7

Der imperiale Abgesandte war nicht sonderlich beeindruckt.

»Wenn in Yhelteth Sklaven in Fesseln liegen«, schnaufte er und blickte hinaus auf das Grau, das mit dem Fortschreiten der Morgendämmerung langsam über das Buschland heraufkroch, »dann bleiben sie in Fesseln.«

Die rote Xanthippe unterdrückte den Drang, dem Mann ein Messer direkt unter das ordentlich gekämmte Ziegenbärtchen in den Hals zu jagen. Es wäre ihr nicht sehr schwer gefallen; zwei Schritte entfernt, am anderen Ende des Zelts, überragte er sie sowieso um kaum anderthalb Zoll und hatte, wie die meisten Imperialen, denen sie begegnet war, das Gehabe einer Schwuchtel vom Hafen, die Illusionen über einen höfischen Stand hegte, und duftete auch so. Nutzloses Arschloch. Seit ihrem Abmarsch hatte er ununterbrochen über die Zustände gemeckert, und die endlosen Vergleiche, wie viel besser alles in Yhelteth erledigt wurde, ermüdeten sie allmählich. Sie mochte die Imperialen und ihre ach so verdammt überlegene Haltung nicht, selbst in allerbesten Zeiten. Und das hier – na ja, kurz vor dem ersten Hahnenschrei, eine schlaflose Nacht, fast ein ganzer Treck männlicher Handelsware entkommen oder getötet oder so verkrüppelt, dass der Versuch, sie noch zu verkaufen, sinnlos wäre, fast ein Dutzend ihrer Antreiber tot oder im Sterben sowie ein weiteres Dutzend nach wie vor verschollen in den Bergen – das waren eindeutig nicht allerbeste Zeiten.

Trotzdem – unter großer Willensanstrengung zwang sie sich, die Finger locker auf dem Griff des Obstmessers zu halten, mit dem sie gerade einen Apfel zum Frühstück schälte, und ein höfliches diplomatisches Lächeln wie Make-up aufzulegen. Schließlich benötigte sie die Gunst dieses Mannes. Alle benötigten sie. Eine bevorzugte Stellung als Zulieferer gewährte der Imperator nicht leichtfertig, und Trelayne war nicht die einzige Stadt in der Liga, die um ihre Position rang, nachdem die Liberalisierung jetzt den Handel wieder eröffnet hatte. Bleib nett, hatte Kitsch-Findrich ihr über einer Pfeife zur Feier des Tages geraten. Soll er sich ruhig überlegen vorkommen, wenn ihm das dabei hilft, seine Unterschrift aufs Pergament zu setzen. Ist bloß Geschäft, also musst du das schlucken.

Ja, du hast gut reden, fauchte sie. Du musst nicht gut und gern zwei Monate mit ihm unterwegs sein.

Findrich fixierte sie bloß mit seinen bleiernen Augen. Für Theatralik hatte er nicht viel übrig.

Wir arbeiten jetzt legal, Xanthippe. Eine gleichermaßen bleierne Geduld in der krächzenden, von der Pfeife versengten Stimme. So läuft das halt.

Ja, so lief das halt. Als wäre wieder überall Krieg. Die verfluchten parfümierten Imperialen, die herumstanden wie Priester auf einer Orgie, während sie und ihre Schläger aus der Liga sich ein Bein ausrissen, um die Flucht zu unterbinden. Findrichs Kumpel, der Gesandte und dessen vornehme Leibwache, hatten die ganze Nacht lang keinen Finger krumm gemacht, außer, um ihre verfluchten Fingernägel im Feuerschein zu mustern.

Sie waren so verdammt erhaben über alles.

Ihr juckte die Handfläche unter dem Messer. Sie begnügte sich mit der Vorstellung, schnitt tief in den Apfel und holte ein glitzerndes Stück heraus. Kaute und schluckte.

»Natürlich«, sagte sie freundlich, »wäre ich zutiefst dankbar für alles, was ich von unseren fortschrittlicheren Kollegen auf dem yheltethischen Sklavenmarkt lernen kann. Das ist zum Teil der Grund für diesen Ausflug. Aber gerade im Augenblick fürchte ich, dass wir …«

Scharren von Stiefeln draußen vor dem Zelt.

»Mylady?«

»Irgesh. Guten Morgen. Haben wir endlich wieder alle beisammen?«

Der Chefantreiber steckte den Kopf ins Zelt. Rotäugig und erschöpft von der nächtlichen Jagd. »Ähm, eigentlich nicht, Mylady. Vermissen immer noch acht. Es ist bloß – hier will Euch jemand sehen.«

»Mich?« Sie hob eine gepflegte Braue. »Zu dieser frühen Morgenstunde? Ist er aus Hinerion?«

»Weiß nicht, Mylady.« Er entdeckte die schwelende Verzweiflung auf ihrem Gesicht und fügte hastig hinzu: »Er … er ist kein Gemeiner, so viel ist sicher. Hochgeboren, fraglos.«

Xanthippe seufzte. »Oh, sehr gut. Sag ihm, ich komme raus. Aber wenn er ein Kommandant der Grenzpatrouille von Hinerion ist, ist er etwas sehr spät dran.«

»Ja, Mylady.«

Irgesh verschwand sichtlich erleichtert. Xanthippe legte Apfel und Messer hin und wischte sich die Hände an einem Tuch.

»Ich hab nach Hinerion ausgeschickt, als das Ganze losgegangen ist«, brummelte sie. »Er hatte die ganze verdammte Nacht Zeit, seine Männer aus dem Tor zu bekommen, und jetzt taucht er auf, nachdem wir die ganze Arbeit selbst erledigt haben. Manchmal frage ich mich, weshalb wir eigentlich Steuern zahlen.«

Der imperiale Gesandte strich sich über das Kinn.

»Wie ich schon zahllose Male gesagt habe, ehrenwerte Händler wie Ihr selbst könnten von der Bereitstellung imperialer Truppen entlang der größeren Handelsrouten nur profitieren. Eine Handelsfreundschaft, zu der mein Imperator nur allzu gerne die Hand reichen würde, wenn Ihr die Versammlung der Liga in dieser Richtung überzeugen könntet.«

Xanthippe sah ihn düster an. »Ja, Ihr habt recht. Das habt Ihr schon zahllose Male gesagt.«

Sie holte ihren Mantel und schlang ihn sich fest um die Schultern. Warf einen kurzen Blick in den winzigen Ankleidespiegel des Zelts, sah das verklebte Make-up, die schlaflosen Augen, die heraufziehenden Anzeichen des Alters. Sie zögerte einen Augenblick, vollführte dann eine Geste der Verzweiflung, spuckte kurz aus und ließ alles so, wie es war. Sie stolzierte in die Morgendämmerung hinaus und überließ es dem Gesandten, ob er ihr folgen wollte oder nicht.

Anscheinend wollte er. Sie hörte die Zeltklappe hinter sich zuschlagen, während sie an dem heruntergebrannten Lagerfeuer und der daneben stehenden Wache der Antreiber vorüberrauschte. Die Menge der Sklaven erstreckte sich weit in das heller werdende Dämmerlicht rings umher. Zum Glück hatten sie sich nach dem Chaos in der Nacht zuvor wieder beruhigt. Sie hatten bei mindestens drei oder vier weiteren Trecks neben dem ersten, der auf so rätselhafte Weise entkommen war, einen Aufruhr niederschlagen müssen, nachdem sich die Nachricht von der Flucht über die Karawane verbreitet hatte. Sie warf einen Blick zurück auf die Ereignisse und überlegte, dass es eine Weile lang auf der Kippe gestanden hatte. Es hätte gut und gern als echte Revolte enden können, wie die in Parashal vom letzten Jahr.

»Noch acht«, sagte der Beauftragte neben ihr. »Das ist kaum ein Verlust. Mein Rat wäre, die Suche aufzugeben, das Lager abzubrechen und keine weitere wertvolle Reisezeit mehr zu verschwenden.«

»Nein.« Schmallippig stieß sie die eine Silbe hervor. Xanthippe entdeckte den frisch eingetroffenen Edelmann unten am Hang hinter den Zelten an einem der anderen Feuer im Gespräch mit Irgesh und einer Handvoll der Imperialen. Sie ging hin und gab währenddessen eine Erklärung in einem Tonfall ab, der hart an der Grenze zur Unhöflichkeit lag. »So arbeite ich leider nicht. Ich weiß nicht, wie Ihr so etwas im Reich handhabt, aber wir geben nicht auf, bis wir sämtliche Flüchtlinge beisammen haben.«

»Aber acht Sklaven, Mistress Xanthippe. Ein so kleiner Verlust ist …«

»Mein Verlust, mein Lordgesandter, ist der größere Teil dieses Trecks, diese acht eingerechnet oder nicht. Und an dieser verdammten Sache kann ich nichts ändern. Aber ich kann dafür sorgen, dass so etwas nie, nie wieder vorkommt.« Sie konnte ihren Zorn kaum noch zügeln. Musste ihre Zunge mächtig im Zaum halten. »Wir werden ein Exempel statuieren, sobald die Sonne aufgeht. Und das wird sich für die Zukunft herumsprechen: Niemand, niemand, aus einer meiner Karawanen entkommt den Ketten und überlebt.«

Der Beauftragte stammelte etwas auf Thetannisch. Sie beherrschte die Sprache nicht so gut, dass sie ihn hätte verstehen können, vermutete jedoch eine Beleidigung. Inzwischen war es ihr gleichgültig. Wenn Hinerion Hilfe geschickt hatte, bestand eine gewisse Chance, heute hier herauszukommen. Wenn nicht, dann würde sie diesem Wachkommandanten mal kräftig den Marsch blasen. Sie streckte die Hand nach den erlöschenden Scheiten eines Lagerfeuers aus und spürte den schwachen Hauch von Wärme, den es nach wie vor in die morgendliche Kühle abstrahlte. Sie holte Luft und wollte sprechen.

Der Neuankömmling gab nicht im Geringsten zu erkennen, dass er ihre Ankunft bemerkt hatte – er stand mit abgewandtem Gesicht da und streckte die gespreizten Hände dem erloschenen Feuer entgegen. Offenbar spürte er die Kälte ebenso und wollte etwas von der restlichen Wärme aufsaugen. Prächtiger schwarzer Brokat über den breiten Schultern eines Schwertkämpfers sowie etwas, das wie eine kiriathische Klinge und Scheide aussah, auf dem Rücken. Xanthippe blinzelte, widerwillig beeindruckt. Wenn die Waffe echt und keine der billigen Imitationen war, welche die Schmieden seit dem Krieg in der ganzen Liga ausstießen, dann war ihr Gast allerdings von edler Herkunft. Niemand sonst außerhalb des Reichs hätte sich kiriathischen Stahl leisten können, und in den freien Städten war er so ungefähr das höchste Statussymbol. Selbst in Trelayne führten nur eine Handvoll Männer …

»Hallo, Xanthippe!«

Sie wurde sehr still. Allein diese Stimme, aber dann wandte er sich langsam zu ihr um.

Dieses Gesicht.

In Trelayne hatte man ihr gesagt, er habe sich verändert. Diejenigen, die ihn gesehen hatten, diejenigen, die behauptet hatten, ihn gesehen zu haben. Die Geschichten waren allesamt so ziemlich die gleichen. Narbengesichtig, leeräugig, unheimlich – alle Züge des jungen Kriegers, der das schuppige Volk von den Mauern der Stadt zurückgeworfen hatte, waren jetzt von innen heraus von etwas weggefressen, für das die Menschen keinen Namen hatten. Damals hatte sie höhnisch gelacht – es war dieselbe Leier, die sie für jeden Straßenräuber, Sumpfbewohner oder Küstenpiraten spielten, den die Wache noch der Gerechtigkeit zuführen musste. Einleuchtend – man musste etwas Handfestes haben, warum man sich von ihm niederstarren ließ und warum er entkam. Warum er, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, immer wieder durch die Finger der Gerechtigkeit glitt. Warum die Männer unter dem eigenen Befehl nicht ausreichten, warum die Kopfgeldjägerklinge der Aufgabe nicht genügte, diesen einen zur Strecke zu bringen.

Unheimlich. Bestimmt. Glamourös, schattenhaft und unmenschlich. Geht durch Wände.

Ein Haufen Schwachsinn.

Vielleicht, gab Findrich zu, als sie es eines Abends im Vorfrühling durchgesprochen hatten. Aber trotz alledem haben wir unseren Dwenda-Schutzpatron verloren, unseren absolut eigenen Durch-Die-Wände-Geher, und die Gerüchte besagen, dass es Ringil war, der ihn zur Strecke gebracht hat. Es heißt …

Oh, es heißt! Es heißt? Verdammt, jetzt halt doch mal die Luft an! Wann wiegt sich der Mob nicht mit Folklore und Wunschdenken in den Schlaf? Meinst du wirklich, wir könnten diese Idioten so beherrschen, wie wir es tun, wenn sie nicht ihre Mythen hätten, um die sie sich nachts am Feuer schmiegen könnten?

Sie kannte Ringil Eskiath, vielleicht sogar intimer als jeder sonst lebende Mensch, und sie hielt es nicht für wahrscheinlich, dass er sich sehr von dem arroganten Aristokratenschwanz unterschied, der er immer gewesen war. Ein wenig älter und kälter mit den Kriegsjahren vielleicht, aber wer war das nicht.

Als sie jetzt seinem Blick begegnete, war sie sich auf einmal nicht mehr so sicher.

»Ringil«, brachte sie weltmännisch heraus. »Muss ich etwa dir für diese spontane Unterbrechung danken?«

»Nein. Auf die Idee sind sie selbst gekommen.«

Die Stimme war leise, heiser, kaum lauter als ein Flüstern, und die hohlen Augen hätten vielleicht durch sie hindurchsehen können. Er trug das lange schwarze Haar zu einem lockeren Pferdeschwanz, und diese Narbe, von der alle redeten, war ein leichenblasser Kratzer entlang der Kinnlinie, ihr offensichtlich zur Inspektion zugewandt. Etwas Abwehrendes lag in dieser Geste. Und er hatte an Gewicht verloren, seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte.

»Na ja«, sagte sie, gezwungen lachend, in Deckung gehend, auf der Suche nach dem Angriffspunkt. Er war allein ins Lager gekommen, trug nicht einmal Panzerung unter dem Mantel. »Ich gestehe, ich bin etwas überrascht, dich hier zu sehen, Gil.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen.«

»Du weißt, dass jetzt ein Preis auf deinen Kopf ausgesetzt ist?«

Er nickte. »Fünfzehntausend Florin. Die Brüder Sileta wollten ihn letzten Monat einkassieren.«

Irgendwo tief unter der Schulter der roten Xanthippe erwachte ein schwacher Schauer. In Trelayne gab es die üblichen, ins Kraut schießenden Gerüchte über den Aufenthaltsort der Familie Sileta. Auf der Straße hieß es, sie seien irgendwo draußen im Sumpf und versteckten sich vor der Wache. Oder sie seien nach Parashal davongelaufen und würden sich in einer Bordellkette verstecken, die ihr Vetter dort betrieb.

Oder sie seien von Dämonen gefressen worden.

Auf der Straße wurde viel erzählt, wenn der Tag lang war, und das meiste davon musste man wiederholt nach Aberglauben, Wunschdenken und unverblümten Lügen aussieben. Aber in diesem Fall verblieb ein schimmernder Rest von Wahrheit; die Brüder Sileta, die zähesten und gefürchtetsten Bandenchefs vom Hafen, waren zurzeit nirgendwo aufzutreiben.

Sie tat es achselzuckend ab und sagte fast ohne Zögern: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es die letzten waren.«

»Wahrscheinlich nicht. Es ist ein Haufen Geld.«

Der imperiale Gesandte mischte sich ein. »Verstehe ich es richtig, dass wir hier einen Wortwechsel mit einem Vogelfreien führen?«

Ringil warf dem Mann einen desinteressierten Blick zu. »Und Ihr seid?«

»Ich beantworte keine …«

»Er ist das ureigene Interesse des Reichs«, sagte Xanthippe knapp. »Und das ist seine eingeschworene persönliche Wache, mit der du dich da unterhältst. Also – vielleicht sagst du mir besser, was du hier tust.«

Wiederum starrte er sie hohläugig an. »Kannst du’s dir nicht denken?«

»Nein, kann ich nicht.« Erneut kämpfte sie den schwachen Schauer nieder. Fand den Faden ihres Ärgers wieder. »Um völlig ehrlich dir gegenüber zu sein, Gil, bis jetzt bin ich nach bestem Wissen davon ausgegangen, dass du in dieses kleine Dreckloch, diese Bergstadt, zurückgekrochen bist, die du im Krieg gerettet hast. Du weißt schon, zurück dorthin, wo sie dich nach wie vor für so was wie einen Helden halten und nichts dagegen haben, wenn du ihre Söhne durchfickst.«

»Oh, sie haben was dagegen, Xanthippe.« Ein dünnes Lächeln. »Selbst da, selbst wenn sie mir ihr Leben schulden, haben sie was dagegen. Aber was sollen sie dagegen tun? Du kannst einen Sohn nicht so kontrollieren, wie du eine Tochter kontrollierst. Kannst ihn nicht einfach im Haus einschließen oder ihn windelweich schlagen, wie du es mit deinem Weib tun kannst. Jedenfalls nicht mehr, sobald er älter als etwa fünfzehn wird. Da ist die Chance allzu groß, dass er zurückschlägt.«

»Dann haben sie diesen Käfig in … Galgenschlucht nicht, oder wie hieß das?«

»Galgenwasser. Die Schlucht liegt oberhalb des Orts. Und ja, sie hatten den Käfig. Hing mitten auf dem Marktplatz.« Ringils Gesicht verhärtete sich. »Abgesehen vom ersten Sommer, als ich dort war. Ich ließ ihn runterschneiden.«

Ein kleines Schweigen. Irgesh und die imperialen Leibwächter wechselten Blicke. Alle warteten anscheinend auf etwas.

»Wie … großartig von dir«, sagte Xanthippe schließlich. »Vermutlich hätte mich das nicht überraschen sollen. Aber du hast meine Frage noch immer nicht be…«

»Ich bin hier, um dich zu töten, Xanthippe.«

Jetzt kehrte das Schweigen zurück wie eine tosende Brandung. Der Augenblick drehte sich um Ringil, schwindelerregend, fieberhaft, als wollte die Welt davonrasen. Der Mund des Gesandten mit dem sauber geschnittenen Bart blieb offen stehen, verstohlen legten sich Hände auf die Schwertgriffe der – zähle sie, zwei, drei, vier – imperialen Soldaten. Irgesh bereits voraus, von seiner Haltung her weniger bedrohlich, aber misstrauisch, seitdem sich seine Herrin beim Anblick ihres Gastes versteift hatte. Alles fand sich an Ort und Stelle wie die Teilchen eines Puzzles, die Geometrie des Augenblicks und des kommenden Kampfes – die Hitze des ersterbenden Feuers in Ringils Rücken, genauso, wie er es eingerichtet hatte, die Männer und was sie ganz bestimmt in den nächsten paar Sekunden täten, und, irgendwo und jenseits von allem, Seethlaws Stimme über die salzige schwarze Leere hinweg, die vom Fels einer Meeresklippe widerhallte.

Ich sehe, was die Akyia sah, Gil. Ich sehe, was du werden könntest, wenn du es nur zuließest.

Er sah das Zeichen des Gesandten, ein winziges Zucken des Fingers, aber schreiend laut für seine Sinne wie ein Tod auf dem Schlachtfeld. Er hörte das winzige Scharren der imperialen Klingen, die rings umher aus den Scheiden glitten. Er spürte den Kampf hochschießen wie ölgetränkte Flammen.

Er ließ los.

Der Drachenzahndolch fiel aus dem linken Ärmel in seine Hand – er packte ihn, die Klinge nach unten, wirbelte herum und griff zugleich mit der rechten Hand an seinem Ohr vorbei nach dem Knauf des Rabenfreunds über seiner Schulter. Das raue Geflecht des Schwertgriffs schien sich von selbst in seine gekrümmte Handfläche zu schmiegen, schien gierig nachzudrücken, als er daran zog. Die kiriathische Scheide riss entlang ihrer Außenkante auf und spuckte den Rabenfreund aus.

Die Imperialen hatten ihre Waffen ebenfalls gezogen.

Er ließ sich auf ein Knie fallen. Kein Nachdenken über die Bewegung, es war, als fügte er sich einem Sturm von Kräften. Vage war ihm bewusst, dass ein Kavalleriesäbel über seinen Kopf hinwegpfiff. Er selbst schien sich am eigenen Brustkorb zu teilen – Drachenzahn nach links und in den nächstbesten imperialen Oberschenkel, Rabenfreund rechts und unter dem Hieb des Säbels durch. Er vermutete, dass er den Mann irgendwo zwischen Kehle und Bauch traf – bewegte sich jedoch zu schnell, um es herausfinden zu können. Es war ihm auch gleichgültig.

Gebrüll.

Und irgendwo Seethlaw. Lachend …

Er ließ den Dolch, wo er war, und kam wieder hoch. Packte den Rabenfreund beidhändig und parierte. Wehrte zwei Klingen mit der aufsteigenden Kante seines Schwerts ab und gewann dadurch ein paar Schritte Bewegungsfreiheit für den Kampf. Erneut züngelte der kiriathische Stahl hervor, ungeduldig, leckte Irgesh über die Stirn. Der Hüter stolperte heulend zurück, und Blut strömte ihm das Gesicht herab. Es war ein Schnitt mit der Schwertspitze, keine tödliche Verletzung, nicht einmal eine schwere, aber das konnte Irgesh in dem kreischenden, rot verschmierten Chaos des Augenblicks nicht wissen, und er sollte auch keine Gelegenheit erhalten, es herauszufinden. Ringil blockte eine weitere imperiale Klinge ab, rückte in der Drehung nahe an den Gegner heran und stellte ein Bein hinter seine Füße. Stieß heftig, und der Mann stürzte rücklings in die rauchende Asche des Feuers. Aufjaulend wälzte er sich heraus. Sein Mantel hatte an einem Dutzend Stellen Feuer gefangen. Ringil drängte sich eng an Irgesh, schlug den plumpen Versuch eines Blocks mit dem Entermesser beiseite und spießte den Mann durch die Eingeweide auf. Drehte die Klinge und zog sie zurück. Der Hüter gab einen weiteren Laut von sich, tief und knirschend, und der Rabenfreund löste sich in einem Schwall aus Blut und dem, was Irgesh zum Frühstück gegessen hatte.

Knurrend fuhr Ringil herum. Es war ein Laut, wie ihn eine yheltethische Kriegskatze beim Sprung ausstoßen mochte. Bluttröpfchen spritzten vom kiriathischen Stahl, fein wie Sommerregen.

Die Imperialen wichen zurück, weg von dem Ding in ihrer Mitte.

Einer lag am Boden, tot oder im Sterben, oder einfach unter Schock von dem ersten Aufwärtshieb in seine Brust – dem Rabenfreund gefiel dieser Tage Knochen ebenso sehr wie Fleisch, und Ringil selbst hätte nicht sagen können, wie tief der Schnitt gegangen war. Die anderen waren nicht viel besser dran, einer wälzte sich kreischend in der Feuergrube und bemühte sich, herauszukommen, ein zweiter kämpfte darum, mit Ringils Dolch im Bein stehenzubleiben, nur einer war unverletzt, und auf den ging Ringil jetzt los.

Aber es waren imperiale Soldaten, Mitglieder einer hochrangigen Ehrengarde des Reichs. Zusammengezogen aus einer völlig anderen Ecke als Xanthippes Antreiber und nicht ganz das, was Ringil erwartet hatte. Der Mann in der Feuergrube streifte seinen Mantel ab, wälzte sich heraus und wäre binnen Sekunden wieder auf den Beinen. Der Mann mit dem Messer im Bein griff ungeschickt danach und hielt dabei den hungrigen Blick auf Ringil gerichtet. Der unverletzte Soldat trat vor, um seine Kameraden zu decken, und wehrte Ringils Angriff ab. Raues Kratzen von Stahl, als die Klingen aufeinandertrafen. Der andere Mann bekam den Drachenzahndolch zu fassen und riss ihn sich mit einem einzigen Aufschrei durch die zusammengebissenen Zähne aus dem Fleisch. Er richtete sich auf, die Zähne nach wie vor zu einem wilden Grinsen gebleckt – und warf sich gleich wieder in den Kampf.

Scheiße!

Aus dem Augenwinkel sah Ringil, wie die rote Xanthippe über die zusammengedrängte Sklavenkarawane hinweg nach ihren Männern Ausschau hielt.

Sah, wie ihre Augen sich vor Schreck weiteten.

Keine Zeit dafür. Er begegnete den beiden Imperialen, die auf den Beinen waren, mit wilden Zick-Zack-Bewegungen seines stählernen Schwerts, warf beide Klingen zurück und kassierte einen Schnitt über die Brust; wenn das verletzte Bein dem Mann Probleme bereitete, so war ihm davon nichts anzumerken. Ringil trat heftig aus, versuchte, ein Knie zu treffen. Sein Tritt ging fehl, er konnte sich die Instabilität oder die Zeit, die ein neuer Versuch erfordern würde, nicht leisten, sprang hastig zurück, erhaschte aus dem Augenwinkel einen verwischten Blick auf den verbrannten Mann, der von der Seite auf ihn zueilte, und schwang sich diesem Angriff entgegen.

Gerade noch rechtzeitig.

Der Rabenfreund blockte wie etwas Lebendiges, absorbierte den Aufprall. Das Schwert klirrte und erbebte, der Stahl seines Angreifers rutschte weg und der wuchtige Angriff wurde um einige lebenswichtige Zoll abgelenkt. Ringil ließ sich zu einer Drehung um die eigene Achse weitertreiben, streckte instinktiv und ruckartig eine Hand aus, packte etwas, eine Schnalle an einem Umhang, den Saum eines gestärkten Tuchs, und riss an dem Mann, sodass dieser aus dem Gleichgewicht geriet. Der Imperiale stürzte stolpernd an ihm vorüber. Ringil stellte ihm ein Bein, warf ihn zu Boden. Keine Zeit, den Rabenfreund zum tödlichen Hieb nach unten zu führen – die anderen waren hinter ihm. Also trat er gegen den Kopf des gestürzten Soldaten und …

Spürte, irgendwie, die sausende Kante von Stahl auf Kopfhöhe …

Ein ungelenker Sprung zur Seite – über den gestürzten Körper hinweg und knapp vor der heranzischenden imperialen Schneide. Er spürte, wie sie sein Haar berührte, gegen den Pferdeschwanz schnippte, spürte den kalten Wind des Vorüberstreichens. Er landete unbeholfen, sog nachträglich die Luft ein, nur halb davon überzeugt, den Kopf noch auf den Schultern zu tragen.

Und fuhr in Habtachtstellung herum. Ein knappes Grinsen auf dem Gesicht, weil er gerade noch davongekommen war.

Die verbliebenen beiden Imperialen kamen heran. Der Körper ihres gestürzten Kameraden behinderte sie. Aber hinter ihnen war es dem Gesandten endlich gelungen, das eigene Schwert zu ziehen, und er schwang es jetzt nicht ungeschickt. Und die rote Xanthippe war neben Irgesh auf die Knie gegangen und tastete nach dessen Waffe. Ringil spürte das Gleichgewicht kippen, spürte, wie seine Pläne ihm entgleiten wollten, spürte …

Ein schnurgerades Zucken, schwarz wie eine Krähe.

Wie eine Mutter, die ungehorsame Jungen zum Schweigen bringt, nur unfassbar schnell. Eine flüchtige Bewegung an ihm vorbei durch die Luft, und die beiden Soldaten kamen ruckartig zum Stehen, jäh gespickt mit schwarz gefiederten Pfeilschäften. Kehle und Auge, Brust und Bauch.

Erils Männer, auf Nummer sicher gehend.

Ja – das wurde auch Zeit, verdammt!

Die Imperialen gingen zuckend und gurgelnd zu Boden, tot oder so nahe daran, dass es keinen Unterschied bedeutete. Staubwolken, davontreibend, rings um ihre Leiber. Der Mann zu Ringils Füßen wimmerte und zuckte gleichfalls, machte jedoch keinerlei Anstalten, wieder auf die Beine zu kommen.

Ringil stieß die Luft aus. Überblickte seinen Sieg.

Der Gesandte, der sein Schwert unsicher in Verteidigungsstellung umklammerte. Die rote Xanthippe, die neben ihrem niedergemachten Antreiber kauerte und das Geschehen betrachtete. Und dahinter, inmitten eines Meers aus zusammengedrängten Sklaven, Erils Männer, die herankamen. Sie trugen die erbeutete Kleidung der Antreiber, die sie in der Nacht zuvor ermordet hatten, oder die Kleidung der Sklaven, die sie beim Hereinkommen ins Lager gespielt hatten. Sie hatten ein Sammelsurium von Waffen dabei, gestohlene oder eigene, darunter wenigstens ein halbes Dutzend Recurvebögen, halb gespannt in höchster Achtsamkeit. Eril persönlich führte den Kreis an, ein blutiges Messer in jeder Hand und die dazugehörigen Spritzer des Nahkampfs auf dem Gesicht.

Ringil trat vorsichtig über den Mann hinweg, den er gegen den Kopf getreten hatte, stieß Xanthippe im Vorübergehen mit dem Stiefel in den Schmutz und hielt dem Gesandten die Spitze des Rabenfreunds an die Kehle.

»Fallenlassen«, befahl er ihm.

Dem Gesandten fiel das Schwert aus den Händen. Ringil senkte den Rabenfreund und wartete darauf, dass Erils Männer zu ihm traten. Er begegnete dem Blick der roten Xanthippe, die ihn vom Boden aus beobachtete. Überrascht von dem raschen Pulsschlag des Hasses, den der Anblick immer noch in ihm hervorrief.

Überflutet von Erleichterung entschloss sich der Gesandte des Reichs zu einem Wutausbruch.

»Das … das ist empörend! Hast du eine Ahnung, wer ich bin?«

Ringil drehte sich zu Eril um.

»Haben wir eine Ahnung, wer er ist?«

Der Schläger von der Sumpfbruderschaft zuckte die Achseln. »Irgendein blöder Kaufmann vom Reich, stimmt’s?«

»Ich bin der direkt bevollmächtigte Gesandte des yheltethischen Imperators für deine Landsleute!«

Ringil nickte. »Das stimmt leider. Siehst du diese Brosche an seiner Schulter? Yheltethisches Diplomatensiegel. Und ich gehe jede Wette ein, dass er …«

Er packte die linke Hand des Gesandten.

»Ja, auch der Ring.« Er ließ den Arm des Gesandten angewidert fallen. »Das ist das letzte Mal, dass ich Spionen von der Bruderschaft vertraut habe, wenn sie für mich Nachforschungen anstellen.«

Eril wirkte verlegen. In den Monaten, die sie Trelaynes Sklavenhändler verfolgt hatten, hatte er von der Sumpfbruderschaft Gefallen für Ringil eingefordert, wo es nur ging, aber die Bruderschaft selbst war in dieser Hinsicht nicht besonders zur Zusammenarbeit geneigt gewesen. Schließlich waren sie, einmal abgesehen von dem Mist hinsichtlich ›Eingeschworene-Söhne-der-freien-Stadt‹, Verbrecher, die versuchten, sich in die angesehene Gesellschaft am Oberlauf des Flusses einzukaufen, und Ringils Terroraktionen waren für sie nicht angenehmer als für die Sklavenhändler. Und Eril war, ungeachtet der Blutschuld, bloß ein Schläger mittleren Ranges, der auf eigene Kappe arbeitete, allein auf weiter Flur und mit sehr begrenztem Einfluss.

Schon überraschend, dass es überhaupt schon so lang gut geht, wirklich.

Na ja – du hast ihm das Leben gerettet.

Ringil seufzte und sah sich nachdenklich um. Das Tageslicht im Osten wurde bereits stärker und schwemmte die ersten matten Farben in die Bäume und das sandige Gelände unten. Die Nacht verwandelte sich in einen verblassenden Streifen Dunkelheit im Westen, und rings umher schienen die Tausenden von Augen der Sklaven und ihrer frisch eingetroffenen Retter auf ihm zu ruhen.

Ein imperialer Gesandter. Na, klasse.

»Vielleicht«, fauchte der Gesandte, »erkennst du jetzt, wie sehr du dich irrst.«

»Ich irre mich nicht«, erklärte Ringil ihm.

Sie hievten die rote Xanthippe auf die Füße und hielten sie fest, damit Ringil sie in Augenschein nehmen konnte, was nicht ohne höhnische Bemerkungen und einiges an Gefummel ablief  – auch wenn Xanthippe während der Liberalisierung des neuen Handels stark gealtert war. Haare und Augen leuchteten jedoch nach wie vor hell, das Gesicht war von einer starkknochigen Schönheit, und sie hatte Kurven an den richtigen Stellen. Hände begrapschten sie und drückten, was sich nur drücken ließ. Sie schlug um sich und spuckte, die Kleider zerrissen. Jemand  – es fiel schwer, sich an alle Männer zu erinnern, die Eril angeheuert hatte, Banthir, oder? Oder doch Hengis? – hob Ringils Drachenzahndolch aus dem Staub und brachte ihn zurück, sorgfältig sauber gewischt. Der Mann verneigte sich respektvoll und reichte ihm die Waffe. Ringil nickte abwesend zum Dank und steckte sie weg.

Xanthippe versetzte einem ihrer Peiniger einen Kopfstoß, sodass er ins Stolpern geriet. Rohes Gelächter der anderen.

»Die ist ganz schön temperamentvoll, die hier.«

»Das kriegen wir schon in den Griff. Die muss nur mal richtig die Beine breit machen.«

»Verdammt, stell dich hinten an! Du bist nicht …«

Sie verstummten, als Ringil herantrat. Er hielt den Rabenfreund nach wie vor blank in der Hand. Xanthippe sah ihm mit gebleckten Zähnen entgegen.

»Was glaubst du eigentlich, was du hier tust, Gil?«

Er betrachtete sie einen Moment. »Ich bin bloß der Botschafter. Sagt dir der Name Sherin etwas?«

»Oh, um Hoirans willen! Findrich hat gesagt, du bist …« Erneut bockte Xanthippe zwischen den Männern, die sie festhielten. »Es geht wirklich um irgendeine jammernde idiotische Großcousine von dir? Weißt du, als Findrich mir das erzählt hat, habe ich ihm nicht geglaubt. Ich habe gesagt, du wärst viel zu clever für so ’ne Scheiße. Musste was anderes sein. Was ist bloß mit dir passiert, Gil, verdammt? Du bist mal ’n Spieler gewesen.«

Ringil schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Jemand unter seinen Männern stieß einen leisen Jubelruf aus. Allmählich wurde ihm hundeelend.

»Ich hab dich was gefragt, Xanthippe.«

Da sah sie es kommen und wusste, dass sie ausgereizt hatte. Ein nackter, auf der Straße erworbener Trotz verhärtete ihre Züge. Sie spuckte ihn an, und der Speichel war von Blut getränkt. Der Hieb musste ihr die Innenseite der Wange aufgerissen haben. Sie setzte ein entsetzliches Totenschädelgrinsen auf.

»Was meinst du denn, du Held? Glaubst du, ich behalte jeden einzelnen beschissenen Sklaven, den ich einkaufe, im Kopf, jeden Zuschlag bei ’ner Auktion, der mir ins Netz geht?«

»Diese spezielle beschissene Sklavin war meine Cousine.«

»Und, was soll’s, verdammt? Glaubst du etwa, ich wäre persönlich da gewesen, als sie zum Verkauf angeboten wurde? Werd mal erwachsen, Gil! Das ist Geschäft. Meinst du, ich mach mir was daraus?«

Ringil dachte daran, wo und wie er Sherin schließlich gefunden hatte. Dachte daran, was ihr angetan worden war.

Er sah der roten Xanthippe in die Augen. Sah dort nichts, das er vernichten könnte.

»Bringt sie weg«, sagte er hölzern. »Tut mit ihr, was ihr wollt. Aber lasst sie am Leben.«

Beifälliges Gebrüll der Männer. Ringil sah ihnen reglos zu, wie sie sie wegzogen, ihr wieder an der Kleidung zerrten, die bereits aufgerissen war. Sie knurrte tief in der Kehle und schlug auf sie ein. Eine Brust kam frei, wurde gepackt, und jemand biss hinein wie in ein Stück Obst. Xanthippe schrie in purer Wut. Jemand spreizte ihr die Beine, griff brutal dazwischen. Ein weiteres Aufkreischen, diesmal schluchzend, ein weiterer Jubelchor, als die Männer hörten und sahen. Dann trugen sie sie buchstäblich davon und scharten sich um sie wie Ratten um ein Stück fauliges Fleisch.

Er stand da. Er stand da und sah zu.

»Hengis.« Jähes Schaudern – er erwachte zum Leben und packte Hengis am Arm, als der Mann vorüberging, um sich der Vergewaltigung anzuschließen. »Hengis!«

»Jengthir, Mylord.«

»Jengthir.« Er nickte ruckartig. »Ich meine es ernst. Wenn sie stirbt, stirbt auch der Mann, der das verschuldet hat.«

»’türlich, Mylord, keine Sorge. Ich kümmere mich drum. Hab ’ne sanfte Hand, wirklich.«

Jengthir grinste ihn an, riss sich los und war verschwunden.

Ringil wandte sich von dem Gebrodel aus zuckenden Männern ab, die jetzt zu Boden stürzten, und von der Frau, die er ihnen überlassen hatte. Er wollte sich mit der Hand übers Gesicht wischen, wagte es jedoch nicht. Er bemerkte, dass dem Gesandten förmlich die Augen aus den Höhlen traten.

»Verdammt, wo glotzt du hin?«, knurrte er.

»Das kannst du nicht tun.« Der Gesandte flüsterte die Worte auf Thetannisch, war sich vielleicht gar nicht bewusst, dass er überhaupt sprach. »Der Imperator wird …«

»Wird was?« Ringil folgte dem Sprachenwechsel, schritt zu dem Gesandten hin und schlug ihm mit dem Knauf des Rabenfreunds so heftig auf den Mund, dass der Mann rücklings zu Boden fiel. Ringil stellte sich über ihn und hob die Stimme, um die Geräusche hinter sich zu überdecken. »Der Imperator wird was? Sag mir, was dein beschissener Imperator tun wird!«

Der Gesandte legte sich eine Hand vor den zerschmetterten Mund, nahm sie blutig wieder weg und starrte ungläubig auf die roten Tropfen, die von seinen Fingern herabfielen. Ringil hockte sich neben ihn und zwang sich gewaltsam, die Stimme zu einem ätzenden, krächzenden Plauderton zu senken.

»Wenn ich den verdammten Jhiral Khimran richtig kenne, so wird er aus dieser Sache einzig und allein ein fantastisches Harems-Theater inszenieren lassen, sich dann zurücklehnen und zuschauen, bis er erregt genug ist, um sich anzuschließen. Aber darum würde ich mir keine Sorgen machen, Eure Exzellenz, das wird nicht Euer Problem sein.«

Hinter ihnen kreischte und schluchzte die rote Xanthippe, und die Männer, die sie vergewaltigten, brüllten deftig ihr Entzücken heraus. Der Gesandte hörte es und sah Ringil mit offenem Mund an, als wäre dieser etwas, das aus einem Spalt in der Erdkruste heraufbeschworen worden war. Er wollte rückwärts davonkriechen, weg von dem hageren, vernarbten Gesicht und was er darin sah, aber sein Mantel lag unter ihm, und er bekam keinen Halt. Seine Stiefelabsätze rutschten auf der Seide aus.

»Was tust du…«, murmelte er, benommen vor Entsetzen. »Was glaubst du, was du – was du da tust?«

Ringil legte den Rabenfreund beiseite und schüttelte den Drachenzahndolch aus dem Ärmel. Mit der freien Hand packte er den Gesandten fest beim Haarschopf und zog den Kopf hart zurück. Er beugte sich nahe heran, so nahe, dass er den sauren Atem des Mannes roch, so nahe, dass er ihm hätte einen Kuss geben können.

»Ich schaffe die Sklaverei ab«, sagte er.

Und schnitt dem Imperialen die Kehle durch.