23. KAPITEL
Ein Funke, der niemals erlöscht
Meeting Room 4, Dienstag, 15. Februar, 17:30 Uhr
 
Hurra! Wir haben den Auftrag bekommen! Das wär’s also, oder? THE END.
Und doch bleibt noch so viel zu sagen. In den letzten Tagen ist so viel geschehen... wo anfangen? Sitze hier im Nellie und warte auf Duncan, um die Bombe platzen zu lassen. Und es ist eine Bombe. Nachdem ich mir wochenlang ein Bein ausgerissen habe, um unsere Jobs zu retten, und nachdem ich nun, als Ergebnis unserer erfolgreichen Präsentation, eine traumhafte Beförderung angeboten bekommen habe – will ich nicht mehr. Hab’s mir anders überlegt. Drei Jahre LGMK reichen mir, ich brauche eine Luftveränderung. Ehrlich, ich wollte das gar nicht, es ist einfach so passiert.
Es fing alles damit an, dass Duncan und ich uns vor ein paar Wochen mit zwei Headhuntern getroffen haben, weil wir um unsere Jobs fürchteten. Eine davon, Natasha mit Namen, war wirklich nett und richtig auf Zack. Sie meinte, es wäre in der Tat eine besonders gute Zeit für Copywriter, der Arbeitsmarkt böte viele Möglichkeiten. Und sie schlug mir diese Stelle vor, meinte, das wäre was für mich – aber ich hatte das Ganze vollkommen vergessen, bis sie mich vor ein paar Tagen anrief und drängte, zu diesem Vorstellungsgespräch zu gehen. Ich ging also. Und wie sich herausstellte, war es ein fantastischer Job, eine einmalige Gelegenheit, eine Arbeit, auf die ich mich riesig freue. Das Problem ist, der Job ist nur für einen, und das bedeutet, dass ich Duncan nach sechs gemeinsamen Jahren verlassen muss. Es bricht mir zwar das Herz, aber ich weiß, dass ich das Richtige tue; ich wollte schon längst weg. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine Entscheidung getroffen, ohne von Unentschlossenheit und Zweifeln geplagt zu werden. Ja, ich muss raus, fort aus der Scheinwelt der Werbeindustrie, bevor ich noch ganz gaga werde...
Dort, wohin ich gehe, wird es ein wenig ruhiger zugehen. Ich werde wissen, worüber ich schreibe, und es wird sich nicht alles um die Kunst der Präsentation, um heiße Luft, um den Verkauf irgendeines Unsinns drehen. Dort, wo ich hingehe, werde ich morgens aufstehen können und wissen, dass ich etwas Sinnvolles, etwas Wertvolles verkaufe, etwas Schönes, Lebensbejahendes. In einem Monat werde ich in der Welt der Bücher, in der Welt des Verlagswesens arbeiten, o ja. Ich werde Buchbesprechungen schreiben und Klappentexte komponieren. Ich werde ein ganz neues Kapitel in meinem Leben aufschlagen (haha, ich weiß, aber das musste raus), und ich freue mich riesig darauf. Mit ein wenig Glück wird mich die Arbeit weniger in Anspruch nehmen, als mein Job bei LGMK; vielleicht werde ich ja tatsächlich jeden Tag um 17:30 Uhr das Büro verlassen, andere Prioritäten setzen können... Familie. Freunde. Wohnung. Leben. Katze. Shopping. Sport. Film. Kunst. Theater. Vorhänge. Liebe... Kinder?
Nun, immer eins nach dem anderen.
 
Aaaahhh, da ist Duncan. Muss Schluss machen.
050
Daheim, Sonntag, 20. Februar, Mittagszeit.
 
Das Leben hält doch ständig Überraschungen parat! Das Treffen mit Duncan verlief ganz anders, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Er kam spät, wir teilten uns einen Teller Wedges, dazu ein paar Gläser Bier, und dann fasste ich mir ein Herz und brachte ihm meine Neuigkeiten so schonend wie möglich bei. Erzählte ihm von meinem Vorstellungsgespräch bei dem Verlag, wie der Leiter der Marketingabteilung mich schon wenige Stunden später angerufen und mir gesagt hatte, sie wollten mich unbedingt haben. Dass ich zwar noch bis Montag Zeit hätte, es mir zu überlegen, mich jedoch bereits entschieden hätte.
Der liebe, gute alte Duncan. War er am Boden zerstört? Vollkommen am Ende? Weit gefehlt! Er hatte selbst Neuigkeiten, die mich umhauten... Er hatte es mir schon die ganze Zeit sagen wollen, aber ich war ihm aus dem Weg gegangen, weil ich nicht wusste, wie ich ihm meine Neuigkeiten beibringen sollte. Nun, wie sich herausstellte, hatte er, kaum dass seine Fingerchen die unglaubliche Summe von 77 000 Pfund freigerubbelt hatten, sofort gewusst, was er damit anstellen wollte... Er hat den gigantischen Entschluss gefasst, LGMK zu verlassen und eine Weltreise zu machen. Erster Stopp: Australien. Da wollte er schon immer hin, sagt er. Und sich anhören zu müssen, wie Josh und ich von unseren Rucksack-Abenteuern schwärmten, hat auch nicht gerade dazu beigetragen, ihn im muffeligen alten England festzuhalten. Das Komische ist, dass es Duncan genauso ging wie mir: Auch er wollte schon seit einiger Zeit das Land der Werbung verlassen, hatte seine Zweifel, ob er der Richtige dafür war. »Es ist wie mit Beziehungen«, sagte er, »manchmal wissen einfach beide, dass sie nicht mehr mit dem Herzen dabei sind.«
Und es stimmt. Es funkte schon seit einiger Zeit nicht mehr so recht zwischen Duncan und mir. Aber wir waren zu gute Freunde, um es zugeben zu wollen. Nun, ich wünsche ihm alles Gute – und vielleicht werden wir eines Tages ja wieder zusammenarbeiten. Falls er sich nicht irgendwo einen Fischkutter kauft und Touristen Tauchkurse gibt. Oder in einer Hütte auf einer einsamen Südseeinsel lebt, oder irgendwo an der Straße steht und für Geld Karikaturen malt oder etwas ähnlich Duncan-Typisches... Für den Moment jedenfalls hat er sich ein One-Way-Ticket nach Oz gekauft und wird in einem Monat fort sein. Auf unbestimmte Zeit. Es tut mir in der Seele weh, ihn gehen lassen zu müssen, aber zumindest weiß ich, dass er in guten Händen ist. Chloes Visum läuft nämlich kommenden Monat ab, und sie kehrt nach Melbourne zurück. Sie hat angeboten, den Fremdenführer für ihn zu spielen. Also wird doch noch was aus den beiden... Es scheint, als hätte Duncans Herz endlich sein Heim gefunden – ebenso wie Sallys. Sie ist bis über beide Ohren verliebt. Derek hat ein romantisches Wochenende in Mailand gebucht, sie werden nächstes Wochenende hinfliegen. Hoffentlich nur das erste von vielen romantischen Wochenenden... Das muss man Fast Love lassen: Was die beiden betrifft, haben sie voll ins Schwarze getroffen!
Apropos Fast Love, es scheint, als habe auch Charlie das große Los gezogen: Er hat mir eine nette E-Mail geschrieben und erzählt, dass er mit Arkadien auf Welttournee gehen wird. Außerdem ist es ihm gelungen, sich einen fantastischen neuen Agenten zu angeln – sogar noch besser als die bei ICM. Wie es der Zufall will, ist dieser Agent gut Freund mit Russel T. Davies, der die meisten Skripts für Dr. Who schreibt. Freue mich riesig für ihn – egal, was ich über ihn gesagt habe, er hat Charme und Talent genug, um es weit zu bringen. Ich wünsche ihm alles Gute.
Da wäre noch was. Nur eine Kleinigkeit. Diese Sache mit Josh. Das, was bei der Party passiert ist. Es passiert immer noch. Ich weiß, ich weiß – er ist mir tierisch auf die Nerven gegangen. Aber ich fange an, ihn in einem ganz neuen Licht zu sehen... Und er ist kein schlechter Anblick, ich geb’s zu. Aber nachdem wir so viel Zeit miteinander verbracht haben, die gemeinsame Arbeit an der Präsentation, die Party und so weiter, ist mir klar geworden, dass mehr an ihm dran ist, als ich dachte. So viel mehr. Ich glaube, es gibt Leute, die man einfach ein bisschen besser kennen muss, bevor man sie richtig beurteilen kann... Manches braucht eben einfach Zeit. Außerdem glaube ich mittlerweile, dass wir beiden ein ausgezeichnetes Team abgeben... wie toll, merke ich jetzt erst. Glaube allmählich, dass ich mein intellektuelles Ebenbild gefunden habe. Meine Bewunderung und mein Respekt vor Josh sind grenzenlos. Was er in seinem Alter bereits alles erreicht hat! Und wie brillant er ist! – Ja, ich fürchte, ich habe mich jetzt schon in seinen Verstand verliebt. Und Mann, wie es gefunkt hat, als er mich küsste! So ein Feuerwerk habe ich noch mit keinem erlebt. Vielleicht stimmt es ja doch? Vielleicht kommt die Liebe wirklich dann, wenn man es am wenigsten
051
Josh regte sich, blinzelte verschlafen. Er rieb sich die Augen und schaute, was Amelie machte. Sie schrieb schon wieder Tagebuch. Er fragte sich, was so wichtig war, dass es nicht warten konnte, und drehte sich zur Seite, um sie zu kitzeln. Als sie keine Miene verzog und stur weiterschrieb, rollte er sich auf den Bauch und intensivierte seine Attacke. Amelie lachte und versuchte, ihn abzuwehren. Josh riss ihr den Stift aus der Hand und warf ihn fort. Dann klappte er ihr Tagebuch zu. Und schon war sie, ohne ihren Satz beendet zu haben, in seinen Armen.