugte er sich zu ihr und küsste sie. Es war merkwürdig, aber anscheinend hatte sie schon mit vierzehn den Mann ihrer Träume auserwählt.

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012